Kapitel 4    Mister Universum

»Ich kann dir immer einen Job als Rettungsschwimmer am Thalersee besorgen. Wenn also irgendetwas schiefläuft, musst du dir keine Sorgen machen«, sagte Fredi Gerstl bei unserem Abschied zu mir. Fredi war wie immer großzügig und hilfsbereit, und ich wusste, dass er es gut meinte, aber ich hatte kein Interesse an einem Job als Rettungsschwimmer oder einer anderen Absicherung. München lag zwar nur vierhundert Kilometer von Graz entfernt, aber für mich war es der erste Schritt von Österreich Richtung Amerika.

Ich hatte schon viel über München gehört. Es hieß, dass jede Woche rund tausend Züge am Münchner Hauptbahnhof eintrafen, und mir waren wilde Geschichten vom Nachtleben, den Bierkellern und so weiter erzählt worden. Als sich der Zug der Stadt näherte, sah ich immer mehr Häuser, dann kamen große Gebäude und schließlich das Stadtzentrum. Eine Stimme in meinem Hinterkopf fragte: »Wie soll ich mich da zurechtfinden? Wie soll ich überleben?« Aber ich beruhigte mich mit meinem Mantra: »Das wird mein neues Zuhause.« Ich hatte Graz den Rücken gekehrt, ich war weg, und München würde meine neue Stadt werden, ganz gleich was passierte.

München boomte, selbst gemessen an den Standards des deutschen Wirtschaftswunders, das damals, 1966, seinen Höhepunkt erreicht hatte. Eine internationale Stadt mit 1,2 Millionen Einwohnern, die gerade den Zuschlag für die Austragung der Olympischen Spiele 1972 und das Finale der Fußballweltmeisterschaft 1974 erhalten hatte. Die Olympischen Spiele in Deutschland sollten für den Wandel Deutschlands und seine Wiederaufnahme in die Staatengemeinschaft als modernes, demokratisches Land stehen. Überall waren Baukräne zu sehen. Am Olympiastadion wurde bereits gebaut, ebenso an neuen Hotels, Bürogebäuden und Wohnungen. In der ganzen Stadt wurden Tunnel für das neue U-Bahn-System gegraben, das das modernste und effizienteste der Welt werden sollte.

Der Hauptbahnhof war der Dreh- und Angelpunkt dieser Betriebsamkeit. Auf den Baustellen wurden Arbeiter gebraucht, die nun aus allen Mittelmeerländern und dem Ostblock nach München strömten. In den Wartesälen und auf den Bahnsteigen hörte man mehr Spanisch, Italienisch, Serbokroatisch und Türkisch als Deutsch. In Bahnhofsnähe fand sich eine bunte Mischung aus Hotels, Nachtklubs, Läden, billigen Pensionen und Geschäftshäusern. Das Universum Sportstudio, in dem ich arbeiten sollte, lag in der Schillerstraße, nur fünf Minuten vom Bahnhof entfernt. Die Straße war gesäumt von Nachtklubs und Striplokalen, die bis vier Uhr morgens geöffnet waren. Und um fünf öffneten schon wieder die ersten Lokale, wo man Weißwürste und Bier zum Frühstück bekam. Man konnte immer irgendwo feiern. Kurz gesagt, München war eine Stadt, in der ein Neunzehnjähriger ziemlich aufpassen musste, dass er nicht unter die Räder kommt.

Albert Busek hatte versprochen, dass mich ein paar Jungs am Bahnhof abholen würden. Tatsächlich, als ich den Bahnsteig entlangging, sah ich schon das grinsende Gesicht eines Bodybuilders namens Franz Dischinger. Franz war der Favorit beim Wettkampf um den Titel »Bestgebauter Juniorathlet« in Stuttgart gewesen, den Titel, den dann ich gewonnen hatte. Ein gutaussehender Deutscher und sogar ein Stück größer als ich, aber sein Körper war noch nicht voll entwickelt, weshalb die Richter wahrscheinlich mir den Vorzug gegeben hatten. Franz war ein fröhlicher Bursche, und wir hatten uns in Stuttgart auf Anhieb verstanden und viel miteinander gelacht. Falls ich einmal nach München kommen sollte, so vereinbarten wir damals, wollten wir gemeinsam trainieren. Jetzt holten wir uns am Bahnhof erst einmal etwas zu essen, und dann fuhren er und sein Kumpel, der ein Auto hatte, mich zur Wohnung von Rolf Putziger in einem Vorort von München.

Ich hatte meinen neuen Chef noch nicht kennengelernt, war aber froh über sein Angebot, erst einmal bei ihm zu wohnen, denn ein eigenes Zimmer konnte ich mir nicht leisten. Putziger war ein dicklicher, ungesund wirkender älterer Mann im Anzug. Er war fast kahl und entblößte beim Lächeln unschöne Zähne. Er begrüßte mich freundlich und zeigte mir seine Wohnung. Es gab auch ein kleines Gästezimmer, das, wie er mir erklärte, meines sein würde, sobald das Bett geliefert worden sei, das er bestellt habe. Ob es mir etwas ausmachen würde, einstweilen auf der Couch im Wohnzimmer zu schlafen? Natürlich mache es mir nichts aus, antwortete ich.

Ich dachte mir nichts dabei, bis Putziger ein paar Tage später abends nach Hause kam und nicht in sein Schlafzimmer ging, sondern sich neben mich auf die Couch legte. »Wäre es bei mir im Schlafzimmer nicht bequemer für dich?«, fragte er und rieb sein Bein an meinem. Ich sprang wie von der Tarantel gestochen von der Couch auf, schnappte meine Sachen und rannte aus der Wohnung. Mir schwirrte der Kopf. In was war ich da hineingeraten? Natürlich gab es unter Bodybuildern Schwule. In Graz hatte ich einen gekannt, der einen fantastischen Kraftraum bei sich zu Hause hatte. Meine Freunde und ich trainierten manchmal bei ihm. Er ging sehr offen mit seiner sexuellen Neigung um und zeigte uns sogar den Bereich im Stadtpark, wo sich die Schwulen trafen. Er war ein echter Gentleman und hätte sich uns nie aufgedrängt. Ich hatte gedacht, ich würde einen Schwulen auf den ersten Blick erkennen, aber Putziger wirkte ganz und gar nicht schwul. Er sah aus wie ein gewöhnlicher Geschäftsmann.

Putziger holte mich auf der Straße ein, wo ich verwirrt herumstand und überlegte, wo ich hinsollte. Er entschuldigte sich und versprach, mich nicht mehr zu belästigen, wenn ich mit ihm zurückgehen würde. »Du bist mein Gast«, sagte er. Aber in der Wohnung machte er wieder Annäherungsversuche und sagte mir, er könne verstehen, dass ich Frauen vorziehen würde, aber er würde mir ein Auto kaufen und mir mit meiner Karriere helfen und so weiter, wenn ich ihm gefällig sei. Sicher hätte ich zu der Zeit einen Mentor brauchen können, aber nicht um diesen Preis. Ich war erleichtert, als ich am nächsten Morgen aus der Wohnung war.

Putziger hätte mich entlassen können, aber er brauchte einen Star für sein Fitnessstudio. Bodybuilding war damals noch so unbekannt, dass es in München nur zwei Studios gab, und das größere gehörte Reinhard Smolana, der 1960 zum ersten Mister Germany gekürt worden war und 1963 den Titel des Mister Europa errungen hatte. Außerdem war er Dritter in der Ausscheidung um den Mister Universum geworden und damit der bekannteste deutsche Bodybuilder und eine Autorität in der Branche. Sein Studio war besser ausgestattet und moderner als das von Putziger. Die Kunden gingen lieber zu Smolana. Ich hatte nun die Aufgabe, als neuer Bodybuilding-Star Putziger konkurrenzfähig zu machen. Albert Busek, der Herausgeber der Kraftsport Revue und derjenige, der mich für die Stelle bei Putziger vorgeschlagen hatte, war zum Glück ebenso ehrenhaft, wie Putziger schmierig war. Als ich ihm die Geschichte erzählte, war er entsetzt und half mir, einen Lagerraum im Fitnessstudio als Schlafstätte für mich herzurichten. Ich wusste nicht, wo ich sonst unterkommen sollte. Er und ich wurden schnell gute Freunde. Albert war jemand, der beim europäischen Bildungssystem durchs Raster gefallen war – er war viel klüger, als die meisten Leute dachten, und wäre Arzt, Naturwissenschaftler oder Akademiker geworden, wenn ihm zur richtigen Zeit jemand gesagt hätte, er solle studieren. Stattdessen landete er auf der technischen Hochschule. Irgendwann entdeckte er den Kraftsport und erkannte, dass er Talent fürs Schreiben und Fotografieren hatte. Er fragte Putziger, ob er für seine Zeitschrift arbeiten könne. »Warum nicht? Geben Sie mir einen Artikel zu lesen. Schreiben Sie irgendwas«, war Putzigers Antwort. Nachdem Albert und seine Frau Zwillinge bekommen hatten und ihm die staatliche Förderung fürs Studium gekürzt worden war, arbeitete er schließlich in Vollzeit für Putzigers Magazin. Schon bald leitete Albert die Zeitschrift und galt als anerkannter Experte für Bodybuilding. Er war überzeugt, dass ich der nächste große Bodybuilder werden würde, und weil er wollte, dass ich Erfolg hatte, fungierte er bereitwillig als Puffer zwischen Putziger und mir.

Abgesehen von den Problemen mit dem Inhaber war der Job im Fitnessstudio ideal für mich. Putziger besaß nicht nur ein Fitnessstudio und ein Bodybuilding-Magazin, sondern auch einen Versandhandel für Nahrungsergänzungsmittel. Das Studio hatte mehrere Räume und nicht nur einen einzigen großen Saal. Es gab Fenster und entsprechend Tageslicht anstelle der feuchten Betonmauern, zwischen denen ich in den Katakomben des Grazer Stadions trainiert hatte. Die Ausstattung war moderner als alles, womit ich bisher zu tun gehabt hatte – neben Hanteln gab es zahlreiche Geräte für die Schulter-, Rücken- und Beinmuskulatur. Dadurch hatte ich die Möglichkeit, gezielt einzelne Muskeln zu trainieren und zu definieren und meinen Körper auf eine Art und Weise zu formen, wie es allein mit freien Gewichten nie möglich gewesen wäre.

Beim Militär hatte ich festgestellt, dass ich anderen sehr gern beim Training half, daher fiel mir dieser Teil meines Jobs leicht. Über den Tag verteilt unterrichtete ich kleine Gruppen und gab einer wilden Mischung unterschiedlichster Kunden Einzelstunden – Polizisten, Bauarbeitern, Geschäftsmännern, Intellektuellen, Athleten und Stars der Unterhaltungsbranche, Deutschen und Ausländern, Jungen und Alten, Schwulen und Heteros. Ich lud amerikanische Soldaten vom nahegelegenen Stützpunkt ein, bei Putziger zu trainieren – dabei traf ich auch zum ersten Mal einen Schwarzen. Viele Kunden wollten einfach ihre Fitness verbessern und etwas für ihren Körper tun, es gab aber auch einige Gewichtheber und Bodybuilder, die an Wettkämpfen teilnahmen und die ich mir als Trainingspartner vorstellen konnte. Ich erkannte schnell, wie man solche Typen herausforderte und zu Höchstleistungen anspornte. »Ja klar, du kannst mein Trainingspartner werden, du brauchst Hilfe«, scherzte ich. Als Trainer gab ich gern den Ton an, und obwohl ich wenig Geld hatte, lud ich die anderen zum Essen ein und bezahlte alles.

Durch die Arbeit mit den Kunden konnte ich nicht so trainieren, wie ich es bisher gewohnt war – intensive vier bis fünf Stunden am Tag. Also ging ich dazu über, zweimal am Tag zu trainieren, zwei Stunden vor der Arbeit und zwei Stunden von neunzehn bis einundzwanzig Uhr, wenn es im Studio ruhiger wurde und nur noch diejenigen da waren, denen es mit dem Krafttraining wirklich ernst war. Zuerst schien die Aufteilung des Trainings lästig, aber als ich die Resultate sah, erkannte ich, dass ich davon profitierte – ich war konzentrierter, erholte mich schneller und schaffte so längere und härtere Sets. An vielen Tagen legte ich noch eine dritte Trainingseinheit um die Mittagszeit ein – ich trainierte isoliert einen Körperteil, der mir schwächer schien, und widmete ihm dreißig bis vierzig Minuten meine volle Aufmerksamkeit. Dabei absolvierte ich beispielsweise zwanzig Sets Wadenheben oder hundert Wiederholungen Trizepsdrücken. Manchmal wiederholte ich diese nach dem Abendessen – ich ging erneut ins Studio und trainierte abends um elf noch eine Stunde. Wenn ich mich dann in meiner gemütlichen kleinen Kammer schlafen legte, spürte ich oft ein Ziehen oder Zucken in einem bestimmten Muskel, den ich am Tag besonders belastet hatte – die Folge eines erfolgreichen Trainings und sehr erfreulich, weil ich wusste, dass sich die Muskelfasern jetzt erholten und wuchsen.

Ich trainierte wie besessen, weil ich in weniger als zwei Monaten gegen die besten Bodybuilder der Welt antreten würde. Ich hatte mich für den wichtigsten Wettkampf im Bodybuilding angemeldet, den Kampf um den Titel des Mister Universum in London. Das war ziemlich dreist. Normalerweise hätte ein Neuling wie ich nicht einmal davon geträumt, in London anzutreten. Ich hätte zuerst am Wettbewerb um den Titel des Mister Austria teilnehmen müssen und wäre, wenn ich gewonnen hätte, dann beim Kampf um den Mister Europa angetreten. Aber bei dem Tempo hätte es Jahre gedauert, bis ich nach London gekommen wäre. Dafür war ich viel zu ungeduldig. Ich wollte mich dem härtesten Wettkampf stellen, den es gab, und damit einen entscheidenden Schritt in meiner Karriere machen. Natürlich war ich nicht völlig naiv. Ich erwartete nicht, dass ich in London gewinnen würde – noch nicht. Einstweilen wollte ich vor allem herausfinden, wo ich stand. Albert war von der Idee begeistert und half mir mit seinen Englischkenntnissen beim Ausfüllen der Anmeldung.

Für ein derart fanatisches Trainingsprogramm brauchte ich mehr als einen Trainingspartner. Zum Glück gab es in München genügend Bodybuilder, die ihren Sport ernsthaft betrieben und denen mein Traum vom Mister Universum einen Kick gab, auch wenn sie mich für ein bisschen verrückt hielten. Franz Dischinger trainierte regelmäßig mit mir, ebenso Fritz Kroher, der wie ich vom Land kam, aus einem Dorf im Bayerischen Wald. Selbst Reinhard Smolana, der Besitzer des konkurrierenden Fitnessstudios, machte mit. Manchmal lud er mich ein, bei sich zu trainieren, oder er kam zu uns und trainierte mit mir nach Feierabend. Schon nach wenigen Wochen hatte ich das Gefühl, dass ich gute Freunde gefunden hatte und in München allmählich heimisch wurde.

Mein Lieblingspartner beim Training war Franco Columbu, der auch schnell mein bester Freund wurde. Ich hatte ihn ein Jahr zuvor in Stuttgart kennengelernt – er war am selben Tag Europameister im Kraftdreikampf geworden, an dem ich Mister Europa der Junioren geworden war. Franco stammte aus Sardinien, wo er auf einem Bauernhof in einem kleinen Bergdorf aufgewachsen war, das, so wie er es beschrieb, noch primitiver als Thal gewesen sein muss. Als Junge hatte er Schafe gehütet – mit zehn oder elf war er manchmal tagelang allein unterwegs in der Wildnis gewesen, hatte sich sein Essen selbst gesucht und im Freien übernachtet. Mit dreizehn Jahren hatte er von der Schule abgehen müssen, um daheim auf dem Hof zu helfen, doch er war sehr klug und fleißig. Er wurde Maurer und Amateurboxer und ging nach Deutschland, um dort auf Baustellen zu arbeiten. In München lernte er Deutsch und kannte sich bald so gut in der Stadt aus, dass er eine Lizenz als Taxifahrer bekam. Die Prüfung für Taxifahrer war in München selbst für die Einheimischen schwer, und dass ein Italiener sie bestand, versetzte alle in Erstaunen.

Franco war Kraftdreikämpfer, und ich war Bodybuilder, und uns beiden war klar, dass sich die Sportarten sehr gut ergänzten. Ich wollte mehr Masse, was bedeutete, dass ich mit schweren Gewichten arbeiten musste – und damit kannte sich Franco aus. Ich wiederum wusste viel über Bodybuilding – wofür sich Franco brennend interessierte. Er sagte mir: »Ich möchte Mister Universum werden.« Andere lachten ihn deswegen aus, denn er war nur 1,65 Meter groß, aber beim Bodybuilding sind Perfektion und Symmetrie oft wichtiger als Größe. Mir gefiel die Idee, zusammen zu trainieren.

Franco begriff schnell – vielleicht, weil er viel Zeit allein in der Wildnis verbracht hatte. Er war begeistert von meiner Idee, die Muskeln zu »schocken«. Ich hatte immer das Gefühl, das größte Hindernis bei einem erfolgreichen Training bestehe darin, dass sich der Körper so schnell anpasst. Wenn man jeden Tag die gleiche Bewegungsfolge trainiert, wachsen die entsprechenden Muskeln langsam und hören irgendwann damit auf, selbst wenn man stetig das Gewicht erhöht – Muskeln sind sehr effektiv und führen genau die erwartete Bewegung aus. Wenn man nun den Muskel »aufwecken« und zu weiterem Wachstum veranlassen will, muss man ihn mit der Botschaft überraschen: »Du weißt nie, was kommt. Es wird immer etwas anderes sein als erwartet. Heute ist es das, morgen etwas ganz anderes.« An einem Tag sind es ultraschwere Gewichte, am anderen zahlreiche Wiederholungen.

Eine von uns entwickelte Methode, die Muskeln zu schocken, war das sogenannte »Stripping«. Beim normalen Training mit Gewichten startet man mit geringeren Gewichten und arbeitet sich dann nach oben. Beim Stripping ist es genau umgekehrt. Für London musste ich beispielsweise meine Deltamuskeln aufbauen. Das erreicht man mit Kurzhantel-Schulterdrücken, das heißt, man hält die Kurzhantel in jeder Hand auf Schulterhöhe und führt sie dann nach oben über den Kopf. Beim Stripping begann ich mit dem schwersten Gewicht, sechs Wiederholungen mit 45 Kilo schweren Kurzhanteln. Danach kamen 40 Kilo, ebenfalls mit sechs Wiederholungen. Und so ging es weiter das ganze Regal durch. Wenn ich bei 20 Kilo angekommen war, brannten meine Schultern, und die sechs Wiederholungen fühlten sich an, als ob jeder Arm nicht 20, sondern 55 Kilo heben würde. Doch bevor ich die Hanteln ganz weglegte, schockte ich meine Deltamuskeln noch einmal mit Seitheben, das heißt, ich führte die jeweils 20 Kilo schweren Kurzhanteln von der Hüfte aus auf Schulterhöhe. Danach liefen die Deltamuskeln dermaßen Amok, dass ich nicht wusste, was ich mit meinen Händen machen sollte. Es war eine Qual, die Arme einfach hängen zu lassen, ich konnte sie aber auch nicht mehr heben. Also legte ich sie auf dem Tisch oder einer Bank ab, bis der Schmerz nachließ. Die Deltamuskeln wehrten sich gegen die unerwartete Belastungsabfolge. Ich hatte ihnen gezeigt, wer der Chef war. Jetzt mussten sie nur noch ausheilen und wachsen.

Wenn ich den ganzen Tag hart trainiert hatte, wollte ich mich abends nur noch amüsieren. Und das hieß damals in München, in ein Bierlokal zu gehen, was wiederum bedeutete, dass man unweigerlich in eine Schlägerei verwickelt wurde. Man saß an langen Tischen, lachte, redete und stieß mit den Maßkrügen an. Und betrank sich natürlich. Ständig gab es Prügeleien, aber es war nie so, dass man den anderen umbringen wollte. Sobald die Schlägerei vorbei war, sagte der Gegner: »Komm, essen wir eine Bretzn. Möchtest ein Bier? Ich lad dich ein.« Und der andere sagte: »Ja, wenn ich schon verloren hab, kannst mir wenigstens ein Bier spendieren. Geld hab ich sowieso keins.« Und dann tranken die beiden einträchtig miteinander, als ob nichts gewesen wäre.

Bier sagte mir eigentlich nicht sonderlich zu, weil es nicht zum Training passte. Ich trank selten mehr als eins am Abend. Aber die Raufereien gefielen mir. Ich hatte den Eindruck, als ob ich jeden Tag neue Kräfte an mir entdecken würde, und fühlte mich groß und stark und unbesiegbar. Ich war nicht zimperlich. Wenn mich ein Kerl schräg ansah oder mich aus irgendeinem Grund herausforderte, ging ich auf ihn los. Ich verpasste ihm eine Schockbehandlung: Ich zog mein Oberhemd aus, stand im Achselhemd vor ihm und ließ die Muskeln spielen, und dann schlug ich zu. Manchmal sagte er aber auch eilig: »Ach, was soll’s. Warum trinken wir nicht einfach noch ein Bier?«

Wenn aus dem Kampf eine Schlägerei wurde, standen meine Freunde und ich natürlich füreinander ein. Und am nächsten Tag beim Training erzählten wir uns von unseren Erlebnissen und lachten. »Du hättest sehen sollen, wie Arnold die Köpfe der beiden Kerle aneinandergeschlagen hat, und dann kam ihr Freund und ging mit dem Bierkrug auf ihn los, aber ich hab dem Dreckskerl von hinten eins mit dem Stuhl übergezogen.« Wir hatten immer Glück. Selbst wenn die Polizei kam, was ein paarmal der Fall war, ließ man uns meistens einfach laufen. Ich wurde nur einmal mit aufs Revier genommen, weil ein Kerl behauptete, ich müsse dafür zahlen, weil er ein paar Zähne verloren hatte. Wir stritten deswegen so erbittert, dass die Polizisten befürchteten, wir würden gleich wieder aufeinander losgehen. Also nahmen sie uns mit und behielten uns auf dem Revier, bis wir uns auf eine Summe geeinigt hatten.

Noch besser als die Schlägereien waren allerdings die Mädchen. Direkt gegenüber vom Fitnessstudio in der Schillerstraße befand sich das Hotel Diplomat, wo Stewardessen untergebracht wurden. Franco und ich lehnten uns in unseren Achselhemden aus dem Fenster und flirteten mit ihnen, wenn sie unten auf der Straße vorbeigingen. »Was macht ihr da oben?«, riefen sie. »Na ja, wir haben hier ein Fitnessstudio. Wollt ihr trainieren? Kommt einfach zu uns rauf!«

Oder ich marschierte in die Hotellobby und stellte mich den Stewardessen vor, die in Gruppen kamen und gingen. Um ihr Interesse zu wecken, kombinierte ich meine besten Tricks vom Thalersee mit meinen Erfahrungen als Eisenwarenverkäufer. »Wir haben gegenüber ein Fitnessstudio«, sagte ich, machte dem Mädchen ein Kompliment und sagte ihr, dass sie sicher großen Spaß beim Training hätte. Tatsächlich hielt ich es für ausgesprochen dumm, dass Frauen als Kunden so wenig ernst genommen wurden. Bei uns durften sie kostenlos trainieren. Und egal ob sie kamen, weil sie sich für die Männer interessierten oder weil sie einfach nur trainieren wollten, ich freute mich immer.

Die Mädchen schauten meist spätabends vorbei. Die gewöhnlichen Kunden gingen normalerweise um acht, doch die Geräte konnte man bis um neun benutzen. Während ich zusammen mit meinen Partnern meine zweite Trainingseinheit absolvierte, konnten die Mädchen vorbeikommen und trainieren. Wenn sie wirklich nur Sport machen wollten, gingen sie anschließend duschen und waren dann um halb neun wieder weg. Ansonsten durften sie gern bleiben und mit uns feiern, oder aber wir gingen alle zusammen aus. Manchmal kam auch Smolana mit ein paar Mädchen vorbei, dann wurde die Nacht ziemlich wild.

Während der ersten Monate in München ließ ich mich treiben, genoss das Nachtleben und amüsierte mich nach Kräften. Aber dann merkte ich, dass ich mein Ziel aus den Augen verlor, und achtete wieder auf mehr Disziplin. Mein Ziel bestand schließlich nicht darin, Spaß zu haben, sondern Weltmeister im Bodybuilding zu werden. Wenn ich meine sieben Stunden Schlaf haben wollte, musste ich abends um elf im Bett sein. Dennoch kam der Spaß nicht zu kurz, wir amüsierten uns auch so.

Mein Chef erwies sich allerdings als größeres Hindernis im Kampf um den Mister-Universum-Titel als jeder Betrunkene, der im Bierkeller mit dem Maßkrug auf mich losging. Wenige Wochen vor dem Wettkampf hatte ich immer noch keine Unterlagen aus London bekommen. Schließlich rief Albert dort an und erfuhr von den Organisatoren, dass gar keine Anmeldung von mir vorlag. Er stellte Putziger zur Rede, der zugab, dass er meine Anmeldung in der ausgehenden Post gesehen und sie weggeworfen hatte. Er war eifersüchtig und fürchtete, ich könnte entdeckt werden und nach England oder Amerika ziehen, bevor er richtig Geld mit mir verdient hätte. Ich wäre verloren gewesen, wenn sich Albert nicht für mich eingesetzt hätte. Da er sehr gut Englisch sprach, rief er erneut in London an und überredete die Organisatoren, meine Anmeldung anzunehmen, obwohl die Anmeldefrist schon verstrichen war. Nur wenige Tage vor dem Wettkampf kamen meine Unterlagen doch noch bei ihnen an, und ich wurde auf die Liste der Teilnehmer gesetzt.

Auch die anderen Bodybuilder in München unterstützten mich. Putziger hätte mir das Ticket nach London bezahlen sollen, weil ein eventueller Erfolg meinerseits auch eine Werbung für sein Fitnessstudio wäre. Doch als bekannt wurde, dass er versucht hatte, meine Anmeldung zu sabotieren, war es ausgerechnet sein Konkurrent Smolana, der den Hut herumgehen ließ und die 300 Mark für mein Flugticket sammelte. Am 23. September 1966 bestieg ich das Flugzeug nach London. Mit meinen neunzehn Jahren war es der erste Flug meines Lebens. Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass ich mit dem Zug anreisen würde, und war daher ganz aufgeregt. Ich war überzeugt, dass keiner meiner Klassenkameraden aus Österreich je geflogen war. Nun saß ich mit Geschäftsleuten in einem Linienflugzeug, und das alles dank dem Bodybuilding.

Der allererste Wettkampf um den Titel des Mister Universum hatte 1948 stattgefunden. Seitdem wurde er jedes Jahr in London ausgetragen. Englischsprachige Athleten dominierten hier wie überall im Bodybuilding, vor allem Amerikaner, die im Schnitt acht von zehn Titeln gewannen. Alle großen Bodybuilder, die ich in meiner Jugend verehrt hatte, waren Mister Universum geworden – Steve Reeves, Reg Park, Bill Pearl, Jack Delinger, Tommy Sansone, Paul Wynter. Ich weiß noch, wie ich einmal als Junge ein Foto vom Wettkampf sah. Der Sieger stand auf einem Podest, den Preis in der Hand, während alle anderen unten auf der Bühne blieben. Ich hatte schon immer davon geträumt, eines Tages auf einem Siegerpodest zu stehen. Ich sah es ganz klar vor mir. Ich wusste sogar, wie ich mich fühlen würde. Es wäre himmlisch, wenn es einmal so weit sein würde, aber ich rechnete nicht damit, gleich bei meinem ersten Auftritt zu gewinnen. Ich hatte die Liste der anderen Teilnehmer gesehen, gegen die ich in der Amateurklasse antreten würde, und dachte nur: »Jessesmaria!« Auf den Fotos wirkten ihre Körper deutlich besser definiert als meiner. Ich wollte unter den besten sechs landen, weil ich nicht glaubte, dass ich die Nummer zwei, drei oder vier vom letzten Jahr schlagen könnte. Ihre Muskeln waren besser entwickelt, so weit war ich einfach noch nicht. Ich war immer noch dabei, meine ideale Muskelmasse aufzubauen – ein langsamer Prozess. Ich wollte zuerst das richtige Volumen aufbauen und dann wie bei einer Statue daran meißeln, die Muskeln herausarbeiten und perfektionieren.

Ich sagte mir: »Den kann ich nicht schlagen … und den auch nicht … den auch nicht … aber vielleicht den …« Ich wollte mindestens unter die besten sechs.

Der Wettkampf fand im Victoria Palace Theatre statt, einem prächtigen alten Theater mit Marmor an den Wänden und Statuen, nur wenige Straßen vom Bahnhof Victoria Station gelegen. Die großen Wettkämpfe folgten alle einem festen Schema. Morgens fanden die Vorrunden oder technischen Ausscheidungen statt. Die Bodybuilder und die Kampfrichter versammelten sich im Theatersaal. Journalisten waren zugelassen, aber keine Zuschauer. Dadurch sollten die Richter die Chance haben, in aller Ruhe die Entwicklung und Definition der Muskeln sämtlicher Teilnehmer zu begutachten, Körperteil für Körperteil, und systematisch jeden Teilnehmer mit den übrigen zu vergleichen. Man stand zusammen mit den anderen Teilnehmern seiner Kategorie (meine war »Amateure, groß«) in einer Reihe. Jeder hatte eine Nummer an der Wettkampfhose. Dann sagte der Richter zum Beispiel: »Nummer vierzehn und Nummer acht, bitte treten Sie vor und präsentieren Sie Ihre Quadrizeps.« Die beiden Bodybuilder traten in die Mitte der Bühne und zeigten eine Standardpose, bei der die vier Muskeln vorn am Oberschenkel zur Geltung kamen, während sich die Richter Notizen machten. Die Ergebnisse der Pflichtvorrunde wurden später in die Entscheidung eingerechnet. Die große Show war natürlich das Finale am Nachmittag: die Posing-Kür für jede Klasse und am Schluss das Posedown, das freie Posing unter den Klassensiegern, bei dem der Gesamtsieger der Amateure und Profis gekürt wurde.

Ich hatte ja bereits so einige Wettkämpfe miterlebt, aber der Kampf um den Mister-Universum-Titel spielte sich wirklich in einer ganz anderen Liga ab. Das Victoria Palace Theatre war komplett ausverkauft – über 1500 klatschende und jubelnde Bodybuilding-Fans –, und draußen standen noch immer Leute, die auf eine Karte hofften. Bei der Veranstaltung mischten sich Zirkus- und Wettkampfelemente zu gleichen Teilen. Die Bühne war professionell mit Scheinwerfern ausgeleuchtet, außerdem spielte ein richtiges Orchester und sorgte für Stimmung. Während des zweistündigen Programms gab es zwischen den Wettkämpfen immer wieder Unterhaltungseinlagen – einen Bikiniwettbewerb, Akrobaten, Schlangenmenschen und zwei Tanztruppen in Trikots und Stiefeletten, die synchron die Beine hochwarfen und kleine Hanteln und Gewichte schwenkten.

Zu meiner Verwunderung stellte ich bei der Pflicht am Vormittag fest, dass ich meine Konkurrenten überschätzt hatte. Die besten Amateure in der »großen« Klasse hatten natürlich besser definierte Muskeln, aber wenn wir alle gemeinsam auf der Bühne standen, fiel ich trotzdem auf. In Wahrheit ist es nämlich so, dass nicht alle Bodybuilder stark sind, vor allem nicht die, die hauptsächlich auf Gerätetraining setzen. Ich hatte jahrelang Gewichtheben trainiert und mit freien Gewichten gearbeitet und dadurch massive Bizeps-, Schulter-, Rücken- und Oberschenkelmuskeln. Ich sah einfach kräftiger und stärker aus als die anderen.

Bis zur Kür hatte sich herumgesprochen, dass ein Monster-Teenager mit einem unaussprechlichen Namen aus dem Nichts aufgetaucht war, und er war wirklich »groß«. Entsprechend laut und begeistert jubelten die Zuschauer, als unsere Gruppe auf die Bühne kam. Ich gewann nicht, aber ich kam viel weiter, als ich oder sonst jemand erwartet hatte. Beim letzten Posedown standen ich und ein Amerikaner namens Chester Yorton auf der Bühne. Die Richter entschieden sich für Chet. Ich muss zugeben, dass sie die richtige Wahl trafen. Chet war fast zehn Kilo leichter als ich, aber sein Körper war fantastisch proportioniert, die Muskeln fein herausgearbeitet und trocken, und seine Posen wirkten geschmeidiger und souveräner. Außerdem hatte er eine tolle Bräune, daneben wirkte ich blass wie Brotteig.

Aber ich war begeistert von meinem überraschenden zweiten Platz. Für mich fühlte er sich wie ein Sieg an. Plötzlich stand ich im Rampenlicht, und die Leute sagten: »Nächstes Jahr gewinnt er.« Englische Bodybuilding-Zeitschriften berichteten über mich, was enorm wichtig war, denn wenn ich mein Ziel erreichen wollte, musste ich in England und den USA bekannt werden.

Doch kaum hatte ich Zeit zum Nachdenken, endete mein Freudentaumel abrupt. Ich begriff, dass Chet Yorton auf dem Siegerpodest gelandet war, nicht ich. Er hatte den Sieg verdient, dennoch war ich überzeugt, einen großen Fehler gemacht zu haben. Was wäre passiert, wenn ich mit der festen Absicht, zu gewinnen, nach London gekommen wäre? Hätte ich mich besser vorbereitet? Wäre meine Vorstellung besser gewesen? Hätte ich gewonnen und wäre jetzt Mister Universum? Ich hatte meine Chancen unterschätzt. Ich mochte dieses Gefühl nicht und ärgerte mich sehr. Aber ich lernte meine Lektion.

Danach ging ich nie wieder zu einem Wettkampf, um nur daran teilzunehmen. Ich ging hin, um zu siegen. Und obwohl ich nicht immer gewann, war das die richtige Einstellung. Ich war wie ein wildes Tier. Wenn jemand vor einem Wettkampf meine Gedanken gelesen hätte, hätte er wahrscheinlich etwas gehört wie: »Ich habe den Sieg verdient. Er steht mir zu. Das Meer soll sich vor mir teilen. Geht mir alle aus dem Weg, ich habe eine Mission zu erfüllen. Tretet einfach beiseite und gebt mir den Pokal.«

Ich sah mich auf dem Siegerpodest mit dem Pokal in der Hand. Alle anderen standen unten. Und ich blickte auf sie herab.

Drei Monate später war ich erneut in London, lachte und tollte mit einer Horde Kinder in einem fremden Wohnzimmer auf dem Teppich herum. Ich war bei Wag und Diane Bennett, denen zwei Fitnessstudios gehörten und die quasi den Mittelpunkt der britischen Bodybuilding-Szene bildeten. Wag war als Richter beim Mister-Universum-Wettkampf dabei gewesen und hatte mich eingeladen, noch einmal nach England zu kommen, bei ihm und Diane zu wohnen und ein paar Wochen zu trainieren. Obwohl die beiden bereits sechs Kinder hatten, nahmen sie mich unter ihre Fittiche und behandelten mich wie ihren eigenen Sohn.

Wag hatte mir klargemacht, dass ich noch hart an mir arbeiten müsse. Ganz oben auf seiner Mängelliste stand mein Posing. Ich wusste, dass es einen großen Unterschied gab zwischen der ordentlichen Ausführung einer Pose und einem ansprechenden Programm. Posen sind Einzelszenen, und ihre Abfolge ist der Film. Um ein Publikum zu faszinieren und mitzureißen, braucht man fließende Posen. Was macht man zwischen der einen Pose und der nächsten? Wie bewegen sich die Hände? Welchen Gesichtsausdruck hat man dabei? Ich hatte bis dahin kaum Gelegenheit gehabt, über diese Dinge nachzudenken. Wag zeigte mir, wie man das Tempo herausnimmt und die Posen wie ein Ballett wirken lässt, welche Rolle die Haltung spielt, dass man den Rücken gerade halten und den Kopf hochhalten muss, anstatt ihn zu senken.

Das verstand ich ja noch, doch der Gedanke, meine Posen zu Musik vorzuführen, behagte mir ganz und gar nicht. Wag spielte die Filmmusik von Exodus auf seiner Stereoanlage und gab mir meinen Einsatz, damit ich meine Posen vorführte. Zunächst konnte ich mir nichts Peinlicheres vorstellen. Außerdem lenkte mich die Musik ab. Aber nach einer Weile begriff ich, dass ich meine Bewegungen choreografieren und der Melodie folgen konnte – leise Momente für eine konzentrierte, schöne Dreiviertelrückenpose, die dann fließend überging in eine seitliche Brustpose, wenn sich die Musik steigerte, und dann, mit dem Crescendo kam – Tusch! – eine Most-Muscular-Pose.

Diane konzentrierte sich darauf, mich mit jeder Menge Protein zu versorgen und mir bessere Manieren beizubringen. Wahrscheinlich dachte sie manchmal, ich wäre von Wölfen aufgezogen worden. Ich wusste nicht, wie man richtig mit Messer und Gabel aß oder dass man nach dem Essen half, den Tisch abzuräumen. Diane machte da weiter, wo meine Eltern, Fredi Gerstl und Frau Matscher aufgehört hatten. Sie regte sich nur selten auf, aber als sie sah, wie ich mir nach einem Wettkampf wortlos den Weg durch die Fans bahnte, wurde sie richtig wütend. Ich dachte nur: »Ich habe gewonnen. Jetzt wird gefeiert.« Doch Diane packte mich am Arm und sagte: »Arnold, so etwas macht man nicht. Diese Leute sind extra gekommen, um dich zu sehen. Sie haben Geld dafür gezahlt, und manche kommen von weit her. Du musst dir ein paar Minuten Zeit nehmen und ihnen ein Autogramm geben.« Ihre Ermahnung öffnete mir wirklich die Augen. Bis dahin hatte ich nie an die Fans gedacht, immer nur an meine Konkurrenten. Doch von nun an nahm ich mir immer auch Zeit für meine Fans.

Selbst die Kinder von Diane und Wag beteiligten sich am Projekt »Educating Arnold«. Wahrscheinlich gibt es keine bessere Möglichkeit, Englisch zu lernen, als mit einer Londoner Familie unter einem Dach zu leben, in der niemand Deutsch spricht und wo man auf der Couch schläft und von sechs mehr oder weniger kleinen Kindern umlagert wird. Sie behandelten mich wie einen Riesenwelpen und brachten mir begeistert neue Wörter bei.

Es gibt ein Foto aus der Zeit, auf dem ich bei meiner ersten Begegnung mit meinem Idol Reg Park zu sehen bin. Reg trägt eine Jogginghose, ist gebräunt und entspannt, während ich meine kurze Trikothose anhabe und blass und eingeschüchtert wirke. Immerhin stand ich neben Herkules, dem dreimaligen Mister Universum, dem Star, dessen Bild ich mir an die Wand gehängt hatte, dem Mann, nach dessen Vorbild ich mein Leben geplant hatte. Ich brachte kaum ein Wort heraus. Mein Englisch war wie weggeblasen.

Reg lebte mittlerweile mit seiner südafrikanischen Frau in Johannesburg und besaß mehrere Fitnessstudios, reiste aber mehrmals im Jahr geschäftlich nach England. Er war mit den Bennetts befreundet und hatte sich großzügig bereit erklärt, mich in die Geheimnisse seines Erfolgs einzuweihen. Wag und Diane waren der Ansicht, dass ich bessere Chancen beim Mister Universum hätte, wenn ich in England bekannter wäre. Das erreichte man damals durch Auftritte bei verschiedenen Veranstaltungen. Überall auf den britischen Inseln gab es lokale Bodybuilding-Veranstaltungen, bei denen man auftreten und sich ein bisschen Geld verdienen konnte. Reg war auf dem Weg zu einer Veranstaltung in Belfast und bot an, mich mitzunehmen. Sich einen Namen zu machen läuft im Bodybuilding ähnlich wie in der Politik. Man reist von Stadt zu Stadt in der Hoffnung, dadurch bekannter zu werden. Und diese Basisarbeit funktionierte. Die dabei entstandene Begeisterung trug sicherlich dazu bei, dass ich beim nächsten Anlauf den Titel des Mister Universum gewann.

Eines Abends stand ich also in den Kulissen und sah zu, wie Reg seine Posen vor mehreren hundert jubelnder Fans vorführte. Danach ging er ans Mikrofon und rief mich auf die Bühne. Während ich meine Kraft demonstrierte – ich zeigte beidarmige Bizeps-Curls mit 275 Pfund und schaffte beim Kreuzheben 500 Pfund fünfmal hintereinander –, machte Reg den Moderator. Danach erhielt ich stehende Ovationen. Ich wollte schon wieder von der Bühne gehen, als Reg sagte: »Arnold, komm doch mal her.« Ich ging zum Mikro, und er sagte zu mir: »Sag was zu den Leuten.«

»Nein, nein.«

»Warum nicht?«

»Ich spreche nicht so gut Englisch.«

»Hey!«, rief er. »Das war doch sehr gut! Dafür hat er einen Applaus verdient. Jemand, der kein Englisch spricht, braucht Mut, um so einen Satz zu sagen.« Er fing an zu klatschen, und sofort applaudierten alle Zuschauer.

Ich dachte: »Hey, das ist toll. Dem Publikum hat gefallen, was ich gesagt habe!«

Reg fuhr fort: »Sag zu den Leuten: ›Ich mag Irland.‹«

»Ich mag Irland.« Erneuter Applaus.

Reg sagte: »Vorhin hast du mir erzählt, dass du zum ersten Mal in Belfast bist und es kaum erwarten konntest, hier zu sein, stimmt’s?«

»Ja.«

»Na, dann sag es den Leuten! ›Ich konnte es kaum erwarten …‹«

»Ich konnte es kaum erwarten …«

»›… heute hier zu sein.‹«

»… heute hier zu sein.« Erneuter Applaus. Jeder Satz, den er mir vorsagte und den ich wiederholte, erntete begeisterten Beifall.

Wenn er mir am Vortag gesagt hätte: »Ich hole dich auf die Bühne und lasse dich ein paar Sätze sagen«, hätte ich furchtbares Lampenfieber gehabt.

Aber so konnte ich ohne Druck üben, vor Publikum zu sprechen. Ich musste mir keine Gedanken machen, ob mich die Zuschauer akzeptieren würden, oder überlegen, was ich sagen sollte. Ich musste keine Angst haben, denn im Mittelpunkt stand mein Körper. Ich hob Gewichte, ich zeigte Posen. Ich wusste, dass mich die Zuschauer akzeptierten. Das Sprechen war nur eine kleine Zugabe.

Danach verfolgte ich immer aufmerksam Regs Auftrittte. Seine Art, mit den Leuten zu reden, war unglaublich. Er konnte die Zuschauer unterhalten. Er war aufgeschlossen und offen. Er konnte Geschichten erzählen. Und er war Herkules! Er war Mister Universum! Er kannte sich mit Wein und gutem Essen aus, er sprach Französisch und Italienisch. Er war einer der wenigen, die wirklich wussten, worauf es ankommt. Ich beobachtete, wie er am Mikrofon stand, und sagte mir: »So musst du das auch machen. Du kannst nicht einfach deine Posen wie ein Roboter vorführen und dann von der Bühne gehen, denn dann lernen dich die Leute nie richtig kennen. Reg Park redet mit ihnen. Er ist der einzige Bodybuilder, den ich kenne, der mit den Zuschauern redet. Deshalb lieben sie ihn. Deshalb ist er Reg Park.«

Zurück in München, konzentrierte ich mich darauf, den Umsatz im Fitnessstudio zu steigern. Der alte Putziger ließ sich fast nie blicken, was Albert Busek und mir nur recht war. Albert und ich waren ein tolles Team. Albert managte einfach alles – den Versandhandel mit den Nahrungsergänzungsmitteln, die Zeitschrift, das Studio. Er ersetzte gleich mehrere Mitarbeiter. Ich hatte neben dem Training die Aufgabe, neue Mitglieder anzuwerben. Natürlich wollten wir unbedingt Smolana überholen und das beste Fitnessstudio der Stadt werden. Anzeigen waren eine Möglichkeit, aber die konnten wir uns selten leisten. Also ließen wir Plakate drucken, warteten bis spätabends und zogen dann durch die Stadt und klebten sie an Bauzäune, weil wir dachten, die Bauarbeiter könnten sich für Bodybuilding interessieren.

Doch diese Strategie war nicht so erfolgreich wie gedacht. Wir grübelten lange über unseren Misserfolg nach, bis Albert irgendwann einmal bei Tag an einer Baustelle vorbeikam und sah, dass dort nicht unser Plakat, sondern eins von Smolana hing. Wie sich herausstellte, hatte Smolana seine Leute losgeschickt, damit sie seine Plakate über unsere klebten, solange der Kleister noch feucht war. Also änderten wir unsere Strategie. Wir plakatierten um Mitternacht und dann noch einmal gegen vier Uhr morgens, damit unser Plakat auf jeden Fall zu sehen war, wenn die Arbeiter auf die Baustelle kamen. Der Plakatkrieg sorgte für Aufmerksamkeit, und allmählich wuchs die Zahl unserer Mitglieder.

Unsere Werbung zielte darauf ab, dass Smolana zwar mehr Platz bot, man bei uns aber mehr Spaß hatte und die Stimmung besser war. Außerdem hatten wir die Ringer auf unserer Seite. Heutzutage ist das Wrestling – oder Profiringen – ein gigantisches Medienspektakel, aber damals mussten die Ringer noch von einer Stadt zur anderen reisen, um ihre Kämpfe vorzuführen. In München traten sie vor vollem Haus im Circus Krone auf, der mit dem Kronebau einen festen Veranstaltungssaal hatte.

Die Ringer waren immer auf der Suche nach einem Trainingsraum. Als sie von mir hörten, kamen sie in unser Studio. Ich trainierte mit Männern wie Harold Sakata aus Hawaii, dem Darsteller des Oddjob, dem Bösewicht im James-Bond-Film Goldfinger, der damals gerade in die Kinos kam. Wie viele Ringer hatte Harold als Gewichtheber angefangen und bei den Olympischen Spielen 1956 in Melbourne für die USA sogar eine Silbermedaille gewonnen, verdiente aber seitdem sein Geld als Profiringer. Bei uns trainierten Ringer aus Ungarn, Frankreich und der ganzen Welt. Ich öffnete das Studio für sie, auch wenn wir normalerweise geschlossen hatten, und ging abends zu den Ringkämpfen. Sie wollten unbedingt einen Ringer aus mir machen, aber das verfing bei mir nicht, ich hatte ja bereits andere Pläne.

Bei uns im Studio herrschte ein buntes Treiben wie bei den Vereinten Nationen, was mich mit Stolz erfüllte, weil ich bei allem, was ich tat, international dachte. Wenn amerikanische und britische Bodybuilder nach München kamen, schauten sie bei uns vorbei, und auch bei den in der Nähe stationierten amerikanischen GIs sprach sich bald herum, dass man im Universum Sportstudio gut trainieren konnte.

Unser breites Kundenspektrum war ein wichtiges Verkaufsargument. Wenn jemand zu mir sagte: »Ich war drüben bei Smolana. Dort gibt es viel mehr Geräte«, antwortete ich: »Dort gibt es einen Raum mehr, da haben Sie recht. Aber trotzdem wollen viele lieber hier trainieren. Wenn ein amerikanischer Bodybuilder aus Übersee nach München kommt, trainiert er hier. Wenn die US-Soldaten einen Trainingsraum suchen, kommen sie hierher. Wenn die Profiringer in der Stadt sind, trainieren sie hier. Wir haben sogar Frauen, die gern bei uns mitmachen wollen!« Ich machte daraus ein richtiges Programm.

Mein Erfolg in London lieferte mir die Bestätigung, dass ich auf dem richtigen Weg war. Meine Ziele waren nicht unerreichbar. Jeder Sieg in einem Wettkampf bestärkte mich in meiner Überzeugung. Nach der Teilnahme am Mister-Universum-Wettbewerb gewann ich mehrere Titel, darunter den des Mister Europa. Noch wichtiger für meinen lokalen Ruf war jedoch der Sieg beim Steinheben im Löwenbräukeller. Ich hob den legendären 508 Pfund schweren Stein höher als jeder andere damals.

Bei der nächsten Mister-Universum-Ausscheidung galt ich als Favorit. Aber das genügte mir nicht. Ich wollte den Wettkampf dominieren. Wenn ich bereits das letzte Mal mit meiner Größe und Kraft beeindruckt hatte, wollte ich dieses Mal noch stärker und muskulöser sein und meine Konkurrenten regelrecht deklassieren.

Also richtete ich meine ganze Energie und Aufmerksamkeit auf einen Trainingsplan, den ich zusammen mit Wag Bennett ausgearbeitet hatte. Monatelang gab ich den Großteil meines Gehalts für hochwertige Lebensmittel, Vitamine und Proteintabletten aus, die den Muskelaufbau fördern sollten. Als Getränk wählte ich ein Gebräu, das wie das albtraumhafte Gegenteil von Bier aussah – reine Bierhefe, verquirlt mit Milch und rohen Eiern. Das roch und schmeckte so widerlich, dass Albert schon nach einer kleinen Kostprobe würgen musste. Aber ich war von seiner Wirkung überzeugt, und vielleicht war es ja auch so.

Ich las alles, was ich über Trainingsmethoden in der DDR und der Sowjetunion finden konnte. Die Gerüchte mehrten sich, dass die Gewichtheber, Kugelstoßer und Schwimmer dort leistungssteigernde Mittel nahmen. Sobald ich herausfand, dass es sich dabei um Steroide handelte, ging ich zum Arzt, um sie ebenfalls auszuprobieren. Damals waren Steroide noch nicht verboten, man bekam sie auf Rezept, doch ihr Einsatz war bereits umstritten. Bodybuilder redeten über Steroide nicht so offen wie über Trainingsmethoden und Nahrungsergänzungsmittel, und man war sich auch nicht sicher, ob die Bodybuilding-Zeitschriften darüber berichten und die Leser aufklären oder den Trend ignorieren sollten.

Mir genügte das Wissen, dass die internationalen Top-Athleten Steroide nahmen. Die Bestätigung holte ich mir, indem ich in London nachfragte. Ich wollte nicht im Nachteil sein, wenn ich zum Wettkampf antrat. »Nichts unversucht lassen«, lautete mein Motto. Es gab auch keine Hinweise auf mögliche Risiken. Die Forschung über die Nebenwirkungen von Steroiden steckte noch in den Anfängen. Doch selbst wenn sie bekannt gewesen wären, hätte mich das vermutlich nicht abgeschreckt. Ski-Abfahrtsläufer und Formel-1-Rennfahrer wissen, dass sie tödlich verunglücken können, aber sie betreiben trotzdem ihren Sport. Wer viel riskiert und trotzdem nicht umkommt, geht als Erster durchs Ziel. Außerdem war ich zwanzig Jahre alt und hielt mich quasi für unsterblich.

Für die Steroide musste ich nur zu einem Allgemeinarzt gehen. »Ich habe gehört, dass Steroide den Muskelaufbau fördern«, sagte ich.

»Angeblich, ja, aber ich würde das nicht überbewerten«, antwortete der Arzt. »Sie sind eigentlich für Patienten in der Rehabilitation nach einer Operation gedacht.«

»Könnte ich sie ausprobieren?«, fragte ich. Er war einverstanden und verschrieb mir Spritzen, die ich alle zwei Wochen injizieren musste, und Tabletten für die Zeit dazwischen. Er sagte: »Nehmen Sie das alles drei Monate lang und hören Sie gleich nach dem Wettkampf damit wieder auf.«

Durch die Steroide hatte ich größeren Hunger und Durst und legte deutlich an Masse zu, allerdings handelte es sich dabei hauptsächlich um Wasser, was natürlich alles andere als ideal war, weil meine Muskeln weniger definiert wirkten. Ich lernte, dass man die Steroide in den letzten sechs bis acht Wochen vor einem wichtigen Wettkampf nimmt. Sie konnten einem Sportler zum Sieg verhelfen, aber der Vorteil war ungefähr so erheblich wie eine schöne Sonnenbräune.

Später, als ich mich bereits aus dem aktiven Bodybuilding zurückgezogen hatte, wurden Dopingmittel zu einem richtigen Problem für den Sport. Verglichen mit uns nahmen die Bodybuilder Steroide in der zwanzigfachen Dosierung, und als sich dann auch noch Wachstumshormone in der Szene verbreiteten, geriet die Sache vollends außer Kontrolle. Es gab sogar Todesfälle. Seitdem setze ich mich dafür ein, Dopingmittel aus dem Sport zu verbannen.

Insgesamt bewirkten meine verbesserten Trainingsmethoden, dass ich, als ich im September 1967 erneut ein Flugzeug nach London bestieg, weitere 4,5 Kilo an Muskelmasse zugelegt hatte.

Mein zweiter Wettkampf um den Titel des Mister Universum lief genau so, wie ich es mir erträumt hatte. Ich trat gegen Bodybuilder aus Südafrika, Indien, England, Jamaika, Schottland, Trinidad, Mexiko, den USA und anderen Ländern an. Zum ersten Mal hörte ich, wie Fans im Chor »Arnold! Arnold!« riefen. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Als ich auf dem Siegerpodest stand und meinen Preis in Händen hielt, fand ich sogar noch die richtigen Worte auf Englisch, um meiner Freude Ausdruck zu verleihen: »Heute wird ein Lebenstraum wahr. Ich bin sehr glücklich, Mister Universum zu sein. Ich sage es noch einmal, weil es sich so gut anhört. Ich bin sehr glücklich, Mister Universum zu sein. Vielen Dank an alle in England, die mir dabei geholfen haben. Sie waren alle sehr gut zu mir. Vielen Dank an alle.«

Der Titel des Mister Universum veränderte mein Leben auf eine Weise, die noch meine wildesten Teenager-Träume übertraf. An warmen Tagen quetschten wir Bodybuilder uns in alte Autos, fuhren aufs Land und führten uns auf wie eine Horde Wilder. Wir grillten, tranken Wein und amüsierten uns mit Mädchen. Abends war ich mit einer internationalen Truppe unterwegs, Bar-Besitzern, Musikern, Bar-Mädchen – eine meiner Freundinnen war Stripteasetänzerin, eine andere war Zigeunerin. Aber ich führte nur dann ein wildes Leben, wenn ich es mir leisten konnte. Wenn es Zeit fürs Training war, war ich immer zur Stelle.

Reg Park hatte mir versprochen, dass er mich nach Südafrika einladen würde, wenn ich Mister Universum werden würde. Gleich am Morgen nach dem Wettkampf schickte ich ihm ein Telegramm: »Ich habe gewonnen. Wann soll ich kommen?« Reg hielt Wort. Er schickte mir das Ticket, und so flog ich im Dezember für drei Wochen nach Südafrika und besuchte ihn, seine Frau Mareon und ihre Kinder Jon Jon und Jeunesse in Johannesburg. Mit ihm bereiste ich ganz Südafrika. Zusammen traten wir bei Veranstaltungen auf, unter anderem auch in Pretoria und Kapstadt.

Bis dahin hatte ich nur eine sehr ungenaue Vorstellung davon, was es hieß, Erfolg als Bodybuilder, Schauspieler und Geschäftsmann zu haben. Regs glückliches Familienleben und sein Wohlstand wirkten auf mich mindestens ebenso beflügelnd wie damals, als ich ihn als Herkules auf der Leinwand gesehen hatte. Reg stammte aus einer Arbeiterfamilie in Leeds und war bereits ein Bodybuilding-Star in Amerika, als er in den fünfziger Jahren Mareon in Südafrika kennenlernte und sich in sie verliebte. Er nahm sie mit nach England und heiratete sie. Aber Mareon konnte sich mit Leeds nicht recht anfreunden, daher zogen die beiden nach Südafrika, wo er nun anstatt in England seine Kette mit Fitnessstudios eröffnete. Das Geschäft hatte sich sehr gut entwickelt. Die Familie lebte in einem Haus, das er Mount Olympus nannte, mit Blick über die Stadt. Die Räume waren großzügig und schön, gemütlich eingerichtet, mit Gemälden an den Wänden. Ich liebte zwar mein Leben in München, das harte Training, den Spaß, die Schlägereien und Mädchengeschichten, aber der Besuch bei den Parks erinnerte mich daran, dass ich mir höhere Ziele stecken musste.

Reg weckte mich jeden Morgen um 5 Uhr, und um 5.30 Uhr waren wir in seinem Fitnessstudio in der Kirk Street 42 und trainierten. Sonst schlief ich um die Zeit noch, doch nun lernte ich die Vorteile des frühen Trainings kennen, bevor der Tag richtig begonnen hat und man noch keine anderen Aufgaben und Pflichten hat und niemand etwas von einem will. Von Reg lernte ich auch eine wichtige Lektion über psychische Grenzen. Ich hatte mich beim Wadenheben auf 300 Pfund (135 Kilo) hochgearbeitet, was mehr war, als jeder andere Bodybuilder schaffte, den ich kannte. Ich dachte, das wäre so in etwa die Grenze des Menschenmöglichen. Deshalb staunte ich nicht schlecht, als Reg beim Wadenheben 1000 Pfund (450 Kilo) bewältigte. »Die Psyche bestimmt die Grenze«, sagte er. »Überleg mal. 300 Pfund sind weniger als beim Gehen. Du wiegst 250 Pfund, das heißt, dass du mit jeder Wade 250 Pfund bewegst, wenn du einen Schritt machst. Um wirklich zu trainieren, musst du darüber hinausgehen.« Und er hatte recht. Die von mir angenommene Grenze war rein psychischer Natur. Nachdem ich gesehen hatte, dass jemand 1000 Pfund schaffte, erreichte ich beim Training enorme Steigerungen.

Das zeigt die Macht des Geistes über den Körper. Im Gewichtheben existierte beim Stoßen jahrelang die magische Grenze von 225 Kilo – ähnlich wie die 10 Sekunden beim 100-Meter-Lauf. Doch sobald der große sowjetische Gewichtheber Wassili Iwanowitsch Alexejew 1970 mit 227,5 Kilo einen neuen Weltrekord aufstellte, schafften noch im selben Jahr drei weitere Gewichtheber immerhin 226 Kilo.

Bei Franco war es genauso. Eines Nachmittags machten wir im Gold’s Gym in Venice Beach Kniebeugen mit der Langhantel. Ich schaffte sechs Wiederholungen mit 225 Kilo. Obwohl Franco in der Disziplin eigentlich stärker war, machte er nur vier Wiederholungen und legte dann die Hantel weg. »Ich bin so müde«, erklärte er. In dem Moment kamen ein paar Mädchen vom Strand ins Studio. Ich ging zu ihnen und begrüßte sie, dann ging ich zurück zu Franco und sagte: »Sie glauben nicht, dass du 225 Kilo schaffst.« Ich wusste, wie gern er sich in Szene setzte, vor allem vor Mädchen. Natürlich verkündete er sofort: »Na, dann seht mal her.« Er nahm die Hantel mit 225 Kilo und machte zehn Wiederholungen. Es sah ganz einfach aus. Dabei war sein Körper eben noch zu müde gewesen. Seine Oberschenkel schrien wahrscheinlich: »He, was soll das?« Und was hatte sich geändert? Die Einstellung. Sport ist so körperbetont, dass man leicht die Macht des Geistes übersieht, aber ich habe sie immer wieder kennengelernt.

Als ich wieder in München war, stellte sich die Frage, wie man meinen Titel als Mister Universum nutzen könnte, um mehr Kunden fürs Fitnessstudio zu gewinnen. Bodybuilding war immer noch eine Randsportart und galt als sonderbar. Außerhalb der Szene wurde mein Sieg gar nicht wahrgenommen. In München war ich eher als derjenige bekannt, der den Stein im Löwenbräukeller »gelupft« hatte.

Aber Albert hatte eine Idee. Wenn wir bei den Zeitungen angefragt hätten, ob sie einen Artikel über meinen Titelgewinn bringen würden, hätten sie uns für verrückt erklärt. Also überredete mich Albert, an einem eiskalten Tag in meiner kurzen Trikothose durch München zu laufen. Dann rief er bei ein paar befreundeten Redakteuren an und fragte: »Erinnerst du dich an Schwarzenegger, der im Löwenbräukeller das Steinheben gewonnen hat? Ja, inzwischen ist er Mister Universum und steht im kurzen Höschen am Stachus.« Einige Redakteure hielten das für komisch und schickten Fotografen. Ich führte sie durch die ganze Stadt – vom Viktualienmarkt bis zum Hauptbahnhof, wo ich mir einen Spaß daraus machte, alte Damen anzusprechen und sie davon zu überzeugen, dass ich kein Ungeheuer, sondern ein netter und freundlicher Kerl war. Politiker machen das die ganze Zeit, aber für einen Bodybuilder war eine solche Aktion sehr ungewöhnlich. Obwohl es verdammt kalt war, hatte ich meinen Spaß. Am nächsten Morgen war in der Zeitung ein Bild zu sehen, wie ich in meinen kurzen Hosen auf einer Baustelle stand, wo mich die in der Kälte dicht beieinanderstehenden Bauarbeiter staunend betrachteten.

Nach allen möglichen Anstrengungen und Aktionen konnten wir die Zahl der Mitglieder schließlich innerhalb eines Jahres verdoppeln. Wir hatten stolze dreihundert Kunden – in einer Stadt mit über einer Million Einwohner. Albert nannte Bodybuilding die Subkultur einer Subkultur. Immer wieder diskutierten wir darüber, warum der Sport nicht bekannter war. Wir dachten, es müsse an der Mentalität der Bodybuilder liegen. Es waren Einsiedler, die sich unter einem Panzer von Muskeln verstecken. Sie machten alles heimlich und trainierten in unterirdischen Verliesen und kamen nur heraus, wenn ihnen ihre Muskeln ein Gefühl von Sicherheit gaben. In der Geschichte hatte es berühmte Kraftsportler gegeben, etwa den aus Ostpreußen stammenden Eugen Sandow, der als der Vater des modernen Bodybuilding gilt, oder Alois Swoboda – doch das war um die Jahrhundertwende gewesen, und seitdem war niemand nachgerückt. Keiner der heutigen Bodybuilder hatte ausreichende Entertainer-Qualitäten, um unseren Sport wirklich populär zu machen.

Die Wettkämpfe, die in München stattfanden, lieferten dafür die traurige Bestätigung. Sie fanden nicht in Bierlokalen statt wie früher zu Zeiten der Kraftakrobaten, sondern in den Studios, wo es nur nackte Wände und einen kahlen Raum gab, in dem ein paar Stühle für die Zuschauer standen, oder in Festhallen auf einer kahlen Bühne. Für ein bisschen mehr Atmosphäre hätte man wenigstens ein paar Vorhänge und Fahnen gebraucht, außerdem eine gute Kapelle und einen fähigen Moderator. Aber das gab es in München nicht – ausgerechnet hier, in einer Stadt voller Menschen, Leben und Unterhaltung.

Albert und ich hatten die Idee, die Bodybuilding-Wettkämpfe wieder in Bierlokalen zu veranstalten, wo das Publikum bereits vorhanden war, wie in früheren Zeiten. Wir trieben ein bisschen Geld auf und erwarben die Veranstaltungsrechte für die Ausscheidung um den Titel des Mister Europa 1968. Dann wandten wir uns an den Inhaber eines Lokals, das uns gefiel, und fragten: »Wie wäre es, wenn hier Bodybuilder auftreten würden?« Wir einigten uns darauf, dass wir den vorderen Teil des Lokals direkt an der Bühne mieten und dort Sitzreihen für zahlende Zuschauer aufstellen würden, während im hinteren Teil die üblichen langen Tische stehen würden, wo die Gäste wie üblich sitzen durften, ohne Eintritt zu bezahlen.

Der Wettkampf sollte ein Spektakel werden. Die überzeugten Anhänger zahlten Eintritt und saßen vorn, die anderen Gäste konnten Bier trinken, Spaß haben und vielleicht Interesse am Sport finden. Aufgrund des ungewöhnlichen Orts sprach sich die Veranstaltung viel besser herum, und es kamen über tausend Zuschauer, während es im Vorjahr nur ein paar hundert gewesen waren. Natürlich luden wir auch die Presse ein und sorgten dafür, dass den Journalisten erklärt wurde, was sie zu sehen bekamen, damit sie vernünftige Artikel schrieben.

Die Veranstaltung hätte auch ein Misserfolg werden können. Wir hätten zu wenig Karten verkaufen können, oder jemand hätte eine Schlägerei vom Zaun brechen können, wäre womöglich auf die Bühne gesprungen und hätte Mister Europa einen Bierkrug über den Schädel gezogen. Doch stattdessen drängten sich begeisterte Zuschauer vor der Bühne, jubelten und sorgten für Stimmung, während die Gäste weiter hinten fröhlich tranken und anstießen. Damit setzten wir für die deutschen Bodybuilding-Wettkämpfe ganz neue Maßstäbe.

Der Wettkampf um den Titel des Mister Europa hinterließ vor allem bei den Bodybuildern aus Osteuropa einen starken Eindruck, weil zur gleichen Zeit sowjetische Truppen in der Tschechoslowakei einmarschierten. Nur wenige Tage vor dem Wettkampf machten die sowjetischen Panzer den Reformen des Prager Frühlings ein Ende. Als die Nachricht bekannt wurde, nahmen wir Kontakt zu Bodybuildern aus der Tschechoslowakei auf und holten viele mit dem Auto an der tschechischen Grenze ab. Die Tschechoslowaken waren in diesem Jahr außergewöhnlich zahlreich vertreten, weil sie die Veranstaltung als Vorwand für ihre Flucht benutzten. Von München reisten dann viele weiter in die USA oder nach Kanada.

Ich fragte mich, wann ich wohl endlich in die USA kommen würde. Ein Teil von mir beschäftigte sich stets mit dieser Frage. Als ich beispielsweise während meiner Militärzeit hörte, dass das Bundesheer Panzerfahrer zur Fortbildung in die USA schickte, überlegte ich, dass ich vielleicht doch länger beim Militär bleiben sollte, aber natürlich hätte ich nach dem Training zurück nach Österreich gehen und mich für viele weitere Jahre beim Militär verpflichten müssen.

Also blieb ich bei meinem ursprünglichen Plan: Eines Tages würde ich einen Brief oder ein Telegramm bekommen und in die USA eingeladen werden. Es lag an mir, gute Leistungen zu zeigen und etwas Außergewöhnliches zu schaffen, denn wenn Reg Park eingeladen worden war, weil er etwas Außergewöhnliches geschafft hatte, musste es bei mir doch auch funktionieren. Meine Fortschritte maß ich an seiner Leistung und der von Steve Reeves. Wie Reg hatte ich sehr früh angefangen – er mit siebzehn Jahren, kurz bevor er zum Militär ging, und ich mit fünfzehn. Er war mit dreiundzwanzig Jahren Mister Universum geworden, ich mit zwanzig. Mein früher Erfolg hatte in der Bodybuilding-Szene für Furore gesorgt, denn ich hatte damit Steves Rekord eingestellt, der den Titel mit vierundzwanzig Jahren gewonnen hatte.

Als ich anfing, mich fürs Bodybuilding zu begeistern, hatte ich mir ausgemalt, dass ich nur den Titel des Mister Universum in London gewinnen müsste, und schon wären mir Ruhm und Unsterblichkeit sicher. Doch in Wirklichkeit war die Wettkampfszene viel komplexer. Wie beim Boxen gab es beim Bodybuilding zahlreiche Verbände, die miteinander um die Vormachtstellung konkurrierten. Es gab mehrere Meisterschaften, bei denen die Elite der Bodybuilder antrat – den Mister-Universum-Wettbewerb in England, den Mister-World-Wettbewerb, der jedes Jahr in einem anderen Land ausgetragen wurde, den Mister-Universum-Titel in den USA und die Vergabe des Mister Olympia, ein neuer Titel, mit dem der beste Bodybuilder bei den Profis gekürt werden sollte. Die Fans mussten mittlerweile Wertungslisten anlegen, um nicht den Überblick zu verlieren. Für mich war entscheidend, dass die besten Bodybuilder nicht alle bei einem bestimmten Wettkampf gegeneinander antraten. Einige der besten Amerikaner verzichteten beispielsweise auf die Mister-Universum-Ausscheidung in London und traten nur bei der amerikanischen Variante an. Damit blieb einem Bodybuilder nur, bei möglichst vielen Wettkämpfen der einzelnen Verbände anzutreten und Titel zu sammeln, um als unumstrittener Champion zu gelten. Erst wenn er alle anderen Rivalen herausgefordert und besiegt hatte, würde man ihn allgemein als den Besten akzeptieren. Reg Park hatte seinerzeit allein schon dadurch dominiert, dass er in vierzehn Jahren dreimal den Titel des Mister Universum errungen hatte. Bill Pearl, der bekannte kalifornische Bodybuilder, war etwas später dreimal Mister Universum geworden und außerdem noch Mister America und Mister USA. Steve Reeves war Mister America, Mister Universum und Mister World gewesen. Ich wollte ihre Rekorde nicht nur wiederholen, sondern weit in den Schatten stellen. Wenn jemand dreimal Mister Universum geworden war, wollte ich mindestens sechsmal den Titel holen. Ich war jung genug und fühlte mich durchaus in der Lage dazu.

Davon träumte ich also, während ich für den Mister-Universum-Wettkampf 1968 in London trainierte. Um nach Amerika zu kommen, musste ich zuvor die europäische Bodybuilding-Szene dominieren. Der Titelgewinn bei den Amateuren im Jahr zuvor war ein großartiger Start. Damit war ich automatisch bei den Profis gelandet, wo ganz neue Konkurrenten auf mich warteten. Ich musste noch einmal von vorn anfangen und mich noch entschlossener vorbereiten als auf den Amateurtitel. Dann wäre ich zweimaliger Mister Universum und wirklich auf einem guten Weg.

Ich stellte sicher, dass ich durch nichts gestört wurde. Weder durch irgendwelche Freizeitaktivitäten noch durch meine Arbeit oder Reisen, Mädchen oder die Organisation des Mister-Europa-Wettbewerbs. Natürlich nahm ich mir auch dafür Zeit, aber an sechs Tagen in der Woche trainierte ich eisern vier bis fünf Stunden täglich.

Ich setzte zwar die Ratschläge von Wag Bennett und Reg Park um, doch mein Schwerpunkt beim Training blieb unverändert. Ich befand mich immer noch in der Aufbauphase und wollte meine natürliche Veranlagung nutzen – einen Körper, der mehr Masse verkraftete als all meine Konkurrenten. Ich wollte im Victoria Palace Theatre noch muskulöser und stärker als im Vorjahr antreten und meine Rivalen einfach umhauen. Bei einer Körpergröße von 1,88 Metern und einem Gewicht von 113,4 Kilo war ich eine imposantere Erscheinung als je zuvor.

Doch der Tag vor dem Wettkampf begann nicht gut. Auf dem Weg zum Flughafen schaute ich im Studio vorbei, wo mir Putziger mein übliches Gehalt auszahlen sollte, das ich fest für London eingeplant hatte. Stattdessen hielt er mir ein Blatt Papier und einen Stift hin. »Wenn du das unterschreibst, bekommst du dein Geld«, sagte er. Es war ein Vertrag, in dem er als mein Agent aufgeführt und ihm ein Anteil an all meinen zukünftigen Einnahmen zugesprochen wurde. Ich war geschockt, aber geistesgegenwärtig genug, um abzulehnen. Doch als ich das Studio verließ, hatte ich das Gefühl, mir wäre der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Ich hatte nur noch das Geld, das ich in der Tasche hatte, und wusste auch nicht, ob ich noch weiter für ihn arbeiten würde. Albert lieh mir 500 Mark, damit ich nach London konnte. Zum Glück endete die Reise deutlich besser, als sie begonnen hatte. Am nächsten Tag gewann ich den Titel des Mister Universum zum zweiten Mal. In den Bodybuilding-Magazinen waren Fotos von mir zu sehen, auf denen ich ein Mädchen im Bikini hochhob, während ich am rechten Arm meine Muskeln präsentierte. Aber noch viel besser war das Telegramm, das im Hotel auf mich wartete. Es kam von Joe Weider, dem unumstrittenen Königsmacher der Bodybuilding-Szene.

»Glückwunsch zum Sieg«, stand da. »Sie sind der neue junge Star. Sie werden der größte Bodybuilder aller Zeiten sein.« Außerdem lud er mich für das nächste Wochenende nach Amerika ein, um beim Wettbewerb um den Mister-Universum-Titel seines Verbands in Miami anzutreten. »Wir übernehmen alle Kosten«, hieß es im Telegramm. »Colonel Schuster nennt Ihnen weitere Details.«

Ich war begeistert. Joe Weider war der mächtigste Manager im amerikanischen Bodybuilding, und das bedeutete, dass er der mächtigste Manager im Bodybuilding weltweit war. Er hatte sich mit Bodybuilding-Veranstaltungen, Zeitschriften, Geräten und Nahrungsergänzungsmitteln ein internationales Imperium aufgebaut. Nun war ich meinem Traum ein gutes Stück näher gekommen – nicht nur der Champion zu werden, sondern auch nach Amerika zu kommen. Ich konnte es kaum erwarten, meine Eltern anzurufen und ihnen alles zu erzählen. Ich war auf einem guten Weg. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Womöglich würde ich gleich noch meinen dritten Mister-Universum-Titel holen! Mit gerade einmal einundzwanzig Jahren wäre das fantastisch. Ich war in Wettkampfform, ich war noch voller Schwung vom letzten Sieg, ich würde Miami im Sturm erobern.

Colonel Schuster war ein mittelgroßer Mann im Anzug, der noch am selben Tag bei mir im Hotel vorbeikam. Er war ein echter Colonel bei der Nationalgarde und verdiente seinen Lebensunterhalt als Handelsvertreter von Weiders Produkten. Er brachte mir ein Flugticket, aber wir hatten noch nicht lange über die Reise gesprochen, als ihm auffiel, dass ich kein Visum hatte.

Also zog ich für ein paar Tage zu Schuster, während der Colonel bei der amerikanischen Botschaft seine Verbindungen spielen ließ. Der Papierkram nahm eine ganze Woche in Anspruch. Ich nutzte die Zeit so gut wie möglich, hatte aber weder die richtigen Lebensmittel noch ein ordentliches Studio, wo ich fünf Stunden am Tag trainieren konnte. Stattdessen ging ich in Weiders Lager und arbeitete dort mit den Lang- und Kurzhanteln. Aber ich war nicht so recht bei der Sache.

Doch sobald ich ins Flugzeug stieg, fiel der ganze Frust von mir ab. In New York mussten wir zwischenlanden, und beim An- und Abflug sah ich zum ersten Mal die Wolkenkratzer, den Hafen und die Freiheitsstatue. Was mich in Miami erwartete, wusste ich nicht so recht. Bei meiner Ankunft regnete es. Dennoch war ich beeindruckt. Nicht nur von den Gebäuden und Palmen, sondern auch von der Hitze im Oktober und der ganzen Stimmung. Alle schienen gut gelaunt. Mir gefielen die Touristenkneipen mit der lateinamerikanischen Musik. Die Mischung aus Latinos, Schwarzen und Weißen war faszinierend. Auch wenn ich in Bodybuilder-Kreisen schon mit vielen Nationen zusammengekommen war, eine solche Völkervielfalt hatte ich zuvor noch nicht erlebt.

Joe Weider hatte den amerikanischen Wettbewerb um den Titel des Mister Universum zehn Jahre zuvor ins Leben gerufen, um das Bodybuilding in den USA populärer zu machen. Nun wurde die Veranstaltung zum ersten Mal in Florida ausgetragen, im Miami Beach Auditorium, einer großen modernen Halle mit 2700 Sitzplätzen, wo sonst die populäre Jackie Gleason Show aufgezeichnet wurde. Ich hatte die Veranstaltungen, die dem eigentlichen Wettkampf vorausgingen, verpasst – die Interviews, Cocktailpartys, Film- und Fernsehaufnahmen und die Werbeaktionen –, dennoch erschien mir alles sehr groß und amerikanisch. Überall sah man Bodybuilder-Legenden, etwa Dave Draper und Chuck Sipes, die beide Mister America und Mister Universum gewesen waren.

Zum ersten Mal begegnete ich auch dem absoluten Bodybuilding-Champion weltweit, Sergio Oliva. Sergio war Kubaner und der erste Nichtweiße, der Mister America, Mister World, Mister International, Mister Universum und Mister Olympia geworden war. Noch in der Vorwoche hatte er zum zweiten Mal in Folge den Titel des Mister Olympia geholt. Obwohl ich noch nicht in seiner Liga spielte, wusste er, dass wir bald gegeneinander antreten würden, und sagte einem Reporter über mich: »Er ist sehr gut. Das nächste Jahr wird hart. Aber das ist okay für mich. Ich trete nicht gern gegen Kinder an.« Als ich das hörte, dachte ich: »Aha, die Psychospielchen haben also schon begonnen.«

Beim Wettbewerb traten zwei Dutzend Bodybuilder an, unterteilt in zwei Gruppen: groß und klein. Bei den Pflichtposen am Vor- und Nachmittag schlug ich die anderen »Großen« in meiner Gruppe locker. Aber der Beste bei den »Kleinen« war Mister America, Frank Zane, und er war ausgerechnet in Bestform. In der Vorwoche hatte er in New York den Titel des Mister America gewonnen. Ich war so groß, gut proportioniert und stark wie in London. Ich verfügte über dieselbe beeindruckende Muskelmasse. Aber nach einer Woche Däumchendrehen war ich ein bisschen schwerer, als ideal gewesen wäre, was bedeutete, dass mein Körper beim Posing etwas glatt und weniger scharf definiert wirkte. Schlimmer noch, Zanes Körper war nicht nur perfekt proportioniert, muskulös und hart, sondern auch noch dunkel gebräunt, während ich so weiß wie ein Fußball war.

Vor dem abendlichen Finale lag er nach Punkten vorn.

Abends vor Zuschauern hatte ich das Gefühl, dass sich mein Aussehen um hundert Prozent verbessert hätte, weil die überflüssigen Pfunde nach dem stundenlangen Muskelanspannen und Posieren in der Wärme der Scheinwerfer weggeschmolzen waren. Die Entscheidung zwischen Frank Zane und mir war so knapp, dass wir bei der letzten Wertung der Richter die gleiche Punktzahl bekamen. Aber Frank hatte aus den vorherigen Wertungen mehr Punkte, also war er der Sieger, nicht ich. Ich stand auf der Bühne und bemühte mich, nicht allzu verblüfft darüber zu wirken, dass ein Kerl gewonnen hatte, der zwölf Zentimeter kleiner und zwölf Kilo leichter war.

Für mich war das ein harter Schlag. Endlich war ich in Amerika, wie ich es mir immer erträumt hatte, und dann verlor ich den Mister-Universum-Wettkampf in Miami. Gegen einen leichteren und kleineren Gegner. Ich hatte mich schon als Sieger gesehen, weil Frank in meinen Augen einfach nicht groß genug war, um gegen mich zu gewinnen. Mir fehlte es zwar an Definition, aber er war, verglichen mit mir, ein dürrer Hänfling.

In der Nacht überkam mich die nackte Verzweiflung. Meine gute Laune lässt mich fast nie im Stich, aber jetzt war ich am Boden zerstört. Ich war in einem fremden Land, meine Familie und Freunde waren weit weg, ich war umgeben von Fremden, deren Sprache ich nicht verstand. Wie war ich überhaupt hierhergekommen? Ich kam mir hilflos vor. Alles, was ich besaß, befand sich in einer kleinen Sporttasche, den Rest hatte ich zurückgelassen. Wahrscheinlich hatte ich auch keinen Job mehr. Ich hatte kein Geld und wusste nicht, wie ich nach Hause kommen sollte.

Aber am schlimmsten war, dass ich den Wettkampf verloren hatte. Der große Joe Weider hatte mich über den Atlantik geholt und mir diese Chance gegeben, aber anstatt sie zu nutzen, hatte ich mich blamiert und keine gute Leistung gebracht. Ich teilte mir das Hotelzimmer mit Roy Callender, einem schwarzem Bodybuilder aus England, der ebenfalls am Wettkampf in London teilgenommen hatte. Er war sehr nett und versuchte, mir über meine Niederlage hinwegzuhelfen. Roy war viel reifer als ich und redete über Dinge, die ich nicht richtig verstand. Er sprach über Gefühle. »Ja, das ist hart, nach einem so großen Sieg wie in London zu verlieren«, sagte er. »Aber denk dran, nächstes Jahr wirst du gewinnen, und dann wird sich niemand mehr an deine Niederlage erinnern.«

Zum ersten Mal war ein Mann so fürsorglich zu mir. Ich wusste, dass Frauen fürsorglich sind – meine Mutter war fürsorglich, andere Frauen auch. Aber dass ein anderer Mann mir sein echtes Mitgefühl zeigte, war geradezu überwältigend für mich. Bis dahin hatte ich gedacht, dass nur Mädchen weinen, aber in der Nacht weinte ich stundenlang im Dunkeln. Es tat mir gut. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich deutlich besser. Die Sonne schien ins Zimmer, und das Telefon neben meinem Bett klingelte.

»Arnold!«, sagte eine Reibeisenstimme. »Hier spricht Joe Weider. Ich bin draußen am Pool. Wie wäre es, wenn Sie runterkommen und mit mir frühstücken würden? Ich würde gern ein Interview für meine Zeitschrift mit Ihnen machen. Eine Titelgeschichte über Sie, wie Sie genau trainieren und so weiter …«

Als ich nach unten kam, saß Joe Weider bereits neben dem Pool in Badehose an einem Tisch, samt Schreibmaschine. Ich konnte es kaum fassen. Ich war mit seinen Magazinen aufgewachsen. Weider hatte sich darin immer als Trainer der Champions dargestellt, der alle Trainingsmethoden erfunden und das Bodybuilding erst ermöglicht hatte. Alle Großen des Sports waren seine Geschöpfe. Ich verehrte ihn, und jetzt saß ich mit ihm in Miami am Pool. Plötzlich fühlte ich mich wieder wichtig.

Joe war Mitte vierzig, glatt rasiert mit Koteletten und dunklem Haar. Er war nicht sonderlich groß, aber kräftig. Aus den Zeitschriften wusste ich, dass er jeden Tag trainierte. Seine Stimme war unverkennbar – rau und laut, außerdem sprach er die Vokale ganz anders aus, das fiel selbst mir auf. Später erfuhr ich, dass er Kanadier war.

Er wollte alles über meine Trainingsmethoden wissen. Wir redeten stundenlang. Obwohl das Gespräch aufgrund meiner geringen Englischkenntnisse etwas mühsam war, hatte er den Eindruck, dass ich interessantere Geschichten zu bieten hatte als die meisten anderen Bodybuilder. Ich erzählte ihm von unserer »Gladiatorenzeit« und dem Training im Wald. Das gefiel ihm gut. Bei den Trainingstechniken, die ich entwickelt hatte, fragte er genau nach. Er wollte alles über die »Split-Methode« wissen, bei der man zwei- oder dreimal am Tag trainiert, und über die Tricks, die Franco und ich entwickelt hatten, um die Muskeln zu »schocken«. Ich selbst musste mich immer wieder kneifen und dachte: »Wenn das meine Freunde in München und Graz sehen könnten! Ich sitze hier mit Joe Weider zusammen, dem Herausgeber von Muscle & Fitness, Flex und Strength, und er fragt mich, wie ich trainiere.«

In der Zwischenzeit hatte er eine Entscheidung getroffen. »Gehen Sie nicht zurück nach Europa«, sagte er. »Sie müssen hierbleiben.« Er bot mir an, die Reise nach Kalifornien zu bezahlen, mir eine Wohnung und einen Wagen zu besorgen und ein ganzes Jahr lang für meinen Unterhalt aufzukommen, damit ich mich ausschließlich aufs Training konzentrieren konnte. Wenn es dann im Herbst wieder an die Wettkämpfe ging, hätte ich eine weitere Chance. Seine Magazine würden über mein Training berichten, und er würde Übersetzer engagieren, damit ich meine Programme und Ideen zu Papier bringen könnte.

Joe hatte jede Menge Vorschläge, was ich tun müsste, um an die Spitze zu gelangen. Er sagte mir, dass ich mich auf die falschen Dinge konzentriert hätte – selbst für einen großen Mann seien Kraft und Masse nicht genug. Ich müsste beim Training stärker auf die Definition der Muskeln achten, das sei das Wichtigste. Einige Körperpartien bei mir seien fantastisch, aber bei den Rücken-, Bauch- und Beinmuskeln liege noch einiges im Argen. Und an meinem Posing müsste ich auch noch arbeiten. Trainingspläne waren natürlich Joe Weiders Spezialität, er konnte es kaum erwarten, mich zu trainieren. »Sie werden der Größte sein«, versprach er mir. »Warten Sie’s ab.«

Am Nachmittag im Fitnessstudio dachte ich noch einmal über meine Niederlage gegen Frank Zane nach. Ich hörte auf, mich selbst zu bemitleiden, und ging hart mit mir ins Gericht. Ich war immer noch der Meinung, dass die Entscheidung der Kampfrichter ungerecht war, stellte aber fest, dass das nicht der eigentliche Auslöser für meine Niedergeschlagenheit war. Ich hatte versagt – nicht mein Körper –, aber ich hatte mich im Hinblick auf meine Verfassung und Energie gewaltig verschätzt. Als ich 1966 in London gegen Chet Yorton verloren hatte, war die Niederlage nicht schlimm, weil ich das Gefühl hatte, dass ich bei der Vorbereitung alles gegeben hatte. Meine Zeit war einfach noch nicht gekommen. Aber das hier war etwas anderes. Meine Muskeln waren nicht so klar definiert, wie sie hätten sein können. Ich hätte in der Woche vor dem Wettkampf Diät halten und nicht so viel Fish and Chips essen sollen. Ich hätte eine Möglichkeit finden können, mehr zu trainieren, auch wenn ich nicht die richtigen Geräte hatte – ich hätte tausend Wiederholungen beim Bauchmuskeltraining oder sonst etwas machen können, um besser vorbereitet zu sein. Ich hätte an meinen Posen arbeiten können – nichts hätte mich daran gehindert. Unabhängig vom Urteil der Kampfrichter musste ich zugeben, dass ich bei der Vorbereitung nicht alles gegeben hatte. Stattdessen hatte ich gedacht, der Sieg in London würde mir genügend Energie geben. Ich hatte gedacht, ich könnte ein bisschen entspannen, weil ich gerade den Titel des Mister Universum gewonnen hatte. Das war Unsinn.

Wenn ich nur daran dachte, wurde ich wütend. »Obwohl du in London bei den Profis Mister Universum geworden bist, bist du immer noch ein verdammter Amateur«, sagte ich mir. »Was hier passiert ist, hätte nie passieren dürfen. So etwas passiert nur einem Amateur. Arnold, du bist ein Amateur.«

In Amerika zu bleiben, überlegte ich, würde auch bedeuten, mich nicht länger wie ein Amateur zu verhalten. Hier würde meine Karriere erst so richtig beginnen. Vor mir lag viel Arbeit. Ich musste ein echter Profi werden. Nie wieder wollte ich einen Wettbewerb so bestreiten wie in Miami. Wenn ich Bodybuilder wie Sergio Oliva schlagen wollte, durfte mir so etwas nie wieder passieren. Wenn ich von nun an verlieren würde, konnte ich die Niederlage mit einem Lächeln abtun, weil ich wusste, dass ich alles gegeben hatte.