14
Ich hatte schon Krankenbesuch: Bertha Cool. »Wie geht’s denn, Kleiner? Wenn du willst, kann ich dich gleich mitnehmen.«
Die Schwester warf einen Blick auf mein Krankenblatt. »Außer der Gasvergiftung und dem Schock haben wir einen allgemeinen Erschöpfungszustand festgestellt.«
»Kein Wunder. Der Junge hat rund um die Uhr gearbeitet. Er ist schließlich kein Riese.«
»Sie müssen sich etwas schonen«, sagte die Krankenschwester.
»Ich fühle mich schon wieder ganz leidlich«, meinte ich. »Ich glaube, es wird gehen.«
»Einen Moment«, meinte die Schwester. »Ich will nur noch den Arzt fragen.«
Ich hörte sie draußen auf dem Gang telefonieren. Aber ich konnte nicht verstehen, was sie sagte.
»Schieß los«, sagte ich zu Bertha.
»Du hast richtig getippt — sie hat den Mord begangen.«
»Und das Geständnis?« fragte ich. »Kam Alfmont drin vor?«
»Nein. Sie hat es nicht beenden können. Die Unterschrift fehlte. Aber es war eindeutig ihre Handschrift. Gleich zu Anfang gesteht sie, daß sie Evaline Harris auf dem Gewissen hat.«
»Hat sie Sergeant Harbet darin erwähnt?«
»Nein. Aber der kommt in dem Brief an mich vor.«
»Werden wir den noch brauchen?«
»Ich glaube nicht.«
»Wenn es dazu kommt«, meinte ich, »denk daran, daß wir ihr einen adressierten und frankierten Briefumschlag dagelassen und sie gebeten hatten, uns in einer anderen Angelegenheit ein paar Zeilen zu schreiben. Sie hat den Brief selber eingesteckt, und...«
»Du mußt nicht alle außer dir für blöd halten«, sagte Bertha Cool. »Ich habe das sofort kapiert.«
»Was sagt sie über Harbet?«
»Alles. Er hat die Intrige gegen Alfmont eingefädelt.«
»Ich möchte Harbet anrufen. Ich werde ihm vertraulich mitteilen, daß wir...«
»Das wird schlecht gehen. Der Bezirksanwalt hat wegen des Selbstmordes in Santa Carlotta angerufen. Dabei hat er erfahren, daß Harbet spurlos verschwunden ist; ich wette, den sind sie los...«
»Schade. Ich hätte es ihm so gern selber gesagt«, meinte ich.
»Du bist ein rachsüchtiger Knirps, Donald!«
»Was ist denn aus der echten Mrs. Lintig geworden? Hat die Danzer darüber was gesagt?«
»Darüber weiß sie nichts. Amelia hat diesen Wilmen geheiratet und ist mit ihm nach Mittelamerika gegangen. Sie sind nie wieder aufgetaucht. Amelia hatte ihren Koffer bei Flo untergestellt. Eine Weile stand er in ihrer Wohnung herum, dann hat sie ihn in einen Lagerraum schaffen lassen. Schließlich hat sie sich den Inhalt angesehen und sich herausgenommen, was sie brauchte. Sie hat gedacht, Amelia wäre tot.«
»Aber beweisen konnte sie es nicht.«
»Nein.«
»Das habe ich befürchtet. Du mußt darauf bestehen, daß diese Frau Amelia Lintig war. Vielleicht kommen wir damit durch.«
»Du fängst schon wieder an, Donald, mich wie einen Abc-Schützen zu behandeln. Traust du mir denn nicht zu, daß ich...«
Die Schwester erschien wieder. Sie hatte den Arzt mitgebracht. Der sagte ernst: »Es tut mir leid, Mr. Lam, aber ich muß Ihnen sagen, daß Sie sich, sobald Sie einigermaßen wiederhergestellt sind, zum Bezirksanwalt begeben sollen.«
»Bedeutet das, daß ich verhaftet bin?«
»Darauf läuft es hinaus.«
»Mit welcher Begründung?« fragte ich.
»Das weiß ich nicht. So lauten jedenfalls meine Anweisungen. Sie haben in letzter Zeit unter Streß gestanden. Sie sind drahtig und zäh. Organisch sind Sie kerngesund. Aber Ihre Nerven sind durch die Belastung etwas angeknackst. Es gefällt mir gar nicht, daß ich Sie schon wieder wegschicken soll, aber ich kann nichts machen. Ein Kriminalbeamter ist auf dem Weg hierher, um Sie abzuholen.«
»Kann Mrs. Cool mitkommen? Ich brauche sie zur Bestätigung meiner Aussage.«
»Das glaube ich nicht«, meinte der Arzt. »Aber Sie können ja den Beamten mal fragen.«
Er ging, aber die Schwester blieb auf dem Posten. Kurz darauf trudelte der Kriminalbeamte ein. »Ich soll Sie zum Bezirksanwalt bringen.«
»Wie lautet die Anklage?«
»Soviel ich weiß, ist gar keine Anklage erhoben worden.«
»Mr. Lam ist nervlich stark belastet«, sagte Bertha Cool. »Ich kann nicht zulassen, daß er in langen Verhören schikaniert wird.«
Der Beamte zuckte die Schultern.
Bertha Cool nahm meinen Arm. »Ich komme mit, Donald.«
Eine Sekretärin meldete mich an. Bertha Cool trabte hinter mir her. »Nur Mr. Lam«, sagte die Sekretärin, aber Bertha stellte sich taub. Sie tat wie eine besorgte Glucke. »Komm nur, Donald.« Sie redete wie zu einem Fünfjährigen, der zum Zahnarzt muß, und hielt mir die Tür auf.
Mr. Ellis war ein ausgesprochen schöner Mann. Entsprechend war seine Wirkung auf Frauen. Die bisherigen Stationen seines Lebens waren ihm an der Nasenspitze anzusehen: College, Sportler, mit breiten Schultern und kleidsam gebräuntem Gesicht, Footballspieler im Universitätsteam, Musterstudent mit besten Zeugnissen, beliebt bei Mitschülern wie bei Lehrern. Es war deshalb nicht verwunderlich, daß er sich schon in jungen Jahren bis zum Amt des Bezirkanwalts hochgearbeitet hatte, obgleich seine juristischen Kenntnisse hauptsächlich Bücherweisheit waren.
»Sie haben in diesem Fall eine recht bemerkenswerte Rolle gespielt«, legte er los.
»Vielen Dank für die Blumen.«
Er wurde rot.
»Es ist ein schwerer Schlag für mich, daß meine eigene Tante einen Mord begangen hat«, sagte ich kummervoll.
»Und ein interessanter Zufall, daß es sich ausgerechnet um einen Fall handelte, den Sie bearbeiteten.«
Ich hob die Augenbrauen und sah verständnislos Bertha Cool an.
»Ich?«
»Das muß ein Irrtum sein«, meinte Bertha. »Donald ist mein Partner. Wir haben keinen Mordfall bearbeitet.«
»Warum ist Mr. Lam nach Oakview gefahren?«
»Das war rein privat«, sagte Bertha. »Er hat sich dazu Urlaub genommen. Soviel ich weiß, war er auf der Suche nach seiner Tante, um den Kontakt wiederaufzunehmen, der vor Jahren abgebrochen war. Er hat sie ja dann auch in Oakview gefunden, wie Sie wissen.« Ellis runzelte die Stirn. »Ja, ich weiß.« Es entstand eine kleine Pause. Dann sagte er: »Wenn Sie wirklich kein direktes Interesse an dem Mordfall Evaline Harris hatten, Mr. Lam, können Sie mir vielleicht freundlicherweise einmal erklären, wieso Sie Miss Dunton in Ihrer Pension untergebracht und als Ihre Cousine ausgegeben haben, und...«
»Weil ich glaubte, sie wäre in Gefahr«, unterbrach ich ihn. »Sie müssen wissen, ich habe mich in Oakview mit Miss Dunton angefreundet.«
»Das scheint mir allerdings auch so«, bemerkte er zweideutig.
»Ich machte mir Sorgen um sie. Sie hatte mir erzählt, wie sie einen Mann aus dem Apartment von Evaline Harris hatte kommen sehen. Damals dachte sie natürlich, das wäre der Mörder.«
»Eine hübsche Geschichte. Tatsache ist aber, daß Sie Miss Dunton vor uns versteckt haben.«
»Vor Ihnen? Na hören Sie mal! Eins muß ich allerdings zugeben: Ich hatte ihr versprochen, Ihnen Miss Duntons neue Adresse mitzuteilen. Das habe ich total verschwitzt. Nach der Aufregung mit meiner Tante war das ja auch kein Wunder.«
»Was meinen Sie denn?« fragte er verständnislos.
»Meine Tante hatte sich in einen Mann verliebt, der es nur auf ihr Vermögen abgesehen hatte. Ich wollte den Burschen ein wenig unter die Lupe nehmen und dazu — mit Mrs. Cools Einverständnis — unsere Detektei einsetzen.«
Ellis griff zum Telefon. »Bitten Sie Miss Dunton herein.«
Marian Dunton war offensichtlich auf unseren Besuch vorbereitet. Sie lächelte. Dann sah sie mich besorgt an. »Wie geht’s denn, Donald?« Sie kam zu mir herüber und drückte mir die Hand. »Ich habe gehört, daß du im Krankenhaus warst. Du siehst nicht gerade blühend aus.«
Ich nahm ihre Hand, und sie kniff verstohlen das linke Auge zu.
»Du überarbeitest dich, Donald, und du machst dir zu viel Sorgen. Als du dich meinetwegen so aufgeregt hast, hättest du die Behörden verständigen sollen, statt auf eigene Faust...«
»Bitte, Miss Dunton«, sagte Ellis streng. »Das Verhör führe ich.«
»Was möchten Sie denn gern von mir wissen, Mr. Ellis?« fragte ich diensteifrig.
»Wie kommt es, daß in der Wohnung eine so fürchterliche Unordnung herrschte?«
»In welcher Wohnung?«
»In der Wohnung von Miss Dunton.«
»Woher soll ich das wissen?«
»Und daß im ganzen Zimmer Blutspritzer waren, können Sie sich wohl auch nicht erklären, was?«
»Doch, das kann ich mir erklären. Ich hatte an diesem Tag schon ein paarmal starkes Nasenbluten gehabt. Als ich die Wohnung betrat, um ein paar Sachen für Miss Dunton zusammenzupacken, ging es wieder los und hörte gar nicht mehr auf. Ich konnte deshalb auch ihre Sachen nicht mitnehmen. Ich machte mich auf den Weg zum Arzt, aber ehe ich einen gefunden hatte, war es dann vorbei. Sie wissen ja, wie das ist...«
»Aber dann sind Sie nicht noch einmal zurückgegangen, um Miss Duntons Sachen zusammenzupacken?«
»Nein. Ich hatte den Eindruck, daß ich beobachtet wurde.«
»Sie haben also nicht die Einrichtung durcheinandergebracht?«
»Wie käme ich denn dazu? Allerdings bin ich über einen Stuhl gestolpert, daran kann ich mich noch erinnern. Ich lief ja immer mit einem Taschentuch vor der Nase herum.«
»Es sah aus, als hätte in Miss Duntons Wohnung ein Kampf stattgefunden. Ihre Handtasche lag geöffnet auf dem Boden, und...«
»Daß er meine Handtasche fallen ließ, hat er mir erzählt«, warf Marian ein.
Ellis runzelte die Stirn. Aber als er Marian ansah, war es aus mit seiner Strenge. »Sie sollen doch nicht unterbrechen, Miss Dunton«, sagte er fast bittend.
»Ganz wie Sie wollen«, gab sie schnippisch zurück.
Damit hatte sie Ellis völlig den Wind aus den Segeln genommen. Er war auf der ganzen Linie geschlagen. Fünf Minuten später meinte er: »Das ist wirklich eine sehr seltsame Geschichte. Wenn Sie in Zukunft um die Sicherheit eines Zeugen besorgt sind, Mr. Lam, würde ich Ihnen raten, sich mit uns in Verbindung zu setzen, statt auf eigene Verantwortung zu handeln.«
»Tut mir leid. Ich werd’s mir merken.«
Ich warf Bertha Cool einen Blick zu. Besser, gleich alles in einem Abwaschen zu erledigen. »Ich höre, gegen mich ist eine Anzeige wegen Fahrerflucht eingegangen.«
»Die Polizei hat dich im Büro gesucht«, meinte Bertha.
»Die Sache ist erledigt«, sagte Ellis hastig. »Aus Santa Carlotta ist angerufen worden — der Zeuge hatte sich in der Zulassungsnummer geirrt.«
»Na, dann können wir ja gehen«, sagte ich zu Bertha.
»Ich komme mit, Donald«, sagte Marian.
»Einen Augenblick, Miss Dunton. Ich möchte Ihnen noch einige Fragen stellen, wenn die anderen fort sind.«
»Wir warten unten in einem Taxi auf Sie, Marian«, sagte Bertha.
»Hast du den Brief bei dir, den Flo Danzer dir geschrieben hat?« fragte ich Bertha, als wir draußen waren.
»Wo denkst du hin, Kleiner. Der Brief ist gut verwahrt. Jetzt könnten wir eigentlich unserem Klienten Bescheid sagen, meinst du nicht?«
»Zu gefährlich! Es fehlte noch, daß im letzten Augenblick die Sache platzt. Er kann’s ja in der Zeitung lesen: >Amelia Lintig aus Oakview gesteht Mord an Animiermädchen und nimmt sich das Leben.<«
»Die Tante glauben sie dir nie im Leben, Kleiner. Da nageln sie dich fest.«
»Sollen sie nur. Es war wirklich meine Tante.«
Bertha starrte mich entgeistert an.
»Du kennst dich eben in meinem Stammbaum nicht aus!«
»Will ich auch gar nicht«, wehrte Bertha hastig ab. »Diese harte Nuß überlasse ich dir.«
»Um so besser!«
Wir warteten ungefähr zehn Minuten. Dann kam Marian. Sie war sehr vergnügt und hatte rote heiße Wangen. Sie schlang mir die Arme um den Hals. »Wie ich mich freue, Donald! Ich hatte schon Angst, du würdest es mit Mr. Ellis verderben. Dabei hatte ich ihn so schön vorbereitet. Ich hatte ihm erzählt, daß wir befreundet sind und daß du dir große Sorgen um mich gemacht hast.«
»Wie haben sie dich aufgespürt?« fragte ich.
»Durch deine Wirtin, glaube ich. Sie hat in der Zeitung eine Beschreibung der verschwundenen Zeugin gelesen. Ich glaube, sie traut dir nicht über der Weg, Donald!«
»Du solltest dir ein anderes Quartier suchen, Donald«, meinte Bertha.
»Das ist sicher auch die Meinung von Mrs. Eldridge«, bestätigte ich. »Hattest du Schwierigkeiten mit Mr. Ellis, Marian?«
»Schwierigkeiten?« Sie lachte. »Aber nein! Weißt du, was er mich vorhin noch gefragt hat?«
»Ob Sie seine Frau werden wollen«, riet Bertha.
Marian lachte wieder. »Noch nicht. Dazu ist er zu konservativ. Aber er hat gefragt, ob ich heute abend mit ihm ausgehen will.«
Es gab eine Pause. Marian sah mich an, als erwarte sie eine Frage. Bertha nahm sie mir ab. »Was haben Sie ihm geantwortet?«
»Daß ich mit Donald verabredet bin.«
Bertha Cool seufzte. »Da brat mir doch einer ‘nen Riesenstorch!«