33. KAPITEL
Whitey Pendergast, der Police Officer von Derby, erwartete sie vor Pete Carpenters kleiner Schiffswerft. Petes Vater hatte sie aufgebaut, doch jetzt lag sie in Schutt und Asche. Während sie zum Wasser gingen, klärte Whitey sie über das auf, was geschehen war.
Jemand hatte zuerst die Boote losgemacht, Petroleum darübergeschüttet und sie angezündet, ehe er das Haus in Flammen setzte. Petes Leichnam war in einem Trawler gefunden worden, an dem er wohl gerade gearbeitet hatte. Doch nicht das Feuer, das auch dort gelegt worden war, habe ihn wohl getötet, sondern eine Kugel. Sie steckte in seiner Schläfe.
Noch immer hing dunkler Rauch in der Luft, und Liana musste sich räuspern, ehe sie sprechen konnte. „Könnte es noch mehr Tote geben?“
Cullen war überrascht, dass sie so rundheraus fragte; er selbst hätte das nicht getan.
Whitey mied ihren Blick. „Möglich, obwohl ich es nicht glaube. Wir haben alles abgesucht, selbst Petes Kofferraum.“
„Ein paar der Boote sind unter Wasser.“
„Was davon übrig ist, ist so weit schon untersucht worden. Wir holen sie an Land, sobald wir können, um sie genauer anzusehen. Aber ich glaube nicht, dass wir weitere Tote finden.“
Cullen sah Liana nicht an. Seit er von dem Mord erfahren hatte, mied er ihren Blick. „Ich lasse ein paar meiner Taucher herschicken, nur um sicherzugehen. Jetzt erzählen Sie uns, was Sie von Matthew und meinem Dad wissen.“
„Wir wissen nicht, ob es ihr Sohn war.“ Whitey nahm seine Kappe ab und fächelte sich damit Luft zu. „Ein älterer Mann und ein Junge haben gestern Nachmittag außerhalb der Stadt bei einem Restaurant nach dem alten Pete gefragt. Es heißt Divers Inn. Der Wirt hat ihnen erklärt, wie sie fahren müssen.“ Er gab noch einmal eine Beschreibung der beiden ab, die keinen Zweifel daran ließ, dass es sich um Matthew und Roman handelte. „Sie sagten, Ihr Sohn würde vermisst?“ Als Cullen nickte, meinte Whitey: „Wir werden nach den beiden fahnden. Vielleicht sind sie die Einzigen, die Pete noch lebend gesehen haben … außer dem Mörder.“
„Sie gehen also nicht davon aus, dass mein Dad und Matthew was damit zu tun haben?“
„Das habe ich nie behauptet. Aber es ist doch seltsam, dass er, kurz nachdem sie zu ihm wollten, getötet wurde.“
Jetzt trat Liana vor, um sich in das Gespräch einzumischen. „Ist es möglich, Whitey, dass jemand hinter Matthew her ist?“
Whitey stülpte seine Kappe wieder über. „Hinter ihm her?“ Cullen erzählte ihm in Kurzform, was passiert war.
Whitey hörte zu, und seine Stirnfalten wurden immer tiefer. „Warum sollte sich jemand den Jungen schnappen wollen?“
„Ich glaube, das solltest du ihm erzählen“, forderte Cullen Liana auf. Als sie ihn ansah, bemerkte er den Schmerz in ihren Augen. Und zum ersten Mal seit ihrem Gespräch im Studio verspürte er Mitleid mit ihr.
Liana hob das Kinn und wandte sich an Whitey. „Haben Sie je von der Köstlichen Perle gehört?“
Cullen und Liana fuhren sofort zum Divers Inn, doch sie erfuhren auch dort nichts Neues.
„Eins noch“, sagte der rußverschmierte Whitey, als sie wieder zurück waren. „Auf dem Revier ist ein Anruf eingegangen. Hatte aber noch keine Zeit, die Sache zu untersuchen. Der Typ von der Tankstelle drüben in Broome meinte, Pete wäre gestern mit einem Wagen zu ihm gekommen. Pete hat erklärt, er gehöre jemand anderem. Er hat ihn dagelassen.“
„Was war das für ein Wagen?“, fragte Liana.
„Ich hab noch nicht mit ihm gesprochen. Hab die Nachricht erst vor Kurzem bekommen.“ Er zog einen Zettel aus seiner Brusttasche und reichte ihn Cullen. „Da steht alles drauf. Sollten Sie was herausfinden, will ich sofort Bescheid wissen.“
„Geht klar.“
Liana wartete, bis sie losgefahren waren, ehe sie fragte: „Glaubst du, es könnte der Jackeroo sein?“
„Vielleicht.“
Es dauerte eine Weile, ehe sie wieder sprach. „Du kannst mir nicht verzeihen, oder?“
„Es gibt im Moment Wichtigeres, über das ich mir den Kopf zerbrechen muss.“
„All die Jahre ist mir nie bewusst gewesen, wie sehr du ihn liebst. Du hast einfach seinen Treuhandfonds verspielt.“
„Ich weiß, was ich getan habe.“
„Aber ich wusste nicht, dass du dich verändert hast und …“
„Und was?“
„Dass du zu dem Mann geworden bist, den ich hinter dir vermutet habe.“
„Du hast mir nie die Chance gegeben, das zu beweisen. Du hast meinen Sohn und mein Herz gegen eine Perle eingetauscht.“
„Matthew wird in etwa drei Jahren achtzehn. Dann gehört alles ihm.“
„Willst du damit sagen, dass ich meinen Sohn in drei Jahren zurückhaben kann? Dass ich nur Geduld haben muss und dich dann vielleicht auch in drei Jahren wiederhabe?“
Sie waren schneller in Broome, als die Geschwindigkeitsbegrenzung erlaubt hätte.
„Du kannst im Wagen bleiben“, sagte Cullen, als er unter einer Palme hielt, die sich leicht in der Brise wiegte.
„Ich würde lieber mitkommen.“
„Wie du willst.“ Er stieg aus, und sie folgte ihm.
Cullen erklärte dem dunkelhäutigen Besitzer mit dem japanischen Vornamen, warum sie gekommen waren und was sie suchten. Da der Mann sich noch um einen anderen Kunden kümmern musste, deutet er nach hinten in die Werkstatt. „Der dritte Wagen.“ Er fischte in seiner Tasche nach den Schlüsseln und gab sie Cullen.
Liana ahnte, dass es der Wagen war, den sie suchten, und als Cullen die Papiere vorne im Handschuhfach durchgesehen hatte, bestätigte er ihre Vermutung. „Der ist von Jimiramira.“
Sie konnte fast den Rauch riechen, der aus der Ruine der Schiffswerft aufgestiegen war. „Also sind sie beim alten Pete gewesen.“ Ihr versagte die Stimme.
Er stieg aus, und an seiner Miene war abzulesen, dass er mit sich kämpfte. Dann seufzte er und legte den Arm um ihre Schultern. „Zumindest wissen wir jetzt, dass sie bei Pete waren. Wären sie noch bei ihm gewesen, hätte Dad den Wagen sicher selbst hergebracht.“
„Und wo sind sie dann? Mit einem Leihwagen von Pete hätten sie längst in Pikuwa Creek sein müssen.“
„Falls sie dorthin wollten.“
„Wo sollten sie denn sonst hinwollen?“
„Wenn sie sich kein Auto von Pete geliehen haben, dann etwas anderes. Wir wissen nicht, wie viele Boote er hatte. Aber es waren einige. Er hat sie seetauglich gemacht in seiner Werft.“
„Du meinst, Matthew und dein Vater haben sich ein Segelboot von ihm geliehen?“
„Das liegt doch auf der Hand. Matthew wollte nicht nach Pikuwa Creek. Er will die Perle dorthin zurückbringen, wo sie gefunden wurde. Deshalb braucht er Dads Hilfe.“
„Aber warum? Das ergibt doch alles keinen Sinn. Matthews Vorfahren sind für diese Perle gestorben.“
Mit traurigem Blick sah Cullen sie an. „Matthew hat begriffen, was du nie verstanden hast, Lee: Die Perle hat schon vorher vieles zerstört, und jetzt ist sie dabei, den Menschen zu zerstören, den er am meisten liebt. Er will sie dem Ozean übergeben, um dich zu retten.“
„Ich dachte, hier wäre mehr Wind.“ Matthew stand am Bug des Segelboots Argonaut, das sie sich von Pete ausgeliehen hatten, und sah zu, wie sein Großvater das Hauptsegel setzte.
„Hast du es etwa eilig, Junge?“
„Ich glaube, ich bin nicht seefest.“
„Dann häng deinen Kopf über die Reling.“
Matthew fühlte sich eigentlich nicht seekrank. Ihm war nur ein wenig komisch. „Es war nett von Pete, uns sein Boot zu leihen.“
„Er ist ein guter Kerl.“
„Ich wünschte, es wäre ein richtiger Perlenlogger.“
Das Boot nahm langsam Fahrt auf, doch es würde mindestens noch einen Tag dauern, bis sie ihr Ziel erreicht hätten. Dank Pete wussten sie nun genau, wie sie zum Graveyard kommen würden.
„Findest du es seltsam, dass wir dorthin segeln, wo Archer Tom getötet hat?“, fragte Matthew.
Roman hob die Schultern. „Das solltest du mir beantworten. Schließlich bist du sowohl ein Llewellyn als auch ein Robeson.“
„Ich glaube, Tom würde es verstehen, aber Archer würde mich sicher für verrückt halten.“
Roman war ungewöhnlich gesprächig. „Ich habe meinen Großvater nie kennengelernt; er ist lange vor meiner Geburt gestorben. Mein Vater erzählte mir erst kurz vor seinem Tod von der Perle.“
„Hat er dir erzählt, dass Archer Tom umgebracht hat?“ „Das hat er. Er selbst erfuhr erst Jahre nach Archers Tod davon. Mein Vater war nicht besonders überrascht von der Geschichte. Er hatte immer gespürt, dass in Broome etwas Schreckliches geschehen sein musste – etwas, weswegen sein Vater sich so schuldig fühlte. Wenn Archer zu viel getrunken hatte, kämpfte er mit seinen Dämonen …“
Matthew fröstelte.
„Nachdem das große Feuer das Haus zerstört und meine Großeltern getötet hatte“, erzählte Roman weiter, „wollten die Arbeiter das Wohnhaus nicht an der gleichen Stelle bauen. Sie glaubten, dass die Perle immer noch auf Jimiramira war und dass sie sie im Schutt finden könnten. Also errichteten sie das neue Haus ein Stück den Hügel rauf. Jahrelang durchstöberten sie abends die Stelle, und Dad hätte schwören können, dass er seine Mutter wehklagen hörte, wenn sie das taten.“
Matthews Magen drehte sich um, aber er bemühte sich sehr, lässig zu klingen, als er fragte: „Und was steht heute dort?“
„Als ich ein Haus für Joan bauen wollte, habe ich mich entschlossen, es genau an der Stelle zu errichten, an der einst das Farmhaus stand. Was die Männer damals nicht beiseitegeschafft hatten, war über die Jahre von den Ameisen und den Stürmen davongetragen worden. Ich stand dort und sprach ein Gebet oder zwei, und in der Nacht kam Luke mit ein paar Männern. Sie führten ein Corroboree durch, eine traditionelle Zeremonie der Aborigines. Ich weiß nicht genau, was sie dort genau taten – aber danach fühlten wir uns alle viel besser. Luke ist ein guter Psychologe.“ Er lächelte. „Als wir den Grundstein für das neue Haus legten, fühlten wir uns willkommen. Es ist zwar nur ein Haus, aber für lange Zeit hat das Glück darin gewohnt.“
„Das könnte es doch wieder, Grandpa.“
Roman lächelte. „Ich brauche kein Haus, um glücklich zu sein, Matthew. Ich habe einen Enkelsohn. Und was mich betrifft, hat er das verdammt noch mal gut hingekriegt.“