8. Kapitel
Seiner Majestät Schiff Indefatigable glitt in die Bucht von Gibraltar hinein. Der diensttuende Leutnant Horatio Hornblower stand steif und selbstbewußt neben Kapitän Pellow auf dem Achterdeck und musterte durch seinen Kieker die Stadt Algeciras. Wie seltsam, daß sich hier zwei große Flottenstützpunkte gegnerischer Mächte auf knappe sechs Meilen Entfernung gegenüberlagen. Da war es natürlich angezeigt, Algeciras ständig gut im Auge zu behalten, während man sich dem Hafen näherte, da man immerhin gewärtigen mußte, daß dort unversehens ein spanisches Geschwader auslief, um sich auf die einlaufende Fregatte zu stürzen.
»Acht Schiffe - neun Schiffe mit gekreuzten Rahen, Sir«, meldete Hornblower.
»Danke«, gab ihm Pellow zur Antwort. »Klar zum Wenden!«
Die Indefatigable ging auf den anderen Bug und lag jetzt den Molenkopf an. Der Hafen von Gibraltar lag wie immer voller Schiffe, war er doch der gegebene Stützpunkt für alle englischen Flottenunternehmungen im Mittelmeer. Pellow ließ die Marssegel aufgeien und das Ruder legen. Dann rauschte die Ankertroß polternd durch die Klüse, und die Indefatigable lag vor Anker.
»Lassen Sie meine Gig klarmachen«, befahl Pellow.
Er schätzte besonders Dunkelblau und Weiß als Farbenzusammenstellung für sein Boot und dessen Besatzung - dunkelblaue Hemden und weiße Hosen, dazu weiße Hüte mit blauen Bändern als Anzug für die Bootsgäste, dunkelblau, weiß abgesetzt für das Boot. Sogar die Riemen hatten weiße Schäfte und blaue Blätter. Es sah entschieden gut aus, wenn diese Gig unter dem kräftigen Schlag der Riemen schäumend durchs Wasser schoß, um Pellow zur Meldung beim Hafenadmiral an Land zu bringen. Kurz nach seiner Rückkehr kam ein Läufer zu Hornblower. »Herr Fähnrich möchten zum Kommandanten in die Kajüte kommen.«
»Erforsche einmal rasch dein Gewissen«, grinste Fähnrich Bracegirdle, »was hast du denn verbrochen?«
»Das möchte ich selbst wissen«, meinte Hornblower ehrlich.
Es war immer ein banger Augenblick, wenn man aus heiterem Himmel zum Kommandanten befohlen wurde. Hornblower mußte schlucken, als er die Tür zur Kajüte erreichte, dann riß er sich zusammen und klopfte an. Offenbar bestand kein Grund zur Aufregung, denn Pellow hob den Blick lächelnd von seinem Schreibtisch.
»Ach, Mr. Hornblower«, sagte er, »ich glaube, ich habe eine gute Nachricht für Sie. Morgen soll hier auf der Santa Barbara eine Leutnantsprüfung stattfinden. Ich nehme an, Sie sind genügend vorbereitet.«
Hornblower wollte schon sagen: ›Das hoffe ich, Sir‹, besann sich aber rechtzeitig eines Besseren: »Jawohl, Sir«, erwiderte er.
Pellow konnte Ausflüchte nicht leiden.
»Also schön, dann melden Sie sich dort um drei Uhr nachmittags mit Ihren Zeugnissen und Logbüchern.«
»Aye, aye, Sir.«
Für eine so wichtige Angelegenheit war das Gespräch reichlich kurz gewesen. Hornblower war nun nach Pellows Befehl seit zwei Monaten diensttuender Leutnant. Morgen sollte er in die Prüfung steigen. Bestand er sie, dann bestätigte der Admiral am folgenden Tag diese Bestallung und beförderte ihn damit zum Leutnant mit einem Dienstalter von zwei Monaten.
Wie aber, wenn er durchfiel? Das hieß nichts anderes, als daß er noch nicht zum Leutnant taugte. Man machte ihn also wieder zum gewöhnlichen Fähnrich, die zwei Monate Dienstalter waren damit verloren, und er mußte sechs Monate warten, ehe er sich von neuem zur Prüfung melden konnte. Acht Monate Dienstalter mehr oder weniger - davon hing ungeheuer viel ab, das konnte entscheidend für seine ganze weitere Laufbahn sein.
»Sagen Sie Mr. Bolton, daß Sie morgen mit meiner Erlaubnis von Bord gehen dürfen. Ich stelle Ihnen dazu ein Boot zur Verfügung.«
»Danke, Sir.«
»Hals und Beinbruch, Hornblower.«
In den nächsten vierundzwanzig Stunden mußte Hornblower nicht nur versuchen, Nories Abriß der Navigation und Clarkes Handbuch der Seemannschaft noch einmal rasch zu überfliegen, sondern auch dafür sorgen, daß seine beste Uniform in Schuß kam. Es kostete ihn seine Rumration, daß der Deckoffizierskoch dem Fähnrichssteward erlaubte, ein Bügeleisen in der Kombüse heiß zu machen, um seine Halsbinde zu bügeln. Bracegirdle lieh ihm ein reines Hemd, aber dann mußte er zu seiner größten Aufregung entdecken, daß der Messevorrat an Stiefelwichse völlig eingetrocknet war. Zwei Fähnriche mußten das Zeug mit Speck wieder weich machen, aber Hornblowers Schnallenschuhe wollten durchaus keinen Glanz annehmen, als man sie damit bearbeitete. Nur unermüdliche Behandlung mit der gemeinsamen Schuhbürste, deren Borsten immer weniger wurden, und kräftiges Nachreiben mit einem weichen Tuch gaben diesen Schuhen noch so viel Glanz, daß man sich bei einer Leutnantsprüfung damit sehen lassen konnte. Und nun gar der Dreispitz! Ein Dreispitz hat in einer Fähnrichsmesse nichts zu lachen, die schlimmsten Beulen ließen sich beim besten Willen nicht mehr unsichtbar machen. »Nimm ihn ab, sobald du kannst, und halte ihn nach Möglichkeit unter dem Arm«, riet Bracegirdle. »Vielleicht sieht man dich gar nicht an Bord kommen.«
Die Kameraden waren alle an Deck, als Hornblower, den Säbel umgeschnallt, in schneeweißer Hose und Schnallenschuhen von Bord ging. Sein Bündel Logbücher trug er unter dem Arm und sein Zeugnis über Nüchternheit und gute Führung wohlverwahrt in der Tasche. Der winterliche Nachmittag war schon weit vorgeschritten, als er zur Santa Barbara gerudert wurde und dort an Bord stieg, um sich beim Wachhabenden Offizier zu melden.
Die Santa Barbara war eine der Prisen, die Rodney im Jahre 1780 vor Cadiz aufgebracht hatte. Seitdem verrottete sie hier ohne Masten an ihrer Mooring und diente im Frieden als Vorratslager, im Kriege als Gefangenenhulk. Soldaten in roten Röcken mit geladenen Musketen und aufgepflanzten Bajonetten bewachten die Fallreeps. Die Karronaden auf Back und Achterdeck waren binnenbords und abwärts gerichtet, so daß sie das Mitteldeck bestreichen konnten, wo eben ein paar unglückliche, in Lumpen gehüllte Gefangene Luft schnappten.
Als Hornblower das Oberdeck betrat, wehte ihm aus den unteren Räumen ein übler Gestank entgegen, wo zweitausend Gefangene zusammengepfercht leben mußten. Hornblower meldete sich beim Wachhabenden Offizier an Bord und unterrichtete ihn über den Zweck seines Kommens.
»Wer hätte das gedacht?« sagte der Wachhabende Offizier, ein älterer Leutnant mit weißen Haaren, die ihm bis auf die Schultern herabfielen, und musterte Hornblower, der in makelloser Uniform, die Aktentasche unter dem Arm, vor ihm stand. »Fünfzehn Ihrer Sorte sind schon an Bord und - ach, du lieber Himmel, schauen Sie nur!«
Eine ganze Flottille kleiner Boote strebte auf die Santa Barbara zu, und in jedem Boot saß mindestens ein Fähnrich in Dreispitz und weißer Hose, manche brachten sogar vier bis fünf.
»Jedem besseren jungen Herrn in der Mittelmeerflotte steht eben der Sinn nach den Epauletten«, meinte der Leutnant. »Was wird die Prüfungskommission sagen, wenn sie sieht, wie viele sich da bewerben wollen? Weiß Gott, ich möchte nicht in eurer Haut stecken, nicht um viel. Aber gehen Sie einstweilen achteraus, und warten Sie dort in der Kammer an Backbord.«
In dem angegebenen Raum herrschte bereits eine drangvolle Enge. Als Hornblower eintrat, blickten ihm fünfzehn Augenpaare neugierig entgegen. Die Anwärter gehörten den verschiedensten Altersstufen von fünfzehn bis vierzig Jahren an, alle trugen ihre beste Uniform, und alle waren aufgeregt, ein paar hatten sogar Nories Handbuch aufgeschlagen auf den Knien und überlasen noch einmal rasch, was sie nicht genau im Kopf hatten. Eine kleine Gruppe ließ eine Flasche von Hand zu Hand wandern und trank sich damit Mut an.
Hornblower war kaum eingetreten, als ihm ein ganzer Strom von Neuankömmlingen folgte. Die Kammer füllte sich immer mehr und war bald gedrängt voll Menschen. Nur die Hälfte der vierzig Prüflinge fand noch einen Sitzplatz, die übrigen mußten stehen.
»Vor vierzig Jahren«, meldete sich eine entrüstete Stimme aus dem Hintergrund, »marschierte mein Großvater mit Clive, um die Plünderung Kalkuttas zu rächen, er würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüßte, wie man heute mit seinem Enkel umspringt.«
»Da nehmen Sie einen Schluck aus der Pulle«, sagte ein anderer, »und schlagen Sie sich die dummen Gedanken aus dem Kopf!«
»Wir sind unser vierzig«, bemerkte ein langer, klapperdürrer Fähnrich mit kaufmännischem Gehaben, als er mit zählen fertig war, »ich bin nur gespannt, wie viele bestehen werden. Ob wohl fünf zusammenkommen?«
»Ich sage, schlagt euch die Dummheiten aus dem Kopf«, fuhr der Trinker in der Ecke mit weinseliger Stimme dazwischen und stimmte zur Bekräftigung einen Kantus an: »Laßt die Grillen, laßt die Sorgen, denket nicht mehr an das Morgen...«
»Schluß, Schluß!« unterbrach ein anderer. »Horcht lieber!«
Vom Oberdeck her hörte man das langgezogene Zwitschern der Bootsmannspfeifen, dann ertönte ein lauter Befehl. »Ein Kapitän kommt an Bord«, bemerkte einer dazu. Ein anderer peilte durch den Türspalt hinaus: »Dreadnought Foster«, berichtete er.
»Herzlichen Glückwunsch, der quetscht einen aus bis aufs Blut«,meinte ein dicker junger Fähnrich, der bequem mit dem Rücken am Schott saß. Wieder zwitscherten die Pfeifen.
»Das ist Harvey von der Werft«, meldete der Ausguck.
Der dritte Kapitän folgte ihm auf dem Fuße.
»Der schwarze Charlie Hammond«, sagte der Ausguck, »schaut aus, als ob ihm die Felle weggeschwommen wären.«
»Was? Der schwarze Charlie?« rief da einer, sprang auf die Füße und drängte sich in größter Hast zur Tür durch. »Laß sehen! Richtig, er ist's! Dann weiß ich einen, der es gar nicht erst darauf ankommen läßt. Leider weiß ich nur zu genau, wie die Geschichte ausgehen würde. Noch sechs Monate Borddienst, Sir, bekäme ich zu hören und dazu ein paar goldene Worte über meine Unverschämtheit, mich, unwissend wie ich bin, zur Prüfung zu melden. Der schwarze Charlie wird mir nie vergessen, daß mir sein geliebter Pudel in Port of Spain aus dem Kutter gesprungen und ersoffen ist, als er I. O. auf der Pegasus war. Auf Wiedersehen, meine Herren - und empfehlen Sie mich der hohen Kommission.«
Damit verschwand er. Die anderen konnten noch sehen, wie er dem Wachhabenden Offizier seinen vorzeitigen Abgang erklärte und ein Mietboot herbeirief, um auf sein Schiff zurückzukommen.
»Immerhin, einer weniger«, meinte der junge Mann mit dem sachlichen Gehaben. »Nun, was ist?«
»Die Kommission läßt sagen«, meldete der Seesoldat, der hier Läuferdienste tat, »der erste der jungen Herren möge sich melden.«
Die Prüflinge blickten einander unschlüssig an, keiner wollte gern das erste Opfer sein.
»Wer der Tür am nächsten ist, meine ich, fängt an«, sagte ein älterer Steuermannsmaat. »Wie wäre es, Sir, wenn Sie den ersten machten?«
»Gut, spielen wir den Daniel«, antwortete der Ausguck von vorhin. »Ich bitte euch, betet für mich.«
Er zog seinen Rock glatt, schob die Halsbinde zurecht und verschwand. Die anderen warteten in bedrücktem Schweigen, das nur ab und zu durch das Gluckern der Flasche unterbrochen wurde, wenn sich der durstige Fähnrich in der Ecke einen Schluck zu Gemüte führte. So vergingen volle zehn Minuten, bis der erste Prüfling endlich wieder erschien. Um seine Lippen spielte ein tapferes Lächeln.
»Noch sechs Monate Borddienst, wie?« fragte einer aus der Runde.
»Nein, das nicht«, war die unerwartete Antwort, »nur drei... ich soll den nächsten hineinschicken, das wären Sie.«
Was sind Sie denn gefragt worden?«
»Ich mußte als erstes erklären, was eine Loxodrome ist... aber lassen Sie sie um Gottes willen nicht warten.«
Sogleich hatten einige dreißig der Anwesenden ihre Bücher aufgeschlagen, um über die Loxodrome nachzulesen.
»Sie waren volle zehn Minuten drinnen«, bemerkte der ewig rechnende Fähnrich, »und wir sind vierzig Mann - wenn das so weitergeht, dann wird es Mitternacht, bis der letzte drankommt.
Darauf lassen die sich niemals ein.«
»Hungrig und durstig werden sie dabei auch«, warf einer ein.
»Jawohl, durstig nach unserem Blut«, meinte ein anderer.
»Vielleicht verfallen sie auf die Idee, uns gruppenweise vorzunehmen«, vermutete ein dritter, »so wie es bei den französischen Tribunalen der Brauch ist.«
Das war richtiger Galgenhumor. Hornblower dachte unwillkürlich an die französischen Aristokraten, die noch am Fuße des Schafotts miteinander scherzten und lachten. Die Prüflinge gingen und kamen einer nach dem anderen, niedergeschlagene oder lächelnde Mienen verrieten, wie es ihnen ergangen war. Die Schar der Wartenden hatte sich schon erheblich gelichtet, so daß nun auch Hornblower Platz zum Sitzen fand. Mit einem Seufzer der Erleichterung streckte er die Beine aus, als ob ihm jetzt die ganze Welt gestohlen bleiben könnte. Aber schon im nächsten Augenblick gab er sich darüber Rechenschaft, daß diese ganze Gleichgültigkeit nichts als ein Theater war, das er sich selbst vorspielte, um seiner maßlosen Aufregung einigermaßen Herr zu bleiben. Der Winterabend brach herein, irgendeine barmherzige Seele sandte ein paar Talgkerzen, die in dem verdämmerten Raum ihr dürftiges Licht ausstrahlten.
»Einer von dreien kommt durch«, stellte der gewiegte Rechenmeister fest, »hoffentlich bin ich dieser eine.«
Als er gegangen war, stand Hornblower auf, denn nun war die Reihe an ihm. Er trat unter dem Halbdeck in die dunkle Nacht hinaus und sog die kalte, frische Luft tief in die Lungen. Vom Süden herwehte eine leichte Brise, die kühl von den schneebedeckten Bergen des Atlas herüberstrich. Mond und Sterne verbargen sich hinter Wolken. Der Rechenmeister war schon wieder da.»Machen Sie schnell«, sagte er, »man ist ungeduldig.«Hornblower ging an dem Posten vorbei und betrat die Kajüte. Dort war es strahlend hell, darum mußte er die Augen zukneifen, als er eintrat, und stolperte dabei über irgendein Hindernis. Erst jetzt fiel ihm ein, daß er weder seine Halsbinde zurechtgezogen noch nachgeprüft hatte, ob der Säbel richtig hing. Er mußte immer noch aufgeregt blinzeln, als er die strengen Gesichter hinter dem Prüfungstisch vor sich sah. »Darf ich bitten, Sir?« hörte er eine befehlsgewohnte Stimme sagen.
»Melden Sie sich doch endlich, wir haben nicht viel Zeit.«
»H-Hornblower, Sir. Horatio Hornblower. F-Fähnrich, das heißt diensttuender Leutnant Seiner Majestät Schiff Indefatigable.«
»Ihre Zeugnisse bitte«, sagte der Herr zur Rechten.
Hornblower reichte sie hin, und während er noch wartete, bis sie durchgesehen waren, ertönte es plötzlich von links:
»Sie liegen hart am Wind über Steuerbord-Bug, Mr. Hornblower, und kreuzen bei starkem Nordostwind kanaleinwärts. Dover peilt Nord, zwei Meilen ab. Ist das klar?«
»Jawohl, Sir.«
»Jetzt schießt der Wind plötzlich vier Strich aus, Ihre Segel schlagen back. Bitte Entschluß, Sir, was machen Sie?«
Wenn Hornblower in diesem Augenblick überhaupt etwas dachte, dann höchstens an die Loxodrome. Die Frage nahm ihm ebenso den Wind aus den Segeln, wie es dem Schiff geschah, um das sie sich drehte. Er klappte den Mund auf und zu, brachte aber keinen Laut hervor.
»Ihre Masten gehen über Bord«, verkündete der hohe Herr in der Mitte, er hatte eine auffallend dunkle Hautfarbe, woraus Hornblower schloß, daß es der schwarze Charlie Hammond sein müsse. So etwas ging ihm durch den Kopf, aber zu der gestellten Frage fiel ihm beim besten Willen nichts ein.
»Sie haben also keine Masten mehr«, ließ sich jetzt wieder der Herr zur Linken vernehmen und lächelte dazu wie ein Nero bei den letzten Zuckungen eines gemarterten Christen. »In Lee liegen die Klippen von Dover, Sie befinden sich also in einer sehr üblen Lage, nicht wahr, Mr.... richtig, Mr. Hornblower?«
Ja, seine Lage war wirklich übel. Wieder klappte er den Mund wortlos auf und zu. In seiner Benommenheit nahm er keine Notiz davon, daß irgendwo draußen, nicht allzuweit ab, ein Kanonenschuß losgegangen war. Auch die Prüfungskommission schien sich nicht dafür zu interessieren. Erst als einen Augenblick später eine ganze Reihe weiterer Schüsse fiel, sprangen die drei Kapitäne von ihren Stühlen hoch. Jetzt war jede Form vergessen, sie rannten aus der Kajüte und stießen den Posten vor der Tür einfach beiseite. Hornblower lief ihnen nach.
Als sie auf dem Mitteldeck anlangten, stieg eben eine Rakete in den Nachthimmel auf und zerbarst zu einem Schauer roter Sterne. Das war das Signal für allgemeinen Alarm, Trommelgerassel klang von der Reede her und verkündete, daß alle vor Anker liegenden Schiffe Klarschiff anschlugen. Am Backbordfallreep drängte sich der Rest der Prüflinge in aufgeregter Unterhaltung. »Sehen Sie, dort!« rief jemand aus.
Eine halbe Meile entfernt flammte über dem nachtdunklen Wasser ein gelber Lichtschein auf, das Feuer wuchs und wuchs - ein Schiff, das in hellen Flammen stand. Alle seine Segel waren gesetzt, es steuerte geradewegs auf die von Ankerliegern überfüllte Reede zu. »Brander!«
»Der Wachhabende Offizier! Rufen Sie meine Gig!« brüllte Foster. Eine Linie von Brandern lief vor dem Wind mitten in die dicht gedrängten Schiffe hinein, die hier vor Anker lagen. Auf der Santa Barbara herrschte bereits wildestes Durcheinander.
Matrosen und Seesoldaten strömten an Deck, Kapitäne und Prüflinge schrien nach Booten, die sie auf ihre Schiffe zurückbringen sollten. Eine Reihe rotgelber Blitze flammte über dem Wasser auf, gleich darauf dröhnte der Donner einer Breitseite. Eines der Schiffe feuerte mit seiner Artillerie auf einen Brander, um ihn zum Sinken zu bringen. Wenn nämlich einer dieser lichterloh brennenden Schiffsrümpfe, und wäre es nur für Sekunden Dauer, an ein ankerndes Schiff geriet, dann war es um dieses geschehen. Das trockene, von Farbe getränkte Holz, das geteerte Tauwerk, die leicht entzündlichen Segel fingen so rasch Feuer, daß an Löschen nicht mehr zu denken war. Für die Männer auf diesen wie Zunder brennenden Schiffen, die obendrein eine Menge Sprengstoff mit sich führten, war Feuer die tödlichste und daher am meisten gefürchtete Gefahr auf See.
»Das Mietboot dort!« brüllte Hammond plötzlich. »Das Mietboot! Kommen Sie längsseit! Längsseit kommen, verdammt noch mal!« Er hatte mit raschem Blick die vorbeirudernde zweiriemige Jolle entdeckt. »Längsseit kommen, oder ich schieße Sie über den Haufen!« ergänzte Foster. »Posten, halten Sie sich klar, dem Kerl eins aufs Fell zu brennen.«
Auf diese Drohung hin drehte die Jolle heran und hielt auf die Kreuzrüsten zu.
»Das wäre geschafft, meine Herren«, sagte Hammond.
Die drei Kapitäne rannten nach den Kreuzrüsten und schwangen sich in das Boot. Hornblower blieb ihnen dicht auf den Fersen, weil er nur zu genau wußte, wie schwer es für einen jungen Fähnrich war, ein Boot zu ergattern, das ihn auf sein Schiff zurückbrachte. Und dorthin mußte er jetzt, das gebot ihm seine Pflicht. Wenn die Kapitäne auf ihren Schiffen waren, dann konnte ihn dieses Boot noch auf die Indefatigable bringen. Er sprang also noch in die Achterplicht, als es schon absetzen wollte, und fiel dabei so auf Kapitän Harvey, daß es diesem den Atem verschlug. Seine Säbelscheide schlug laut klappernd auf das Dollbord. Die drei Kapitäne schienen sich aus seiner Anwesenheit nichts zu machen, jedenfalls nahmen sie keine Notiz von ihm.
»Zur Dreadnought«, befahl Foster.
»Nein«, sagte Hammond, »ich bin hier der Älteste. Zur Calypso.«
»Also zur Calypso«, sagte Harvey. Er hatte die Pinne genommen und steuerte das Boot über das nachtschwarze Gewässer.
»Pull aus, pull aus!« rief Foster voll quälender Ungeduld. Sein Schiff in Gefahr zu wissen und nicht an Bord zu sein, das ist für einen Kommandanten wohl die ärgste aller Prüfungen.
»Da kommt einer angesegelt«, sagte Harvey.
Eine kleine Brigg kam unter Marssegeln rechts von vorn auf sie zu. Sie sahen genau, daß das Schiff bereits brannte. Während sie noch beobachteten, loderte das Feuer überall hell und schien das ganze Fahrzeug förmlich einzuhüllen. Es war ein Schauspiel, das fast an ein Feuerwerk gemahnte. Die Flammen züngelten aus allen Öffnungen in der Bordwand, vor allem aber schlugen sie aus den Luken, so daß sogar das Wasser rings um die Brigg mit Glut übergossen schien. Jetzt sah man, wie sie plötzlich Fahrt verlor und langsam herumschwang.
»Sie ist auf die Ankertroß der Santa Barbara gelaufen«, sagte Foster.
»Gleich kommt sie wieder frei«, meinte Hammond, »dann gnade Gott denen, die dort an Bord sind. Noch eine Minute, und sie ist längsseit.«
Hornblower dachte an die zweitausend Spanier und Franzosen, die auf der Hulk unter Deck gefangensaßen.
»Ein Mann am Ruder könnte sie klarsteuern«, sagte Foster.
»Los, das wird gemacht.«
Dann ging alles sehr schnell. Harvey legte Ruder. »Pull aus!« befahl er den Bootsleuten.
Begreiflicherweise zögerten die, sich dem lichterloh brennenden Rumpf zu nähern.
»Pull!« befahl Harvey nochmals und riß dabei seinen Säbel aus der Scheide. Die Klinge blitzte im Widerschein der Flammen, als er ihre Spitze drohend auf den Hals des Mannes am Schlagriemen richtete. Mit einem Seufzer der Ergebung legte sich der Mann ins Zeug, und das Boot schoß auf das Ziel zu.
»Bringen Sie uns unter das Heck«, sagte Foster, »so nah, daß ich hinüberspringen kann.«
Endlich fand Hornblower die Sprache wieder:
»Lassen Sie mich hinüber, Sir, ich komme schon zurecht.«
»Wenn Sie wollen, kommen Sie mit«, antwortete Foster.
»Besser, wir sind zu zweit.«
Sein Spitzname »Fürchtenichts« Foster war natürlich auf den Namen seines Schiffes Dreadnought zurückzuführen, aber er paßte doch zugleich großartig zu diesem Mann. Harvey brachte das Boot unter das Heck des Branders. Der lag jetzt wieder vor dem Wind und nahm gerade Fahrt auf, er lief genau auf die Santa Barbara zu.
Für den Bruchteil einer Sekunde war Hornblower von allen Männern im Boot der Brigg am nächsten, und Zeit war nicht mehr zu verlieren. Er sprang auf die Ducht und setzte hinüber, seine Hände fanden Halt, ungeschickt zappelnd zerrte und stemmte er sich hoch und gelangte schließlich an Deck. Da die Brigg vor dem Wind lag, wehten die Flammen nach vorn, hier achtern war es nur fürchterlich heiß, aber das Prasseln des Feuers, das Krachen und Bersten des brennenden Holzes verursachten einen ohrenbetäubenden Lärm. Hornblower trat ans Ruder und griff in die Speichen, aber das Ruder war mit der Bucht einer Leine festgelascht. Erst als er diese losgeworfen hatte und von neuem zu steuern versuchte, fühlte er den Druck des Wassers auf das Ruderblatt. Jetzt warf er sich mit aller Kraft in die Speichen und wirbelte das Rad hart zu Bord. Die Brigg war eben im Begriff gewesen, Steuerbord Bug gegen Steuerbord Bug mit der Santa Barbara zu kollidieren. Das Feuer warf seinen gespenstischen Schein bereits auf die Back des bedrohten Schiffes und auf die vielen Menschen, die dort mit angstvollen Gesten das Nahen des Unheils verfolgten.
»Hart Backbord!« schrie Foster Hornblower ins Ohr. »Liegt hart Backbord«, antwortete Hornblower. In diesem Augenblick gehorchte die Brigg dem Ruder, ihr Bug drehte ab, und damit war der Zusammenstoß vermieden. Aus dem Luk hinter dem Großmast stieg jetzt eine riesige Flammengarbe auf und setzte Mast und Riggen in Brand, im gleichen Augenblick trieb ein Windstoß eine Feuerwelle achteraus. Von seinem Instinkt getrieben, nahm Hornblower eine Hand vom Ruder, riß sich die Halsbinde ab und hielt sie sich vor das Gesicht. Die Flammen hüllten ihn eine Sekunde lang züngelnd ein, in der nächsten waren sie wieder verschwunden.
Der Zwischenfall hatte ihn lange genug abgelenkt, um eine neue Gefahr heraufzubeschwören. Die Brigg hatte inzwischen mit Hartruder weitergedreht, so daß jetzt ihr ausschlagendes Heck mit dem Bug der Santa Barbara zusammenzustoßen drohte. Hornblower drehte das Ruder mit der Kraft der Verzweiflung den anderen Weg. Die Flammen hatten Foster bis an die Heckreling achteraus getrieben, jetzt kam er wieder zurück.
»Hart Steuerbord das Ruder!«
Die Brigg gehorchte bereits. Sie scheuerte mit ihrem Steuerbord-Achterdeck an der Santa Barbara entlang, noch ein Stoß, und die beiden Schiffe waren voneinander klar.
»Ruder mittschiffs!« schrie Foster.
In höchstens drei Meter Entfernung glitt der Brander an der Santa Barbara entlang, wo eine Schar Männer besorgt und abwehrbereit längs der Reling mitlief. Auf dem Achterdeck stand eine weitere Gruppe mit einer Spier klar, um den Brander abzusetzen. Hornblower nahm das alles mit einem Seitenblick in sich auf, während sie vorüberglitten. Jetzt waren sie endgültig frei.
»An Backbord voraus liegt die Dauntless. Sehen Sie zu, daß Sie klarscheren.«
»Aye, aye, Sir.«
Der Lärm des Feuers war fürchterlich. Ein wahres Wunder, daß man auf dieser kleinen Ecke des Decks noch atmen und leben konnte. Hornblower spürte den unheimlichen Gluthauch an den Händen und im Gesicht. Beide Masten waren riesige Flammenpyramiden.
»Einen Strich Steuerbord«, befahl Foster. »Wir wollen das Schiri auf der Bank vor der neutralen Zone auf Grund setzen.«
»Einen Strich Steuerbord«, bestätigte Hornblower.
Eine Woge begeisterten Überschwangs hatte ihn gepackt und trug ihn mit sich fort. Das Prasseln der Flammen berauschte ihn, in seiner Beschwingtheit kannte er keine Angst. Plötzlich riß das ganze Deck bis zwei Meter vor dem Ruder flammend auseinander, Feuer züngelte aus den klaffenden Nähten, und die Hitze wurde vollends unerträglich. Offenbar breitete sich der Brand im Achterdeck unheimlich rasch aus, das verrieten die Decksnähte, die sich immer weiter nach achtern zu öffneten.
Hornblower tastete nach der Leine, um das Ruder wieder zu laschen, aber ehe er noch so weit kam, fühlte er, wie sich das Rad frei und ohne Gegendruck in seinen Händen drehte.
Wahrscheinlich waren die Ruderreeps unter Deck durchgebrannt. Gleichzeitig warfen und hoben sich schon die Decksplanken unter seinen Füßen in der Hitze des Feuers. Er taumelte zurück an die Heckreling. Dort stand auch Foster.
»Ruderreeps durchgebrannt, Sir«, meldete er. Die Flammen schlugen neben ihnen aus dem Deck. Hornblowers Rockärmel begann zu schwelen. »Springen!« befahl Foster.
Hornblower fühlte, wie ihn Foster zur Reling zog. Das war doch alles Wahnsinn! Er kletterte außenbords, schnappte ein paarmal entgeistert nach Luft, als er über der Tiefe hing, und fühlte, wie es ihm beim Aufschlag auf das Wasser den Atem verschlug. Das Wasser schlug über ihm zusammen, in einem Anfall panischer Angst arbeitete er sich wieder hoch. Es war schneidend kalt - im Dezember ist auch das Mittelmeer kalt.
Einstweilen trug ihn noch die Luft in seinen Kleidern, obwohl ihm der Säbel schwer an der Seite hing, aber er konnte in der Dunkelheit ringsum nichts unterscheiden, zumal er immer noch vom Feuer geblendet war. Neben ihm plätscherte jemand im Wasser.
»Das Boot ist uns gefolgt, um uns wieder aufzunehmen«, hörte er Fosters Stimme. »Können Sie schwimmen?«
»Jawohl, Sir, aber nicht besonders gut.«
»Dann geht es Ihnen ähnlich wie mir«, sagte Foster, dann rief er mit erhobener Stimme: »Ahoi, ahoi! Hammond, Harvey, ahoi!«
Er suchte sich beim Rufen so hoch wie möglich aus dem Wasser zu heben, fiel aber sofort wieder klatschend zurück. So trieb er es patschend und spritzend eine ganze Weile weiter; wenn er etwas sagen wollte, verschloß ihm aber das Wasser oft genug den Mund. Hornblower hielt sich derweilen mühsam an der Oberfläche und hatte mit zunehmender Schwäche zu kämpfen, aber da er nun einmal stets voller Einfälle stak, verweilte er sogar in dieser schlimmen Lage bei der interessanten Feststellung, daß auch die rangältesten Kapitäne am Ende sterbliche Menschen waren. Er versuchte sein Säbelkoppel auszuhaken, aber es wollte ihm nicht gelingen. Der Erfolg war nur, daß er dabei tief unter Wasser geriet und nur mit letzter Anstrengung wieder die Oberfläche gewann. Eine Weile schnappte er nach Luft, dann versuchte er wenigstens den Säbel aus der Scheide zu ziehen. Das brachte er zunächst nur halb zustande, erst nach weiteren Bemühungen glitt die Waffe durch ihr eigenes Gewicht vollends heraus. Dennoch fühlte er sich nachher um kein Gramm leichter.
Jetzt hörte er endlich das Plätschern und Knarren von Riemen und dazu laute Stimmen, dann sah er den Schatten eines näher kommenden Bootes und stieß einen gurgelnden Schrei aus. In wenigen Sekunden hatte das Boot die beiden Schwimmer erreicht. Hornblower griff in panischer Angst nach dem Dollbord und krallte sich daran fest.
Die Bootsgäste holten Foster über den Spiegel an Bord.
Hornblower wußte, daß er jetzt noch warten mußte und auf keinen Fall versuchen durfte, von der Seite ins Boot zu klettern.
Dennoch kostete es ihn die größte Überwindung, ruhig an der Seite hängenzubleiben und zu warten, bis er an der Reihe war.
Er gab sich Rechenschaft über die panische Angst, die ihn soeben befallen hatte. Sie war ohne Zweifel verächtlich, aber doch ernsten Nachdenkens wert. Nochmals mußte er alle Willenskraft bewußt zusammennehmen, um die krampfhaft an das Dollbord gekrallten Hände abwechselnd von ihrem Halt zu lösen, damit ihn die Männer im Boot an den Spiegel bringen konnten. Dann zogen sie ihn endlich binnenbords. Er fiel mit dem Gesicht nach unten auf die Bodenbretter und war nahe daran, das Bewußtsein zu verlieren. Da hörte er jemand sprechen. Ein kalter Schauder lief ihm über den Rücken, und seine schlaffen Muskeln spannten sich. War das nicht Spanisch gewesen? Er mußte es annehmen, da er kein Wort verstanden hatte.
Ein zweiter antwortete in der gleichen Sprache. Hornblower versuchte sich aufzurichten, aber eine Hand legte sich schwer auf seine Schulter. Er rollte sich zur Seite und unterschied jetzt, da sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, drei dunkelhäutige Gesichter mit langen schwarzen Schnurrbärten.
Diese Männer kamen bestimmt nicht aus Gibraltar. Im nächsten Augenblick wurde ihm klar, wen er da vor sich hatte - es war die Mannschaft eines Branders. Die Leute hatten ihr Schiff an der Mole vorbeigesteuert, es dann in Brand gesteckt und suchten jetzt mit dem Boot zu entkommen. Foster hockte zusammengekauert auf den Bodenbrettern. Jetzt hob er den Kopf von den Knien und starrte um sich.
»Was sind das für Kerle?« fragte er mit matter Stimme - der Kampf gegen das Ertrinken hatte ihn nicht minder mitgenommen als Hornblower.
»Eine spanische Branderbesatzung, vermute ich, Sir,« sagte Hornblower. »Wir sind gefangen.«
»Weiß Gott!«
Diese traurige Erkenntnis weckte ihn genau wie Hornblower aus seiner Lethargie. Er versuchte sofort auf die Beine zu kommen, aber der Spanier am Ruder legte auch ihm gleich eine Hand auf die Schulter und drückte ihn wieder nieder. Foster versuchte, die Hand wegzuschieben, und stieß einen schwachen Schrei aus, aber der Mann am Ruder verstand offenbar keinen Spaß. Blitzschnell zog er ein Messer aus seinem Gürtel, die Klinge blinkte rot im Feuerschein des Branders, der nun harmlos auf der nahen Untiefe verglühte. Da gab Foster seinen Widerstand auf. Man mochte ihn »Fürchtenichts« nennen, dennoch wußte er sehr wohl, wann Klugheit besser am Platze war als Mut.
»Welchen Kurs steuern wir?« fragte er Hornblower so leise, daß die Spanier nicht mißtrauisch wurden.
»Nord, Sir. Vielleicht wollen sie in der neutralen Zone landen und von dort über die Grenze gehen.«
»Das ist das beste für sie«, stimmte ihm Foster bei.
Er renkte sich fast den Hals aus, um einen Blick achteraus über den Hafen zu werfen.
»Dort liegen noch zwei andere brennende Schiffe«, sagte er.
»Ich glaube, es waren im ganzen drei, nicht wahr?«
»Ich habe drei gesehen, Sir.«
»Dann haben sie uns keinen Schaden getan. Aber ein schneidiges Unternehmen war es, das muß man den Leuten lassen. Wer hätte den Dons so etwas zugetraut?«
»Über Brander mögen sie manches von uns gelernt haben, Sir«, gab Hornblower zu bedenken.
»Sie meinen, daß wir unseren Gegnern selbst die Waffen lieferten, die sie jetzt gegen uns gebrauchen?«
»Das ist immerhin möglich, Sir.«
Dieser Foster war weiß Gott ein eiskalter Bursche. Wie hätte er sonst mit einem gezückten Messer im Rücken und auf dem Weg in die Gefangenschaft seelenruhig über den Krieg zur See sprechen können? Eiskalt - das galt in diesem Falle nicht nur im übertragenen Sinne. Hornblower wenigstens schauderte es in seinem nassen Zeug, durch das jetzt der kalte Nachtwind bis auf die Haut drang. Nach all den Mühen und Aufregungen dieses Tages fühlte er sich grenzenlos schwach und elend.
»Boot ahoi!« rief es aus der Nacht, und zugleich tauchte in der Finsternis ein schwarzer Kernschatten auf. Der Spanier im Heck des Bootes legte sofort Hartruder und wies dem Rufer das Heck, während sich die Bootsgäste mit verdoppelter Kraft in die Riemen legten.
»Ein Wachboot...«, sagte Foster. Er wollte noch etwas hinzusetzen, aber eine neue Drohung mit dem gezückten Messer schnitt ihm das Wort ab. Es war zu erwarten, daß am Nordende der Reede ein Wachboot Dienst tat, wahrscheinlich hatten auch die Spanier damit gerechnet.
»Boot ahoi!« wiederholte sich der Ruf. »Auf Riemen oder ich schieße!«
Der Spanier gab keine Antwort, eine Sekunde später blitzte und knallte drüben eine Muskete. Die Kugel war nicht zu hören, aber der Schuß mußte wenigstens die ankernde Flotte alarmieren, auf die sie jetzt wieder zuhielten. Die Spanier ließen es offenbar darauf ankommen, sie ruderten verbissen weiter.
»Boot ahoi!« Diesmal kam der Ruf aus anderer Richtung, anscheinend rechts von vorn. Die Bootsgäste hielten im ersten Augenblick bestürzt mit Rudern inne, aber ein zorniger Ruf des Steurers hieß sie sofort wieder beginnen. Hornblower konnte das Boot jetzt ausmachen, es lag fast in der Kursrichtung mit gekreuzten Riemen und rief alsbald zum zweiten Male an. Der Spanier am Ruder schrie einen Befehl, worauf der Schlagmann strich und dem Boot eine scharfe Drehung gab, noch ein Befehl, und beide Bootsgäste legten sich wieder mit aller Kraft in die Riemen, so daß das Fahrzeug mit einem Satz voranschoß, um den Gegner zu rammen. Gelang es ihnen, das Boot, das ihnen den Weg verlegte, zum Kentern zu bringen, dann hatten sie trotz allem noch Aussicht zu entkommen, weil sich der zweite Verfolger zunächst damit aufhalten mußte, die Kameraden aus dem Wasser zu fischen. Jetzt jagten sich die Ereignisse in Sekundenschnelle, alles schrie mit voller Lungenkraft durcheinander. Ein Krach - das war der Zusammenstoß. Die beiden Boote legten sich hart auf die Seite, als der Spanier den Briten rammte, aber der gewünschte Erfolg blieb aus, das britische Boot war nicht gekentert. Irgendwer schoß mit einer Pistole, im nächsten Augenblick rauschte auch das Wachboot heran, seine Besatzung sprang in wahrer Berserkerwut zu den Spaniern hinüber. Einer stürzte sich mit solcher Wucht auf Hornblower, daß ihm der Atem wegblieb, und hätte ihn ums Haar mit seinen bloßen Händen erwürgt. Hornblower hörte, wie Foster schreiend Einspruch erhob, im nächsten Augenblick lockerte auch sein Gegner den Griff, und er hörte, wie der Fähnrich des Wachboots um Entschuldigung bat, daß ein Kapitän der Royal Navy von seinen Leuten so unziemlich behandelt worden war. Einer dieser Leute nahm die Blende von der Bootslaterne, daß ihr Licht auf den durchnäßten und zerschlagenen Foster und zugleich auf die gefangenen Spanier fiel, die mit verbissenen Mienen ihrem Schicksal entgegensahen.
»Boote ahoi!« rief es wieder aus dem Dunkel, ein viertes Boot tauchte auf und ruderte auf sie zu.
»Kapitän Hammond?« rief Foster. Der rauhe Klang seiner Stimme verhieß nichts Gutes.
»Gott sei Dank«, hörten sie Hammond sagen, als das Boot im schwachen Lichtkreis der Laterne erschien.
»Jetzt sind Sie glücklich da!« erwiderte Foster bitter.
»Als Ihr Brander von der Santa Barbara freigekommen war, briste es etwas auf, so daß wir nicht mehr mitkamen«, erklärte Harvey.
»Wir folgten Ihnen wirklich so rasch es ging. Mehr war von den beiden Bollwerkslöwen an den Riemen da nicht zu erreichen«, ergänzte ihn Hammond.
»Leider mußten erst die Spanier kommen, um uns zu retten«, höhnte Foster. Der Gedanke an das überstandene Ringen im Wasser regte ihn offenbar maßlos auf. »Ich hatte gedacht, ich könnte mich auf meine Freunde und Kameraden verlassen.«
»Was soll das heißen?« fragte Hammond bissig.
»Genau das, was ich gesagt habe. Ich spreche hier von Tatsachen, merken Sie sich das.«
»Das ist eine Beleidigung, Sir«, sagte Harvey, »und nicht nur für mich, sondern auch für Kapitän Hammond.«
»Ich beglückwünsche Sie zu dieser scharfsinnigen Feststellung«, entgegnete Foster.
»Ich verstehe«, sagte Harvey. »Es scheint mir auf keinen Fall angebracht, dieses Gespräch in Gegenwart der Mannschaften hier fortzusetzen. Sie werden durch einen Kameraden von mir hören.«
»Er soll mir willkommen sein.«
»Dann wünsche ich Ihnen gute Nacht, Sir.«
»Ich schließe mich dem an«, sagte Hammond. »Ruder an!«
Damit ruderte das Boot wieder aus dem Lichtkreis. Die Zeugen des Vorfalls waren noch immer sprachlos, sie konnten nicht begreifen, wie sich ein Mann so leichtfertig in neue Gefahren stürzen konnte, nachdem er eben dem Tod und der Gefangenschaft entronnen war. Foster blickte dem Boot wortlos einige Sekunden lang nach. Es sah fast aus, als täte ihm sein reichlich hysterisches Benehmen schon wieder leid.
»Ich habe bis morgen früh noch viel zu erledigen«, sagte er schließlich mehr zu sich selbst als zu den anderen und wandte sich dann an den Fähnrich, der das Wachboot führte:
»Sie, Sir, übernehmen die Gefangenen hier und bringen mich auf mein Schiff.«
»Aye, aye, Sir.«
»Kann sich einer der Anwesenden mit ihnen verständigen?
Ich möchte ihnen klarmachen, daß ich sie unter Kartell nach Cartagena schicken werde, ohne dort die Herausgabe anderer Gefangener zu fordern. Sie haben uns das Leben gerettet. Das ist das mindeste, was wir ihnen dafür schuldig sind.« Die letzten erklärenden Worte waren an Hornblower gerichtet.
»Das scheint auch mir als billig, Sir.«
»Und nun zu Ihnen, mein junger Freund aus dem Feuerofen.
Darf ich Ihnen aufrichtig danken? Sie haben Ihre Sache großartig gemacht. Wenn ich den morgigen Tag überlebe, dann werde ich dafür sorgen, daß Ihre Vorgesetzten von Ihrem Verhalten erfahren.«
»Danke, Sir«, entgegnete Hornblower und dachte schon an die Frage, die ihm noch auf der Seele brannte. Er mußte sich einen Ruck geben, ehe er sie auszusprechen wagte.
»Wie steht es denn um meine Prüfung, Sir, um mein Patent?«
Foster schüttelte den Kopf: »Die Prüfungskommission von heute wird wohl nie mehr zusammentreten. Da müssen Sie eben warten, bis sich eine neue Gelegenheit bietet.«
»Aye, aye, Sir«, sagte Hornblower in einem Ton, der deutlich seine Enttäuschung verriet.
Da rückte Foster näher zu ihm heran und sagte: »Überlegen Sie doch einmal, Mr. Hornblower. Meines Wissens standen Ihre Segel back, dann gingen Ihre Masten über Bord, und dabei lagen die Klippen von Dover dicht in Lee von Ihnen. Noch eine Minute, und Sie waren verloren - das Alarmgeschütz hat Sie buchstäblich im letzten Augenblick gerettet. Stimmt das oder stimmt es nicht?«
»Es stimmt wohl, Sir.«
»Dann vergessen Sie nicht, dankbar zu sein - dankbar für die kleinen Glücksfälle des Lebens und erst recht natürlich für die großen.«