Kapitel 11 Pumping Iron
Pumping Iron war gerade einmal zur Hälfte fertiggestellt, als George das Geld ausging. Doch anstatt das Projekt aufzugeben, schlug er vor, eine Bodybuilding-Aktion in einem New Yorker Kunstmuseum zu veranstalten, um wohlhabende Gönner aufzutun. Wir wussten nicht so recht, ob die Idee komplett dämlich oder einfach nur brillant war. Doch das Whitney Museum of American Art, das für seine unkonventionellen Aktionen bekannt war, ergriff die Gelegenheit beim Schopf.
Die Veranstaltung, die als »Articulate Muscle: The Male Body in Art« angekündigt war, fand an einem Freitagabend im Februar 1976 statt. Das Museum verlängerte dafür eigens die Öffnungszeiten. Frank Zane, Ed Corney und ich wollten live unsere Posen vorführen, parallel dazu sollten Bilder griechischer Statuen und der großen Meisterwerke Michelangelos, Leonardo da Vincis und Rodins gezeigt werden, kommentiert von Kunsthistorikern und Künstlern. Zum ersten Mal sollte ernsthaft über Bodybuilding diskutiert werden.
George hatte auf ein paar hundert Leute gehofft, aber obwohl es an dem Abend stürmte und schneite, kamen über 2500. Die Schlange zog sich um den ganzen Block. Die Galerie im vierten Stock war überfüllt, überall standen und saßen Leute. In der Mitte war eine sich drehende Plattform aufgestellt, auf der wir unsere Posen zeigen sollten. Zwischen unseren Auftritten sollten die Kunstexperten zu Wort kommen.
Etwa zwei Drittel der Zuschauer hatten wahrscheinlich noch nie einen Bodybuilder gesehen. Medienleute und Mitglieder der New Yorker Kunstszene waren ebenso vertreten wie Kritiker, Sammler, Mäzene und Avantgardekünstler wie Andy Warhol und Robert Mapplethorpe. Zeitungen und Zeitschriften wie People, der New Yorker, die New York Times und Daily News hatten Reporter geschickt, und Candice Bergen machte Fotos für die Sendung Today. Sie war eine tolle Fotografin und sah umwerfend aus. Bodybuilding war plötzlich hip. Wir hatten es aus der Welt des Sports und der Freak-Shows in die internationale Popkultur geschafft.
Frank, Ed und ich waren stolz darauf, in einem richtigen Museum unsere Posen zu zeigen. Wir konzentrierten uns bei der Vorstellung auf den künstlerischen Aspekt und verzichteten auf Hardcore-Bodybuilding-Posen wie »Most Muscular«. Bei jeder Pose sollte der Körper wie eine Skulptur wirken, vor allem weil wir auf einer sich drehenden Plattform standen. Bei meiner Darbietung zeigte ich Standards und die von mir kreierten Posen, etwa die Dreiviertelrückenpose, kommentiert von Charles Gaines. »Diese Pose ist Arnolds Markenzeichen«, erläuterte Gaines. »Dabei sieht man sämtliche Rückenmuskeln. Man sieht die Wadenmuskeln und alle Muskeln am Oberschenkel.« Ich beendete meine zehn Minuten mit einer perfekten Nachahmung von Rodins Denker und bekam dafür viel Applaus.
Nach dem Posing zogen wir uns wieder an und verfolgten die Diskussion der Kunstexperten. Was sie sagten, war durchaus interessant. Zugleich zeigten die Beiträge aber auch, dass man praktisch über alles theoretisieren kann. Ein Experte sagte, die Veranstaltung markiere »den Eintritt der hochentwickelten, ästhetischen maskulinen Form in die Sphäre der offiziellen Kultur«. Der nächste befand, dass Amerika aufgrund des Vietnamkriegs nach einer neuen Definition von Männlichkeit suche, verkörpert durch uns. Doch dann verknüpfte er Bodybuilding mit dem Rassismus der zwanziger Jahre in Europa und dem Aufstieg der Nationalsozialisten in Deutschland und warnte, dass wir die mögliche Ausbreitung des Faschismus in den USA symbolisieren könnten. Ein anderer Experte hielt unsere Posen für schlimmsten viktorianischen Kitsch. Aber dafür wurde er ausgebuht.
Eigentlich war die Sache vor allem ein Reklame-Gag. Doch den Körper als Skulptur zu betrachten ergab für mich durchaus einen Sinn. Joe Santo in Stay Hungry (Mr. Universum) beschrieb ihn auch so. Kunst faszinierte mich, und wenn der Vergleich mit Skulpturen die Leute anzog und zu einem besseren Verständnis von Bodybuilding beitrug, wunderbar! Alles war besser, als in Bodybuildern ausschließlich dumme, schwule, selbstverliebte Muskelfreaks zu sehen. Leider sah die Situation in Hollywood weit weniger erfreulich aus als in New York. Mit Stay Hungry machte ich zum ersten Mal die unschöne Erfahrung, dass die Vermarktung eines Films komplett schiefgehen kann. Der Film kam im April heraus und erhielt gute Kritiken, hatte aber wenig Zuschauer. Er lief zehn bis zwölf Wochen und verschwand dann aus den Kinos. Das Problem war, dass die Presse- und Werbeabteilung von United Artists nicht wusste, wie man den Film verkaufen sollte. Bevor der Film in die Kinos kam, nahm mich Rafelson mit zu einer Besprechung, wo überlegt wurde, Filmplakate in Fitnessstudios aufzuhängen. Als der Film anlief, traten Sally Field und ich in der Mike Douglas Show auf und zeigten Mike, wie man trainiert. Doch bei jeder Reklameaktion hatte ich das Gefühl, dass wir uns in die falsche Richtung bewegten. Stay Hungry hätte man als Bob-Rafelson-Film verkaufen müssen – »vom Regisseur von Five Easy Pieces!« –, der Bodybuilding-Aspekt hätte eine Überraschung sein sollen. Dann hätten die Kinogänger nach dem Film gesagt: »Typisch Rafelson. Er führt den Zuschauer immer in eine schräge Welt.«
Obwohl mein Instinkt mir sagte, dass die Werbung peinlich war, hatte ich nicht das Selbstvertrauen, dagegen zu protestieren. Ich nahm an, dass das Studio schon wissen würde, was zu tun sei. Erst später erkannte ich, dass die Studios immer nach Schema F vorgehen. Wenn man nur ein kleines bisschen von der Norm abweicht, wissen sie nicht, was sie mit einem anfangen sollen.
Rafelson war auch nicht glücklich mit der Werbung für den Film, doch ein Regisseur muss aufpassen, dass er sich nicht den Ruf einhandelt, schwierig zu sein, das kann tödlich für ihn sein. Der will alles selbst machen, will den Trailer schneiden und sich auch noch um die Werbung kümmern, heißt es dann. Er lässt sich nichts sagen, lautet das Fazit. Und dann gehen die Streitereien los, über deren Ausgang normalerweise das Kleingedruckte im Vertrag entscheidet. In diesem Fall gewann das Studio. Bob wollte mit den Werbeleuten zusammenarbeiten, was aber zu nichts führte. Sie sagten, er sei kein Teamplayer.
Dank meiner Rolle in Stay Hungry fand ich aber immerhin einen Agenten: Larry Kubik, dessen kleine Agentur, Film Artists Management, auch Jon Voight und Sylvester Stallone vertrat. Es gingen auch schon bald Anfragen für mich ein, doch sie waren nicht das, was ich wollte. Larry suchte passende Hauptrollen für mich und lehnte jede Menge Mist ab. Ich sollte einen Türsteher spielen, einen Nazi-Offizier, einen Ringer, einen Footballspieler oder einen Häftling. Solche Angebote schloss ich kategorisch aus, weil ich mir sagte: »Damit wirst du niemanden davon überzeugen, dass du hierhergekommen bist, um ein Star zu werden.«
Ich war in der glücklichen Lage, nein sagen zu können. Dank der Einkünfte aus meinen Unternehmen musste ich mit dem Schauspielen nicht mein Geld verdienen. Das war mir wichtig, denn ich wollte keine Rolle annehmen müssen, die mir nicht zusagte. Ich erlebte das dauernd bei den Schauspielern und Musikern, die im Gold’s trainierten. Immer wieder beklagten sich Schauspieler: »Drei Tage lang musste ich den Killer spielen. Ich bin so froh, dass das vorbei ist.«
»Wenn du die Rolle schlimm fandst, warum hast du sie dann angenommen?«, fragte ich.
»Ich habe 2000 Dollar verdient. Ich muss schließlich meine Miete zahlen.«
Man könnte auch argumentieren, dass vor der Kamera zu stehen immer eine gute Übung war, egal in welcher Rolle. Aber das wollte ich nicht. Ich hatte das Gefühl, dass ich zum Hauptdarsteller berufen war, ich wollte auf den Plakaten stehen, ich wollte eine tragende Rolle. Alle anderen außer mir fanden das verrückt, das war mir klar. Aber man muss sich selbst bereits als Star sehen und sich entsprechend verhalten. Das war meine Devise. Denn wenn man nicht selbst an sich glaubt, wie sollen es dann die anderen?
Selbst vor Stay Hungry stand ich bei den anderen Bodybuildern in dem Ruf, Engagements abzulehnen. Manchmal kam ein Anruf von einem Filmstudio mit der Anfrage: »Könnten ein paar Ihrer Leute bei uns vorbeikommen? Wir brauchen Muskelmänner.« Wenn man da hinging, hieß es: »Ihr zieht euch hoch aufs Dach, prügelt euch und springt dann vom Dach runter auf die Stunt-Matte.« Ich sagte mir: Das ist nicht gerade der Grundstein für die Karriere eines Stars. Meine Antwort lautete in solchen Fäller daher: »Danke, kein Interesse.«
»Aber wir sind Fans von Ihnen«, bekam ich oft zu hören. »Der Regisseur ist Ihr Fan. Sie sind der Stärkste, Sie haben das richtige Gesicht, das richtige Alter. Sie bekommen 1700 Dollar am Tag.«
»1700 Dollar sind natürlich sehr schön, aber ich brauche das Geld nicht unbedingt«, erwiderte ich. »Geben Sie es einem meiner Freunde hier, die brauchen es dringender.«
Larry war mit mir einer Meinung, dass ich wählerisch sein sollte, doch sein Geschäftspartner Craig Rumar war am Verzweifeln, weil wir so viele Angebote ablehnten. Ich machte mir daher immer Sorgen, wenn Larry im Urlaub war. Craig rief mich dann an und sagte: »Ich weiß nicht, ob ich dir eine Rolle besorgen kann. Gerade dreht hier niemand. Das wird jetzt alles im Ausland gemacht. Eine echt schwierige Situation. Warum machst du nicht ein paar Werbefilme?«
Larrys größter Triumph in jenem Jahr war ein Termin bei Dino De Laurentiis, den er nach unzähligen Absagen für mich arrangieren konnte. Dino war in der Filmbranche eine Legende. Er hatte in Italien Klassiker wie Fellinis La Strada (1954) und Trash-Hits wie Barbarella (1968) produziert, aber auch viele Flops. Er hatte viel Geld verdient und dann wieder verloren. Schließlich hatte er in Hollywood noch einmal neu angefangen. Derzeit hatte er einen unglaublichen Lauf mit Serpico, Ein Mann sieht rot, Mandingo und Die drei Tage des Condor. Er verfilmte gern Comics und suchte gerade nach einem Darsteller für die Rolle des Flash Gordon.
Als Larry und ich in Dinos Büro kamen, fühlte ich mich wie in einer Szene von Der Pate. Dino saß hinter seinem Schreibtisch am anderen Ende des Raums. Direkt hinter uns bei der Tür saß ein alter Bekannter von ihm aus Italien, der Produzent Dino Conte.
De Laurentiis empfing uns wie ein Herrscher. Er hatte einen riesigen antiken Schreibtisch – mit Schnitzereien, enorm lang und breit und wahrscheinlich auch ein bisschen höher als ein normaler Schreibtisch. Ich liebe große Möbel, daher reagierte ich sofort. »Wow, was für ein Schreibtisch!«, dachte ich. Dino selbst war eher zierlich und klein gewachsen. Ich wollte etwas Nettes sagen, gleichzeitig aber auch lustig sein. Ohne lange nachzudenken, entschlüpfte mir: »Wozu braucht ein kleiner Kerl wie Sie einen so großen Schreibtisch?«
Er sah mich an und sagte: »Sie habben Akzent. Ich kann Sie niechte brauchen. Sie können niechte Flashe Gordon spielen. Flashe Gordon ieste Amerikaner. Ah.«
Ich dachte, er mache Witze. »Wie meinen Sie das, ich habe einen Akzent? Sie etwa nicht?« Aber dann merkte ich, dass die Sache gewaltig aus dem Ruder lief. De Laurentiis verkündete: »Das Gespräch ieste beendet.« Larry und ich hörten, wie Dino Conte hinter uns aufstand und sagte: »Hier entlang bitte.«
Sobald wir auf dem Parkplatz waren, explodierte Larry: »Eine Minute und vierzig Sekunden!«, schrie er. »Das war der kürzeste Termin, den ich je bei einem Produzenten hatte, und das alles nur, weil du dich unmöglich benommen hast. Weißt du eigentlich, wie lange ich gebraucht habe, um diesen Scheißtermin zu arrangieren? Und dann sagst du ihm, er sei klein? Wenn du wenigstens das Gegenteil gesagt hättest! Dass er groß ist, größer, als du gedacht hast! Er ist ein Monster! Er ist so groß wie Wilt Chamberlain (der Basketballspieler)! Oder wie wäre es gewesen, wenn du gar nichts gesagt hättest, sondern dich einfach hingesetzt hättest? Und dann hatte man über deine Schauspielkarriere gesprochen!«
Mir war klar, dass er recht hatte. Ich hatte mal wieder eine zu große Klappe gehabt.
»Was soll ich sagen?«, gab ich zurück. »Du hast recht. Ich bin ein Esel. Tut mir leid.«
Es dauerte über ein Jahr, bis ich nach dem Dreh von Stay Hungry wieder eine gute Rolle bekam: in einer Folge der beliebten Fernsehserie Die Straßen von San Francisco mit Karl Malden und Michael Douglas. Ich spielte einen Bodybuilder, der durchdreht, als sich eine Frau über seinen Körper lustig macht, wobei er ihr versehentlich den Hals bricht. Die Folge hieß »Dead Lift« (im deutschen Fernsehen: »Joe Schmidt – Bodybuilder«). Die Folge führte die Zuschauer in eine fiktive Welt der Bodybuilder und Armwrestler – was bedeutete, dass ich Franco und vielen anderen Freunden kleinere Rollen vermitteln konnte. Mit der Truppe aus dem Gold’s Gym hatten wir am Set jede Menge Spaß. Die Wettkämpfe um den Titel des Mister Universum und des Mister Olympia von 1976 standen bald an, daher waren die Jungs mehr auf ihre Vorbereitungen konzentriert als aufs Drehen. Sie machten den Regisseur fast wahnsinnig, weil sie sich immer wieder davonschlichen, um zu trainieren.
Ich wusste, dass Die Straßen von San Francisco eine gute Referenz waren. Mein Auftritt in der Serie könnte dazu beitragen, dass man mich in Hollywood ernst nahm, außerdem würde ich beim Fernsehpublikum bekannter werden. Die Szene, in der ich das Mädchen umbringe, war allerdings harter Stoff für mich. Eine Frau zu schlagen, zu schreien, Bilder von der Wand zu reißen und Möbel zu zertrümmern entsprach so gar nicht meiner Art. Beim Lesen des Drehbuchs dachte ich: »Mein Gott, worauf habe ich mich da eingelassen?« Im Rückblick ist das natürlich lustig, weil ich in späteren Filmen Hunderte Leute umgebracht habe. Am Ende spielte ich einfach die Szene, ohne viel darüber nachzudenken, und der Regisseur war zufrieden.
Allerdings hatte ich die Befürchtung, dass ich auf eine bestimmte Rolle festgelegt werden könnte. Würde es mir nicht schaden, wenn ich den Schurken und Schlägertyp spielte? Wenn Robert De Niro in Taxi Driver tötete – ein schmächtiger Typ –, dann standen die Zuschauer zu hundert Prozent hinter ihm. Er profitierte von der Rolle. Aber für einen Mann meiner Statur, mit meinem Aussehen und meinem Akzent schien die Rolle des Schurken in eine Sackgasse zu führen. Ich fragte Bob Rafelson nach seiner Meinung, und er stimmte mir zu. Er schlug vor, die Leute möglichst zu überraschen und eine Rolle zu spielen, die man nicht von mir erwartete.
Ich war fasziniert von der Idee, ein Remake von Die Killer zu drehen, einer Kurzgeschichte von Ernest Hemingway über einen ehemaligen Boxer, genannt »der Schwede«, auf den zwei Auftragskiller angesetzt werden. Ich stellte mir vor, dass ich den Ex-Boxer spielen würde.
Zum Glück hielt die Begeisterung für Pumping Iron an. George Butler hatte endlich genug Geld zusammen, um den Film fertigzustellen, und rührte nun unermüdlich die Werbetrommel. Sein klügster Schachzug war vermutlich, dass er Bobby Zarem engagierte, den König der New Yorker Presseagenten. Bobby stammte aus Georgia, er war um die vierzig und hatte eine Halbglatze. Nach seinem Abschluss in Yale widmete er sich sofort der Öffentlichkeitsarbeit. Er gab sich gern als verrückter Professor, ohne Krawatte, mit aus der Hose hängendem Hemd und wildem Haarkranz. Er redete immer, als ob er völlig durcheinander wäre und der Weltuntergang unmittelbar bevorstünde. Beispielsweise sagte er: »Ich weiß nicht, warum ich das tue, es hat noch nie so schlecht ausgesehen, ich muss dringend zum Therapeuten, der Kerl ruft einfach nicht zurück, ich glaube, das ganze Projekt steht kurz vor dem Aus.« Anfangs wurde ich nervös, wenn er so über Pumping Iron redete, bis ich erkannte, dass das nur seine Masche war. Irgendwann musste man dann zu ihm sagen: »Nein, nein, Bobby, es ist alles in Ordnung. Du schaffst das schon!« Das wollte er hören.
Bobby hatte sich erst ein oder zwei Jahre zuvor selbständig gemacht, und ich glaube, er übernahm die Vermarktung von Pumping Iron, um sein Können unter Beweis zu stellen. George Butler bezahlte ihm sicher nicht viel. Doch in den zehn Monaten zwischen unserer Kunstaktion im Whitney Museum und dem Kinostart von Pumping Iron zog Zarem hinter den Kulissen gekonnt die Fäden und sorgte dafür, dass der Film im Gespräch blieb. Er zeigte überall Filmausschnitte. Er mietete einen Vorführraum, lud etwa zwanzig Leute aus der Kunst- oder Literaturszene, aus den Medien oder von der Wall Street ein und zeigte ihnen vorab Szenen aus dem noch unfertigen Film. Er sorgte auch immer dafür, dass ein oder zwei Journalisten mit von der Partie waren, auch wenn die Vorführungen inoffiziell waren. Ich begleitete ihn oft. So lernte ich zum Beispiel Charlie Rose kennen, dessen damalige Frau Mary eine der Geldgeberinnen des Films war. Vor der Vorführung sprach Bobby einige einleitende Sätze, erklärte, dass Bodybuilding eine faszinierende Verbindung von Sport und Kunst darstelle oder ein Symbol für den aktuellen Fitnesstrend sei. Ein bisschen Tamtam, um den Gästen zu bestätigen, dass sie bei dem neuesten Trend dabei waren. Dann sagte er: »Falls Sie noch Fragen haben, stehen wir Ihnen im Anschluss natürlich gern zur Verfügung. Möchtest du noch etwas sagen, Arnold?« Ich gab ebenfalls noch ein paar Begrüßungsfloskeln von mir. Nach der Vorführung wurden wir dann mit Fragen geradezu bombardiert.
Ich beobachtete staunend Bobbys Umgang mit den Medien. Er brachte mir bei, dass normale Pressemitteilungen Zeitverschwendung waren, vor allem wenn man Fernsehjournalisten auf sich aufmerksam machen wollte. »Die lesen nichts!«, sagte er. Dafür kannte er Dutzende Journalisten und Redakteure persönlich. Er schnitt auf jeden Reporter eine bestimme Geschichte zu. Er rief ihn an und sagte: »Ich schicke dir gleich was. Ruf mich bitte zurück, sobald du es hast. Wenn du nicht zurückrufst, gehe ich davon aus, dass du die Geschichte nicht brauchst, dann bekommt sie jemand anders.« Bobby war berühmt für seine langen, handgeschriebenen Exposés. Er zeigte mir einmal einen vierseitigen Brief an den Chefredakteur von Time, in dem er erklärte, warum die Zeitschrift einen Artikel über Bodybuilding bringen sollte. Nachrichtenredakteure in ganz New York waren bereit, sich mit ihm zu treffen. Und wenn Zeitungen und Fernsehsender dieselbe Geschichte bringen wollten, arbeitete er jeweils einen anderen Blickwinkel für sie aus, damit sie sich nicht allzu sehr glichen. Er analysierte die Geschichte, überarbeitete sie und sprach abends darüber – er war oft in Elaine’s Restaurant, dem Treffpunkt von Autoren, Journalisten und Prominenten an der Upper East Side, und tauschte sich dort mit den Gästen aus.
Ich lernte viel von Bobbys Arbeit für Pumping Iron und übernahm viele seiner Methoden. Das Einspielergebnis von Stay Hungry war zwar hinter den Erwartungen zurückgeblieben, dennoch wurde ich für den Golden Globe als bester männlicher Nachwuchsdarsteller nominiert. (Hercules in New York war so sang- und klanglos untergegangen, dass Stay Hungry als mein Schauspieldebüt galt!) Vier weitere Schauspieler waren nominiert, darunter Harvey Spencer Stephens, der fünfjährige Junge, der den Damien in Das Omen spielte, und Truman Capote für seine Rolle in Eine Leiche zum Dessert – was natürlich meinen Ehrgeiz anstachelte. Wie konnte ich dafür sorgen, dass ich mich von den anderen abhob? Ich gab Anzeigen im Hollywood Reporter und in Variety auf, in denen ich der Hollywood Foreign Press Association für meine Nominierung dankte. Ich wollte die Juroren wissen lassen, dass ich die Nominierung sehr zu schätzen wusste.
Außerdem lud ich Mitglieder der Foreign Press Association zu einem Abendessen und einer Vorab-Vorführung von Pumping Iron ein. Bobby gefiel die Idee nicht so recht. Schließlich war ich nicht für Pumping Iron nominiert, sondern für Stay Hungry, außerdem dachte er, Pumping Iron sei zu abseitig für die Auslandskorrespondenten in Hollywood. Aber ich fand, dass ich nur profitieren könnte. Zum einen wollen Kritiker immer das aktuelle Werk sehen, selbst wenn es gar nicht zur Diskussion steht, weil sie dann das Gefühl haben, einen kommenden Star mit auf den Weg zu bringen. Zum anderen war ich in Pumping Iron viel mehr ich selbst, warum also nicht beide Facetten zeigen: Stay Hungry mit meiner großen Schauspielkunst und Pumping Iron mit meinem großen Mundwerk? Vielleicht empfanden die ausländischen Journalisten ja auch ein bisschen Sympathie für einen Einwanderer, der sich bemühte, seine Sportart in Amerika populär zu machen. Und selbst wenn mein Plan nicht aufging, ich war einfach stolz auf meine Leistung in Stay Hungry und wollte möglichst viel Aufmerksamkeit darauf lenken. Viele Journalisten folgten meiner Einladung, und nach der Vorführung klopften mir ein paar auf die Schulter und lobten mich überschwänglich: »Sie waren großartig, ein wunderbarer Film.« Es hatte also funktioniert.
Eine Woche vor der Premiere brachte Bobby Pumping Iron in die Klatschspalten. Dafür hatte er ein Lunch im Elaine’s organisiert, mit Delfina Rattazzi als Gastgeberin und mir als Ehrengast. Eingeladen waren Andy Warhol, George Plimpton, Paulette Goddard, Diana Vreeland und der Herausgeber von Newsweek. Aber eine Frau stahl allen die Schau: Jackie Kennedy-Onassis. Sie war eigentlich für ihre Zurückhaltung bekannt und gab nie Interviews, daher fühlte ich mich sehr geschmeichelt, dass sie kam, obwohl sie wusste, dass die Presse darüber berichten würde. Sie wollte wohl Delfina einen Gefallen tun – die inzwischen beim Verlag Viking Press ihre Assistentin war –, aber vielleicht war sie auch neugierig, denn sie interessierte sich sehr für Kunst und neue Trends.
Sie blieb während des ganzen Essens und unterhielt sich fünfzehn Minuten lang mit mir. John F. Kennedy war in meiner Jugend ein Synonym für Amerika gewesen, daher war die Begegnung mit Jackie für mich wie ein Traum. Mich beeindruckte vor allem, wie gebildet sie war und wie anmutig. Sie hatte sich eindeutig vorbereitet, denn sie stellte keine unbeholfenen oder oberflächlichen Fragen wie: »Worum geht es in Ihrem Film?« Stattdessen gab sie mir das Gefühl, dass Pumping Iron ein wichtiger Film sei und sie unsere Arbeit zu schätzen wisse. Sie stellte präzise Fragen, wie wir trainierten, welche Bewertungskriterien im Wettkampf galten, welcher Unterschied zwischen einem Mister Universum und Mister America bestand, ob Bodybuilding gut für ihren Sohn sei, der im Teenageralter war, und in welchem Alter man mit dem Training beginnen könnte. Ich hatte sie schon vor unserer Begegnung verehrt, aber danach war ich ein echter Fan.
Natürlich haben Menschen ihres Kalibers das Talent, anderen das Gefühl zu geben, dass sie sich sehr für sie interessieren und über ihr Tun Bescheid wissen. Man konnte schwer sagen, ob sie sich wirklich für Bodybuilding interessierte. Ich vermute, dass sie einfach offen für Neues war. Vielleicht dachte sie aber auch wirklich, ihr Sohn sollte Krafttraining machen. Vielleicht tat sie auch nur Delfina einen Gefallen. Alles war möglich. Jedenfalls verschaffte sie Pumping Iron damit viel Publicity. Und als sie zur Filmpremiere kam und ihren Sohn mitbrachte, war ich überzeugt, dass ihr Interesse aufrichtig war.
Zur Premiere in New York eine Woche später zogen Bobby Zarem und George Butler alle Register. Sie luden fünfhundert Leute ins Plaza Theater in der East 58th Street, dazu Fotografen und Fernsehkameras, es gab Polizeiabsperrungen, Limousinen, die vorfuhren, und Scheinwerfer, die in den Himmel strahlten – das volle Programm. Es war bitterkalt, minus 15 Grad Celsius, dennoch warteten bei meiner Ankunft ein Dutzend jugendliche Fans auf mich und skandierten: »Arnold, Arnold!« Meine Mutter war auch dabei, sie war eigens aus diesem Anlass angereist. Wir waren früh da, weil ich die Runde machen und die schönen Frauen mit Küsschen und die Männer persönlich mit Handschlag begrüßen wollte. Zum ersten Mal in meinem Leben trug ich einen Smoking. Ich musste einen schneidern lassen, weil ich zwar nur noch 102 Kilo wog, aber beim Verleih trotzdem keinen Smoking fand, der mir mit meinem Brustumfang von 145 Zentimetern und einer Taille von 81 Zentimetern passte.
Das Premierenpublikum war eine fantastische Mischung aus Autoren, Prominenten, Bohemiens, Leuten aus der Unterhaltungsbranche, Geschäftsleuten, Kritikern, Künstlern, Models und Bodybuilding-Fans. Andy Warhol war ebenso dabei wie Diana Vreeland, die Modesignerin, die Schauspielerin Carroll Baker ebenso wie ihr Kollege Anthony Perkins mit seiner Frau. Der Modefotograf Berry Berenson war gekommen, der Schriftsteller Tom Wolfe, das Model Apollonia van Ravenstein, Pornostar Harry Reems und die halbe Truppe von Saturday Night Live. James Taylor kam mit seiner schwangeren Frau Carly Simon. Sie zeigte vor der Kamera ihren Bizeps und erklärte einem Reporter, in ihrem Song »You’re So Vain« (»Du bist so eitel«) gehe es selbstverständlich nicht um Bodybuilder. Die Bodybuilder hatten ihren eigenen effektvollen Auftritt. Während die Gäste durchs Foyer schlenderten und am Weißwein nippten, marschierten sechs Giganten aus dem Film ein, darunter Franco, Lou Ferrigno und Robbie »the Black Prince« Robinson, der sich für den Abend mit einem Diamantohrring und einem schwarzen Samtumhang ausstaffiert hatte.
Mit Pumping Iron gelang tatsächlich, was wir uns immer erhofft hatten – das Bodybuilding aus seinem Nischendasein herauszuholen und bekannter zu machen. Ich hatte die ganze Woche Interviews für Talkshows, Zeitungen und Zeitschriften gegeben. Die vielen positiven Kritiken zeigten, dass unsere Botschaft ankam. »Dieser täuschend einfache, intelligente Film zeigt die menschliche Seite einer Welt mit ihrem eigenen absurden Heldentum«, schrieb Newsweek. Time erklärte, der Film sei »wunderschön gefilmt und geschnitten, intelligent aufgebaut und charmant – auch wenn das auf den ersten Blick wie eine völlig unpassende Bezeichnung wirken mag. Ja, der Film hat Charme.«
Auch dem Premierenpublikum im Plaza gefiel der Film. Nach der Vorführung gab es stürmischen Applaus. Die Gäste blieben gleich sitzen und sahen sich die Bodybuilding-Demonstration im Anschluss an. Ich war an dem Abend der Moderator. Wir begannen mit Francos Kraftakrobatik, bei der er eine Eisenstange mit den Zähnen verbog und eine Wärmflasche aufblies. Kurz bevor die Wärmflasche platzte, sah man, wie sich die Zuschauer in den vorderen Reihen die Ohren zuhielten. Als Nächstes kamen die anderen Bodybuilder nach vorn und zeigten ihre Posen, während ich kommentierte. Am Ende rannte die Schauspielerin Carroll Baker in einem eng anliegenden Kleid auf die Bühne, befühlte bei allen die Muskeln an den Armen, am Bauch und an den Oberschenkeln und tat so, als ob sie vor Entzückung ohnmächtig in meine Arme sinken würde.
Mein neuer Smoking kam zwei Wochen später bei der Verleihung des Golden Globe gleich noch einmal zum Einsatz. Die Feier fand im Beverly Hilton statt, und wieder war meine Mutter mit dabei. Sie konnte nur ein paar Wörter Englisch und verstand kaum, was gesagt wurde, wenn ich es nicht für sie übersetzte. Aber der Rummel in New York hatte ihr gefallen, und wenn die Fotografen riefen: »Jetzt ein Bild mit der Mutter«, lächelte sie und ließ sich von mir umarmen. Sie war beeindruckt von der Limousine, die das Filmstudio geschickt hatte, um uns zur Globe-Verleihung zu fahren. Und sie war unglaublich aufgeregt, Sophia Loren zu sehen.
Zur Golden-Globe-Gala kommen traditionell viele Stars, weil sie unterhaltsamer ist als die Oscar-Verleihung. An der Bar entdeckte ich Peter Falk, Henry Fonda und James Stewart. Auch Carol Burnett, Cybill Shepherd und Deborah Kerr waren da. Ich scherzte mit Shelley Winters und flirtete mit Raquel Welch. Henry Winkler kam zu uns und lobte Stay Hungry, und ich erklärte meiner Mutter auf Deutsch, dass er als Fonzie in der Fernsehserie Happy Days ein großer Star sei. Als wir uns zum Essen setzten, sah ich Dino De Laurentiis mit Jessica Lange, der sexy Hauptdarstellerin im Film King Kong, den De Laurentiis produziert hatte. Jessica war als beste Nachwuchsdarstellerin nominiert, der weiblichen Entsprechung meiner Nominierung. Dino beachtete mich nicht.
In der Nähe unseres Tischs saß Sylvester Stallone, den ich flüchtig kannte, weil Larry Kubik auch sein Agent war. Stallones Film Rocky war der Kassenschlager des Jahres. An der Kinokasse hatte er sämtliche prestigeträchtigen Filme übertroffen, darunter Network, Die Unbestechlichen und A Star is Born, und war nun in der Kategorie Bester Film nominiert. Ich gratulierte Sylvester, und er erzählte mir begeistert, dass er gerade an einem neuen Film über Ringkämpfer schreibe, in dem es vielleicht auch eine Rolle für mich gebe.
Nach dem Essen trat Harry Belafonte als Moderator des Abends auf die Bühne. Ich spürte, wie mich die übliche Ruhe vor einem Wettkampf überkam. Hier konnte ich wie beim Bodybuilding entspannen, weil ich wusste, dass ich in der Vorbereitungsphase alles für meinen Sieg getan hatte. Als meine Kategorie an der Reihe war und ich gewann, klatschte Sylvester Stallone lauter als alle anderen. Dann gewann Rocky, und er drehte völlig durch und küsste auf dem Weg zur Bühne jede Frau in Reichweite.
Es war ein unglaubliches Gefühl, meine erste Auszeichnung als Schauspieler zu gewinnen. Der Golden Globe bestätigte mir, dass ich nicht verrückt, sondern auf dem richtigen Weg war.
Ich verbrachte mittlerweile fast so viel Zeit in Manhattan wie in Los Angeles. New York war für mich wie ein Süßwarenladen. Es machte mir unglaublichen Spaß, all diese faszinierenden Menschen kennenzulernen. Ich war stolz und glücklich, von ihnen akzeptiert zu werden, und dankbar, dass ich ein Mensch war, in dessen Gesellschaft sich die Leute wohlfühlen. Mein imposanter Körper schreckte sie nicht, im Gegenteil, sie wollten sich mit mir unterhalten, mich unterstützen und verstehen, was ich tat.
Elaine Kaufman, die Inhaberin von Elaine’s Restaurant, war bekannt für ihre unberechenbare, schroffe Art, aber zu mir war sie immer reizend und bemutterte mich geradezu. Wenn ich ins Restaurant kam, führte sie mich von Tisch zu Tisch und stellte mich allen vor. So gingen wir etwa zum Tisch von Robert Altman, dann zu Woody Allen, Francis Ford Coppola und Al Pacino. »Sie müssen diesen jungen Mann kennenlernen«, erklärte sie. »Arnold, ich hol dir schnell einen Stuhl, und du setzt dich her und isst einen Salat, ja?« Manchmal war mir das etwas unangenehm, weil sie einfach das Gespräch am Tisch unterbrochen hatte, und ich wollte nicht stören. Aber da saß ich dann. Und obwohl ich ab und zu auch tief ins Fettnäpfchen trat – etwa als ich Rudolf Nurejew riet, die Verbindung zu seinem Heimatland nicht zu verlieren und unbedingt wieder einmal hinzureisen – waren Elaines Stammkunden meist freundlich und sehr interessiert. Coppola stellte viele Fragen zur Bodybuilding-Szene. Andy Warhol betrachtete das Bodybuilding unter intellektuellen Aspekten und wollte über dessen Bedeutung schreiben: Wie kann man wie ein Kunstwerk aussehen? Wie kann man der Bildhauer seines eigenen Körpers sein? Meinen Fauxpas gegenüber Nurejew konnte ich später wieder ausbügeln, als der Maler Jamie Wyeth uns beide porträtierte. Manchmal lud Nurejew Jamie und mich ins Elaine’s ein. Er kam dann spätabends nach der Vorstellung in einem extravaganten Pelzmantel mit großem Kragen und einem langen Schal. Er war nicht sehr groß, doch er dominierte den Raum mit seiner Persönlichkeit. Nurejew war der König. Das sah man an der Art, wie er ging, wie er den Mantel ablegte, an jeder auffälligen, aber formvollendeten Bewegung. Wie auf einer Bühne. Zumindest kam mir das so vor. In Gegenwart einer solchen Persönlichkeit gewinnt die Fantasie die Oberhand und lässt den anderen überlebensgroß erscheinen. Man konnte sich gut mit ihm unterhalten. Er erzählte mir oft von seiner Liebe zu Amerika und zur New Yorker Szene. Ich war voller ehrfürchtiger Bewunderung. Der beste Balletttänzer zu sein war etwas ganz anderes als der beste Bodybuilder. Ich hätte viertausend Jahre lang in Folge Mister Olympia werden können und würde trotzdem nie an Nurejew heranreichen. Er lebte in einer anderen Welt, wie Woody Allen, der zu einer Veranstaltung, bei der Smoking vorgeschrieben war, zwar im Smoking erschien, dazu aber weiße Tennisschuhe trug. Und niemand sagte etwas. Damit gab er zu verstehen: »Ihr könnt mich mal. In der Einladung steht ›Smoking‹, also trage ich einen Smoking, aber an den Füßen bin ich Woody Allen.« Ich bewunderte diese Verwegenheit bei ihm und Nurejew sehr.
Was Downtown Manhattan angeht, war das One Fifth im Greenwich Village ein angesagtes Lokal. John Belushi und Dan Akroyd, Gilda Radner und Laraine Newman kamen nach der Aufzeichnung von Saturday Night Live regelmäßig hierher. Ich sah mir oft die Sendung im Fernsehen an und traf sie anschließend dort. Und danach gingen wir noch alle zusammen zu Elaine’s.
Die besten Partys in Downtown gab ein Fotograf namens Ara Gallant. Er war ein dürrer kleiner Kerl, der immer enge Lederhosen oder Jeans trug, dazu hochhackige Cowboystiefel mit silbernen Spitzen und eine schwarze Schiebermütze, an der goldene Amulette befestigt waren, außerdem schwarze Koteletten und abends schwarzen Kajal. In der Modewelt war er als der Fotograf und Stylist berühmt, der den Disco-Look der siebziger Jahre kreiert hatte: rote Lippen, Glitzerkleidung und die im Wind fliegende Haarmähne. Zu seinen Partys lud er jedes Model, das er kannte, ein. Sie fanden statt in seiner großen, extravagante Wohnung, die mit roten Scheinwerfern ausgeleuchtet war, im Hintergrund stampften die Bässe, und über allem schwebte eine Wolke aus Haschischrauch. Unter den Gästen waren Dustin Hoffman, Jack Nicholson, der eng mit Gallant befreundet war, Al Pacino und Warren Beatty – all die angesagten Schauspieler aus der Filmbranche. Ich fühlte mich wie im Paradies. Ich ging zu jeder Party, zu der er mich eingeladen hatte, und blieb immer bis zum Schluss.
Andy Warhol hatte Jamie Wyeth angeboten, zum Malen in sein berühmtes Studio, die Factory, zu kommen, wo Wyeth mich dann auch porträtierte. Normalerweise saß ich ihm am späten Nachmittag Modell, und Jamie malte dann bis acht oder neun, und anschließend gingen wir zusammen Abendessen. Aber eines Abends sagte Warhol: »Wenn ihr noch bleiben wollt, seid ihr willkommen. Aber ich mache in etwa einer halben Stunde ein paar Fotos.«
Warhol mit seiner blonden Igelfrisur, der schwarzen Lederkleidung und den weißen Hemden faszinierte mich. Wenn er sich mit jemandem unterhielt, selbst bei einer Party, hatte er immer eine Kamera in der einen und einen Kassettenrekorder in der anderen Hand. Man hatte immer das Gefühl, dass er das Gespräch für seine Zeitschrift Interview verwenden könnte.
Ich blieb gern. Ich war neugierig, ihn bei der Arbeit zu sehen. Schon bald kam ein halbes Dutzend Männer herein und zog sich aus. Ich dachte: »Na, das kann ja interessant werden.« Ich war immer bereit für neue Entdeckungen oder Erfahrungen. Wenn es zu exzentrisch werden würde, würde ich mir sagen: »Gott hat mich auf diesen Weg geführt. Er will, dass ich hier bin, sonst wäre ich ein ganz gewöhnlicher Fabrikarbeiter in Graz geworden.«
Ich wollte die nackten Jungs nicht anstarren, daher schlenderte ich umher und plauderte mit Warhols Assistenten. Sie stellten altmodische Scheinwerfer um einen Tisch in der Mitte des Studios auf – einen großen, massiven Tisch mit einer weißen Tischdecke.
Andy wies die nackten Jungs an, auf den Tisch zu steigen und sich dort übereinanderzulegen. Dann arrangierte er sie. »Du liegst hier, nein, du liegst quer darüber, und dann legst du dich auch quer obendrauf. Perfekt. Perfekt.« Er trat zurück und fragte die anderen Nackten: »Wer von euch ist gelenkig?«
»Ich bin Balletttänzer«, antwortete einer.
»Perfekt. Kletter du doch über die anderen, leg ein Bein hier drunter und ein Bein da drüber, und dann brauchen wir noch jemanden für die Seite …«
Als er den Menschenberg so hatte, wie er ihn wollte, machte er seine Polaroids und richtete die Scheinwerfer aus. Der Schatten musste genau nach seinen Vorstellungen sein. Er war ein echter Fanatiker. »Komm hier herüber, Arnold! Siehst du, so hätte ich es gern. Aber es ist noch nicht das Richtige. Ich bin gar nicht glücklich.« Er zeigte mir ein Polaroid, auf dem man gar nicht mehr die Menschen sah, sondern nur die Formen. »Es wird Landschaften heißen«, erklärte er.
Ich dachte mir: »Das ist unglaublich, der Kerl macht aus Hinterteilen wogende Hügel.« Warhol fuhr fort: »Ich will, dass man darüber redet und schreibt, wie ich diesen Effekt erreicht habe.«
Während ich Warhol zuhörte, kam mir der Gedanke, dass er wahrscheinlich abgelehnt hätte, wenn ich ihn gefragt hätte, ob ich ihm bei der Arbeit zusehen dürfe. Bei Künstlern weiß man nie, wie sie reagieren. Spontan zu sein und eine Gelegenheit zu nutzen, wenn sie sich bietet, ist oft die einzige Möglichkeit, die Entstehung von Kunst mitzuerleben.
Jamie Wyeth und ich wurden gute Freunde, und ein paar Monate später, als es wärmer wurde, lud er mich auf die Farm seiner Familie nach Pennsylvania in der Nähe des Brandywine River Museum ein, wo einige der besten Gemälde seines berühmten Vaters, Andrew Wyeth, gezeigt werden. Ich lernte Jamies Frau Phyllis kennen und auch seinen Vater, der nebenan in einem alten Farmhaus lebte.
Andrew Wyeth war gerade beim Fechten, als wir kamen. Er war allein, aber man hätte meinen können, dass er gegen einen Gegner kämpfte. Er trug sogar seine Maske. »Dad!«, rief Jamie und machte ihn mit einem Winken auf uns aufmerksam. »Das
ist Arnold Schwarzenegger«, stellte Jamie mich vor, »er spielt in Pumping Iron mit, und ich male ihn.«
Nachdem wir ein bisschen geplaudert hatten, fragte Andrew: »Wollen Sie mit mir rausfahren und sehen, wo ich gerade male?«
»Klar!«, sagte ich. Ich war neugierig, wie er arbeitete. Ich folgte ihm nach draußen, wo nicht etwa ein alter Pick-up stand, sondern ein wunderschöner, glänzender Oldtimer aus den zwanziger Jahren, ein Stutz Bearcat: ein offener Zweisitzer, länger als jeder Cadillac, mit großen Speichenrädern, geschwungenen Kotflügeln und Trittbrettern, freiliegenden Auspuffrohren aus Chrom und großen Scheinwerfern an der Motorhaube. Ein prächtiges Auto. Ich kannte den Stutz Bearcat, weil er so teuer und schwer zu kriegen war und weil Frank Sinatra, Dean Martin und Sammy Davis Junior einen hatten. Wir fuhren damit also über einen Feldweg, und Wyeth erzählte mir, er habe das Auto von einer Wodkafirma für die Gestaltung einer Anzeige bekommen. Mittlerweile fuhren wir gar nicht mehr auf einem richtigen Weg, sondern auf zwei Fahrspuren, zwischen denen das Unkraut wucherte und die eindeutig nicht für derartige Autos gedacht waren. Dann endeten auch die Fahrspuren, und Wyeth holperte querfeldein durch das kniehohe Gras einen Hügel hinauf.
Oben angelangt, sah ich eine Staffelei und eine Frau, die auf dem Boden saß und sich in eine Decke gewickelt hatte. Sie war nicht unbedingt schön, aber sinnlich, wirkte stark und faszinierend – sie hatte etwas ganz Besonderes. »Leg die Decke hin«, sagte Wyeth. Sie ließ die Decke fallen und zeigte ihre nackten Brüste, schöne Brüste, und er murmelte: »O ja.« An mich gewandt sagte er: »Ich male sie jetzt«, und zeigte mir die Anfänge eines Gemäldes auf der Staffelei. Nach einer Weile fuhr er fort: »Ich wollte, dass Sie sie kennenlernen, weil sie Deutsch kann.«
Die Frau war Helga Testorf, die auf einer nahegelegenen Farm lebte. Wyeth war besessen von ihr. Im Laufe vieler Jahre malte und zeichnete er sie immer wieder, die Sitzungen hielt er stets geheim. Ein Jahr später wurde die Geschichte von seiner Obsession bekannt und landete auf den Titelseiten von Time und Newsweek. Doch 1977 war ich einfach zufällig da, und er zeigte mir sein Modell.
Die Werbung für Pumping Iron nahm viel Zeit in Anspruch, aber die Arbeit machte mir Spaß. Bei der Premiere in Boston stellte mich George Butler seinem langjährigen Freund John Kerry vor, der mit Caroline Kennedy gekommen war, der neunzehnjährigen Tochter von John F. Kennedy und seiner Frau Jackie, der jetzigen Jackie Kennedy-Onassis. Wir gingen anschließend zusammen essen, und Caroline taute tatsächlich auf. Sie schrieb für die Studentenzeitung Crimson in Harvard und fragte, ob ich am nächsten Tag zum Interview vorbeikommen könnte. Natürlich sagte ich gerne zu. Sie und andere Mitglieder der Crimson-Redaktion stellten mir Fragen zur Politik und zu meinem Sport. Ich wurde auch nach meinem Lieblingspräsidenten gefragt und antwortete natürlich: »John F. Kennedy!«
Das alles war mir ein Vergnügen und außerdem eine gute Investition in die Zukunft. Mit der Werbung für Pumping Iron und fürs Bodybuilding machte ich immer auch Reklame für mich. Mit jedem Radio- und Fernsehauftritt gewöhnten sich die Leute ein bisschen mehr an meinen Akzent und an meine typische Art zu reden. Damit nutzte ich genau die Eigenschaften, deretwegen mich die Agenten in Hollywood abgelehnt hatten. Meine Größe, mein Akzent und mein sonderbarer Name schreckten die Leute nicht ab, sondern wurden zu meinem Markenzeichen. Schon bald erkannten mich die Leute, ohne mich zu sehen, nur anhand meines Namens oder am Klang meiner Stimme. Ich bekam zwar noch keine Hauptrollen, wurde aber bereits wie ein Star behandelt.
Der wichtigste Werbeauftritt für den Film war im Mai in Cannes. Vor der Reise beschloss ich, meinen Kleidungsstil zu ändern. Bis dahin bestand meine Garderobe nur aus schweren Polyesterhosen, Lacoste-Hemden und Cowboystiefeln. Das lag unter anderem daran, dass ich knapp bei Kasse war. Ich konnte mir keine maßgeschneiderte Kleidung leisten, und die einzigen Sachen von der Stange, die mir passten, gab es in Spezialgeschäften für Übergrößen, wo ich dann die Hosen um fünfundvierzig Zentimeter enger machen lassen musste. Ein weiterer Grund war, dass Kleidung in meinem Plan bislang keine Rolle gespielt hatte. Jeder Dollar musste investiert werden, damit irgendwann zwei oder drei Dollar daraus wurden und ich finanziell ausgesorgt hatte. Mit Kleidung war das Geld schnell ausgegeben. George sagte mir, der beste Schneider in New York sei Morty Sills. Ich ging also hin und fragte: »Wenn ich mir einen einzigen Anzug machen lassen müsste, was wäre das für einer?«
»Wo werden Sie ihn tragen?«
»In einem Monat fliege ich nach Cannes zum Filmfestival.«
»Dann natürlich ein beigefarbener Leinenanzug, etwas anderes kommt nicht infrage.«
Er schneiderte mir also einen beigefarbenen Leinenanzug und suchte auch das passende Hemd und die Krawatte dazu aus, damit ich so richtig fesch aussah.
Keine Frage, die richtige Kleidung war wichtig in Cannes. In meinem schicken Anzug, auf den ich sehr stolz war, mit dem richtigen Hemd, der richtigen Krawatte und den richtigen Schuhen flanierte ich zwischen Tausenden von Journalisten und brachte sie dazu, Artikel über Pumping Iron zu schreiben. Doch das größte Aufsehen in Cannes erregte ich am Strand, wo George die Idee zu einem Fototermin mit einem Dutzend Mädchen aus dem Crazy Horse hatte, dem Pariser Stripklub. Sie trugen Sommerkleider mit Rüschen, breitkrempige Hüte und Blumensträuße. Ich dagegen posierte in meinem knappen Wettkampfhöschen. Die Fotos gingen um die Welt, und die Vorführung von Pumping Iron war bis zum Bersten voll.
In Cannes waren alle großen Stars – Mick und Bianca Jagger! –, und ich war mitten unter ihnen. Ich kickte ein bisschen mit Pelé, ich ging mit französischen Kampftauchern tauchen, und ich traf Charles Bronson. Sein europäischer Filmverleih gab in einem Hotel am Strand eine Party für ihn. Die Leiterin des Verleihs saß neben ihm am Kopfende des Tisches, und ich war nahe genug, um ihr Gespräch zu hören. Bronson war nicht gerade ein einfacher Gesprächspartner. »Sie haben viel zu unserem Erfolg beigetragen«, sagte sie zu ihm. »Wir freuen uns sehr, dass Sie hier sind … Ist das Wetter nicht fantastisch? Wir sind so froh, dass jeden Tag die Sonne scheint.« Er sah sie eine Weile an und sagte dann: »Ich hasse Smalltalk.« Sie war so schockiert, dass sie nur noch mit ihren anderen Gästen sprach. Ich machte große Augen. Aber so war er nun einmal, ein bisschen ungehobelt. Seinen Filmen schien das allerdings nicht zu schaden. Dennoch entschied ich für mich, lieber weiter freundlich und umgänglich zu sein.
Jetzt, da ich mich für Kleidung interessierte, ging mein Agent Larry nach meiner Rückkehr nach Los Angeles begeistert mit mir einkaufen. »Die Hose kriegst du um die Hälfte billiger in einem anderen Laden, der nicht am Rodeo Drive liegt«, sagte er dann. Oder: »Die braunen Socken passen nicht zu deinem Hemd. Ich glaube, du brauchst blaue Socken dazu.« Er hatte ein gutes Auge, außerdem war ein Einkaufsbummel für uns beide eine willkommene Abwechslung von den schrecklichen Rollen, die wir dauernd ablehnen mussten. Die jüngsten Angebote waren die Rolle eines Muskelprotzes in Sextette, dem letzten Film der damals fünfundachtzigjährigen Mae West, und ein Werbespot für Autoreifen, für den ich 200000 Dollar bekommen hätte.
Monatelang hatte es den Anschein, als ob mein einziges Betätigungsfeld in Los Angeles die Immobilienbranche wäre. Aufgrund der Inflation und der wachsenden Nachfrage stiegen die Immobilienpreise in Santa Monica in schwindelerregende Höhen. Mein Mietshaus war nicht einmal auf dem Markt, dennoch wurde mir, als Pumping Iron in die Kinos kam, fast doppelt so viel dafür geboten, wie ich 1974 bezahlt hatte. Mit meiner Investition von 37000 Dollar verdiente ich 150000 Dollar. Ich hatte mein Geld in drei Jahren also vervierfacht. Mit Hilfe meiner Freundin Olga, die wieder einmal das richtige Objekt aufspürte, investierte ich die Summe gleich wieder in ein doppelt so großes Gebäude, ein Apartmenthaus mit zwölf statt sechs Apartments.
Meine Sekretärin Ronda Columb, die seit Jahren den Arnold-Versandhandel betreute und meinen verrückten Terminkalender organisierte, beobachtete erfreut meine Entwicklung zum Immobilienmogul im Miniaturformat, wenn man das bei meiner Statur so sagen konnte. Sie stammte ursprünglich aus New York, war viermal geschieden und zehn oder zwölf Jahre älter als ich. Ihr erster Mann war in den fünfziger Jahren ein Bodybuilding-Champion gewesen. Ich hatte sie im Gold’s Gym kennengelernt. Sie war für mich wie eine ältere Schwester. Ihr aktueller Freund war der Projektentwickler Al Ehringer.
Eines Tages sagte sie aus heiterem Himmel: »Weißt du eigentlich, dass Al dich sehr mag?«
»Das will ich auch hoffen, schließlich überlasse ich ihm meine Sekretärin!«, antwortete ich.
Sie lachte. »Nein, ehrlich, er findet dich sympathisch und möchte mit dir Geschäfte machen. Könntest du dir das vorstellen?«
»Tja, kommt darauf an, was er will, denn gerade ist ein Gebäude in der Main Street auf dem Markt. Wenn er sich da beteiligen will?« Al galt als gewiefter Immobilienkenner, der einen Riecher dafür hatte, welche Gegenden bald im Preis steigen würden. Er hatte viel dazu beigetragen, die Altstadt von Pasadena wieder mit Läden und Lofts zu beleben. Meiner Meinung nach war auch in Santa Monica die Zeit reif dafür. Die Main Street, die parallel zur Küste verlief, aber zwei Straßenzüge vom Strand entfernt lag, war heruntergekommen, es wimmelte dort nur so von Betrunkenen und Obdachlosen. Viele Gebäude standen zum Verkauf. Ich suchte nach einer Investitionsmöglichkeit für die 70000 Dollar, die ich durch meine Mitwirkung bei Pumping Iron und andere Jobs verdient hatte.
Al kannte bereits das Gebäude, auf das ich ein Auge geworfen hatte. »Das Gebäude steht zusammen mit drei anderen zum Verkauf«, sagte er. »Suchen Sie sich eins aus, ich beteilige mich.« Al und ich erwarben zusammen das Gebäude, für das ich mich interessierte, und begannen, die Umgestaltung der Main Street zu organisieren.
Unser Gebäude finanzierte sich praktisch von Anfang an selbst. Zu ihm gehörten noch drei kleine Häuser nach hinten raus, mit Zugang zur nächsten Straße. Wir verkauften sie weiter und bekamen dafür genug Geld, um unsere gesamte Anzahlung zu finanzieren. Dadurch konnten wir einen hohen Kredit für die Komplettrenovierung aufnehmen. Und da das Gebäude bereits über fünfzig Jahre alt war, galt es als historisch wertvoll, was uns einen deutlichen Steuervorteil einbrachte. Ein weiterer Grund, Amerika zu lieben. Wenn man in Österreich ein Gebäude für historisch wertvoll erklären wollte, musste es mindestens fünfhundert Jahre alt sein, sonst wurde man ausgelacht.
Auf diese Art Geld zu verdienen, tat meinem Selbstvertrauen gut. Entsprechend änderte ich meine langfristigen Ziele: Ich wollte zwar immer noch irgendwann eine Kette mit Fitnessstudios besitzen, aber anstatt das Geld dafür wie Reg Park und Steve Reeves mit Filmen zu verdienen, wollte ich es mit Immobilien versuchen.
Die Anfragen an mich, bei einem bestimmten Anlass öffentlich aufzutreten, legte Ronda immer auf einen Extrastapel. Darunter befand sich im Frühjahr auch eine Einladung von den Special Olympics, die mit »Jacquie Kennedy« unterzeichnet war. Ich wurde gefragt, ob ich nach Wisconsin kommen und die dortige Universität bei der Frage beraten könnte, ob sich Krafttraining für geistig behinderte Kinder eigne.
Wenn ich aufmerksamer gewesen wäre, hätte ich sicher bemerkt, dass das nicht die Jackie sein konnte, die ich kennengelernt hatte. Die nannte sich inzwischen Kennedy-Onassis, schrieb sich nicht »Jacquie« und lebte in New York. Aber ich dachte, sie sei vielleicht Ehrenvorsitzende oder so. Spontan sagte ich zu Ronda: »Das mache ich.« Ich gab bereits Seminare zu Themen wie Krafttraining oder Siegermentalität und dachte, eine Universität zu beraten sei eine schöne Referenz, auch wenn ich keine Gage dafür bekam. Außerdem würde das Bodybuilding als Sport profitieren. Ich war mir nicht sicher, ob Krafttraining geistig behinderten Kindern helfen würde, aber ich freute mich, dass die Universität es versuchen wollte. Für mich war das etwas ganz Neues.
Als ich im April nach Wisconsin kam, lag dort noch Schnee. Das Institut der Universität befand sich ganz oben im Norden, in Superior bei Duluth. Die beiden Frauen, die mich am Flughafen abholten, arbeiteten in der Forschung und hatten beide einen Doktortitel. Sie stellten mich Jacquie vor, einer schlanken, lebhaften Frau, und zeigten mir den Kraftraum, wo die Kinder am nächsten Morgen trainieren sollten.
»Welche Übungen können wir mit ihnen machen?«, fragte Jacquie.
»Ich weiß nicht, wie stark behindert sie sind«, antwortete ich, »aber eine ungefährliche Übung wäre Bankdrücken. Eine andere Übung wäre Kreuzheben oder Curls oder …«
»Okay«, sagte Jacquie, »für den ersten Tag sollte das reichen.«
Wir stellten also die Geräte ein und bauten eine Kamera auf, prüften, ob das Licht für die Aufnahme ausreichte, und erstellten einen Übungsplan. Abends lag ich im Bett und fragte mich, wie ich mit den Kindern umgehen sollte. Aber dann beschloss ich, anstatt weiter zu grübeln, einfach zu improvisieren.
Die Gruppe bestand aus zehn Jungen im Alter von zwölf oder dreizehn Jahren. Kaum war ich da, war klar, was zu tun war. Sie kamen sofort her und wollten meine Muskeln anfassen, und als ich sie für sie anspannte, riefen sie: »Wow! Wow!« Sie taten alles, was ich sagte. Autorität war für sie ganz einfach zu erkennen, sie brauchten keine intellektuelle Begründung, sie hörten auf mich, weil ich Muskeln hatte, ich musste gar kein studierter Physiotherapeut sein.
Wir fingen mit Bankdrücken an, mit einer Langhantel mit 10 Pfund (4,5 Kilo) auf jeder Seite. Die Jungs machten der Reihe nach zehn Wiederholungen, während ich die Hantel positionierte und auf ihre Brust hinunterließ. Bei den beiden ersten lief alles glatt, aber der dritte Junge bekam Angst, als er das Gewicht auf der Brust spürte, und fing an zu schreien, weil er dachte, ich würde ihn zerquetschen. Ich hob die Hantel wieder an, und er sprang auf. »Das ist okay«, sagte ich. »Mach dir keine Sorgen, atme ruhig, entspann dich, bleib hier und schau deinen Freunden zu.« Er blieb stehen und beobachtete, wie die anderen der Reihe nach die Hantel zehnmal hochstemmten und wieder absenkten. Ich merkte, dass er nach einer Weile wieder Interesse hatte. Ich fragte: »Warum probierst du es nicht noch einmal?« Er war einverstanden und hatte schon ein bisschen Vertrauen gefasst, als ich nur die Hantel ohne Gewicht zu ihm hinunterließ. Er machte zehn Wiederholungen. »Halt die Hantel«, sagte ich. »Du bist richtig stark, du schaffst es bestimmt auch mit den Scheiben.« Ich schob die Scheiben auf die Hantel, auf jeder Seite 10 Pfund, und er schaffte nicht nur locker die zehn Wiederholungen, sondern wollte es sogar noch mit einem größeren Gewicht probieren. Ich spürte, dass hier etwas ganz Besonderes vor sich ging. Noch vor zwanzig Minuten war der Junge völlig verschreckt gewesen, und jetzt entwickelte er dieses Selbstvertrauen. In den nächsten Tagen trainierte ich noch mit anderen Gruppen und probierte verschiedene Sachen aus, bis das Forschungsteam das benötigte Material beisammenhatte. Die Beobachtungen zeigten, dass Gewichtstraining das Selbstvertrauen mehr stärkt als beispielsweise Fußball. Beim Fußball spielt man manchmal gut und manchmal schlecht, doch beim Gewichtstraining weiß man, dass man, wenn man vier Scheiben geschafft hat, beim nächsten Mal wieder vier Scheiben schafft. Diese Berechenbarkeit hilft Jugendlichen, schnell Selbstvertrauen zu bekommen.
Nicht zuletzt auch dank dieser Forschung wurde der Kraftdreikampf eine offizielle Sportart der Special Olympics, die heute sogar die meisten Teilnehmer hat. Wir achteten natürlich auf Sicherheit. Manchmal haben die Jugendlichen Gleichgewichtsprobleme, daher verzichteten wir auf die Kniebeugen. Wir beschränkten uns aufs Kreuzheben, weil man dabei einfach eine Langhantel in den aufrechten Stand hebt, und aufs Bankdrücken, wo die Hantel, wenn nötig, von Umstehenden stabilisiert werden kann.
Beim gemeinsamen Abendessen im Haus einer Assistentin fragte mich Jacquie nach meiner Ausbildung. »Tja, ich habe ungefähr fünftausend Kurse belegt, aber keinen Abschluss, weil ich an drei verschiedenen Colleges gleichzeitig studiert habe«, erklärte ich.
»Wir haben das größte Fernstudienprogramm des Landes, vielleicht können Sie hier Ihren Abschluss machen. Warum schicken Sie uns nicht Ihre Kursbescheinigungen?«
Das tat ich, sobald ich wieder zu Hause war. Nach der Prüfung meiner Unterlagen erhielt ich die Antwort, dass ich nur noch zwei Kurse für einen Abschluss benötigen würde: einen Grundlagenkurs Naturwissenschaft und einen Kurs in Sport. Über den zweiten Kurs musste ich lachen. Aber wir machten einen Plan, wie ich beide Lücken schließen könnte.
Als mich Bobby Zarem Anfang August mit einer Einladung der echten Kennedys anrief, hätte ich fast abgelehnt. Ich sollte beim »Robert F. Kennedy Celebrity Tennis Tournament« antreten, einem Wohltätigkeitsturnier mit Prominenten, das jedes Jahr in Forest Hills stattfand, einem Stadtteil von New York.
»Ich kann nicht Tennis spielen«, sagte ich Bobby. Was für einen Sinn hatte meine Teilnahme, wenn ich nichts zum Spiel beitragen konnte? Aus demselben Grund lehnte ich Promi-Golfturniere ab. Ich hatte nie Golf spielen gelernt.
»Du solltest trotzdem hin«, sagte Bobby. »So eine Einladung ist nur schwer zu kriegen.« Er erklärte, dass er sie in letzter Minute für mich ergattert hatte, weil James Caan abgesagt hatte. »Denk zumindest darüber nach, okay?«
Eine schwierige Entscheidung und damit genau das Richtige für Larry. Ich rief ihn an. »Geh hin«, sagte er, noch bevor ich den Satz zu Ende gesprochen hatte. »Du musst dir nur einen Trainer besorgen. Warum fragst du nicht den Trainer von Bruce Jenner (dem Leichtathleten)! Er war dort eingeladen und hat gewonnen, obwohl er erst ein Jahr bei dem Mann Unterricht hatte.«
Bobby rief noch einmal an. Mittlerweile hatte Ethel Kennedy persönlich bei ihm angefragt. Das gab den Ausschlag. Ich sagte mir: »Sei nicht blöd. Du kannst Ethel Kennedy keinen Korb geben! Außerdem gefällt dir doch eigentlich so ein Sprung ins kalte Wasser.« Und es war für eine gute Sache. Ich sagte zu und fuhr dreimal in der Woche nach Malibu, um mit dem Tennistrainer von Bruce Jenner zu trainieren.
Das Turnier fand am 27. August statt, wir hatten also nur noch drei Wochen. Anfangs landeten meine Bälle überall auf dem Platz, nur nicht auf dem gegnerischen Feld. Aber ich übte fleißig, bis ich einen Ball hin- und herschlagen konnte. Außerdem konnte ich gut laufen, das war zumindest hilfreich. Larry und sein Partner Craig nahmen sich frei und spielten mit mir, wenn mein Trainer keine Zeit hatte. Sie wollten sicherstellen, dass ich mich zwischen all den Prominenten nicht blamierte.
Das war eine neue Erfahrung für mich. Ich trainierte, obwohl ich keine Chance auf den Sieg hatte. Es machte mir nicht einmal etwas aus, wenn ich ausgelacht wurde. Ich rechnete sogar damit. Aber ich hoffte, zumindest eine gute Show zu liefern. Außerdem war all das ja für einen guten Zweck.