DAS FÜNFTE KAPITEL

behandelt die Punischen Kriege, in denen die beiden Großmächte des Mittelmeeres, Rom und Karthago, aufeinanderprallen.
Der, der als erster die Virtus über Bord wirft, siegt. Und da er nun schon einmal das Gesicht verloren hat, zerstört er auch gleich noch Hellas. Denn die Welt vergißt in einem Aufwaschen. Aber das greift schon, wie ich eben sehe, ins nächste Kapitel vor.

Wir hätten das Wort Krieg nicht erwähnen sollen. Gleich kommt wieder einer.

Uns überrascht er nicht, die Römer überraschte er sehr. Sie waren nach dem einträglichen Sieg über Pyrrhos in der gleichen Stimmung wie 1945 die Alliierten, als sie verkündeten, jetzt müsse mal Schluß sein mit den ewigen Ansprüchen hin, Ansprüchen her und mit dem Nichtverwindenkönnen des Geschehenen. Der gegenwärtige Zustand sei ein geeigneter Neubeginn für ein friedfertiges Völkerzusammenleben.

Dieser Wunsch ist der Herzenswunsch aller erfolgreichen Bankräuber.

Bei den Römern war er sogar begründet, denn von den Samniten oder Kelten drohte ihnen wirklich nichts mehr. Gevierteilte Ochsen nehmen, wie wir wissen, niemand mehr auf die Hörner.

Die Gefahr kam von ganz anderer Seite: von ihren Komplizen aus dem Pyrrhos-Krieg.

Wie sie in diese drei Punischen Kriege hineingeschliddert sind, ist ein Kapitel für sich. Ich empfehle es besonders denen, die immer noch an die sogenannte Mündigkeit der Masse glauben.

In Sizilien existierte ein Stadtstaat namens Messana (Messina) — fürchten Sie nicht, daß ich weit aushole, wir sind mitten drin. Einst war Messana eine griechische Siedlung wie das nahe große Syrakus gewesen, jetzt herrschten Osker dort. Diese mittelitalienischen Osker waren als versprengter vagabundierender Söldnerhaufe nach Messana gekommen und hatten sich mit Gewalt festgesetzt. Kurz gesagt: eine Bande Soldateska. Nichts einleuchtender, als daß dieses Messana sich bald isoliert sah, so gänzlich, daß nicht einmal jemand den Versuch machte, in der »Schweinebucht« zu landen, um ihnen auch nur die Reste eines Schiffswracks zu überlassen.

Im Jahre 264 waren die wilden Herren praktisch pleite. Entwicklungshilfe gab es damals noch nicht; bankrotte Firmen pflegten von anderen nicht saniert, sondern kassiert zu werden. Syrakus war bereit dazu, aber die Machthaber dachten nicht ans Kapitulieren. Sie wandten sich an Karthago um »Hilfe« in der sehr richtigen Erinnerung, daß Punier und Griechen in Sizilien automatisch Gegner waren. Mit der schönen Unbekümmertheit von Dilettanten wandten sie sich gleich darauf aber auch an Rom um »Hilfe«. Was sie sich dabei dachten, ist ganz unklar.

Der römische Senat trat zusammen und beriet. Rom hatte in Sizilien keine Interessen. Noch nicht einmal Süditalien war allzufest in römischer Hand. Friede war zur allgemeinen Beruhigung dringend nötig. Dazu kam, daß das Soldateska-Regime in Messana rundum suspekt war. Der Senat glaubte es mit der Würde Roms nicht vereinen zu können, solchen Leuten die Hand zu reichen.

Der Fall hätte damit erledigt sein müssen, aber er war es nicht. Denn jetzt ging das Volk mal die Sache an. Man trommelte es zu den berühmten Tributkomitien, den Stadtbezirksversammlungen, zusammen, deren Beschlüsse seit 287, wie Sie sich freundlichst erinnern wollen, über denen des Senats standen. Hier waren die Plebejer — abgesehen von wenigen Bezirken — ganz unter sich. Hier wurde das gerade, kernige Volksidiom gesprochen. Hier wurde an den »gesunden Menschenverstand« appelliert, hier durfte gelacht werden, wenn das Wort »Hohe Diplomatie« fiel.

Die Komitien waren es, das Volk, die Plebejer, die den Feldzug beschlossen mit der ganz offenen Begründung, daß man sich einen solchen Beutezug nicht entgehen lassen dürfe. Der Senat gehorchte. Irgendein armer Konsul schnallte sich Brotbeutel und Feldflasche um und setzte sich an die Spitze eines Heeres, das mit den besten Segenswünschen der Priester gen Süden zog. Vielleicht war es ein plebejischer Konsul, dann war er nicht zu bedauern, dann wird er schon auf der Via Appia gerufen haben: »Ein Lied — zwei — drei«. Kein ernstzunehmender Historiker wagt heute zu bestreiten, daß die Plebs der Träger des Imperialismus war. Aus ihr sind seltsame, janusköpfige Gestalten hervorgegangen, die die Macht bekämpften, bis sie sie hatten; die zum Beuteüberfall auf Syrakus aufbrachen und zugleich (wie jener Zensor Luscinus) einen Patrizier wegen des luxuriösen Besitzes von zehn Pfund Tafelsilber aus dem Senat ausstießen.

Inzwischen, meine Damen und Herren, hat das römische Heer die staubigen Landstraßen hinter sich gebracht und ist nach Messana übergesetzt. Noch ein paar Dutzend Kilometer und —

— und man traute seinen Augen nicht! Da stand nicht das Empfangskomitee der Messaner, sondern ein karthagischer Vorposten, der ihnen die vergnügliche Mitteilung machen konnte, daß Messana längst von den Puniern »gerettet« und, natürlich, besetzt sei.

Die Römer waren, soweit das Angelsachsen sein können, außer sich.

Die einen Retter saßen drin, die anderen Retter standen davor. Zwei ehemalige Komplizen, die sich gegenseitig zum Teufel wünschten.

Der karthagische Kommandant der Stadt befand sich in keiner angenehmen Lage. Erstens war er eingeschlossen, zweitens war er eingeschlossen, und drittens war er eingeschlossen. Ein Ausfall hätte eine Schlacht bedeutet, und eine Schlacht den offenen Krieg. Wer wagt das als Oberstleutnant?

Er nicht. Er übergab die Stadt den Römern und zog mit seinen Leuten ab. Ein recht vernünftiger Mann. Schade, daß die Karthager ihn dafür hinrichteten. Sie scheuten, was der arme Oberstleutnant nicht wissen konnte, ebenso wenig wie das römische Volk einen ausgewachsenen Krieg.

König Hieron von Syrakus, der eigentlich der Bekämpfte sein sollte, schloß mit beiden Seiten einen Friedensvertrag, zog den Geldbeutel, zahlte kräftig und dankte den Göttern, daß sich die Truppen weit weg, in den Westen der Insel begaben. Die einen, die Karthager, weil sie sich auf ihre Stützpunkte zurückziehen wollten, die anderen, die Römer, weil sie soeben die Kriegserklärung der Punier erhalten hatten und ihnen nachjagten. Während ihres Nachlaufens kamen sie an dem hübschen reichen Städtchen Akragas (Agrigent) vorbei, machten kurz halt, raubten alles, was glänzte, und äscherten dann diese blühende Griechenkolonie ein. Man merkt unschwer, daß der erste Punische Krieg in vollem Gange ist, und es ist nun meine Aufgabe, von ihm zu berichten. Darf ich Ihnen zuvor versichern, daß er mir herzlich zum Halse heraushängt? Für einen Krieg, der wie eine Flamme auf lodert, für einen Krieg, der wie der Canale Grande stinkt, für einen Krieg, der von Don Quixotes geführt wird, für sie alle kann man Worte finden. Aber was soll man zu einem stupiden, subalternen, trägen Kolonialkrieg sagen, der sich über dreiundzwanzig Jahre so hinschleppt wie die Römer unter ihren Tornistern voll Silberlöffel? Zum Glück braucht man sich von dem ganzen sizilianischen Landkrieg nichts zu merken außer, daß ein so stümperhaftes Unternehmen naturgemäß auch in einem stümperhaften Unentschieden endete. Aber einen anderen Punkt gibt es, einen einzigen, der in diesem Kriege wirklich bemerkenswert ist. Er ist mehr: er ist schlankweg abenteuerlich.

Eine Erfindung verhinderte Roms Niederlage — was sage ich, »Erfindung«? Eine banale Idee, die jeder Römer auf der Straße gehabt haben könnte. Ihre Geburt wird sie wohl wirklich einem Stabsgefreiten verdanken.

Die Römer waren Landratten. Taktisch und navigatorisch waren sie zur See so unbegabt, daß jeder phönizische Fischer sie ausgelacht hätte. Sie hatten Hilfsvölker mit genügend See-Erfahrung, aber die rissen sich kein Bein für Rom aus und galten auch nicht als sicher.

Die Karthager waren die geborenen Seeleute. Nichts lag daher für sie näher, als diesen dummen sizilianischen Landkrieg in einen Seekrieg zu verwandeln. Daraufhin lag für die Römer nichts näher, als die Seeschlacht wiederum in eine Landschlacht zu verwandeln. Die einzigen Kampfmethoden der antiken Seeschlacht bestanden bisher im Rammen oder Ruderabrasieren oder Feuerwerfen. Die Erfindung der Römer bestand nun darin, sich in sechs oder sieben Metern Entfernung seitlich an das feindliche Schiff zu bringen (was in den Augen der Karthager nichts anderes war als der gescheiterte Versuch, die Ruder abzurasieren), sodann eine breite Holzbrücke mit Enterhaken hinüberzuschlagen und nun ordnungsgemäß, sozusagen mit Musik, kompanieweise hinüber zu marschieren und einen normalen Landkampf auszutragen. Der Anblick muß herzzerbrechend gewesen sein. Auf der einen Seite Seeleute, kaum bewaffnet, mit nacktem Oberkörper, schweißgebadet, auf nichts bedacht, als mit dem riesigen Schiff zu manövrieren. Auf römischer Seite schwerbewaffnete, gepanzerte Abteilungen, die von ihrem inferioren, miserabel geführten Schiff einfach herübermarschierten. Es war ein jeder Piratenromantik entkleidetes Entern en gros.

Zu lange schon hatten die Karthager wie die Wespen gestichelt, einmal im Norden, einmal im Süden die Küsten Italiens angesegelt, Orte vernichtet, Land verwüstet, ziemlich sorglos, daß etwas passieren könnte. Aber nun, 260, im vierten Kriegsjahr, stellten die Römer bei Mylae vor Sizilien die punische Flotte und erenterten sich tatsächlich mit ihrem primitiven Einfall den Sieg.

Rom jubelte. Auch die späteren römischen Geschichtsschreiber haben aus Mylae einen fast mystischen Triumph der Kriegskunst und einen entscheidenden Sieg gemacht. Beides war Mylae nicht. Der Fortgang des Krieges beweist es. Erstens ging er weiter, und zweitens bezogen die Römer, als sie nun sogar Afrika anzugreifen wagten, eine bedenklich schwere Schlappe. Die Expedition kehrte nicht heim. In fünf Jahren gingen vier römische Flotten zugrunde. Also nichts da von mystischem Triumph.

Der Krieg schleppte sich weiter hin. Zehn Jahre nach dem afrikanischen Abenteuer waren die Römer so weit, jeden Frieden anzunehmen. Das war genau der Zeitpunkt, als sie aus Karthago läuten hörten, dort stünde es genau so.

Der Senat warf sofort das Steuer herum. Die Patrizier brachten privat noch einmal unter Anspannung aller Kräfte die Gelder auf, um auf den Werften an der ganzen tyrrhenischen Küste in höchster Eile neue Schiffe bauen zu lassen, zweihundert imponierende Kästen nach dem Modell eines gestrandeten punischen Fünfruderers.

Im Jahre 241 war die Armada fertig und machte sich auf den Weg — nicht nach Afrika, sondern auf die Suche nach dem Rest der punischen Flotte, die das Heer in Sizilien versorgte. Man traf sie bei den Aegatischen Inseln und schlug sie mit der neuen Taktik vernichtend. Hamilkar Barkas, Vater Hannibals, Karthagos unbesiegter Feldherr in Sizilien, traf das undankbare Schicksal, das Friedensdiktat entgegennehmen zu müssen. Der römische Konsul war milde, das römische Volk nicht. Es zerriß den Vorvertrag und diktierte sein Versailles. Karthago trat Sizilien ab, die Liparischen Inseln, etwas später auch Korsika und Sardinien, lieferte das in Afrika noch gefangene Heer mit dem unglücklichen Konsul aus und zahlte eine Reparation — ach, das Wort kennen wir gut — von dreitausendzweihundert Talenten. Es ist müßig, sich auszurechnen, wieviel das war. Ganz gewiß die Grenze.

Der Grundstein zum zweiten Punischen Krieg war gelegt.

Aber sagen Sie das mal einem Clemenceau.

*

Die Generation, die zu dieser Zeit das Licht der Sonne erblickte, wuchs in ganz neuen Vorstellungen auf. In ihren Köpfen war die Welt, war alles schon immer so gewesen, war Rom seit ewigen Zeiten die Beherrscherin Italiens, Siziliens und der Meere, es hatte immer so ausgesehen wie jetzt, eine schöne, turbulente Stadt mit mehreren hunderttausend Einwohnern, die sich nicht mehr wie früher einzeln kannten und beim Namen riefen, mit Mietshäusern, mit dem vertrauten Fleischerladen und Bäcker gleich links um die Ecke rum und dem Friseur, der »schon ewig« rechts um die Ecke wohnte, mit großen Manufakturen draußen vor dem weiten Mauerring, mit Kurierwagen und schnellen Straßen durch das ganze Land, mit hörigen Völkerschaften, die irgendwo, Tagereisen entfernt, lebten und ehrfürchtig erstarrten, wenn sie das »SPQR« sahen, die Insignien Roms*, der herrlichen, mächtigen Wölfin am Tiber; oder wenn die Kohorten klirrend in die Garnisonen einzogen, oder die fünfrudrigen Schiffe in See stachen. Wer das bezweifelte, war ein Verleumder, wer das angriff, war ein Feind alles Guten, der den Frieden und das Gleichgewicht der Welt störte.

Alle Generationen vorher hatten ein Wachsen miterlebt, hatten an den Schultern noch feindliche Nachbarn gehabt, waren von Grenzen umgeben gewesen. Diese Jugend jetzt war zum erstenmal in das fertige Imperium geboren. In ihren Köpfen hatte es nie etwas anderes gegeben, vor allem kein Werden. Die Knaben — obwohl streng wie stets erzogen — müssen sehr anders gewesen sein als in alten Zeiten; sicherlich von einem ins Gigantische gesteigerten Rom-Bewußtsein, einer Rom-Selbstgerechtigkeit und mit der völligen Un-ansprechbarkeit für das dubiose »Früher«. »Gestern« war für sie reines Hörensagen. Namen wie Cincinna-tus, Camillus, Gaius Mucius Scaevola bezeichneten keine Stationen des Weges, sondern waren Mythen, Epen. Und die Art, wie man von ihnen erzählte, war die gleiche Art, in der man von Mars und Merkur berichtete.

Zweihundertfünfzig Jahre lang hat die Republik auf jede Geschichtsschreibung verzichtet — wie wir heute annehmen, bewußt. Anfangs (das ist ganz deutlich erkennbar) geschah es, um die Königszeit vergessen zu machen aus Furcht vor Vergleichen und aus Furcht, im römischen Volk könne die nie erloschene monarchische Sehnsucht wieder hervorbrechen. Solange dieses Unbehagen anhielt, war das Forschen tabu. Auch jetzt, im Imperium, war die Besorgnis und Unfreiheit der Machthaber (wer immer es auch war und aus welchem Stand er auch kam) noch so groß, daß sie nichts taten, um die letzten Zeugnisse aus alter Zeit zu retten.

Aber in einem Punkte wenigstens bedeuten die Jahre um 240 oder 230 einen wichtigen Einschnitt: Jemand setzte sich hin und schrieb aus seinem persönlichen Wissen und aus dem Gedächtnis die Geschichte des soeben vorübergegangenen Punischen Krieges nieder. Der Herr hieß Naevius und wurde damit der Vater der römischen Historiker oder besser gesagt: Gegenwartshistoriker. Er schrieb für die Kriegsveteranen, für die alte Generation, für seine Frontkameraden, und einige werden es sogar gelesen haben. Sein Werk »Bellum Poenicum« ist im Original nicht auf uns überkommen, aber zahllose Spätere haben auf seine Erinnerungen zurückgegriffen, und so kommt es, daß der Punische Krieg das erste wirklich große und langjährige Ereignis ist, bei dem die heutige Forschung sich nicht wie der »Reiter über dem Bodensee« vorkommt. Auch SPQR dankte Naevius, denn er hatte sie schließlich verherrlicht. Daß er später, als alter Mann, noch verbannt wurde, muß daran gelegen haben, daß er völlig auf die schiefe Bahn geriet, indem er versuchte, eine griechische Komödie in Rom einzuführen. Er hat versäumt, sie als Truppenbetreuung zu tarnen.

Er hat noch etwas anderes versäumt: seinen Bellum poenicum zu numerieren. Ihm ist es ergangen wie uns, als wir 1918 von »dem Weltkrieg« sprachen. Ein Weltkrieg kommt selten allein. Sein Bellum poenicum war noch nicht in die Taschenbuchausgabe gegangen, da war schon der Zweite Punische Krieg da.

*

Er hatte ein Vorspiel, sofern man es als Vorspiel ansehen will, aber man kann es auch getrennt betrachten.

Keltische Stämme der Po-Ebene waren rebellisch geworden, hatten den Apennin überschritten, brachten Rom auf die Beine, wurden geschlagen und verloren das ganze Land bis zu den Alpen.

So stellt sich das Ereignis dar, wenn man es für sich allein nimmt. Dann war es also zwischendurch mal wieder ein kleiner Krieg (bis 222).

Dann gab es auch noch einen zweiten selbständigen Krieg: An der Küste des heutigen Jugoslawien hatte sich ein Illyrer-Staat zu einer erheblichen Seemacht ausgewachsen, der jetzt fortgesetzt die italienische Adriaküste räuberisch überfiel. Rom mußte einschreiten, es kam zu regelrechten Gefechten, die Illyrer unterlagen und gerieten unter römische Oberhoheit.

Beide kriegerischen Verwicklungen scheinen aber viel eher nichts weiter als inszenierte Vorspiele zu etwas weit Größerem gewesen zu sein. Denn es ist bemerkenswert, was in diesen Jahren, in denen Rom so intensiv beschäftigt war, Karthago tat: Es eroberte sich in Seelenruhe in Spanien einen Ersatz für Sizilien und Sardinien. Es zahlte auch prompt die eintausendzweihundert Talente, die es von Rom in einer Laune noch zusätzlich auferlegt bekommen hatte — alles, um sich Ruhe zu verschaffen. Nichts liegt näher, als zu folgern, daß die außerordentlich kluge Barkiden-Partei in Karthago die Finger in dem Keltenaufstand und den Illyrer-Angriffen gehabt hat. Überliefert sind solche Secretissima der Geheimpolitik zu dieser Zeit leider nicht.

Als die Karthager in Spanien ihre Ziele erreicht hatten und die Welt für sie wieder anders aussah, deckten sie die Karten auf. Sie griffen mit voller Absicht das mit Rom verbündete Sagunt (nördlich Valencia) an. Das geschah 219. Feldherr war nicht mehr Hamilkar Barkas (er war gefallen) und auch nicht mehr Schwiegersohn Hasdrubal (ermordet), der sich immer nur als Platzhalter gefühlt hatte. Ein anderer war an die Spitze gerückt, ein Mann von siebenundzwanzig Jahren, vor dessen strategischer Genialität die gesamte Umgebung geradezu betroffen stand: Hamilkars Sohn Hannibal. Würde die im Museum von Neapel stehende Büste ihn wirklich darstellen, so wären wir glücklich zu wissen, wie er aussah. Aber leider zeigt die Büste nicht den leisesten semitischen Zug. So könnte Hannibals Gegenspieler, Fabius Maximus Cunctator, der römische Patrizier, ausgesehen haben, aber nicht Hannibal, der Punier. Schade.

Sagunt schrie nach Hilfe. Das römische Volk schrie nach Bestrafung. Der Senat schrie nach Ruhe. Er hatte zwei Mobilmachungen hinter sich. Sagunt lag nicht in Italien, er wollte den Teufel einen neuen Krieg. Hannibal hatte damit gerechnet. Er eroberte Sagunt und zog (unter Bruch eines alten Vertrages) gleich weiter bis zu den Pyrenäen.

Das war genau der Schritt zu weit, der in der Politik so schwer zu berechnen ist. Die Gallier (Marseille war mit Rom befreundet) übermittelten alle Nachrichten aus Spanien, und die letzte schlug nun wirklich wie eine Bombe ein. Hannibal an den Grenzen des ungeschützten Galliens bedeutete Hannibal an der Grenze der Po-Ebene, jenes Keltengebietes, das sowieso schon ein Pulverfaß war.

Der Senat schickte eine Gesandtschaft nach Karthago. Man verlangte Wiedergutmachung und--die Auslieferung des »Kriegsverbrechers« Hannibal. Die Antwort konnte nicht zweifelhaft sein; auch Rom war hier einen Schritt zu weit gegangen. Die ganze Gesandtschaft erfüllte nur eine Formalität, die Rom ehrt. Es hätte gleich losschlagen können. Im Zwanzigsten Jahrhundert erklären nur noch Narren einen Krieg.

Roms Jugend war Feuer und Flamme. Der Senat weniger. Immerhin sah die Lage nicht so schlecht aus, man mußte nur, das schien klar, Hannibal in Spanien fesseln und gleichzeitig das entblößte Karthago selbst angreifen. Je mehr man das überdachte, desto fröhlicher wurde die Zuversicht. Einer der Konsuln ging nach Sizilien, um die Invasionsflotte zu sammeln, der andere segelte mit einem Landheer nach Spanien.

Es ist unwahrscheinlich, daß diese Pläne frühzeitig verraten worden sind. Hannibal muß sie erraten haben. Er hat auch sofort den einzigen Gegenschachzug erkannt, der ihm verblieb: auf Rom zu marschieren. Die punische Flotte war im Moment leider gleich Null; er mußte zu Fuß hin und zwar sofort. Er nahm nur seine Kerntruppen, etwa hunderttausend Mann und ein halbes Hundert Kriegselefanten. Er überquerte die Pyrenäen, zog ohne nennenswerte Hindernisse durch Südfrankreich und stand im Begriff, die Rhone zu überqueren, als er hörte, daß die Römer in Spanien angekommen aber sofort wieder umgekehrt seien. Die Nachricht stimmte. Die Expedition war erschrocken abgeblasen und alles eiligst nach Oberitalien umdirigiert worden.

Der römische Befehlshaber tat, als er dort glücklich vor Hannibal angekommen war, etwas, was sehr richtig schien: Er legte den Hauptteil des Heeres in die Garnisonen Placentia (Piacenza) und Cremona als Sicherung des Weges in die Po-Ebene und eilte selbst mit einer Elite-Legion an die schwierig zu überquerende Rhone, um dort zusammen mit den Marseillern Hannibal schon bei seiner ersten Hürde abzufangen. Ihm war klar, daß der Karthager am Meer entlang einzubrechen versuchen würde.

Hannibal war klar, daß dem Römer das klar war. Er ging daher weder in die Rhone- noch in die Nizza-Falle. Er zog flußaufwärts, setzte erst bei der Drôme über und stieg von der Durance aus in die Hochalpen ein. Man nimmt an, daß er über den Mont Genèvre ging. Er überquerte ihn mit allen Truppen, allem Troß, allen Pferden, allen Tragtieren und allen Elefanten. Es war ein Entschluß, der an Wahnsinn grenzte.

Die Strapazen müssen unvorstellbar gewesen sein. Es war Herbst, als der Aufstieg begann und November, als man mitten im Gebirge steckte. Die Berge starrten bereits unter Eis, die Paßwege waren verschneit, waren reißende Regenbetten, halsbrecherische Geröllpfade über Abgründen, zwischen Lawinen, in Nebel, in Wolken, im Sturm; für die Tiere kein Schutz und kein Grashalm. Wie die Menschen es ausgehalten haben, ist bewundernswert; daß überhaupt noch Pferde und Elefanten es überlebten, grenzt ans Unglaubliche. Die generalstäblerische Leistung Hannibals in Disposition, Erkundung, Sicherung und Versorgung ist die größte, die die römische Geschichte kennt.

Der Tod marschierte mit. Erfrierende und Verschmachtende blieben liegen, sterbende Tiere schrien der davonziehenden Heeresschlange nach — niemand drehte sich um; das grausame Entweder-Oder hing über allen. Die Hälfte der Menschen und Tiere bezahlten die Wahnsinnstat mit dem Leben. Aber eines Tages brachen die Bergmassen auf, und man erblickte das verschneite Taurosia (Turin) tief unter sich im Tal. Die Karthager standen in Oberitalien!

Rom war wie gelähmt. Man wollte es nicht glauben. Die ganze Welt wollte es nicht glauben.

Die Römer faßten sich etwas, als sie von dem erbarmungswürdigen Zustand des karthagischen Heeres hörten.

Inzwischen aber nahm dieses Heer Turin, die Hauptstadt des großen Tauriner Stammes, ging ohne auszuruhen weiter, stieß am Ticinus auf römische Reiterei, die mit ihrem Konsul von der Rhone herbeigeeilt war, schlug sie, zog weiter und näherte sich Placentia. Jenseits des Po, an der Trebia, machte es halt.

Rom war außer sich. Es schickte Verstärkung, sie traf rechtzeitig ein, beide Kontingente vereinigten sich, man atmete abermals auf.

Der römische Befehlshaber Sempronius atmete etwas zu sehr auf. Im Anblick seiner gewaltigen Streitmacht, doppelt so stark wie die todmüden Karthager, wollte er es wissen. Er erfuhr es sofort. Hannibal schlug ihn durch überlegene Strategie vollständig. Die Reste des römischen Heeres, die nach Placentia flüchteten, wurden vor dem Untergang durch den General Winter gerettet, den berühmten ungebetenen oder erbetenen General, der in der Weltgeschichte so viele Schlachten gewonnen hat.

Hannibal stellte die Operationen ein und bezog Lager. Von dort aus ritten jetzt statt seiner numidischen Bogenschützen seine Agenten ins Land. Die »fünfte Kolonne« war erfunden!

Norditalien verwandelte sich in einen Vulkan. Von allen Stämmen strömten dem Karthager Zehntausende von Soldaten zu. Die Faszination durch den großen Sieger und der Haß gegen Rom trieben sie zu dem Manne, der ihnen eigentlich hätte weltenfern liegen müssen. Hannibal schmolz sie wie Gold ein.

Das Jahr 217 kam. Die beiden Konsuln, Scipio und Sempronius, übergaben ihr Amt den neuen Konsuln — eine Einrichtung übrigens, die die Kontinuierlichkeit jeder Handlung unmöglich machte. Aber in diesem Falle dankte man Jupiter, denn einer der Neugewählten schien die Rettung Roms: Flaminius, ehemaliger Tribun, Mann mit Herz aus dem Volke, mit kühnen Ideen, Erbauer eines Circus und der Via Flaminia, ein Mann mit rücksichtslosen Ellbogen, der sich selbst einen Triumphzug gegen den Willen des Senats bewilligt hatte, total kulturfremd, patrizierfeindlich von Geblüt, ein Kommissar. Der andere Konsul war der Patrizier Servilius. Nomen est omen.

Rom hatte sich über Winter etwas beruhigt. Es sammelte seine Heermassen, die mit den Hilfsvölkern immer noch sehr beträchtlich waren, in zwei Stellungen: rechts des Apennin bei Rimini und links des Apennin bei Arezzo. Dort stand die Hauptmacht, und dort weilte auch Flaminius selbst. Ein Nachrichtennetz spann sich quer durch die Halbinsel. Hannibal konnte kommen.

Er kam sehr früh. Noch in der Schneeschmelze stieg er zum Golf hinab und marschierte über Luni (jene Stadt, die gerade in diesen Tagen bei La Spezia wieder ausgegraben wird) und über Luca (Lucca) in die Toscana ein. Das Arnotal war überschwemmt wie im November 1966, ein einziger Morast ohne Weg und Steg. Das Leiden schien wieder loszugehen. Die Tiere gingen ein. Die Elefanten starben bis auf einen. Auf dem saß Hannibal; nicht, weil es besonders bequem, sondern weil es sicher war. Er mußte geschützt und erhalten bleiben, denn er war krank, ein erschütternder Anblick, er trug die vom Sumpffieber entzündeten Augen verbunden; auf einem war er bereits blind! Die Blicke all seiner Krieger hingen an dem weithin sichtbaren Urwelttier, das ihr Schicksal auf dem Rücken trug.

Flaminius wartete voller Unruhe. Die Nachrichten schienen verrückt. Wie konnte man jetzt durch das Arnotal kommen! Was für eine Idee! Aber wenigstens stimmte seine Marschrichtung; man stand richtig.

Es war die Richtung nach Arezzo, jawohl, aber nicht nur. Man kann zum Beispiel, wenn man in Arezzo nichts zu tun hat, daran Vorbeigehen. Das kann man heute noch. Beispielsweise die Autobahn tut es in weitem Bogen. Hannibal tat es auch. Ein bescheidener Satz.

Dieser Satz stürzte Volksfreund Flaminius in die größten Schwierigkeiten. Der Konsul hatte die Legionen aus Rimini, die im Anmarsch waren, erwarten wollen. Das ging nun nicht mehr. Hannibal befand sich nicht mehr vor, sondern hinter ihm. Wäre der Karthager an der tyrrhenischen Küste heruntergekommen, so hätte man ihn schräg abschneiden können, man hätte mehrere Tage zur Verfügung gehabt, man hätte den Schnittpunkt, und sei es auch noch so nahe bei Rom, bestimmen können. Es ging wirklich mit dem Teufel zu: Dieser Mensch zog, ohne einen Römer vor sich, auf Rom los! Flaminius handelte zwangsläufig, indem er so rasch wie möglich Hannibal folgte. Der Feind bewegte sich — übrigens aufreizend gemächlich — auf den Trasimenischen See zu. Als er ihn erreichte, war die römische Vorhut ihm so nah auf den Fersen, daß sie die letzten punischen Reiter noch sehen konnte. Gerade verschwanden sie in der engen Passage, die zwischen den Vorbergen des Apennins und dem See-Ufer hinführt.

Es ist wirklich rätselhaft, wie Flaminius in eine so simple Falle stolpern konnte. Anstatt die Reiterei in Eilmärschen am anderen Ufer um den See zu jagen und den Karthager von zwei Seiten zu fassen, zog Volksfreund Flaminius — dazu auch noch im Nebel — Hannibal hinterher. Kaum steckte er zwischen den Höhen und dem Wasser, als Hannibal kehrt machte. Gleichzeitig schlossen zurückgebliebene Einheiten die Röhre von rückwärts.

Die »Schlacht am Trasimenischen See« wurde zum Untergang des römischen Heeres. Unter den zehntausend Toten lag auch Flaminius.

Noch hundertfünfzig Kilometer nach Rom. Der Weg war frei. Hannibal ging ihn nicht. Er ließ Rom liegen. Er schickte nicht einmal Kundschafter; es interessierte ihn nicht. Die Geschichtsforschung hat lange daran herumgerätselt. Die Frage nach seinen Motiven, dem Warum, hat sich als sehr tiefgründig herausgestellt. Sie hat sich als die Frage nach seinem Charakter entpuppt. Die Regierung von Karthago hätte nichts lieber gemeldet bekommen, als die Zerstörung Roms. In diesem Augenblick war sie möglich. Warum tat Hannibal es nicht? Die heutige Quellenforschung hat sich, was nicht so leicht ist, freigemacht von der römischen und römisch-griechischen Sicht und noch einmal von vorn begonnen. Die neugewonnene Auffassung ist fast einstimmig. Wenn es eine militärische Antwort wäre, brauchte sie uns nur mit fünf Zeilen zu behelligen; aber es ist eine andere.

Hannibal entstammte einer patrizischen Familie, einem hochkultivierten Volk. Er besaß eine hellenistische Bildung. Griechische Philosophen und Dichter waren seine ständige Umgebung, das Gedankengut Platos, Aristoteles’ und des Stoikers Zenon war ihm selbstverständlich. Die Ordnung in der Welt sah er als etwas an, was man vom Ethischen nicht trennen konnte. Gewalt war ihm ein Mittel der Korrektur, aber Vernichtung als Endziel etwas Verabscheuungswürdiges. Er hat mit Sterbenden gelitten und um Tote, ob Freund oder Feind, getrauert. Irdische Güter galten ihm wenig. Der Verehrung mißtraute er, ohne sie verletzen zu wollen. Macht sah er als Auftrag an.

Sein Vater Hamilkar Barkas hatte dem neunjährigen Knaben einst — Hannibal hat es selbst erzählt — den »Schwur« abgenommen, das Versailles des ersten Punischen Krieges zu rächen und ewig der Feind Roms zu sein.

Hannibal hat den Schwur nie vergessen, aber er wollte nicht rächen, er wollte korrigieren. Und gehaßt hat er Rom nie. Er war sein Feind, weil er den rücksichtslosen römischen Imperialismus für schädlich für die ganze antike Welt des Mittelmeeres hielt und weil er die Unkultur Roms, jenes Flecks Erde, auf dem nichts als Eisen wuchs, verachtete.

Mit diesem Herzen war Hannibal sogar den Karthagern etwas unverständlich. Er schien mehr Grieche als Semit. Die Karthager waren mehr Semiten als Griechen natürlich. Ihr Auftrag an Hannibal versteht sich daher aus ihrem, nicht aus seinem Geist: Rom, das ihnen die Pulsadern aufgeschnitten hatte, sollte vernichtet werden. Sizilien und Sardinien hatten an Karthago zurückzufallen, der »friedliche« kaufmännische Wettbewerb, das Leben nebeneinander, sollte so wieder aufgenommen werden, wie es vor dem ersten Kriege ausgesehen hatte.

Das begriff Hannibal durchaus, nur verstand er unter »Vernichtung Roms« etwas anderes. Man macht eine Stadt wie Rom nicht dem Erdboden gleich. Man mißachtet das Leben von zweihunderttausend Menschen nicht derartig. Man radiert nicht eine dreihundertjährige Geschichte aus.

Was Hannibal — zwangsläufig zum Staatspolitiker werdend — vorschwebte, war etwas anderes. Er wollte in einer Reihe von offenen Schlachten die Militärmacht Roms brechen. Er war überzeugt, das zu können, und hatte es inzwischen an der Trebia und am Trasimenischen See bewiesen. Seine Feldherrnüberlegenheit war turmhoch. Und noch etwas anderes hatte er sehen können: ein Bürgerheer (das römische) war technisch und athletisch einem Berufsheer (seinem) nicht gewachsen. Ein zweites Ziel schien Hannibal aber ebenso wichtig, vielleicht sogar entscheidend: Er mußte den Zusammenhalt des Imperiums brechen, er mußte den italischen Bund zersplittern, den Völkern Italiens die Furcht vor Rom nehmen und ihnen die Selbständigkeit und Unabhängigkeit zurückgeben. Er war überzeugt, daß sie sich danach sehnten. Er dachte an die Kelten, an die Umbrer, die Etrusker, die Samniten, an die einstigen griechischen Städte, an Tarent, an Syrakus — kein Zweifel, eine Art Habsburgisches Reich, das zerbröckeln würde, sobald Rom machtlos wurde. Rom selbst, Rom, die Stadt, Rom, das Land Latium, sollte leben. Er war kein Vernichter.

Das römische Heer bestand, entsprechend den Bündnisverträgen, aus fünfzig Prozent Römern und fünfzig Prozent Hilfstruppen. Hannibal entließ schon nach der Schlacht an der Trebia alle Angehörigen fremder Völker aus der Gefangenschaft, versorgte sie und schickte sie nach Hause. Am Trasimenischen See machte er es mit den wenigen Überlebenden genau so.

Das waren die Gedanken, die ihn zu dem Entschluß brachten, Rom liegen zu lassen, durch Umbrien zu ziehen und an der Adria nach Süden zu gehen, nach Süden, wo die Völker die Wunden des Pyrrhoskrieges und das Überrollen durch die Römer noch schmerzlich spüren mußten.

Das Volk in Rom, das mit dem Schreckensruf »Han-nibal ante portas«* auf den Lippen lebte und von Stunde zu Stunde das Auftauchen der sagenhaften Elefanten erwartete, hatte die Nachricht von der Schwenkung Hannibals noch nicht bekommen.

*

In diesem Moment wünschte das Volk die Verantwortung nicht mehr zu haben. Es berief einen Diktator. Dreimal dürfen Sie raten, aus welchen Kreisen er kam. Es ist Quintus Fabius Maximus, der in die Geschichte eingegangene berühmte Cunctator, der »Zauderer«. Die Fabier waren neben den Quinctiern, Corneliern, Valeriern und Claudiern die älteste Patrizierfamilie Roms. Sie hatten schon unter den Königen zum Adel gezählt. Sie waren sehr reich, sehr aufopfernd, sehr wohltätig, aber in ihrer politischen Haltung unnachgiebige Gegner der Plebsherrschaft, der Volkstribunen (die in ihren Augen längst den ursprünglichen Sinn verloren hatten) und Gegner der Tributkomitien, dieser anonymen Macht, die sich jeder Verantwortung entzog. Die Fabier waren kultiviert, sie gehörten zu dem kleinen Kreis von Römern, der sich mit griechischer Kunst, Staatswissenschaft und Philosophie beschäftigte. Alles in ihnen sträubte sich daher gegen den neuen »way of life« Roms.

Seit etwa drei Generationen hatten sie in der Staatsführung keine große Rolle mehr gespielt, aber ihr Ansehen war geblieben. Einst, kurz nach der Vertreibung der Könige, hatte es eine Zeit gegeben, da waren Rom und Fabier derselbe Begriff. Die Fabier waren es, die den Krieg gegen das mächtige Veji allein und auf eigene Kosten geführt hatten. Dieser Feldzug rottete fast die ganze Familie aus, denn das Unglück wollte es, daß (mit einer Ausnahme) alle männlichen Mitglieder gleichzeitig wehrfähig waren. Sie fielen. Übrig blieb ein Kind. Es wurde der Stammvater der späteren Fabier, selbst ein berühmter Mann, zweimaliger Konsul und einer der Dezemvirn, jener Zehn, die damals, 450, die Gesetzestafeln aufschrieben.

Ein Fabier also war jetzt Diktator.

Er legte dem Senat und der Generalität seine Ideen dar. Sie sind das Klarste, was in einem römischen Kopf gedacht wurde, das Klarste und das Scharfsinnigste. Quintus Maximus war der einzige, der Hannibal geistig gewachsen war; der die Gedankengänge des Karthagers mutmaßen und ihnen folgen konnte; der einzige, der das scheinbar Unverständliche verstand und die Gefahr, die verborgene viel größere Gefahr, erkannte. Er sagte den Römern, daß die Stadt ruhig sein könne, Hannibal werde nicht kommen. Er erklärte ihnen, daß der Karthager in offener Feldschlacht nicht zu besiegen sei, es dürfe keine Schlacht mehr geben. Er sähe nur eine Aufgabe: hinter Hannibal herzuziehen und alle Städte, alle Orte, die er erobert oder — und das sei die schreckliche Gefahr — zum Abfall von Rom gebracht habe, wieder zu nehmen. Ruhe, Festigkeit müsse von den Wiedereroberern ausgehen. Die italischen Völker müßten wissen, wohin sie gehörten. Zu Rom. Zu der großen, immer gegenwärtigen, nie schlafenden Wölfin, die hinter dem fremden Eindringling herziehe. Denn Hannibal wolle das Reich zerstören. Furchtbar enttäuscht gingen die Zuhörer heim. »Keine Schlacht«, »nicht zu besiegen«, »Hinterherziehen« — was für Aspekte! Ehe der Hahn einmal krähte, hatte Fabius Maximus seinen Spottnamen weg, Cunctator, Zauderer, und hatten sich die einstigen Parteigänger und Kumpane von Volksfreund Flaminius zusammengefunden. Einige Monate lang ging es noch nach dem Plan des »Zauderers«, dann wurden Befehle nicht mehr ausgeführt, Operationen sabotiert. Der Kommandeur der Reiterei, Marcus Minucius, rebellierte offen. In einem modernen wissenschaftlichen Geschichtswerk heißt es: »Er war von der politischen Farbe des Flaminius. Zwischen beiden (Minucius und Fabius) kam es zu Zerwürfnissen, sodaß der einheitliche Oberbefehl des Diktators gesprengt wurde. Damit hatte also die innenpolitische Auseinandersetzung bereits auf das Verfassungsrecht übergegriffen.«

Entschuldigen Sie, — wie war das? »Farbe«? Eines untergebenen Offiziers im Kriege? »Zerwürfnisse«? »Gesprengt?« Gesprengt, nicht verraten? Auf Verfassungsrecht »übergegriffen«? Nennt man das so, wenn es von der »Farbe« des Flaminius ist?

Nein, meine Freunde. Das ist in aller Welt Rebellion. Das ist nach dem Kriegsrecht aller Völker der Erde reif für die Kugel. Und wer in einer Demokratie dem rechtmäßig vom ganzen freien Volk Gewählten sein Recht verweigert, bricht die Verfassung. Wer ihn verrät, begeht Hochverrat.

Erstaunlicherweise hat Fabius seinen Reitergeneral nicht köpfen lassen. Flaminius umgekehrt hätte es getan.

Fabius Maximus tat etwas anderes: Er nahm seinen Hut und ging.

Er war zweimal sechs Monate Diktator gewesen; Diktator bedeutet nach dem tiefen Mythos dieses fast heiligen Amtes »Imperator«. Perfide, eidbrüchige Militärs und skrupellose, eidbrüchige Parteipolitiker haben den Mythos geschändet. Unter Händereiben und ungestraft. Niemand wird es verwundern, daß Quintus Fabius Maximus Cunctator der letzte frei gewählte Diktator der römischen Geschichte blieb. Der Mythos und der Glaube waren tödlich getroffen.

Das geschah 216. Merken Sie sich dieses Jahr, in dem die Virtus starb.

Wie tief Rom angesichts der verzweifelten Lage gesunken und wie irre — im medizinischen Sinne — die Plebs geworden war, beweist, daß einige Tribus den Marcus Minucius als »Gegendiktator« aufstellten. Die Plebs begann, der Plebs zu werden. Die Menge kannte nur noch zwei Extreme, zittern oder johlen. Man war immer abergläubisch gewesen, jetzt griff man auf den wildesten Aberglauben zurück, holte fremde Götter herbei, errichtete der asiatischen »Großen Mutter« mit ihrem obszönen, den Römern so fernliegenden Kult einen Tempel, und, was Sie in den Geschichtsbüchern kaum finden werden: Man wollte Blut, man rief nach Menschenopfern und schlachtete Gefangene vor den Altären ab.

Wo war das Rom des Cincinnatus geblieben, das Rom des Camillus, des Horatius?

Keiner war glücklicher über den Abgang des Fabius Maximus als Hannibal. Das schönste Geschenk, das ihm die Römer machen konnten — er hatte es nicht zu hoffen gewagt. Es lief nicht alles so, wie es anfangs ausgesehen hatte: Wohin er kam, gewann er Freunde. Sobald er ging, hatte er sie wieder verloren. Das größte Rätsel gaben ihm die Samniten auf: er war nicht imstande, ihren Flaß gegen Rom wieder zu wecken.

Aber nun kamen vorzügliche Nachrichten. Rom hatte zwei neue Konsuln gewählt, einen Patrizier, dessen Namen sich zu merken überflüssig ist, und einen Plebejer, Terentius Varro, überzeugten Anhänger von Flaminius, aus ähnlichem Holz geschnitzt, einen dynamischen Mann.

Rom setzte die Rüstungen, die schon Fabius Maximus in Eile begonnen hatte, fiebrig fort. Man legte alle Scheu ab und preßte in Rom und bei den Verbündeten weit über hunderttausend Mann heraus. Man machte auch vor der Regierung, dem Senat, nicht halt. Er hatte damals dreihundert Mitglieder, alle wehrfähigen wurden eingezogen.

Man drückte den beiden Konsuln fünfundachtzigtau-send Mann in die Hand, ein riesiges Aufgebot, und schickte sie gemeinsam in Richtung Apulien, wo Han-nibal gerade lagerte. Genau gesagt: am Aufidus, der ein nettes, erfrischendes Flüßchen ist.

Die Nachricht erfreute den Karthager auf das höchste.

Der Patrizier, jener, dessen Namen wir uns nicht merken wollten, war leider von fabischen Ideen angekränkelt und entschlossen, an den Tagen, an denen er turnusmäßig das Oberkommando hatte, kein Risiko einzugehen. Ganz anders Varro. Auch er war entschlossen, kein Risiko auf sich zu nehmen, und er kehrte auch tatsächlich unversehrt nach Rom heim, während sein Kollege zusammen mit achtzig Senatoren fiel. Aber den Volkswillen, der auch sein eigener war, wollte er vollstrecken. Er war gewillt, die entscheidende, befreiende Schlacht zu schlagen, eine Schlacht, die in die Geschichte eingehen sollte.

Es wurde die Schlacht von Cannae am 2. August 216.

Sie ging in die Geschichte als Muster ein. Genau 2130 Jahre später, im August 1914, hat Hindenburg sie bei Tannenberg Punkt für Punkt wiederholt. Fünfundachtzigtausend Römer standen vierzigtausend Karthagern gegenüber. Hannibal wandte die alte griechische Taktik an, sein Zentrum eindrücken zu lassen und die nachströmende Masse des Feindes mit starken Flanken zu umklammern. Varro hatte an so vieles gedacht, daran leider nicht.

Cannae wurde die schwerste Niederlage, die Rom in seiner Geschichte je erlitt. Fünfzigtausend blieben auf dem Schlachtfeld, ein Berg von Toten, wie ihn nie vorher jemand gesehen hatte. Zwanzigtausend wurden gefangen. Das Volk von Rom hatte seine gewünschte Schlacht erhalten. Wer war schuld?

Niemand. Denn wer ist das: »Das Volk«?

Der römische Senat empfing seinen Ministerpräsidenten, Volksfreund Varro so, wie er nicht anders konnte, nämlich formell und mit gesetzten Worten. Fast mußte er den Mann in seinem Unglück trösten. Mit »Unglück« meine ich nicht die Niederlage und die fünfzigtausend Toten, sondern sein — wie ein Professor an einer westdeutschen Universität gegenwärtig lehrt — »Mißgeschick, die Niederlage zu überleben, während sein patrizischer Kollege gefallen war«. Der andere Kerl hat wieder mal Glück gehabt; dem Varro dagegen ist und ist und ist es nicht gelungen, zu fallen. Aber er trug es mannhaft, denn — so fährt der Professor fort — »Varro ergriff gleich die nötigen Maßnahmen und fand auch in der folgenden Zeit Verwendung«.

Diese Farbenlehre, meine Freunde, gebe ich Ihnen für heute nacht zum Nachdenken.

*

Der Winter verlief ruhig.

Es kam das Jahr 215 und ein neuer Konsul: Quintus Fabius Maximus Cunctator. Er kehrte an die Spitze des Staates zurück und setzte ohne Debatte seine Strategie da fort, wo man sie verlassen hatte. Die Generäle, die er berief, Männer wie Claudius Marcellus, Claudius Nero, Fulvius Flaccus wurden in den kommenden Jahren diejenigen, die das Vertrauen zu Rom und die Waffenehre wiederherstellten und ohne Murren die undankbare Aufgabe auf sich nahmen, den ungeschlagenen Feind wie einen Kokon ruhmlos einzuspinnen. Der Cunctator griff zu den letzten Menschenreserven, er rief, was niemand zu denken gewagt hätte, achttausend Sklaven aus den Häusern zu den Feldzeichen, er begnadigte Sträflinge und schickte sie an die Front. Größer noch als die Sorge, ein neues Verfolgungsheer zusammenzubekommen, war seine Sorge, die Flotte zu vermehren und zu bemannen. Denn von nun an sollte kein karthagisches Waffen- oder Versorgungsschiff mehr Hannibal erreichen. Und es erreichte ihn nach 215 auch kein einziges mehr in zehn langen Jahren!

Natürlich sind das Dinge, die nicht grandios wirken. Extra-Blätter ergeben sie nicht. Doch Rom konnte den Schimmer einer Morgenröte sehen.

Hannibal erntete zunächst die Früchte seines neuen Sieges. Nach Cannae fielen ihm sofort die größten Städte des Südens zu: Capua, Tarent, Syrakus. Sogar Griechenland wachte auf und gedachte, nun an der Börse mitzuspielen. Der König von Macedonien spekulierte und verbündete sich mit den Karthagern. Eine Lawine versprach ins Rollen zu kommen; so hatte Hannibal es vorausgesehen.

Aber es waren — und das sah er zu spät — »Potemkinsche Dörfer«. Aus Capua, aus Tarent kam kein Heer, aus Macédonien keine Flotte. Der Opportunismus und nicht die Begeisterung schlich hinter dem Sieger her. Das Land zwischen den Fronten war hilflos und — inzwischen — auch verarmt. Man wollte überdauern. Es fragte sich nur noch, mit wem.

Hätte Hannibal den Zweiflern ein einziges Zeichen von Skrupellosigkeit und Gemeinheit gegeben, so hätten sie sofort gewußt, an wen sie sich zu halten hatten. Aber Hannibal konnte nicht über seinen Schatten springen; seine Noblesse wurde sein Verhängnis.

Als General machte er den großen Fehler, sein Heer nicht durch brutale Aushebungen zu verdoppeln und Rom selbst anzugreifen. Er hätte einsehen müssen, daß es nicht anders ging, da seine Regierung in Karthago ihn im Stich ließ und Phantomen nachjagte. Ihr Händlergeist begriff ihn nicht. Die Bankiers wollten Sardinien haben und führten auf eigene Faust dort Krieg, sie wollten Sizilien zurückholen und stocherten auch dort unzulänglich herum, sie wollten die Reichtümer Spaniens sichern und stopften ihr restliches Menschenmaterial hinein. Die wenigen Schiffe waren dauernd unterwegs, nur nicht zu Hannibal. In Karthago sah anscheinend niemand ein, daß Sardinien und Sizilien sowieso mit auf der Rechnung gewesen wären, die Hannibal den Römern präsentiert hätte.

Das Blatt wandte sich, man sah es deutlich. Was für ein schrecklich beharrlicher Mensch war dieser Cunctator! Auch als ihn andere, der Verfassung gemäß, im Konsulat ablösten, behielten sie seine Linie bei.

In Spanien kämpfte Hannibals jüngerer Bruder Hasdrubal gegen ein römisches Invasionsheer wenig glücklich. Endlich konnte er einen großen Schlag landen, gewann eine massierte Schlacht, in der die beiden römischen Befehlshaber, zwei Brüder aus der berühmten Familie der Scipionen, fielen. Die gröbste Gefahr schien Hasdrubal beseitigt, und er machte sich auf eigene Faust auf, seinem Bruder zu helfen. Hannibal zog ihm entgegen. Vergeblich, Hasdrubals Durchbruchsversuch mißlang.

Inzwischen war Capua ungedeckt. Sofort waren die Römer da und schlossen es ein. Hannibal machte, um ihr Heer von der Stadt abzuziehen, eine Scheinbewegung auf Rom zu; die Römer schrien wieder »Hannibal ante portas«, aber die Generäle wußten es besser und ließen sich nicht beirren. Capua wurde genommen. Die Römer hausten wie Mob. Sie metzelten die gesamte Aristokratie nieder und trieben das Volk als Sklaven weg. Hannibal empfing die Nachricht weit weg und ohnmächtig.

Dann fiel Syrakus (wo die Römer Archimedes ermordeten), dann fiel Tarent, dann fiel dies, dann fiel das, alles bröckelte ab. Die Politik Hannibals war gescheitert. Seine Humanität war eine Albernheit gewesen.

Er muß es wohl im letzten Augenblick eingesehen haben, denn als er im Sommer 207 hörte, daß sein Bruder sich doch noch durch Gallien durchgekämpft hatte und mit seinem Heer schon auf dem Wege zu ihm sei, da griff er nach diesem Strohhalm und war entschlossen, mit den beiden Armeen Rom nun selbst anzugreifen.

Hasdrubal zog in Eilmärschen und ungehindert durch Norditalien. Alles schien zu glücken. Mit einem Geheimkurier schickte er dem Bruder den genauen Marschplan und seine Stärke. Der Kurier wurde abgefangen. Die Römer bereiteten in aller Ruhe die Falle vor.

Am Metaurus, in der Nähe des heutigen Senegallia an der Adria, rannte Hasdrubal in den Untergang. Die Römer schnitten dem Toten den Kopf ab, schleppten ihn zweihundert Kilometer mit sich herum bis zum Lager Hannibals und warfen ihn dort den Vorposten zu, Das ist keine spontane Handlung mehr, das ist Böseres. Der Oberbefehlshaber war der Konsul selbst, Marcus Livius Salinator. Der Name Salinator bedeutet Salzhändler.

Als Hannibal das geschändete Haupt seines Bruders sah, soll er so etwas Ähnliches gesagt haben wie: Das ist das Schicksal Karthagos.

Das klingt nicht phönizisch. Das klingt römisch. Und die Römer verwirklichten es auch. Genau so.

*

Und nun wollen wir es kurz machen.

Die Römer stellten sich keiner Schlacht mehr. Sie strichen nur noch wie Wölfe um die karthagischen Lager und schnappten hier und da zu. Sie verbrannten vor und hinter Hannibal die Erde, äscherten die Orte ein und zertrampelten die Ernten.

Das Heer des Karthagers schmolz zusammen. Die erprobten Veteranen waren tot, die Kerntruppe überaltert, die Pferde dezimiert. Wie lange ging dieser Krieg schon? Zehn Jahre? Fünfzehn?

Hannibal zog sich in die Silaberge zurück. Hier, am Ende der Welt, hätte er eigentlich nichts hören und nichts sehen müssen, aber die Römer versorgten ihn bereitwillig selbst mit allen Nachrichten. Da war zum Beispiel die Nachricht, daß Macedonien mit Rom Frieden geschlossen habe; oder die Nachricht, daß die Plänkeleien in Sardinien und Sizilien zu Ende und beide Inseln fest in römischer Hand seien. Dann die Nachricht, daß Hannibals jüngster Bruder Mago, der noch in Spanien gestanden hatte, das ganze Land aufgegeben habe und mit den Resten seines Heeres abgesegelt sei.

Ganz gut, daß er nach Karthago zurückgekehrt ist, dachte Hannibal, wenigstens die Heimat ist in Sicherheit. Leider irrte er sich. Mago glaubte nichts Besseres tun zu können, als die Blockade um Italien zu durchbrechen und sich mit Hannibal zu vereinen.

Die Historiker pflegen zu sagen, daß es Mago nur infolge einer Unachtsamkeit der römischen Flotte gelang, zu landen. Ich glaube, daß die Römer nichts dagegen hatten. Er vermehrte nur den Haufen der Notleidenden.

Sie hatten recht.

Es war Sommer 206. Um diese Zeit kehrte jener junge Mann namens Scipio nach Rom zurück, der nach dem Tode seines Vaters und seines Onkels den Befehl übernommen und Spanien von den Karthagern reingefegt hatte. Mit diesem Mann müssen wir uns einen Augenblick näher befassen.

Er entstammte der hochpatrizischen Gens der Scipionen und hieß Publius Cornelius Scipio. Als Sechzehnjähriger hatte er die Reiterschlacht am Ticinus mitgemacht und dabei seinen Vater, den kommandierenden Konsul, herausgehauen und ihm das Leben gerettet. Seine militärische Befähigung war groß, er war ein kühler Kopf im Dienst, absolut furchtlos, sehr von sich überzeugt, ja geradezu manisch. Nicht wenige Quellen bezeugen, daß er immer wieder behauptete, mit Jupiter persönlich in Verbindung zu stehen. Übrigens scheint er äußerlich nicht sehr imponierend gewirkt zu haben. Sein Gesicht — sofern die Büste in Neapel authentisch ist — ist markant aber unsympathisch; ein kurz geschorener Schädel mit leicht glotzenden Augen, langer Nase, eingefallenem Oberkiefer und schmallippigem, verkniffenem Mund.

Sicher verdankte er es zunächst nicht nur seiner auffallenden Begabung, sondern ebenso der Protektion seiner Adelsgenossen, daß man ihm, der damals erst fünfundzwanzig Jahre alt war und kein konsularisches Amt bekleidete, den Invasionsfeldzug in Spanien anvertraut hatte. Dank seinem Können und seiner Vertrautheit mit Jupiter hatte er die Aufgabe bis ins I-Tüpfelchen erfüllt. Nun kehrte er heim. Das war, wie gesagt, 206.

205 wurde er Konsul. Er war jetzt einunddreißig Jahre alt. Hier schien dem Volk nun nach dem langweiligen Fabius Maximus Cunctator endlich der Mann da zu sein, der mit der ganzen leidigen Geschichte schnell Schluß machen würde. Aber ich sagte schon: im Dienst war er nüchtern. Er hielt sich an die Politik des Cunctators und rührte Hannibal nicht an.

Statt dessen kam er dem Senat mit einem anderen Plan: Er wollte nach Afrika übersetzen und Karthago angreifen. Ach herrjeh, was für ewige neue Ideen! Scipio in Afrika und Hannibal in Italien! Schönes Abenteuer! Die Senatoren seufzten, das Volk schimpfte. Nach endlosen Debatten (nicht »Diskussionen«) siegte Scipio.

Das blieb zunächst sein einziger Sieg. In Afrika konnte er Karthago nicht nehmen und die entscheidende Schlacht nicht schlagen. Immerhin siegte er theoretisch: Nach einem Jahr bat Karthago um Waffenstillstand.

Die Sonne ging über Rom auf! Es war geschafft! Karthago forderte die ungehinderte Rückkehr Hannibals. Sie wurde bewilligt. Nur weg mit dem Mann.

Als sie ihn wiederhatten, schlug die Stimmung in Karthago um. Trotz seiner Warnung zwang Karthago seinen unbesiegten Feldherrn, den Kampf wieder aufzunehmen. Das Heer, das man ihm gab, bestand aus den Resten seiner alten Armeen und zusammengewürfelten Afrikanern, die nicht rechts von links unterscheiden konnten. Die Vernünftigsten waren noch die Elefanten. Bei Zama, hundert Kilometer von Karthago landeinwärts, stellte ihn Scipio und zwang ihn zur Schlacht. Es war das Jahr 202.

Scipio wandte Hannibals Taktik an. Der Karthager merkte es früh genug, er holte zum Gegenschlag aus, aber die Bewegungen seiner ungeschulten Truppen mißrieten, die Befehle kamen nicht durch, die Offiziere verstanden kein Wort. Die letzte Schlacht wurde seine erste Niederlage. Der Krieg war aus.

Ein Jahr später wurde der Friedensvertrag beschworen. Das Diktat war sehr bitter, aber nicht wahnsinnig. Auf beiden Seiten standen harte, aber auch noble Männer, Scipio und Hannibal. Karthago trat sämtliche auswärtigen Besitzungen ab, gab das Hinterland Numidien auf, ließ alle Gefangenen frei, übergab den Römern die so bewunderten Kriegselefanten und die Flotte bis auf zehn Dreiruderer. Es verpflichtete sich, keinen Krieg mehr zu führen und Konflikte mit fremden Mächten Rom entscheiden zu lassen. Die Kriegsentschädigung war diesmal enorm: zehntausend Talente, zahlbar innerhalb von fünfzig Jahren. Als Sicherheit hatte Karthago Geiseln zu stellen. Niemand natürlich erwähnte in diesem Zusammenhang den Namen Hannibal. Ich sage »natürlich«, nein, es war nicht natürlich. Ermessen Sie an meiner Formulierung mein dummes Herz. Karthago wurde eine Provinzstadt, wie sie es vor dreihundert Jahren gewesen war. Aber es konnte leben. An die Spitze des Staates berief man Hannibal. Solange er ihn führte, ging alles gut. Aber die Krämer verrieten ihn zum zweitenmal, und 195 schickten sie ihn fort — in die Verbannung. In der Fremde irrte er wie einst Themistokles von Hof zu Hof. Er starb 183, im gleichen Jahre wie sein glücklicherer Gegner von Zama, Roms Liebling Publius Cornelius Scipio Africanus — auch er in der Verbannung.

Was für ein Moloch ist unser aller Mutter, das Volk.

*

Es wäre schön, wenn die Geschichte Roms hier enden würde. Wie schön, wenn sich für uns beim Anblick der Ruinen des Forum Romanum, der Triumphbögen, der Siegessäulen und Tempel nur die Erinnerung an dieses alte Rom verbinden würde. Wenn die hinter den Hügeln untergehende Sonne mit ihrem milden, bronzenen Corot-Licht dem heutigen Wanderer Gestalten wie Fa-bius Maximus Cunctator und Scipio Africanus vorspiegeln würde. Aber leider: das, was wir erblicken, wenn wir vor dem häßlichen Eisengitter des »Lacus Curtius« stehen und in die Runde schauen, ist nicht jenes alte Rom, es ist ein anderes, mit anderen Menschen. Seine Geschichte ist es, die ich nun berichten muß. Versuchen Sie, es zu lieben, wenn Sie können. Ich kann’s nicht.