30. Kapitel
Uuund Ruben, wiiiiee macht das Nashorn?»
«Öhhp.»
«Bravo!»
Britta Albrecht nickt kurz und klatscht zufrieden in die Hände.
«Uuund Ruben, wie macht der Leguan?»
«Öhhng.»
«Bravo!»
Zwanzig Minuten wohnen Franziska, Melina und ich dieser Vorführung von Adrians zweieinhalbjährigem Bruder bereits bei. Laurin übernachtet bei seinem Freund Calvin-Manuel.
«Sooo, Ruben, und wie macht der Papa, wenn er sich ärgert?»
«Scheiße!»
«Uuuund darf er das sagen?»
«Nein!»
«Bravo!»
Rubens Papa schlägt sich laut lachend auf den Schenkel und blickt schon wieder beifallheischend zu mir. Ich grinse gequält zurück.
Franziska, neben mir auf dem weißen Designersofa sitzend, krallt ihre Finger angespannt in ein lila Sitzkissen und macht ebenso gute Miene zu diesem, ja, eher bösen Spiel.
Mit einem «Schön haben Sie’s hier» versucht sie die Fokussierung vom kleinen unschuldigen Ruben zu lenken. «Seit wann wohnen Sie …»
«Uuund Ruben, wie hieß der erste Bundeskanzler?»
«Lothar Matthäus!»
Mama Britta schaut streng mit aufgerissenen Augen auf das bedauernswerte Vorführäffchen.
«Ruben!», schimpft sie, legt ihre Stirn in Falten und packt ihn am Arm. «Nein, das war der Rekordnationalspieler, der erste Bundeskanzler war … Na Ruben?»
«Äääähhhhh», quengelt Ruben.
«Ruben!!! Los, sag, wie hieß der erste Bundeskanzler?», quengelt nun Britta.
Ruben heult, gibt keine Antwort mehr, und wir lassen Konrad Adenauer in Frieden ruhen.
«Er ist heute nicht so in Form», entschuldigt sich Britta Albrecht und lächelt verkrampft. So wie wir alle.
Ich hielt dieses Treffen von vornherein für keine gute Idee. Doch wir haben es für Melina gemacht. Ihr schien es wichtig zu sein, und dann muss man da auch mal durch, dachten Franziska und ich. Guido und Britta Albrecht dürfen getrost als Besserverdienende in der Kategorie neureich bezeichnet werden. Das Haus, auf einem Schottener Hügel nicht unweit zur Vogelsbergschule gelegen, hat mindestens 400 Quadratmeter Wohnfläche zu bieten. Alles ist weiß, chic und stylish. Im Wohnzimmer stehen ein paar afrikanische Skulpturen, ein riesiger Fernseher, zwei affig schmale Boxen und eine Dolby-Surround-Anlage herum. Wir hocken in einer weißen Sofasitzecke rund um einen niedrigen Glastisch mit ein paar hübschen Blumen.
In mir steigt ein wenig Besitzneid auf, worüber ich mich sofort ärgere. Ich denke an unsere doch immer stärker werdenden finanziellen Engpässe, die wir, so gut es geht, zu verdrängen wissen.
Guido und Britta haben uns sofort das «Du» angeboten, was den Abend nicht unbedingt angenehmer macht.
An unseren Apperitifs nippend smalltalken wir ein wenig sinnfrei die Uhr herunter. Ich beobachte Melina, die sich auch nicht so richtig wohlzufühlen scheint. Warum hat sie sich dieses Treffen dann bloß gewünscht? Hält Adrian jetzt gleich offiziell bei mir um ihre Hand an?
Britta ist der Typ Frau, auf den die Männer stehen, wie man so sagt. Ich bin zwar auch ein Mann, doch ihre üppige Oberweite und der ein bisschen zu offensive Ausschnitt samt ein bisschen zu kurzem Rock lassen mich kalt. Es hat etwas Verzweifeltes, wenn vierzigjährige Frauen die gleiche Frisur haben wie meine Tochter.
Guido schätze ich auf Anfang fünfzig. Seine durchtrainierten Oberarme lassen auf regelmäßige Fitnessstudio-Besuche schließen.
Plötzlich klatscht er in die Hände. «Auf, Henning, ab in die Küche!»
«Wie?» Ich lache wieder gekünstelt, langsam bekomme ich Übung darin.
«Ja, wir dachten, wir Männer kümmern uns mal ums leibliche Wohl, und die Damen lassen wir Whiskey trinken und Zigarren rauchen, haha …»
«Haha», mache auch ich.
Er meint es ernst. Mit entschlossenen Schritten schreitet er in Richtung Küche. Ich folge ihm, nicht ganz so entschlossen. Auch Adrian kommt mit. Klar, er ist ja auch ein «Mann». Franziska blinzelt mir mitfühlend zu.
«Aaach, ich liebe Kochen! Komme leider viel zu selten dazu. Aber wenn Freunde kommen, dann findet man mich immer wieder in der Küche, was Adrian?»
«Jou!»
Vater und Sohn klatschen sich ab. Guido jongliert mit drei Zwiebeln, wirft sie dabei einzeln seinem Sohn zu, der damit weiter jongliert.
«Haha», bringe ich erneut leise hervor. Guido hat mich in seinen Fängen, ich kann ja nicht einfach weglaufen.
«O.k., Adrian, bist du bereit?», ruft er dann seinem Sohn zu.
«Jou!», antwortet der wieder.
«Auf die Plätze, fertig, los!»
Guido drückt auf die Küchenuhr, und AA beginnt wie ein Besessener mit dem Schneiden der Zwiebeln.
«Sein Rekord ist: drei Zwiebeln in 42,4 Sekunden …»
«Mit Schälen!», japst Adrian und hackt mit verbissenem Gesicht auf den unschuldigen Knollen herum.
«Ich weiß», lacht Guido. «Wir sind schon ein bisschen verrückt, was?!»
«Och, was, nö … wieso?»
«Aber das ist halt so unsere Art, was Adrian?»
«AUTSCH, SCHEISSE!», kreischt der Filius plötzlich, und ich sehe, wie Zwiebel Nr. 3 eine leicht rötliche Farbe annimmt.
Adrian aber hackt wie wild weiter, bis er auch die dritte Zwiebel fertig bearbeitet hat.
«42,1 Sekunden», sagt Guido mit Blick auf die Uhr.
«Yessss», jubelt Adrian.
«Aber in den Finger schneiden gibt nun mal eine Sekunde Abzug.»
«Was???», brüllt Adrian.
«So sind die Regeln.»
Adrian reißt vor Wut die Augen auf, zischt «Ach, leck mich» und pfeffert die blutdurchtränkte Zwiebel quer durch die graue Edelstahlküche gegen die Geschirrspülmaschine. Dann stürmt er aus der Küche.
Guido verfolgt den Abgang schmunzelnd. «Der hat’s schon drauf, der Sohnemann. Ein ganz helles Kerlchen, ganz der Papa, haha. Nur mit den Nerven, da hapert’s unter Druck manchmal noch ein bisschen. Da hilft dieses Spiel. Er ist schon viel besser geworden, die Ausbrüche waren vor ein paar Jahren noch viel heftiger.»
«Hmm», mache ich.
«Besonnenheit unter Extremdruck. Genau das muss er lernen, später im Haifischbecken des Lebens, oder? Das weißt du als Polizist doch am besten.»
Ich nicke stumm.
«Aber, Mensch, ich rede die ganze Zeit von mir. Jetzt bist du mal dran. Wie kommst du denn so mit meinem Sohn klar? Er gehört ja nahezu schon zu eurer Familie, was?»
Ich kratze mich am Kopf. «Gut, ist ja ein netter, intelligenter Kerl, ne?», sage ich und schäme ich mich sogleich für meine angepasste Unterwürfigkeit.
«Passsta à la Guido», knödelt er nun durch den Raum. «Du wirst es lieben, wie meine anderen Freunde auch. Kannst du schon mal die Pastinaken pürieren?»
«Wen … kann ich was?»
So langsam reicht es mir. Alles an Guido ist Show. Alles in diesem Haus ist Show. Ich habe das Gefühl, ich bin Kleindarsteller in seiner Comedy-Soap, doch leider ist alles reeller, als es mir lieb sein kann. Guido doziert über sein Olivenöl, das, das er sich immer von Freunden aus der Toscana mitbringen lässt, er referiert über die besten Küchenmesser und lässt mich blind Weine kosten.
«Franzose, Chilene oder Italiener? Na?»
Ich rate durch Zufall richtig, werde nun von ihm als Weinkenner eingestuft und denke an meinen Aldi-Dornfelder, der zu Hause im Kühlschrank steht.
«Ach, weißt du, wenn Britta unter der Woche diese Nullachtfünfzehn-Sachen kocht, muss ich mich mit Kritik immer sehr zurückhalten. Da ist sie sehr empfindlich auf dem Gebiet. Aber so ’ne Sauce hier, na. Das ist schon was anderes, oder? Das bekommst du von deiner Friederike auch nicht auf den Tisch gestellt, oder?»
Er hält mir einen kleinen Löffel seiner eben noch mit Cognak verfeinerten Angeber-Sauce vor die Nase.
«Franziska», korrigiere ich ihn, verschlucke mich dabei, stelle fest, dass sie leider tatsächlich phantastisch schmeckt, nehme dann meinen ganzen Mut zusammen und sage: «Puh, nee, schmeckt mir überhaupt nicht. Ist absolut nicht mein Fall.»
Darauf lacht Guido hysterisch, zeigt mit dem Zeigefinger auf mich und sagt nur: «Klasse, der war gut!»
Darauf folgt angenehmerweise eine etwas längere Gesprächspause, in der ich stumpf meinen Küchengehilfentätigkeiten nachgehe.
Während Guido die «Mafaldine», wie er diese eigenartigen Bandnudeln nennt, in das kochende Wasser kippt, sagt er plötzlich: «Du, dass der kleine Assmann da in dieser Murnau-Sache drinhängt, das ist schon ein gehöriger Hammer, was?»
Ich erschrecke fast ob dieses Themenwechsels.
«Scheint ja eine ganz unschöne Geschichte zu sein», fährt er fort und nippt an seinem chilenischen, italienischen oder französischen Rotwein.
«Ja, ist es», antworte ich knapp. «Aber wir sind dran.»
«Und dann läuft euch noch dieser Asylant weg. Peinlich, oder?»
«Tut mir leid, Guido, ich darf hier nichts über laufende Ermittlungen …»
«Na ja, das stand ja in der Zeitung. Wir Bürger sollen euch doch sachdienliche Hinweise geben, oder etwa nicht?»
«Hast du denn welche?»
Guido Albrecht lacht stumm in sich hinein und antwortet eine Weile erst mal gar nicht. Er probiert ein weiteres Mal an seiner Sauce, hält sie für «ein Geeee…dicht», und ich frage mich, ob Franziska in ihrer Frauenrunde ähnlich viel Spaß hat wie ich.
«Nur dass wir uns nicht missverstehen», setzt Guido nun wieder an, «ich habe und hatte nie etwas gegen Menschen, die aus Not in unser Land kommen. Aber das mit den Thaqis, nichts für ungut, das ging damals schon zu weit. Und nun sehen wir ja, was wir davon haben.»
«Was, meinen Sie … äh, meinst du, ging damals zu weit?», frage ich nach.
«Die Burschen haben ihre Chance gehabt. Kirchenasyl und so. Und dann rennt der Kleine da, der Fati …»
«Faton.»
«… und dann rennt der da durch die Gegend und versetzt halb Schotten in Angst und Schrecken …»
«Na ja, er hat einmal im Einkaufsmarkt geklaut», versuche ich ihn zu unterbrechen und bekomme darauf den Auftrag, Teller und Besteck auf ein Tablett zu legen.
«Egal», schmettert Guido gegen das Rauschen der Dunstabzugshaube. «Offen gesprochen kann ich es einfach nicht ab, wenn sich so ein Weltverbesserer wie der Pfaffe Assmann auf Kosten der Stadt und ihrer Bürger als Gutmensch profilieren will. So Typen müsst ihr bei der Polizei doch auch gefressen haben, oder? Die Leute hatten zeitweise Angst, ihre Kinder alleine auf die Straße zu lassen.»
Ich bin froh, dass das gemeinsame Herrenkochen wenig später ein Ende hat und ich endlich neben Franziska am Essenstisch Platz nehmen kann. Sie drückt unter dem Tisch heimlich meine eiskalte Hand. Und ich muss leider gerade an Stefanie denken.
Auf der viel zu späten nächtlichen Heimfahrt ist Melina sehr schweigsam.
«Alles klar mit dir?», fragt Franziska sie.
«Ja, wieso denn net?», kommt es patzig von der Rückbank. Danach schweigen wir noch eine Weile, bis wir alle, jeder auf seine Weise erschöpft von diesem Abend, zu Hause in unsere Bad Salzhausener Doppelhaushälfte einfallen, wo uns Berlusconi stürmisch begrüßt.
Ich ignoriere, dass er sich die Keksdose vom Küchentisch zu sich ins Hundekörbchen geholt hat, und streichle ihn, da ich wenig Lust habe, ihn jetzt noch maßzuregeln. Melina geht wort- und grußlos direkt in ihr Zimmer.
Franziska und ich gucken uns ratlos an, wie es Eltern Pubertierender vermutlich ständig tun, zucken kurz mit den Schultern und atmen resigniert aus.
Ich sehe, wie Franziska die Rotweinflasche aus dem Kühlschrank holt und mit zwei gefüllten Gläsern ins Wohnzimmer geht. Sie lächelt mir zu und wartet offenbar darauf, dass ich mich zu ihr setze. Ich tue es und habe Angst vor einer noch intensiveren Nähe. Je näher wir uns sind, desto stärker wird mein schlechtes Gewissen. Mit unserer abgeklärten Distanz der letzten Monate kam ich eigentlich ganz gut über die Runden.
«Glaubst du immer noch, dass Melina mit Adrian glücklich ist?», frage ich sie.
«Puuh, keine Ahnung», antwortet Franziska. «Mit mir redet sie darüber nicht.»
«Mit mir auch nicht.»
«Hast du’s probiert?»
«Was? Ja, klar, weiß nicht … bestimmt. Wieso?»
«Weil ich glaube, dass sie mit dir eher reden würde. Ihr seid im letzten Jahr doch so zusammengewachsen.»
Ich nicke stumm.
«Henning, ich dreh mich immer noch im Kreis.»
Oh nein, bitte nicht dieses Thema. Ich bin müde.
«Ich komme mit dem immer noch nicht wirklich klar. Ich kann das letzte Jahr einfach nicht ausradieren. Ich finde meinen Frieden so nicht.»
«Lass uns doch einfach noch ein bisschen Geduld haben. Wie heißt es doch so schön: Die Zeit heilt alle Wunden.»
«Einer der dümmsten Sprüche überhaupt», entgegnet Franziska.
Dann greift sie nach meiner Hand und fragt: «Ist das wirklich die Art Partnerschaft, die du dir wünschst?»
«Passt schon.»
«Nee, Henning, es passt eben nicht. Wir gehen zwar respektvoller und höflicher miteinander um als früher. Aber passen tut es nicht, wenn wir ehrlich sind. Was weißt du denn, was im Moment wirklich in mir vorgeht? Ich weiß es bei dir auch nicht. Und ich fürchte, dass wir es beide auch gar nicht so genau wissen wollen.»
Das saß.
«Franziska», sage ich ohne nachzudenken, «ich habe mich in eine andere Frau verliebt.»
Franziska sieht mich lange schweigend an.
«Habt ihr miteinander geschlafen?»
Ich schüttele den Kopf. «Nein, wir haben uns nur geküsst.»
Wieder schweigt sie eine Weile.
«Weißt du, was das Schlimmste daran ist?», fragt sie dann irgendwann.
«Es tut mir viel zu wenig weh.»
Dann nehmen wir uns in die Arme und halten uns eine halbe Stunde lang fest.
Natürlich habe ich schlecht geschlafen, und so komme ich auch eine Viertelstunde zu spät zur Lagebesprechung in die Alsfelder Polizeidirektion.
«Fertig siehst du aus», begrüßt mich Markus Meirich. «Alles klar bei dir?»
«Ja, sorry, war ’ne lange Nacht gestern.»
Ich setze mich neben ihn an unseren Besprechungstisch mit freiem Blick auf das Traumduo Teichner und Kreutzer. Eigentlich möchte ich das gar nicht sehen, aber es ist nicht zu vermeiden: «Mir nichts, Bier nichts» ist auf Teichners Brust lesen. Manni Kreutzer trägt heute eine zeitlose Lederhose, bei der er im Sitzen den obersten Knopf öffnen muss.
«Eine gute Nachricht zuerst», beginnt Markus die Besprechung. «Wir haben Thaqi. Sein Bruder hat gestern Nacht hier in der Wache angerufen. Er konnte ihn wohl zum Aufgeben überreden.»
Ich erinnere mich, dass Fatons großer Bruder im Wetzlarer SOS-Kinderdorf arbeitet.
«Ist er nach Wetzlar geflohen?», frage ich.
«Genau. Dort wird er auch noch bei den Kollegen festgehalten. Wir lassen ihn nachher holen.»
Teichner trinkt einen großen Schluck aus einer Red-Bull-Dose und setzt einen für seine Verhältnisse leisen Rülpser hinterher. Ich kann mich gerade noch bremsen, ihn dafür zu loben, und berichte stattdessen, dass Lasse Assmann nun in der Obhut der Marburger Kinder- und Jugendpsychiatrie ist. Kurz vor seinem erneuten Zusammenbruch hatte er noch mehrmals beteuert, dass Faton Thaqi mit der ganzen Sache nichts zu tun habe.
«Was numaja so goar nix zu sagen hat», unterbricht mich Teichner. «Der Kleene hat die Hosen gestrichen voll. Ist doch klar, dass er das so sagt. Dem bleibt doch gar nichts walter ulbricht.»
«Was?»
«Ei, weiter übrig … Der ist gut, ne?»
Markus ignoriert Teichner und runzelt die Stirn. «Fakt ist, Lasse Assmann hat die Anschläge verübt. Dafür gibt es DNA-Beweise. Ob er sie erstochen hat, bleibt fraglich. Sein Verhalten lässt die Vermutung zu, dass er unter Druck gesetzt wurde. Dann kommt die SMS von Faton Thaqi, dessen Umfeld wir nun weiter durchforsten müssen.»
Ich beobachte, wie Kreutzer Kreuzworträtsel löst.
Wieder schalte ich mich ein: «Welches Motiv soll der denn haben? Ich habe mit den Assmanns geredet. Lasse und Faton waren wie Brüder. Faton war so etwas wie sein Beschützer. Wieso soll er ihn plötzlich bedrohen?»
«Glaubst du etwa dieses Märchen mit dem geklauten Handy, oder was?», bellt mich Teichner an.
«Ich stelle es in Frage», antworte ich betont ruhig.
«Die Kernfrage ist doch, wer hat ein Interesse, Frau Murnau und Lasse Assmann zu schaden. Wo ist der Zusammenhang zwischen Murnau und Assmann?»
Markus erhebt sich und malt wieder bedeutungsvolle Kreise auf die Tafel. Als er die Namen Dohmknecht, Munker und Hirschmann in einen der Kreise notiert, räuspert sich der Praktikanten-Manni.
«Apropos Munker», knottert er und spricht das «s» bei «Apropos» mit. «Henning, denkste an den Grillsportabend am Sonntag? Da wolltste doch mit, gelle?»
«Du liebe Güte, ja stimmt.» Nach dem gestrigen Albrecht-Desaster gleich die nächste Topveranstaltung, der ich beiwohnen darf.
«Gut, können wir dann weitermachen?», fragt Markus rhetorisch in Kreutzers Ecke.
«Der Munker ist kein Verkehrter net, auch wenn er mal das ein oder andere Mal zu tief ins Glässche guggt», legt Kreutzer nach und vertieft sich dann wieder in sein Kreuzworträtsel.
«Mein Gott, wir drehen uns da im Kreis», flucht Markus. «Hirschmann, also der Exmann, hat für die Mordzeit ein Alibi, Dohmknecht nicht. Die Ermittlungen in der Jugendfeuerwehr, bei der beide gemeinsam aktiv sind oder waren, haben uns auch keinen Schritt weitergebracht. Wenn wir jetzt mal nur auf den Mord schauen, steht fest, dass Ellen Murnau den Täter ins Haus gelassen hat. Zu einer Zeit, in der sie ständig bedroht wurde. Das spricht eindeutig dafür, dass sie ihn gekannt haben muss. Also wird das nicht irgendein dahergelaufener halbkrimineller Jugendlicher aus der Feuerwehr gewesen sein, der von Dohmknecht oder Hirschmann aufgehetzt wurde.
«Es spricht aber auch gegen Faton Thaqi», wende ich ein. «Den kannte sie nämlich vermutlich nicht. Der ging vor ihrer Zeit in die Vogelsbergschule.»
«Aber für den kleenen Assmann», nölt Teichner in die Runde. «Diese halbe Portion lässt doch erst mal jeder ins Haus.»
«Wisst ihr, was ich denke?», sage ich mit lauter, selbstbewusster Stimme. «Ich denke, bei dem Täter handelt sich um jemanden ganz anderen. Jemanden, den wir überhaupt noch nicht auf der Pfanne haben, den wir wahrscheinlich nicht einmal kennen.»
Markus blickt mich skeptisch an. «Und bringt uns diese Bemerkung in irgendeiner Form konkret weiter? Ich glaube eher nein, oder?»
«Geäußerte Gedanken deines Hauptkommissarskollegen und früheren Vorgesetzten bringen dich also nicht weiter?», blaffe ich zurück.
«Nur die Gedankengänge des Herrn Meirich haben einen Mehrwert, ja?»
«Hey, jetzt komm mal runter», versucht mich Markus in die Schranken zu weisen.
«Ich komm dann runter, wann es mir passt, ja? Ist das klar?»
Türeknallend verlasse ich den Raum und wundere mich wenig später ein weiteres Mal ein wenig über mich selbst.
Ich renne ziellos durch Alsfeld, verärgert, traurig, ratlos. Weiß nicht, wohin, will am liebsten weg, doch weiß nicht, wo das ist.
Mach dir doch nichts vor, Bröhmann, beschimpfe ich mich, du kannst es nicht, dir wächst alles über den Kopf. Du willst alles besser machen als früher, doch es wird in Wirklichkeit noch schlimmer. Keine Ahnung, wo das alles hinführt, jedenfalls nicht dahin, wo es hingehört. Du gehst einen Schritt vor, dann zwei zurück. Beruflich wie privat.
Und es ist ja auch wahr: Ich zerstöre meine eigene Ehe, und da mir dieses Szenario nicht zu reichen scheint, kratze ich auch gleich noch an der Partnerschaft der Assmanns.
Das Handy klingelt. Es ist Markus. Ach leck mich doch, ich drücke ihn weg. Ich fühle mich allein, einsam, unverstanden, am meisten von mir selbst. Ein Freund, ein guter Freund, der käme jetzt recht, mit so einem nun ein Gespräch führen, das wäre es. Stattdessen gehe ich am Sonntag mit Manni Kreutzer zu einem «Grillsportabend».
Irgendwann erreiche ich den Marktplatz. Ich setze mich ins Marktcafé, bestelle mir um elf Uhr morgens ein Bier, fühle mich dabei männlich und surfe umständlich per Smartphone nach Wohnungsanzeigen.