14. Kapitel
Thorsten Roth erinnert mich an die Vorabendserie «Unser Lehrer Doktor Specht» aus den frühen neunziger Jahren mit einem smarten Robert Atzorn mit Umhängeledertasche in der Hauptrolle. Auch Thorsten Roth hat eine sympathische Brille auf der Nase; er fährt unprätentiös mit dem Fahrrad, trägt Jeans und offene Hemden und wird vermutlich genau wie Dr. Specht von der Hälfte seiner Schülerinnen angehimmelt. Roth ist Vertrauens-, Sucht-, Gewalt- und Was-weiß-ich-noch-Präventionslehrer und leitet zudem die Schulband, bei der er selber lässig den Bass zupft.
Er hat neben Stefanie Assmann in Ellen Murnaus Esszimmer Platz genommen und schiebt mir eine Liste mit leistungsschwachen und auffällig gewordenen Schülern und eine zweite mit Murnau-kritischen Lehrerinnen und Lehrern zu.
Ellen Murnau, deren verletztes Auge noch immer von einem monströsen Pflaster geschützt wird, gibt sich kämpferisch.
«Ich werde einen Teufel tun, mich davon einschüchtern zu lassen. Nach den Sommerferien bin ich wieder zurück, und alles wird ganz geordnet weiterlaufen. Hilfreich wäre natürlich, wenn bis dahin der Täter gefasst würde.»
Stefanie wirft mir ein dezentes und Mut machendes Lächeln zu.
«Diesen Personenschutz», fährt Murnau fort, «den sie mir da geschickt haben, also, verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Bröhmann, aber was ist denn das bitte für ein Unhold? Wo haben Sie den denn ausgegraben? Ich lebe ja schon lange hier im Vogelsberg und bin daher in Sachen Männer eigentlich abgehärtet. Aber dieser Mensch, also nein. Ich kann weder verstehen, was er sagt, noch in sein Nussknackergesicht schauen.»
Roth, Stefanie und ich blicken durch das Terrassenfenster auf den 150-Kilo-Koloss mit drei saftigen Genickfalten unter der Glatze, dann zu Ellen Murnaus angewiderter Miene und kichern alle vor uns hin.
«Kevin Costner war gerade nicht frei», sage ich und versuche dann, etwas ernsthafter die Wichtigkeit dieses Personenschützers zu erklären, kann damit aber nicht wirklich landen.
«Ich bitte doch sehr darum, dass Sie ihn abziehen. Das muss wirklich nicht sein. Meine Güte, es hat jemand mit einem Spielzeuggewehr auf mich geschossen! Nicht mehr, nicht weniger.»
Kurz versuche ich darauf, etwas dagegen einzuwenden, doch ich beiße auf Granit.
«Es tut mir leid, aber das geht wirklich zu sehr auf Kosten meiner Lebensqualität. Es reicht doch schon, wenn ich bis zu den Sommerferien nicht mehr zur Schule gehe, oder? Auf meine Verantwortung: Nehmen Sie den bitte wieder mit.»
Ich nicke stumm.
Dann liest Thorsten Roth einen Brief an alle Eltern der Vogelsbergschule vor, der noch morgen offiziell herausgeschickt werden soll. Darin steht, dass Ellen Murnau Opfer eines Anschlags wurde, nun aber auf dem Weg der Gesundung sei. Die Schüler und Schülerinnen seien aber ungefährdet und wiederholt aufgerufen, sich bei der Polizei zu melden, falls ihnen irgendetwas einfalle, was die Suche nach dem Täter erleichtern könnte. Stefanie macht ein paar wenige Umformulierungvorschläge, die Thorsten Roth alle dankend annimmt. Dann packt «Unser Lehrer Doktor Roth» seine engagierte Lederumhängetasche, setzt sich vorbildlich einen ebenso sinnvollen wie albernen Vorbilds-Fahrradhelm auf seinen Kopf und verabschiedet sich.
Kurz bevor auch Stefanie und ich das Murnau’sche Wohnhaus verlassen, packt mich die Schulleiterin am Arm.
«Ich sage es nicht gern, und Sie können sich denken, wie unangenehm es mir ist, aber bitte behalten Sie meinen Exmann im Auge. Er ist seit meiner Entlassung aus dem Krankenhaus schon wieder viermal auf meinem Anrufbeantworter. Ich habe kein gutes Gefühl.»
Was hatte Teichner von seinem Verhör bei Jochen Hirschmann, dem geschiedenen Mann der Ellen Murnau, berichtet? Extrem gereizt und cholerisch habe er sich verhalten; er war nicht annähernd bereit, vernünftig auf Teichners Fragen zu antworten. «Das kriegt sie alles zurück», hat er laut Teichner mehrmals herumkrakeelt.
«Da können Sie sich drauf verlassen, Frau Murnau. Wir haben ein Auge auf ihn», verspreche ich. Eines mehr als sie, denkt das Böse in mir, während ich auf ihr Pflaster schiele.
Frau Dr. Ellen Murnau nickt, schüttelt Stefanie und mir die Hand und geleitet uns hinaus in den strömenden Regen.
«Eine beeindruckende Frau», sage ich zu Stefanie, die zustimmend nickend in ihre Regenjacke schlüpft und dann skeptisch gen Himmel blickt.
«Soll ich dich mitnehmen?», frage ich sie, während ich mit der Fernbedienung die Türschlösser meines Diesel-Kombis öffne.
«Ach weißte was», antwortet sie, «da sage ich nicht nein.»
Es dauert ungefähr eine Viertelstunde, bis ich die Rückbank endlich umgeklappt habe, dann verstaue ich Stefanie Assmanns Fahrrad umständlich im Kofferraum und steige schließlich völlig durchnässt ein.
«Wo musst du hin?», frage ich.
«Nach Hause, wenn das o.k. ist. Lasse geht’s heute nicht gut. Hatte heute früh Magenkrämpfe und war auch nicht in der Schule.»
«Mathe-Arbeit?», frage ich und grinse elternaltklug.
Stefanie lächelt müde. «Nee, nee, und selbst wenn, Lasse steht in Mathe auf einer guten 2. Das ist nicht das Problem.»
«Was denn sonst?»
«Ach, keine Ahnung. Wahrscheinlich nur die Hormone. Er ist so verschlossen in letzter Zeit.»
«Kenne ich», werfe ich ein und stelle fest, dass die Scheibenwischerdinger unbedingt ausgewechselt werden müssen, denn viel sehe ich nicht. «Vielleicht ist er bloß unglücklich verliebt.»
«Ja, vielleicht.»
«Sag mal, siehst du überhaupt was?», fragt sie kurze Zeit später, ohne eine Miene zu verziehen.
«Nö, du?»
Sie lacht und sagt: «Ach, komm, lass uns doch noch einen Kaffee trinken, oder?»
Am Abend sehe ich mit Franziska eine alte «Tatort»-Wiederholung mit Hansjörg Felmy aus den frühen achtziger Jahren.
«Ach, das waren noch Zeiten», murmelt Franziska. «So gemütliche Kriminalfälle, und so angenehm, nicht ständig von den privaten Problemen des Hauptkommissars angeödet zu werden, stimmt’s?»
«Stimmt.» Recht hat sie.
Franziska schält sich langsam aus ihrem Sessel. «Ich bin müde.»
«Ich bleib noch ein bisschen, gute Nacht.»
«Gute Nacht.»
«Franziska?»
«Ja?»
«Alles klar?»
«Ja, wieso?»
«Nur so.»
«Nur so?»
«Ja, nur so.»
Franziska geht. Ich bleibe.
Ich liege auf dem Sofa, leer, schwer, und rutsche ein wenig zur Seite, um endlich wieder einmal für ein bisschen Melancholie Platz zu schaffen. Ich spüre etwas, das mich genau an das Gefühlsdings erinnert, in dem ich mich in den unzähligen selbstmitleidigen Nächten des letzten Jahres gesuhlt habe. Die schwermütig weinseligen Nächte, in denen Franziska fort war. Kurioserweise kommt es mir vor, als würde ich in diesem Moment genau diese Einsamkeit vermissen, diese Form des desaströsen, destruktiven Alleinseins. Vielleicht ist sie mir damals näher gewesen als heute, wo ich sie fünf Meter Luftlinie die Treppe hinaufgehen höre.
Ich verdrehe die Augen. Über mich selbst. Ich bin ein Meister des Verklärens der Vergangenheit und sehne mich grundsätzlich immer genau nach dem Gegenteil dessen, was ich gerade nicht habe. Ich schäme mich dafür, in letzter Zeit häufig Anflüge von Freude oder Erleichterung empfunden zu haben, wenn ich abends nach Hause kam und Franziska noch irgendwo unterwegs oder «Laufen» war. Andererseits habe ich gleichzeitig große Angst davor, dass sie plötzlich ohne ein Wort wieder aus meinem Leben verschwindet.
Das gab es früher nicht: Jetzt bin ich auch einer dieser Männer, die sich in Arbeit stürzen, etwas länger fortbleiben als unbedingt notwendig, um sich so lange wie möglich von all diesen komplizierten Gefühlsdingen zu Hause fernzuhalten.
Als wir im letzten Jahr in zaghafter Euphorie diesen Neuanfang starteten, war ich sicher, das wird schon, irgendwie.
Doch von alleine geht nichts. Das habe ich verstanden. Nutzt aber nichts, oder jedenfalls nur sehr wenig.
«Papa?»
Eine halbe Stunde später, nachdem ich abwechselnd eingenickt und aufgewacht bin und stetig die Weinflasche geleert habe, sehe ich plötzlich die impertinente Visage eines furchtbar grünen Ungeheuers vor meiner Nase.
Shreck ist es, der mich vom Schlafanzug meines Sohnes Laurin anstarrt. Barfuß steht er vor mir, also Laurin, nicht Shreck.
«Hey Kleiner, was ist?»
«Kann nicht schlafen.»
«Komm mal her.» Laurin tapst zum Sofa und legt sich in meinen Arm. Berlusconi gähnt und gibt dabei merkwürdige Quietschtöne von sich.
Nach kurzer Zeit des Einfach-nur-Daliegens fragt Laurin:
«Kommst du echt nicht mit zum Zelten?»
Das Zelten, oje. Das gemeinsame Eltern-Kind-Zelten der Kindergruppe «Schlumpfloch e.V.».
«Zum Zelten? Ich?» Was sag ich nur? «Weißt du, ich würde echt total gerne», lüge ich lahm, «aber ich habe einfach im Moment zu viel zu tun …»
Laurin schweigt.
«Da kann ich einfach nicht weg. Verstehste?»
Laurin nickt.
«Die anderen Papas kommen auch alle», sagt er dann.
«Echt? Wer denn?», frage ich. Ich kann ja nicht sagen, dass das genau der Hauptgrund ist, nicht mitzukommen.
«Ulli, Andi, Michi, Flori, Wolle … alle halt.»
«Aah, echt schade, dass ich nicht kann …»
«Und außerdem ist es doch mein Abschied», legt Laurin nach.
Hoffentlich diesmal wirklich. Es war kompliziert genug, Laurin nach seiner Abmeldung und dem fehlgeschlagenen Versuch, ihn einschulen zu lassen, wieder beim «Schlumpfloch» anzumelden. Ich hatte den fusseligen Oberschlumpf Wolle kurz vor der damaligen Abmeldung in der übergroßen Freude, ihn niemals wiedersehen zu müssen, als «zwanghaften, selbstherrlichen Kontroll-Ökofaschisten» beschimpft.
Die Kindergruppe «Schlumpfloch» wird von einem Elternverein selbst verwaltet. Sie hat sich einer Doktrin unterworfen, in der von Zucchini über Zahnpasta bis Klopapier alles vollwertig sein muss. Der bärtige Wolle, der kürzlich eine Initiative mit dem sperrigen und grammatikalisch äußerst zweifelhaften Namen «Wider dem Vergessen des Waldsterbens» gegründet hat und seitdem ebenso fieberhaft wie erfolglos nach weiteren Mitgliedern fahndet, wacht über genau diese Doktrin und infiltriert den Elternverein mit immer wieder neuen Vorschriften.
Als ich mich einmal nach einem anstrengenden Arbeitstag plus anschließendem Ehestreit auf Laurin wartend, der noch in den Zwängen eines Schlusskreises verharren musste, zum heimlichen Rauchen hinter das Schlumpfloch-Haus verdrückte, schlich er mir nach, der Wolle, zeigte mit dem Finger auf mich und rief:
«Da! Hah – ertappt! Hab ich’s doch geahnt. Ich wusste, irgendwann erwisch ich dich.» Er jauchzte geradezu. Dann rückte er nah, wie immer viel zu nah, an mich heran, setzte sein bedrohlich verständnisvolles Gesicht auf, atmete mir seinen fauligen Mundgeruch aus Fenchel-Kolrabi-Rückständen in die Nase, zückte sein Notizbuch, las mir weitere Vergehen, wie verspätetes Abholen, Kochen mit Weißmehlnudeln oder Verwenden von Kraftausdrücken wie «Scheiße» im Beisein von Kindern vor und belegte all dies mit dem jeweiligen Datum. Dann sagte er betrübt schauend: «Henning, sorry, aber du musst verstehen, jetzt kann ich dich nicht länger schützen. Beim nächsten Elternabend werden wir uns Konsequenzen für dich ausdenken müssen. Tut mir leid, aber da kannste dich auf was gefasst machen.»
Er drehte sich um und stapfte mit zufriedener Miene davon. Da rief ich ihm ebendiese Worte hinterher. Ging nicht anders. Und zwar so laut, dass es auch die anderen Eltern, die ihre Kinder abholten, hörten. Man verlangte von mir natürlich eine sofortige Entschuldigung, die ich verweigerte, es war ja die reine Wahrheit gewesen.
Als dann aber die Einschulung fehlschlug, wir Laurin keinen neuen Kindergarten für nur ein Jahr zumuten wollten und darum auf Knien um die Wiederaufnahme beim «Schlumpfloch» betteln mussten, blieb auch mir nichts anderes übrig, als der klaren Worte wegen vor Wolle zu Kreuze zu kriechen. Nach dreiwöchigem Beratschlagen ließ man großherzig Gnade über uns walten, und Laurin durfte sein letztes Kindergartenjahr dann doch noch im «Schlumpfloch» verbringen.
Inzwischen ist Laurin mit dem Kopf auf meinem Schoß eingeschlafen. Ich packe ihn, lege ihn auf meine Schulter, trage ihn in sein Bett und decke ihn zu. Mein Vater hat meinen Theater-Auftritt als Dr. Doolittle vor dreißig Jahren in der Grundschulaula auch verpasst, weil er so viel zu tun hatte. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie es sich anfühlte, und noch bevor ich das Kinderzimmer verlassen habe, ist klar, dass ich Zelten gehe.
«Verwürfnis»
oder
Geheimdienst im Vogelsberg
Ein Vogelsberg-Thriller von Manfred Kreutzer
Er nannte ihn Bock.
Niemand konnte eine 500er Kawasaki R35 von Laubach nach Schotten so um die Kurven brettern lassen wie Fred Leutzer. Das wussten alle, und alle erkannten es an. Auch Fred wusste es, ließ sich aber nie was anmerken. Der Könner schweigt und genießt. Das war sein Motto. Er brauchte keine Route 66, er hatte den Schottenring. Noch immer blickten ihm die Mädels nach, wenn er mit seinem Bock, wie er ihn nannte, durch die Dörfer donnerte.
Kurz bevor Fred in unnachahmlicher Manier den Bock am Parkplatz der «Schnitzelranch» zum Stillstand brachte, riss er sich schon den Helm vom Kopf. Geschmeidig wie eine Katze sprang er von seinem Bock und strich sich mit den Handschuhen durch sein noch erstaunlich volles Haar.
Fred wurde von seinen Biker-Kumpels schon sehnsüchtig erwartet. Sein Stammplatz im Biergarten wurde für ihn wie immer freigehalten.
«Wie immer?», rief Dagmar, die leckere Bedienung, ihm zu, denn sie wusste, was Fred immer trank. «Klar, wie immer», antworte er und gab ihr einen Klaps auf den Popo. Dagmar quietschte auf und lächelte ihn vielseitig an.
Wie immer klopfte er auf den Tisch, rief ein «Servus Jungs!» in die Runde und schwang sich auf seinen Stammplatz. Nur sieben Sekunden später stand schon sein Kristallweizen vor ihm. Aus den Musikboxen tönte verdammt coole Musik von «Truck Stop».
Fred war für seine 57 Jahre saugut in Schuss. Nachdem er jahrelang die Vogelsberger Rundschau leitete, wurde ihm das alles zu spießig, und es ging sowieso nur noch ums Geld und nicht um knallharte Recherche. Also gründete er im vergangenen Jahr mit Lucy eine Zeitschrift, in der er die Machenschaften der Politiker und Wirtschaftsbosse schonungslos aufdeckte. Apropos Lucy: Lucy war 19, hatte verdammt große feste Brüste und war wahnsinnig intelligent. Sie half ihm bei der knallharten Recherche im Internet. Sie wurde früher jahrelang in einem Jugendheim gefangen gehalten. Man sagte, sie sei aggressiv und verhaltensauffällig. Fred befreite sie vor drei Jahren. Er wusste, dass dies eine Lüge ist. Aber Lucy hatte auch noch andere Qualitäten. Noch immer brannten ihm die Eier von letzter Nacht …
«Hey Leute, was geht ab?», schmetterte er in die Runde. Seine Kumpels johlten. Endlich war Fred da. Der Abend konnte nun so richtig lustig werden. Dann klingelte sein IPhone 4s. Fred war der Erste von seinen Kumpels, der so ein Ding hatte, und er konnte damit alle möglichen verrückten Sachen machen, Fotos angucken, SMS, Internetrecherche hoch und runter und sogar Musik hören. Aber er gab damit nicht an. Für ihn war das ganz normal.
«Leute, entschuldigt mich», rief er in die Runde, da schwang er sich mit einem Satz wie ein 20-Jähriger von der Sitzbank, damit er beim Telefonieren seine Ruhe hatte. Auf der Anzeige hatte er gleich erkannt, wer der Anrufer ist. Auch das konnte sein neues Telefon.
«Polizeikommissar Henrich Müller», stand da geschrieben. «Ah, der Henrich», schmunzelte Fred leise zu sich selbst und ging ran.
«Fred Leutzer», sagte er.
Henrich Müller, der Vogelsberger Kommissar, war ein anständiger Bulle. Aber er kam schnell an seine Grenzen, wenn es mal wieder gehörig in puncto Kriminalität zur Sache ging. Vor allem, wenn die Russenmafia ihre Hände im Spiel hatte, die immer stärker das gesamte Gebiet zwischen Hungen und Schotten-Rainrod zu unterdrücken versuchte. Die Leute dachten immer, das gibt es nur in New York und Berlin, weil das im Fernsehen immer so dargestellt wurde. Aber in letzter Zeit verschwanden immer mehr Menschen aus dem Vogelsberg. Wegen seiner zentralen Lage. Da kam die Polizei natürlich mit ihren altbackenen Methoden schnell an ihre Grenzen, wenn es um Drogen, osteuropäische Prostituierte, Uranhandel und irgendwelche politischen Sauereien ging. Wenn es Freds Zeit zuließ und er nicht an noch größeren Dingen dran war, half er, wie er konnte.
«Hey Henrich, alter Schwerenöter, was gibt’s?», begrüßte ihn Fred.
«Fred, wir brauchen dich, unbedingt. Wir kommen mal wieder total an unsere Grenzen», sagte Müller. Müller war eher so ein Typ, den mal schnell mal übersah. Das Gegenteil von Fred. Das wusste Müller, daher baute er so auf Fred. Fred wusste auch, dass Müller nur über gute Beziehungen seinen Kommissarsjob bekommen hatte. Aber er war ein anständiger Kerl und bewunderte Fred, auch wenn er nicht wollte, dass Fred das bemerkte. Aber dem war das egal. Was zählte, war der Fall.
«Was gibt’s?», fragte Fred, der den Blickkontakt zu Dagmar suchte und mit der Zunge kurz über seine Lippen leckte. Dagmar errötete. Fred wusste noch immer, wie’s geht.
Müller war ganz aufgeregt und kam nicht zu Potte.
«Jetzt mal langsam mit den jungen Kühen», scherzte Fred.
Müller sagte: «Wir brauchen dich dringend, Fred. Die Russenmafia hat einen Stein in die Schule geworfen und dann …»
«Na, und?», fiel ihm Fred entrüstet ins Wort, «und dafür störst du mich auf der ‹Schnitzelranch›?»
«Nein», stammelte Müller wehleidig. «Das ist noch nicht alles, es ist … oh mein Gott, es ist … so unfassbar grauenhaft. Du musst kommen. Wir brauchen dich hier. Wir wissen sonst nicht, was wir machen sollen …»