34. Kapitel
Franziska und ich tun gekonnt so, als sei nichts. Wir machen einfach weiter. «Iiimmer waidaa», wie Oli Kahn einst philosophierte. Warum auch nicht? Laurin feiert übermorgen Kindergeburtstag mit allem Drum und Dran. Im September soll er eingeschult werden, nachdem es im letzten Jahr bekanntlich nicht klappte. Laurin war damals ein sogenanntes «Kann-Kind», diesen Sommer ist er ein «Jetzt-aber-auf-jeden-Fall-Muss-Kind». Wollen wir ihm da noch zusätzlich eine Trennung zumuten?
Melina steht kurz davor, die 10. Klasse wiederholen zu müssen. Auch da könnte ein wenig familiäre Stabilität nicht schaden. Da kann doch nicht schon wieder einer ausziehen. So geben Franziska und ich uns alle Mühe, das System Familie Bröhmann am Laufen zu halten.
Wir sitzen alle um den Abendessenstisch herum, essen Spaghetti bolognese und trinken Apfelschorle.
Auf Laurins Wunschzettel steht:
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iPad mit Spielen
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XBox 360 Kinect oder Playstation 3 oder zur Not auch Nintendo DS
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Alles von Lego Star Wars
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Originaltrikot von Messi
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Snowboard
Wir haben uns für ein gefälschtes Messi-Barcelona-Trikot und einen Schulranzen mit Malblock und Buntstiften entschieden.
So steht mir also ein großes Partywochenende bevor. Zunächst der Kindergeburtstag, am Sonntag dann der Grillsportvereinsabend mit Manfred Kreutzer bei den «Schweinebäuchen e.V.» in Schotten-Rainrod.
Kurz nachdem Laurin nach beendetem Essen ins Wohnzimmer zum Kinderfernsehen abgezogen ist, sagt Franziska zu Melina:
«Du, sag mal, Melina, darf der Adrian an deinen Laptop ran, wenn du nicht da bist?»
«Häh, was?», Melina blickt verwirrt zu ihrer Mutter.
«Ich kam gestern Mittag nach Hause, bin in dein Zimmer, um die Rollläden hochzuziehen, da saß der Adrian vor deinem Laptop und klappte ihn, als ich reinkam, hektisch zu.»
«Moooment mal», schalte ich mich ein und klinge ein wenig wie Loriot, «wie kommt der denn überhaupt ins Haus?»
Melina zieht ihre Stirn in Falten und blickt mich eine Weile an, schüttelt dann den Kopf, als hätte ich ihr die dümmste und sinnloseste Frage des vergangenen Jahrtausends gestellt.
«Mit ’nem Schlüssel! Oder wie gehst du ins Haus?»
«Ah, so, Adrian hat einen Schlüssel.»
«Nö, aber er kennt das Gartenversteck … was soll’n das hier? Hat er das Haus ausgeraubt, oder was? Halloooo, das ist mein Freund.»
Franziska versucht die Situation etwas zu beruhigen. «Das ist doch auch in Ordnung. Wie vertrauen ihm ja auch. Ich fand halt nur komisch, dass er an deinem Computer rummachte, während du nicht da warst.»
Melina sagt: «Ist das meine Sache oder ist das meine Sache?», steht auf und geht zielstrebig in die innere Emigration ihres Kellerzimmers.
Manch einer stürzt sich an Seilen in den Abgrund oder besteigt den Mount Everest. Andere trainieren für einen Triathlon, machen Urlaub in Survival-Camps, fahren auf kleinen Booten durch wilde Wasser oder gehen zur Fremdenlegion. Ganz andere brauchen so etwas nicht, denn sie führen mindestens einmal pro Jahr einen Kindergeburtstag durch. Dort haben sie Überlebenskampf, Abenteuer, Nervenkitzel und Thrill – und das alles gebündelt in straffen fünf Stunden.
Auch wir haben so etwas gerade hinter uns gebracht. Der letzte Vater karrt den letzten Gast hinweg, und mein Abschiedsschmerz hält sich in Grenzen.
Laurin wurde sieben, eingeladen wurden 13 Jungs. Die eigentlich sinnvolle Regel, dass so viele Kinder wie Lebensjahre kommen dürfen, haben wir leichtsinnigerweise, selbstüberschätzend nicht mehr befolgt. Für Laurin stand im Übrigen im Vorfeld schnell fest: Keine Mädchen! Keine Diskussion!
«Aber Laurin, warum denn?», fragte Franziska letzte Woche.
«Schau doch mal, die Larissa ist doch eigentlich eine ganz dicke Freundin von dir, die magst du doch so gerne.»
«Ja, aber die ist doof.»
Ach so.
Gerade noch so konnte Laurin es für sich akzeptieren, dass seine Mutter an der Feier teilnehmen würde, während nebenbei meine heimliche Hoffnung, dass wenigstens ein paar der Jungs kurzfristig noch absagen würden, rasch zerschellte.
In nur wenigen Minuten brachen dann gegen 15 Uhr zwölf junge Burschen im Alter von süßen sechs bis acht Jahren, inklusive dem eigenen, wie ein Orkan über mich, Franziska, Berlusconi und unsere Doppelhaushälfte hinein. Melina machte das einzig Richtige. Sie flüchtete.
Laurins Kinderzimmer wurde in rasantem Tempo komplett umgestaltet. Während vier Kinder geschlossen mit dem Lattenrost vom Hochbett krachten, betätigten sich die anderen acht mit Wasserpistolen, Fangspielen, Playmobil und Kinder-Catchen – das alles gleichzeitig und auf 15 Quadratmetern.
Als ich zum Kaffeetrinken ohne Kaffee aufrief, hörte mich keiner. Als ich ein zweites Mal noch lauter zum Kaffeetrinken ohne Kaffee aufrief, hörte mich noch immer keiner. Daraufhin holte ich aus dem Keller ein altes Polizei-Megaphon, wagte mich ein drittes Mal in Richtung des Schlachtfeldes und röhrte meinen Aufruf durchs Megaphon. Ein großer Erfolg!
Nach etwa sechs Minuten stellten wir allerdings nüchtern fest, dass Vor- und Nachbereitungszeiten bei kindergeburtstäglichen Festessen in krassem Gegensatz zu dem eigentlich Speiseakt stehen.
Launige Spielklassiker wie «Topfschlagen», «Eierlaufen» oder «Sackhüpfen», die auch schon vor dreißig Jahren eigentlich keinem so richtig Spaß gemacht haben, wurden schon im Vorfeld abgelehnt. Auf dem Programm stand nun ein Fußballmatch. Wir verstauten illegal zwölf Kinder in zwei Autos und fuhren zum Bolzplatz.
Nur so viel: Ich war erleichtert, dass alle 24 Beine noch vollzählig waren und nach dem Spiel wenigstens annähernd so aussahen wie vor dem Spiel. Ja, es war ein hartes Spiel, meine launigen Späße, als Torwart einen Ball mit Absicht durchzulassen, kamen auch hier nicht so richtig gut an.
Wenn man zu Kindergeburtstagen einlädt, muss ein gewisser Standard erfüllt werden. Es reicht schon lange nicht mehr, einfach ein paar Kinder einzuladen, diese spielen zu lassen und sie anschließend mit Pommes frites und Würstchen zu mästen. Nein, es muss ein Event kreiert werden. Da ich Funparks mit Riesenrutschdingern und Megahüpfburgen strikt ablehne, mussten wir uns etwas anderes einfallen lassen. Wieder stopften wir die Kinder in zwei Autos und fuhren auf den Hoherodskopf und ließen sie Sommerrodeln.
Das Problem war nur, ein so sonniger Wochenendtag lässt auch andere Gruppen auf diese Idee kommen. So verbrachten Laurin und seine Freunde die meiste Zeit mit dem Anstehen in einer Schlange. Doch sie schienen alle trotzdem zufrieden zu sein, die Burschen. Es sei denn, es fuhr eine vorsichtige Mutter mit Kleinkind auf dem Schoß mit Tempo 4 die Bahn herunter. Dann staute es sich doch recht gewaltig, und da es Überholmöglichkeiten nicht wirklich gibt, wurde diese arme Frau hinter ihrem Rücken von all den kleinen Großmäulern übel beschimpft.
Irgendwie sind wir dann vom Hoherodskopf wieder heimgekehrt, irgendwie roch es dann nach Pizza, irgendwie landeten Pizzastücke unter dem Tisch, irgendwie füllten wir nebenbei Geschenketütchen für jedes Kind und ließen kritische Stimmen wie die von Jannik: «Also, bei meinem Geburtstag gab’s viel mehr», gelassen an uns abprallen. Irgendwann tauchten plötzlich nach und nach andere Erwachsene auf, die Stück für Stück die Wohnung leerer und stiller machten.
Und nun plötzlich sitzen wir nur noch zu dritt da. Es ist inzwischen ganz ruhig. So ruhig, dass Berlusconis leises Schnarchen zu hören ist. Laurin ist glücklich, Franziska kocht einen Tee, und ich bin erleichtert, erschöpft und trinke in drei Schlucken eine Flasche Bier aus.
Franziska lächelt mich müde an. Ich lächle zurück. Ich greife über den Tisch nach ihrer Hand. Sie umfasst meine und hält sie minutenlang fest. Danach bringen wir unser vor Glück strahlendes Geburtstagssöhnchen ins Bett, halten uns beide an der Hand und wünschen uns, dass dieses Gefühl ruhig einmal für immer anhalten möge.
Hi Mara,
ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Wie konnte ich mich in dem Arsch nur so täuschen??? Ich weiß nicht, wo ich mein Hirn gelassen habe! Ey Mara, du denkst bestimmt, ich spinne, und du hast recht.
Es ist aus!! Also jetzt noch nicht offiziell, aber ich werde Schluss machen … definitiv!!!!!.
Also von vorne:
Mom sagt mir vorgestern, dass AA in meinem Zimmer an meinem Laptop saß … der Penner hat in meinem Kram rumgeschnüffelt. Mom hat ihn dabei erwischt. Ich hab ihn gestern drauf angesprochen. Erst hat er alles abgestritten, dann hat er sich aber verquatscht. Er hat meine Mails gelesen. Wie kann er so was machen??? Ich hatte vergessen, mich bei facebook auszuloggen, auch beim schüler vz, von dem aus ich an Lasse geschrieben habe. Weisste noch? Ich hatte dem doch geschrieben, weil er mir voll leidtut.
Und der AA hat von dieser Nachricht gewusst. Er hat den Spieß einfach umgedreht und rumgelabert, ich würde ihn hintergehen und so und andern Jungs schreiben. Was mir einfiele. Ich bin voll ausgerastet, hab ihn angeschrien und alles. Und weisste, was er dann gemacht hat? Er hat mich fest am Arm gepackt, so dass es echt weh getan hat, und mir gesagt, dass ich eine blöde Bitch wär, dass ich ihn nicht verdient hätte und so und dass er keinen Bock mehr auf diesen Kindergarten hat. Und ich würde ihn nicht respektieren, da ich dir, also dir, Mara, schlecht über ihn geschrieben hätte.
Und weisst du, was er dann gesagt hat? Ich müsste mir schon was ganz Besonderes einfallen lassen, dass er mir verzeihen könnte. Und dann hat er so blöd gegrinst … weisst schon wie. Ich konnte gar nix sagen und bin sofort heim. Ich versteh das nicht, das war doch nicht der AA, den ich kenne?!, Eins sage ich dir, noch heute mach ich Schluss und dann wünsch ich ihm die Scheiße an den Hals.
Kisses Mel