34
Dougals Geschichte
Die Zivilisation mochte ja ihre Schattenseiten haben, dachte ich grimmig, aber ihre Vorteile waren nicht zu leugnen. Man denke nur an das Telefon. Oder auch an Zeitungen, die es zwar in Großstädten wie Edinburgh oder auch Perth schon gab, die aber in der Wildnis des schottischen Hochlandes völlig unbekannt waren.
Ohne die Hilfe derartiger Kommunikationsmittel verbreiteten sich Nachrichten von einer Person zur nächsten mit Schrittgeschwindigkeit. Die Leute erfuhren zwar in der Regel, was sie wissen mußten, aber mit wochenlanger Verzögerung. Wollte ich herausfinden, wo Jamie steckte, konnte ich nur hoffen, daß irgend jemand, der ihm begegnet war, Lallybroch verständigen würde. Das konnte Wochen dauern. Und bald würde der Winter hereinbrechen, so daß es unmöglich wäre, nach Beauly zu reisen. So saß ich da, warf Stöcke ins Feuer und erwog die spärlichen Möglichkeiten.
Welchen Weg mochte Jamie nach seiner Flucht wohl eingeschlagen haben? Gewiß nicht zurück nach Lallybroch, und wahrscheinlich auch nicht nach Norden ins MacKenzie-Gebiet. Nach Süden ins Grenzland, wo er vielleicht wieder auf Hugh Munro und einige seiner ehemaligen Gefährten stoßen würde? Nein, höchstwahrscheinlich nach Nordosten, Richtung Beauly. Aber wenn ich darauf gekommen war, dann konnten das auch die Männer, die ihn gefangen hatten.
Murtagh kam mit einem Armvoll Holz zurück und warf es auf den Boden. Er setzte sich im Schneidersitz auf eine Ecke seines Plaids und wickelte sich den Rest um die Schultern. Er warf einen Blick zum Himmel, wo der Mond hinter Wolkenfetzen hervorleuchtete.
»Es wird nicht gleich schneien«, sagte er mit gerunzelter Stirn. »Erst in einer Woche, vielleicht in zwei. Vielleicht erreichen wir Beauly noch vorher.« Nett, daß er meine Schlußfolgerung bestätigte.
»Glaubst du, daß er dort sein wird?«
Er zuckte die Schultern und zog sich das Plaid enger um die Schultern.
»Kann man nicht wissen. Wird nicht leicht für ihn sein, vorwärts zu kommen; am Tag muß er sich verstecken und die Straßen meiden. Außerdem hat er kein Pferd.« Er kratzte sich nachdenklich die Bartstoppeln. »Wir können ihn nicht finden; am besten lassen wir uns von ihm finden.«
»Und wie? Sollen wir Leuchtkugeln hinaufschießen?« schlug ich sarkastisch vor. Auf eines konnte ich mich bei Murtagh verlassen; was für seltsame Dinge ich auch sagte, er würde so tun, als hätte er nichts gehört.
»Ich habe dir ein kleines Paket Arznei mitgebracht«, sagte er und deutete auf die Satteltasche am Boden. »Du hast in der Gegend von Lallybroch einen guten Ruf. In der näheren Umgebung wirst du als Heilerin bekannt sein.« Er nickte und murmelte noch: »Das wird uns weiterhelfen«, bevor er sich ohne weitere Erklärungen hinlegte und einschlief.
Bald erfuhr ich, was er gemeint hatte. Wir bewegten uns langsam und in aller Öffentlichkeit die Hauptstraßen entlang und hielten bei jeder Kate, jedem Weiler und jedem Dorf.
Wo immer wir Station machten, verschaffte Murtagh sich schnell einen Überblick über die Bewohner, griff die heraus, die an irgendeiner Krankheit oder Verletzung litten, und brachte sie zu mir. Da Ärzte in dieser unwirtlichen Gegend äußerst dünn gesät waren, gab es immer jemanden, der Hilfe brauchte.
Während ich mit meinen Wässerchen und Salben beschäftigt war, plauderte er mit den Freunden und Verwandten meiner Patienten und ließ jeden genau wissen, welchen Weg wir einzuschlagen gedachten. Wenn es einmal ausnahmsweise niemand zu behandeln gab, dann stiegen wir trotzdem über Nacht in einer Kate oder einem Wirtshaus ab. Dort unterhielt Murtagh unsere Gastgeber mit Gesang, um auf diese Weise unser Abendessen zu verdienen; er wollte keinen Pfennig von dem Geld ausgeben, das ich bei mir trug; vielleicht würden wir es brauchen, wenn wir Jamie fanden.
Da Murtagh sich aus Gesprächen nicht viel machte, brachte er mir, um uns die Zeit zu vertreiben, einige seiner Lieder bei, während wir von Ort zu Ort zogen.
»Du hast eine gute Stimme«, bemerkte er eines Tages nach einem einigermaßen erfolgreichen Versuch, mir das Lied »Die traurigen Täler von Yarrow« beizubringen. »Ungeübt, aber kräftig und echt. Du kannst es heute abend mit mir singen. In Limraigh gibt es eine kleine Schenke.«
»Glaubst du wirklich, daß uns das weiterhilft«, fragte ich, »was wir hier tun?«
Er rutschte im Sattel hin und her. Er war gewiß kein Reitersmann, sondern sah eher aus wie ein Affe, dem man das Reiten beigebracht hatte, aber dennoch hüpfte er am Ende des Tages frisch und behende aus dem Sattel, während ich kaum noch fähig war, meinem Pferd die Füße zusammenzubinden, bevor ich auf mein Lager fiel.
»Ich denke doch«, antwortete er schließlich. »Früher oder später. Jeden Tag hilfst du kranken Leuten, und das wird sich herumsprechen. Genau das wollen wir. Aber vielleicht könnten wir noch mehr erreichen. Deswegen singst du heute abend. Und vielleicht…« Er zögerte, als wäre er unsicher, wie ich seinen Vorschlag aufnehmen würde.
»Vielleicht was?«
»Verstehst du was vom Wahrsagen?« fragte er vorsichtig. Ich verstand seine Zurückhaltung; schließlich hatte er die wüste Raserei bei der Hexenjagd in Cranesmuir miterlebt.
Ich lächelte. »Ein wenig. Soll ich es probieren?«
»Aye. Je mehr wir zu bieten haben, um so mehr Volk wird kommen, um uns zu sehen. Und die werden es dann weitersagen. Und irgendwann wird der Junge von uns hören, und dann werden wir ihn finden. Bist du dabei?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Wenn es uns hilft, warum nicht?«
An diesem Abend gab ich in Limraigh mein Debüt als Sängerin und Wahrsagerin - mit nicht geringem Erfolg. Ich stellte fest, daß Mrs. Graham recht gehabt hatte - es waren die Gesichter, nicht die Hände, die einem die notwendigen Hinweise gaben.
Unser Ruhm begann sich zu verbreiten, und innerhalb von einer Woche kamen die Leute aus den Häusern gerannt, um uns zu begrüßen, und ließen Groschen und kleine Gaben auf uns herabregnen, wenn wir wieder wegritten.
»Wir könnten direkt etwas daraus machen«, sagte ich eines Abends, als ich die Einnahmen des Tages verstaute. »Schade, daß es kein Theater in der Nähe gibt - wir könnten eine Show daraus machen; Murtagh der Magier und Glamour-Gladys, seine Assistentin.«
Er quittierte diese Bemerkung mit der üblichen schweigsamen Gleichgültigkeit, aber es stimmte - wir hatten wirklich Erfolg. Vielleicht deswegen, weil wir dasselbe Ziel vor Augen hatten, auch wenn wir vom Wesen her grundverschieden waren.
Das Wetter wurde zunehmend schlechter, und wir kamen noch langsamer vorwärts. Und von Jamie keine Spur. Außerhalb von Belladrum trafen wir eines Abends, es regnete in Strömen, auf eine Gruppe waschechter Zigeuner.
Ich blinzelte ungläubig, als ich die kleine Ansammlung bunter Wohnwagen sah, die auf einer Lichtung bei der Straße stand. Es sah genauso aus wie das Lager, das Zigeuner alljährlich in Hampstead Down aufschlugen.
Auch die Leute waren genauso: dunkelhäutig, fröhlich, laut und offen. Eine Frau hörte uns kommen und steckte den Kopf aus dem Fenster eines Wagens. Sie musterte uns einen Augenblick und rief dann etwas. Plötzlich war der Boden unter den Bäumen voller grinsender brauner Gesichter.
»Gib mir deinen Geldbeutel, damit ich ihn aufbewahre«, sagte Murtagh finster, während er den jungen Mann betrachtete, der auf uns zustolzierte und sich nicht im mindesten daran störte, daß der Regen sein buntes Hemd durchweichte. »Und wende niemandem den Rücken zu.«
Ich war vorsichtig, aber wir wurden warm empfangen und sogleich zum Abendessen eingeladen. Der Eintopf roch köstlich, und ich nahm die Einladung ohne Zögern an. Murtaghs düstere Überlegungen, von welchem Tier die Fleischeinlage wohl stammen mochte, ignorierte ich.
Sie sprachen wenig Englisch und noch weniger Gälisch; wir unterhielten uns weitgehend mittels Gesten und in einem Kauderwelsch, der von ferne an Französisch erinnerte. Es war warm und gemütlich in dem Wohnwagen, in dem wir aßen, Männer, Frauen und Kinder löffelten gemeinsam aus den Schüsseln und tauchten Brotstücke in die Soße. Es war das Beste, was ich seit Wochen gegessen hatte, und ich aß, bis ich schier platzte. Ich konnte kaum mehr Atem holen, um zu singen, aber ich tat, was ich konnte, und bei den schwierigen Stellen summte ich und überließ Murtagh den Rest.
Unsere Vorstellung wurde mit begeistertem Applaus bedacht, und die Zigeuner revanchierten sich: Ein junger Mann sang zu den Klängen einer uralten Fiedel ein herzzerreißendes Klagelied, und ein Mädchen von etwa acht Jahren schlug mit großer Ernsthaftigkeit das Tamburin.
Während Murtagh sich in all den Weilern und Dörfern, die wir bisher besucht hatten, bei seinen Nachforschungen immer bedeckt gehalten hatte, war er bei den Zigeunern vollständig offen. Zu meiner Überraschung sagte er ihnen ohne Umschweife, daß wir einen großen Mann mit Haaren wie Feuer und Augen wie der Sommerhimmel suchten. Die Zigeuner tauschten Blicke aus, aber einer nach dem anderen schüttelte bedauernd den Kopf. Nein, sie hatten ihn nicht gesehen. Aber… und hier versicherte uns der Anführer - der buntgewandete Mann, der uns begrüßt hatte - mit pantomimischer Begabung, daß sie uns einen Boten senden würden, falls ihnen der Mann, den wir suchten, über den Weg laufen sollte.
Ich bedankte mich lächelnd, und nun war Murtagh an der Reihe, mit Hilfe seiner schauspielerischen Talente deutlich zu machen, daß eine solche Information mit Geld belohnt werden würde. Dies wurde mit einem Lächeln quittiert, aber auch, wie mir schien, mit berechnenden Blicken. Ich war froh, als Murtagh erklärte, daß wir nicht über Nacht bleiben könnten und leider aufbrechen müßten. Er schüttelte ein paar Münzen aus einer Felltasche, wohlweislich darauf bedacht, jeden sehen zu lassen, daß nur ein paar Kupferstücke darin waren. Wir verteilten die Münzen zum Dank für die Gastfreundschaft und wurden mit vielen guten Wünschen für die Weiterreise verabschiedet - jedenfalls hielt ich ihre fröhlichen Zurufe dafür.
Tatsächlich hätten sie auch verabreden können, uns zu folgen und uns die Kehle durchzuschneiden, und Murtagh verhielt sich lieber so, als hätten sie genau das getan: Wir galoppierten die zwei Meilen bis zur nächsten Kreuzung und verschwanden dort im Dickicht und machten einen weiten Umweg, bevor wir wieder auf der Straße auftauchten.
Murtagh schaute die Straße hinauf und hinunter. Keine Menschenseele war zu sehen.
»Glaubst du wirklich, daß sie uns gefolgt sind?«
»Weiß nicht, aber da sie zu zwölft sind und wir nur zu zweit, dachte ich, wir tun mal so als ob.« Das fand ich vernünftig, und ich folgte ihm ohne Zögern bei seinen weiteren Ausweichmanövern. Schließlich erreichten wir Rossmoor und fanden in einem Schuppen Unterschlupf.
Am nächsten Tag fiel Schnee, zwar nicht viel, aber doch genug, um den Boden mit einer dünnen Schicht zu überpudern, und das machte mir Sorgen - der Gedanke, daß Jamie allein irgendwo in der Heide Schnee und Sturm ausgesetzt war und nichts am Leib trug außer seinem Hemd und dem Plaid, gefiel mir nicht.
Zwei Tage später kam der Bote.
 
Die Sonne stand noch über dem Horizont, aber in den Felstälern war es schon schattig. Unter den kahlen Bäumen war es so duster, daß man den Pfad - sofern überhaupt einer da war - fast nicht sah. Aus Angst, ich könnte den Boten in der zunehmenden Dunkelheit verlieren, folgte ich ihm so dicht auf den Fersen, daß ich ein- oder zweimal auf den am Boden schleifenden Saum seines Umhangs trat. Schließlich drehte er sich mit einem ärgerlichen Schnauben um und gab mir mit einem unsanften Stoß zu verstehen, daß ich vor ihm gehen sollte; er legte mir seine schwere Hand auf die Schulter und steuerte mich durch die Dunkelheit.
Mir schien, daß wir sehr lange unterwegs waren; in der rauhen Felsenlandschaft hatte ich jede Orientierung verloren. Ich konnte nur hoffen, daß Murtagh irgendwo hinter uns war. Der Mann, der in die Schenke gekommen war, um mich zu holen, ein Zigeuner mittleren Alters, der kein Englisch konnte, hatte rundheraus abgelehnt, daß mich irgend jemand begleitete. Nachdrücklich hatte er zuerst auf Murtagh gezeigt und dann auf den Boden, um deutlich zu machen, daß er hierbleiben mußte.
Zu dieser Jahreszeit waren die Nächte frostig, und mein schwerer Umhang schützte mich nur unzureichend gegen den eiskalten Wind. Ich war hin und her gerissen zwischen Bestürzung bei dem Gedanken, daß Jamie schutzlos den kalten feuchten Herbstnächten preisgegeben sein könnte, und Aufregung bei der Vorstellung, ihn wiederzusehen. Ein Schauer lief mir über den Rücken, der nichts mit der Kälte zu tun hatte.
Endlich signalisierte mir die Hand auf meiner Schulter mit festem Druck, daß ich stehenbleiben sollte, und im selben Augenblick war mein Führer spurlos verschwunden. Ich wartete so geduldig wie möglich; ich war sicher, daß mein Führer - oder sonst jemand - zurückkäme, schließlich hatte ich ihn noch nicht bezahlt. Der Wind fuhr raschelnd durchs Geäst; es klang, als würde der Geist eines Hirsches vorbeihuschen, noch immer auf panischer Flucht vor dem Jäger. Die Feuchtigkeit drang durch die Nähte meiner Stiefel; das Otterfett, mit dem ich sie imprägniert hatte, hatte sich abgenutzt, und ich hatte keine Möglichkeit gehabt, wieder etwas aufzutragen.
Mein Führer war ebenso plötzlich wieder da, wie er verschwunden war. Vor Schreck biß ich mir auf die Zunge. Mit einer Kopfbewegung forderte er mich auf, ihm zu folgen. Hinter den Erlenzweigen verbarg sich der Eingang einer engen Höhle.
Auf einem Felsvorsprung brannte eine Laterne. In ihrem Schein zeichnete sich die Silhouette einer großen Gestalt ab, die sich umdrehte, um mir entgegenzukommen.
Ich stürzte nach vorne, aber noch bevor ich den Mann berührte, wußte ich, daß es nicht Jamie war. Die Enttäuschung war wie ein Schlag in die Magengrube, und ich mußte zurücktreten und mehrmals schlucken.
Ich preßte die Fäuste an meine Schenkel, bis ich mich genügend beruhigt hatte, um sprechen zu können.
Mit einer Stimme, die so kühl war, daß es mich selbst überraschte, sagte ich: »Was treibst du dich denn hier herum?«
Dougal MacKenzie hatte nicht ohne Mitgefühl beobachtet, wie ich um Selbstbeherrschung rang. Jetzt nahm er mich am Ellbogen und führte mich tiefer in die Höhle. An der Rückwand waren zahlreiche Bündel gestapelt, sehr viel mehr, als ein einzelnes Pferd tragen konnte. Er war also nicht allein. Was immer seine Leute da transportieren mochten - er wollte verhindern, daß neugierige Gastwirte oder Stallburschen es zu Gesicht bekamen.
»Schmuggelware, vermute ich?« Ich deutete mit dem Kopf auf die Bündel. Dann ging mir ein Licht auf. »Ach nein, Güter für Prinz Charles, nicht wahr?«
Er machte sich nicht die Mühe, mir zu antworten, sondern setzte sich mir gegenüber auf einen Stein und legte die Hände auf die Knie.
»Ich habe Neuigkeiten«, sagte er unvermittelt.
Ich atmete tief ein, um mich zu wappnen gegen das, was da kommen mochte. Neuigkeiten, aber keine guten, das war an seinem Gesicht abzulesen. Ich atmete noch einmal tief durch, schluckte mühsam und nickte.
»Sag es mir.«
»Er lebt«, sagte er, und der größte Eisklumpen in meinem Magen begann zu schmelzen. Dougal legte den Kopf schief und schaute mich forschend an. Fragte er sich, ob ich ohnmächtig werden würde? Nein, das würde ich nicht.
»Vor zwei Wochen wurde er in der Nähe von Kiltorlity aufgegriffen«, sagte Dougal, ohne mich aus den Augen zu lassen. »War nicht seine Schuld, einfach Pech. Er stand plötzlich sechs Dragonern gegenüber, und einer davon erkannte ihn.«
»Wurde er verletzt?« Meine Stimme war immer noch ruhig, aber meine Hände begannen zu zittern.
Dougal schüttelte den Kopf. »Nein, soviel ich weiß.« Nach einer Pause fügte er widerstrebend hinzu: »Er ist im Wentworth-Gefängnis.«
»Wentworth«, wiederholte ich mechanisch. Das Wentworth-Gefängnis. Es war ursprünglich ein mächtiges Grenzbollwerk, das im späten sechzehnten Jahrhundert errichtet und in den darauffolgenden hundertfünfzig Jahren immer weiter ausgebaut worden war. Die riesige Festung erstreckte sich mittlerweile über fast zwei Morgen und wurde von meterdicken Granitmauern umschlossen. Aber selbst Granitmauern hatten Tore, dachte ich. Ich schaute auf, um eine Frage zu stellen, und sah, daß sich auf Dougals Gesicht immer noch Widerwillen malte.
»Was noch?« fragte ich. Seine haselnußbraunen Augen blickte unbeirrbar in meine.
»Vor drei Tagen hat man ihm den Prozeß gemacht. Er wurde zum Tod durch den Strang verurteilt.«
Mein Magen war jetzt ein einziger Eisklumpen, und ich schloß die Augen.
»Wie lange?« fragte ich. Meine Stimme klang selbst für meine Ohren weit entfernt. Ich öffnete die Augen und versuchte, im flackernden Laternenlicht etwas zu erkennen. Dougal schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nicht. Jedenfalls nicht lange.«
Das Atmen fiel mir wieder etwas leichter, und es gelang mir, meine geballten Fäuste zu öffnen.
»Wir sollten uns also beeilen«, sagte ich ruhig. »Wie viele Männer hast du bei dir?«
Anstatt zu antworten, stand Dougal auf und kam zu mir herüber. Er legte seine Hand auf meine. In seinen Augen lagen Anteilnahme und ein tiefer Kummer, und das machte mir mehr Angst als alles, was er bisher gesagt hatte. Er schüttelte langsam den Kopf.
»Nein, Mädel«, sagte er sanft. »Da ist nichts zu machen.«
In Panik zog ich meine Hände weg.
»Doch! Es muß eine Möglichkeit geben. Du hast gesagt, er lebt noch!«
»Und ich habe gesagt, nicht lange«, entgegnete er scharf. »Der Junge ist im Wentworth-Gefängnis, nicht im Räuberloch von Cranesmuir! Vielleicht hängen sie ihn schon heute auf, vielleicht morgen, vielleicht auch erst nächste Woche. Jedenfalls ist es ganz und gar unmöglich, dort mit zehn Männern gewaltsam einzudringen!«
»Ach nein?« Ich zitterte wieder, aber diesmal aus Wut. »Woher willst du das wissen? Du willst nur nicht deine Haut riskieren, oder deinen jämmerlichen… Profit!« Anklagend deutete ich auf die aufgestapelten Bündel. Rasend vor Schmerz und Wut, trommelte ich ihm mit den Fäusten auf die Brust. Dougal ignorierte die Schläge, legte die Arme um mich und zog mich eng an sich heran, bis ich aufhörte zu toben.
»Claire.« Nie zuvor hatte er mich mit meinem Vornamen angesprochen, und daß er es jetzt tat, machte mir noch mehr angst.
»Claire«, sagte er wieder und lockerte seinen Griff, so daß ich zu ihm aufschauen konnte. »Glaubst du nicht, daß ich alles tun würde, um den Jungen zu befreien, wenn die geringste Aussicht auf Erfolg bestünde? Schließlich habe ich ihn mit großgezogen! Aber es gibt keine Möglichkeit - nicht die geringste!« Er schüttelte mich leicht, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
»Jamie würde nicht wollen, daß ich das Leben guter Männer bei einer aussichtslosen Unternehmung aufs Spiel setze. Das weißt du so gut wie ich.«
Ich konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Sie brannten auf meinen eiskalten Wangen, und ich stieß Dougal von mir. Aber er hielt mich nur noch fester.
»Claire, meine Liebe«, sagte er sanfter. »Mein Herz ist voller Kummer wegen dem Jungen - und wegen dir. Komm mit mir. Ich bringe dich in Sicherheit. In mein eigenes Haus«, fügte er schnell hinzu, als er spürte, wie ich mich versteifte. »Nicht nach Leoch.«
»In dein Haus?« wiederholte ich langsam. Ein schrecklicher Verdacht begann in mir aufzusteigen.
»Ja«, sagte er. »Du hast doch sicher nicht geglaubt, daß ich dich nach Cranesmuir zurückbringen würde?« Er lächelte kurz, dann wurde sein Gesicht wieder ernst. »Nein. Ich bringe dich nach Beannachd. Dort bist du sicher.«
»Sicher«, sagte ich, »oder hilflos?« Der Ton meiner Stimme veranlaßte ihn, die Arme fallen zu lassen.
»Was soll das heißen?« Auch seine Stimme war plötzlich kalt.
Mich fröstelte, und ich zog den Mantel eng um mich und trat einen Schritt zurück.
»Du hast Jamie davon abgehalten, nach Hause zurückzukehren, weil du ihm erzählt hast, seine Schwester hätte ein Kind von Randall. Auf diese Weise ist es dir und deinem hochgeschätzten Bruder gelungen, ihn in euer Lager zu locken. Aber jetzt haben ihn die Engländer, und Jamie nützt euch nichts mehr.
Warst du nicht dabei, als der Ehevertrag deiner Schwester aufgesetzt wurde? Du und Colum habt darauf bestanden, daß Broch Tuarach in den Besitz einer Frau übergehen kann. Du glaubst, wenn Jamie tot ist, wird Broch Tuarach mir gehören - oder dir, wenn du mich dazu bringen kannst, deine Frau zu werden.«
»Was?! Du glaubst … du glaubst wirklich, das alles wäre ein raffinierter Plan? Bei der heiligen Agnes! Glaubst du, daß ich dich anlüge?«
Ich schüttelte den Kopf und achtete darauf, den Abstand zwischen uns zu wahren.
»Nein, ich glaube dir. Wenn Jamie nicht wirklich im Gefängnis wäre, würdest du nie wagen, mir das zu sagen. Man könnte es viel zu leicht nachprüfen. Auch glaube ich nicht, daß du ihn an die Engländer verraten hast - nicht einmal du könnest einem Blutsverwandten so etwas antun. Im übrigen weißt du auch, daß sich deine Männer augenblicklich gegen dich wenden würden, wenn das herauskäme. Sie nehmen eine ganze Menge hin, aber nicht Verrat am eigenen Blut.« Während ich sprach, fiel mir etwas ein.
»Warst du es, der Jamie letztes Jahr an der Grenze überfallen hat?«
Die schweren Augenbrauen hoben sich erstaunt.
»Ich? Nein! Ich habe den Jungen halbtot gefunden und ihn gerettet! Hätte ich das getan, wenn ich ihm übelgewollt hätte?«
Unter meinem Umhang tastete ich mit der Hand nach unten und empfand es als tröstlich, den Griff meines Dolches zu spüren.
»Wenn du es nicht warst, wer war es dann?«
»Das weiß ich nicht.« Sein Blick war wachsam, schien aber nichts zu verbergen. »Es war einer von den drei Männern ohne Clanbindung, die damals mit Jamie auf der Jagd waren. Einer hat den anderen beschuldigt, es war unmöglich, die Wahrheit herauszufinden.« Er zuckte mit den Achseln, und sein Reisemantel rutschte über eine Schulter.
»Es spielt keine Rolle mehr; zwei der Männer sind tot, und der dritte sitzt im Gefängnis - aus einem anderen Grund, aber was macht das schon.«
Es war eine gewisse Erleichterung, daß er immerhin kein Mörder war. Er hatte keinen Grund, mich jetzt anzulügen, soweit er wußte, war ich vollständig hilflos. Er könnte mich zwingen, zu tun, was immer er wollte. Jedenfalls bildete er sich das wahrscheinlich ein. Ich legte die Hand um den Griff meines Dolches.
Es war nur wenig Licht in der Höhle, aber ich beobachtete ihn genau und sah, daß ein unsicherer Ausdruck über sein Gesicht huschte, während er den nächsten Zug plante. Er machte einen Schritt auf mich zu und streckte mir die Hand entgegen, blieb aber stehen, als er mich zurückweichen sah.
»Claire. Meine süße Claire.« Seine Stimme war sanft, und schmeichelnd strich er mir mit der Hand über den Arm. Er wollte mich also lieber verführen als zwingen.
»Ich weiß, warum du so kalt mit mir sprichst und warum du schlecht von mir denkst. Du weißt, daß ich für dich brenne, Claire. Und es ist wahr - ich will dich seit der Nacht der Versammlung, seit ich deine süßen Lippen geküßt habe.« Zwei Finger ruhten leicht auf meiner Schulter und glitten jetzt zu meinem Hals. »Wäre ich ein freier Mann gewesen, als Randall dich bedrohte, dann hätte ich dich auf der Stelle geheiratet und den Kerl zum Teufel geschickt.« Stückchen für Stückchen kam er näher und drängte mich an die Felswand der Höhle. Seine Fingerspitzen fuhren am Verschluß meines Mantels entlang und berührten meine Kehle.
Mein Gesichtsausdruck hinderte ihn daran, seine Annäherung fortzusetzen. Er ließ jedoch die Hand an meinem Hals, so daß er den wilden Pulsschlag spürte.
»Und dennoch, obwohl ich so fühle - und ich will es nicht länger vor dir verbergen -, wirst du doch wohl nicht glauben, daß ich Jamie im Stich lassen würde, wenn die geringsten Aussichten bestünden? Schließlich ist Jamie Fraser für mich derjenige, der einem Sohn am nächsten kommt!«
»Wenn man von deinem eigenen Sohn absieht«, entgegnete ich. »Oder sind es inzwischen zwei?« Die Finger an meiner Kehle verstärkten ihren Druck und fielen dann nach unten.
»Was soll das heißen?« Inzwischen war jede Heuchelei, jede Verstellung überflüssig. Sein Blick war scharf, und der Mund eine grimmige Linie im roten Bart. Er war sehr groß und sehr nah, aber ich hatte mich schon zu weit vorgewagt.
»Das heißt, daß ich weiß, wer Hamishs Vater ist«, sagte ich. Er hatte es wohl halbwegs erwartet und hatte sein Gesicht gut unter Kontrolle, aber meine vierwöchige Erfahrung als Hellseherin kam mir jetzt zugute. Ich sah ein winziges erschrockenes Flackern in seinen Augen, und seine Mundwinkel zuckten in kurzer Panik.
Trotz der Gefahr fühlte ich einen momentanen Triumph. Ich hatte also recht gehabt, und dieses Wissen könnte vielleicht genau die Waffe sein, die ich brauchte.
»Du weißt es also«, sagte er leise.
»Ja. Und ich vermute, daß es auch Colum weiß.«
Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, und ich fragte mich, ob er bewaffnet war.
»Eine Weile hat er wohl geglaubt, es wäre Jamie gewesen«, fuhr ich fort und starrte ihm direkt in die Augen. »Wegen der Gerüchte. Du hast sie wahrscheinlich in die Welt gesetzt, mit Hilfe von Geillis Duncan. Warum? Weil Colum Verdacht gegen Jamie geschöpft und Letitia zur Rede gestellt hat? Sie konnte ihm sicher nicht sehr lange standhalten. Oder dachte Geillis, du wärst Letitias Liebhaber, so daß du ihr erzählt hast, es wäre Jamie, um sie zu beruhigen? Sie ist eine eifersüchtige Frau, aber jetzt hat sie wohl kaum mehr einen Grund, dich zu schützen.«
Dougal lächelte grausam. Eiseskälte lag in seinen Augen.
»Nein«, sagte er leise, »das hat sie auch nicht. Die Hexe ist tot.«
»Tot?« schrie ich auf. Der Schock muß mir deutlich im Gesicht gestanden haben.
»Aye. Verbrannt. Die Füße in einem Eimer voll Pech, und rundherum aufgeschichteter Torf. An einen Pfahl gebunden und angezündet wie eine Fackel. Als Flammensäule ist sie in die Hölle gefahren.«
Ich dachte zuerst, er wollte mich mit dieser gnadenlosen Aufzählung von Einzelheiten beeindrucken, aber das stimmte nicht. Ich schaute ihn von der Seite an und entdeckte Gram um seine Augen. Er geißelte sich selbst. Ich hatte kein Mitleid mit ihm.
»Du mochtest sie also«, sagte ich kalt. »Hat ihr viel genützt, und dem Kind auch. Was hast du mit ihm gemacht?«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich habe dafür gesorgt, daß es in ein gutes Heim kommt. Ein Sohn, ein gesundes Baby, obwohl seine Mutter eine Hexe und eine Ehebrecherin war.«
»Und sein Vater ein Ehebrecher und ein Verräter«, gab ich giftig zurück. »Deine Frau, deine Gebliebte, deinen Neffen, deinen Bruder - gibt es irgend jemanden, den du nicht verraten und betrogen hast? Du… du…« Ich würgte an den Worten, vor Haß war mir ganz übel. »Ich weiß nicht, warum mich das überrascht«, sagte ich und versuchte das Beben in meiner Stimme zu unterdrücken. »Wenn du deinem König schon nicht treu bist, warum solltest du es dann deinem Neffen oder deinem Bruder sein?«
Zornig starrte er mich an. Er zog die buschigen dunklen Brauen hoch, Brauen, wie sie auch Colum hatte, und Jamie und Hamish. Tiefliegende Augen, hohe Wangenknochen, edle Schädelform - der alte Jacob MacKenzie hatte wahrhaftig einen starken Eindruck hinterlassen.
Eine große Hand packte mich hart an der Schulter.
»Mein Bruder? Du glaubst, ich würde meinen Bruder verraten?« Das hatte ihn offensichtlich getroffen. Sein Gesicht war dunkel vor Wut.
»Du hast selbst zugegeben, daß du das getan hast!« Aber dann wurde mir plötzlich alles klar.
»Ach, natürlich, ihr beide«, sagte ich leise. »Du und Colum, ihr habt das alles gemeinsam gemacht.« Ich packte seine Hand und schleuderte sie von meiner Schulter.
»Colum hätte nicht Clanoberhaupt sein können, wenn du nicht für ihn in den Krieg ziehen würdest. Er könnte den Clan gar nicht zusammenhalten, wenn du nicht für ihn reisen, die Pacht einsammeln und Streitigkeiten schlichten würdest. Er kann nicht reiten, er kann nicht reisen. Und er konnte keinen Sohn zeugen, der sein Erbe hätte antreten können. Und auch du hattest von Maura keinen Sohn. Du hast geschworen, ihm Arm und Bein zu sein…« - ich wurde langsam hysterisch -, »warum solltest du nicht auch sein Schwanz sein?«
Dougals Wut schien verflogen; mit verschränkten Armen schaute er mir zu und wartete, bis ich fertig wäre.
»Du hast es also mit Colums Einverständnis getan. Und Letitia?« Da ich inzwischen wußte, wie skrupellos die MacKenzie-Brüder sein konnten, hätte ich mich nicht gewundert, wenn sie sie dazu gezwungen hätten.
Dougal nickte. »Sie war nicht gerade versessen auf mich, aber sie wollte unbedingt ein Kind. Also hat sie mich drei Monate lang in ihr Bett genommen - so lange hat es gedauert, Hamish auf den Weg zu bringen. Es war eine verdammt langweilige Angelegenheit«, fügte er hinzu und kratzte sich ein wenig Dreck vom Stiefelabsatz. »Langweilig wie warmer Milchpudding.«
»Und hast du das Colum gesagt?« Er hörte die Schärfe in meiner Stimme und schaute auf. Nach einer Weile erhellte ein feines Lächeln sein Gesicht.
»Nein«, sagte er ruhig. »Nein, das habe ich ihm nicht gesagt.« Er schaute auf seine Hände und drehte sie um, als suchte er in seinen Handflächen ein Geheimnis.
»Ich habe ihm gesagt, daß sie zart und süß sei wie ein reifer Pfirsich, daß ein Mann sich mehr von einer Frau nicht wünschen könne.«
Abrupt ballte er die Hände zusammen und schaute mich an. »Zart und süß würde ich dich nicht unbedingt nennen. Aber alles, was ein Mann sich wünschen kann.« Langsam glitt sein Blick über meinen Körper, verweilte genüßlich auf den Rundungen der Brüste und Hüften, die unter dem offenen Mantel zu sehen waren. Unbewußt strich er sich über die Muskeln seines Schenkels, während er mich beobachtete.
»Wer weiß?« sagte er wie zu sich selbst. »Vielleicht werde ich noch einen Sohn bekommen - diesmal einen legitimen. Es ist wahr« - er taxierte meine Hüften -, »mit Jamie ist es noch nichts geworden. Vielleicht bist du unfruchtbar. Aber ich riskiere es. Schon allein das Anwesen ist es wert.«
Plötzlich machte er einen Schritt auf mich zu.
»Wer weiß?« sagte er wieder, ganz sanft. »Wenn ich Tag für Tag durch diese hübsche, braunhaarige Furche pflügen und meinen Samen tief hineinstreuen würde…« Er machte noch einen Schritt auf mich zu. Da tauchte ein Schatten an der Höhlenwand auf.
»Du hast dir aber viel Zeit gelassen«, sagte ich ärgerlich.
Dougal war fassungslos vor Schreck, als ihm aufging, daß mein Blick auf jemanden gerichtet war, der im Höhleneingang stand.
»Ich wollte nicht stören«, sagte Murtagh und näherte sich mit zwei geladenen Pistolen in der Hand. Mit der einen zielte er auf Dougal, mit der anderen gestikulierte er.
»Sofern du dieses letzte Angebot nicht hier und jetzt annehmen willst, würde ich vorschlagen, du verschwindest. Und wenn du es annimmst, dann verschwinde ich.«
»Niemand verschwindet«, gab ich kurz zurück. »Setz dich«, sagte ich zu Dougal. Er starrte Murtagh immer noch an, als wäre er eine Erscheinung.
»Wo ist Rupert?« fragte er, als er seine Stimme wiedergefunden hatte.
»Oh, Rupert.« Murtagh kratzte sich nachdenklich mit dem Pistolenlauf am Kinn. »Dürfte inzwischen in Belladrum sein. Sollte vor Tagesanbruch wieder hier sein, mit dem Faß Rum, das er angeblich in deinem Auftrag besorgen soll. Der Rest deiner Männer schläft noch in Quinbrough.«
Dougal war so nett, ein wenig zu lachen, wenn auch eher widerwillig. Er setzte sich und schaute zwischen mir und Murtagh hin und her. Eine Weile war es still.
»Und nun?« fragte Dougal. »Was jetzt?«
Das war in der Tat eine gute Frage. Dougal hatte mich im Lauf des Abends überrascht, schockiert und in Wut gebracht, so daß ich noch keine Zeit gefunden hatte zu überlegen, was wir tun sollten.
Murtagh war glücklicherweise besser vorbereitet. Schließlich hatte er ja auch keine lüsternen Annäherungsversuche abwehren müssen.
»Wir brauchen Geld«, antwortete er prompt, »und Männer.« Er ließ den Blick über die Bündel schweifen, die an der Wand aufgestapelt waren. »Nein«, meinte er nachdenklich. »Das ist für König James. Aber wir nehmen, was du am Leib trägst.« Die kleinen schwarzen Augen richteten sich schnell wieder auf Dougal, und der Lauf einer Pistole zeigte auf seine Felltasche.
Eines mußte man einem Leben in den Highlands zugute halten: Es förderte eine fatalistische Gelassenheit. Mit einem Seufzer griff Dougal in die Tasche und warf mir einen Beutel vor die Füße.
»Zwanzig Goldstücke und ungefähr dreißig Schilling«, sagte er und schaute mich an. »Nimm es. Das ist mein Beitrag.«
Er sah meine Skepsis und nickte bekräftigend.
»Doch, doch. Ich meine es ernst. Du kannst glauben, was du willst, aber Jamie ist der Sohn meiner Schwester, und wenn du ihn befreien kannst, dann sei Gott mit dir. Aber es ist unmöglich.«
Er schaute Murtagh an, der immer noch die Pistole in der Hand hielt.
»Was die Männer angeht, nein. Ich bin bereit, euch zu Jamies Seite zu beerdigen, aber meine Männer sollte ihr nicht mit ins Grab nehmen, Pistolen hin oder her.« Er verschränkte die Arme, lehnte sich an die Höhlenwand und beobachtete uns ruhig.
Murtaghs Hände bewegten sich nicht, aber seine Augen richteten sich fragend auf mich. Wollte ich, daß er schoß?
»Ich mache dir ein Angebot«, sagte ich.
Dougal zog eine Augenbraue hoch.
»Deine Position ist im Augenblick etwas besser als meine. Was hast du anzubieten?«
»Erlaube mir, mit deinen Männern zu sprechen, und wenn sie freiwillig mit mir gehen, dann laß sie. Wenn nicht, dann gehen wir, wie wir gekommen sind - und du bekommst auch deinen Geldbeutel zurück.«
Er grinste schief. Er musterte mich, als wollte er sich darüber klarwerden, welche Überzeugungskraft ich besäße. Dann lehnte er sich zurück und nickte.
»Abgemacht«, sagte er.
Am Ende verließen wir die Höhle mit Dougals Geldbeutel und fünf seiner Männer: Rupert, John Whithlow, Willie MacMurtry und die Zwillingsbrüder Rufus und Geordie Coulter. Ruperts Entscheidung hatte den Ausschlag gegeben. Mit einem Gefühl grimmiger Befriedigung hatte ich immer noch Dougals Gesichtsausdruck vor Augen, als sein gedrungener, schwarzbärtiger Leutnant mich gedankenvoll musterte und dann sagte: »Gut, Mädchen, warum nicht?«
Das Wentworth-Gefängnis war fünfunddreißig Meilen entfernt - zwei Tage mühsame Plackerei über morastige Wege in eisiger Kälte. Nicht lange. Dougals Worte waren mir ständig im Ohr und hielten mich im Sattel, auch wenn ich vor Erschöpfung schon fast herunterfiel.
Um mir nicht ständig Sorgen um Jamie zu machen, ging ich in Gedanken noch einmal das Gespräch mit Dougal in der Höhle durch. Ich dachte daran, was er zu mir gesagt hatte, als er vor der Höhle stand, während Rupert und seine Leute die Pferde aus dem Versteck holten.
»Ich habe eine Botschaft für dich«, hatte er gesagt. »Von der Hexe.«
»Von Geillis?« Ich war erstaunt, um das mindeste zu sagen.
»Aye. Ich habe sie noch einmal gesehen, als ich das Kind abholte.« Unter anderen Umständen hätte ich vielleicht Mitgefühl empfunden. Wie die Dinge lagen, war meine Stimme jedoch eisig.
»Und was hat sie gesagt?«
Er antwortete nicht gleich, und ich war mir nicht sicher, ob er einfach die Information nicht preisgeben wollte oder ob er sich seine Worte ganz genau überlegte. Scheinbar war es letzteres, denn er sprach sehr langsam und genau.
»Sollte ich dich je wiedersehen, so sollte ich dir zwei Dinge sagen, und zwar ganz genau so, wie ich sie von ihr hörte. Das erste war: ›Ich glaube, es ist möglich, aber ich weiß es nicht.‹ Und das zweite - das waren nur Zahlen. Ich mußte sie mehrmals wiederholen, bis sie ganz sicher war, daß ich sie mir richtig eingeprägt hatte. Die Zahlen waren eins, neun, sechs und acht.«
Er schaute mich fragend an.
»Kannst du was damit anfangen?«
»Nein«, log ich und ging zu meinem Pferd.
»Ich glaube, es ist möglich.« Damit konnte sie nur eins meinen: Sie glaubte, daß es möglich wäre, durch den Steinkreis an meinen richtigen Platz zurückzukehren, auch wenn sie es nicht sicher wußte. Offensichtlich hatte sie es nicht selbst ausprobiert, sondern sich dafür entschieden zu bleiben und teuer dafür bezahlt. Sie wird ihre Gründe gehabt haben. Ob es Dougal war?
Was die Zahlen anging, so war mir sofort klar, was sie bedeuteten. Sie hatte sie einzeln genannt, um ihre Bedeutung zu verschleiern, ein Verhalten, daß ihr wahrscheinlich schon in Fleisch und Blut übergegangen war, aber in Wirklichkeit war es eine einzige Zahl: 1968. Das Jahr, in dem sie in die Vergangenheit verschwand.
Ich empfand Neugierde und tiefes Bedauern. Wie schade, daß ich die Impfnarbe an ihrem Arm erst gesehen hatte, als es zu spät war! Hätte ich sie jedoch früher entdeckt, dann wäre ich vielleicht mit ihrer Hilfe zum Steinkreis zurückgekehrt und hätte Jamie verlassen.
Jamie. Der Gedanke an ihn lastete wie ein Bleigewicht auf mir. Nicht lange. Der Weg zog sich endlos hin, verlor sich manchmal vollständig im gefrorenen Morast. In eisigem Nieselregen, der sich bald in Schnee verwandeln würde, erreichten wir am Abend des zweiten Tages unser Ziel.
Das Gebäude zeichnete sich schwarz vor dem bewölkten Himmel ab. Es war ein gigantischer Klotz, über hundert Meter lang, mit einem Turm an jeder Ecke. Dreihundert Gefangene konnten darin untergebracht werden, und dazu die vierzig Soldaten der Garnison mit ihrem Kommandanten, der zivile Gouverneur mit seinen Leuten, die vier Dutzend Köche, Wärter, Stallknechte und andere Dienstboten, die nötig waren, um die Festung in Schwung zu halten.
Ich schaute an den einschüchternden Mauern aus grünem Granit empor, die da und dort von winzigen Fenstern durchbrochen waren. In einigen flackerte Licht auf, die meisten blieben jedoch dunkel. Vermutlich waren das die Gefängniszellen. Ich schluckte. Angesichts der erdrückenden Wucht dieses Gebäudes, der undurchdringlichen Mauern, des gewaltigen, fest verschlossenen Tores und der Wachen kamen mir Zweifel.
»Was, wenn« - mein Mund war trocken, und ich hatte Mühe, die Worte auszusprechen -, »was, wenn wir es nicht schaffen?«
Murtagh war nicht anders als sonst auch, mürrisch und verschlossen.
»Dann wird Dougal uns an seiner Seite begraben«, antwortete er. »Los, wir haben Arbeit zu tun.«
Feuer Und Stein
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