14. Kapitel

Hornblower war es gelungen, den Obersten Villena, der nunmehr, da er die erlittene Niederlage zugegeben hatte, sehr mitteilsam geworden war, abzuschütteln, indem er ihm einen Stuhl in der Nähe der Heckreling aufstellen ließ und selbst in die Einsamkeit der Kajüte flüchtete, um sich aufs neue über die Karten zu beugen. An verschiedenen Punkten waren Küstenbatterien eingezeichnet worden. Die meisten davon schienen erst vor gar nicht langer Zeit errichtet worden zu sein, als Spanien noch mit England Krieg führte. Ihr Zweck war der Schutz der Küstenschiffahrt. Daher hatte man solche Punkte gewählt, an denen die schutzsuchenden Fahrzeuge bis dicht unter Land zu segeln vermochten. Niemand hatte daran gedacht, daß in Zukunft einmal Marschkolonnen an exponierten Stellen der Küste von See aus unter Feuer genommen werden konnten.

Gerade aber die Strecke zwischen Malgret und Arens de Mar war allein schon deswegen sehr gefährdet, weil sie nirgends Ankerplätze bot und daher auch keine Landbefestigungen besaß.

Seit Cochrane im vorigen Jahr mit der Imperieuse hier gewesen war, hatte niemand mehr die hier liegenden französischen Truppen behelligt.

Seither aber hatten die Franzosen so viel Sorgen, daß sie keine Zeit fanden, etwaige Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen. Die militärischen Abwehrmaßnahmen waren vernachlässigt worden, zumal es nicht genug schwere Artillerie gab, um die ganze Küste zu sichern. Hornblower suchte einen Punkt, der mindestens anderthalb Meilen von jeder Batterie entfernt und wo das Wasser tief genug war, um auf nahe Schußentfernungen an den Strand heranzukommen. Einmal hatte die Sutherland bereits einer Küstenbatterie ausweichen müssen. Es war die einzige, in die Seekarte an dieser Küstenstrecke eingetragene, und es ließ sich kaum annehmen, daß seit der letzten Vervollständigung der Karte noch weitere Befestigungen angelegt worden waren. Wenn Pinos Kolonne den Ort Malgret in der Frühdämmerung verlassen hatte, mußte die Sutherland bald auf gleicher Höhe mit ihr sein. Hornblower bezeichnete die Stelle, die ihm gefühlsmäßig am besten erschien, und eilte an Deck, um die nötigen Befehle zu erteilen.

Bei seinem Anblick erhob sich Villena hastig aus seinem Liegestuhl und kam sporenklirrend herüber, aber Hornblower tat so, als sei seine ganze Aufmerksamkeit von der Notwendigkeit in Anspruch genommen, seinen I. O. allerlei Anweisungen zu geben.

»Lassen Sie die Geschütze laden und ausrennen, Mr. Bush.«

»Aye, aye, Sir.«

Geradezu flehend sah Bush ihn an. Dieser letzte Befehl, der auf das unmittelbare Bevorstehen einer Kampfhandlung schließen ließ, trieb seine Neugier auf die Spitze. Bisher wußte er lediglich, daß ein spanischer Oberst an Bord gekommen war.

Was Hornblower beabsichtigte, ahnte er nicht. Unausgeführte Pläne behielt der Kommandant allein schon deswegen für sich, um im Falle eines Fehlschlagens nicht das Ausmaß des Mißerfolges erkennen zu lassen. Bush war daher sehr angenehm enttäuscht, als sich Hornblower dazu herbeiließ, ihm Erklärungen zu geben. Niemals erfuhr er jedoch, daß er solche ungewohnte Mitteilsamkeit nur des Kommandanten Wunsch verdankte, der Notwendigkeit einer höflichen Unterhaltung mit Villena enthoben zu sein.

»Es wird erwartet, daß da drüben auf der Uferstraße eine französische Kolonne erscheinen wird«, sagte Hornblower. »Ich will versuchen, sie mit einigen Schüssen unter Feuer zu nehmen.«

»Aye, aye, Sir.«

»Schicken Sie einen guten Lotgasten in die Fockrüst.«

»Aye, aye, Sir.«

Jetzt, da Hornblower gesprächig sein wollte, war es ihm unmöglich. Seit drei Jahren hatte er sich bemüht, auch seinem Ersten Offizier gegenüber kein überflüssiges Wort zu sagen, und Bushs einsilbiges »Aye, aye, Sir« bot ihm wenig Hilfe. Der Gesellschaft des Spaniers entzog er sich dadurch, daß er das Fernglas zum Auge hob und äußerst angespannt die näher kommende Küste beobachtete. Die graugrünen Hügel reichten beinahe bis ans Meer, und die Straße verlief an den unteren Hängen entlang, wobei ihre Höhe zwischen drei und dreißig Metern schwankte.

Nach einiger Zeit gewahrte Hornblower weit vorwärts auf der Straße einen dunklen Punkt. Er senkte das Glas, um das Auge ausruhen zu lassen, und blickte abermals hin. Es war ein entgegenkommender Reiter. Gleich darauf erkannte er dahinter einen sich bewegenden größeren Fleck, der seine Aufmerksamkeit durch ein gelegentliches Aufblitzen erregte.

Eine Abteilung Kavallerie war es; wahrscheinlich zu Pinos Vorhut gehörend. Bald würde die Sutherland querab von ihr stehen. Hornblower schätzte die Entfernung zur Uferstraße. Sie mochte rund achthundert Meter betragen. Für die Geschütze war sie ausreichend, doch hätte sie Hornblower gern noch etwas verringert.

»Gerade neun!« sang der Lotgast aus. Hornblower konnte also, wenn er wendete und der Kolonne Pino folgte, noch ein gutes Stück näher herangehen. Es lohnte sich, das zu wissen.

Während die Sutherland den Franzosen entgegenglitt, suchte sich der Kommandant einzelne Landmarken und die ihnen entsprechenden Wassertiefen einzuprägen. Die Spitzenschwadron war jetzt deutlich zu erkennen. Die Leute hatten blankgezogen und spähten im Weiterreiten nach beiden Seiten der Straße. In einem Feldzug, bei dem jeder Felsblock und jede Hecke einen feindlichen Schützen verbergen konnte, der wenigstens einen einzigen Feind zu töten beabsichtigte, war solche Vorsicht durchaus verständlich.

In einigem Abstand folgte der Schwadron des Vortrupps eine größere Kavalleriemasse, und hinter dieser erschien eine sehr lange Reihe weißer Punkte. Hornblower lächelte. Das, was sich dort wie die Beine eines riesigen Tausendfüßlers bewegte, waren die weißen Hosen der Infanteriekolonne. Infolge des grauen Hintergrundes waren die Waffenröcke noch nicht zu erkennen.

»Neuneinhalb!« sang der Lotgast aus.

Hornblower war befriedigt. Offenbar gab es bis dicht unter Land hinreichende Wassertiefen. Vorläufig aber wollte er auf mittleren Schußweiten bleiben, da das Schiff in solchem Abstand bei weitem nicht so drohend aussah. Hornblower suchte sich zu vergegenwärtigen, welchen Eindruck das Erscheinen der Sutherland auf den Feind machen würde. Lebhaftes Winken der Vorhutkavallerie gab ihm wertvolle Anhaltspunkte. Pino und seine Leute waren bisher noch niemals von See aus beschossen worden, und daher kannten sie auch nicht die vernichtende Wirkung einer Breitseite auf lebende Ziele. Der stattliche Zweidecker und dessen übereinandergetürmte Segel stellten etwas ganz Neues für sie dar. Die militärischen Kräfte ihnen entgegengestellter Feldtruppen hätten sie sofort beurteilen können, aber Kriegsschiffen waren sie noch nie begegnet. Aus Büchern wußte Hornblower, daß die Generale Bonapartes dazu neigten, auf das Leben der ihnen unterstellten Soldaten wenig Rücksicht zu nehmen. Zudem mußten alle Maßnahmen, dem Feuer der Sutherland auszuweichen, schwerwiegende Nachteile mit sich bringen. Man hätte entweder nach Malgret zurückkehren oder durch einen Marsch querfeldein die andere Landstraße erreichen müssen. Hornblower vermutete, daß Pino, der sich wahrscheinlich irgendwo an einem anderen Punkt der Marschkolonne befand und die Bewegungen des britischen Linienschiffs durchs Glas beobachtete, zu dem Entschluß gelangen werde, den Marsch fortzusetzen, wobei er wohl hoffte, keine nennenswerten Verluste zu erleiden. Nun, Pino sollte sein blaues Wunder erleben! Die Kavallerie des Gros befand sich querab der Sutherland. Im flammenden Sonnenlicht glänzten und funkelten die Uniformen des zweiten Regiments.

»Das sind die Kürassiere!« rief Villena, der sich zu Hornblower gesellt hatte und lebhaft gestikulierte. »Warum schießen Sie nicht, Herr Kapitän?«

Hornblower wurde sich dessen plötzlich bewußt, daß der Oberst schon minutenlang eine Flut spanischer Worte hervorsprudelte, ohne daß er bisher darauf geachtet hatte. Er dachte nicht daran, die Wirkung der Überraschung auf Kavallerie zu verschwenden, die sich im Galopp in Sicherheit bringen konnte. Nein, die erste Breitseite mußte der marschierenden Infanterie gelten. »Lassen Sie die Leute an die Geschütze treten, Mr. Bush«, befahl er, worauf er dem Rudergänger eine kurze Anweisung erteilte. »Ein Strich Steuerbord!« Die Anwesenheit Villenas hatte er sofort wieder vergessen.

»Acht Faden... und einhalb«, meldete der Lotgast.

Die Sutherland näherte sich in spitzem Winkel dem Ufer.

»Mr. Gerard! Lassen Sie Richtung auf die Heerstraße nehmen.

Feuereröffnung auf mein Zeichen!«

Der Kavallerie folgte eine reitende Batterie. Die leichten Sechspfünder verrieten durch ihre heftigen Bewegungen, in welch schlechtem Zustand sich die Straße befand, die eine der wichtigsten Überlandverbindungen Spaniens darstellte. Auch die Artilleristen winkten vergnügt zur Sutherland herüber.

»Gerade sechs!« ertönte wieder die Stimme des Lotgasten.

Hornblower wagte nicht, noch dichter an das Ziel heranzugehen.

»Ein Strich Steuerbord... Recht so!«

Das Schiff kroch weiter. Lautlos standen die Bedienungsmannschaften an den Geschützen. Nur das leise Summen des die Takelage durchstreichenden Windes und das Klatschen der schwachen Wellen unterbrachen die Stille. Nun befand man sich in gleicher Höhe mit einer größeren Infanteriekolonne. Ein Staubschleier lag über den mit weißen Hosen und blauen Waffenröcken bekleideten Soldaten.

Oberhalb der blauen Uniform erschien die Linie heller Gesichter, die ausnahmslos dem hübschen, über das wie Emaille glänzende Wasser gleitenden Segelschiff zugekehrt waren. In einem Feldzug, der fast täglich anstrengende Märsche mit sich brachte, begrüßten die Leute diese Begegnung als willkommene Abwechslung. Gerard brauchte keine Änderung der Erhöhung zu befehlen, denn an dieser Stelle verlief die Straße mehrere hundert Meter weit fünfzehn Meter oberhalb der Strandlinie.

Hornblower führte die silberne Batteriepfeife an die Lippen. Der Erste Artillerieoffizier hatte die Bewegung bereits erkannt. Fast im gleichen Augenblick brüllte die gesamte Breitseite auf. Unter dem Rückstoß der Geschütze legte sich die Sutherland leicht nach Feuerlee über. Weißlicher, ätzender Pulverrauch quoll empor. »Donnerwetter!« rief Bush.

Die einundvierzig Geschosse der Batteriegeschütze und der Karronaden hatten ein fünfzig Meter langes Stück der Marschkolonne ausgestanzt. Ganze Glieder waren weggefegt worden. Stumpf und betäubt standen die Überlebenden da.

Polternd dröhnten die Lafetten der wieder ausgerannten Kanonen gegen die Bordwand, und dann erbebte das Schiff unter der zweiten Breitseite. Diesmal gab es unmittelbar hinter der bisherigen eine zweite Bresche. »Bravo, Kerls!« schrie Gerard.

Die ganze Kolonne war urplötzlich zum Stehen gekommen, um in törichter Weise das Einschlagen der dritten Salve abzuwarten. Der Pulverqualm war inzwischen zum Lande hinübergeweht worden und zog sich in dünnen Schwaden über das Felsgestein. »Neun und dreiviertel...«, sang der Lotgast aus.

Da die Wassertiefe zunahm, konnte Hornblower den Abstand zum Ziel verringern. Als die noch nicht beschossenen Teile der Marschkolonne das furchtbare, Tod und Verderben speiende Kriegsschiff unerbittlich näher kommen sahen, brach eine Panik aus, die zu einer kopflosen Flucht führte.

»Kartätschen, Mr. Gerard!« brüllte Hornblower. »Ein Strich Steuerbord!«

Das Ende der Kolonne stand noch. Auf sie traf der Strom der Flüchtlinge. Stetig näherte sich die Sutherland dem Menschenknäuel, und sobald die Richtkanoniere ihr Ziel gefunden hatten, wurde die Straße von dem Kartätschenhagel wie von einem Besen reingefegt.

»Gottverdammich!« tobte Bush. »Das wird ihnen 'ne Lehre sein!«

Villena tanzte mit fliegendem Dolman und klirrenden Sporen wie ein Irrsinniger an Deck umher. Vor Begeisterung schnalzte er mit den Fingern.

»Gerade sieben!« meldete der Lotgast. Aber Hornblowers Blick war bereits auf den kleinen, hart vorausliegenden Vorsprung gefallen. Offenbar handelte es sich um ein Stück harten Felsens, das sich höchstwahrscheinlich auch unter Wasser fortsetzte und eine Falle darstellte, auf der die Sutherland wenige Kabellängen vom Strande entfernt aufzulaufen drohte. Er rief seinem Ersten Offizier einen kurzen Befehl zu, und gleich darauf wendete das Schiff, um auf See hinauszusteuern. Zurückblickend konnte Hornblower den Teil der Straße, der unter Feuer genommen worden war, vollkommen übersehen. Massen von Toten und Verwundeten lagen umher.

Einige Männer bewegten sich zwischen ihnen, aber die Mehrzahl der Überlebenden hatte sich landeinwärts geflüchtet.

Überall gewahrte man an den steilen Hängen ihre weißen Hosen, die sich hell von dem grauen Hintergrund abhoben.

Hornblower blickte durchs Fernglas. Jenseits der Huk würde genauso wie diesseits davon tiefes Wasser sein.

»Wir wollen wieder über Stag gehen, Mr. Bush«, sagte er.

Beim Anblick des sich abermals nähernden Schiffes ergriff die noch auf der Straße stehende Infanterie die Flucht, aber die Artillerie vermochte ihr nicht hangaufwärts zu folgen.

Hornblower sah einen Offizier mit wehender Feder an der noch aufgesessenen Feldbatterie entlanggaloppieren, wobei er heftig gestikulierend den Leuten etwas zuzurufen schien. Die Fahrer schwenkten zum Abprotzen nach rückwärts herum, während die Bedienungsmannschaften absprangen, abprotzten und die Batterie feuerbereit zu machen suchten. Konnten ein paar leichte Neunpfünder etwas gegen die Breitseite der Sutherland ausrichten?

»Bekämpfen Sie die Batterie, Mr. Gerard!« schrie Hornblower.

Der Artillerieoffizier schwenkte zum Zeichen, daß er verstanden hatte, den Hut. Langsam und gewichtig kam das Linienschiff herum. Ein Geschütz feuerte zu früh. Zufrieden stellte Hornblower fest, daß sich Gerard eine entsprechende Notiz machte, um die Bedienung später zur Rechenschaft ziehen zu können, und dann krachte die Salve, während die italienischen Kanoniere noch immer damit beschäftigt waren, mittels der Ansetzer ihre Geschütze zu laden. Zunächst war wegen des aufquellenden Pulverqualms von der Kampanje aus nichts zu sehen. Die Rauchwand zerging erst, als bereits einige gut bediente Geschütze wieder ausgerannt wurden. Hornblower richtete den Blick auf die feindliche Batterie. Eins der Feldgeschütze hatte ein Rad eingebüßt und neigte sich wie betrunken zur Seite. Ein durch einen Volltreffer von der Lafette gerissenes Rohr richtete die Mündung zum Himmel. Gefallene lagen umher, und der Rest der Bedienungsmannschaften schien unsicher geworden zu sein. Der berittene Offizier hatte sich gerade aus dem Sattel geschwungen und sein Pferd laufen lassen, während er selbst zum nächsten Geschütz sprang.

Hornblower sah, wie er die Leute zusammenrief.

Augenscheinlich war er entschlossen, dem donnernden Ungeheuer wenigstens mit einem einzigen Schuß zu trotzen.

»Salve!« brüllte Gerard, und wiederum legte sich die Sutherland etwas nach Feuerlee über, als die Breitseite krachte.

Als sich der Rauch verzog, hatte die Sutherland die Feldbatterie bereits passiert. Sie war gänzlich zusammengeschossen worden und schien von den wenigen Überlebenden geräumt worden zu sein. Die Sutherland näherte sich einer zweiten Infanteriekolonne, die jedoch ihr Herankommen nicht abwartete, sondern von Entsetzen gepackt auseinanderspritzte. Hornblower wußte, daß es, militärisch gesehen, fast einen gleichen Erfolg haben konnte, eine Truppe in solcher Weise zu zersprengen, wie ihr große blutige Verluste zuzufügen. Gefühlsmäßig würde er lieber darauf verzichtet haben, die armen Kerle totzuschießen, obwohl seine eigenen Leute sich gefreut haben würden, dem Gegner nach Möglichkeit Abbruch zu tun.

Unmittelbar oberhalb der Straße hielt auf halbem Hange eine Gruppe von Reitern. Durchs Glas erkannte Hornblower, daß sie ausgezeichnet beritten waren und verschiedene, reich mit Gold und Federbüschen verzierte Uniformen trugen. Hornblower nahm an, daß es sich um einen höheren Stab handelte. In Abwesenheit geschlossener Truppenverbände mochte er als Ziel dienen. Mit der Hand deutend, lenkte er Gerards Aufmerksamkeit darauf. Gleich darauf eilten die beiden als Zielanweiser eingeteilten Seekadetten ins Batteriedeck hinunter.

Gerard selbst übernahm es, das ihm zunächst stehende Geschütz einzurichten, während die Geschützführer, denen er seine Anweisungen durchs Megaphon zuschrie, die Aufsätze stellten.

Dann sprang Gerard, an der Abzugsschnur ruckend, beiseite, und dem Einzelschuß folgte unmittelbar die ganze Breitseite.

Der Kugelsturm erreichte den Stab. Roß und Reiter wirbelten durcheinander; kaum daß ein einzelner im Sattel blieb. Die Wirkung der Salve ließ Hornblower annehmen, daß sich nur eine dünne Humusdecke oberhalb des gewachsenen Felsens befand und daß unzählige Steinsplitter hochgerissen worden waren. Ob sich wohl der General Pino unter den Getroffenen befand? Zu seinem Befremden ertappte sich Hornblower bei dem Wunsch, dem feindlichen Führer möchten beide Beine zerschmettert worden sein. Noch heute früh war ihm nicht einmal Pinos Name bekannt gewesen. Er ärgerte sich, daß er gegen einen Mitmenschen solchen blinden Haß nur deswegen verspüren konnte, weil er sein Gegner war.

Weiter drunten auf der Uferstraße hatte irgendein Offizier seine Leute zusammengehalten und sie am Wegrand aufgestellt.

Das der Aufrechterhaltung der Disziplin geltende Verhalten war in diesem Fall wenig zweckmäßig. Hornblower wartete, bis sich die Sutherland entsprechend genähert hatte, dann riß eine neue Breitseite auch diese Truppe in Fetzen. Noch während ihn der Qualm umhüllte, ließ ihn ein harter, die Reling erschütternder Schlag niederblicken. Eine Gewehrkugel steckte dort. Jemand hatte ungeachtet der großen Entfernung von zweihundert Metern oder mehr das Schiff getroffen. Allerdings mußte die Kugel fast völlig ihre Kraft eingebüßt haben, als sie einschlug, denn sie war nur bis zur Hälfte, und ohne plattgedrückt worden zu sein, ins Holz eingedrungen. Hornblower entfernte sie mit Hilfe seines Taschentuchs, da sie noch etwas zu heiß war, um mit bloßen Fingern angefaßt zu werden. Während er sie spielerisch von einer Hand in die andere warf, fiel ihm ein, daß er als Junge ähnlich mit heißen Kastanien jongliert hatte.

Der abziehende Pulverrauch enthüllte ein neues Bild der Verwüstung. Die Gefallenen lagen teilweise übereinander.

Hornblower glaubte sogar, das Schreien der Verwundeten zu hören. Im Grunde genommen war er froh darüber, daß die Truppen zersprengt worden waren und kein lohnendes Ziel mehr boten, denn die Metzelei ekelte ihn, obwohl Bush noch immer in heller Erregung fluchte und Villena auf dem Achterdeck Luftsprünge vollführte. Sicherlich mußte man bald das Ende der Marschkolonne erreichen, denn alles in allem konnte sie nicht mehr als acht oder neun Meilen lang sein. Noch während Hornblower den Gedanken erwog, sah er, daß ein Stück der Straße von haltenden Wagen bedeckt war. Es handelte sich offenbar um den Troß. Jene gedrungen gebauten, mit je vier Pferden bespannten Fahrzeuge dort waren zweifellos Munitionswagen. Dann folgte eine lange Reihe von Karren, deren Gespanne aus einem halben Dutzend geduldiger, schwärzlichbrauner Ochsen zusammengestellt worden waren.

Schaffelle hingen über den Stirnen der Tiere. Neben den Karren standen Hunderte von bepackten Maultieren, die ihrer Last wegen seltsam unförmig aussahen. Weit und breit ließ sie niemand blicken, wenn man von den Punkten absah, die auf den Berghängen herumkrabbelten. Es waren die Kutscher und Fahrer, die sich in Sicherheit zu bringen suchten.

Der »Bericht über den gegenwärtigen Feldzug auf der Pyrenäenhalbinsel«, den Hornblower so sorgfältig studiert hatte, legte großes Gewicht auf die sich in Spanien darbietenden Transportschwierigkeiten. Ein Pferd oder ein Maultier waren ebenso wertvoll - wenn zuweilen nicht wertvoller - als jeder Soldat. Hart wurde das Gesicht des britischen Kommandanten.

»Mr. Gerard! Mit Kartätschen laden! Die Troßbespannungen sind zu vernichten!«

Bei den Geschützen wurden bedauernde Rufe laut. Das sah diesen sentimentalen Burschen mal wieder ähnlich, daß sie, die unbekümmert andere Menschen kurz und klein schossen, weich wurden, wenn es sich um Tiere handelte. Die Hälfte der Richtkanoniere würde absichtlich vorbeischießen, wenn sich die Gelegenheit dazu bot.

»Schießübung. Einzelfeuer!« rief Hornblower seinem Ersten Artillerieoffizier zu.

Unähnlich ihren Herren würden sich die geduldigen Tiere totschießen lassen, und die Kanoniere wurden daran gehindert, Munition zu vergeuden. Indessen die Sutherland langsam an der Küste entlangglitt, krachten die Geschütze lagenweise von einem Flügel aus, und jeder Schuß schleuderte eine Kartätschenladung auf die Straße. Hornblower sah, wie die Pferde und Maultiere um sich schlagend zusammenbrachen.

Einigen der vor Angst toll gewordenen Mulis gelang es, die Hänge zu erklettern, wobei sie ihre Lasten nach allen Richtungen verstreuten. Sechs Ochsen, die zusammen ein Karrengespann bildeten, wurden von einer einzigen Kartätsche erschossen. Von den Jochen zusammengehalten, lagen sie paarweise auf den Knien. Die Köpfe hatten sie vorgeschoben wie zum Gebet. Abermals lief ein Murmeln des Mitleids über das Oberdeck.

»Ruhe!« brüllte Gerald, der die militärische Wichtigkeit des Verfahrens erkannte.

Bush zupfte den Kommandanten am Ärmel, womit er ein ungeheures Wagnis beging.

»Verzeihung, Sir. Wenn ich mit einem Boot hinüberfahre, könnte ich die ganzen Fahrzeuge verbrennen.«

Aber Hornblower schüttelte den Kopf. Nur Bush konnte einen solchen Plan aushecken. Wenn auch der Gegner vor einem Linienschiff floh, dessen Artillerie er nicht bekämpfen konnte, so würde er doch voller Wut über eine Landungsabteilung herfallen, zumal ihn die erlittenen Verluste mit rasender Erbitterung erfüllt haben mußten. Die Worte, mit denen Hornblower seine Ablehnung zu mildem beabsichtigte, gingen im Krachen der in nächster Nähe stehenden Karronade unter, und als er abermals zum Sprechen ansetzte, gab es eine neue Ablenkung.

Auf dem Wagen, der als nächstes Ziel an die Reihe kommen sollte, erhob sich jemand und winkte leidenschaftlich mit einem weißen Taschentuch. Hornblower sah durchs Glas. Der Mann trug eine mit roten Epauletten versehene Uniform und schien Offizier zu sein. Wenn er die Absicht hegte, sich zu ergeben, so mußte er sich doch sagen, daß dies unter den obwaltenden Umständen sinnlos war, weil ihn niemand gefangennehmen konnte. Plötzlich schien der Offizier das auch zu begreifen. Er bückte sich und richtete immer noch winkend einen Menschen auf, der bisher zu seinen Füßen gelegen hatte und nun kraftlos in seinem Arm hing. Der Kopf des Mannes war mit einem Verband umwickelt, und auch die Schulter schien bandagiert zu sein. Mit einemmal wurde es Hornblower klar, daß er die Krankenwagen des Feindes vor sich hatte, in denen die Verwundeten des gestrigen Gefechts lagen. Demnach war der mit dem Taschentuch winkende Offizier ein Arzt.

»Feuer einstellen!« schrie Hornblower. Seine Batteriepfeife schrillte. Es war zu spät, den nächsten Schuß zu verhindern, aber zum Glück war er schlecht gerichtet worden, so daß er nur unterhalb der Straße eine Staubwolke aufwirbelte. Natürlich war es nicht folgerichtig, Gespanne, die für die Franzosen von unschätzbarem Wert sein konnten, nur deswegen zu schonen, weil man die Verwundeten nicht treffen wollte, die nach ihrer Wiederherstellung abermals zu den Waffen greifen würden. Es entsprach das aber der internationalen Übereinkunft, die ihre Sinnlosigkeit aus der Sinnlosigkeit des Begriffes Krieg selbst empfing.

Hinter dem Troß befand sich noch eine Nachhut, doch war sie derart zersprengt worden, daß sie keinen Schuß Pulver lohnte.

Es war daher an der Zeit umzukehren, um nochmals das Gros anzugreifen.

»Lassen Sie das Schiff auf Gegenkurs bringen, Mr. Bush!« befahl Hornblower.

Die Aufgabe erwies sich als nicht sehr leicht, denn um nochmals parallel zur Küste zu steuern, mußte die Sutherland so dicht wie irgend möglich an den Wind gebracht werden. Den kleinen felsigen Vorsprüngen ließ sich nur dadurch ausweichen, daß man jedesmal über Stag ging, und falls man nicht haarscharf aufpaßte, konnte das Schiff durch die ihm eigene starke Abtrift in Gefahr geraten, zu scheitern. Andrerseits galt es alle erdenklichen Anstrengungen zu machen, den italienischfranzösischen Truppen Abbruch zu tun und ihrer Führung vor Augen zu führen, daß sie niemals wieder die Uferstraße benutzen konnten. Bush war entzückt - Hornblower merkte es an den blitzenden Augen seines Ersten Offiziers - über die zähe Energie seines Kommandanten, der nach dem ersten Anlauf nicht friedlich davonsegelte. Die Bedienungsmannschaften der Steuerbordseite rieben sich die Hände, weil nunmehr auch ihre Geschütze zum Tragen kommen sollten.

Es kostete Zeit, die Sutherland wenden zu lassen und sie in eine Stellung zu manövrieren, aus der sie die Heerstraße beschießen konnte. Mit Genugtuung stellte Hornblower fest, daß die feindlichen Bataillone beim Nahen des übermächtigen Gegners abermals auseinanderliefen und die Hänge hinaufstürmten. Dicht beim Winde liegend, lief das Schiff aber höchstens drei Seemeilen, wobei der nicht ganz glatte Verlauf der Küstenlinie zu berücksichtigen war. Die Truppen aber konnten, falls sie die größtmögliche Marschgeschwindigkeit innehielten, den vorhandenen Abstand wahren, und vermutlich würden das die führenden Offiziere bald erkennen. Wollte Hornblower noch einigen Schaden anrichten, so mußte er sich beeilen.

»Mr. Gerard!« rief er. Seinem Wink gehorchend, kam der Artillerieoffizier herbeigelaufen und wartete mit aufwärts gewandtem Gesicht darauf, was der auf der Kampanje stehende Kommandant zu sagen hatte. »Sie können mit Einzelschüssen jedes lohnende Ziel unter Feuer nehmen. Sorgen Sie dafür, daß sorgfältig Richtung genommen wird.«

»Aye, aye, Sir.«

An einem der gegenüberliegenden Hänge hatten sich ungefähr hundert Mann gesammelt. Gerard selbst schätzte die Entfernung und richtete das Geschütz, wobei er in die Kniebeuge gehen und der großen Rohrerhöhung wegen die Hilfsvisiereinrichtung benutzen mußte. Die Kugel traf eine Felsplatte, prallte ab und erreichte die Gruppe, die sofort auseinanderstob. Ein paar uniformierte Gestalten blieben regungslos liegen. Die Mannschaft der Sutherland stieß ein Jubelgeschrei aus. Gerard hatte den Feuerwerker Marsh rufen lassen, um ihn an diesem Punktschießen teilnehmen zu lassen. Das von ihm gerichtete Geschütz traf eine andere Gruppe, in deren Mitte irgend etwas auf einer Stange blitzte. Durchs Fernrohr blickend, strengte Hornblower sein Auge an und kam zu der Überzeugung, daß es sich um einen jener kaiserlichen Adler handelte, die so oft in den Bulletins Bonapartes Erwähnung fanden und über die sich die englischen Karikaturisten so gern lustig machten.

Schuß auf Schuß krachte aus den Stückpforten der Sutherland, die langsam an der Küste entlangglitt. Zuweilen riefen die Leute Hurra, wenn eine Kugel die an den Hängen wie Käfer herumkrabbelnden Gestalten niederwarf; bei erfolglosen Schüssen aber herrschte eisiges Schweigen. Das einseitige Gefecht war für die Kanoniere sehr lehrreich. Sie ersahen daraus, wie wichtig es war, die Geschütze unter richtiger Schätzung der Entfernung und der seitlichen Abweichung genau richten zu können, zumal an Bord eines Linienschiffes im allgemeinen die Regel galt, daß es zum mindesten bei näheren Kampfentfernungen in erster Linie auf die Feuergeschwindigkeit und weniger auf das gewissenhafte Richten ankam.

Nun das Ohr nicht mehr durch den Donner der Breitseiten betäubt wurde, war auch nach jedem Schuß das von den Bergen zurückgeworfene Echo zu hören. Das Wetter war furchtbar heiß.

Hornblower sah, wie die Leute gierig aus den aufgestellten Wasserfässern tranken, sobald es ihnen von den Unteroffizieren der Reihe nach erlaubt wurde. Ob jene armen Teufel, die im glühenden Sonnenbrand über die felsigen Halden kletterten, ebenfalls unter Durst litten? Hornblower empfand so etwas wie Mitleid mit ihnen. Er selbst spürte kein Verlangen, sich zu erfrischen, denn alle seine Gedanken galten der Schiffsführung, den vom Lotgasten ausgesungenen Wassertiefen und der Wirkung des Artilleriefeuers.

Wer immer der Führer der weiter vorwärts und neben der Straße zusammengeschossenen Feldbatterie sein mochte, der Mann kannte seine Pflicht. Der in den Vortopp geenterte Fähnrich Savage lenkte durch einen Zuruf Hornblowers Aufmerksamkeit dorthin. Die drei noch kampffähigen Geschütze waren quer über die Straße hinweg auf das Linienschiff gerichtet worden und feuerten in dem gleichen Augenblick, da Hornblower das Glas auf sie richtete. Eine der Kugeln schwirrte hoch über seinen Kopf hinweg. Ein rundes Loch erschien im Großmarssegel. Ein von vorn herübertönendes Krachen verriet, daß ein zweites Geschoß in das Vorschiff eingeschlagen war. Es mußten noch zehn Minuten vergehen, ehe die Batteriegeschütze der Sutherland das Ziel unter Feuer nehmen konnten.

»Mr. Marsh«, rief Hornblower, »bekämpfen Sie jene Batterie mit den Steuerbord-Jagdgeschützen.«

»Aye, aye, Sir.«

»Fahren Sie mit der Schießausbildung fort, Mr. Gerard.«

»Aye, aye, Sir.«

Von unschätzbarem Wert für die Erreichung des Ziels, die Leute zu erstklassigen Soldaten zu machen, mußte die Durchführung eines Schulschießens sein, bei dem die Leute selbst beschossen wurden. Niemand wußte das besser als Hornblower zu beurteilen. Er ertappte sich bei dem Gedanken, daß ein paar Verluste unter diesen Umständen ganz lehrreich sein könnten, aber dann erschrak er vor solchen Abirrungen. Es fiel im Kriege so unheimlich leicht, die sachlichen von den menschlichen Erwägungen zu trennen. Für seine Bedienungsmannschaften waren jene kleinen uniformierten Gestalten dort drüben an den Hängen keine unter Hitze, Durst und Ermüdung leidenden Mitmenschen; ebensowenig wie sie solche in den regungslosen, auf der Straße herumliegenden menschlichen Körpern erblickten. Sie hätten schließlich auch Zinnsoldaten sein können. Geradezu als verrückt empfand er es selbst, daß er inmitten des Gefechtslärms plötzlich an Lady Barbara denken mußte, an ihren Saphirschmuck, an Maria, der die Schwangerschaft bereits anzumerken sein mußte. Gewaltsam riß er sich von solchen Erwägungen los. Inzwischen hatte die Feldbatterie nochmals eine Salve gefeuert, deren Wirkung ihm gar nicht zum Bewußtsein gekommen war.

Die Buggeschütze feuerten nach wie vor auf den Feind, aber die Geschützbedienungen der Breitseite fanden kaum noch lohnende Ziele, denn die ihnen gegenüberstehende italienische Division hatte sich in kleinen Gruppen zu höchstens sechs Mann über das ganze rückwärtige Gelände zerstreut. Einige waren bereits droben auf den Höhen angelangt. Die Offiziere würde es größte Mühe kosten, sie wieder zu sammeln, und wer von den Soldaten zu desertieren wünschte - aus dem »Bericht« kannte Hornblower die Neigung der nur widerwillig für Bonaparte kämpfenden italienischen Truppen -, fand heute reichlich Gelegenheit dazu.

Ein von einem durchdringenden Schrei begleiteter Krach, der von unten herauftönte, kündigte an, daß wenigstens einer der von Hornblower erwogenen Ausfälle eingetreten war. Der hohen Stimme nach zu urteilen, mußte wohl einer der Schiffsjungen getroffen worden sein. Hornblower schätzte die Entfernung ab, die die Sutherland noch zurücklegen mußte, ehe ihre Breitseite zum Tragen kommen konnte, und ärgerlich kniff er die Lippen zusammen. Er mußte noch mindestens zwei weitere Salven einstecken, und so ganz leicht fiel es ihm doch nicht, sie mit Gelassenheit zu erwarten. Da kam bereits eine!

Mit dem Geräusch eines riesigen Bienenschwarms, der es furchtbar eilig hatte, flogen die Kugeln über das Schiff hinweg.

Offenbar hatten die feindlichen Kanoniere nicht der schnell abnehmenden Entfernung Rechnung getragen. Ein Pardun des Großtopps zerknallte. Eine Handbewegung Bushs ließ sofort einige Leute zum Spleißen herbeieilen. Die Sutherland mußte jetzt in den Wind drehen, um das kleine Kap mit der vorgelagerten Klippe zu umsegeln.

»Mr. Gerard, das Schiff geht gleich über Stag, Halten Sie sich bereit, die Feldbatterie niederzukämpfen.«

»Aye, aye, Sir.«

Bush schickte die Leute an die Brassen. Hooker stand bei den Schoten des Vortopps. Elegant drehte die Sutherland, dem Ruder gehorchend, in den Wind. Durchs Glas beobachtete Hornblower die nur noch ungefähr vierhundert Meter entfernten Feldgeschütze. Die Kanoniere sahen die Sutherland herumkommen; sie wußten, daß gleich ein fürchterliches Donnerwetter folgen werde. Einer der Artilleristen lief vom Geschütz fort, und dann folgten die meisten seinem Beispiel.

Hornblower sah sie verzweifelt die Hänge hinaufklettern. Ein paar andere hatten sich flach zu Boden geworfen, und nur ein einziger Mann stand noch aufrecht. Seine leidenschaftlichen Gesten ließen erkennen, daß er vor Erbitterung außer sich war.

Wieder legte sich die Sutherland unter dem Druck des vervielfältigten Rückstoßes über, wieder wallte beißender Qualm empor und verhinderte jeden Fernblick. Aber auch als sich der Rauch verzog, blieb die Batterie unsichtbar. Nur noch Trümmer lagen umher; zerschmetterte Lafettenräder, eine schräg aufwärts gerichtete Achse... Das war eine ausgezeichnete Breitseite gewesen. Die Geschützbedienungen des Linienschiffs hatten sich benommen wie Veteranen.

Hornblower führte den Zweidecker um das Riff und hielt abermals auf die Küste zu. Etwas weiter vorn gewahrte er das Ende einer Infanteriekolonne. Anscheinend waren die vorderen Bataillone wieder gesammelt worden, während sich die Sutherland den Rest der Truppen vornahm. Nun zog der Feind im Geschwindschritt ab. Staubwolken umhüllten ihn.

»Mr. Bush, wir müssen versuchen, die Kolonne einzuholen!«

»Aye, aye, Sir.«

Aber dicht beim Winde liegend, war die Sutherland ein sehr schlechter Segler. Immer wieder, wenn sie drauf und dran war, das Ende der feindlichen Marschkolonne zu fassen, mußte sie irgendeiner vorspringenden Landzunge wegen über Stag gehen.

Mitunter war man der flüchtenden Infanterie so dicht auf den Fersen, daß Hornblower durchs Glas die ihm zugekehrten, über die Schulter blickenden Gesichter erkennen konnte.

Verschiedentlich blieben einzelne Leute zurück. Einige saßen, den Kopf in die Hände stützend, am Wegrand, andere lehnten sich erschöpft auf ihre Gewehre und starrten dem vorübergleitenden Schiff nach, manche aber lagen regungslos der Länge nach am Boden, so wie sie zusammengebrochen waren.

Schimpfend und anfeuernd eilte Bush im Schiff umher, um durch Trimmen der Segel eine etwas höhere Geschwindigkeit zu erzielen. Jeder verfügbare Mann mußte mit Kanonenkugeln beladene Hängematten von der Lee- zur Luvseite schleppen. Der I. O. tobte, sooft sich der Abstand zu vergrößern schien.

Hornblower war indessen sehr zufrieden. Eine derartig zugerichtete, Hals über Kopf flüchtende Infanteriedivision, die meilenweit hartnäckig verfolgt wurde und unzählige Marschausfälle erlitt, war in einer Weise geschwächt, daß sie erst nach dem Verlauf von Wochen wieder als Kampftruppe betrachtet werden konnte. Er gedachte die Verfolgung aufzugeben, ehe er in den Schußbereich der jenseits von Arens de Mar aufgestellten schweren Küstenbatterie geriet. Er wollte den Geist des fliehenden Feindes nicht dadurch heben, daß die Sutherland der Beschießung auswich. Außerdem würde dieses Ausweichen zu viel Zeit kosten, um noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder bis auf Schußweite an die Küstenstraße heranzukommen.

»Mr. Bush, Sie können das Schiff über Backbordbug legen und die Geschütze festmachen lassen.«

Die Sutherland richtete sich auf und legte sich, sobald sie über Stag gegangen war, wieder über.

»Drei Hurras für den Kommandanten!« schrie jemand auf dem Hauptdeck; Hornblower wußte nicht, wer es war, sonst würde er den Mann bestraft haben, aber seine Stimme ging in einem Begeisterungssturm unter, der erst allmählich verebbte.

Die Leute grinsten vor lauter Bewunderung für den Kommandanten, der sie innerhalb von drei Tagen fünfmal zum Siege geführt hatte. Auch Bushs Gesicht lachte; ebenso wie das des neben ihm stehenden Gerard. Der kleine Longley schien alles vergessen zu haben, was er der Würde eines angehenden Offiziers schuldete. Er schrie und tanzte wie besessen, derweil Hornblower mit finsterer Miene dem unmilitärischen Schauspiel zusah. Später entsann er sich vielleicht mit Freuden dieses spontanen Beweises der Zuneigung und Ergebenheit, aber im Augenblick machte es ihn nur nervös und ärgerlich. Als wieder Ruhe eingetreten war, wurde die Stimme des Lotgasten hörbar.

»Zwanzig Faden und keinen Grund!«

Noch immer tat er die ihm anbefohlene Pflicht und würde damit fortfahren, bis er Gegenbefehl erhielt. Sein Verhalten veranschaulichte die in der Marine herrschende Disziplin.

»Lassen Sie den Mann sofort ablösen, Mr. Bush!« rief Hornblower kurz. Er ärgerte sich über das Versäumnis.

»Aye, aye, Sir.«

Purpurrot ging die Sonne hinter den spanischen Bergen unter.

Sie entwickelte dabei eine Farbenpracht, daß Hornblower bei dem Anblick solcher Schönheit den Atem anhielt. Gleichzeitig aber stellte sich die Reaktion auf die geistige und körperliche Anspannung der vergangenen Stunden ein. Er mußte indessen noch die Meldung des Wundarztes abwarten, bevor er sich zurückziehen konnte. Jemand war verwundet oder getötet worden. Deutlich entsann er sich des von einem Schrei begleiteten Krachens, mit dem jene Kugel der Feldbatterie eingeschlagen war.

Der Steward der Offiziersmesse erschien auf dem Achterdeck, trat zu Gerard und nahm militärische Haltung an.

»Verzeihen Sie, Sir... Tom Cribb ist tot.«

»Wer?!«

»Jawohl, Sir. Kopf glatt abgerissen. Scheußlich sieht's aus, Sir.«

»Was erzählen Sie da?« mischte sich Hornblower ein. Er konnte sich nicht entsinnen, daß irgendein Mitglied der Besatzung den Namen des britischen Schwergewichtsmeisters trug, wie auch kein Grund dafür vorzuliegen schien, solchen Ausfall einem Leutnant zu melden.

»Tom Cribb wurde getötet, Sir«, erklärte der Steward. »Und was die Missis Siddons ist, die hat 'n Splitter in ihren... ihren Achtersteven bekommen, Sir; bitte um Verzeihung, Sir. Sie haben doch das Quieken hören müssen, Sir.«

»Allerdings«, nickte Hornblower.

Offenbar handelte es sich um ein paar der Offiziersmesse gehörende Schweine. Hornblower atmete auf.

»Es geht ihr schon wieder besser, Sir. Der Schlachter hat ihr 'ne Handvoll Teer draufgeklebt.«

In diesem Augenblick erschien der Wundarzt Walsh mit der Meldung, daß es keine Verluste gegeben habe.

Gerard wandte sich an den Steward.

»Schön«, sagte er. »Wir werden gebratene Kuddeln bekommen und auch die Lende. Sorgen Sie dafür, daß die Schwarte recht knusprig wird. Wenn's noch mal so'n Leder gibt wie das letztemal, als wir ein Schwein schlachteten, dann entziehe ich Ihnen den Grog. Wir haben Zwiebeln und Salbei und ein paar Äpfel, aus denen Sie Soße machen. Daß Sie aber keine Nelken an die Soße geben, Loughton. Mir ist es gleichgültig, was die anderen Herren sagen. In den Apfelpie gehören sie, aber nicht zum Schweinebraten. Machen Sie sich gleich an die Arbeit. Den einen Schinken bringen Sie mit schönem Gruß von mir in die Deckoffiziersmesse, den anderen braten Sie ebenfalls, damit wir kaltes Fleisch zum Frühstück haben.«

Gerard schlug zur Unterstreichung seiner Anweisungen wiederholt mit dem Zeigefinger auf die Fläche der linken Hand.

Seinem Gesicht sah man es an, daß er lebhaften Appetit verspürte. Hornblower hatte die Empfindung, daß Gerard, wenn er sich nicht um Frauen kümmern konnte, alle außerdienstlichen Gedanken dem Wohl seines Magens widmete. Eigentlich hätte ein Mann, der während einer Mittelmeerreise an einem glühenden Julinachmittag mit Vergnügen an gebackene Kuddeln und Schweinebraten denken konnte, selbst feist wie ein Schwein sein müssen, aber Gerard war schlank, hübsch und gepflegt. Mit einem vorübergehenden Gefühl der Eifersucht dachte Hornblower an den kleinen Bauch, der sich bei ihm selbst zu entwickeln begann.

Indessen geisterte der Oberst Villena wie eine verlorene Seele auf dem Achterdeck umher. Offensichtlich sehnte er sich fieberhaft danach, wieder ein Gespräch anknüpfen zu können, und Hornblower war der einzige Mensch an Bord, der hinreichend Spanisch sprach. Überdies stand Villena selbst im Range eines Kapitäns z. S. und konnte daher erwarten, Gast des Kommandanten zu sein. Hornblower aber war sich bewußt, daß er sich lieber an Schweinefleisch überessen würde, als das Geschwätz Villenas zu erdulden. »Sie scheinen heute abend ein Fest feiern zu wollen, Mr. Gerard«, sagte er.

»Jawohl, Sir.«

»Würde es mir wohl gestattet sein, daran teilzunehmen?«

»Aber gewiß, Sir. Wir würden glücklich sein, wenn Sie uns die Ehre geben wollten.«

Aus Gerards männlichem Gesicht sprach aufrichtige Freude darüber, daß er seinen Kommandanten bewirten durfte. Diese Empfindung war so offensichtlich echt, daß Hornblower das Herz warm wurde, wenn er sich auch ein wenig über den Grund dieser Selbsteinladung schämte.

»Verbindlichsten Dank, Mr. Gerard. Dann werden also der Herr Oberst Villena und ich heute abend Gäste der Offiziersmesse sein.«

Wenn er nur ein wenig Glück hatte, so würde er weit genug von Villena entfernt sitzen, um keine Unterhaltung in spanischer Sprache mit ihm führen zu müssen.

Der Tamboursergeant der Marineinfanterie hatte fast so etwas wie ein Musikerkorps zusammengebracht. Es bestand aus den vier Trommlern und den vier Pfeifern der Seesoldaten. Sie marschierten unter dem Rasseln der Trommeln und dem Quieken der Pfeifen an Oberdeck hin und her und spielten dazu eine beliebte Weise, der Kehrreim lautete: Eichenfest sind unsre Schiffe, lustige Teerjacken sind wir,. ..

Die Leute schienen ihren Gefallen daran zu haben, wenn sicherlich auch jeder von ihnen in Wut geraten wäre, wenn man ihn als›lustige Teerjacke‹angeredet hätte.

Auf und nieder schritten die schneidigen Rotröcke, und das lebhafte Rasseln der Trommeln ließ die drückende Hitze vergessen. Im Westen leuchtete der Himmel noch immer in glühenden Farben, während von der anderen Seite her bereits die Nacht über dem purpurnen Meer heraufzog.