Nachwort

Ich begann bereits vor so langer Zeit, über Bobby, sein Leben und seine ebenso brillante wie turbulente Karriere zu schreiben, dass ich mittlerweile ein paar Dinge revidieren muss. So prophezeite ich zum Beispiel fälschlicherweise, dass er der aktivste Schachchampion aller Zeiten werden würde. Auch musste ich einige Informationen, die ich von Bobbys Bekannten und Schachkontrahenten erhalten hatte, relativieren oder verwerfen. In seiner Launenhaftigkeit schien Bobby sich ständig zu verwandeln. Selbst nach seinem Tod musste ich stets aufs Neue über ihn staunen, wenn wieder eine neue Facette oder Episode bekannt wurde.

Das Projekt Endspiel begann als Versuch, diese Wandlungen Bobby Fischers zu ergründen. Der große Erfolg dieses Buches kam für mich völlig überraschend. Schließlich lag Bobbys Tod schon ein paar Jahre zurück – und seit dem Höhepunkt seines Ruhms waren fast 40 Jahre vergangen! Außerdem waren bereits mehr als 100 Bücher über ihn und seine Partien erschienen. Aber offenbar besteht weiterhin ein schier unstillbares Interesse an Bobbys Privatleben. Egal, ob man Bobby nun mag oder verabscheut: Jeder ist fasziniert von ihm. Damit steht er auf einer Stufe mit den anderen großen Untergetauchten, Greta Garbo und J.D. Salinger. Während die Jahre vergehen, erscheinen immer mehr Bücher, Artikel, Filme und wissenschaftliche Abhandlungen zum Thema Bobby Fischer. Bis heute mühen wir uns damit ab, die Komplexität seines Charakters zu ergründen oder die letzten Details seines Privatlebens zu erforschen: wo er lebte, was er las, seine Gewohnheiten, Schrullen und Zynismen, seinen Charme und seine Ausgelassenheit. Liegt irgendwo darin der Schlüssel zu seiner Genialität? Was machte Bobby Fischer zu einem so großartigen Schachspieler? Warum war er so reizbar, was quälte ihn so sehr? Vielleicht ist es für einen Biografen unmöglich, diese Fragen zu beantworten, aber ich fand, dass es einen Versuch wert ist.

Schon ein paar Wochen nach dem Erscheinen schaffte Endspiel es auf die New York Times-Bestsellerliste – als erstes Buch über einen Schachspieler überhaupt. Die New York Review of Books lobte mein Buch als »beeindruckenden Balanceakt und große Leistung«. Mit Stolz und Überraschung las ich, dass Chess Life es als »Meisterstück« bezeichnete. Neben der amerikanischen und der deutschen Ausgabe erscheint das Buch auch in italienischer, niederländischer und japanischer Übersetzung, außerdem bekam es in Großbritannien und Australien eigene Ausgaben. Dieser Erfolg hat mich erstaunt, er schmeichelt mir und macht mich überaus dankbar. Zahllose Leser, die Bobby Fischer gekannt, seine Partien nachgespielt oder seine Karriere verfolgt haben, schrieben mir und baten um weiterführende Informationen, verrieten mir ihre Meinung zu Bobby oder erzählten mir von eigenen Erfahrungen mit dem umstrittenen Genie. Auf Lesereisen und Turnieren sprachen mich mehrere Menschen an und erzählten mir Geschichten über Fischer: ein Schachspieler, der den jungen Bobby im Schachclub Brooklyn kennengelernt hatte; ein über 90-Jähriger, der mit Bobbys Mutter aufs College gegangen war; der ehemalige Manager des Schachclubs Manhattan, der sich um den jugendlichen Bobby gekümmert hatte. Ich erhielt Hunderte E-Mails von Leuten, die bei der Lektüre meines Buchs an ihre eigenen Erfahrungen mit Bobby Fischer erinnert worden waren: von einem Klassenkameraden Bobbys an der Erasmus Highschool; einem Geschäftsmann, der nach Island gereist war, um Bobby für ein millionenschweres Match zu gewinnen; einer Frau, die Anfang, Mitte der 1970er ebenfalls der Weltweiten Kirche Gottes angehört hatte; einem Anwalt, der gratis für Bobby gearbeitet hatte und schließlich ohne guten Grund von ihm gefeuert wurde. Einige dieser neuen Informationen wurden in den Text dieser Ausgabe eingearbeitet.

Die Reaktionen auf Endspiel fielen fast einhellig positiv aus. Nur ein paar fleißige Kritiker hatten noch ein paar Korrekturen. Hans Ree, der hochgebildete niederländische Großmeister, konnte meine Behauptung, Dr. Max Euwe sei nicht nur Schachweltmeister, sondern auch europäischer Amateurboxmeister gewesen, nicht glauben. Ich selbst habe dafür keinen Beweis, ich verließ mich da auf eine Aussage Euwes mir gegenüber. Einige Leser wiesen mich darauf hin, dass Bobby und ich bei unserem Dinner in der Cedar Tavern nicht Jackson Pollock gesehen haben konnten. Und sie hatten recht: Ich hatte mich falsch an die Szene vor fünfzig Jahren erinnert, damals hatten wir den Künstler Robert Motherwell gesehen, nicht Pollock. Einige Leser fanden, ich hätte einige Partien Bobbys ins Buch aufnehmen sollen. Doch darauf habe ich mit gutem Grund verzichtet: Sammlungen mit den Partien Fischers gibt es genug, und ich wollte Laien nicht mit Schachnotation abschrecken. Wer sich für die Partien Fischers interessiert, findet in der Literatur eine hervorragende Auswahl an ausführlichen und klugen Kommentaren dazu. Endspiel sollte kein Schachbuch, sondern eine Biografie sein.

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Letzten Frühling ließ Zita Rajcsanyi, die junge Frau, die Bobby Fischer 1992 als seine »Verlobte« bezeichnet hatte, Bobbys Briefe an sie versteigern. Das Auktionshaus überließ mir Kopien der Briefe, später erläuterte mir Zita in mehreren Gesprächen ihren jeweiligen Entstehungszusammenhang und die Bedeutung unklarer Passagen. Die Originalbriefe wurden schließlich authentifiziert und an einen anonymen Sammler verkauft.

Natürlich war Bobby vorher gelegentlich verliebt gewesen, er hatte auch ein paar Affären gehabt, aber Zita war seine erste große Liebe, und die Korrespondenz mit ihr spiegelt alle wichtigen emotionalen Elemente ihrer Beziehung wider: seine Zuneigung und seine Eifersucht, seine uncharakteristische Kompromissbereitschaft und sein Verlangen danach, sie zu heiraten und Kinder zu haben.

Wie weiter oben beschrieben, war Zita 17, als sie den 49-jährigen Bobby 1992 zum ersten Mal in Kalifornien besuchte. »Er war mein Idol. Ich war wie ein Teenager, der in einen Rockstar verknallt war. Ich betete ihn an.« Bobby erwiderte ihre Gefühle, er nannte sie »bezaubernde Zita« und seine »Verlobte«, auch wenn er damals nicht wagte, ihr seine wahren Gefühle zu zeigen und ihr zu sagen, dass er sie liebte. Vielleicht fürchtete er die Zurückweisung, vielleicht war er schlicht nicht imstande, tief gehende Gefühle auszudrücken. Schriftlich beklagte er sich über seine Unfähigkeit, die drei doch nicht so einfachen Worte auszusprechen. Obwohl Bobby zu jenem Zeitpunkt kein Jugendlicher mehr war, benahm er sich doch wie einer: Er verhielt sich besitzergreifend gegenüber Zita und verdächtigte sie, eine Affäre mit seinem Anwalt Robert Ellsworth zu haben, bei dem sie während ihres sechswöchigen Aufenthalts in Kalifornien untergeschlüpft war, weil in Bobbys winziger Wohnung kein Platz war. »Was für ein blödsinniger Vorwurf«, kommentierte Zita. »Da ist nie etwas passiert.« Vielleicht trugen Bobbys Zweifel an Ellsworth ja auch dazu bei, dass er ihn Jahre später zu Unrecht verdächtigte, seine eingelagerten Erinnerungsstücke »gestohlen« zu haben. Von Bobbys Eifersucht und seinen antisemitischen Tiraden einmal abgesehen, verliefen die ersten Wochen ihres Zusammenseins weitgehend idyllisch. Bobby lud Zita ein, mit ihm seine Mutter zu besuchen. Vermutlich hoffte er, Reginas Segen für eine spätere Ehe einzuholen. Es ist gut möglich, dass Bobby deswegen nach Palo Alto fuhr, und nicht aus Sorge um Reginas Gesundheitszustand, wie er vorgab. Obwohl Zita und Regina sich nur ein paar Stunden lang sahen, zeigte sich Zita schwer beeindruckt: »Ich liebte Regina! Was für eine kluge, scharfsinnige Frau!«

Während des Rematches Fischer–Spassky im Jahr 1992 beschrieben die Medien Zita als diejenige, die Bobby zum Comeback bewogen hatte. Zita zufolge stimmte das in etwa, auch wenn die Presse ihre Rolle weit übertrieben dargestellt hätte. Ebenso übertrieben seien die Berichte gewesen, wonach Bobby und Zita sich verlobt hätten. Als Zita noch während des Matches zu einem Turnier in Südamerika abreiste, begann Bobby eine kurze Affäre mit einer jungen Serbin. Kurz darauf brüstete sich die Frau vor der Presse, sie sei von Bobby schwanger, was sich aber rasch als Schwindel herausstellte.

Bobby hörte davon auf BBC, seinem Lieblingssender. Er rief die Frau in Serbien an, um sich zu vergewissern, dass sie geflunkert hatte. Danach schrieb er Zita einen Brief, in dem er versuchte, sich aus der Affäre zu winden. Ja, er wolle ein Kind zeugen, aber nur mit ihr, Zita. Bobby glaubte, dass sie 1994 zweimal von ihm schwanger gewesen sei, aber beide Male Abtreibungen vornehmen habe lassen. Eine angeblich nach sieben oder acht Wochen Schwangerschaft, die andere nach vier Monaten. Woher Bobby diese Informationen hatte, ist unbekannt. Zita jedenfalls versicherte kategorisch, damals weder von ihm noch von sonst irgendjemandem schwanger gewesen zu sein. Wie aber kam Bobby zu seinen Vermutungen? Zita zufolge »glaubte Bobby ständig, Frauen würden versuchen, seinen Samen zu rauben«. (Das erinnert an den Film Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben von Stanley Kubrick. Dort fürchtet die Figur Jack D. Ripper, die Kommunisten könnten die »kostbaren Körpersäfte« der Amerikaner stehlen.) Wie das genau gehen sollte, blieb allerdings sein Geheimnis. Als Bobby im darauffolgenden Jahr nach Budapest zog, machte er sich noch immer Hoffnungen, Zita zurückzugewinnen. Dabei hatte Zita zu jenem Zeitpunkt einen festen Freund und wurde von diesem schwanger statt von Bobby.

Bobby konnte nie glauben oder akzeptieren, dass Zita seine leidenschaftlichen Gefühle nicht erwiderte. Er flehte sie an, es sich noch einmal zu überlegen, sie sei die Liebe seines Lebens, er heirate sie auch mitsamt dem Kind des anderen, er würde für immer bei ihr bleiben. Schriftlich entschuldigte er sich für seinen Stolz, die Arroganz und die Feigheit, die er in ihrer Beziehung an den Tag gelegt habe. Er bemerkte auch, er habe sich »wie ein Esel« benommen, als er Zitas Schwester fragte, ob sie ihn vielleicht heiraten wolle, wenn Zita nicht dazu bereit sei.

Doch Zita blieb standhaft. Während seiner acht Jahre in Budapest sah sie ihn vielleicht ein Dutzend Mal, fand die Treffen aber wegen seines wahnhaften Antisemitismus immer schwerer zu ertragen. Einmal gingen die beiden eine Straße entlang, da deutete Bobby auf ein Graffito und behauptete, es handele sich um eine Geheimbotschaft der Juden an ihn.

Als Zita das als Unsinn abtat, protestierte er: »Nein, das stimmt! Das ist wahr!« Diese Episode sagt vermutlich eine Menge über seinen damaligen Geisteszustand aus. Zita konnte Bobby sein schlechtes Verhalten nie verzeihen. Heute lebt sie mit ihren drei Kindern in Neuseeland, wo sie als Web-Designerin und Übersetzerin arbeitet; das Schachspielen hat sie aufgegeben.

Bobby Fischer, der beim Schach nur selten eine Partie verloren gab, erkannte schließlich die Hoffnungslosigkeit seiner Lage. Der größte Schachspieler aller Zeiten, der Mann, der laut Garry Kasparow »Perfektion erlangt hatte«, schaffte es nicht, seine wichtigste Liebespartie zu gewinnen. Zita gegenüber hat Bobby den vielleicht treffendsten und einsichtigsten Kommentar zu seinem Leben abgegeben: »Im Spiel des Lebens bin ich solch ein Versager.«