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Die Leichenschau hätte nicht glatter vonstatten gehen können. Es meldeten sich zwar einige Zeugen, die die Leiche als Flo Danzer, Empfangsdame in einem Nachtklub, identifizierten, aber ich erklärte, Tante Amelia hätte diesen Namen angenommen, nachdem sie sich von John Wilmen getrennt hatte. Sie hätte Oakview als Mrs. Lintig verlassen, unter ihrem Mädchennamen, Sellar, eine Scheidung auf mexikanisch erreicht und John Wilmen geheiratet. Dann hätte sie John Wilmen verlassen, den Namen Flo Danzer angenommen und wäre schließlich reumütig wieder zu ihrem alten Namen, Amelia Lintig, zurückgekehrt. Ich berichtete von ihrem Besuch in Oakview, und der Empfangschef und der Hoteldiener des Palace, denen unsere Detektei das Reisegeld erstattet hatten, identifizierten die Leiche.
Nach der Autopsie ließ ich die Leiche zur Beerdigung nach Oakview überführen. Es erschienen ziemlich viele Trauergäste. Das war weniger gut. Ich erklärte, ich hätte Tante Amelia nicht nach Oakview bringen lassen, um sensationslüsternen Zeitgenossen ein schaurig-schönes Schauspiel zu bieten. Deshalb, sagte ich, würde ich den Sargdeckel geschlossen halten. Das wäre auch Tante Amelias Wunsch gewesen.
Es war alles sehr feierlich. Der Pfarrer legte sich mächtig ins Zeug. Tante Amelia habe ihre Untat bereut, sagte er, und Gottes Mühlen mahlten langsam, und wer von uns würfe den ersten Stein...
Bertha Cool hatte einen schönen Kranz geschickt. Ein großes Gesteck trug die Aufschrift: »Von einem alten Freund.«
Ich machte keinen Versuch, den Spender des Gestecks zu ermitteln. Vermutlich hätte sich herausgestellt, daß Marians Onkel Stephen die Rechnung bezahlt hatte. Auf der Beerdigung war er nicht.
Als ich nachher in die Redaktion kam, um mich von Marian zu verabschieden, hörte ich hinter der spanischen Wand die Schreibmaschine klappern. »Ein neuer Mitarbeiter?« fragte ich.
»Onkel Steve wollte den Nachruf selber schreiben. Er hat sie wohl gekannt.«
Ich hob die Augenbrauen.
Marian sah mich fragend an. »Donald — war sie wirklich deine Tante?«
»Sogar meine Lieblingstante.«
Sie trat einen Schritt näher und machte ein trauriges Gesicht. »Wann werden wir uns wiedersehen?«
»Wann du willst«, meinte ich. »Bertha hat dir einen Job in Los Angeles beschafft.«
»Donald!«
»Freust du dich?«
Aus dem Hinterraum kam das langsame und stetige Klappern der Schreibmaschine, auf der Stephen Dunton den Nachruf für die Frau schrieb, mit der ihn der Lokalklatsch vor einundzwanzig Jahren in Verbindung gebracht hatte.
In einer Innentasche meines Sakkos steckte die beglaubigte Kopie des Totenscheins. Der Umschlag war adressiert an Dr. Charles Loring Alfmont, Bürgermeister von Santa Carlotta. Marian Dunton fiel mir um den Hals, und der Umschlag knisterte. Ich beschloß, den Brief erst abzuschicken, wenn ich einen Ausschnitt aus der nächsten Ausgabe der Stimme dazulegen konnte.
»Donald — du bist süß!«
»Bedank dich bei Bertha«, sagte ich. »Das Bild, das von dir in der Zeitung war, hat natürlich zu dem Erfolg beigetragen. Was wird Charlie sagen?«
Sie lachte. »Den hab’ ich abgeschoben. Er war so ein schrecklicher Spießer. Ihm gefällt’s in Oakview!«
»Wann ist das passiert?«
Sie sah mit lachenden Augen zu mir auf. »Nach dem Abend, an dem wir im Palace essen waren. Er saß direkt hinter dir. Ich dachte, du hättest das blaue Auge von ihm.«
»Nein, das stammt von Sergeant Harbet. Sag mal — ist dein Onkel Steve absichtlich davongelaufen, als meine Tante im Anzug war?«
»Ja. Es war ihm wohl unangenehm, daß er ein alter, dicker, kahlköpfiger Provinzonkel geworden ist. Er hatte Angst, die feine Dame aus der Stadt würde ihn auslachen.«
Sie unterbrach sich. Das Maschinengeklapper war verstummt.
Steve Dunton war mit seinem Nachruf fertig.