7. Kapitel

Die alte Indefatigable lag in der Bucht von Cadiz vor Anker, als Spanien mit Frankreich Frieden schloß. Hornblower war gerade Fähnrich der Wache, so traf es ihn, Leutnant Chadd darauf aufmerksam zu machen, daß sich eine achtriemige Pinnaß näherte, an deren Heck die rotgoldene Flagge Spaniens wehte. Chadd entdeckte durch sein Glas ein paar goldene Epauletten und einen reichbestickten Dreispitz. Sofort gellte sein Befehl über Deck, der die Fallreepsgäste und die Seesoldatenwache ans Fallreep rief, um einem Kapitän in alliierten Diensten die von der Tradition geheiligte Ehrenbezeigung zu erweisen. Auch Pellow erhielt eiligst Meldung und erschien rechtzeitig am Fallreep, um seinen Besucher zu empfangen. Dort am Fallreep fand denn auch die ganze folgende Unterredung statt. Der Spanier nahm den gezogenen Hut vor den Leib und grüßte mit einer tiefen, förmlichen Verbeugung, dann reichte er dem Engländer einen versiegelten Umschlag.

»Mr. Hornblower, Sie sprechen doch französisch«, sagte Pellow, ohne das Schreiben zu öffnen, »reden Sie einmal mit dem Herrn. Ich lasse ihn bitten, mit mir zu einem Glas Wein unter Deck zu kommen.«

Aber der Spanier lehnte die Erfrischung unter neuen Verbeugungen höflich ab und bat Pellow, den Umschlag an Ort und Stelle zu öffnen. Pellow erbrach also das Siegel und versuchte, den französischen Text zu entziffern. Obwohl er kein Wort Französisch sprach, konnte er Geschriebenes zur Not lesen. Nach einer Weile gab er das Blatt an Hornblower weiter.

»Das heißt doch, daß die Dagos Frieden geschlossen haben, nicht wahr?« Hornblower quälte sich mühsam durch die ersten zwölf Zeilen. Sie enthielten nichts als die langatmigen Floskeln, mit denen der Absender, Seine Exzellenz der Herzog von Belchite, Grande Erster Klasse (es folgten noch achtzehn weitere Titel, endend mit dem eines Generalkapitäns von Andalusien), dem hochverdienten Schiffskommandanten und Ritter des Bathordens, Sir Edward Pellow, seine Grüße entbot.

Der zweite Absatz war ganz kurz und gab in wenigen Worten Kunde von dem Friedensschluß mit Frankreich.

Der dritte war wieder so lang wie der erste und bediente sich auch fast Wort für Wort der gleichen Phrasen, um mit einem feierlichen Abschiedsgruß zu enden.

»Jawohl, Sir, das ist der ganze Inhalt«, sagte Hornblower.

Aber der spanische Kapitän hatte zur Ergänzung seines Schreibens noch eine mündliche Botschaft zu überbringen.

»Bitte sagen Sie Ihrem Kommandanten«, sagte er in seinem lispelnden Spanisch-Französisch, »daß Spanien fortan seine Rechte als neutrale Macht wahrnehmen muß. Sie liegen hier schon seit vierundzwanzig Stunden vor Anker. Sollten Sie sich von diesem Augenblick an gerechnet« - er zog seine goldene Uhr aus der Tasche und warf einen Blick darauf - »in sechs Stunden noch im Schußbereich der Batterien von Puntales befinden, so sehen wir uns zu unserem Bedauern gezwungen, das Feuer auf Sie zu eröffnen.«

Hornblower blieb keine Wahl, er mußte diese brutale Eröffnung in ihrer ganzen rücksichtslosen Schärfe wiedergeben.

Pellow hörte ihm aufmerksam zu und wurde unter seiner Sonnenbräune blaß vor Wut.

»Sagen Sie ihm...«, brauste er auf, dann aber zwang er seine Erregung gewaltsam nieder. »Ich werde den Teufel tun und den Kerl merken lassen, daß er mich ärgern konnte.«

Er nahm den Hut vor den Leib, wie es ihm der Spanier vorgemacht hatte, und ahmte seine höfliche Verbeugung nach, so gut es ihm gelingen wollte. Erst dann wandte er sich wieder an Hornblower.

»Sagen Sie ihm, ich hätte von seiner Mitteilung mit bestem Dank Kenntnis genommen und bedauerte nur, daß sich unsere Wege infolge der obwaltenden Umstände von nun an trennen müßten. Ich hoffte jedoch sehr, daß mir seine persönliche Freundschaft erhalten bliebe, wie immer sich die Beziehungen zwischen unseren Staaten auch gestalten würden. Sagen Sie ihm - ach was, erzählen Sie ihm, was Sie wollen, Sie wissen ja, worauf es mir ankommt, nicht wahr, Hornblower? Wir wollen ihm einen würdigen Abgang verschaffen. Fallreepsgäste!

Bootsmannsmaaten! Tamboure!«

Jetzt erging sich Hornblower aus dem Stegreif in den liebenswürdigsten Redensarten und Komplimenten, die ihm gerade einfallen wollten. Nach jedem Satz, den er sprach, tauschten die beiden Kapitäne eine höfliche Verbeugung aus, der Spanier zog sich dabei jedesmal um einen Schritt zurück, und Pellow rückte ihm im gleichen Augenblick nach, damit ihm der andere auf keinen Fall im Benehmen den Rang ablief. Die Trommeln schlugen einen Wirbel, die Seesoldaten präsentierten, die Pfeifen schrillten und zwitscherten, bis der Spanier mit dem Kopf hinter der Bordwand verschwunden war. Dann straffte sich Pellows Haltung, er stülpte sich den Hut auf den Kopf und wandte sich an den Ersten Offizier:

»Mr. Eccles, ich möchte binnen einer Stunde Anker auf sein, bitte machen Sie das Schiff sofort seeklar.«

Dann stapfte er unter Deck, um in der Stille der Kajüte sein inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Die Toppgäste machten die Segel los und klar zum Setzen, von der Back her verriet das Klicken des Spills, daß man dort schon die Ankertroß kurzstag hievte. Hornblower stand mit Mr. Wales, dem Zimmermann, an der Backbord-Fallreepspforte. Die beiden genossen den Anblick der weißen Häusermassen der Stadt, die in dem Ruf stand, die schönste von ganz Europa zu sein.

»Ich war hier zweimal an Land«, sagte Wales. »Der Wein ist gut - vino nennen sie ihn hier -, sofern man an diesem Zeug überhaupt etwas findet. Aber ich rate Ihnen eins, Mr. Hornblower, rühren Sie hier nie einen Schnaps an. Der ist Gift, schieres Gift, sage ich Ihnen. Hallo, was ist denn das?

Anscheinend will man uns das Geleit geben.« Zwei lange, scharf gebaute Schiffe kamen aus der inneren Bucht zum Vorschein und nahmen Kurs auf die Indefatigable. Hornblower stieß unwillkürlich einen Schrei der Überraschung aus, als er Wales mit dem Blick folgte. Die näher kommenden Fahrzeuge waren Galeeren. Die Riemen, die aus ihren Bordwänden ragten, bewegten sich im exaktesten Gleichmaß auf und ab und blitzten hell in der Sonne, sooft sie federnd das Wasser schlugen. Diese hundert Riemen, die sich wie ein einziger bewegten, boten ein Bild von vollendeter Schönheit. Hornblower erinnerte sich an eine Verszeile bei einem lateinischen Dichter, die er als Schuljunge übersetzen mußte. Damals hatte er zu seiner Verwunderung erfahren, daß der Römer unter den »weißen Schwingen« eines Kriegsschiffs seine Riemen verstand. Jetzt konnte er sich überzeugen, wie treffend dieser Vergleich war.

Selbst eine Möwe im Flug, für Hornblower stets der Inbegriff vollendeter Bewegung, konnte nicht schöner sein als diese Galeeren. Sie lagen tief im Wasser und waren, gemessen an ihrer Breite, ungeheuer lang, die kurzen Masten hatten starken Fall nach achtern und trugen weder Segel noch die üblichen lateinischen Rahen. Die Wellen der Bucht schäumten hoch um ihre mit schimmernden Goldornamenten verzierten Steven, als sie gegen die leichte Brise angerudert kamen, und von ihren Toppen wehten die rotgoldenen Flaggen Spaniens. Auf - vorwärts - ab bewegten sich die Riemen in unwandelbarem Rhythmus, und ihre Blätter blieben dabei ständig haargenau ausgerichtet. Im Bug führte jedes der beiden merkwürdigen Fahrzeuge zwei lange, in Fahrtrichtung zeigende Geschütze.

»Das sind Vierundzwanzigpfünder«, sagte Wales, »damit schießen sie einen glatt in Stücke, wenn man das Pech hat, in einer Flaute mit ihnen aneinanderzugeraten. Dann kommen sie nämlich vier Strich von achtern angerudert, so daß man keine Kanone zum Tragen bringen kann, und bestreichen einen der Länge nach, bis man genug hat und die Flagge streicht. Und dann sei Gott den Armen gnädig - ich sage Ihnen, ein türkisches Gefängnis ist mir noch tausendmal lieber als ein spanisches.«

In Kiellinie, so genau ausgerichtet, als hätten sie Lineal und Meßkette dazu verwandt, passierten die Galeeren, von achtern kommend, dicht an der Bordseite der Indefatigable.

Trommelrasseln und Pfeifentrillern rief die Besatzung der Fregatte zur Ehrenbezeigung vor Flagge und Kommandowimpel der vorübereilenden Schiffe, ihr Gruß wurde von den Offizieren der Galeeren augenblicklich erwidert.

»Eigentlich könnte man allerlei dagegen sagen«, murmelte Wales in seinen Bart, »daß man vor diesen Burschen salutiert, als ob sie ausgewachsene Fregatten wären.«

Als die erste Galeere frei vom Bugspriet der Indefatigable war, ließ sie die Steuerbordriemen streichen und wirbelte dadurch trotz ihrer Länge und geringen Breite flink wie ein Kreisel um den Bug der Fregatte herum. Die leichte Brise stand von vorn und wehte in diesem Augenblick von der ersten und etwas später auch von der nachfolgenden zweiten Galeere her über das Schiff. Sie trug einen fauligen Gestank herüber, der alsbald auch an Hornblowers Nase drang. Allgemeine Pfuirufe an Deck bewiesen ihm, daß er nicht der einzige war, der diesen ekelhaften Dunst verspürte.

»Die stinken alle so«, erklärte Wales. »An jedem Riemen sitzen vier Mann, und fünfzig Riemen haben sie, das macht zweihundert Galeerensklaven, und die sind alle an ihre Duchten gekettet. Wer als Sklave an Bord kommt, wird ein für alle Male an seinen Platz gekettet und kommt von dort erst wieder los, wenn man ihn tot über Bord wirft. Zuweilen, wenn es nichts anderes zu tun gibt, wird die Bilge auch einmal von der Besatzung ausgewaschen, aber das kommt nicht allzuoft vor.

Bei den Dagos ist es nun einmal so, zumal nur recht wenige an Bord sind.«

Hornblower wollte wie immer alles genau wissen.

»Wie viele sind es denn, Mr. Wales?«

»Höchstens an die dreißig Mann«, erklärte ihm Wales in seiner lehrhaften Art, »gerade genug, um die Segel zu bedienen, wenn sie über See fahren, oder um die Kanonen zu besetzen, wenn es ins Gefecht geht - in diesem Fall nehmen sie nämlich ihre Rahen und Segel an Deck, wie sie es auch heute getan haben. Sie sehen also, Mr. Hornblower, wie das Verhältnis ist: Auf ganze dreißig Mann Besatzung kommen zweihundert Sklaven. Da kann es natürlich niemand wagen, die armen Teufel auch nur eine Sekunde loszulassen.«

Die Galeeren hatten kehrtgemacht und kamen nun vor dem Wind an der Steuerbordseite der Indefatigable entlang. Das Tempo der Ruderschläge hatte sich merklich verlangsamt, so daß Hornblower genügend Zeit fand, die seltsamen Schiffe genauer zu betrachten. Sie hatten eine auffallend niedrige Back und ein hochragendes Achterdeck, die über die ganze Länge des Fahrzeugs durch eine Laufbrücke miteinander verbunden waren.

Auf dieser Laufbrücke wanderte ein Mann mit einer Peitsche auf und ab. Die Ruderer saßen unsichtbar hinter der Verschanzung, ihre Riemen drehten sich in runden Öffnungen, die in die Bordwand geschnitten waren. Soweit Hornblower sehen konnte, waren diese Öffnungen durch Lederscheiben abgedichtet, die auf den Schäften der Riemen saßen, damit bei Seegang kein Wasser ins Schiff dringen konnte. Auf dem Achterdeck bedienten zwei Mann die Ruderpinne, neben ihnen stand eine Gruppe von Offizieren, deren goldbestickte Uniformen in der Sonne glitzerten. Wenn man von diesen goldenen Litzen und den beiden Vierundzwanzigpfünder-Buggeschützen absah, hatte Hornblower hier einen Schiffstyp vor Augen, mit dem schon die Alten ihre Seeschlachten ausgefochten hatten. Von Polybius und Thukydides gab es Beschreibungen damaliger Galeeren, denen diese hier fast wie ein Haar dem anderen glichen. Im übrigen waren ja noch kaum zweihundert Jahre vergangen, seit sich die Galeeren in der Türkenschlacht bei Lepanto ihr letztes großes Treffen lieferten. In jenen Schlachten der Vergangenheit hatten beide kämpfenden Parteien allerdings Hunderte solcher Schiffe ins Gefecht geführt. »Wie viele Galeeren mögen die Spanier noch im Dienst haben?«

»Nun, vielleicht ein Dutzend - ich weiß es nicht genau. Sie liegen gewöhnlich in Cartagena, hinter der Enge.«

Hornblower wußte, daß Wales mit diesem Ausdruck das Mittelmeer jenseits der Straße von Gibraltar meinte.

»Für den Atlantik sind sie wohl auch zu schwach«, bemerkte Hornblower.

Es fiel ihm schwer, sich über die Gründe Rechenschaft zu geben, die die Spanier dazu bestimmt haben mochten, diese kleine, altertümliche Flottille immer noch in Dienst zu halten.

Die Hauptrolle spielte dabei wohl das altererbte konservative Denken des Spaniers. Dazu kam, daß durch Verurteilung zur Galeere eine Menge Sträflinge untergebracht werden konnten, die sonst die Gefängnisse belastet hätten. Schließlich und endlich konnten Galeeren bei Windstille auch heute noch nützliche Arbeit leisten. Handelsschiffe, die beim Passieren der Straße von Gibraltar bekalmt wurden und hilflos in der Flaute trieben, fielen ihnen nur zu leicht zum Opfer, wenn sie von Cadiz oder Cartagena aus in See vorstießen. Und wenn es wirklich keine bessere Verwendung gab, dann taugten sie immer noch dazu, andere Schiffe in den Hafen oder nach See zu schleppen, wenn der Wind ungünstig stand.

»Mr. Hornblower«, sagte Eccles, »melden Sie dem Kommandanten das Schiff klar zum Inseegehen.«

Hornblower eilte mit seiner Meldung unter Deck.

Pellow hob den Kopf von seiner Arbeit am Schreibtisch:

»Melden Sie Mr. Eccles, ich käme sofort an Deck.«

Die südliche Brise war gerade stark genug, daß die Indefatigable die Huk der Einfahrt ohne Gefahr runden konnte.

Während der Anker gekattet wurde, braßte sie die Rahen herum und steuerte in schleichender Fahrt nach See hinaus. In der Stille, die dank der Mannszucht an Bord herrschte, vernahm man deutlich das Plätschern der Bugwelle - jene harmlos kindliche Melodie, die so gar nichts von der Wildheit und den Gefahren der See verriet, denen das Schiff entgegensteuerte.

Unter ihren Marssegeln machte die Indefatigable nicht mehr als drei Seemeilen Fahrt, und jetzt stürmten die Galeeren wiederum mit ihren schnellsten Riemenschlägen an ihr vorbei, als trügen sie ihre Unabhängigkeit von den Elementen stolz zur Schau.

Ihre goldenen Zierrate blitzten in der Sonne, als sie zu luward überholten, und wieder strich infernalischer Gestank den Männern auf der Indefatigable um die Nasen. »Ich wäre froh, wenn sie wenigstens in Lee blieben«, brummte Pellow, »aber so weit wird sich die spanische Höflichkeit wohl nicht versteigen.

Mr. Cutler!«

»Sir?« sagte der Stückmeister.

»Sie können mit dem Salut beginnen.«

»Aye, aye, Sir.«

Die vordere Karronade der Leeseite sandte den ersten donnernden Gruß, und das Fort Puntales begann alsbald mit der Antwort. Eine Nation ehrte hier die andere in einer Sprache, deren rollender Widerhall das ganze Rund der herrlichen Bucht erfüllte.

»Wenn wir diese Geschütze das nächstemal hören, werden sie wohl scharf geladen sein«, sagte Pellow mit einem scharfen Blick auf das Fort Punpales und die dort wehende Flagge Spaniens.

Es schien in der Tat, als hätte sich das Schicksal endgültig gegen England gewandt. Eine Nation um die andere war aus dem Bündnis gegen Frankreich ausgeschieden, einige unter dem Zwang der Niederlage, andere dank der erfolgreichen Diplomatie der kraftgeladenen jungen Republik. War nun einmal der erste Schritt, der vom Krieg zur Neutralität, getan, dann folgte allzuleicht der zweite von der Neutralität zum Krieg auf der anderen Seite, das lag für jeden denkenden Menschen auf der Hand. Auch Hornblower sah es kommen, daß ganz Europa vielleicht schon in naher Zukunft vereint gegen England stand. Dann begann für dieses alte England ein Kampf auf Leben und Tod nicht nur gegen ein zu neuer Jugend erblühtes Frankreich, sondern gegen die ganze in Feindseligkeit vereinte Welt.

»Setzen Sie bitte mehr Segel, Mr. Eccles«, sagte Pellow.

Zweihundert geübte Beine eilten nach oben, zweihundert geübte Arme lösten die weißen Segel. Sofort verdoppelte die Indefatigable ihre Fahrt und legte sich unter dem Druck der leichten Brise sogar etwas auf die Seite. Jetzt spürte sie schon die atlantische Dünung unter dem Kiel, und den Galeeren erging es natürlich ebenso. Als die Indefatigable an ihnen vorüberzog, konnte Hornblower beobachten, wie ihr Führerschiff die Nase tief in einen Roller steckte, so daß das ganze Vorschiff in einer Wolke von Gischt verschwand. Das war zuviel für diese gebrechlichen Dinger, sie begannen sofort mit einer Seite zu streichen und drehten auf der Stelle ab. Dabei schlingerten sie eine Weile entsetzlich, als sie quer in der Dünung lagen, dann waren sie endlich auf Gegenkurs und strebten eiligst den sicheren Gewässern der Bucht von Cadiz zu. Auf der Back der Indefatigable rief jemand ein lautes Pfui hinter ihnen her, und dieser Ruf pflanzte sich mit Windeseile über das ganze Schiff hin fort. Ein wahrer Sturm von Pfuirufen, Pfeifen und Miauen verfolgte die beiden Galeeren, die Männer schienen völlig außer Rand und Band. Pellow rannte wutschnaubend auf dem Achterdeck herum, und die Unteroffiziere versuchten vergebens, die Namen der Sünder festzustellen. Dieser Abschied von Spanien war ganz dazu angetan, die schlimmsten Ahnungen zu wecken.

Es erwies sich nur zu bald, daß solche Ahnungen durchaus berechtigt waren. Schon ganz kurze Zeit nach dem geschilderten Vorfall mußte Kapitän Pellow seiner Besatzung bekanntgeben, daß Spanien seinen Verwandlungsakt beendet hatte und in die Reihen der Gegner eingetreten war. Kaum war der Konvoi mit dem Goldschatz glücklich binnen, hatte es England den Krieg erklärt. Damit hatte die revolutionäre Republik die zerrüttetste Monarchie ganz Europas zum Bundesgenossen gewonnen.

In der Straße von Gibraltar war kein Windhauch zu spüren, die See lag glatt wie ein polierter Silberschild, und der Himmel wölbte sich darüber wie eine Schale aus Saphir. Die afrikanischen Berge im Süden, die spanischen im Norden ragten in dunklen Zackenlinien über den Horizont. Die Indefatigable war in keiner beneidenswerten Lage, nicht wegen der brennenden Hitze, die das Pech in den Nähten erweichte, sondern aus einem ganz anderen Grund. Durch die Straße von Gibraltar setzt meistens eine leichte Strömung vom Atlantik ins Mittelmeer, und die vorherrschenden Winde wehen in der gleichen Richtung. Wenn es längere Zeit so flau war, kam es darum nicht selten vor, daß ein Schiff ganz durch die Straße hindurch und an Gibraltar vorbeigetrieben wurde, so daß es hinterher tage-, ja wochenlang zurückzukreuzen hatte, um die Gibraltarbucht zu erreichen. Daher war heute auch Pellow in sehr berechtigter Sorge um den ihm anvertrauten Geleitzug von Getreideschiffen, der von Oran kam. Gibraltar mußte unbedingt verproviantiert werden - Spanien war schon zu seiner Belagerung aufmarschiert -, darum wollte er jetzt nicht Gefahr laufen, daß die Schiffe mit ihrer wichtigen Ladung womöglich am Ziel vorbeitrieben. Er hatte seinen Befehl den wenig begeisterten Kapitänen des Konvois durch Flaggensignal und Warnschüsse einhämmern müssen, kein schwach bemanntes Handelsschiff ging nämlich gern an die Sklavenarbeit heran, die ihm Pellow zumutete. Die Indefatigable ging den anderen mit gutem Beispiel voran. Sie hatte wie alle Schiffe Boote als Vorspann zu Wasser gebracht, und jetzt waren die hilflosen Schiffe glücklich alle in Schlepp. Für die armen Bootsgäste war das eine qualvolle Schinderei, die ihnen das letzte Quentchen Kraft abforderte. Sie rissen an ihren Riemen wie die Irren und zerrten sie mühsam durchs Wasser, bei jedem ihrer Schläge kamen die Schlepptrossen ruckartig steif, um sogleich mit unglaublichem Eigensinn wieder zurückzufedern, und zu allem Überfluß scheren die geschleppten Schiffe bald nach Steuerbord, bald nach Backbord aus, wie es ihnen gerade in den Sinn kam. Eine Meile Fahrt in der Stunde war alles, was um den Preis völliger Erschöpfung aller beteiligten Bootsbesatzungen mit dieser Methode zu erzielen war. Aber man trieb dadurch eben doch um ebensoviel langsamer an Gibraltar vorüber und durfte entsprechend länger hoffen, daß der ersehnte Südwind ein Einsehen hatte und den ganzen Schiffsverband doch noch hinter die Mole von Gibraltar wehte. Zwei Stunden Südwind war alles, was sie sich dazu wünschten, sie hätten vollkommen ausgereicht.

Unten im Kutter und in der Barkaß der Indefatigable rissen die Männer an ihren Riemen und waren von der Anstrengung so benommen, daß sie von der plötzlichen Aufregung an Bord ihres Schiffes überhaupt keine Notiz nahmen. Bei dieser Plackerei unter einer erbarmungslos herabstechenden Sonne verlor man jedes Interesse für seine Umgebung und sehnte nur noch das Ende des grausamen, zwei volle Stunden währenden Törns herbei. Nun aber wurden sie doch wach, als sie der Kommandant in eigener Person von der Back her anrief.

»Mr. Bolton! Mr. Chadd! Loswerfen! Kommen Sie sofort längsseit und rüsten Sie Ihre Leute mit Handwaffen aus. Unsere Freunde aus Cadiz wollen uns anscheinend besuchen.«

Als Pellow wieder auf dem Achterdeck angelangt war, nahm er sein Glas zur Hand und richtete es auf die diesige Kimm. Er konnte jetzt schon hier unten ausmachen, was vorher vom Topp aus gemeldet worden war.

»Sie halten genau auf uns zu«, sagte er.

Die beiden Galeeren kamen von Cadiz, wahrscheinlich hatte sie ein reitender Bote von dem Ausguckposten Tarifa aus davon in Kenntnis gesetzt, daß hier ein Konvoi aufgelöst in der Flaute umhertrieb und goldene Beute versprach. Das war für die Galeeren der gegebene Augenblick, zu beweisen, daß ihr Dasein immer noch einen Zweck besaß. Zwar blieb es ihnen verwehrt, die armen Handelsschiffe als Prisen einzubringen, aber sie konnten sie immerhin wegnehmen und brandschatzen, während die Indefatigable dazu verurteilt war, tatenlos zuzusehen, da sich das ganze Drama außerhalb der Reichweite ihrer Geschütze abspielte. Pellow faßte seine Schützlinge der Reihe nach ins Auge, es waren zwei Vollschiffe und drei Briggs. Eine der Briggs lag nur eine halbe Meile von ihm entfernt, sie konnte er zur Not durch sein Feuer decken, die anderen waren alle eineinhalb bis zwei Meilen ab, ihnen war beim besten Willen nicht zu helfen.

»Pistolen und Entermesser, Jungs!« rief er den Männern entgegen, als sie sich über die Reling schwangen. »Mr. Cutler, schlagen Sie sofort die Stagtakel an, los, die Karronaden in die Boote!«

Die Indefatigable hatte schon so viele Unternehmungen hinter sich, bei denen sich jede Minute als kostbar erwiesen hatte, daß auch diesmal mit den Vorbereitungen keine Zeit vertan wurde.

Die Bootsbesatzungen legten ihre Waffen an, die Sechspfünder-Karronaden wurden im Bug des Kutters und der Barkaß untergebracht, und bald pullten die beiden Boote, vollbesetzt mit Bewaffneten und für den Notfall sogar verproviantiert, den rasch näher kommenden Galeeren entgegen.

»Sagen Sie, Mr. Hornblower, sind Sie denn nicht ganz bei Trost? Was wollen Sie denn mit der Jolle?«

Pellow hatte eben gesehen, wie Hornblower die Jolle ausschwingen ließ, die ihm im besonderen anvertraut war.

Bildete sich dieser Fähnrich etwa ein, er könne mit dem zwölf Fuß langen Boot und seinen sechs Mann Besatzung etwas gegen diese riesigen Kriegsgaleeren ausrichten?

»Wir können zu einem Schiff des Konvois pullen und seine Besatzung verstärken, Sir«, sagte Hornblower.

»Na schön, dann fahren Sie mit Gott. Ich verlasse mich auf Ihren gesunden Menschenverstand, obwohl der noch ein recht zartes Pflänzchen ist.«

»Großartig, Sir!« rief Jackson begeistert, als die Jolle vom Schiff ablegte. »Ganz großartig! Ein anderer wäre niemals auf diese Idee gekommen.«

Jackson, der Bootssteurer der Jolle, war offenbar der Überzeugung, daß sich Hornblower keineswegs darauf beschränken wollte, die Besatzung eines der Handelsschiffe zu verstärken.

»Diese stinkenden Dagos«, stieß der Mann am Schlagriemen zwischen den Zähnen hervor.

Hornblower war sich darüber klar, daß seine Bootsbesatzung diese spanischen Galeeren mindestens ebenso grimmig haßte wie er selbst. Bis dahin hatte er solche persönlichen Haßgefühle noch nie an sich erfahren. Wenn er sonst kämpfte, dann tat er das im Dienste seines Königs und ohne die geringsten feindseligen Regungen gegen die Person des Gegners. Hier aber war es ganz anders. Seine Hand krampfte sich um die Pinne, er beugte sich ungeduldig vor und spürte nichts mehr von der sengenden Sonnenglut, weil er es nicht erwarten konnte, mit diesen verhaßten Burschen handgemein zu werden.

Barkaß und Kutter waren ihnen ein gutes Stück voraus.

Obwohl die Leute an ihren Riemen schon einen ganzen Törn Schleppdienst hinter sich hatten, schossen die Boote mit solcher Fahrt durchs Wasser, daß ihnen die Jolle trotz der ölig glatten See nur langsam aufkam. Das Wasser, in dem sie schwamm, war von tiefstem, dunkelstem Blau, wo ihre Riemen ein- und austauchten, schlugen sie es zu schneeweißem Schaum. Vor ihnen lagen die Fahrzeuge des Konvois noch immer so verstreut, wie sie von der plötzlichen Flaute überrascht worden waren, und dicht hinter ihnen entdeckte Hornblower jetzt auch die Galeeren.

Ihre Riemen blitzten bei jedem Schlag hell in der Sonne, während sie Raubvögeln gleich mit höchster Fahrt auf ihre Beute niederstießen. Barkaß und Kutter steuerten auseinanderlaufende Kurse, um möglichst viele Handelsschiffe zu decken; die Gig lag noch weit achteraus. Hätte Hornblower wirklich vorgehabt, an Bord eines der Handelsschiffe zu gehen, so wäre ihm jetzt ohnehin keine Zeit mehr dazu geblieben. Er legte Ruder, um dem Kutter zu folgen; in diesem Augenblick kam die eine der Galeeren in der Lücke zwischen zwei Handelsschiffen zum Vorschein. Hornblower sah, wie der Kutter hart drehte, um seine Karronade gegen den heranbrausenden Feind zum Tragen zu bringen.

»Pullt aus! Kerls, pullt!« schrie er ganz außer sich vor Erregung.

Er war sich durchaus nicht klar, wie sich diese Affäre weiter entwickeln würde, aber er wollte so oder so mit dabeisein. Diese Sechspfünder-Schmeißbüchse, die der Kutter an Bord hatte, schoß auf Entfernungen über Flintenschußweite äußerst ungenau. Das Ding mochte gut sein, wenn man sich mit einer Ladung gehackten Bleis Enterer vom Leibe halten wollte, aber gegen den kräftigen Bug einer Kriegsgaleere war mit der winzigen Kugel dieses Kanönchens nichts auszurichten.

»Pull aus!« schrie Hornblower wieder. Er hatte den Kutter jetzt beinahe eingeholt und stand etwas Backbord achteraus von ihm.

Die Karronade krachte los. Hornblower glaubte zwar, er hätte am Bug der Galeere Splitter fliegen sehen, aber diese ließ sich durch den Schuß so wenig irremachen wie ein angreifender Stier durch einen Jungen mit einer Erbsenschleuder. Die Galeere änderte um ein weniges ihren Kurs und zeigte sich jetzt recht von vorn, zugleich begannen ihre Riemen schneller zu schlagen.

Offenbar setzte sie eben zum Rammstoß an, sie bediente sich also der gleichen Taktik, die schon die alten Griechen bei Salamis angewandt hatten.

»Pull aus!« brüllte Hornblower und steuerte die Jolle instinktiv etwas zur Seite, so daß sie in eine flankierende Stellung kam.

»Auf Riemen!«

Die Riemen der Jolle kamen zum Stillstand, als sie eben an dem Kutter vorüberzog. Hornblower sah, wie Soames von seinem Platz in der Achterpiek aufgesprungen war und entsetzt dem messerscharfen Steven entgegenstarrte, der Tod und Verderben bringend auf ihn zugerauscht kam. Bug gegen Bug hätte der Kutter noch Aussicht gehabt davonzukommen, aber Soames versuchte allzuspät, dem Stoß auf diese Art auszuweichen. Hornblower sah noch, wie das Boot drehte und der Galeere die verletzliche Breitseite bot. Was weiter geschah, war nicht mehr zu erkennen, der Rumpf der Galeere schob sich davor und verbarg den letzten Akt des Dramas vor seinem Blick.

Jetzt schor die Jolle auf Gegenkurs so hart an der Galeere vorbei, daß die Steuerbordriemen der beiden Fahrzeuge eben voneinander klarkamen. Hornblower hörte einen Aufschrei und ein lautes Krachen, zugleich bemerkte er, daß die Galeere durch den Stoß der Kollision fast alle Fahrt verloren hatte. Er raste jetzt förmlich vor Kampfbegierde, alle Hemmungen fielen, und sein Geist arbeitete mit jener blitzschnellen Präzision, die für manische Zustände bezeichnend ist.

»Ruder an Backbord!« schrie er mit überschnappender Stimme, und die Jolle drehte unter dem Heck der Galeere auf.

»Überall!«

Jetzt jagte das Boot hinter der Galeere her wie ein Terrier hinter einem Stier.

»Hak ein, zum Teufel noch mal, Jackson, los, hak ein!«

Jackson antwortete mit einem Fluch und sauste auch schon nach vorn. Es sah aus, als setzte er einfach über die pullenden Männer hinweg, um sie auf keinen Fall aus dem Schlag zu bringen. Vorn angelangt, riß er mit einem Griff den Bootsdraggen an seiner langen Leine heraus und schleuderte ihn mit aller Kraft nach der Galeere. Getroffen! Der Draggen verfing sich irgendwo in der reich vergoldeten Reling ihrer Heckgalerie. Jackson holte die Draggenleine steif, und die Bootsgäste rissen wie närrisch an den Riemen, um die Jolle noch näher an das Heck der Galeere heranzubringen, während diese schon wieder vorausschoß. »Ich kann nicht mehr halten!« rief Jackson.

»Nimm Törn um die Ducht, du Idiot!«

Die Jolle war jetzt richtig im Schlepp der Galeere, sie hing an einer zwanzig Fuß langen Leine dicht unter ihrem Heck und eben frei von ihrem Ruderblatt. Das aufgewühlte Wasser schäumte und gurgelte um das Boot, und die rauschende Fahrt bewirkte, daß sich sein Bug immer höher bäumte, kurz, es herrschte plötzlich ein Zustand, als hätten sie eben einen Wal harpuniert. Auf dem Achterdeck des Spaniers erschien plötzlich ein Kerl mit einem Messer, um die Leine zu kappen.

»Niederschießen, Jackson!« brüllte Hornblower.

Jacksons Pistole krachte, der Spanier stürzte rücklings an Deck und war nicht mehr zu sehen - das war ein guter Schuß.

Trotz aller Kampfbesessenheit, trotz rauschenden Wassers und glühender Sonne versuchte sich Hornblower zurechtzulegen, was nun als nächstes zu geschehen hatte. Temperament wie gesunder Menschenverstand legten ihm gleichermaßen nahe, dem Feind allen Bedenken zum Trotz immer näher auf den Leib zu rücken.

»Hol ran das Boot!« rief er - und die ganze Besatzung brüllte begeistert mit. Die Männer an den Bugriemen drehten sich um, griffen nach der Draggenleine und begannen sie einzuholen, aber bei der hohen Fahrt des Bootes mußte jeder Zentimeter schwer erkämpft werden. So kamen mühsam drei Fuß Leine herein, dann war es endgültig aus. Der Draggen hatte ja zehn bis zwölf Fuß über Wasser in die Reling gehakt, und die Leine zeigte um so mehr nach oben, je näher die Jolle dem Achtersteven der Galeere kam. Auch der Bug des Bootes ragte jetzt ein gutes Stück höher aus dem Wasser als zuvor.

»Fest Holen! Belege die Leine!« sagte Hornblower, und dann mit erhobener Stimme: »Pistolen raus!«

Vier oder fünf dunkle Gesichter waren am Heck der Galeere aufgetaucht. Sie zielten mit Flinten in die Jolle, es gab einen kurzen, aber wütenden Schußwechsel, ein Mann sank stöhnend von seiner Ducht, aber die Gesichter waren plötzlich weg.

Hornblower stellte sich in dem schwankenden Boot mühsam auf die Beine, um die Vorgänge auf dem Achterdeck besser verfolgen zu können, aber er entdeckte dort nichts als zwei über die Kante ragende Köpfe, die augenscheinlich den beiden Rudergängern gehörten.

»Nachladen!« befahl er seinen Männern. Wie durch ein Wunder war ihm dieser Befehl gerade noch rechtzeitig eingefallen. Die Ladestöcke fuhren klappernd in die Pistolenläufe. »Macht das ja sorgfältig«, meinte Hornblower, »wenn euch euer Leben lieb ist.«

Plötzlich hörte man das Splittern von Glas. Auf der Galeere hatte einer der Kerle den Lauf einer Flinte kurzerhand durch das große Heckfenster der Kommandantenkajüte gestoßen. Es war ein Glück, daß sich der Mann erst noch etwas Zeit nahm, um zu zielen. So fiel die regellose Salve aus den Pistolen fast mit dem Musketenschuß zusammen. Die Kugel des Spaniers verfehlte ihr Ziel, er selbst aber brach hinter seinem Fenster in die Knie und war verschwunden.

»Ha! Da müssen wir durch!« schrie Hornblower. Dann riß er sich zusammen und ließ seine Männer noch einmal nachladen.

Während sie noch frische Kugeln in die Läufe rammten, erhob er sich von seinem Platz. Seine Pistolen staken noch unbenutzt im Koppel, das Entermesser hing ihm an der Seite.

»Komm hier achteraus«, sagte er zum Schlagriemen, weil er fühlte, daß die Jolle vorn keine zusätzliche Belastung mehr vertrug, »und noch einer dazu.«

Hornblower turnte über die Duchten zum Bug und maß dabei die Entfernung der Draggenleine vom Kajütenfenster.

»Einzeln nachkommen, Jackson«, sagte er.

Dann nahm er alle Kraft zusammen und sprang an die Draggenleine. Seine Füße tauchten ins Wasser, als die Leine unter seinem Gewicht durchsackte, aber er holte sich sofort klimmziehend in die Höhe. Jetzt hing er schon vor dem zertrümmerten Fenster. Er stieß mit dem Fuß den Rest der zerbrochenen Scheibe aus dem Rahmen, dann gab er sich Schwung, schoß mit den Beinen voran durch die Öffnung hinein und landete recht unsanft auf dem Fußboden der Kajüte. Nach der blendenden Helle draußen kam es ihm hier zunächst so dunkel vor, daß er sich kaum zurechtfand. Als er sich aufraffen wollte, trat er auf etwas Weiches, das einen Schmerzensschrei von sich gab - das war natürlich der Spanier von vorhin, er war also verwundet -, und die Hand, mit der er sein Entermesser aus der Scheide zog, war rot von Blut, von spanischem Blut. Im nächsten Augenblick krachte er mit dem Kopf gegen einen Decksbalken, daß er bunte Sterne vor Augen sah, er hatte nicht geahnt, wie niedrig die kleine Kajüte war, sie maß wohl kaum fünf Fuß lichte Höhe. Der Stoß war so heftig gewesen, daß ihm im ersten Augenblick die Sinne schwinden wollten. Ach was, dort war der Ausgang, er taumelte durch und hinaus, das Entermesser angriffsbereit in der Faust. Über seinem Kopf hörte er Füße stampfen, hinter und über ihm krachten Schüsse - wahrscheinlich war zwischen Heckreling und Jolle eine neue Schießerei im Gang. Die Kajütentür führte in ein niederes Halbdeck, Hornblower wankte weiter nach vorn, dorthin, wo die helle Sonne hereinfiel. Zuletzt fand er sich auf dem schmalen Streifen Hauptdeck wieder, das sich an die Vorkante des Achterdecks anschloß. Vor ihm mündete die schmale Laufbrücke, die über den Reihen der Ruderer nach vorn führte.

Er konnte sie sitzen sehen - ein Meer bärtiger Gesichter, wilder Haarschöpfe und hagerer, sonnenbrauner Körper, die im Takt ihrer Riemenschläge vor- und zurückschwangen.

Das war der erste Eindruck, den er in Sekundenschnelle von ihnen gewann. Am entgegengesetzten Ende der Laufbrücke, dort, wo sie in den vorderen Aufbau mündete, stand der Aufseher mit seiner Peitsche und traktierte die Sklaven mit kurzen, rhythmischen Zurufen - wahrscheinlich zählte er ihnen auf spanisch vor, um das Tempo der Schläge anzugeben. Vorn auf der Back standen drei bis vier Mann. Das Schott an der Achterkante der Back hatte Türen, die offen eingehakt waren.

Hornblower konnte dahinter die Rohre der beiden schweren Buggeschütze erkennen. Im Augenblick waren sie beide ausgerannt und ragten durch ihre erstaunlich niedrig über Wasser liegenden Stückpforten ins Freie. Die einfallende Sonne spielte blinkend auf ihrem polierten Metall. Die Geschützbedienungen standen neben den Geschützen, aber es waren viel weniger an der Zahl, als zwei Vierundzwanzigpfünder unbedingt verlangt hätten. Hornblower erinnerte sich daran, daß Wales die Besatzung einer Galeere mit dreißig Mann beziffert hatte. Er konnte sich denken, daß eine Geschützbedienung bereits achteraus geholt worden war, um das Achterdeck gegen den Angriff der Jolle zu verteidigen.

Das Geräusch eines Schrittes in seinem Rücken ließ ihn vor Schreck zusammenzucken, er fuhr mit gezücktem Entermesser blitzschnell herum, da sah er, daß es Jackson war, der eben mit gezogenem Entermesser aus dem Halbdeck herausgetaumelt kam.

»Ich hätte mir beinahe die Birne eingerannt«, sagte Jackson.

Er lallte wie ein Betrunkener, seine Worte waren von weiteren Schüssen begleitet, die auf dem Achterdeck, in Höhe ihrer Köpfe abgefeuert wurden.

»Oldroyd kommt als nächster«, sagte Jackson, »Franklin ist tot.«

Zu beiden Seiten von ihrem Standort führte eine Treppe auf das Achterdeck. Es schien vom logischen und mathematischen Standpunkt aus das Gegebene zu sein, daß jeder von ihnen eine der beiden Steigleitern wählte. Aber Hornblower hatte etwas anderes im Sinn.

»Mir nach!« rief er und stürmte die Steuerbordtreppe hinauf.

Da Oldroyd in diesem Augenblick dazukam, rief er ihm noch kurz zu, ebenfalls zu folgen.

Die Strecktaue an den Niedergängen waren kunstvoll aus roten und gelben Schnüren geflochten - das fiel ihm sogar auf, als er jetzt mit der Pistole in der einen und dem Entermesser in der anderen Hand die Stufen hinaufstürmte. Schon nach dem ersten Schritt konnte er das Achterdeck überblicken. Auf winzigem Raum drängte sich dort ein rundes Dutzend Männer.

Zwei lagen tot an Deck, einer saß an die Reling gelehnt und stöhnte, zwei standen an der Pinne. Hornblower war immer noch wie von Sinnen. Er nahm die drei letzten Stufen der Treppe mit einem einzigen Satz und drang mit dem Gebrüll eines Tobsüchtigen auf die Spanier ein. Seine Pistole entlud sich anscheinend ganz unfreiwillig, aber das Gesicht des Menschen, der ihm im Weg stand, verwandelte sich plötzlich in eine unkenntliche, blutige Masse. Hornblower warf die Waffe weg und griff nach der zweiten. Mit dem Daumen der Linken spannte er ihren Hahn, während die Rechte blitzschnell das Entermesser führte und mit klirrendem Hieb den Säbel beiseite schlug, den ein Spanier fast schüchtern zur Deckung heben wollte. Seine Hiebe hagelten nur so auf die Gegner nieder, er hatte die unerschöpfliche Kraft eines Besessenen. Jetzt war Jackson neben ihm und teilte mit heiserem Geschrei nach rechts und links seine Hiebe aus.

»Nieder mit ihnen! Nieder mit ihnen!« brüllte Jackson.

Hornblower sah, wie Jacksons Entermesser auf einen der wehrlosen Rudergänger niedersauste. Während er mit dem nächsten Gegner die Klingen kreuzte, wurde er eben noch im letzten Augenblick gewahr, wie ein dritter von der Seite her den Säbel gegen ihn schwang. Wieder rettete ihn seine Pistole, die sich wie unversehens gegen den neuen Angreifer löste. Dicht neben ihm fiel noch ein weiterer Pistolenschuß - der kam wahrscheinlich von Oldroyd -, und dann war der Kampf auf dem Achterdeck vorbei. Die Spanier mußten mit Blindheit geschlagen sein, daß sie sich auf diese primitive Art hatten überrumpeln lassen. Hornblower konnte sich beim besten Willen nicht denken, wie es zu diesem groben Versager gekommen war. Vielleicht wußten sie nichts davon, daß der Mann in der Kajüte verwundet war, und hatten sich darauf verlassen, daß er diesen Zugang zum Schiff verteidigte, vielleicht konnten sie sich überhaupt nicht vorstellen, daß drei Mann die Tollkühnheit aufbrachten, ein ganzes Dutzend Gegner anzugreifen. Wahrscheinlich war es ihnen sogar überhaupt entgangen, daß diese drei Mann auf dem gefährlichen Weg über die Draggenleine ins Schiff gelangt waren. Am ehesten war das Ganze noch zu begreifen, wenn man annahm, daß sie einfach den Kopf verloren hatten. Das Gefecht hatte ja kaum fünf Minuten gedauert von dem Moment an gerechnet, da die Jolle einhakte, bis das Achterdeck in Besitz genommen war. Ein paar Spanier rannten den Niedergang zum Hauptdeck hinunter und dann die Laufbrücke über den Rudersklaven entlang nach vorn.

Ein weiterer wurde gegen die Reling gedrängt, ehe er entkommen konnte, und zeigte schon durch Heben der Hände, daß er sich ergeben wollte, aber Jackson hatte ihn schon an der Gurgel. Jackson hatte Riesenkräfte, er bog den Spanier ganz einfach rückwärts über die Reling, weiter und immer weiter, dann packte er ihn mit der anderen Hand am Schenkel und kippte ihn über Bord. Als er im Sturz aufschrie, war es für Hornblower zu spät, sich ins Mittel zu legen. Auf dem Achterdeck lagen überall Verwundete umher und wanden sich in ihren Schmerzen, so daß man bei ihrem Anblick unwillkürlich an Fische auf dem Trockenen denken mußte.

Einer wollte sich auf die Knie erheben, da griffen ihn Jackson und Oldroyd und schwangen ihn hoch, um ihn über die Reling zu werfen.

»Halt, laßt den Unfug«, sagte Hornblower. Darauf ließen sie ihn unbarmherzig fallen, so daß er krachend auf den blutbespritzten Planken landete.

Jackson und Oldroyd waren wie betrunken, sie standen unsicher auf ihren Beinen, sie hatten ganz glasige Augen, und ihr Atem ging keuchend. Hornblower war eben so weit, daß er aus seinem Blutrausch wieder zu sich fand. Er trat an die Vorkante des Achterdecks, wischte sich den Schweiß aus den Augen und hoffte, damit auch den roten Nebel loszuwerden, der ihm immer noch die Sicht verhängte. Der Rest der Spanier hatte sich vorn unter der Back versammelt, sie bildeten noch eine starke Gruppe, und als Hornblower vortrat, feuerte einer seine Flinte auf ihn ab, aber der Schuß ging weit daneben. Unter ihm schwangen sich die Rudersklaven immer noch vor und zurück, vor und zurück, ihre behaarten Köpfe und nackten Körper bewegten sich im Takt der Riemenschläge, der von dem Aufseher angegeben wurde. Dieser Mann stand nämlich immer noch auf der Laufbrücke - der Rest der Spanier drängte sich dicht hinter ihm - und gab das Tempo an: »- Seis - Siete - Ocho.«

»Stopp!« schrie Hornblower.

Er ging zur Steuerbordseite hinüber, damit ihn die Rudersklaven gut sehen konnten, hob die Hand und stieß wieder den gleichen Ruf aus. Nur einer oder zwei der Ärmsten hoben ihre bärtigen Gesichter, aber die Riemen arbeiteten unentwegt weiter: »Uno - Dos - Tres«, kommandierte der Aufseher, als ob er nicht merkte, was um ihn vorging. Jetzt erschien Jackson neben Hornblower und hob seine Pistole, um den nächsten Ruderer niederzuschießen.

»Laß das!« fuhr Hornblower zornig dazwischen. Er hatte das Blutvergießen gründlich satt. »Sucht lieber meine Pistole und ladet sie wieder.«

Er stand am Niedergang wie ein Träumender in einem Alptraum. Die Galeerensklaven pendelten nach wie vor hinter ihren Riemen, dreißig Meter vor ihm, unter der Back, drängte sich die Handvoll Gegner, die noch übrig war, und hinter ihm stöhnten sich die verwundeten Spanier die Seele aus dem Leib.

Eine weitere Aufforderung an die Ruderer blieb ebenso wirkungslos wie die vorangegangene. Oldroyd besaß offenbar noch den klarsten Kopf oder hatte seinen gesunden Verstand am raschesten wiedergewonnen.

»Ich möchte die Flagge niederholen, Sir, darf ich?« fragte er.

Hornblower erwachte aus seinem Traum. An einem Flaggenstock am Heck flatterte das gelbrote Tuch.

»Ja, natürlich, herunter damit!« sagte er.

Jetzt war sein Kopf wieder klar, jetzt sah er endlich wieder weiter, als diese verfluchte Galeere reichte, sein Blick schweifte zum ersten Male wieder hinaus über die blaue, blaue See. Dort lagen die Kauffahrer, da drüben die Indefatigable. Hinter ihm brodelte das weiße Kielwasser der Galeere - es beschrieb einen Bogen. Erst als er darauf aufmerksam wurde, kam ihm zum Bewußtsein, daß er das Ruder besetzen konnte und daß die Galeere die ganzen letzten drei Minuten steuerlos über die blaue See dahingerauscht war.

»Nehmen Sie die Pinne, Oldroyd!« befahl er.

Verschwand etwa dort die andere Galeere in der diesigen Ferne? Ja, sie mußte es sein, und weit in ihrem Kielwasser folgte die Barkaß. Dort an Backbord voraus lag die Gig auf Riemen, er konnte achtern und am Bug kleine winkende Gestalten unterscheiden. Erst allmählich kam ihm der Gedanke, daß sie damit ihrer Freude über das Verschwinden der spanischen Flagge Ausdruck geben wollten. Schon wieder knallte von der Back her ein Flintenschuß. Er schlug dicht neben seiner Hüfte krachend in die Reling, daß die vergoldeten Splitter durch den Sonnenglast wirbelten. Aber er hatte seine fünf Sinne jetzt wieder ganz in der Gewalt und rannte über die Sterbenden hinweg rasch nach achtern bis an das Ende des Achterdecks.

Dort konnte man ihn von der Laufbrücke aus nicht mehr sehen und daher auch nicht mehr auf ihn schießen. Die Gig lag immer noch Backbord voraus.

»Backbordruder, Oldroyd«, befahl er.

Die Galeere drehte sehr langsam - ihr langer, schmaler Rumpf machte sie unbändig, wenn das Ruder nicht durch die Riemen unterstützt wurde, aber der Bug verbarg die Gig doch schon bald dem Blick.

»Mittschiffs!« Mein Gott, da hinten, im Kielwasser, das unter dem Heck der Galeere hervorbrodelte, tanzte ja noch immer die Jolle mit einem Lebenden und zwei Toten an Bord.

»Wo sind denn die anderen, Bromley?« schrie Jackson hinunter.

Bromley deutete über Bord. Die Schüsse von der Reling hatten sie getroffen, als Hornblower mit seinen beiden Männern eben zum Angriff auf das Achterdeck ansetzte.

»Warum kommst du denn nicht an Bord?«

Bromley faßte seinen linken Arm und hob ihn hoch. Man sah sofort, daß er das Glied nicht mehr gebrauchen konnte. Von dort war also keine Verstärkung zu erwarten, und doch war es höchste Zeit, daß er die Galeere vollständig in Besitz bekam.

Sonst war es nicht einmal ausgeschlossen, daß man sie am Ende noch nach Algeciras entführte. Ob sie das Ruder in der Gewalt hatten oder nicht, den Kurs bestimmte immer der Mann, der die Riemen kommandierte. Hornblower wurde sich darüber klar, daß es nur einen Ausweg aus dieser Lage gab.

Nun, da der Kampfrausch verflogen war, hatte sich seine Stimmung gründlich verdüstert. Es war ihm schon gleichgültig, was ihm weiter widerfuhr, zugleich mit der Begeisterung von vorhin hatte ihn auch Furcht und Hoffnung im Stich gelassen, was übrig blieb, war müde Resignation. Die unerbittliche Logik seines Verstandes war dadurch jedoch keineswegs lahmgelegt.

Wenn der Sieg nur noch auf eine Weise zu erringen ist, so folgerte er, dann muß ich es in Gottes Namen damit versuchen.

Die stumpfe Gleichgültigkeit, die ihn beherrschte, setzte ihn in den Stand, das gefährliche Vorhaben gefühllos wie ein Automat und in maskenhaft starrer Haltung durchzuführen. Er schritt wieder nach vorn zur Querreling des Achterdecks. Die Spanier drängten sich nach wie vor am vorderen Ende der Laufbrücke, und der Aufseher schlug immer noch seinen Takt für das Tempo der schwingenden Riemen. Sie sahen jetzt alle zu ihm herüber.

Mit aller Sorgfalt und Umständlichkeit schob er sein Entermesser, das er bis dahin in der Hand gehalten hatte, in die Scheide. Dabei bemerkte er, daß sein Rock und seine Hand ganz mit Blut verschmiert waren. In aller Ruhe rückte er sodann die eingesteckte Waffe an seiner Hüfte zurecht.

»Meine Pistolen, Jackson«, befahl er.

Jackson überreichte ihm die Pistolen, er nahm sie und steckte sie mit der gleichen kalten Ruhe in sein Koppel. Nun wandte er sich nach achtern an Oldroyd, die Spanier folgten gespannt jeder seiner Bewegungen.

»Bleiben Sie am Ruder, Oldroyd. Jackson, folgen Sie mir.

Tun Sie aber nichts ohne meinen Befehl.«

Die Sonne schien ihm ins Gesicht, als er den Niedergang hinunterstieg, die Laufbrücke betrat und auf die Spanier zuging.

Zu seinen beiden Seiten bewegten sich die Haarschöpfe und die nackten Leiber der Sklaven immer noch im Takt der Riemenschläge. Immer näher rückte er den Spaniern, die nervös mit Säbeln, Musketen und Pistolen zu hantieren begannen, ohne daß sie ihn dabei aus dem Auge gelassen hätten. Er hörte, wie Jackson hinter ihm hustete. Hornblower trat bis auf zwei Meter an die Gruppe heran und maß die Gesellschaft mit einem gebietenden Blick. Mit einer einzigen Geste umfaßte er die ganze Gruppe, ausgenommen den Aufseher, und deutete dann auf den Raum unter der Back.

»Marsch, dort hinein mit euch!« befahl er.

Sie starrten ihn mit verständnislosem Ausdruck an, obwohl sie begriffen haben mußten, was er wollte.

»Wird's bald, macht, daß ihr nach vorn kommt!« wiederholte Hornblower mit einer befehlenden Handbewegung und stampfte ungeduldig mit dem Fuß.

Ein einziger schien sich widersetzen zu wollen, und Hornblower hatte gute Lust, eine Pistole aus dem Koppel zu reißen und den Mann auf der Stelle niederzuknallen. Aber die Pistole konnte versagen, außerdem war es leicht möglich, daß ein Schuß die Spanier aus ihrer Verzauberung riß. Er starrte den Mann so lange an, bis er klein beigab.

»Nach vorn, habe ich gesagt!«

Endlich kam Bewegung in die Gruppe, einer nach dem anderen schlenderte wie von ungefähr davon. Hornblower verfolgte jede ihrer Bewegungen. Jetzt wich auf einmal die Gleichgültigkeit von ihm, und sein Herz begann so wild zu klopfen, daß er sich kaum mehr in der Gewalt hatte. Dennoch durfte er um Gottes willen nichts überstürzen. Er mußte warten, bis diese Leute nicht mehr gefährlich werden konnten, dann erst konnte er sich mit dem Aufseher befassen.

»Lassen Sie die Leute aufhören«, sagte er. Dabei deutete er auf die Ruderer, während sein Blick den Mann förmlich verzehrte. Der Aufseher bewegte wohl seine Lippen, brachte aber kein vernünftiges Wort heraus.

»Lassen Sie aufhören!« sagte Hornblower nochmals und legte diesmal die Hand an den Pistolengriff.

Das genügte. Der Aufseher erhob seine Stimme zu einem im Fistelton gegebenen Befehl, und die Riemen hörten augenblicklich auf zu schlagen. Seltsam, welche Stille plötzlich an Bord einkehrte, als das Knirschen der Riemen in ihren Öffnungen ein Ende genommen hatte.

Jetzt vernahm man sogar das Plätschern des Wassers an der Bordwand, als die Galeere, getrieben von ihrem Fahrtmoment, noch eine Weile weiterlief.

Hornblower wandte sich um und rief Oldroyd.

»Oldroyd! Wo liegt die Gig?«

»Voraus, etwas an Steuerbord, Sir.«

»Wie weit entfernt?«

»Zwei Kabellängen, Sir, sie pullt uns entgegen.«

»Steuern Sie sie an, solange Sie Ruder im Schiff haben.«

»Aye, aye, Sir.«

Wie lange brauchte die Gig, um unter Riemen eine Strecke von einer Viertelmeile zurückzulegen? Hornblower zitterte vor einem plötzlichen Umschlag, er war von der Angst gejagt, daß die Spanier noch im letzten Augenblick auf dumme Gedanken kommen könnten. Untätiges Warten war das beste Mittel, eine gefährliche Wendung der Dinge heraufzubeschwören, er durfte also auf keinen Fall länger müßig herumstehen. Noch immer hörte er, wie die Galeere durchs Wasser rauschte, und wandte sich nun an Jackson.

»Das Schiff hat ein mächtiges Fahrtmoment, nicht wahr, Jackson?« sagte er und zwang sich, dabei auch noch zu lachen, als wäre alles auf der Welt in schönster Ordnung.

»Aye, Sir, das kommt mir auch so vor, Sir«, meinte Jackson verblüfft und fingerte verlegen an seinen Pistolen herum.

»Schau nur einmal den Kerl dort an«, fuhr Hornblower fort, »hast du im Leben schon einmal so einen Bart gesehen?«

»Nnein, Sir.«

»So sprich doch mit mir, du Nachttopf, rede wie dir der Schnabel gewachsen ist!«

»Ich - mir fällt nichts ein, Sir.«

»Du hast eben keinen Funken Hirn im Kopf. Schau, was der Kerl dort für eine Narbe auf der Schulter hat. Die stammt sicher von der Peitsche des Aufsehers.«

»Das könnte stimmen, Sir.«

Hornblower unterdrückte seinen Unmut und suchte eben krampfhaft nach einem neuen Thema, als er von außenbords ein Scheuern Holz gegen Holz vernahm. Einen Augenblick später schwangen sich die Bootsgäste der Gig über die Reling.

Hornblower durchströmte ein Gefühl unsagbarer Erleichterung.

Am liebsten wäre er in hemmungslosen Jubel ausgebrochen, aber er besann sich gerade noch darauf, daß er auch jetzt die Haltung wahren mußte, und riß sich wieder zusammen.

»Ich freue mich, Sie an Bord begrüßen zu können, Sir«, sagte er, als Leutnant Chadd die Beine über die Reling schwang und das schmale Deck hinter der Back betrat.

»Und ich freue mich noch viel mehr, Sie wiederzusehen«, sagte Chadd und sah sich neugierig um.

»Die Leute dort vorn sind Gefangene, Sir«, sagte Hornblower.

»Es wäre vielleicht angebracht, sie besser in Gewahrsam zu nehmen. Sonst bleibt, glaube ich, nichts weiter zu veranlassen.«

Jetzt hätte er endlich jubeln und sich gehen lassen können, aber seltsam, es wollte ihm nicht gelingen. Er hatte das Gefühl, als würde er die Spannung der letzten Minuten sein Leben lang nicht mehr los. Starr und benommen nahm er die Hurras entgegen, mit denen ihn die Besatzung der Indefatigable begrüßte, als er mit der Galeere längsseit kam, steif und benommen stammelte er nachher vor Pellow seine Meldung herunter und vergaß dabei doch nicht, Jacksons und Oldroyds Tapferkeit mit besonders warmen Worten zu erwähnen.

»Der Admiral wird sich freuen«, sagte Pellow und musterte Hornblower mit einem durchdringenden Blick.

»Darüber schätze ich mich besonders glücklich, Sir«, hörte sich Hornblower sagen.

»Wir haben ja nun den armen Soames verloren«, fuhr Pellow fort, »und brauchen darum einen neuen Wachoffizier. Diesen Posten sollen Sie bekommen, ich ernenne Sie hiermit zum diensttuenden Leutnant.«

»Danke, Sir«, sagte Hornblower immer noch ganz benommen.

Soames war ein grauhaariger, sehr erfahrener Seeoffizier gewesen, er hatte alle Meere der Welt befahren und in einem Dutzend Schlachten seinen Mann gestanden. Dennoch hatte er diesmal versagt. Er hatte ganz einfach nicht rasch genug reagiert, darum war sein Boot dem Rammstoß der Galeere zum Opfer gefallen.

Nun war er tot, und der diensttuende Leutnant Hornblower trat an seine freigewordene Stelle.

Rücksichtsloser Kampfgeist, um nicht zu sagen heller Wahnsinn hatte ihm diese sichere Aussicht auf Beförderung eingetragen. Bis zur Stunde hatte Hornblower nicht geahnt, welche unheimlichen Möglichkeiten in der Tiefe seines Wesens schlummerten. Genau wie Soames und die übrige Besatzung der Indefatigable hatte er sich vom blinden Haß gegen diese Galeeren fortreißen lassen, und daraus hatte sich dann alles Weitere ergeben. Diesmal war es gut gegangen, aber das dankte er am Ende doch nur seinem Glück. So und nicht anders war es gewesen, und es war gut, sich das für die Zukunft genau zu merken.