4. Kapitel
Während sie nach dem Verlassen des ›Engel‹ durch die tiefdunklen Straßen schritten, hakte sich Maria fest bei ihrem Gatten ein.
»Ein wirklich genußreicher Abend, Liebster«, sagte sie.
»Lady Barbara scheint eine sehr vornehme Persönlichkeit zu sein.«
»Es freut mich, daß du dich gut unterhalten hast«, erwiderte Hornblower. Aus Erfahrung wußte er nur zu gut, daß es Maria lebhaftes Vergnügen bereitete, im Anschluß an jede gemeinsam besuchte Gesellschaft über die dabei Beteiligten zu sprechen. Er fürchtete sich vor der unvermeidlichen Kritisierung der Lady Barbara.
»Sie war viel feiner, als ich es nach dem hätte annehmen können, was du mir von ihr erzähltest«, fuhr Maria erbarmungslos fort.
Hornblower suchte in seiner Erinnerung, und dabei fiel ihm ein, daß er in der Tat nur von ihrem Mut und von der Sicherheit gesprochen hatte, mit der sie sich unter Männern bewegte.
Damals gewann Maria den Eindruck, daß die Tochter des Earls in gewisser Hinsicht ein Mannweib war. Um so erfreuter war sie nun, ihre Meinung ändern und sie sowohl ihrer gesellschaftlichen Gewandtheit als auch ihrer freundlichen Art wegen bewundern zu können.
»Ja, sie ist eine charmante Frau«, nickte Hornblower.
Vorsichtig paßte er sich Marias Stimmung an.
»Sie fragte mich, ob ich dich auf deiner bevorstehenden Reise zu begleiten gedenke, und ich erklärte ihr, daß es angesichts der Zukunftshoffnungen, die wir zu hegen beginnen, nicht ratsam sei.«
»Was, das hast du ihr gesagt?« fragte Hornblower scharf. Nur mit Mühe gelang es ihm, sein Entsetzen nicht in seiner Stimme hörbar werden zu lassen.
»Sie wünschte mir Glück«, erzählte Maria, »und sie bat mich, auch dir ihre Glückwünsche zu übermitteln.«
Es verdroß Hornblower über die Maßen, daran zu denken, daß Maria ihre Schwangerschaft vor Lady Barbara erörtert hatte.
Den Grund seines Ärgers wagte er sich allerdings nicht einzugestehen, aber das Bewußtsein, daß Lady Barbara unterrichtet worden war, verwirrte seine Gedanken noch ärger als zuvor. Auf dem kurzen Heimwege fand er zudem keine Gelegenheit, sie zu ordnen.
»Oh«, seufzte Maria, als sie sich im Schlafzimmer befanden.
»Wie eng die Schuhe waren!«
Sie saß auf einem niedrigen Stuhl und rieb ihre in den weißen Baumwollstrümpfen steckenden Füße. Die auf dem Toilettentisch stehende Kerze ließ ihren Schatten an der gegenüberliegenden Wand tanzen. Als düsteres Rechteck hob sich der Schatten des Betthimmels von der Zimmerdecke ab.
»Hänge deinen guten Rock nur recht vorsichtig auf«, sagte Maria, die anfing, die Nadeln aus ihrem Haar zu ziehen.
»Ich will noch nicht schlafen«, erklärte Hornblower in heller Verzweiflung.
Jedes Mittel wäre ihm recht gewesen, sich jetzt in die Zurückgezogenheit seiner Kommandantenkajüte flüchten zu können, aber er wußte, daß ihm das versagt blieb. Die Stunde war dafür zu auffällig, und die Galauniform würde ihn lächerlich gemacht haben.
»Du willst noch nicht schlafen gehen?« Es sah Maria ähnlich, seine eigenen Worte zu wiederholen. »Wie sonderbar, nach einem so anstrengenden Abend! Hast du zuviel Ente gegessen?«
»Nein«, sagte Hornblower. Aussichtslos wäre es gewesen, Maria Erläuterungen geben zu wollen; aussichtslos jeder Fluchtversuch, der nur ihre Gefühle verletzt haben würde. Aus Erfahrung wußte er, daß er so etwas niemals übers Herz brachte.
Seufzend schnallte er den Säbel ab.
»Du brauchst dich nur behaglich zu Bett zu legen, dann schläfst du gleich«, meinte Maria. »Es sind uns ohnehin nur noch wenige gemeinsame Nächte gegönnt, Liebling!«
Das traf allerdings zu. Admiral Leighton hatte seinen Kommandanten bereits mitgeteilt, daß die Schiffe Pluto, Caligula und Sutherland dazu ausersehen seien, den sich gerade sammelnden Geleitzug für Ostindien bis zum Tajo zu bringen.
Damit trat wiederum die vermaledeite Frage der Mannschaftsergänzung an Hornblower heran. Wie, in drei Teufels Namen, sollte er rechtzeitig die Lücken ausfüllen? Das Bodmin-Gefängnis schickte ihm vielleicht noch ein paar Sträflinge, Die Offiziere, deren Rückkehr er von Tag zu Tag erwartete, brachten möglicherweise einige Freiwillige mit.
Unbedingt aber brauchte er noch fünfzig tüchtige Seeleute, und die fand man weder in Zuchthäusern noch auf den Marktplätzen.
»Es ist ein harter Dienst«, murmelte Maria, die an die bevorstehende Trennung dachte.
»Besser als für acht Pence in der Woche den Schulmeister zu spielen«, gab Hornblower zur Antwort. Er bemühte sich, leichthin zu sprechen. Vor ihrer Verheiratung hatte Maria Schulunterricht erteilt, wobei›Lesestunden‹vier,›Schreibstunden‹sechs und›Rechenstunden‹acht Pence brachten.
»Allerdings«, gab Maria zu. »Ich verdanke dir viel, Horatio.
So, hier hast du dein Nachthemd. Ich erinnere mich noch der Grobheiten, die ich einstecken mußte, als Miß Wentworth erfuhr, daß ich der Alice Stone die Multiplikation beigebracht hatte, obgleich ihre Eltern nur vier Pence bezahlten! Und dann war da die Geschichte mit dem undankbaren kleinen Hopper, der im Klassenzimmer Mäuse losließ. Aber weißt du, Liebster, das alles würde ich gern nochmals ertragen, wenn ich dich nur bei mir behalten könnte.«
»Das geht aber nicht, weil mich die Pflicht ruft«, sagte Hornblower, der sich das Nachthemd überstreifte. »Paß auf, ehe zwei Jahre vergangen sind, kehre ich mit einem ganzen Sack voll Goldstücken zurück. Prisengeld. Denke an meine Worte.«
»Zwei Jahre!« seufzte Maria.
Hornblower gähnte ausgiebig, und sofort fiel seine Frau auf diese Finte herein, wie er es nicht anders erwartet hatte. »Und da wagst du zu behaupten, daß du nicht müde bist!«
»Der Schlaf hat sich ganz plötzlich eingestellt. Mag sein, daß der Portwein des Admirals anfängt, seine Schuldigkeit zu tun.
Ich kann jedenfalls kaum noch die Augen offenhalten. Gute Nacht, Liebste.«
Er küßte die vor dem Toilettentisch Sitzende, wandte sich dann eilends ab und kletterte in das geräumige Bett, wo er sich bis zur äußersten Kante schob und starr liegenblieb, bis Maria die Kerze ausgeblasen und sich neben ihn gelegt hatte. Erst als ihr Atem ruhig und gleichmäßig geworden war, wagte er sich zu entspannen. Er änderte seine Lage und ließ seinen wirbelnden Gedanken die Zügel schießen.
Ihm fiel ein, was Bolton mit vielsagendem Augenzwinkern gesagt hatte, als sie sich im Laufe des Abends in einer Ecke zusammengefunden hatten, in der sie nicht belauscht werden konnten.
»Für die Regierung verkörpert er sechs Stimmen«, meinte der Kommandant der Caligula, wobei er zum Admiral hinüberdeutete.
Bolton war ein tüchtiger Seemann, sonst aber ziemlich beschränkt. Er hatte jedoch gelegentlich eines Besuches in London an einem Lever teilgenommen und allerlei Klatsch in Erfahrung gebracht. Der arme alte König begann abermals in Wahnsinn zu verfallen. Es war klar, daß die Bestellung einer Regentschaft dringend erforderlich wurde. Das aber konnte den Rücktritt der Konservativen und das Kommen der Liberalen bedeuten. Die sechs Stimmen Leightons waren für die Regierung sehr wichtig. Angesichts des Umstandes, daß der Marquis Wellesley das Amt des Außenministers und sein Bruder Henry jenes des britischen Gesandten in Spanien versah, während Sir Arthur Wellesley - wie war doch gleich sein neuer Titel?... Richtig, Lord Wellington - den Oberbefehl auf der Pyrenäenhalbinsel führte, konnte es kaum überraschen, daß Lady Barbara Wellesley den Admiral Sir Percy Leighton heiratete, und noch weniger, daß diesem ein Kommando im Mittelmeer übertragen wurde. Die Aufsässigkeit der Opposition wuchs von Tag zu Tag, und das Schicksal der Welt hing in der Schwebe.
Unruhig drehte sich Hornblower auf die andere Seite, aber eine dadurch hervorgerufene Bewegung Marias ließ ihn sofort wieder erstarren. Nur noch eine kleine Gruppe von Männern, innerhalb deren die Wellesley die Führung hatten, hielt an dem Entschluß fest, gegen die Vorherrschaft des Korsen zu kämpfen.
Der geringste Rückschlag, mochte er sich zu Lande, zu Wasser oder gar im Parlament ereignen, konnte sie aus ihren hohen Stellungen stürzen, ihre Köpfe in bedrohliche Nähe des Henkerblocks bringen und ganz Europa ins Verderben führen.
Einmal im Verlauf des Abends hatte Hornblower allein neben der Dame des Hauses gestanden und darauf gewartet, daß sie seine Teetasse füllte. »Ich habe mich sehr gefreut, als mir mein Mann mitteilte, daß Sie das Kommando der Sutherland erhielten«, hatte sie gemurmelt »Gegenwärtig bedarf England aller seiner besten Führer.«
Offenbar hatten die Worte mehr bedeutet, als sie ausdrückten.
Wahrscheinlich wollte Lady Barbara auf die Notwendigkeit hinweisen, Leighton im Kommando zu erhalten. Andererseits konnte er aus ihrer Bemerkung nicht schließen, daß sie sich für ihn - Hornblower - verwendet hatte. Immerhin bot ihm die Vorstellung, daß sie Sir Percy nicht aus Liebe geheiratet hatte, eine gewisse Genugtuung. Der Gedanke, Lady Barbara in einen anderen verliebt zu sehen, war ihm verhaßt. Angestrengt suchte er sich jedes an den Gatten gerichteten Wortes, jedes ihm zugeworfenen Blickes zu erinnern. Nein, wie eine junge, den Auserwählten vergötternde Braut sah sie ganz gewiß nicht aus.
Trotz allem aber blieb die Tatsache, daß sie Leightons Gattin war und in dieser Minute mit ihm im Bett lag. Abermals empfand Hornblower seelische Qualen.
Dann riß er sich zusammen. Sehr vernunftgemäß sagte er sich, daß das Spiel mit derlei Gedanken nur dazu angetan war, ihn dem Wahnsinn nahezubringen. Entschlossen gab er seinen Erwägungen eine völlig andere Richtung und beschäftigte sich mit der Verproviantierung seines Schiffes. Einige Schweine wollte er ankaufen, zwei Dutzend Hühner und auch ein paar Schafe. Ferner war für einen Weinvorrat zu sorgen. Einen Teil konnte er später vorteilhafter im Mittelmeer kaufen, doch würde es sich empfehlen, fünf bis sechs Dutzend Flaschen mitzunehmen. Es konnte auf die Offiziere und Mannschaften einen schlechten Eindruck machen, wenn er nicht mit allem versehen war, was einem Kapitän z. S. zukam. Dauerte die Ausreise lange, so mußte er gelegentlich nicht nur die anderen Kommandanten, sondern auch den Admiral zu sich bitten. Sie alle würden die Nase rümpfen, wenn er ihnen die Schiffskost vorsetzte, die ihm selbst für gewöhnlich genügte. Die in Gedanken aufgestellte Liste wurde immer länger. Portwein, Sherry und Madeira... Äpfel und Zigarren... Rosinen und Käse...
Mindestens ein Dutzend Hemden und nochmals vier Paar Seidenstrümpfe, denn es stand zu erwarten, daß es viele offizielle Besuche an Land geben würde... Eine Kiste Tee...
Pfeffer, Nelken und andere Gewürze... Pflaumen und Feigen...
Wachskerzen. Alle diese Dinge waren erforderlich, um die Würde des Kommandanten wahren zu können. Auch verbot es ihm sein eigener Stolz, in den Augen der Mitmenschen als arm zu erscheinen.
Selbst wenn er das nächste Vierteljahrsgehalt auf die Ankäufe verwendete, würde er nicht zu viel beschaffen. Allerdings würde Maria während der kommenden drei Monate die Knappheit spüren, aber zum Glück war Maria sowohl an Armut als auch daran gewöhnt, Gläubiger vertrösten zu müssen. Es war hart für sie, aber wenn er jemals Admiral werden sollte, dann wollte er ihre Treue mit Luxus vergelten.
Auch Bücher gab es, die er zu kaufen wünschte. Nicht zur Unterhaltung - er besaß bereits eine Reihe von Werken, in denen er vor dem Einschlafen zu lesen pflegte - Gibbons »Verfall und Untergang des Römischen Reiches« gehörte dazu -, sondern um sich auf seine militärische Aufgaben vorzubereiten. In der gestrigen Ausgabe der Morning Chronicle hatte er einen Hinweis auf eine Schilderung des spanischen Krieges gefunden, die er sich gern beschafft hätte. Es gab indessen noch ein halbes Dutzend anderer Titel, für die er sich lebhaft interessierte. Je eingehender er über die Zustände auf jener Halbinsel, an deren Küsten er kämpfen sollte, unterrichtet war, je genauer er die Führer des spanischen Volkes kannte, desto besser. Bücher aber kosten Geld, und wo er solches hernehmen sollte, war ihm vorläufig noch nicht klar.
Abermals wälzte er sich herum, als er an das hartnäckige Pech dachte, das ihn hinsichtlich der Prisengelder verfolgt hatte. Die Admiralität hatte sich geweigert, auch nur einen Penny für die versenkte Natividad zu zahlen. Seit der Wegnahme der Castilla, die ihm als junger Offizier gelungen war, hatte ihm niemals das Glück gelächelt, während Fregattenkapitäne seines Bekanntenkreises Tausende von Pfunden verdient hatten. Es war zum Tollwerden, zumal er durch seine gegenwärtigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten an der Vervollständigung der Besatzung seines neuen Schiffes gehindert wurde. Die Unzulänglichkeit seiner Mannschaft quälte ihn von allen Sorgen am meisten; sie und der Gedanke daran, daß sich Lady Barbara in Leightons Armen befand. Damit war Hornblower wieder am Ausgangspunkt seiner Erwägungen angelangt, und der Kreislauf begann von neuem. Unzählige Dinge trugen dazu bei, ihm den Schlaf fernzuhalten, bis die Dämmerung durch die Fenstervorhänge schimmerte. Phantastische Vorstellungen von der Gemütsverfassung der Lady Barbara und harte, nüchterne Pläne, die Sutherland unter allen Umständen seeklar zu machen, drängten sich immer wieder in den Vordergrund.