8. KAPITEL
An diesem Abend feierten sie Toms Erfolg mit einem starken Tee, da fast die gesamte Crew inzwischen Magenprobleme hatte. Tom hatte zwar weniger gefunden als Juan an einem durchschnittlichen Tag, aber trotzdem glaubten sie, es würde ihnen Glück bringen, dass er überhaupt etwas gefunden hatte.
„Du musst die Muscheln heute Abend öffnen und sehen, ob was drin ist“, sagte Juan. „Du wirst heute Glück haben.“
„Soll ich dir helfen?“, fragte Archer später. Obwohl es noch nicht dunkel war, hatten die anderen sich schon hingelegt. Sie fühlten sich noch immer schwach.
„Zusammen können wir es schaffen, ehe es dunkel wird.“ Tom setzte sich hin. Er war es gewohnt, Muscheln zu öffnen, obwohl ihm die Arbeit nie Spaß gemacht hatte. Es tat ihm leid, die Austern von ihrem schillernden Zuhause trennen zu müssen.
„Ich verstehe nicht, warum du da runtergehst“, meinte Archer und warf Tom eine Muschel zu, die er vom Seetang befreit hatte. „Das ist doch nicht der richtige Ort für einen weißen Mann.“
„Es ist wunderschön dort unten.“
Schweigend arbeitete Archer weiter. „Ich könnte das nicht“, meinte er schließlich.
Tom hatte noch nie erlebt, dass Archer zugab, etwas nicht zu können. Zuneigung für den Freund durchflutete ihn. „Natürlich könntest du. Du willst es nur nicht.“
„Jedes Mal, wenn dir einer den Helm aufsetzt …“ Archer schüttelte sich. „Du könntest umkommen dabei.“
„Ich könnte auch im Schlaf sterben, oder von Wong Fais Essen.“
Archer lachte. „Ich habe auch nie gesagt, dass Wongs Curry gut für dich ist.“
„Ich bin gerne unten. Als Junge habe ich immer zum Himmel hinaufgestarrt und überlegt, wie es wohl wäre, auf den Sternen zu leben. Ich werde es nie herausfinden. Aber vielleicht ist der Grund des Ozeans ja auch so etwas wie ein Stern oder Planet.“
„Ich war zu beschäftigt, um irgendwas anstarren zu können. Genau wie mein Pa, der gearbeitet hat, bis er abends ins Bett gefallen ist. Und all die verdammte Schinderei hat ihm nichts gebracht.“
„Das heißt aber nicht, dass es bei dir genauso sein muss.“
Er warf Tom eine weitere Muschel zu. „Das stimmt. Ich bin nämlich nicht so wie er. Er glaubte, dass ein anständiges Leben ihm auch Glück garantiert. Aber ich weiß es besser. Ein richtiger Mann nimmt sich das, was er kriegen kann –und manches, was er nicht kriegen kann.“
Tom warf ihm ein trockenes Lächeln zu. „Genauso hat mein Vater es auch gemacht und ist ein reicher Mann geworden. Aber glücklich ist er trotzdem nicht.“
„Und du glaubst, dass du mit deinem Leben, wie du es dir vorstellst, glücklich wirst?“
„Das bin ich schon.“
Archer vergaß einen Moment seine Arbeit. „Glücklich? Jetzt schon?“
„Ja, verdammt! Ich habe dich. Ich habe Willow. Und die Odyssee. Ich bin gerne auf dem Wasser. Mir gefällt es in Australien. Was brauche ich denn mehr, Archer?“
„Eine gehörige Portion gesunden Menschenverstand.“
Tom erwartete schon, dass sein Freund sich wieder gegen Willow aussprechen würde, aber er tat es nicht. Stattdessen nahm er die nächste Muschel und drehte sie in seiner Hand hin und her. „Das ist ein richtiges Monster.“
Tom erkannte sie an ihrer Größe. „Das ist die erste, die ich heute gefunden habe. Ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, dann bin ich darauf gestoßen.“
„Ich hasse es beinahe, sie zu öffnen“, fuhr er fort, nachdem Archer sie ihm gesäubert überreicht hatte.
„Dann wirf sie wieder ins Meer. Mir ist es egal.“
Doch Tom bezweifelte, dass sie noch lebte, weil sie schon zu lange aus dem Wasser war. „Keine Gefühlsduselei. Sonst kriegst du nie dein erstes Rind“, erklärte Tom und öffnete mit seinem Messer die Muschel. Doch er zögerte fast, sie näher zu untersuchen. Austern haben keine Persönlichkeit, sagte er sich. Und er hatte Tausende geöffnet. Doch diese war anders. Weil sie viel größer war und er glaubte, dass sie ihm Glück bringen würde.
Er fuhr mit dem Finger über den Rand und untersuchte sie. Dann hielt er inne.
Archer, der gerade eine weitere Auster säuberte, sah hoch. Er fragte nicht, denn obwohl die Crew eigentlich schlief, könnte doch noch jemand wach sein und sie belauschen …
Fragend hob er eine Braue. Tom sah auf die Auster und schob seinen Zeigefinger ein wenig weiter hinein. Sein Atem ging schneller, und sein Herz hämmerte in der Brust.
Archer beugte sich vor. Langsam drückte Tom seine Finger zusammen und zog eine Perle heraus.
„Mein Gott“, flüsterte Archer so leise, dass seine Worte von den Wellen verschluckt wurden, die sanft gegen das Boot schlugen.
Ehrfürchtig starrte Tom auf die Perle in seiner Handfläche. Es war die größte und schönste Perle, die er je gesehen hatte. Eine Perle, größer als ein Spatzenei.
Perfekt war ein zu armseliges Wort, um diese Perle zu beschreiben.
Archer streckte die Hand aus. Doch Tom zögerte, ihm die Perle zu geben, sondern rollte sie vorsichtig in seiner Hand hin und her. Erst dann ließ er sie in Archers gewölbte Handfläche fallen.
„Nicht zu fassen!“ Wieder sprach Archer so leise, dass Tom Mühe hatte, ihn überhaupt zu verstehen.
„Ist sie wirklich so wertvoll, wie ich glaube?“, sagte Tom leise.
„Noch wertvoller.“ Vorsichtig hielt Archer sie zwischen Daumen und Zeigefinger und drehte sie hin und her. „Sie ist einzigartig. Unbezahlbar.“
„Sollen wir Juan wecken und sie unten in der Kabine untersuchen?“
Archer nickte. Diesen Fund konnten sie dem Taucher unmöglich verschweigen. Und nur unten in der Kajüte, wo Juan zusammen mit Archer schlief, könnten sie die Perle genau untersuchen.
Tom sah zu der Auster, die ihm diesen Schatz geschenkt hatte. Er brachte es nicht übers Herz, sie von ihrem Perlmutt zu trennen, damit Knöpfe daraus gemacht werden konnten. Vorsichtig warf er sie zurück ins Wasser, sodass sie in ihrer gewohnten Umgebung sterben konnte.
„Du bist ein Narr“, sagte Archer, der neben ihm stand, doch Zuneigung klang in seiner Stimme mit. „Ein verdammter, sentimentaler Narr. Aber ein Teufelskerl von einem Taucher.“
Tom war bereits wohlhabend, aber nicht durch eigene Anstrengung. „Jetzt sind wir reich“, erklärte er.
Archers Augen leuchteten im Licht des Mondes. „Dann lass uns sehen, wie reich.“
Nachdem sie Juan geweckt hatten, nahm Archer die Perle aus seiner Hemdtasche, breitete ein weißes Taschentuch auf der Koje aus und legte die Perle darauf.
Im Licht sah die Perle ganz anders aus. Sie leuchtete beinahe überirdisch. Ihre Form war perfekt. Und von der Größe her würde sie als beherrschendes Juwel in eine Königskrone passen.
Juans Augen weiteten sich, während er zitternd Luft holte. „So eine Perle habe ich noch nie gesehen.“
„Sie ist gleichzeitig silbern und weiß“, sagte Archer andächtig. „Eine seltene Farbe. Und makellos.“
„Sie wird einen hohen Preis erzielen“, erklärte Juan.
Tom starrte seinen Fund an. „Die Köstliche Perle“, murmelte er.
„Muss ich das verstehen?“, fragte Archer.
„Das ist aus der Bibel. Ich habe es als Kind gelernt.“ Er zitierte: „Auch ist es mit dem Himmelreich wie mit einem Kaufmann, der schöne Perlen suchte. Als er eine besonders wertvolle Perle fand, verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte sie.“
„Für diese Perle werden Männer alles verkaufen, was sie besitzen.“ Archer betrachtete sie ehrfürchtig. „Und sie gehört uns! Mit dem Erlös können wir unser eigenes Himmelreich kaufen! Oder jedes andere Königreich, das wir haben wollen.“
Auch Tom starrte auf die Perle. Aber er dachte nicht an ein Königreich, sondern an ein glückliches Leben mit Willow. Sie würden mit ihren Söhnen und Töchtern in einem großen Bungalow leben, während Archer sich endlich seinen lang gehegten Traum erfüllen könnte.
„Diese Perle macht einen Mann sehr reich“, sagte Juan. „Und lässt zwei Männer bedauern, dass sie Partner sind.“
„Sie kann uns beiden doch sicher einen guten Start ermöglichen, oder nicht?“ Tom legte sich die Perle in die Hand und schätzte ihr Gewicht.
„Start vielleicht, aber kein Königreich.“
„Dann müssen wir eben noch eine Saison arbeiten, oder zwei, bevor wir genug haben. Zumindest sind wir schon mal auf einem guten Weg“, meinte Tom.
„Der uns morgen zurück zum Hafen führt“, warf Archer ein. „Wir segeln nach Hause und bringen die Perle in Sicherheit. Ich will nicht, dass irgendetwas passiert.“
Tom schloss seine Finger um die Perle. „Meinst du nicht, wir sollten so lange wie möglich hierbleiben? Bis Juan sich wieder besser fühlt, kann ich tauchen. Das Perlmutt ist sehr gut hier.“
„Willst du die Perle wirklich hier an Bord lassen?“
Tom wusste, was Archer andeuten wollte. Eine Perle von diesem Wert könnte Probleme verursachen, wenn die Crew davon erfuhr. Auch wenn er den Männern vertraute und sie mochte, hatten schon kleinere Perlen zu Streitereien geführt.
„Wir müssen es geheim halten“, entschied er. „Juan, versprich, dass du keinem was sagst.“
Juan nickte entschieden.
Tom glaubte ihm. „Ich denke, wir können das Risiko eingehen. Noch ein paar Tage im Graveyard, und wir haben eine volle Ladung. Danach segeln wir zurück.“ Tom erwartete, dass Archer widersprechen würde, aber er tat es nicht. Er hatte auf Toms Hand gestarrt und sah jetzt zu ihm hoch.
„Legst du sie solange in das Kästchen?“, fragte Archer. Tom nickte. Das Perlenkästchen war geschaffen für einen Augenblick wie diesen. Hatte man sie einmal durch die schmale runde Kupferöffnung gesteckt, konnte man die Perle unmöglich wieder herausholen. Und der einzige Schlüssel dazu lag in Broome in der Bank.
„Lass sie mich noch einmal ansehen.“
Tom öffnete seine Hand. Die Perle schimmerte im Licht der Laterne. „Gentlemen, das ist die Köstliche Perle.“
In stummer Andacht standen sie da und starrten die Perle an, als wollten sie sich ihr Bild für immer einprägen. Dann nahm Tom die Perle zwischen seine Finger und legte sie vorsichtig in das Kästchen.
In dieser Nacht konnte Archer kaum schlafen. Immer wenn er die Augen schloss, sah er die leuchtende Perle in Toms Hand. Tom, der geboren war für Perlen wie diese. Tom, der niemals arm und einsam gewesen war. Der sich nie etwas so verzweifelt gewünscht hatte, dass er keinen Schlaf finden konnte, weil er immer an sein Ziel denken musste.
Archer hörte, wie Juan sich in der Koje nebenan unruhig hin und her warf. Es würde ihn nicht überraschen, wenn sie alle krank werden und auf See sterben würden. Er hasste dieses Leben auf See, die gottlose Crew. Doch an diesem Abend hasste er am meisten die Freude, die er empfunden hatte, als er die Perle zum ersten Mal sah. In Toms Hand.
Was für ein Narr er doch gewesen war! Für einen langen Augenblick hatte er geglaubt, dass die Perle sein Leben verändern würde. Zurück in Broome, wollte er Viola davon erzählen und ihrem Vater die Perle zeigen. War Sebastian Somerset zunächst dankbar gewesen, dass Archer seinen Taucher gerettet hatte, hatte er sich ihm gegenüber bald wieder kühl verhalten. So als spürte er, dass Archer mehr von ihm wollte, als nur zur feinen Gesellschaft von Broome dazuzugehören. Die Perle aber würde alles verändern.
Würde. Falls sie Archer allein gehörte.
Archer hatte noch nie eine Perle wie diese gesehen. Gehörte sie einem Mann allein, würde sie diesen reich machen. Sie würde genug Geld einbringen, um Land und Vieh zu kaufen.
Doch da Tom und er Partner waren, würde der Erlös vielleicht nur für drei oder vier Boote reichen; mit Somersets Flotte konnten sie da noch lange nicht mithalten. Sie konnten ein angenehmes Leben führen, wie Tom gesagt hatte. Aber mehr auch nicht.
Ob Viola so ein Leben akzeptieren würde? Ob er sie trotzdem überreden könnte, ihn zu heiraten, auch wenn er in Broome blieb? Sobald ihr Vater tot war, könnten sie Violas Erbe verkaufen und weggehen, wie sie es wollte. Doch Archer wusste, dass sie nicht so lange warten würde. Jemand anders würde sie heiraten und mit ihr fortgehen.
Würde die Perle ihm allein gehören, könnte er das Leben führen, von dem er träumte. Mit Tom als Partner wäre das unmöglich.
Er fragte sich, ob Tom einverstanden wäre, die Perle zu verkaufen. Dann könnten sie gemeinsam Land erwerben. Sie hätten genug Platz für zwei Familien. Doch er verwarf den Gedanken sofort wieder. Tom liebte die Arbeit auf dem Meer, und er war entschlossen, die Chinesin zu heiraten. Viola hingegen würde Willow nie akzeptieren, da war er sicher.
Wieder stöhnte Juan im Schlaf und warf sich hin und her. Doch Archer hörte es kaum, da er viel zu beschäftigt war mit seinen Gedanken.
Am nächsten Morgen ging es der Crew immer noch nicht besser. Nur Reece und Ahmed hatten sich einigermaßen wieder erholt. Also mussten sie noch ein oder zwei Tage warten, bis sie zurücksegeln konnten.
„Zu schade, dass wir keinen Tender haben“, meinte Tom. „Wenn Reece und Ahmed sich mit dir an der Doppelkolben-Luftpumpe ablösen, könnte ich tauchen.“
Archer rieb über sein unrasiertes Kinn. „Ich könnte doch heute der Tender sein. Bernard ist ja da, falls ich Probleme habe – obwohl ich weiß, was zu tun ist. Ich habe ihn ja oft genug bei der Arbeit beobachtet.“
Der Job des Tenders war vermutlich der wichtigste auf einem Perlenlogger. Obwohl der Taucher über Erfolg oder Niederlage einer Saison bestimmte, sicherte der Tauchhelfer das Überleben des Tauchers.
Zögernd sah Tom seinen Freund an. Am Abend zuvor hatte sich die Spannung zwischen ihnen gelöst, die während der ganzen Fahrt zwischen ihnen gestanden hatte. Es war wieder wie in alten Zeiten gewesen. Archer akzeptierte offenbar seinen Wunsch, weiter nach Perlmutt tauchen zu wollen. Sie waren wieder Partner, zwei Männer, die gemeinsam ihr Glück suchten.
„Okay“, meinte Tom. „Aber ich werde nur ein paar Tauchgänge machen; ich will Ahmed und Reece nicht übermäßig strapazieren. Vielleicht schaffen wir ja eine volle Ladung, bevor wir nach Broome zurücksegeln.“
„Gut.“ Archer warf einen Blick zum Auslegerboot. „Dann machst du den ersten Tauchgang nach dem Frühstück. Ich sehe inzwischen zu, dass ich von Bernard noch ein paar Tipps bekomme. Wir werden alle Sicherheitsvorkehrungen treffen, die möglich sind.“
Tom schlug ihm auf den Rücken. „Wie in alten Zeiten: Mein Leben liegt in deiner Hand. Das scheint unser Schicksal zu sein.“
„Sieht so aus.“
Juan war jedoch gar nicht von dem Plan begeistert. „Tender braucht ruhige Hand. Er muss Zeichen befolgen, geduldig sein und sehr aufpassen. Er muss spüren, wenn etwas passieren könnte.“
„Ich weiß, Juan“, entgegnete Tom.
„Bernard kennt sich aus. Er spürt es, wenn unten was nicht stimmt.“
„Aber er ist krank, und Archer will es versuchen. Er wird nicht zulassen, dass mir irgendetwas zustößt.“
Juan runzelte die Stirn, schwieg jedoch.
Jetzt kam auch Archer zurück, der sich von Bernard Anweisungen hatte geben lassen. Er half Tom in den Taucheranzug. Juan assistierte ihnen, wo er nur konnte, doch auf seinem Gesicht lag kein Lächeln.
Aufmunternd lächelte Tom ihn an. „Schau nicht so grimmig, Juan! Du wirst auch bald wieder tauchen und mehr als genug Perlmutt finden.“
„Ich glaube, ich werde nicht mehr tauchen.“ Juan schüttelte den Kopf. Dann wandte er sich ab und ging davon.
Tom hätte ihn beinahe zurückgerufen. „Was soll das denn heißen?“, fragte er Archer.
„Wer weiß? Alle Farbigen sind abergläubisch. Die kleinste Kleinigkeit macht sie schon misstrauisch.“
Obwohl es warm war, lief es Tom plötzlich kalt den Rücken herunter. Doch er wollte jetzt keinen Rückzieher machen und damit Archers Kompetenz infrage stellen. Dafür schuldete er ihm zu viel.
In Ruhe prüfte Archer noch einmal alles nach, als hätte er seit Jahren nichts anderes getan. „Du machst das sehr gut“, lobte Tom. „Bernard soll zusehen, dass er bald wieder auf dem Damm ist, sonst übernimmst du noch seinen Job.“
„Ich hätte mich nie freiwillig angeboten, wüsste ich nicht, was zu tun ist.“
„Viel Glück!“, sagte Tom.
„Dir auch.“ Archer hob den Taucherhelm und zögerte einen Moment, als hätte er es sich doch anders überlegt. Er hielt Toms Blick fest, dann stülpte er ihm den Helm über.
„Archer …“
„Was denn?“
„Weißt du noch, was ich dir gestern wegen Willow gesagt habe?“
„Wieso? Hast du es dir doch anders überlegt?“
„Nein. Es ist nur einfacher für mich, da runterzugehen, wenn ich weiß, dass sie versorgt ist, falls mir was zustößt.“
„Mach dir keine Sorgen. Ich kümmere mich um Willow. Und du suchst uns jetzt Perlmutt.“
Tom wartete, bis Archer seinen Platz auf dem Auslegerboot eingenommen hatte und die Rettungsleine und den Luftschlauch in Händen hielt. Während Ahmed und Reece gleichmäßig Luft in seinen Helm pumpten, glitt er ins Wasser und begann seinen Abstieg.
Wie am Tag zuvor dachte er auch jetzt an Willow. Ob sie wohl Kinder zusammen haben würden? Vielleicht war sie ja schon schwanger. Plötzlich bedauerte er, dass er sie nicht gleich geheiratet hatte. Sobald er wieder zu Hause war, wollte er schnell alles Nötige in die Wege leiten.
Mit einem Mal wurden seine Lider schwer, als würde er langsam einschlafen. Er wusste nicht, warum er plötzlich so müde war. Er hörte das regelmäßige Rasseln der Luft, die in den Schlauch gepumpt wurde, doch heute hörte es sich für ihn an wie ein Schlaflied. Er atmete tief durch, doch trotz der Pumpe bekam er nicht genügend Luft in die Lungen.
Er mahnte sich, nicht in Panik zu verfallen, doch er bekam immer weniger Luft. Schmerzen breiteten sich in seinem Kopf aus, und seine Finger kribbelten.
Verzweifelt zog er an der Rettungsleine. Irgendetwas stimmte nicht, und er wusste nicht, was es war. Er musste nach oben, so schnell wie möglich, ehe er überhaupt keine Luft mehr bekam.
Er machte sich fertig zum Aufstieg, zog noch einmal an der Leine. Das war das Signal für Archer, ihn hochzuholen – aber es tat sich nichts. Kein Rucken an der Leine von Archer, als Zeichen, dass er verstanden hatte.
Also musste auch oben etwas nicht in Ordnung sein. Vielleicht gab es Probleme mit der Ausrüstung, und Archer versuchte jetzt verzweifelt, den Fehler zu beheben? Gleich würde er ihm ein Zeichen geben. Toms Helm würde sich wieder mit Luft füllen, und er war gerettet. Archer würde ihn nach oben holen, und sie würden gemeinsam nach einer Lösung des Problems suchen.
Er zog noch einmal, doch seine Finger waren inzwischen so taub, dass er sie kaum bewegen konnte. Sein Kopf fühlte sich an, als hätte ihn jemand mit einem Stein zerschmettert. Er sackte nach unten auf den Meeresboden und stolperte rückwärts, bis er hinfiel.
Er schrie Archers Namen, doch niemand konnte ihn hören. Über ihm pumpte der Schlauch im lebensspendenden Rhythmus. Und in der Koje wartete die Perle darauf, an den Meistbietenden verkauft zu werden.
Tom starb schnell, aber nicht schnell genug. Als er vergeblich um einen letzten Atemzug kämpfte, war ihm längst klar, dass sein bester Freund ihn für die Köstliche Perle geopfert hatte. Und er selbst bezahlte den höchsten Preis dafür.