2. KAPITEL
Broome, Australien – 1900
Australien nährte sich von den Seelen der Männer, zermahlte sie zu feinem rotem Staub, der über den endlosen trockenen Weiten niederging. Ein Land voller Versprechungen, die sich nie erfüllten; ein Land von quälender Hitze, die jede andere Hölle, der die Männer vielleicht eben noch entronnen waren, in den Schatten stellte. Und trotzdem spielte nichts von alledem eine Rolle. Australien war jetzt Archer Llewellyns neue Heimat. Bei der Schlacht in Cuba 1898 hatte er einen Offizier der Kavallerie getötet.
Er konnte nie wieder nach Hause zurück.
„Der gehört mir, Tom.“ Archer duckte sich, als ein Mann über den wackligen Tisch flog. Dann bearbeitete er ihn mit seinen Fäusten, bis sein Gegner zu Boden ging. Als der Kerl, der einen unangenehmen Gestank nach verdorbenen Austern verströmte, sich wieder aufrappeln wollte, kippte Archer den Tisch um und schickte den Riesen ein weiteres Mal zu Boden.
„Danke.“ Tom Robeson warf seinem Freund ein Grinsen zu, das jedoch verrutschte, als ihn die Faust eines Fremden traf.
„Verdammt, Tom, nimm deinen Kopf runter!“ Archer nahm Toms Angreifer in den Schwitzkasten und versetzte ihm mit der Stirn einen Schlag gegen den Kopf. Für einen Moment sah er nur Sterne; sie sahen allerdings anders aus als die, die seit zwei Jahren jede Nacht über ihm am Himmel leuchteten. Der Mann in seinem Arm hörte auf, sich zu wehren, und sackte zu Boden.
Archer trat ein Stück zurück und rief: „Will sich vielleicht noch jemand anders aus dieser gottverlassenen Stadt mit mir anlegen?“
Das halbe Dutzend Männer, das zugesehen hatte, wandte sich ab, als wäre nichts geschehen.
„Alles okay?“ Archer drehte Toms Wange ins Licht.
Grinsend schüttelte Tom die Hand seines Freundes ab. „Und was ist mit den beiden hier?“
Archers Blick flog zu den beiden Schlägern. Der Kleinere half dem Riesen gerade auf die Füße. Als sie dann zur Tür schwankten, sah keiner der beiden die zwei Amerikaner an. Archer verzog das Gesicht. „Sieht so aus, als könnten sie den nächsten Kampf gar nicht abwarten.“
Tom rieb sein Kinn. „Du hast mir den Hals gerettet. Wieder einmal.“
Archer tastete sein Kinn und seine Brust nach Blessuren ab. „Du wirst es nie lernen, wie? Du kannst dich zwar in einem Boxring behaupten, aber in einem Ort wie Broome hält sich keiner an die Regeln. Das wird dich noch den Kopf kosten.“
„Aber offensichtlich nicht, solange du in meiner Nähe bist.“ Tom streckte die Hand aus. Eine feingliedrige Hand, in der trotzdem Kraft steckte. Eine Hand, die sich nicht vor Schmutz drückte und die immer ausgestreckt wurde, wenn es galt, einem Freund zu helfen.
Grinsend schubste Archer den Freund von sich. „Lass uns weitermachen.“
Tom hatte immer schnell ein Lächeln auf den Lippen, selbst wenn sie geschwollen waren. „Mit was denn? Schlagen, trinken oder überlegen, wie wir ein Vermögen machen?“
Vom Ersten hatte Archer bereits genug, und der Rest von seinem Gin war auf dem Boden gelandet. Also blieb nur noch die Zukunft, die immer düsterer aussah.
„Ich hol dir noch einen Drink. Weil du meinen Hals gerettet hast.“
Archer zog sich einen Stuhl an den Tisch und sah zu, wie Tom sich zur Bar durchkämpfte. Sie gehörte zu der Pension hier, in der sie vorübergehend lebten und die kaum ihren Namen verdiente. Sie bestand aus ein paar Räumen hinter der Bar, mit schmutzigem Bettzeug und Blick auf die Gemeinschaftstoilette.
Es gab auch anständige Hotels in Broome; dort residierten die Perlenmeister in sauberen weißen Anzügen. Sie erzählten von Perlen, die so wertvoll waren, dass die europäischen Händler alles dafür geben würden. Doch die Pension war alles, was Tom und Archer sich leisten konnten, und selbst das vermutlich nicht mehr lange.
Er sah zu, wie Tom aufrecht zur Bar schritt. Auch wenn er nicht größer war als die anderen, verlieh ihm seine stolze Haltung etwas Majestätisches. Er war dunkelhaarig und hatte helle Haut. Archer hingegen war gedrungen. Von seiner irischen Mutter hatte er das rotbraune Haar und die Sommersprossen geerbt, von seinem Vater die stechend blauen Augen.
In diesem Moment erdröhnte neben Archer eine Stimme. „Wer ist denn dieser Fremde hier?“
Archer drehte sich zu dem Mann um. „Und wer will das wissen?“
„John Garth. Skipper John Garth.“ Der Mann, älter und sauberer als die anderen Gesellen, streckte seine Hand aus. Er war groß, hatte ein rötliches Gesicht und einen gezwirbelten Schnurrbart. Er trug die weiße Uniform der Perlenmeister, aber sein kragenloses Hemd stand oben offen. „Aber Sie können mich John nennen.“
Archer entspannte sich ein wenig. „Archer Llewellyn. Aus Amerika.“
John machte es sich bequem. „Wir haben nicht viele Amerikaner in Broome. Falls Sie hier Urlaub machen, sind Sie mit Sicherheit im falschen Hotel.“
„Und was treibt Sie dann her?“
„Die beiden Männer, die Sie eben verprügelt haben. Mein Muschelöffner und mein Hochbootsmann. Ich habe gesehen, wie die beiden hier herausgetorkelt sind, und bin gekommen, die Sache zu klären.“
„Und woher wollen Sie wissen, dass ich derjenige war?“
„Wenn ich mich hier so umsehe, kann es niemand anders gewesen sein.“
„Ihr Muschelsammler hat meinen Freund beleidigt.“
„Springen Sie einem Kerl immer bei?“
Gelassen zuckte Archer die Schultern. „Wenn notwendig, ja.“
„Loyalität ist eine feine Sache. Sonst hätten wir keine Ordnung hier in der Stadt oder auf See. Wir suchen uns immer loyale Männer für unsere Crew.“
„Und jetzt wollen Sie die Sache zu Ende bringen, weil Sie sich Ihren Männern gegenüber auch immer loyal verhalten?“
John hob eine Braue. „Ich zeige Ihnen mal, was ich unter Loyalität verstehe.“ Er griff in seine Hemdtasche und zog ein Säckchen heraus. „Sehen Sie sich das mal an.“
Stirnrunzelnd öffnete Archer das von einer Kordel zusammengehaltene Säckchen. Drei kleine, makellose Perlen lagen darin. Als er aufschaute, merkte er, dass der Skipper ihn aufmerksam ansah. „Für diese Perlen würde mancher Mann alles geben“, meinte Archer gedehnt.
John knotete das Säckchen wieder zusammen und steckte es zurück in seine Tasche. „Ich würde sagen, Sie sind aus Georgia. Oder aus Carolina.“
„Texas.“
„Und Ihr Freund?“
„Kalifornien.“
„Und warum sind Sie hier?“
Archer dachte immer noch an die Perlen. An der Küste von Broome konnte man das schönste Perlmutt der ganzen Welt finden. Es gab Männer, die allein mit Perlmutt ein Vermögen gemacht hatten.
Das Nebenprodukt der Austern, die das Perlmutt lieferten, waren Perlen wie diese eben, vermutlich die schönsten, die man im Meer finden konnte. Seit Archer und Tom vor drei Tagen in diese Stadt gekommen waren, hatte er noch nicht eine in der Hand gehalten.
Tom kam mit zwei schlecht gespülten Gläsern Bier zurück, stellte sie auf den Tisch und hielt dem Skipper die Hand hin, ehe er sich setzte. „Sind Sie auch scharf auf einen Kampf?“, meinte er grinsend. „Aber vielleicht könnten wir vorher unser Bier trinken.“
John gab dem Wirt ein Zeichen, der wenig später ein drittes Bier brachte. Er hielt es hoch. „Auf euch.“
Eine Weile tranken die Männer schweigend. Das Bier schmeckte schal.
Schließlich stellte der Skipper sein Glas auf dem Tisch ab. „Ich habe Mr Llewellyn eben gefragt, warum Sie hier sind.“
Tom fiel die Antwort nicht schwer. Er und Archer hatten sich schon vor langer Zeit auf diese Geschichte geeinigt. „Wir haben mit Roosevelt in Cuba gekämpft. Danach haben wir beschlossen, uns ein bisschen in der Welt umzusehen und unser Glück zu machen. Aber bis jetzt haben wir es noch nicht gefunden.“
John zuckte die Schultern. „Manche finden es in Broome.“
Archer schob sein Glas von sich. „Ich habe allerdings auch einige arme Kerle gesehen, die kein Glück hatten. Die halb tot draußen sitzen und darauf warten, dass die Sonne und die Sandfliegen ihnen den Rest geben.“
„Die Perlentaucher“, meinte John mit Bedauern. „Manche sterben dabei oder sind verkrüppelt für ihr ganzes Leben. Andere wiederum finden genug Perlmutt und Perlen, um zu Hause wie Könige leben zu können. Ich für mein Teil denke, dass es das Risiko wert ist.“
Archer dachte an all die Risiken, die Tom und er auf sich genommen hatten. Seit er geflohen war, um dem sicheren Tod durch die Justiz zu entkommen, hatten er und Tom einiges getan, um Geld zu machen.
Aber die Ausbeute war bisher mager gewesen. Und auch wenn Archer Llewellyn glaubte, dass er zu etwas Höherem geboren sei, sah sein Leben bis jetzt ganz anders aus.
„Broome ist kein Ort für weiße Männer.“ Archer kratzte mit dem Fingernagel über den Dreck an seinem Glas. „Tom und ich, wir sind beide erfahrene Seemänner. Aber man findet keine Arbeit, und wer hat schon genug Geld, sich ein eigenes Boot zu kaufen? In der Stadt wimmelt es von Schlitzaugen und Niggern, die für einen Hungerlohn Arbeiten verrichten, die ein Weißer nur für das Dreifache machen würde.“
„Soll ich daraus schließen, dass Sie die Gesellschaft von Asiaten und Aborigines nicht dulden würden?“, fragte der Skipper.
Archer grinste. „Ich würde sogar den Teufel persönlich dulden, um an Geld zu kommen.“ Er senkte seine Stimme. „Wegen dieser Perlen …“
„Ach ja, die Perlen.“ John zwirbelte seinen Schnauzbart. „Sie stammen von meinem Logger, der Odyssee. Aber ich habe sie heute zum ersten Mal gesehen. Cambridge Pete, der Bastard, den Sie verprügelt haben, hat sie in einer Muschel gefunden und an einen Mann verkauft, der sie mir wiederum heute Morgen angeboten hat.“
„Dann fehlen in Ihrer Crew jetzt ein oder zwei Männer.“
Der Skipper nickte und beugte sich vor. „Ich brauche einen neuen Muschelöffner. Leider kann ich nur einen Weißen für diesen Job nehmen. Den Farbigen kann ich das nicht anvertrauen.“
Tom verzog das Gesicht. „Eine weiße Haut ist aber auch keine Garantie, was? Falls mich nicht alles täuscht, ist Cambridge Pete unter all seinem Schmutz sicher weiß genug.“
„Mein Freund hier ist mit chinesischen Bediensteten aufgewachsen“, erklärte Archer dem Skipper. „Er hat was übrig für Gelbe mit Zopf.“
„Versteht mich nicht falsch“, meinte John. „Ich respektiere jeden Mann, der gut arbeitet, aber das ist nun mal ein Job für einen Weißen. Meine Muschelöffner melden mir unmittelbar jeden Fund und sind am Gewinn beteiligt. Also müssen wir uns hundertprozentig verstehen.“ Er hielt kurz inne. „Und, wie ist es mit uns? Verstehen wir uns hundertprozentig?“
Archer lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Es waren zwei Männer. Der Bootsmann und …“
„Genau. Auf meinem Schiff sind zwei Jobs frei.“ Er grinste. „Ihr seid beide erfahrene Seemänner, und den Rest kann euch meine Crew beibringen. Also, seid ihr dabei?“
John Garth besaß zwei Segelschiffe, die unabhängig voneinander arbeiteten; das Größere unterstand direkt seinem Kommando. Bald würde er genug Geld haben, um sich noch einen Schoner leisten zu können. Doch selbst mit dem kleinsten Boot konnte man ein Vermögen machen, wenn einer der Taucher die richtige Perle fand.
„Pinctada maxima.“ Tom ließ die Worte über seine Zunge rollen. Pinctada maxima war der Name einer Perlmuschel, die man an der australischen Westküste fand; sie produzierte die schönsten Perlen der Welt. Diese Muschel konnte den beiden Amerikanern einen sauberen Schlafplatz und anständiges Essen einbringen. „Hättest du je gedacht, dass du mit dem Öffnen von Perlmuscheln mal dein Leben bestreiten könntest?“
Archer bedachte ihn mit einem Grinsen. Wenn er ein bisschen Geld in der Tasche hatte, war er immer freundlicher gestimmt. „Nein. Und ich hätte nie für möglich gehalten, dass es so einen gottlosen Ort wie diesen hier gibt. Sieh dir das mal an!“
Im Chinatown von Broome wimmelte es von Menschen. Ein Geschäft reihte sich an das andere. Die wackligen Balkone ächzten unter der Wäsche, die dort hing, und die Luft war erfüllt von dem Geruch nach Räucherstäbchen und dem Rauch der Kochstellen.
Tom sah die staubige Gasse hinunter. „Was genau soll ich mir denn ansehen?“
„Diese Bastarde! Ich werde mich nie daran gewöhnen, dass Männer Kleider tragen.“
Eine Gruppe dunkelhäutiger Männer in bunten Sarongs hatte sich in einer der vielen Gassen zusammengefunden. Ihre konzentrierten Mienen ließen vermuten, dass sie spielten oder sich irgendeinem religiösen Ritual hingaben.
Wehmut erfasste Tom. Er kannte die Gerüche aus seiner Jugend, die er in San Francisco verbracht hatte. Dort war er mit dem Koch seiner Familie ab und zu nach Chinatown gegangen. Ah Wu war mit ihm an den Läden vorbeigeschlendert, wo der junge Tom sich begeistert die bunten Papierlampions und die Karren mit Gemüse und Obst ansah, denen ein verlockender Duft entströmte. Bei dem vertrauten Anblick glaubte er jetzt beinahe, Ah Wus Hand auf seiner Schulter zu spüren. Tom liebte die bunte Lebendigkeit von Chinatown, war aber an die enge Weltsicht seines Freundes gewöhnt. Er wusste allerdings auch, dass Archer grundsätzlich fair und loyal war – auch wenn er hin und wieder zur Intoleranz neigte. Archer war in vieler Hinsicht ein widersprüchlicher Mensch. Einmal impulsiv, dann wieder kühl kalkulierend und auf der Gewinnerseite. Auch wenn er vor allem seine eigenen Interessen vertrat, setzte er für einen Freund sein Leben aufs Spiel.
Das wusste Tom aus eigener Erfahrung.
Jetzt legte er die Hand auf Archers Schulter und führte ihn durch die enge Gasse. „Du kriegst sicher auch noch die guten Seiten von Broome zu sehen.“
„Meinst du einen Job, bei dem ich Perlen suchen muss, die ich nicht mal selbst behalten darf?“ Archer spuckte auf den Boden.
„Wir werden lernen, wie man das macht. Und in der nächsten Saison haben wir dann vielleicht unser eigenes Schiff! Ich habe noch ein bisschen Erspartes in Kalifornien.“
„Nicht genug für ein Schiff.“
„Aber es würde uns den Start erleichtern. Bis dahin müssen wir unsere Augen offen halten und auf den großen Wurf warten. Das hat Garth auch gesagt. Vergiss nicht: Das ist erst der Anfang!“
Archer hatte Großes vor, aber Tom wusste auch, dass er nicht dazu neigte, Trübsal zu blasen. Er schüttelte Toms Hand ab. „Im Moment ist mir eher nach was zu beißen.“
John Garth hatte beiden einen Vorschuss auf den Lohn gegeben, den sie am Ende der Saison erhalten würden. Ihre paar Habseligkeiten hatten sie bereits ins Roebuck Bay Hotel gebracht, ein angenehmeres Quartier als die Bruchbude, in der der Skipper sie aufgespürt hatte. Jetzt mussten sie nur noch eine Wäscherei finden, wo man ihre Sachen bis zum nächsten Morgen waschen und bügeln würde. Danach könnten sie zurück ins Hotel gehen und sich ein billiges, aber nahrhaftes Essen gönnen. John hatte sie schon vorgewarnt, dass sie auf der Odyssee nur mit Reis und Fisch rechnen konnten.
„Dahinten ist die Wäscherei, von der John gesprochen hat.“ Tom deutete auf das Schild am Ende der Gasse. „Sing Chung’s.“
„Glaubst du etwa, dass diese elenden Schweinehunde die ganze Nacht arbeiten? Die brauchen doch auch ihren Schlaf, so wie wir beide, oder nicht?“, meinte Archer.
„So wie jeder andere Mensch auch. Und genauso tun sie alles, um zu überleben.“
„Ich würde mich bei dieser Hitze aber nicht an einen dampfenden Kessel stellen.“
„Doch, das würdest du, wenn du damit deine Frau und deine Kinder ernähren kannst.“
Archer grinste triumphierend. „Ich suche mir eine Frau, die mich ernährt.“
„Und davon findest du sicher ein Dutzend in Broome.“
„Ich werde nur so lange in diesem Dreckskaff bleiben, bis ich eine Perle gefunden habe, die mir ein Vermögen einbringt. Danach gehe ich nach Victoria, kaufe mir ein Anwesen und züchte Rinder. Und wenn ich eines Tages abtrete, werde ich meinen Söhnen ein Königreich hinterlassen.“
Tom wusste, worauf die Träume seines Freundes gründeten. Als einziges Kind von Immigranten waren er und seine Eltern mit ihrem eigenen Traum nach Texas gekommen. Sein Vater hatte dort zu Unrecht jahrelang im Gefängnis gesessen und war dort gestorben. Seiner kranken, mittellosen Mutter war nichts anderes übrig geblieben, als ihren Sohn ins Waisenhaus zu stecken. Den Rest seiner Kindheit hatte Archer als unbezahlter Arbeiter auf der Ranch des örtlichen Bürgermeisters verbracht.
Tom schlug ihm auf die Schulter. „Lass uns erst die Wäsche abgeben, dann kannst du dich stärken, um dein Königreich aufzubauen.“
Archer lachte immer noch, als sie die Wäscherei betraten.
Der Raum war dunkel und eng und die Hitze beinahe unerträglich. Das einzige Licht fiel durch die Tür hinter ihnen. Nachdem Toms Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, machte er eine schlanke Gestalt hinter einem niedrigen Tisch aus. Eine junge Frau, mit einem zarten, herzförmigen Gesicht, deren Blick sittsam auf den Tisch vor ihr gerichtet war.
Archer, der schnell ins Hotel zurückwollte, trat vor und warf sein Bündel Wäsche auf den Tisch. „Das brauchen wir morgen ganz früh zurück. Können Sie das schaffen?“
Tom trat neben ihn. Das Mädchen hatte noch keine Antwort gegeben. „Vielleicht spricht sie kein Englisch“, sagte er leise.
„Ich spreche sehr gut Englisch.“ Die junge Frau sah immer noch nicht hoch. Sie sprach mit Akzent, doch ihre Worte waren klar zu verstehen.
Ungeduldig klopfte Archer mit dem Fuß auf den Boden. „Ich will keine unnötige Lauferei. Wenn Sie die Sachen waschen wollen, müssen sie auch rechtzeitig fertig sein.“
Jetzt mischte Tom sich ein. „Geh doch schon zurück zum Hotel und bestell für uns beide was zu essen. Ich kümmere mich um die Wäsche und komme dann in ein paar Minuten nach.“
„Es gibt genügend Wäschereien in Chinatown“, brummte Archer grimmig, als er zur Tür ging.
Tom wartete, bis sein Freund verschwunden war, ehe er sagte: „Er hat es eilig, weil er dringend was zu essen braucht. Aber er hat es nicht böse gemeint.“
„Und Sie haben es nicht eilig?“
Tom hatte es ganz und gar nicht eilig. Er war in Australien bisher nur wenigen schönen Frauen begegnet. Sicher lebten einige auf dem Kontinent, allerdings nicht dort, wo er sich aufgehalten hatte. Und in Broome trieben sich hauptsächlich Männer herum.
Die junge Chinesin mit dem langen schwarzen Haar, der elfenbeinfarbenen Haut und den langen seidigen Wimpern war eine echte Schönheit. Selbst mit Schweißperlen auf der Stirn und fleckigen Kleidern stach sie jede Frau aus, die Tom bisher in seinem Leben gesehen hatte.
Tom legte sein Bündel neben das von Archer auf den Tisch. „Wir würden Sie nicht bitten, unsere Wäsche schnell zu machen, wenn wir nicht schon morgen in See stechen würden.“
Er lächelte und hoffte, dass sie die Lider heben würde. Das tat sie, und ihr Blick war überraschend offen. „Ich mache die Wäsche noch heute Abend.“
„Sehr freundlich von Ihnen.“ Trotz der Hitze wäre er am liebsten geblieben und hätte sie angesehen.
Auch sie schien es nicht eilig zu haben. Vielleicht war sie froh, den Waschbottichen im hinteren Teil entkommen zu können. „Sie sind nicht von hier, oder?“
Er freute sich über ihre Frage. „Nein, aus Kalifornien. Und Sie?“
„Ich bin vor zehn Jahren aus China hergekommen.“
„Ich vermisse meine Heimat. Geht es Ihnen auch so?“
„Bald gehe ich zurück nach China, um einen Mann aus meinem Dorf zu heiraten.“
Er spürte, dass er enttäuscht war. „Er kann sich glücklich schätzen.“ Als Röte in ihre Wangen schoss, wusste er, dass er zu weit gegangen war. „Tut mir leid.“
„Vielleicht sagt man so etwas ja in Kalifornien.“ Sie begann, Archers Bündel aufzuschnüren.
Da Tom ohnehin schon verbotenes Gelände betreten hatte, wagte er sich noch ein Stück weiter vor. „Nein, in Kalifornien würde ich sagen: Wollen Sie wirklich den weiten Weg nach China auf sich nehmen, wenn Sie doch hierbleiben und mich heiraten könnten?“
Die Röte in ihren Wangen vertiefte sich, doch sie lächelte scheu. „Mein Vater erlaubt mir nicht, mit Männern zu sprechen. Jetzt verstehe ich, warum.“
„Und wo ist Ihr Vater heute?“
„Er ist krank und schläft.“
„Tut mir leid. Ich hoffe, es geht ihm bald besser.“
Sie sah auf die Kleider, die ausgebreitet vor ihr lagen, und sagte ihm, was es kosten würde.
„Das geht sicher in Ordnung“, meinte Tom.
„Für Ihre gilt das Gleiche.“
Er lächelte. „Soll ich jetzt schon bezahlen?“
Wieder sah sie ihn an. Sie hatte geschwungene Brauen und wunderschöne dunkle Augen. Aber es war ihr intelligenter Blick, der ihn gefangen nahm. „Sie können mir das Geld geben, wenn Sie morgen wiederkommen.“
„Sind Sie dann hier? Oder Ihr Vater?“
Sie schüttelte den Kopf, als wüsste sie es nicht.
Auch wenn es verachtenswert war, so zu denken, hoffte er doch darauf, dass ihr Vater am nächsten Morgen immer noch krank war. „Sind Sie noch da, wenn die Saison vorbei ist? Oder sind Sie dann schon in China?“
„Wenn mein Vater noch krank ist, bleibe ich hier und kümmere mich um ihn.“
„Dann werden Sie es sicher bedauern, dass Sie die Hochzeit verschieben müssen.“
Wie zu erwarten, gab sie keine Antwort.
„Mir rutscht immer wieder etwas heraus, was ich nicht sagen sollte“, meinte Tom. „Entschuldigung.“
„Der Mann, den ich heiraten soll, ist alt. Er hat bereits zwei Frauen.“
Dass diese junge Frau, fast noch ein Mädchen, einen alten Mann heiraten sollte, machte Tom wütend. Und das umso mehr, weil dieser Mann bereits zwei Frauen hatte, die sie wie ihre Sklavin behandeln würden. Aber diese Frau hatte etwas Besseres verdient.
„Sie müssen jetzt gehen! Kommen Sie morgen wieder.“ Ehe er etwas sagen konnte, hatte sie die Sachen zusammengesammelt und war nach hinten verschwunden.
Doch Tom blieb noch so lange stehen, bis die Hitze ihn schließlich auf die Straße trieb.