12. Kapitel

Während Hornblower mit dem Fernglas die französische Küste absuchte, gelangte er zu der Überzeugung, daß der Golf du Lion kein sehr verlockendes Gewässer war, denn fast immer mußte man damit rechnen, unter eine Leeküste zu geraten.

Obendrein besaß er geringe Wassertiefe, und ein Sturm konnte ihn daher in unerhörter Weise aufwühlen. Wohl hätte Hornblower in der Aussicht, eine gute Prise zu machen, auch navigatorische Wagnisse auf sich genommen, aber für das Aufbringen feindlicher Schiffe fehlten die Voraussetzungen.

Von Port Vendres bis Marseille - dem Endpunkt des dem Geschwader Leightons zugewiesenen Sektors - war die Küste von ausgedehnten Lagunen gesäumt, die nach See zu von langen Nehrungen und sogar von bebauten Landzungen begrenzt wurden. Es gab Batterien und Forts. Die kleinen Städte wie Cette und Aiguesmortes waren von mittelalterlichen Befestigungen umgeben, mit denen sich das hölzerne Linienschiff in kein Gefecht einlassen durfte.

Am hinderlichsten aber blieb diese Kette von Lagunen, die seit den Zeiten der Römer untereinander durch Kanäle in Verbindung standen. Fahrzeuge bis zu einer Tragfähigkeit von zweihundert Tonnen konnten sich also innerhalb der Küstenlinie bewegen. Gerade jetzt bemerkte Hornblower durchs Glas braune Segel, die scheinbar über die grünenden Fluren glitten.

Das blaue, unter sengender Sonne liegende Mittelmeer nahm in diesen seichten Gewässern grünliche und selbst gelbliche Tönungen an. Die Stellen gemahnten daran, daß man mit äußerster Vorsicht navigieren mußte. Auf dem Vorschiff herrschte rege Tätigkeit. Die Uhr in der Hand haltend, bewegte Bush fünfzig Mann im Vortopp. Im Verlauf von anderthalb Stunden hatten sie das Bramsegel mindestens ein dutzendmal los- und wieder festgemacht. Drüben an Land, wo sicherlich unzählige Gläser auf das britische Schiff gerichtet wurden, konnte man sich natürlich aus solchem Manöver keinen Vers machen. Auf dem Vordeck saß der Bootsmann Harrison auf einem Schemel. Mit untergeschlagenen Beinen kauerten rings im Kreise zwanzig Rekruten, die mit Hilfe von zwei Unteroffizieren in die Geheimnisse des Spleißens und Knotens eingeführt wurden. Aus dem unteren Batteriedeck dröhnte das Poltern der Lafetten herauf und verriet, daß Gerard angehende Richtkanoniere an den sechs vorderen Vierundzwanzigpfündern exerzierte. Gerards Ehrgeiz ging dahin, an jedem Geschütz sechs ausgebildete Geschützführer zur Verfügung zu haben, aber von diesem anzustrebenden Ziel war er noch weit entfernt.

Droben auf der Kampanje war der geduldige Crystal damit beschäftigt, den Seekadetten die Anfangsgründe der Navigation beizubringen, aber die jungen Burschen waren zerstreut und unaufmerksam. Hornblower wunderte sich darüber. Ihm hatte die Mathematik schon als Junge Spaß gemacht. Als er so alt war wie Longley, galten ihm die Logarithmen fast als Spielzeug, und eine Aufgabe aus der sphärischen Trigonometrie bot ihm eine Fülle von Vergnügen, das vielleicht dem entsprach, was einige dieser Jünglinge beim Anhören von Musik verspürten, so unbegreiflich das Hornblower auch erschien.

Ein von drunten herauftönendes, einförmiges Hämmern deutete an, daß der Zimmermann mit seinen Gehilfen die letzte Hand an die Abdichtung des Loches legte, das gestern morgen einer der Zweiundvierzigpfünder von Llanza verursacht hatte, während ein taktmäßiges metallisches Anschlagen bewies, daß die auf der sogenannten schwarzen Liste stehenden Sünder das Schiff lenzpumpten. Da die Sutherland erst vor kurzem gedockt hatte, leckte sie kaum. Bei ruhiger See stieg das Wasser im Raum täglich nur einen Zoll, so daß jeden Morgen nur eine Stunde lang gepumpt werden mußte. Zu dieser Arbeit wurden Leute eingeteilt, die sich irgend etwas hatten zuschulden kommen lassen; sei es, daß sie beim Entern die letzten gewesen oder mit schlecht gezurrter Hängematte an Deck erschienen waren. Die Strafe war viel ökonomischer als beispielsweise die Behandlung mit der neunschwänzigen Katze.

Aus dem Kombüsenschornstein stieg Rauch empor, und selbst achtern auf der Kampanje roch Hornblower, was da zubereitet wurde. Heute sollten die Leute eine gute Mahlzeit mit Mehlpudding bekommen, nachdem sie sich gestern mit Hartbrot und Wasser hatten begnügen müssen, da das Schiff binnen vierundzwanzig Stunden dreimal gefechtsklar gemacht worden war. Übrigens machte das der Mannschaft nichts aus, solange sie erfolgreich waren; erstaunlich war es, wie selbst ein kleiner militärischer Erfolg die Festigung der Disziplin förderte.

Obwohl es einigen Ausfall gegeben hatte - elf Tote und sechzehn Verwundete, während vierunddreißig Mann zur Besetzung der Prisen abkommandiert worden waren -, besaß die Sutherland einen größeren Gefechtswert als tags zuvor.

Übrigens hatten sich zwei der Gefangenen freiwillig zum Dienst gemeldet, um nicht in den englischen Gefängnissen zu verschwinden. Vom Achterdeck aus erkannte Hornblower, daß überall an Bord eine gehobene Stimmung herrschte.

Hornblower war ebenfalls außerordentlich gut gelaunt. Zum erstenmal machte er sich keine Selbstvorwürfe. Seine niederdrückenden Gemütsregungen hatte er vergessen, und die drei aufeinanderfolgenden Aktionen waren dazu angetan gewesen, sein Selbstbewußtsein zu heben. Die Prisen machten ihn um mindestens tausend Pfund wohlhabender, und das war ein erfreulicher Gedanke. Noch nie im Leben hatte er tausend Pfund besessen. Er erinnerte sich daran, wie Lady Barbara taktvoll beiseite sah, nachdem sie einen einzigen Blick auf seine tombakenen Schuhschnallen geworfen hatte. Wenn er das nächstemal Gelegenheit fand, in der Gesellschaft der Lady Barbara zu speisen, würden die Schnallen aus reinem Gold bestehen, und falls er Lust hatte, konnte er sie auch mit Brillanten besetzen lassen. Durch eine unverdächtige Bewegung gedachte er die Aufmerksamkeit der Dame auf seine Schuhe zu lenken. Maria sollte Ringe und Armbänder bekommen, um der Welt die Beweise seiner Erfolge vor Augen zu führen.

Stolz entsann sich Hornblower, daß er gestern nacht in Port Vendres nicht eine Sekunde lang Furcht verspürt hatte; weder beim Entern des Wachbootes noch in der beklemmenden Umarmung der Enternetze. So, wie er jetzt den ersehnten Reichtum besaß, so war es ihm auch zu seiner eigenen Überraschung klargeworden, daß er über den brutalen körperlichen Mut verfügte, um den er bisher seine Untergebenen beneidet hatte. Obwohl er bezeichnenderweise auch jetzt nicht die bewiesenen persönlichen Fähigkeiten hoch einschätzte, befand er sich doch auf einem Höhepunkt des Optimismus und der Selbstsicherheit.

Abermals richtete er das Glas auf das zur Linken gelegene Flachland. Wie konnte man den Feind beunruhigen? Da unten in der Kajüte lagen die bei anderen Gelegenheiten erbeuteten französischen Seekarten, die ihm von der Admiralität zur Verfügung gestellt worden waren. Vermutlich gab es auch welche an Bord der Pluto und Caligula. Schon früh am Morgen pflegte sich Hornblower an ihr Studium zu machen. Während er jetzt zu den grünen Küstenstreifen und den dahinter sichtbar werdenden braunen Segeln spähte, suchte er sich alle Einzelheiten der Karten zu vergegenwärtigen. Er befand sich so dicht unter Land, wie er es des trügerischen Gewässers wegen wagte, und dennoch befanden sich jene Segel außerhalb der Reichweite seiner Geschütze.

Links gewahrte er Cette. Die Stadt lag auf einem flachen, die Umgebung nur wenig überhöhenden Hügel. Sie besaß feste Mauern und eine Garnison, so daß ihr unter keinen Umständen etwas anzuhaben war. Dahinter erstreckte sich der sogenannte Etang de Thau, eine große Lagune, die einen Knotenpunkt innerhalb jenes Kanalsystems darstellte, das einen gesicherten Verkehr zwischen Marseille und dem Rhonetal einerseits, dem Gebiet der Pyrenäen andrerseits gestattete. Soweit Hornblower und die Sutherland in Frage kamen, war Cette unangreifbar und befanden sich die Schiffe auf dem Etang de Thau in Sicherheit.

Hornblower stand jedoch der verwundbarsten Stelle des Kanalsystems gegenüber; jener, an der die von Aiguesmortes zum Etang de Thau führende Wasserstraße nur durch eine schmale Nehrung vom Meere getrennt war. Hier also mußte er zuschlagen, sofern sich das überhaupt ermöglichen ließ. Die braunen Segel, die er schon seit längerem beobachtete, reizten ihn, den Versuch zu wagen. Es handelte sich vermutlich um eins der Wein und Öl befördernden französischen Küstenfahrzeuge, die zwischen Port Vendres und Marseille verkehrten. Gewiß, eigentlich grenzte ein solcher Versuch an Tollheit, aber dennoch, heute war er zu solchen Tollheiten aufgelegt.

»Geben Sie weiter: Bootssteurer des Kommandanten zum Kommandanten«:, befahl er dem Seekadetten der Wache. Er hörte, wie der Ruf von Mund zu Mund bis zum Vorschiff drang, und zwei Minuten später kam Brown eiligen Schrittes nach achtern, um am Fuß der Kampanjetreppe die Befehle zu erwarten.

»Können Sie schwimmen, Brown?«

»Jawohl, Sir.«

Prüfend ließ Hornblower den Blick über die kraftvollen Schultern und den breiten Nacken des Mannes gleiten. Aus der offenen Hemdbrust quoll dichtes schwarzes Haar hervor.

»Wie viele Ihrer Leute können schwimmen?«

Brown sah verlegen von einer Seite zur anderen, bis er sich zu einem peinlichen Geständnis bequemte. Er wagte nicht, seinem Kommandanten die Unwahrheit zu sagen.

»Ich weiß nicht, Sir.«

Hornblower verzichtete darauf, dem Mann einen derben Tadel zu erteilen, aber sein ruhiges: »Das sollten Sie wissen« war möglicherweise noch viel wirkungsvoller.

»Ich brauche Freiwillige und nur gute Schwimmer für die Gig. Es handelt sich um eine gefahrvolle Angelegenheit. Ich bitte mir aus, daß nur wirkliche Freiwillige eingeteilt werden, Brown. Auf Ihre Nachhilfemethoden verzichte ich.«

»Aye, aye, Sir«, beeilte sich Brown zu sagen, und dann nach kurzem Nachdenken: »Alle werden sich melden, Sir, und es wird schwerfallen, die Auswahl zu treffen. Führen Sie selbst, Sir?«

»Ja. Jeder Mann empfängt ein Entermesser und Feuerzeug.«

»Feu... Feuerzeug, Sir?«

»Jawohl. Stein und Stahl, Zunder und ein paar ölgetränkte Lappen. Die Sachen sind wasserdicht einzuwickeln. Gehen Sie zum Segelmacher, und lassen Sie sich Öltuch geben nebst Bändern, um die Päckchen während des Schwimmens anbinden zu können.«

»Aye, aye, Sir.«

»Sie können wegtreten, Brown. Stellen Sie Ihre Leute zusammen. Ich lasse Herrn Kapitänleutnant Bush zu mir bitten.«

Rollenden Schrittes kam Bush nach achtern. Sein Gesicht glänzte vor Aufregung. Noch ehe er die Kampanje erreichte, wurde das Schiff bereits von Gerüchten durchschwirrt. Die wildesten Vermutungen über das, was der Kommandant nunmehr vorhabe, befanden sich im Umlauf. Die Mannschaften hatten ohnehin während des Vormittagsdienstes immer mit einem Auge zur Küste Frankreichs hinübergeschielt.

»Mr. Bush«, sagte Hornblower, »ich gehe an Land, um den Küstensegler da zu verbrennen.«

»Aye, aye, Sir. Werden Sie persönlich führen?«

»Allerdings«, versetzte Hornblower kurz. Er vermochte es nicht, dem Untergebenen klarzumachen, daß er es einfach nicht fertigbrachte, während einer Aktion, zu der er Freiwillige aufrief, selbst zurückzubleiben. Streng sah er Bush an. Bush erwiderte den Blick; ein Widerspruch lag ihm bereits auf der Zunge, doch besann er sich eines Besseren. »Barkaß und Pinnaß, Sir?«

»Nein, die würden bereits eine halbe Meile vom Strande entfernt auf Dreck laufen.«

Die Bemerkung war zutreffend. Vier Schaumlinien verrieten, daß das Wasser außergewöhnlich seicht war. »Ich nehme meine Gig«, sagte Hornblower.

Noch immer schien sein abweisender Gesichtsausdruck jede Einwendung verhindern zu wollen, aber diesmal faßte Bush Mut. »Könnte nicht ich die Führung übernehmen, Sir?«

»Nein.«

Die schroffe Ablehnung schloß jede weitere Erörterung aus.

»Und merken Sie sich noch folgendes, Bush. Keine Rettungsversuche. Wenn wir verloren sind, sind wir verloren.

Sie verstehen mich? Wollen Sie den Befehl schriftlich haben?«

»Nicht nötig, Sir; ich verstehe.«

Traurig klangen die Worte. Obwohl Hornblower seinen I. O. außerordentlich schätzte, hielt er doch nicht viel von dessen Fähigkeiten, auf eigene Faust zu handeln. Der Gedanke, Bush könne bei dem Versuch, seinen Kommandanten herauszuhauen, wertvolles Leben opfern, erschreckte ihn.

»Schön. Lassen Sie beidrehen, Mr. Bush. Wenn alles klappt, sind wir binnen einer Stunde wieder an Bord. Bis dahin bleiben Sie auf der Stelle.«

Das Kommandantenboot - es handelte sich allerdings nicht um eine Gig im modernen Sinne - besaß acht Riemen.

Hornblower hegte die Hoffnung, daß das Zuwasserbringen vom Lande aus nicht beachtet worden war. Bushs Segelexerzieren mußte bei den Franzosen den Eindruck erweckt haben, daß die Sutherland sinnlose Manöver machte. Auch das kurze Backbrassen der Marssegel brauchte nicht aufgefallen zu sein.

Hornblower hatte neben Brown Platz genommen, indessen sich die Leute in die Riemen legten. Leicht und elegant glitt das Boot über die See. Der befohlene Kurs mußte es die Küste etwas vorwärts der braunen Segel erreichen lassen, die gerade noch über den grünen Uferstreifen emporragten. Hornblower blickte zur Sutherland und ihrer hohen Takelage zurück, die, während die Gig dahinschoß, sehr schnell kleiner zu werden schien. Aber selbst in diesem Augenblick, da er an so viel zu denken hatte, musterte er prüfend die Linien der Masten und erwog, in welcher Weise er die Segeleigenschaften seines Schiffes verbessern konnte.

Man hatte die äußersten Brecher passiert, die allerdings kaum so genannt werden konnten. Eine Grundberührung fand nicht statt. Aber wenige Augenblicke später knirschte der Kiel auf den Sand. Das Boot kam zum Stehen.

»Raus mit euch, Kerls!« befahl Hornblower.

Er selbst ließ sich rasch über die Seite gleiten und stand sofort bis zu den Hüften im Wasser. Behende folgte die Mannschaft seinem Beispiel. Die Leute griffen zu und schoben die erleichterte Gig weiter, bis ihnen das Wasser nur noch bis zur Wade reichte. Wohl verspürte Hornblower das Verlangen, sich von der eigenen Erregung fortreißen zu lassen und an der Spitze seiner Männer landeinwärts zu stürmen, doch gelang es ihm, sich zu beherrschen.

»Entermesser?« fragte er scharf. »Feuerpäckchen?«

Er ließ den Blick über die neun schweifen, überzeugte sich, daß jeder in der befohlenen Weise bewaffnet und ausgerüstet war, worauf sich die kleine Expedition in Marsch setzte. Hinter dem sandigen Uferstreifen wuchs hartes Strandgras, und jenseits davon gelangten die Engländer in Rebenbestände. Keine zwanzig Meter von ihnen entfernt waren ein alter gebeugter Mann und zwei ältere Frauen mit Feldarbeiten beschäftigt.

Sichtlich überrascht sahen sie auf und starrten sprachlos zu der Gruppe schwatzender Seeleute herüber. Das braune Sprietsegel ragte wenige hundert Meter vor ihnen auf, und dahinter wurde noch ein kurzer Besan sichtbar. Hornblower betrat einen schmalen Pfad, der ungefähr darauf zuführte.

»Vorwärts, Leute«, sagte er und setzte sich in Trab. Die alten Franzosen erhoben mit lauter Stimme Einspruch, weil die Fremden die Weinranken zertrampelten, aber die Männer der Sutherland, die zum erstenmal in ihrem Leben französische Worte vernahmen, lachten wie Kinder. Überdies hatten die meisten von ihnen noch niemals Weinreben gesehen; Hornblower hörte, wie sie sich über die wohlgeordneten Reihen scheinbar wertloser Gewächse und über die winzigen Trauben unreifer Früchte unterhielten. Das Rebengelände lag hinter ihnen. Steil ging es abwärts zu dem rauhen Treidelweg, der am Kanal entlangführte. Hier war die Lagune höchstens zweihundert Meter breit, und offenbar befand sich die Fahrtrinne dicht am diesseitigen Ufer, denn eine dünne Bakenlinie verlief parallel dazu in ziemlich geringer Entfernung.

Ohne die ihm drohende Gefahr zu ahnen, näherte sich der Küstensegler. Laute Freudenrufe ausstoßend, begannen die Seeleute, sich ihrer Jacken zu entledigen.

»Ruhe, ihr Trottel!« herrschte Hornblower sie an. Er schnallte den Säbel ab und zog den Rock aus.

Das Geschrei der Engländer ließ die Besatzung des feindlichen Fahrzeugs nach vorn eilen. Sie bestand aus drei Männern, zu denen sich gleich darauf zwei stämmige Weiber gesellten. Alle blickten unter den die Sonnenstrahlen abwehrenden Händen herüber. Eine der Frauen begriff zuerst, was jene halbnackten, am Ufer wartenden Kerle bedeuteten.

Hornblower, der gerade die Hosen abstreifte, hörte einen schrillen Schrei und sah die Frau nach achtern laufen. Noch immer näherte sich das Schiff, doch als es sich den Engländern gerade gegenüber befand, rasselte das große Segel nieder, und dem hart zu Bord gelegten Ruder gehorchend, drehte der Franzose ab. Es war indessen zu spät. Das Fahrzeug durchbrach die Bakenlinie und lief jenseits davon auf Grund. Hornblower sah, daß der Mann am Ruder seinen Posten verließ, sich umwandte und, umgeben von den anderen an Bord befindlichen Menschen, herüberspähte. Da schnallte der völlig nackte englische Kommandant den Säbel um. Brown, der ebenso unbekleidet war, folgte seinem Beispiel. Das Entermesser lag an seiner bloßen Haut.

»Vorwärts«, befahl Hornblower. »Je schneller, desto besser.«

Er legte die Hände zusammen und tauchte in wenig elegantem Hechtsprung in die Lagune. Schreiend und planschend eilten die anderen ihm nach. Das Wasser war lauwarm. Hornblower schwamm dennoch möglichst langsam. Er war ein mäßiger Schwimmer, und die hundertundfünfzig Meter lange Strecke, die ihn von seinem Ziel trennte, kam ihm sehr lang vor. Schon empfand er das Gewicht des an der Hüfte baumelnden Säbels.

Hand über Hand strebte Brown an ihm vorüber. Er hatte das Feuerpäckchen zwischen die Zähne genommen, und sein dichtes schwarzes Haar triefte vor Nässe. Die übrigen Matrosen folgten ihm. Als sie sich dem Ziele näherten, war Hornblower schon längst der letzte. Sie alle enterten das niedrige Fahrzeug, besannen sich dann aber auf die Forderungen der Disziplin und drehten sich um, ihm an Bord zu helfen. Mit gezogenem Säbel drang er an Deck. Männer und Frauen hatten sich zu einer Gruppe zusammengedrängt und machten finstere Gesichter.

Franzosen und Engländer standen einander im grellen Sonnenlicht gegenüber. Das Wasser strömte an den nackten Kerlen hernieder, aber der gespannten Lage wegen fiel ihre Nacktheit gar nicht auf. Erleichtert entsann sich Hornblower des nachgeschleppten Dingis. Er deutete darauf und versuchte seine französischen Sprachkenntnisse in Anwendung zu bringen.

»Au bateau«, sagte er. »Dans le bateau.«

Die Franzosen zögerten. Es befanden sich im ganzen vier Männer mittleren Alters und ein Greis sowie zwei Frauen an Bord. Die englischen Seeleute nahmen Aufstellung hinter ihrem Kommandanten und zogen die Entermesser.

»Entrez dans le bateau«, befahl Hornblower abermals.

»Hobson, verholen Sie das Dingi längsseit.«

Die eine Frau brach in einen Sturm von Schmähungen aus, die sie mit überkippender Stimme herauskreischte. Dazu gestikulierte sie wild mit den Händen, indessen ihre Holzpantoffel auf die Decksplanken klapperten.

»Ich bitte, das erledigen zu dürfen, Sir«, mischte sich Brown ein. »Holla, du da, hops rein in den Kahn!«

Er packte einen der Männer kurzerhand beim Kragen, schwang mit der freien Hand das Entermesser und zerrte den Verdutzten zur Schiffsseite. Sobald in dieser Weise der Anfang gemacht worden war, folgten die übrigen ganz willig. Brown warf die Bootsleine los, worauf das Boot abtrieb. Noch immer sprudelten die Weiber in katalanischem Französisch ihre Flüche heraus.

»Anzünden das Schiff«, befahl Hornblower. »Brown, gehen Sie mit drei Mann unter Deck, und sehen Sie zu, was sich machen läßt.«

Die bisherige Besatzung hatte ein paar Riemen ausgebracht und pullte nun behutsam zum Treidelweg hinüber, denn das Dingi hatte kaum noch zwei Zoll Freibord. Hornblower sah den Franzosen nach, bis sie ans Ufer kletterten.

Seine eigenen ausgesuchten Leute machten prompte und saubere Arbeit. Lautes Krachen verriet, daß Browns Abteilung in den Laderaum eingebrochen war und dem Feuer ein Nest bereitete. Fast unmittelbar darauf quoll Rauch aus dem Kajütenskylight auf. Einer der Matrosen hatte die Einrichtung aufeinandergehäuft, sie mit dem vorhandenen Lampenöl getränkt und eine gehörige Glut erzielt.

»Ladung besteht aus Öl in Fässern und Korn in Säcken, Sir«, meldete Brown. »Wir haben einige der Fässer eingeschlagen und 'n paar Säcke aufgeschlitzt. Das wird gut brennen. Sehen Sie, Sir.«

Aus dem Hauptluk wirbelte bereits dünner schwarzer Qualm empor, und die entwickelte Hitze ließ sämtliche Gegenstände des Vorschiffs in der glühenden Luft tanzen. Vor dem Luk befand sich auch an Oberdeck ein Brandherd. Das dürre Holz knisterte und knallte zuweilen explosionsartig, obwohl des grellen Sonnenlichts und des Fehlens von Rauch wegen kaum etwas von dem Brand zu sehen war. Nun brannte es bereits unter der Back, deren Tür schwärzliche, langsam über Deck kriechende Qualmschwaden ausstieß.

»Brecht einige der Decksplanken auf«, rief Hornblower. Seine Stimme klang heiser.

Dem Krachen des splitternden Holzes folgte eine unheimliche Stille, die jedoch im Grunde genommen keine wirkliche Stille war, denn Hornblowers Ohr vernahm das gedämpfte Geräusch der Flammen, die nunmehr, da ihnen neuer Sauerstoff zugeführt wurde, mit verdoppelter Gier die Ladung verschlangen.

»Allmächtiger Gott! Welch ein Bild!« stöhnte Brown.

Das ganze Mittelschiff schien aufzubrechen, während das Feuer ins Freie durchschlug. Die Hitze wurde mit einemmal unerträglich.

»Wir sind hier fertig«, meinte Hornblower. »Los, Kerls!«

Abermals sprang er in die Lagune, und die kleine Schar der nackten Männer folgte ihm. Diesmal hatten sie es nicht eilig.

Die Aufregung des Überfalls war verflogen. Der furchtbare Anblick des unter Deck wütenden Brandes hatte alle ernüchtert.

Sie scharten sich um ihren Führer, dessen unsportliches Brustschwimmen das Tempo angab. Hornblower war müde und empfand es dankbar, als seine ausgestreckte Rechte endlich das am Ufer wachsende Ried zu fassen bekam. Die Matrosen stiegen vor ihm an Land. Brown half ihm mit nasser Hand.

»Heiliges Donnerwetter!« platzte in diesem Augenblick einer der Leute heraus. »Guck einer doch bloß die alte Hexe da an!«

Sie waren bis auf dreißig Meter der Stelle nahe gekommen, an der sie die Kleider zurückgelassen hatten. Gerade als der Matrose die Aufmerksamkeit seiner Kameraden dorthin lenkte, warf die ältere der beiden Frauen das letzte Kleidungsstück ins Wasser. Ein paar zerfetzte Hemden trieben noch, von Luftblasen getragen, auf der Oberfläche, alles andere aber lag bereits am Boden des Kanals.

»Verfluchtes Frauenzimmer, was fällt dir denn ein?!« tobte Brown. Sämtliche Leute der Landungsabteilung umtanzten nackt und heftig gestikulierend die Gruppe der Franzosen.

Wortlos deutete die Alte zu dem verlassenen Schiff hinüber, das von vorn bis achtem in Flammen stand, indessen dichter schwarzer Qualm aus den seitlichen Öffnungen brach. Das Tauwerk des Großmastes löste sich in schwelende Bestandteile auf, und dann sackte der Mast selbst, an dem kaum sichtbare Flammen leckten, langsam nach einer Seite.

»Ich tauche nach Ihrem Hemd, Sir«, wandte sich einer der Matrosen an Hornblower, nachdem er sich von dem faszinierenden Anblick losgerissen hatte.

»Nein«, schnappte Hornblower. »Abteilung marsch!«

»Wollen Sie nicht wenigstens die Hosen von dem alten Mann anziehen, Sir?« schlug Brown vor. »Ich nehme sie ihm weg, mag ihn der Teufel holen, Sir. Es schickt sich doch nicht, daß...«

»Nein«, wiederholte Hornblower.

Splitternackt stiegen sie zu dem Rebengelände empor. Von droben warfen sie einen letzten Blick zum Kanal hinunter. Die beiden Frauen weinten fassungslos, während die Männer in stummer Verzweiflung der Vernichtung ihres Schiffes, ihres ganzen Besitztums, zusahen. Hornblower führte seine Leute weiter. Ein Reiter galoppierte auf sie zu. Die blaue Uniform und der Dreispitz verrieten, daß es sich um einen der Gendarmen Bonapartes handelte. Unweit von ihnen parierte der Mann durch und griff nach dem Säbel. Offenbar jedoch war er sich seiner Sache nicht ganz sicher, denn wie hilfesuchend sah er sich nach allen Seiten um.

»Mensch, hau bloß ab!« schrie Brown, der mit dem Entermesser herumfuchtelte. Da auch die übrigen Matrosen eine drohende Haltung einnahmen, riß der Gendarm sein Pferd zurück. Weiße Zähne blitzten unter seinem schwarzen Schnurrbart. Die Engländer machten, daß sie weiterkamen. Als Hornblower zurückblickte, sah er, daß der Gendarm abgesessen war und sich bemühte, den am Sattel des unruhig umhertretenden Gaules baumelnden Karabiner zu ergreifen.

Oberhalb des Strandes standen der alte Winzer und die beiden Weiber. Der Alte schwang zornig seine Hacke, aber die Frauen grinsten verlegen, als der Aufzug der nackten Kerle erschien.

Drunten am Strand lag die Gig, und weiter draußen in See befand sich die Sutherland, bei deren Anblick die Matrosen Hurra riefen.

Eifrig zupackend, schoben sie das Boot über den Sand, warteten, bis Hornblower eingestiegen war, brachten es in tieferes Wasser, polterten über die Seiten und griffen zu den Riemen. Einer der Männer stieß einen Schmerzensschrei aus, als ihm ein Splitter der Ducht ins Sitzfleisch drang. Hornblower mußte lächeln, aber der entrüstete Brown brachte den Verletzten augenblicks zum Schweigen.

»Da kommt er, Sir!« rief der Mann am Schlagriemen und deutete über Hornblowers Schulter.

Unbeholfen lief der von seinen schweren Reitstiefeln behinderte Gendarm zum Strand hinunter. Er hielt den Karabiner in der Linken. Hornblower sah, wie er niederkniete und zielte. Sekundenlang quälte ihn der Gedanke, seine eigene Laufbahn könne durch die Kugel eines französischen Gendarmen ihr Ende finden, aber als ein Rauchwölkchen aus der Karabinermündung hervorbrach, folgte nicht einmal das Singen des vorüberfliegenden Bleis. Es konnte von einem Mann, der weit geritten und dann mühsam gelaufen war, nicht erwartet werden, daß er auf zweihundert Meter Entfernung mit dem ersten Schuß sein Ziel traf.

Über der Nehrung, die das Meer von der Lagune trennte, stand eine mächtige Rauchsäule. Das gute Schiff war rettungslos verloren, aber Krieg und Vernichtung waren einander ergänzende Begriffe. Die Tat brachte den Eigentümern Kummer und Armut. Gleichzeitig aber bedeutete sie, daß die Einwohner des feindlichen Landes, das während einer achtzehnjährigen Kriegsdauer, abgesehen von den Aushebungen Bonapartes, kaum in Mitleidenschaft gezogen worden war, die Länge des Armes Großbritanniens kennenlernen. Und mehr als das: die für die Sicherung dieses Teiles der Verbindungslinie Marseille-Spanien verantwortlichen Behörden wurden genötigt, Truppen und Geschütze zur Verhinderung weiterer Überfälle bereitzustellen. Dadurch aber mußten sie die für eine zweihundert Meilen lange Küste verfügbaren Streitkräfte noch weiter auseinanderziehen. Ein derartig geschwächter Küstenschutz konnte an bestimmten Stellen durch schlagartige Aktionen durchbrochen werden. Hierzu eignete sich insbesondere ein Linienschiffsgeschwader, das nach Belieben kommen und verschwinden konnte. Eine sachgemäße Führung konnte auf solche Weise die gesamte Küste von Barcelona bis Marseille in dauerndem Alarmzustand halten. Derlei aber mußte in hervorragender Weise dazu beitragen, die Kräfte des korsischen Giganten zu zermürben. Ein vom Wetter begünstigtes Schiff konnte sich viel schneller bewegen als eine marschierende Truppe, ja als ein gutberittener Meldereiter.

Hornblower hatte einen Stoß gegen das französische Zentrum und gegen den linken Flügel geführt. Auf dem Rückweg zum Rendezvous mußte er nun auch noch den rechten Flügel treffen.

Während sich das Boot bereits der Sutherland näherte, erfüllte ihn der Wunsch nach neuer Tätigkeit mit Unruhe.

Deutlich hallte Gerards Stimme über das Wasser: »Ja, was denn... zum Teufel...?« Offenbar hatte Gerard gerade die Nacktheit der im Boot befindlichen Männer erkannt. Die Pfeifen trillerten, um die Wache zum Empfang des Kommandanten zu rufen. Nackt und bloß mußte Hornblower vor den Augen der salutierenden Offiziere die Fallreepspforte durchschreiten, derweil die angetretenen Seesoldaten das Gewehr präsentierten.

Er war indessen zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, um auf die Wahrung seiner Würde bedacht zu sein. So betrat er das Oberdeck. Der Säbel hing an seiner nackten Hüfte. Der Auftritt ließ sich nun einmal nicht vermeiden, und eine zwanzigjährige Marinedienstzeit hatte Hornblower gelehrt, sich klaglos in das Unabänderliche zu fügen. Die Gesichter der Schiffsjungen und Soldaten waren im Bemühen, nicht zu grinsen, zu Masken erstarrt; er achtete nicht darauf. Jene jenseits der Nehrung stehende Rauchsäule kennzeichnete einen Erfolg, auf den jeder hätte stolz sein können. Hornblower verblieb an Deck, bis er Bush die nötigen Befehle erteilt hatte, deren Ausführung die Sutherland auf südlichen Kurs bringen und neuen Abenteuern entgegenführen sollte. Der Wind war seinem Vorhaben günstig, und Hornblower war nicht der Mann, der bei günstig wehendem Wind auch nur eine Minute zu verlieren pflegte.