9. Kapitel
Der diensttuende Leutnant Hornblower saß neben Mr. Tapling vom diplomatischen Dienst in der Achterplicht der Barkaß, und seine Füße ruhten zwischen lauter Säcken voll Gold. Ringsum erhoben sich die steilen Küsten des Golfs von Oran, vor ihnen lag, schneeweiß in der Sonne, die Stadt, die aussah, als hätte eine spielende Riesenhand Massen von Marmorblöcken über die Uferhänge ausgestreut. Die Bootsbesatzung pullte die Barkaß im Gleichtakt durch die schwache Dünung, die Blätter ihrer Riemen tauchten jetzt in das reinste Smaragdgrün, nachdem das Boot soeben erst das blaueste Blau des Mittelmeers hinter sich gelassen hatte.
»Ein schönes Bild«, meinte Tapling und blickte nach der Stadt hinüber, der sie allmählich näher kamen. »Aber die Ferne täuscht, in der Nähe sieht alles anders aus. Und dann die arme Nase! Wer die Düfte in den Quartieren der›Rechtgläubigen‹noch nicht gerochen hat, der kann sich keine Vorstellung davon machen. Legen Sie bitte dort an der Brücke an, Mr. Hornblower, hinter den beiden Schebecken.«
»Aye, aye, Sir«, sagte der Bootssteurer, als ihm Hornblower den Befehl weitergab.
»Sehen Sie dort den Posten bei der Hafenbatterie?« sagte Tapling, der sich gespannt überall umsah. »Er ist sogar beinahe wach. Und die zwei Kanonen auf den Ecktürmen, das sind bestimmt Zweiunddreißigpfünder, und neben ihnen liegen sauber aufgestapelt die Steinkugeln. Eine solche Steinkugel platzt beim Aufschlag in lauter kleine Stücke und hat daher eine Wirkung, die man bei ihrer Größe nicht erwartet. Die Mauern scheinen mir auch recht fest zu sein. Oran im Handstreich zu nehmen, ist daher wohl nicht ganz einfach. Wenn es also Seiner Hoheit, dem Bey, einfallen sollte, uns den Hals abzuschneiden und unser Gold zu behalten, dann könnte es eine ganze Weile dauern, bis wir gerächt sind.«
»Ich muß sagen, Sir«, meinte Hornblower, »daß es mir ziemlich gleichgültig ist, ob mein Tod gerächt wird oder nicht.«
»Damit mögen Sie recht haben. Im übrigen bin ich überzeugt, daß uns Seine Hoheit wenigstens diesmal verschonen wird. Das Huhn legt immerhin goldene Eier, also wird er es nicht schlachten. In dieser Zeit der bewaffneten Geleitzüge ist eine Bootsladung Gold im Monat für einen Piratenbey ein Geschenk des Himmels.«
»Auf Riemen!« kommandierte der Bootsteurer. »Riemen ein!«
Die Barkaß glitt an die Brücke und machte fest. Einige Kerle, die in der Nähe im Schatten saßen, verdrehten nur die Augen, um sich die britische Bootsbesatzung anzusehen, es war schon viel, wenn einer den Kopf nach ihr wandte. Auf den Schebecken traten ein paar dunkelbraungebrannte Mauren an die Reling und riefen unverständliches Zeug herüber.
»Ich möchte wetten, daß sie jetzt die ganze Ahnenschaft der Ungläubigen mit Verwünschungen bedenken«, sagte Tapling.
»Die Burschen können mir mit Steinen und Knüppeln die Knochen zerschlagen, aber ihr Geschimpfe läßt mich kalt, zumal ich kein Wort davon verstehe. Wo bleibt nur unser Mann?«
Er legte die Rechte schützend über die Augen und spähte über den Kai.
»Ich kann niemand entdecken, den man für einen Christen halten könnte«, sagte Hornblower.
»Unser Mittelsmann ist kein Christ. Ein Weißer, ja, aber kein Christ. Und auch ein Weißer nur, wenn man diese französischarabischlevantinische Mischrasse so bezeichnen will.
Er ist Konsul pro tempore Seiner Britischen Majestät und aus Nützlichkeitsgründen ein Muselman, obwohl es nicht immer ganz einfach ist, zu den Anhängern des Propheten zu gehören.
Wer möchte zum Beispiel ständig vier Frauen um sich haben, besonders wenn er für diesen zweifelhaften Vorzug obendrein auf den Wein verzichten muß?«
Tapling stieg auf die Brücke, und Hornblower folgte ihm. Die schwache Dünung, die in die Bucht hereinstand, brach sich leise plätschernd unter ihnen, die flimmernde Hitze der Mittagssonne strahlte von den Steinblöcken zurück, auf denen sie standen.
Weit draußen vor der Bucht lagen die beiden Schiffe vor Anker, das Proviantschiff und H.M.S. Indefatigable. Sie boten in der blausilbernen Weite ein Bild von unvergleichlicher Schönheit.
»Trotz allem, ein Samstagabend im Drury Lane-Theater wäre mir lieber«, bemerkte Tapling.
Er wandte sich um und betrachtete die Stadtmauer, die Oran gegen einen Angriff von See her schützte. Eine enge Pforte, gedeckt von zwei Bastionen, bildete den Zugang zum Hafen.
Posten in langen roten Hemden patrouillierten auf dem Wallgang. Im dunklen Schatten der Pforte entstand jetzt irgendeine Bewegung, aber es fiel dem geblendeten Auge schwer, Genaueres zu erkennen. Endlich tauchte eine kleine Gruppe aus dem Dunkel ins Licht und bewegte sich auf sie zu.
Ein halbnackter Neger führte einen Esel, quer auf dem Rücken des Tiers und ganz hinten auf seiner Kruppe saß ein unheimlich dicker Mann in einem blauen Gewand.
»Ob wir dem Konsul Seiner Britannischen Majestät halbwegs entgegengehen?« fragte Tapling. »Ach nein, lassen wir ihn ruhig zu uns kommen.«
Der Neger hielt den Esel an, der Reiter rutschte zu Boden und näherte sich jetzt zu Fuß - er war ein wahres Monstrum an Gestalt und watschelte in seinem weiten Gewand breitbeinig daher, sein massiges Gesicht hatte eine lehmgraue Farbe und war von einem weißen Turban gekrönt. Ein schütterer Bart zierte Lippen und Kinn.
»Ihr Diener, Mr. Duras«, sagte Tapling. »Darf ich Ihnen den diensttuenden Leutnant Horatio Hornblower von Seiner Majestät Fregatte Indefatigable vorstellen?«
Mr. Duras nickte gnädig und in Schweiß gebadet mit dem Kopf.
»Haben Sie das Geld mit?« fragte er in kehligem Französisch.
Hornblower brauchte ein paar Sekunden, um sich auf seine französischen Kenntnisse zu besinnen und die Aussprache dieses Mannes zu verstehen.
»Siebentausend Goldguineen«, antwortete Tapling in recht gutem Französisch.
»Das ist gut«, sagte Duras sichtlich erleichtert. »Ist die Summe hier im Boot?«
»Gewiß, und da bleibt sie vorläufig auch«, gab ihm Tapling zur Antwort. »Sie wissen doch noch, was nach der getroffenen Vereinbarung für das Geld geliefert werden sollte: es waren vierhundert Stück fettes Rindvieh und eintausendfünfhundert Fanegas Gerste vereinbart. Erst wenn das alles in Leichtern verladen ist, und wenn diese Leichter draußen vor der Bucht längsseit unserer Schiffe liegen, bekommen Sie von mir das Geld. Haben Sie die Ware bereit?«
»Bald.«
»Sehen Sie, das dachte ich mir. Wann sind Sie denn soweit?«
»Bald - sehr bald.«
Tapling zuckte resigniert die Achseln:
»Dann werden wir jetzt an Bord zurückkehren. Morgen, vielleicht erst übermorgen kommen wir mit dem Gold wieder hierher.«
Duras zuckte erschrocken zusammen und schwitzte vor Aufregung noch stärker.
»Nein, nein, tun Sie das nicht!« wehrte er hastig ab. »Sie kennen Seine Hoheit, den Bey, nicht. Er ist unberechenbar.
Erfährt er, daß das Gold hier ist, dann wird er das Vieh sofort herbeitreiben lassen. Nehmen Sie das Gold wieder mit, dann rührt er bestimmt keinen Finger. Und - und - ich bekomme seinen Zorn zu fühlen.«
»Ira principis mors est«, sagte Tapling, und als ihn Duras verständnislos ansah, übersetzte er ihm die Worte: »Der Zorn des Fürsten bedeutet den Tod. Sollte das auch in Ihrem Fall zutreffen?«
»Ja, o ja«, stöhnte Duras, dann sagte auch er etwas in einer unbekannten Sprache und stach dazu merkwürdig mit den Fingern in die Luft. Am Ende übersetzte er: »Möge das nicht geschehen.«
»Das hoffen wir natürlich alle«, versicherte ihm Tapling mit entwaffnender Herzlichkeit. »Die Seidenschnur, der Haken, ja schon die Bastonade sind alles andere als angenehm. Es wäre bestimmt das beste, wenn Sie sich jetzt gleich zum Bey begäben und ihn persönlich dazu bestimmten, sofort die nötigen Befehle zur Anlieferung der Gerste und des Viehs zu erteilen. Bis Einbruch der Dunkelheit wollen wir warten, dann aber legen wir auf alle Fälle ab.«
Bei seinen letzten Worten warf Tapling einen Blick zur Sonne hinauf, um die gewährte Frist möglichst sinnfällig zu machen.
»Ich gehe«, sagte Duras und hob mit flehendem Ausdruck die Hände. »Ich gehe, aber ich bitte Sie, ich beschwöre Sie, fahren Sie nicht weg. Vielleicht hält sich Seine Hoheit zur Zeit im Harem auf, dann darf ihn niemand stören. Aber ich werde dennoch einen Versuch wagen. Die Gerste ist schon hier, sie liegt dort in der Kasbah. Nur das Vieh muß noch herangeschafft werden. Ich bitte Sie, ich flehe Sie an, haben Sie Geduld. Seine Hoheit versteht sich wenig auf den Handel, das wissen Sie ja.
Und die Handelssitten der Franken sind ihm erst recht nicht geläufig.«
Duras wischte sich mit einem Zipfel seines Rocks den strömenden Schweiß vom Gesicht.
»Und nun entschuldigen Sie mich bitte«, fuhr er fort. »Ich fühle mich nicht wohl, aber ich will Seine Hoheit dennoch sofort aufsuchen, Sie können sich darauf verlassen. Nur bitte ich Sie nochmals, warten Sie auf mich.«
»Bis Sonnenuntergang«, lautete Taplings unerbittliche Antwort.
Duras rief nach seinem Neger, der unter dem Leib des Esels kauerte, weil er da ein wenig Schatten fand. Mühsam wuchtete er seinen schweren Leib auf die Kruppe des geduldigen Tieres, wischte sich abermals den Schweiß ab und warf einen letzten unsicheren Blick nach den beiden Engländern.
»Sie warten doch auf mich, nicht wahr?« bat er nochmals, als sich der Esel nach der Pforte zu in Bewegung setzte.
»Er hat eine schreckliche Angst vor dem Bey«, sagte Tapling, der ihm nachsah, bis er verschwand. »Ich für meine Person hätte es aber lieber mit zwanzig Beys zu tun als mit Admiral Sir John Jervis, wenn ihm die Pferde durchgehen. Und er wird schon toben, wenn er hört, daß sich die Lieferung des Proviants erneut verzögert, nachdem er seine Flotte schon auf gekürzte Rationen setzen mußte. Wenn ich ihm damit unter die Augen trete, dann macht er mich so fertig, daß niemand mehr ein Stück Brot von mir nimmt.«
»Es geht doch nicht an, von diesen Leuten hier Pünktlichkeit zu erwarten«, sagte Hornblower mit der bequemen Logik dessen, der keine Verantwortung trägt. Dann aber wanderten seine Gedanken zur britischen Flotte, die einsam, ohne Freund, ohne Bundesgenossen mit verbissener Ausdauer die Küsten ganz Europas blockierte und dabei nicht nur feindlicher Übermacht, Stürmen und Seuchen, sondern neuestens sogar dem drohenden Hunger Trotz bot.
»Da, sehen Sie!« rief Tapling plötzlich und deutete nach unten. Eine große graue Ratte war aus dem trockenen Ablaufrohr zum Vorschein gekommen, das hier am Ufer mündete. Ohne sich um den hellen Sonnenschein zu kümmern, setzte sie sich auf die Hinterbeine und sah sich in der Welt um.
Sie ließ sich nicht einmal ernstlich stören, als Tapling mit dem Fuß aufstampfte. Erst beim zweitenmal wandte sie sich langsam ab, um wieder in ihr Versteck zu kriechen, fiel dabei jedoch auf die Seite und wand sich sekundenlang vor der Mündung der Röhre am Boden. Schließlich raffte sie sich auf und huschte ins Dunkel zurück.
»Das muß eine sehr alte Ratte gewesen sein«, sagte Tapling nachdenklich, »wahrscheinlich schon taperig, vielleicht sogar blind.«
Hornblower machte sich nichts aus Ratten, ob sie nun alt waren oder jung. Er ging die paar Schritte zurück zur Barkaß, und der Beamte schloß sich ihm an.
»Setzen Sie das Großsegel, Maxwell, und trimmen Sie es so, daß es uns etwas Schatten gibt«, befahl er. »Wir werden noch den ganzen Nachmittag hier bleiben müssen.«
»Ein herrliches Vergnügen«, sagte Tapling und setzte sich auf einen Steinpoller dicht beim Boot, »hier unter den Heiden herumzusitzen. Wenigstens brauchen wir nicht zu befürchten, daß uns die Leute weglaufen. Und der Schnaps ist auch kein Problem - nur die Gerste und die Rinder... und wie ich jetzt einen Funken in den Zunder bekomme.«
Er zog seine Pfeife aus der Tasche und blies sie gründlich durch, ehe er sich ans Stopfen machte. Das Boot lag jetzt im Schatten des Großsegels, ein Teil der Bootsgäste saß leise plaudernd im Bug, andere hatten sich's nach Möglichkeit in der Achterpiek bequem gemacht. Die Barkaß rollte friedlich in der leisen Dünung, bei jeder ihrer Bewegungen knarrten die Fender zwischen Dollbord und Brücke in einschläferndem Rhythmus.
Stadt und Hafen lagen wie ausgestorben in der flirrenden Hitze des Nachmittags. Für einen tatendurstigen jungen Mann wie Hornblower war das lange Warten trotz der Hitze schwer zu ertragen. Er kletterte bald wieder auf die Brücke, um sich die Beine zu vertreten, und schlenderte vor dem Boot auf und ab.
Ein Maure in weißem Gewand und mit einem Turban auf dem Kopf kam in der Sonnenhitze taumelnd den Kai entlang. Er war unsicher auf den Beinen und setzte die Füße beim Gehen weit auseinander, um sich notdürftig im Gleichgewicht zu halten.
»Sagten Sie nicht, daß die Moslems den Alkohol verabscheuen?« sagte Hornblower zu Tapling, der am Heck des Bootes Platz genommen hatte.
»Das nicht«, entgegnete Tapling einschränkend, »er ist nur offiziell in Bann getan, sein Genuß verstößt gegen das Gesetz und ist unerlaubt, darum ist er sehr schwer zu bekommen.«
»Und doch scheint sich der Bursche dort ein gehöriges Quantum eingeschenkt zu haben«, sagte Hornblower.
»Das muß ich sehen«, rief Tapling und kletterte aus dem Boot. Die Bootsgäste im Bug der Barkaß stiegen ebenfalls an Land, um sich das Schauspiel anzusehen, weil ihnen das Warten allmählich langweilig wurde und weil sie von jeher für jedes Erlebnis zu haben waren, das irgendwie mit Schnaps zusammenhing.
»Weiß Gott, der sieht aus, als hätte er tüchtig ins Glas geguckt.«
»Der hat schwer Schlagseite, Sir«, sagte Maxwell, als der Maure stolperte.
»Jetzt läuft er aus dem Ruder«, ergänzte Tapling, als man ihn hilflos im Halbkreis herumtaumeln sah.
Zuletzt brach er in die Knie und stürzte wie vom Blitz gefällt auf sein Gesicht. Seine braunen Beine zuckten noch ein paarmal unter dem langen Gewand hervor, dann zog er sie an den Leib.
So blieb er, die Arme unter den Kopf geschoben, regungslos im Staub liegen. Sein Turban rutschte zu Boden und enthüllte den kahlgeschorenen Schädel, der nur ein winziges Haarbüschel trug.
»Entmastet«, sagte Hornblower. »... und gestrandet«, fügte Tapling hinzu. Der Maure wußte nichts mehr von seiner Umgebung.
»Da kommt Duras.«
Wie zuvor tauchte seine unförmige Gestalt auf dem kleinen Esel vor der Stadtpforte auf, aber diesmal folgte ihm ein zweiter Esel, der ebenfalls einen stattlichen Mann trug. Die beiden Esel wurden von Negersklaven geführt, und hinter ihnen drein zog eine Schar dunkelhäutiger Kerle, die so etwas wie eine Uniform trugen und mit Musketen ausgerüstet waren. Offenbar handelte es sich also um Soldaten.
»Der Schatzmeister Seiner Hoheit«, stellte Duras den anderen vor, als sie beide abgestiegen waren, »er kommt, um das Gold zu holen.«
Der stattliche Maure musterte sie mit einem hochnäsigen Blick, Duras stand schweißgebadet neben ihm in der heißen Sonne.
»Ich habe das Gold hier«, sagte Tapling und zeigte auf das Boot. »Es liegt achtern in der Barkaß. Sie werden es zu sehen bekommen, wenn wir den Proviant vor Augen haben, den wir dafür kaufen wollen.«
Duras übersetzte das ins Arabische. Es folgte ein rasches Hin und Her von Rede und Gegenrede, bis der Schatzmeister augenscheinlich klein beigab. Er wandte sich um und gab nach der Stadtpforte zu ein Zeichen, das sicher vorher verabredet war, denn gleich darauf kam dort ein wahrer Elendszug zum Vorschein: Männer aller Hautfarben, Weiße, Schwarze und Mischlinge, alle fast nackt und jeder mit einem schweren Sack Getreide auf dem Rücken, wankten in endloser Reihe hintereinander herbei. Aufseher mit Knüppeln in den Händen begleiteten den traurigen Zug.
»Das Gold«, sagte Duras auf einen Wink des Schatzmeisters.
Auf einen Befehl Taplings machten sich die Bootsgäste daran, die schweren Goldsäcke auf der Landungsbrücke zu stapeln.
»Wenn das Getreide auf dem Kai liegt, werde ich das Gold danebenlegen«, sagte Tapling zu Hornblower. »Behalten Sie es aber gut im Auge, bis ich ein paar Stichproben genommen habe.«
Er begab sich zu den Sklaven, öffnete den einen oder anderen Sack, warf einen Blick hinein und ließ die goldene Gerste prüfend durch die Finger laufen. Andere Säcke befühlte er nur von außen.
»Jeden Sack kann ich unmöglich aufmachen«, bemerkte Tapling, als er wieder zu Hornblower trat, »bei hundert Tonnen Gerste wäre das ein hoffnungsloses Beginnen. Dabei bin ich überzeugt, daß eine Menge Sand darunter ist. Das ist bei diesen Heiden nun einmal so. Aber wir haben den Preis entsprechend festgesetzt. Bitte, Effendi.«
Auf ein Zeichen von Duras machten sich die Sklaven unter den anfeuernden Rufen und Stockschlägen der Aufseher wieder an die Arbeit. Sie schleppten ihre Säcke bis an die Kante des Kais und ließen sie in den Leichter fallen, der hier längsseit lag.
Aus den ersten zwölf Mann wurde sogleich eine Arbeitsgruppe gebildet, die die Ladung gleichmäßig im Raum des Leichters verstaute, die anderen trabten mit schweißglänzenden Leibern wieder zurück, um sich von neuem mit einem Sack zu beladen.
Zur gleichen Zeit kamen ein paar dunkelhäutige Viehtreiber zum Tore heraus, die eine kleine Herde Rinder vor sich hertrieben.
»Schäbig genug, dieses Viehzeug«, meinte Tapling mit einem kritischen Blick auf die Tiere, »aber auch das ist beim Preis berücksichtigt.«
»Und das Gold?« sagte Duras.
An Stelle einer Antwort öffnete Tapling einen der Säcke, die vor ihm lagen, nahm eine Handvoll goldener Guineen heraus und ließ sie durch die Finger wieder in den Sack rieseln.
»Das sind fünfhundert Guineen«, sagte er. »Wie Sie sehen, sind es vierzehn Säcke. Sie gehören Ihnen, wenn die Leichter beladen sind und abgelegt haben.«
Duras wischte sich mit müder Geste den Schweiß vom Gesicht. Seine Knie schienen zu wanken, er lehnte sich an den Esel, der geduldig hinter ihm stand.
Das Vieh wurde über eine Planke in einen zweiten Leichter getrieben. Inzwischen war eine weitere Herde erschienen und wartete, bis sie an die Reihe kam.
»Nun geht es doch schneller voran, als Sie befürchteten«, sagte Hornblower.
»Ja, aber sehen Sie nur, wie die armen Burschen da angetrieben werden«, antwortete Tapling. »Wenn man die Menschen rücksichtslos mit Füßen tritt, dann läßt sich natürlich schnelle Arbeit leisten.«
Einer der farbigen Sklaven war unter seiner Last zusammengebrochen und lag nun hilflos am Boden. Nicht einmal die Prügel, die die Aufseher auf ihn niederhageln ließen, konnten ihn dazu bewegen, sich wieder aufzuraffen. Nur seine Beine rührten sich noch ein bißchen. Zuletzt zerrte man ihn einfach aus dem Weg, und die Säcke wanderten weiter dem Leichter zu. Inzwischen füllte sich auch der zweite Leichter rasch mit Vieh, die Tiere standen so dicht gedrängt, daß sie sich nicht rühren konnten, und stießen ein herzzerreißendes Gebrüll aus.
»Seine Hoheit hält tatsächlich Wort«, wunderte sich Tapling, »ich hätte höchstens auf die Hälfte gewettet, wenn man mich nach meiner Meinung gefragt hätte.«
Einer der Viehtreiber hatte sich auf dem Kai niedergelassen und stützte den Kopf in die Hände. Plötzlich sank er kraftlos zur Seite.
»Sir -«, begann Hornblower, und die beiden Männer sahen einander wortlos an, da ihnen offenbar der gleiche, schreckliche Gedanke kam. Duras wollte etwas sagen. Mit einer Hand klammerte er sich an den Widerrist des Esels, mit der anderen fuchtelte er in der Luft herum, es sah fast aus, als wollte er so etwas wie eine Rede halten. Aber seine Worte hatten keinen Sinn und endeten in einem heiseren Gebrüll. Sein fettes Gesicht war unförmig angeschwollen und verzerrt, die Wangen waren so stark blau unterlaufen, daß sie unter der braunen Haut fast schwarz wirkten. Jetzt ließ er den Esel los und taumelte vor den Augen der Mauren und der Engländer in Halbkreisen hin und her. Seine Stimme erstarb zu einem Flüstern, die Beine trugen ihn nicht mehr, er fiel zuerst auf Hände und Knie, dann auf das Gesicht.
»Das ist die Pest«, sagte Tapling, »der Schwarze Tod!
Genauso war es in Smyrna im Jahr 96.«
Er und die anderen Engländer wichen nach der einen Seite zurück, die Soldaten und der Schatzmeister nach der anderen.
Zwischen den beiden Gruppen wand sich Duras hilflos am Boden.
»Um Gottes willen, die Pest!« kreischte einer der jungen Matrosen auf und wollte schon mit einem Satz in die Barkaß zurück.
»Dageblieben!« brüllte ihn Hornblower an. Er selbst hatte mindestens die gleiche Angst vor dieser schrecklichen Seuche, aber in der harten Schule der Disziplin hatte sich sein Wesen schon so gefestigt, daß er solcher Regungen mühelos Herr wurde.
»Zu dumm, daß ich nicht eher dahinterkam«, sagte Tapling.
»Die sterbende Ratte, dann der Kerl dort, den wir für betrunken hielten - ich hätte mir denken können, was das bedeutet.«
Ein Soldat, allem Anschein nach der Führer der Eskorte des Schatzmeisters, führte eine höchst erregte Unterhaltung mit dem Oberaufseher der Sklavenkolonne, beide starrten und deuteten nach dem sterbenden Duras. Der Schatzmeister selbst raffte sein Gewand an sich und blickte wie gebannt vor Entsetzen auf den unglücklichen Mann zu seinen Füßen.
»Nun, Sir«, fragte Hornblower Tapling, »was sollen wir tun?«
Hornblower war ein Mensch, den es in einer kritischen Lage zum sofortigen Handeln drängte.
»Was wir tun sollen?« antwortete Tapling und lachte bitter auf. »Hierbleiben und verfaulen.«
»Hier sollen wir bleiben? Niemals!«
»Die Flotte will uns auf keinen Fall haben. Man läßt uns erst zurück, wenn wir drei Wochen in Quarantäne gelegen haben, wohlgemerkt, drei Wochen nach dem Auftreten des letzten Falles und hier in Oran.«
»Ach was!« sagte Hornblower, der über dieser schrecklichen Aussicht seine ganze Achtung vor dem Rangältesten vergaß.
»Kein Mensch kann so etwas befehlen.«
»Meinen Sie? Haben Sie schon einmal eine Seuche auf einer Flotte erlebt?«
Erlebt noch nicht, aber er hatte schon mehr als genug davon erzählen hören - von Flotten etwa, wo neun von zehn Mann an Faulfieber gestorben waren. Menschenüberfüllte Schiffe mit zweiundzwanzig Zoll Hängemattsraum für den Mann waren ein idealer Nährboden für jede Epidemie. Er mußte einsehen, daß kein Kommandant und erst recht kein Admiral sich wegen einer Barkaßbesatzung von zwanzig Mann in eine solche Gefahr begab.
Die beiden Schebecken an der Brücke hatten plötzlich losgeworfen und strebten mit ihren langen Riemen eiligst aus dem Hafen.
Die Pest kann erst heute ausgebrochen sein, überlegte Hornblower. Die Gewohnheit, logisch zu denken und zu schließen, war bei ihm sogar stärker als die Angst.
Die Viehtreiber ließen ihre Arbeit im Stich und schlugen einen großen Bogen um ihren unglücklichen Genossen, der besinnungslos auf dem Kai lag. An der Stadtpforte schien die Wache im Begriff zu sein, Leute, die heraus wollten, in die Stadt zurückzutreiben. Offenbar hatte sich die Nachricht vom Ausbruch der Pest mit Windeseile verbreitet und bereits eine Panik verursacht, so daß man der Torwache sofort den Befehl gab, die Flucht der Einwohner in die Umgebung zu verhindern.
Es war ja vorauszusehen, daß sich in der Stadt bald grauenhafte Zustände entwickeln würden. Der Schatzmeister kletterte auf seinen Esel, die Schar der Sklaven, die die Getreidesäcke getragen hatten, lichtete sich zusehends, da ihre Aufseher verschwunden waren.
»Jedenfalls muß ich meinem Schiff Meldung machen«, sagte Hornblower. Tapling war als Beamter im diplomatischen Dienst nicht sein Vorgesetzter, die ganze Verantwortung lag daher auf seinen Schultern. Die Barkaß war ihm unterstellt, Kapitän Pellow, dessen Befehlsgewalt unmittelbar vom König stammte, hatte sie ihm anvertraut.
Es war toll, wie rasch jetzt die Panik um sich griff. Der Schatzmeister war verschwunden, Duras' Negersklave hatte auf dem Esel seines verstorbenen Herrn das Weite gesucht. Die Soldaten hatten geschlossen die Flucht ergriffen, außer den Toten und Sterbenden war am Hafen keine Menschenseele mehr zu erblicken. Hier am Wasser zwischen Kai und Stadtmauer führte wahrscheinlich der Weg ins offene Land hinaus, wohin jetzt jedermann sehnsüchtig strebte. Die Engländer standen allein am Wasser, zu ihren Füßen lagen unberührt die goldgefüllten Säcke.
»Die Pest verbreitet sich durch die Luft«, sagte Tapling, »sogar die Ratten gehen daran ein. Wir haben uns stundenlang hier aufgehalten und waren - dem dort -«, er wies auf den sterbenden Duras, »so nah, daß wir mit ihm sprechen, daß wir seinen Atem im Gesicht fühlen konnten. Wer von uns kommt wohl als erster dran?«
»Das wollen wir ruhig der Zukunft überlassen«, sagte Hornblower. Sein Widerspruchsgeist reizte ihn dazu, dem verzweifelten Tapling mit Optimismus zu begegnen, außerdem wollte er nicht, daß die Männer hörten, was er daherredete.
»Und dann die Flotte!« sagte Tapling bitter. »Dieser Haufen Proviant« - er deutete auf die verlassenen Leichter - »wäre ein Geschenk des Himmels für sie. Die Besatzungen sind auf Zwei-Drittel-Rationen gesetzt.«
»Herrgott noch mal«, rief Hornblower, »da muß doch etwas zu machen sein! Maxwell, mannen Sie das Gold wieder ins Boot, und bergen Sie das Segel.«
Der Wachhabende Offizier an Bord Seiner Majestät Schiff Indefatigable sah die Barkaß von der Stadt zurückkommen. Eine leichte Brise hatte die Fregatte und die Caroline (das war das Proviantschiff) herumschwojen lassen. Merkwürdigerweise kam die Barkaß nicht längsseit, sondern lief von Lee her unter das Heck der Indefatigable.
»Mr. Christie«, rief Hornblower, der im Bug des Bootes stand.
Der Wachhabende Offizier kam an die Heckreling.
»Was ist los?« rief er. Hornblowers Verhalten gab ihm ein Rätsel auf.
»Ich muß den Kommandanten sprechen.«
»Dann kommen Sie doch an Bord und gehen Sie zu ihm hin.
Was soll denn...«
»Bitte melden Sie dem Kommandanten, daß ich ihn sprechen möchte!«
Pellow erschien am Heckfenster seiner Kajüte, da er die laute Unterhaltung nicht gut überhört haben konnte. »Was ist denn, Mr. Hornblower?« Hornblower berichtete ihm das Vorgefallene.
»Halten Sie die Ohren steif, Mr. Hornblower.«
»Jawohl Sir. Aber die Vorräte...«
»Was ist mit denen?«
Hornblower setzte ihm die Lage auseinander und knüpfte daran seinen Vorschlag.
»Ein etwas ungewöhnliches Verfahren«, überlegte Pellow, »und außerdem...«
Er hielt inne, weil er seine Befürchtung nicht laut verkünden wollte, daß vielleicht die ganze Barkassenbesatzung über kurz oder lang der Pest zum Opfer fallen würde.
»Wir kommen bestimmt damit klar, Sir. Es handelt sich immerhin um eine ganze Wochenration für das Geschwader.«
Das war entscheidend, darauf kam es an. Pellow hatte zwei Möglichkeiten gegeneinander abzuwägen: im schlimmsten Falle ging eine Transportbrigg verloren, bestenfalls gewann er eine Menge Proviant, der doch so unendlich wichtig war, weil er das Geschwader in Stand setzte, seinen Wachdienst vor dem Eingang zum Mittelmeer fortzusetzen. Im großen Zusammenhang gesehen war Hornblowers Vorschlag nicht von der Hand zu weisen.
»Einverstanden, Mr. Hornblower. Bis Sie den Proviant herausbringen, habe ich die Besatzung der Brigg von Bord geholt. Ich übertrage Ihnen hiermit das Kommando über die Caroline.«
»Danke, Sir.«
»Mr. Tapling wird sich als Passagier bei Ihnen einschiffen.«
»Jawohl, Sir.«
Als später die Barkaßbesatzung schwitzend und an den Riemen wuchtend die beiden Leichter vom Hafen herbeischleppte, fand sie die Caroline bereits verlassen vor ihrem Anker. Von der Indefatigable aus aber verfolgten ein Dutzend Kieker voll Neugier, was sich weiter begab.
Hornblower kletterte sogleich mit einer Handvoll seiner Leute an Bord.
»Eine richtige Arche Noah, Sir«, meinte Maxwell.
Der Vergleich traf den Nagel auf den Kopf. Die Caroline war ein Glattdecker, aber der ganze verfügbare Decksraum war durch Verschläge in Viehställe unterteilt. Um dennoch die Bedienung der Segel zu ermöglichen, hatte man leichte Planken über die Ställe gelegt, die insgesamt fast ein durchlaufendes Oberdeck darstellten.
»Mein Gott, all das Viehzeug!« sagte ein anderer Matrose.
»Noahs Tiere liefen paarweise von selbst an Bord«, sagte Hornblower. »Leider sind wir nicht so gut dran. Aber zuerst muß einmal die Gerste an Bord. Macht gleich die Luken auf.«
Unter normalen Umständen hätte ein zwei- bis dreihundert Mann starkes Arbeitskommando der Indefatigable mit der Übernahme der Ladung aus den Leichtern kurzen Prozeß gemacht, heute mußten die achtzehn Mann der Barkaß dazu genügen. Glücklicherweise hatte Pellow in seiner Umsicht und Hilfsbereitschaft daran gedacht, den Ballast aus dem Raum über Bord hieven zu lassen, sonst hätten sie diese lästige Arbeit vor allem anderen erledigen müssen.
»Besetzt die Ladetakel, Männer!« befahl Hornblower.
Pellow konnte von weitem erkennen, wie die erste Bunsch Getreidesäcke langsam aus dem Leichter in die Höhe schwebte, einschwang und in der Luke der Caroline verschwand.
»Jetzt bin ich überzeugt, daß er es schaffen wird«, sagte er.
»Mann Spill, Mr. Bolton, und klar zum Segelsetzen.«
Hornblower überwachte aufmerksam die Arbeit an den Takeln, als er Pellows Stimme vernahm, der durch ein Megaphon herüberrief.
»Viel Glück, Mr. Hornblower! Melden Sie sich in drei Wochen in Gibraltar!«
»Jawohl, Sir, besten Dank, Sir!«
Als er sich wieder umwandte, stand ein Matrose vor ihm und führte grüßend die Hand an die Stirn:
»Verzeihung, Sir, hören Sie das Vieh dort unten im Leichter brüllen, Sir? Es herrscht eine Bullenhitze, und die Tiere brauchen unbedingt Wasser.«
»Verdammt noch mal, Sie haben recht«, sagte Hornblower.
Es war ausgeschlossen, daß er das Vieh noch vor Dunkelwerden an Bord brachte. Darum ließ er nur eine kleine Gruppe weiter Getreide laden, mit dem Rest der Leute improvisierte er ein Verfahren, die unglücklichen Tiere im Leichter zu tränken. Der halbe Laderaum der Caroline war mit Wasserfässern und Futter gefüllt, aber es war nicht so ganz einfach, das Wasser mit Pumpe und Schlauch in die Leichter zu schaffen. Zudem gerieten die durstigen Tiere völlig außer Rand und Band, als sie merkten, daß es zu saufen gab. Hornblower sah, wie sich der Leichter so weit auf die Seite legte, daß er um ein Haar gekentert wäre und wie einer seiner Leute - er konnte Gott sei Dank schwimmen - kurzerhand über Bord sprang, um nicht hoffnungslos zu Tode gequetscht zu werden.
»Verdammt noch mal!« rief Hornblower abermals und gewiß nicht zum letzten Male.
Für ihn galt es jetzt, ohne sachkundige Anweisung zu lernen, wie man auf See mit lebendem Vieh umzugehen hatte. Jede Minute brachte ihm eine neue Erfahrung. Es war erstaunlich, welche Aufgaben zuweilen an einen Seeoffizier im Borddienst herantraten, er durfte sich in dieser Hinsicht weiß Gott über nichts mehr wundern. Die Dunkelheit war längst hereingebrochen, als Hornblower mit der Arbeit ausscheiden ließ, und schon vor Morgengrauen holte er die Männer wieder heraus. Es war noch früh am Tage, da lag der letzte Sack Getreide im Raum, und nun stand Hornblower gleich vor der nächsten schwierigen Aufgabe, die Rinder aus dem Leichter an Deck zu hieven. Nach einer Nacht in der drangvollen Enge des Leichters, hungrig und durstig wie sie waren, ließen die Tiere nicht mit sich spaßen. Zu Anfang allerdings, solange sie noch eng gedrängt in dem Fahrzeug standen, kam man noch einigermaßen mit ihnen zurecht. Ein Bauchgurt wurde dem nächstbesten Stück umgelegt, das Ladetakel eingehakt, dann heißte man das Tier auf und fierte es durch eine Öffnung zwischen den Laufplanken an Deck, wo es sich willig in einen der Ställe treiben ließ. Die Seeleute schrien, schwenkten ihre Hemden und hatten an dem Manöver einen Heidenspaß. Aber gleich der nächste Ochse setzte ihrem Übermut einen gehörigen Dämpfer auf. Er ging nämlich sofort zum Angriff über, als man ihm den Bauchgurt abgenommen hatte, und jagte sie mit gesenktem Kopf an Deck umher, um sie auf die Hörner zu nehmen und zu Tode zu spießen. Endlich hatten sie ihn in einem Stall und verlegten ihm mit einem vorgeschobenen Balken den Weg. Hornblower sah mit Besorgnis, wie rasch die Sonne im Osten höher stieg, und konnte daher solchen zeitraubenden Abenteuern nicht den geringsten Spaß abgewinnen.
Je mehr sich der Leichter leerte, desto mehr Platz fanden die Tiere, um herumzurennen und einander nachzujagen, so daß es zuletzt geradezu lebensgefährlich war, sie einzufangen und ihnen den Bauchgurt umzulegen. Es wirkte auch nicht gerade beruhigend auf diese halbwilden Rinder, wenn sie mit ansehen mußten, wie ihre Gefährten der Reihe nach brüllend über ihren Köpfen entschwebten. Noch ehe der Tag halb vergangen war, waren Hornblowers Männer so müde und abgekämpft, als ob sie von früh bis spät im Gefecht gewesen wären. Jede Seemannsarbeit schien ihnen jetzt begehrenswerter als diese ungewohnte Plackerei, und sie wären wohl tausendmal lieber in stürmischer Nacht in den Topp geentert, um ein Marssegel zu reffen, als sich mit diesen widerborstigen Kreaturen herumzuschlagen. Erst als Hornblower auf den Einfall kam, den Laderaum des Leichters durch kräftige Spieren zu unterteilen, ging die Arbeit leichter von der Hand, dennoch nahm sie eine Menge Zeit in Anspruch, und ehe noch das Ende abzusehen war, hatte es unter dem Vieh bereits ein paar Opfer gegeben. Einige schwächere Tiere der Herde waren bei der wilden Raserei im Leichter einfach niedergetrampelt worden.
Einmal gab es eine Abwechslung: von Land her näherte sich ein Boot, das von dunkelhäutigen Arabern gerudert wurde und an dessen Heck der Schatzmeister saß. Hornblower überließ es Tapling, die Verhandlung zu führen - offenbar hatte die Pest den Bey doch nicht so erschreckt, daß er darüber vergessen hätte, sein Geld zu fordern. Hornblower bestand nur darauf, daß sich das Boot gut frei in Lee des Schiffes hielt. Das Geld wurde ihm dann zugestellt, indem man es einfach in einem großen, leeren Rumfaß hinübertreiben ließ. Als die Dunkelheit herabsank, war noch nicht die Hälfte des Viehs in den Ställen an Bord der Caroline, und Hornblower machte sich Sorgen, wie die Tiere getränkt und gefüttert werden sollten. Er war froh über jeden Wink, den er den paar landwirtschaftlich geschulten Leuten seiner Besatzung durch diplomatische Fragen entlocken konnte.
Schon vor Morgengrauen rief er seine Männer wieder an die Arbeit. Es gab für ihn einen Augenblick heimlicher Schadenfreude, als Tapling um sein Leben auf den Laufsteg über den Ställen springen mußte, um einem rasenden Ochsen zu entkommen, der an Deck umherjagte und sich um keinen Preis in einen Stall sperren ließ. Als dann endlich das letzte Tier sicher untergebracht war, sah sich Hornblower vor ein neues Problem gestellt: er mußte sich um jene Verrichtung kümmern, die einer seiner Leute kurz und bündig »Ausmisten« nannte.
Füttern, tränken und nun auch noch ausmisten. Es sah so aus, als machte diese Decksladung Vieh allein so viel Arbeit, daß seine achtzehn Mann damit vollauf beschäftigt waren. Wer aber blieb dann noch, um das Schiff zu bedienen?
Einen Vorteil hatte es, daß die Männer so schwer heran mußten: Hornblower konnte mit grimmiger Freude feststellen, daß seit dem Beginn der Plackerei kein Wort mehr über die Pest gefallen war. Der Ankerplatz der Caroline war gegen nordöstliche Winde ungeschützt, und daher war es unerläßlich, daß er in See ging, ehe Wind aus dieser Richtung aufkam. Er musterte seine Männer und teilte sie in Wachen ein, er selbst war der einzige Nautiker an Bord, also mußte er die beiden Bootssteurer Maxwell und Jordan als Wachoffiziere einsetzen.
Ein Mann meldete sich freiwillig als Koch, wer aber sollte das Amt des Kochsmaaten übernehmen? Hornblower musterte seine Leute und bestimmte zuletzt Tapling dazu. Der öffnete schon den Mund, um dagegen Einspruch zu erheben, aber seine Worte blieben ungesagt, denn Hornblowers entschlossenes Auftreten erstickte jeden Widerspruch im Keim. Es gab auf diesem Schiff keinen Bootsmann, keinen Zimmermann und natürlich auch keinen Arzt, darüber gab sich Hornblower beklommen Rechenschaft. Was den Arzt betraf, so konnte er allerdings hoffen, daß die drohende Krankheit ein rasches und gnädiges Ende bescherte.
»Backbordwache Vorsegel und Großmarssegel los!« befahl er. »Steuerbordwache Mann Spill!«
So begann jene Reise Seiner Majestät Transportbrigg Caroline, die in der ganzen Marine als sagenhaftes Abenteuer bekannt wurde, weil jene, die dabeigewesen waren, bei ihren neuen Kommandos auf ungezählten Mittelwachen die tollsten Dinge darüber zu berichten wußten. Die Caroline machte die drei Wochen Quarantäne auf einer einzigen ziellosen Kreuzfahrt im westlichen Mittelmeer durch. Dabei mußte sie sich möglichst nahe der Meerenge halten, damit sie nicht durch westliche Winde und den meist in das Mittelmeer hineinsetzenden Strom zu weit nach Osten geriet und Gefahr lief, Gibraltar nicht zur befohlenen Zeit zu erreichen. So kreuzte sie dann unverdrossen zwischen Spanien und Afrika hin und her und verbreitete dabei in ihrem Lee einen Stallgeruch, der sich immer stärker bemerkbar machte. Die Caroline war ein altes Schiff und weich in den Verbänden, schon beim geringsten Seegang leckte sie wie ein Sieb. Die Leute standen ununterbrochen an den Pumpen.
Entweder pumpten sie Wasser aus dem Schiff, oder Seewasser an Deck, um den Mist wegzuspülen, oder endlich Frischwasser aus den Fässern herauf, um das Vieh zu tränken.
Die schweren Ställe an Oberdeck machten die Caroline bei frischer Brise topplastig und beeinträchtigten ihre See-Eigenschaften, natürlich leckten dann auch die Decksnähte, so daß ständig eine unbeschreiblich stinkende Jauche in die unteren Räume tropfte. Der einzige Trost war der unerschöpfliche Vorrat an Frischfleisch, das die meisten von Hornblowers Leuten schon seit über drei Monaten nicht mehr gekostet hatten.
Hornblower opferte rücksichtslos jeden Tag einen Ochsen für die Kombüse, da sich das Fleisch in der Hitze des Mittelmeers nicht länger frisch halten ließ. So schwelgten denn seine Männer einen Tag um den anderen in Beefsteaks und Rinderzungen, und es gab mehr als einen darunter, der solche Leckerbissen noch nie im Leben gekostet hatte.
Dafür bereitete die Versorgung mit Wasser um so größere Sorge. Sie machte Hornblower mehr zu schaffen als jedem anderen Kapitän, denn die Masse Vieh an Bord war immer durstig. Zweimal mußte er mit Landungstrupps spanische Fischerdörfer heimsuchen, um aus Bächen und Quellen seine Wasserfässer neu zu füllen.
Wie es sich bei der zweiten Landung erwies, war das ein gefährliches Unterfangen, denn als die Caroline noch im Begriff war, sich wieder von der Küste freizusegeln, kam hinter der nächsten Huk ein spanischer Guardacosta-Kutter zum Vorschein und hielt unter einem Preß von Segeln auf sie zu. Maxwell sah ihn zuerst, aber Hornblower hatte ihn ebenfalls schon entdeckt, ehe er noch Meldung machen konnte.
»Danke, Maxwell«, sagte Hornblower mit gespielter Fassung.
Er richtete sein Glas auf das Fahrzeug. Es lag kaum drei Meilen entfernt und etwas in Luv, die Caroline war also abgeschnitten, da ihr die nahe Küste ein Entkommen nach Lee unmöglich machte. Der Kutter lief mindestens eine Meile mehr, und überdies war die Caroline mit ihrem hinderlichen Aufbau nicht höher als acht Strich an den Wind zu bringen. Während Hornblower durch sein Glas nach dem Gegner hinübersah, kam die aufgespeicherte Erregung der letzten Woche zum Überkochen. Er haderte mit dem Schicksal, das ihm diesen lächerlichen Auftrag zugedacht hatte, er haßte die schwerfällige Caroline samt ihrer stinkenden Ladung, er raste gegen sein Pech, das ihm diese aussichtslose Lage bescherte.
»Verflucht!« stieß er zähneknirschend hervor und stampfte wütend mit dem Fuß. »Hol der Satan den ganzen Sch... dreck!«
Er tanzte förmlich vor Wut, und sein zweites Ich nahm neugierig Anteil an diesem nie erlebten Ausbruch. In der Siedehitze seines Temperaments kam natürlich der Gedanke an kampflose Übergabe gar nicht erst auf, das Ergebnis seiner Raserei war vielmehr, wie nicht anders zu erwarten, ein Schlachtplan. Wieviel Mann waren auf dem spanischen Guardacosta-Kutter voraussichtlich an Bord? Zwanzig?
Ausgeschlossen, denn diese Kutter waren ja nur dazu da, kleine Schmuggelfahrzeuge aufzubringen. Wenn es ihm also seinerseits gelang, die Kerls zu überraschen, dann bestand immer noch eine Aussicht auf Erfolg - trotz der vier Achtpfünder, mit denen der Kutter ausgerüstet war.
»Pistolen und Entermesser klar!« befahl er. »Jordan, suchen Sie sich zwei Mann aus, und bleiben Sie sichtbar hier an Deck.
Alle anderen begeben sich in Deckung. Daß sich keiner blicken laßt! Sie, Mr. Tapling, können sich uns anschließen. Versehen Sie sich ebenfalls mit Waffen.«
Von einem beladenen Viehtransporter erwartet kein Mensch Widerstand. Die Spanier mochten mit zwölf Mann Besatzung rechnen, niemals aber konnten sie auf den Gedanken kommen, daß sich hier eine militärische Besatzung von zwanzig Mann an Bord befand. Die Aufgabe war also, den Kutter in Reichweite heranzulocken.
»Voll und bei!« rief Hornblower dem Rudergänger zu. »Klar zum Jumpen, Männer! Maxwell, wenn sich einer zeigen sollte, ehe ich den Befehl dazu gebe, dann knallen Sie ihn eigenhändig nieder. Haben Sie mich verstanden? Das ist ein dienstlicher Befehl, und wenn Sie nicht gehorchen, dann tun Sie das auf eigene Gefahr.«
»Aye, aye, Sir«, sagte Maxwell.
Der Kutter brauste heran, selbst in dieser leichten Brise hatte er weißen Schaum vor dem Bug. Hornblower warf noch einen Blick nach oben, um sich zu vergewissern, daß die Caroline keine Flagge führte, weil sein Plan dann nach den Kriegsgesetzen als erlaubte Kriegslist galt. Auf dem Kutter stieg eine Qualmwolke auf, der der Knall eines Geschützes folgte.
Die Caroline hatte den üblichen Schuß vor den Bug bekommen.
»Ich drehe bei, Jordan«, sagte Hornblower.
»Großmarsbrassen! Ruder in Lee!«
Die Caroline kam in den Wind und wiegte sich ohne Fahrt in der See. Jedermann mußte überzeugt sein, daß sie sich kampflos ergeben hatte.
»Keinen Laut, Leute.«
Nur die Rinder ließen ihr klagendes Gebrüll vernehmen. Der Kutter kam heran, seine Besatzung war jetzt schon deutlich auszumachen. Hornblower unterschied einen Offizier, der schon auf der Reling stand und sich an die Wanten klammerte, um sofort herüberspringen zu können, aber sonst schien sich niemand weiter um das Bevorstehende zu kümmern. Die Kerle sahen sich nur die unförmigen Aufbauten der Caroline an und schienen sich über die Stallgeräusche zu amüsieren, die zu ihnen hinüberdrangen.
»Abwarten, Männer, abwarten!« sagte Hornblower. Jetzt glitt der Kutter längsseit. Da stieg Hornblower in heißem Schrecken das Blut zu Kopf, weil er plötzlich merkte, daß er unbewaffnet war. Wohl hatte er seinen Männern befohlen, Pistolen und Entermesser klarzunehmen, wohl hatte er Tapling aufgefordert, sich zu bewaffnen, und doch hatte er glatt vergessen, daß er selbst ebenfalls Waffen brauchte. Jetzt war es zu spät, diese Unterlassung wiedergutzumachen. Schon wurde er vom Kutter her auf spanisch angerufen und breitete die Arme, um damit auszudrücken, daß er nicht verstand. Im nächsten Augenblick legte das Fahrzeug an. »Drauf, Männer!« rief er laut über das Deck. Zugleich rannte er in großen Sprüngen über den Aufbau und schnellte sich über den Zwischenraum zwischen den beiden Schiffen nach dem Offizier dort im Want. Er mußte heftig schlucken, während er ohne Halt durch die Luft flog. Dann fiel er mit seinem ganzen Gewicht auf sein unglückliches Opfer, packte den Spanier mit beiden Armen um die Schultern und stürzte mit ihm an Deck. Hinter ihm erscholl lautes Gebrüll, als die Caroline ihre ganze Besatzung über den kleinen Kutter ausspie. Füßegetrappel, Säbelgeklirr und Kampfgetöse erfüllten die Luft. Hornblower richtete sich mit leeren Händen wieder auf. Maxwell machte einen Mann mit seinem Entermesser nieder. Tapling stürmte allen voran nach dem Bug, schwang seinen Säbel und brüllte wie von Sinnen. Dann war alles vorbei.
Die Spanier waren in ihrer sprachlosen Verblüffung nicht imstande, auch nur eine Hand zu ihrer Verteidigung zu heben.
So kam es, daß die Caroline am zweiundzwanzigsten Tag ihrer Quarantäne, in Lee gefolgt von einem gekaperten Küstenschutzkutter, in die Bucht von Gibraltar einlief. Der Wind trug eine dicke Wolke von Stalldunst zur Indefatigable hinüber, als Hornblower in ihrer Nähe zu Anker ging, um seine Meldung zu erstatten.
Am Fallreep empfing ihn sein Freund, Fähnrich Bracegirdle, gleich mit den Worten:
»Hailoh, Noah, was machen denn Sem und Ham?« Aber Hornblower gab ihm schlagfertig zurück: »Sem und Ham haben eine Prise aufgebracht, was du wahrscheinlich nicht von dir behaupten kannst.«
Auf eine andere Bemerkung allerdings verschlug es Hornblower die Antwort. Die bekam er vom Chefintendanten des Geschwaders zu hören, als er sich bei ihm meldete, um ihm Bericht zu erstatten.
»Sie wollen mir doch nicht etwa sagen«, meinte er, »daß Sie Ihren Leuten fortwährend Frischfleisch verabfolgt haben? Einen Ochsen am Tag für ganze achtzehn Mann? Dabei war doch reichlich Proviant an Bord. Ein solches Verfahren kann man nur als mutwillige Verschwendung bezeichnen. Ich muß mich wirklich wundern, Mr. Hornblower.«