24. KAPITEL

Irgendwo in den immergrünen Büschen, die an ihrem Ferienhäuschen standen, krächzte ein Vogel, um den heraufziehenden Morgen zu begrüßen. Cullen bewegte sich, bis er Lianas Po warm und aufreizend an seinem Rücken spürte. Er hatte nur geschlummert, um sicherzugehen, dass er auf seiner Bettseite blieb. Liana hingegen war immer näher gerückt.

Er könnte sie in die Arme nehmen, ohne dass sie aufwachen würde. Sollte sie es dann doch merken, würde sie ihm sicher die Schuld geben, und sein Protest würde kein Gehör finden.

Lächelnd erinnerte er sich an den Beginn ihrer Ehe. Sie schienen sich fast absichtlich gestritten zu haben, nur um sich wieder versöhnen zu können. Doch sein Lächeln verschwand, als er an all das dachte, was nun zwischen ihnen stand. All das konnte nicht mit Sex aus dem Weg geräumt werden.

Hatte er geglaubt, dass sie tief und fest schlief, wurde er nun eines Besseren belehrt. „Du bist wach, oder?“, fragte sie.

„Bevor du wütend wirst, miss die Matratze ab und teile die Fläche durch zwei.“

Sie rückte nur ein kleines Stück ab. „Glaubst du, dass wir beide je wieder zusammen im Bett landen?“

„Nachdem ich herausgefunden hatte, wer du bist, habe ich geglaubt, dass wir nie im Bett landen.“ Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf, sodass er sich ihr nicht nähern konnte.

„Es schien fast ausgeschlossen, ja“, murmelte sie schläfrig. „Unsere Beziehung war von Anfang an zum Scheitern verurteilt.“

Sie hatte recht, natürlich. Aber jetzt wurde Cullen bewusst, dass er das damals als Plus betrachtet hatte. Er war ein Spieler gewesen; viel zu arrogant, um auf eine sichere Sache zu setzen. Er hatte einen gründlichen Blick auf diese Frau geworfen, deren Geschichte die seine so schicksalhaft kreuzte. Und er hatte gewusst, dass er sie haben musste.

„Eine Weile ist es doch gut gelaufen“, sagte er. „Erinnerst du dich noch an dieses erste Jahr?“

„Hast du keine Angst, Matthew könnte genauso verrückt werden, wie wir damals waren?“ Sie klang nicht wütend, eher wehmütig, als würde sie der ausgelassenen Zeit nachtrauern.

„Ich hoffe, dass er sich genauso unsterblich verliebt wie wir, aber dass er damit besser umgehen kann.“

„Unsterblich?“

„Ganz genau.“

Sie sah ihn an und streckte sich unbewusst, sodass sein Verlangen erneut geweckt wurde. „Warum sind wir dann gescheitert?“

Er hatte den Duft von Lianas Haut nie vergessen, den weiblichen Hauch von Moschus am frühen Morgen, das blumige Aroma ihrer Haare. Seitdem war er neben anderen Frauen aufgewacht und hatte nichts als Enttäuschung verspürt – selbst Jahre nachdem er Liana zuletzt in seinen Armen gehalten hatte. Jetzt bettelte sein Körper darum, sich wieder mit ihr zu vereinen.

Seufzend setzte sie sich auf und strich mit beiden Händen ihre Haare aus dem Gesicht. „Ich glaube, ich gehe jetzt duschen.“

Er sah zu, wie sie zum Bad ging, ihre wunderschönen langen Beine nackt unter dem langen T-Shirt. „Dass wir gescheitert sind, hatte nichts mit Liebe zu tun, Lee.“

Sie blieb stehen, die Hand am Türknauf. „Ich wünschte, es wäre so. Denn hätten wir uns nicht so sehr geliebt, wäre alles viel einfacher gewesen.“

Liana schloss die Tür hinter sich, und wenig später hörte er Wasser laufen. Er erinnerte sich an ihre erste Nacht in New York. Nach ihrem Gespräch bei Tiffany hatte er erwartet, dass sie ihre Meinung ändern würde, doch als er von seiner Besprechung kam, wartete sie auf ihn. Lange hatten sie in seinem Hotelzimmer miteinander geredet, hatten von ihrer beider Leben erzählt, von Archer und Tom, soweit sie davon wussten, und von der Zeit, die dazwischen gelegen hatte. Irgendwann hatte sie ihre Haare gelöst, ein verführerisch schwarzer Schleier, der ihr über die Schultern fiel, den Rücken herunter. Vorsichtig hatte er die Hand ausgestreckt, aus Angst, sie könnte sich ihm verweigern, wenn er sich noch weiter vorwagte. Doch sie hatte sich ihm hingegeben, und ihre Körper hatten perfekt zueinandergepasst.

Nein, dass ihre Ehe gescheitert war, hatte nichts mit Liebe zu tun. Sie hatten sich so schnell ineinander verliebt, dass keine Zeit zum Denken blieb, keine Zeit, zusammen zu träumen und einander genau kennenzulernen. Am nächsten Morgen hatte er Liana gebeten, mit ihm nach Australien zu gehen und seine Perlen dort in ihren einzigartigen Kreationen zum Leben zu erwecken. Dass sie sich gefunden hatten, schien ihm wie ein Sieg über die tragische Geschichte ihrer Vorfahren. Als sei es eine Fügung des Schicksals, dass sie Unrecht wieder in Recht verwandelten.

Und sie hatte Ja gesagt.

Aber er hatte Liana nicht gefragt, ob sie ihn heiraten wollte – nur dass sie mit ihm nach Australien gehen sollte. Er wollte ihr den Ort zeigen, wo ihre Familie gelebt hatte. Er wollte versuchen, eine Beziehung mit ihr aufzubauen. Und trotzdem war er damals hin- und hergerissen zwischen seinem Bedürfnis, sie zu lieben und zu beschützen, und seinem Drang, sich keine Fesseln anzulegen. Er war zu jung gewesen, um zu verstehen, dass Einsamkeit und Bedauern die schwersten Fesseln waren, die ein Mann tragen konnte.

Aber jetzt wusste er es.

„Ich sehe wie eine Verrückte aus. Niemand wird mir auch nur eine Frage beantworten. Du musst das Reden übernehmen.“

Cullen sah sie an. Ihm gefiel, was er sah, auch die kleinen Fältchen. „Du siehst wunderschön aus.“

„Meine Kleider sehen aus, als hätte ich darin geschlafen. So viel zu Naturfasern.“

„Du musst nur eine von deinen Broschen anstecken, dann sieht das keiner.“ Als sie nichts sagte, fuhr er fort: „Die Brosche, die Mei getragen hat, war von dir, oder? Eine deiner letzten Arbeiten?“

„Ja.“

Ihr Tonfall sagte ihm, dass er das Thema wechseln sollte. Er lenkte den Mietwagen auf den Highway nach Tillman. „Was sollen wir Matthew sagen, wenn wir ihn finden?“

„Ich weiß es nicht. Wir hatten schon seit Langem nicht mehr gemeinsam mit ihm zu tun.“

„Ich würde vorschlagen, wir lassen ihn erzählen, was er sich dabei gedacht hat.“

„Das ist ein guter Anfang“, stimmte Liana zu. „Und danach drehen wir ihm den Hals um.“ Sie schwieg eine Weile, ehe sie fortfuhr: „Schade, dass Matthew erst verschwinden musste, damit wir wieder miteinander reden.“

„Das ist nun Vergangenheit.“

„Ich würde Matthew nie erzählen, was du getan hast. Es tut mir leid, dass ich dir damit gedroht habe, als du angekommen bist.“

Er warf ihr einen Blick zu. „Er weiß es sowieso, Lee.“ Ihre Augen weiteten sich. „Was soll das heißen?“

„Ich habe Matthew erzählt, dass ich sein Geld aus dem Treuhandfonds verspielt habe. Weil ich das Geld beim Spiel verdoppeln wollte, um Southern Cross zu retten.“

Er hielt bei der Tankstelle, wo sie mit ihrer Befragung beginnen wollten. „Ich habe ihm gesagt, dass ich keinen anderen Ausweg mehr wusste, als meinen eigenen Sohn zu bestehlen.“

Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Warum hast du es ihm erzählt?“

„Ich war es ihm schuldig. Und er sollte wissen, wie leid es mir tut.“ Er stockte. „Ich habe ihn gebeten, dir nichts davon zu sagen, weil ich wusste, dass es dir Angst machen würde. Du hast immer geglaubt, ich hätte dir nur das alleinige Sorgerecht überlassen, weil du versprochen hast, ihm nichts von meinen Verfehlungen zu erzählen. Hättest du gewusst, dass ich mich verändert habe, hättest du sicher befürchtet, ich würde ihn dir wegnehmen wollen.“

Sie schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.

„Du hättest mir nie geglaubt, dass ich mich vor Gericht nicht um Matthew gestritten hätte. Und noch etwas sollst du wissen. Ich habe im Laufe der Jahre mehr Geld in seinen Treuhandfonds gesteckt, als ich damals genommen habe. Er hat ein finanzielles Polster, wenn er alt genug ist.“

„Aber wie hast du das gemacht? Southern Cross war doch am Boden, als ich dich verlassen habe! Hast du endlich beim Spielen Glück gehabt?“

„Seit du Australien verlassen hast, habe ich nicht mehr gewettet. Die Bank hat einen Investor aufgetrieben, der bereit war, eine Menge Geld in Southern Cross zu stecken. Er glaubt wohl, dass australische Perlen eine Zukunft haben, und hat genug investiert, um das Schlimmste abzuwenden. Irgendein Abenteurer aus dem Osten, der seinen Namen nicht nennen wollte. Den Rest habe ich dann nach und nach selbst geschafft.“

Tränen glitzerten auf ihren Wangen. „Du hättest mir davon erzählen sollen.“

„Ich habe all das nicht getan, um dir etwas zu beweisen.“ Sie sahen sich an. Er hatte nie vorgehabt, ihr davon zu erzählen oder sich vorzustellen, wie es sich anfühlen würde. Er war nicht vorbereitet auf die Verletzlichkeit, die in ihrem Blick lag, gefolgt von ihrem Respekt. All das hatte er nicht für sie getan und ganz sicher nicht, um sie zurückzugewinnen. Denn er hatte gewusst, dass das unmöglich war.

Doch jetzt wagte er es, sich dieser Fantasie hinzugeben. Kein leeres Haus würde ihn erwarten, wenn er abends nach Hause kam, sondern Liana und Matthew. Liana würde ihre künstlerische Arbeit wieder aufnehmen, und Southern Cross würde sich zu einem Familienunternehmen entwickeln, bereit, an die nächste Generation weitergegeben zu werden.

Er wandte den Blick ab, weil ihn diese Bilder zu sehr schmerzten. „Jetzt sind wir hier, Lee.“

„Und es war ein langer Weg, nicht wahr, Cullen? Wie hast du es so weit geschafft?“

Er brachte ein schwaches Grinsen zustande. „Ein verdammter Schritt nach dem anderen. So wie du es gestern geschafft hast, in das Flugzeug zu steigen.“

„Aber da warst du bei mir.“

Wieder sah er sie an. „Vor Jahren habe ich dich verloren. Du solltest nicht unterschätzen, wie viel Macht die Wirklichkeit haben kann.“

Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. Sie verharrte einen Moment, während ihre Fingerspitzen seinen Nacken berührten. Dann trat sie zurück. „Lass uns jetzt unseren Sohn suchen, Cullen.“

Brittany Saunders lebte nicht in Tillman, sondern draußen auf dem Land, wie die junge Farmangestellte ihnen erklärte.

„Ich wusste gar nicht, dass Brittany überhaupt Freunde hat“, sagte sie.

Liana gab sich entgeistert. „Ach du meine Güte! Weißt du vielleicht etwas, von dem wir keine Ahnung haben?“

„Ich sage nichts.“ Das braunhaarige dünne Mädchen presste die Lippen entschlossen aufeinander.

„Entschuldige.“ Liana schenkte ihr ein herzliches Lächeln. „Ich will nur keinen Ärger bekommen.“

Das Mädchen verdrehte die Augen. „Das werden Sie nicht. Brittany glaubt einfach, dass sie besser ist als die anderen. Und schlauer.“

„Jedenfalls wäre es besser, wenn wir uns mit dieser Brittany treffen, sonst wird unser Sohn wütend. Kannst du uns sagen, wie wir zu ihr kommen?“, fragte Cullen mit seinem charmantesten Lächeln.

Das Mädchen gab ihm eine genaue Beschreibung. „Sie lebt bei ihrer Tante. Sie können es nicht verfehlen.“

Während der Fahrt sprachen sie nur wenig, jeder in seinen eigenen Gedanken versunken. Liana entdeckte das Fleckchen Erde, dass das Mädchen beschrieben hatte, als Erste.

Brittany lebte in einem großen Wohnwagen, der im Schatten eines grün bewachsenen Hügels stand.

Sie parkten ein kleines Stück entfernt; ihr Auto war das einzige weit und breit. „Und wenn sie nicht zu Hause ist?“, fragte Liana.

„Lass uns nachsehen.“ Cullen öffnete seine Tür.

Hitze umfing sie, als sie zu dem Haus gingen. „Kannst du mit ihr reden?“, bat Liana. „Ich fürchte, ich würde ihr gleich an die Kehle gehen.“

Er legte die Hand auf ihren Rücken. „Warte noch ein bisschen damit.“

Fest klopfte Cullen an die Tür und trat dann einen Schritt zurück. Ein Hund begann zu bellen. Kurz darauf kam ein scharfer Befehl von einer Mädchenstimme, sodass der Hund sofort verstummte. Schließlich ging die Tür auf.

Ein Mädchen stand hinter der Fliegengittertür. Zart gebaut, mit schulterlangen blonden Haaren und Augen, die viel zu groß für ihr Gesicht waren. Sie wirkte wie eine verwelkte Wildblume.

„Brittany Saunders?“, fragte Cullen.

Misstrauisch sah das Mädchen ihn an, nickte allerdings.

„Ich bin Cullen Llewellyn, und das ist Liana Robeson. Wir suchen unseren Sohn Matthew. Simon Van Valkenburg hat uns erzählt, dass er zu dir wollte.“

Liana beobachtete das Mädchen genau. Es sah aufrichtig verwirrt aus.

„Was meinen Sie damit? Ich verstehe nicht.“

„Kennst du unseren Sohn? Matthew Llewellyn? Simon sagt, ihr habt euch in einem Chatroom kennengelernt.“

Brittany zuckte die Schultern. „Haben Sie schon mal gechattet?“ Als Liana den Kopf schüttelte, fuhr sie fort: „Die Leute kommen und gehen. Ich bin nicht oft online, weil ich keinen Computer habe. Manchmal kann ich den von meiner Freundin benutzen … Ich kann mich nur an ein paar Namen erinnern, aber der ist nicht drunter.“

„Und wie steht’s mit SEZ?“, fragte Cullen.

SEZ? Ja. Große Klappe, aber er kann auch witzig sein. Ich glaube, er ist okay.“

„Steckst du in irgendwelchen Schwierigkeiten, Brittany?“

Wieder sah sie verwirrt aus. „Wie meinen Sie das?“ „Simon hat uns gesagt, dass Matthew zu dir wollte, weil du anscheinend Probleme hast und einen Freund brauchst, der dir hilft.“

„Hören Sie, ich bin gerade mit der Highschool fertig und habe ein Stipendium für das Prescott College. Mir ging es nie besser! Und ab nächste Woche habe ich einen Job und werde den ganzen Sommer dort verbringen.“

„Hast du Simon je verraten, wo du wohnst?“

Brittany dachte nach. „Vielleicht, ich weiß nicht mehr. War wahrscheinlich blöd, oder? Aber vor ein paar Monaten haben wir uns über unsere Heimatstädte geschrieben, und ich versuchte, ihm meine zu beschreiben.“ Sie verzog das Gesicht. „War allerdings ziemlich schwer.“

„Dieser verlogene kleine Bastard!“, knurrte Cullen. „Ich wette, er weiß, wo Matthew wirklich ist.“

Mitfühlend sah Brittany sie an. „Hat Matthew irgendwas angestellt?“

Lianas Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. „Nein, nichts. Außer dass er verschwunden ist.“