3
Der Mann im Wald
Die Männer waren ein gutes Stück entfernt. Zwei oder drei, in Kilts gekleidet, rannten wie die Hasen über eine kleine Lichtung. Von fern hörte ich knatternde Geräusche, die ich ziemlich benommen als Gewehrschüsse erkannte.
Ich war sicher, daß ich immer noch phantasierte, als gleich darauf fünf, sechs Männer auftauchten, die rote Waffenröcke und Kniehosen trugen und Musketen schwangen. Ich blinzelte. Ich hielt mir die Hand vor das Gesicht und hob zwei Finger. Ich sah ganz richtig zwei Finger. Nichts verschwamm mir vor den Augen. Ich schnupperte neugierig. Es roch nach blühenden Bäumen und Klee. Mein Geruchssinn war in Ordnung.
Ich befühlte meinen Kopf. Kein Schmerz. Also kaum eine Gehirnerschütterung. Puls ein bißchen beschleunigt, aber regelmäßig.
Das ferne Geschrei veränderte sich abrupt. Hufschlag dröhnte, und mehrere Pferde kamen in meine Richtung galoppiert, auf ihnen Schotten im Kilt, die gälische Worte brüllten. Ich wich ihnen mit einer Behendigkeit aus, die zu beweisen schien, daß ich, in welch seelischer Verfassung ich auch sein mochte, körperlich unversehrt war.
Und dann dämmerte es mir plötzlich, als einer der Rotröcke, den ein fliehender Schotte über den Haufen gerannt hatte, theatralisch die Faust ballte und den Pferden hinterherdrohte. Natürlich. Ein Film! Ich schüttelte den Kopf über meine Begriffsstutzigkeit. Die Leute drehten einen historischen Schinken, Bonnie Prince Charlie im Wald und auf der Heide, etwas in der Art, kein Zweifel.
Nun denn. Ob ihr Streifen künstlerisch wertvoll war oder nicht, die Filmcrew würde es mir nicht danken, wenn ich eine anachronistische Note ins Spiel brachte. Ich kehrte in den Wald zurück, wollte einen weiten Bogen um die Lichtung schlagen und bei der Straße herauskommen, wo ich das Auto geparkt hatte. Nur ging es schwieriger voran, als ich dachte. Der Wald war jung und voll dichtem Unterholz, in dem sich meine Kleider immer wieder verfingen. Ich mußte behutsam laufen und meine Röcke ständig von Dornenzweigen lösen.
Wäre er eine Schlange gewesen, ich wäre auf ihn getreten. Er stand so reglos zwischen den Bäumen, als gehörte er dazu, und ich sah ihn nicht, bis eine Hand vorschoß und mich am Arm packte.
Die andere hielt mir den Mund zu, während ich, panisch um mich schlagend, in den Eichenhain geschleift wurde. Der Mann schien nicht viel größer zu sein als ich, aber er hatte eine bemerkenswerte Kraft in den Armen. Ich roch einen schwach blumigen Duft, der mich an Lavendelwasser erinnerte, daneben noch etwas Würzigeres, vermischt mit dem scharfen Gestank von Männerschweiß. Während die Zweige, die wir auf unserem Weg beiseite drückten, zurückschnellten, erkannte ich etwas Vertrautes an der Hand und dem Unterarm, der um meine Taille geschlungen war.
Ich schüttelte den Kopf, bis ich meinen Mund freibekam.
»Frank!« rief ich. »Was soll das denn, um Himmels willen!« Ich war hin- und hergerissen zwischen Erleichterung, ihn hier zu finden, und Verärgerung über diesen groben Unfug. Ich war von meinem Erlebnis im Steinkreis noch ziemlich mitgenommen und nicht in der richtigen Stimmung für solche Späße.
Der Mann ließ mich los, doch als ich mich zu ihm umdrehte, spürte ich bereits, daß etwas nicht in Ordnung war. Es lag nicht nur an dem mir fremden Rasierwasser, es war subtiler. Ich stand stocksteif da und merkte, wie sich mir die Nackenhaare sträubten.
»Sie sind ja gar nicht Frank«, flüsterte ich.
»Nein«, sagte der Mann, während er mich überaus interessiert betrachtete. »Obwohl ich einen Cousin dieses Namens habe. Ich möchte aber bezweifeln, daß Sie mich mit ihm verwechselt haben, Madam. Wir ähneln einander kaum.«
Wie immer der Cousin des Mannes aussehen mochte, er selbst hätte Franks Bruder sein können. Der gleiche geschmeidige, feinknochige Körperbau; die gleichen zart gemeißelten Gesichtszüge; die ziemlich geraden Brauen und großen, haselnußbraunen Augen; die gleichen dunklen, über der Stirn leicht gewellten Haare.
Doch die Haare dieses Mannes waren lang, aus dem Gesicht gekämmt und hinten mit einem Lederriemchen zusammengebunden. Und die Haut wies das tiefe, fast ledrige Braun auf, das sich nach Monaten, nein, Jahren in Wind und Wetter einstellt, nicht den zarten Goldton, den Franks Haut während unseres Urlaubs in Schottland angenommen hatte.
»Und wer sind Sie?« fragte ich voller Unbehagen. Frank hatte zwar viele Verwandte, aber ich glaubte, daß ich den britischen Zweig der Familie kannte. Unter ihnen gab es niemanden, der so aussah wie dieser Mann. Und Frank hätte einen nahen Verwandten, der im schottischen Hochland wohnte, doch sicher erwähnt. Und ihn nicht nur erwähnt, sondern darauf bestanden, ihn zu besuchen, bewaffnet mit Stammbäumen und Notizbüchern, begierig, auch noch das kleinste Detail der Familiengeschichte über den berühmten Black Jack Randall aufzustöbern.
Der Fremde zog die Augenbrauen hoch.
»Wer ich bin? Dasselbe könnte ich Sie fragen, Madam, und dies mit weitaus größerer Berechtigung.« Er musterte mich langsam von Kopf bis Fuß. Sein Blick wanderte mit dreister Anerkennung über das dünne, mit Päonien bedruckte Kleid, das ich trug, und verweilte merkwürdig amüsiert auf meinen Beinen. Ich verstand diesen Blick nicht, aber er machte mich äußerst nervös, und ich trat ein, zwei Schritte zurück, bis ich abrupt von einem Baum aufgehalten wurde.
Schließlich wandte der Mann den Blick ab und drehte sich zur Seite. Es war, als hätte er mir eine Fessel abgenommen, und ich atmete erleichtert aus.
Der Mann hatte sich weggedreht, um seinen Rock vom untersten Ast einer jungen Eiche zu nehmen. Er entfernte einige Blätter und zog ihn an.
Ich mußte nach Luft geschnappt haben, denn er blickte auf. Der Rock war scharlachrot, hatte lange Schöße, kein Revers und war mit einem Schnürverschluß versehen. Die Aufschläge waren gut fünfzehn Zentimeter breit und braungelb gefüttert, und an einer Epaulette blinkte eine goldene Tresse. Es war ein Dragonerrock, ein Offiziersrock. Dann dämmerte es mir - natürlich, das war ein Schauspieler von der Truppe, die ich auf der anderen Seite des Waldes gesehen hatte. Obwohl mir der Säbel, den er sich jetzt umband, sehr viel realistischer schien als alle Requisiten, die mir je zu Augen gekommen waren.
Ich drückte mich gegen die Rinde des Baumes hinter mir und fand sie beruhigend fest. Ich verschränkte zum Schutz meine Arme.
»Wer sind Sie, verdammt noch mal?« fragte ich erneut. Diesmal war es ein Krächzen, das selbst in meinen Ohren erschrocken klang.
Der Mann ignorierte meine Frage, als hätte er mich nicht gehört. Er ließ sich reichlich Zeit, seinen Rock zu schnüren. Erst als er damit fertig war, wandte er mir seine Aufmerksamkeit zu. Er verbeugte sich ironisch, die Hand auf dem Herzen.
»Madam, ich bin Jonathan Randall, Hauptmann des Achten Dragonerregiments Seiner Majestät, und Ihnen stets zu Diensten.«
Ich rannte los. Keuchend brach ich durch die grüne Wand aus Eichen und Erlen, achtete nicht auf Dornen und Nesseln, Steine, abgebrochene Zweige und alles, was mir im Weg lag. Ich hörte einen Ruf, doch ich war viel zu aufgelöst, um zu ergründen, aus welcher Richtung er kam.
Ich floh blindlings. Zweige zerschrammten mir Gesicht und Arme, und ich knickte mehrmals um, als ich in Löcher trat und über Steine stolperte. Ich dachte nicht nach, ich wollte nur noch weg von diesem Mann.
Dann traf mich etwas Schweres im Rücken, und ich stürzte und landete mit einem dumpfen Aufprall, der mir den Atem raubte, auf dem Boden. Grobe Hände drehten mich um, und über mir kniete Hauptmann Jonathan Randall. Er atmete schwer und hatte bei der Verfolgungsjagd seinen Säbel verloren. Er war zerzaust und beschmutzt und gründlich verärgert.
»Was, zum Teufel, haben Sie sich dabei gedacht, so einfach wegzulaufen?« fragte er herrisch. Eine dunkle Locke hing ihm in die Stirn, wodurch er Frank beunruhigenderweise noch ähnlicher sah.
Er beugte sich herab und packte mich bei den Armen. Immer noch nach Atem ringend, versuchte ich ihn abzuschütteln, aber es gelang mir nur, ihn über mich zu ziehen.
Er verlor das Gleichgewicht und fiel der Länge nach auf mich. Doch sein Ärger schien überraschenderweise zu verfliegen.
»Oh, aus der Richtung weht also der Wind?« sagte er leise lachend. »Nun, ich wäre dir nur zu gerne gefällig, Liebchen, bloß fügt es sich leider so, daß du eine recht ungünstige Zeit gewählt hast.« Mit seinem Gewicht drückte er meine Hüften zu Boden, und ein spitzer Stein bohrte sich schmerzhaft in mein Kreuz. Ich wand mich. Der Mann preßte seinen Unterleib gegen meinen, und seine Hände drückten meine Schultern nach unten. Ich öffnete entrüstet den Mund.
»Was fällt Ihnen…«, begann ich, doch er senkte den Kopf und küßte mich, meinen Protest erstickend. Seine Zunge drang in meinen Mund ein, erkundete mich mit frecher Vertraulichkeit, wanderte umher, stieß, zog sich zurück und unternahm einen neuen Ausfall. Dann ließ er so plötzlich von mir ab, wie er begonnen hatte.
Er tätschelte mir die Wange. »Sauber, Liebchen, sauber. Später vielleicht, wenn ich die Muße habe, mich dir richtig zu widmen.«
Inzwischen konnte ich wieder atmen, und ich nutzte die Gelegenheit, Randall ins Ohr zu schreien. Er zuckte zusammen, als hätte ich einen weißglühenden Draht durch sein Trommelfell gebohrt. Dann hob ich das Knie und stieß es in seine ungeschützte Flanke, was ihn, alle viere von sich gestreckt, ins Laub beförderte.
Ich rappelte mich unbeholfen auf. Er rollte sich flink vom Boden ab und kam neben mir zu stehen. Ich blickte wild in die Runde, suchte einen Ausweg, aber wir waren am Fuße eines jener hohen Granitfelsen, die in den Highlands so oft abrupt aus der Erde ragen. Randall hatte mich an einem Punkt festgenagelt, wo das Gestein eine Art Gelaß bildete. Mit ausgebreiteten Armen stand er in der Lücke und versperrte mir den Weg zum Hang. Auf seinem hübschen, dunklen Gesicht lag ein Ausdruck, der von Zorn und Neugier sprach.
»Mit wem warst du zusammen?« herrschte er mich an. »Mit diesem Frank? Ich habe keinen Mann jenes Namens in meiner Kompanie. Oder ist das einer, der irgendwo in der Nähe wohnt?« Er lächelte spöttisch. »Du riechst nicht nach Dung, also hast du wohl bei keinem Kätner gelegen. Überdies siehst du teurer aus, als es sich die hiesigen Bauern leisten können.«
Ich ballte die Fäuste und knirschte mit den Zähnen. Was immer dieser Scherzbold im Sinn hatte, ich würde es nicht dulden.
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon Sie sprechen, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich jetzt vorbeiließen!« sagte ich in meinem schärfsten Stationsschwesternton. Dies wirkte im allgemeinen recht gut bei widerborstigen Pflegern und jungen Medizinalassistenten, Hauptmann Randall aber schien es lediglich zu amüsieren. Ich unterdrückte die Angst, die unter meinen Rippen flatterte wie ein aufgescheuchter Vogel.
Randall schüttelte den Kopf und musterte mich erneut.
»Jetzt noch nicht, Liebchen«, sagte er im leichten Plauderton. »Ich frage mich nur, warum eine Hure, die im Hemd unterwegs ist, Schuhe trägt? Und recht feine obendrein«, fügte er mit einem Blick auf meine schlichten braunen Halbschuhe hinzu.
»Eine was?!« rief ich.
Er ignorierte das, trat plötzlich vor und faßte mein Kinn. Ich packte sein Handgelenk und zerrte daran.
»Lassen Sie mich los!« Er hatte Finger wie Stahl. Ohne meine Anstrengungen zu beachten, drehte er mein Gesicht im verblassenden Licht des Spätnachmittags hin und her.
»Wahrhaftig, die Haut einer Dame!« murmelte er. Er beugte sich vor und schnupperte. »Und ein französisches Duftwasser in den Haaren.« Er ließ mich los, und ich rieb mir empört das Kinn, als wollte ich die Berührung ungeschehen machen.
»Den Rest könntest du mit dem Geld deines Gönners zuwege gebracht haben«, sagte er sinnend, »aber du sprichst auch wie eine Dame.«
»Vielen herzlichen Dank!« fauchte ich. »Und jetzt gehen Sie mir aus dem Weg. Mein Mann wartet auf mich; wenn ich nicht in zehn Minuten zurück bin, wird er mich suchen.«
»Oh, dein Mann?« Der höhnisch-bewundernde Ausdruck verflüchtigte sich etwas, verschwand aber nicht ganz. »Und wie lautet, bitte sehr, der Name deines Mannes? Wo ist er? Und warum erlaubt er seiner Frau, allein und en déshabillé durch menschenleere Wälder zu streifen?«
Ich hatte den Teil meines Gehirns ignoriert, der sich schier zermarterte bei dem Versuch, Sinn in die letzten Stunden zu bringen. Doch nun konnte er sich lange genug durchsetzen, um mir zu sagen, daß es wohl nur zu weiteren Verwicklungen führen würde, wenn ich diesem Fremden Franks Namen nannte. Und so verschmähte ich es, ihm zu antworten, und wollte mich an ihm vorbeischieben. Mit einem Arm versperrte er mir den Weg, mit der anderen griff er nach mir.
Von oben kam plötzlich ein Rauschen, gefolgt von einem verschwommenen Schatten. Ich hörte einen dumpfen Aufprall. Hauptmann Randall lag mir zu Füßen unter einem wogenden Haufen, der wie ein Bündel alter Decken aussah. Eine braune, felsähnliche Faust hob sich aus dem Gewirr, sauste mit großer Wucht hernieder und traf auf etwas Knochiges, wie man aus dem Knacken schließen konnte. Die zappelnden Beine des Hauptmanns, die mit glänzend polierten Stiefeln angetan waren, erschlafften plötzlich.
Und ich starrte in scharfe, schwarze Augen. Die sehnige Hand, die den unwillkommenen Aufmerksamkeiten des Hauptmanns ein Ende bereitet hatte, hing wie eine Klette an meinem Unterarm.
»Und wer, verdammt noch mal, sind Sie?« fragte ich erstaunt. Mein Retter, wenn ich ihn denn so bezeichnen wollte, war ein paar Zentimeter kleiner als ich und von schlankem Wuchs, doch die bloßen Arme, die aus dem zerlumpten Hemd schauten, waren äußerst muskulös. Seine ganze Gestalt erweckte den Eindruck, als wäre sie so unverwüstlich wie Sprungfedern. Eine Schönheit war er freilich nicht; er hatte Pockennarben, eine niedrige Stirn und ein allzu kleines Kinn.
»Dorthin.« Er riß an meinem Arm, und ich, ganz betäubt von den sich überstürzenden Ereignissen, folgte ihm gehorsam.
Mein neuer Gefährte bahnte sich rasch einen Weg durch das dürftige Erlengehölz, machte abrupt einen Bogen um einen großen Findling, und plötzlich waren wir auf einem Pfad. Er war mit Stechginster und Heide überwuchert und verlief im Zickzack, so daß man nie mehr als drei Meter von ihm sehen konnte, aber es war dennoch unverkennbar ein Pfad, der steil nach oben führte, einem Bergkamm entgegen.
Erst als wir auf der anderen Seite behutsam abwärts stiegen, war ich wieder genug bei Atem und Verstand, um zu fragen, wohin es ging. Da mir mein Gefährte keine Antwort gab, wiederholte ich, lauter diesmal: »Wohin gehen wir, um alles in der Welt?«
Zu meiner erheblichen Verwunderung fuhr er mit verzerrtem Gesicht zu mir herum und stieß mich vom Pfad. Als ich den Mund öffnete, um zu protestieren, hielt er ihn mir zu, drückte mich auf die Erde und warf sich auf mich.
Nicht schon wieder! dachte ich und versuchte verzweifelt, den Mann abzuschütteln. Dann hörte ich, was er gehört hatte, und lag still. Stimmen riefen hin und wider, begleitet von Geplatsche und Getrampel. Englische Stimmen, kein Zweifel. Ich kämpfte erbittert, um freizukommen. Ich schlug meine Zähne in die Hand des Mannes und hatte noch Zeit festzustellen, daß er Salzhering mit den Fingern gegessen hatte; dann traf mich etwas am Hinterkopf, und mir wurde schwarz vor Augen.
 
Die gemauerte Kate ragte plötzlich aus dem Abendnebel auf. Die Fensterläden waren fest verriegelt, und man sah nicht mehr als einen dünnen Streifen Licht. Da ich keine Ahnung hatte, wie lange ich ohnmächtig gewesen war, wußte ich auch nicht, wie weit dieser Ort vom Craigh na Dun und von Inverness entfernt war. Wir saßen zu Pferd, ich vor meinem Häscher, und meine Hände waren an den Sattelknauf gebunden. Da es keine Straße gab, kamen wir nur langsam vorwärts.
Ich nahm an, daß ich nur kurz weggetreten war; außer einer kleinen Beule hatte der Schlag auf den Schädel keine nachteiligen Wirkungen gezeitigt. Mein Häscher, ein wortkarger Bursche, hatte auf all meine Fragen, Forderungen und beißenden Kommentare mit einem schottischen Allzwecklaut geantwortet, der sich phonetisch am besten mit »Mmmpf« wiedergeben läßt. Hätte ich Zweifel an seiner Nationalität gehabt, dieser Laut hätte genügt, sie zu zerstreuen.
Meine Augen hatten sich, während das Pferd durchs steinige Gelände stolperte, allmählich an das Zwielicht gewöhnt, und so war es ein Schock, plötzlich in einen Raum zu treten, der von gleißender Helligkeit erfüllt schien. Der Schein trügte jedoch - der Raum wurde tatsächlich nur von einem Kaminfeuer, mehreren Kerzen und einer gefährlich altmodischen Öllampe erleuchtet.
»Was hast du da, Murtagh?«
Der Mann mit dem Frettchengesicht faßte meinen Arm und drängte mich in den Feuerschein.
»Ein englisches Frauenzimmer; wenn man danach geht, wie sie redet, Dougal.« Es waren mehrere Männer im Raum, und alle starrten mich an, einige neugierig, andere unverkennbar lüstern. Mein Kleid war im Laufe des Nachmittags an einigen Stellen aufgerissen, und ich überprüfte hastig den Schaden. Als ich an mir hinabschaute, sah ich durch einen Riß ganz deutlich die Rundung einer Brust, und ich war mir sicher, daß die Männer es auch sahen. Wenn ich versuchte, die zerfransten Ecken zusammenzuraffen, würde ich nur noch mehr Aufmerksamkeit darauf lenken; und so schnitt ich einem der Männer aufs Geratewohl eine Grimasse und hoffte, dadurch entweder ihn oder mich auf andere Gedanken zu bringen.
»Ob Engländerin oder nicht, hübsch ist sie«, sagte der Mann, der am Feuer saß, einer von der dicken, schmierigen Sorte. Er hielt ein großes Stück Brot in der Hand und legte es nicht weg, als er sich erhob und zu mir herüberkam. Er drückte mein Kinn hoch und wischte mir die Haare aus dem Gesicht. Ein paar Brotkrumen fielen in meinen Ausschnitt. Die anderen Männer drängten sich um mich, eine formlose Masse aus Plaids und Bärten, die streng nach Schweiß und Alkohol roch. Erst jetzt fiel mir auf, daß sie alle Kilts trugen - merkwürdig selbst für diesen Teil der Highlands. Handelte es sich hier um das Jahrestreffen eines Clans oder um eine Wiedersehensfeier alter Kameraden?
»Komm her, Mädel.« Ein hochgewachsener Mann mit dunklem Bart, der an dem Tisch beim Fenster saß, winkte mich herbei. Seinem herrschaftlichen Gebaren nach zu schließen, schien er der Anführer dieser Horde zu sein. Die anderen machten widerwillig den Weg frei, als Murtagh mich vorwärtszog.
Der dunkle Mann betrachtete mich gründlich und mit ausdrucksloser Miene. Er sah gut und nicht unfreundlich aus. Doch zwischen seinen Brauen waren Falten der Anspannung eingegraben, und er wirkte wie jemand, dem man besser nicht in die Quere kam.
»Wie heißen Sie, Mädel?« Die Stimme war ziemlich hell für einen Mann seiner Größe, nicht der tiefe Baß, den ich angesichts seiner breiten Brust erwartet hätte.
»Claire«, sagte ich und entschied mich dafür, meinen Mädchennamen zu gebrauchen. »Claire Beauchamp.« Wenn die Burschen auf Lösegeld aus waren, wollte ich ihnen nicht behilflich sein, indem ich einen Namen nannte, der sie zu Frank führen konnte. Auch wollte ich nicht, daß diese rauhen Gesellen erfuhren, wer ich war, bevor ich wußte, wer sie waren. »Und was berechtigt Sie Ihrer Meinung nach -« Der dunkle Mann ignorierte mich und begründete damit eine Gewohnheit, deren ich sehr bald müde werden sollte.
»Beauchamp?« Die buschigen Brauen hoben sich, und ein verwundertes Raunen ging durch die ganze Versammlung. »Das ist ein französischer Name, nicht wahr?« Tatsächlich hatte er den Namen in korrektem Französisch ausgesprochen, obwohl ich die übliche englische Aussprache - »Beecham« - verwendet hatte.
»Ja, das ist richtig«, sagte ich etwas erstaunt.
Dougal drehte sich zu Murtagh um, der aus einer ledernen Feldflasche trank. »Wo hast du das Mädel gefunden?« fragte er.
Der kleine Mann mit dem Frettchengesicht zuckte die Achseln. »Am Craigh na Dun. Sie hat sich mit einem Dragonerhauptmann gezankt, den ich zufällig kenne«, fügte er hinzu und zog vielsagend die Augenbrauen hoch. »Sie konnten sich nicht einigen, ob die Dame eine Hure ist oder nicht.«
Dougal betrachtete mich wieder gründlich, schien jedes Detail meines Baumwollkleides und meiner Halbschuhe wahrzunehmen.
»Aha. Und welchen Standpunkt hat die Dame bei diesem Disput vertreten?« fragte er, wobei er das Wort »Dame« zu meinem Mißfallen sarkastisch betonte. Mir fiel auf, daß sein schottischer Akzent zwar ausgeprägt, aber nicht so breit wie der von Murtagh war.
Murtagh amüsierte sich offenbar; zumindest wies einer der Winkel seines schmallippigen Mundes nach oben. »Sie hat gesagt, sie wäre keine. Der Hauptmann war sich selber nicht so ganz im klaren, aber geneigt, es darauf ankommen zu lassen…«
»Das könnten wir auch.« Der dicke Mann mit dem schwarzen Bart ging grinsend auf mich zu, die Hände bereits an seinem Gürtel. Ich trat hastig zurück.
»Das reicht, Rupert.« Dougal betrachtete mich immer noch finster, aber seine Stimme klang autoritär, und Rupert ließ von seinen Annäherungsversuchen ab und verzog enttäuscht das Gesicht.
»Ich halte nichts davon, Frauen zu schänden; und wir haben ohnehin keine Zeit dafür.« Ich vernahm diese Grundsatzerklärung mit einer gewissen Zufriedenheit, auch wenn ihr moralischer Unterbau etwas fragwürdig schien. Angesichts der unverhohlen lüsternen Miene einiger der Männer war ich jedoch immer noch nervös. Zwar hatte ich keine Ahnung, wer sie waren und was sie wollten, aber sie schienen mir verdammt gefährlich. Ich unterdrückte eine Reihe mehr oder weniger unkluger Bemerkungen, die mir auf der Zunge lagen.
»Was sagst du nun, Murtagh?« fragte Dougal meinen Häscher. »Rupert scheint ihr nicht zu gefallen.«
»Das ist kein Beweis«, widersprach ein kurzwüchsiger Mann mit schütteren Haaren. »Er hat ihr kein Silber geboten. Man kann nicht erwarten, daß eine Frau jemand wie Rupert ohne gutes Geld auf sich nimmt - im voraus natürlich«, fügte er zur großen Erheiterung seiner Kumpane hinzu. Dougal machte dem Krawall mit knapper Gebärde ein Ende und wies mit dem Kopf nach der Tür. Der Mann mit den schütteren Haaren verschwand, immer noch grinsend, im Dunkeln.
Murtagh, der nicht in das Gelächter eingestimmt hatte, musterte mich finster. Er schüttelte den Kopf, daß die strähnigen Fransen über seiner Stirn nur so flogen.
»Nein«, sagte er schließlich. »Ich weiß nicht, was sie ist, aber ich wette mein bestes Hemd, daß sie keine Hure ist.« Ich hoffte, sein bestes Hemd wäre nicht das, was er am Leib trug, denn das sah schwerlich so aus, als lohnte es eine Wette.
»Wenn du’s sagst, Murtagh, du kennst dich ja aus«, spöttelte Rupert, wurde jedoch von Dougal zum Schweigen gebracht.
»Wir klären das später«, sagte er barsch. »Wir müssen heute noch ein gutes Stück Wegs hinter uns bringen, und zuerst müssen wir etwas für Jamie tun; er kann so nicht reiten.«
Ich wich in den Schatten zurück und hoffte, nicht aufzufallen. Murtagh hatte meine Hände von den Fesseln befreit, bevor er mich in die Kate führte. Vielleicht konnte ich mich davonstehlen, während die Männer anderweitig beschäftigt waren. Sie hatten sich jetzt einem jungen Mann zugewandt, der zusammengekauert auf einem Hocker in der Ecke saß. Er hatte, als ich befragt wurde, kaum aufgeblickt, sondern den Kopf gesenkt, mit der linken Hand seine rechte Schulter umklammert und sich, wohl vor Schmerz, hin und her gewiegt.
Dougal schob die Hand des jungen Mannes behutsam fort. Ein anderer zog dessen Plaid beiseite; darunter kam ein dreckverschmiertes, blutbeflecktes Leinenhemd zum Vorschein. Ein kleiner Bursche mit buschigem Schnurrbart trat mit einem Messer hinter den Jungen, faßte den Kragen des Hemdes und schlitzte Brust und Ärmel auf, so daß es von der Schulter herabsank.
Ich keuchte, wie mehrere Männer auch. Die Schulter war verletzt; eine tiefe, schartige Schramme verlief oben, und Blut rann in stetigem Strom über die Brust des jungen Mannes. Noch schockierender wirkte das Schultergelenk. Hier erhob sich ein furchtbarer Höcker, und der Arm hing in unmöglichem Winkel herunter.
»Mmmpf«, knurrte Dougal. »Ausgerenkt. Armer Kerl.« Der junge Mann blickte zum ersten Mal auf. Er hatte ein markantes, freundliches Gesicht, so schmerzverzerrt und stoppelig es im Moment auch war.
»Als mich die Musketenkugel aus dem Sattel gehoben hat, bin ich mit ausgestreckter Hand gefallen«, sagte er. »Bin mit meinem ganzen Gewicht drauf gelandet, und da hat’s gekracht, und der Arm war draußen.«
»Ja, da hat es in der Tat gekracht.« Der Bursche mit dem Schnurrbart, ein Schotte und, dem Akzent nach zu urteilen, gebildet, betastete die Schulter, woraufhin der Junge gepeinigt das Gesicht verzog. »Die Wunde macht keine Schwierigkeit. Ein glatter Durchschuß, und sie ist sauber - blutet auch genug.« Der Mann nahm ein schmutziges Tuch und tupfte das Blut damit ab. »Ich weiß nur nicht, was wir mit dem ausgekugelten Arm machen sollen. Wir brauchen einen Wundarzt, um ihn wieder einzurenken. So kannst du nicht reiten, oder, Jamie?«
Musketenkugel? dachte ich verständnislos. Wundarzt?
Der junge Mann schüttelte den Kopf. Sein Gesicht war kalkweiß. »Tut schon furchtbar weh, wenn ich stillsitze. Nein, reiten kann ich wirklich nicht.« Er schloß die Augen und grub die Zähne in die Unterlippe.
Murtagh meldete sich ungeduldig zu Wort. »Zurücklassen können wir ihn nicht, hab ich recht? Die Rotröcke sind keine Meister, wenn es darum geht, im Dunkeln nach Spuren zu suchen, aber sie werden die Kate früher oder später finden. Und Jamie kann sich mit diesem Riesenloch in der Schulter kaum als unschuldiger Kätner ausgeben.«
»Keine Bange«, sagte Dougal knapp. »Ich habe nicht vor, ihn zurückzulassen.«
Der Mann mit dem Schnurrbart seufzte. »Dann hilft alles nichts - wir müssen versuchen, den Arm wieder einzurenken. Murtagh und Rupert, ihr haltet ihn fest, und ich probiere es.«
Mitfühlend beobachtete ich, wie er den Arm des jungen Mannes beim Handgelenk und beim Ellenbogen faßte und ihn aufwärts zu schieben begann. Der Winkel war völlig falsch; es mußte ihm rasende Schmerzen bereiten. Schweiß strömte dem jungen Mann übers Gesicht, aber außer einem leisen Stöhnen gab er keinen Laut von sich. Plötzlich sank er vornüber, und nur der eiserne Griff, mit dem die Männer ihn hielten, verhinderte, daß er zu Boden fiel.
Einer nahm den Stöpsel aus einer ledernen Feldflasche und drückte sie ihm an die Lippen. Der Dunst des hochprozentigen Alkohols zog bis zu mir herüber. Der junge Mann hustete und würgte, schluckte aber trotzdem; die bernsteingelbe Flüssigkeit tropfte auf die Überreste seines Hemdes.
»Bereit für einen zweiten Versuch, Junge?« fragte der Mann mit den schütteren Haaren. »Vielleicht sollte Rupert es jetzt probieren«, schlug er vor und wandte sich dem dicken Grobian mit dem schwarzen Bart zu.
Rupert rieb sich geschäftig die Hände, dann packte er den Arm des jungen Mannes, offenbar in der Absicht, ihn mit Brachialgewalt einzurenken; es war klar, daß dabei Knochen splittern würden wie morsches Holz.
»Lassen Sie das!« Vergessen war jeder Gedanke an Flucht, verdrängt von der Empörung der Heilkundigen; ich trat vor, ohne die verdutzten Blicke der Männer ringsum zu beachten.
»Was soll das heißen?« blaffte der Bursche mit den schütteren Haaren, deutlich verärgert über meine Einmischung.
»Das soll heißen, daß Sie ihm den Arm brechen, wenn Sie es so machen«, blaffte ich zurück. »Gehen Sie bitte beiseite.« Ich stieß Rupert fort und griff nach dem Arm des Patienten. Er schien so überrascht wie die anderen, leistete jedoch keinen Widerstand.
»Sie müssen den Oberarmknochen in den richtigen Winkel bringen, sonst gleitet er nicht ins Schultergelenk zurück«, sagte ich keuchend, während ich das Handgelenk hinauf und den Ellbogen einwärts zog. Der junge Mann war kräftig gebaut; sein Arm war bleischwer.
»Jetzt kommt das Schlimmste«, warnte ich ihn. Ich schloß meine Hand um den Ellbogen, bereit, ihn nach oben zu schieben.
Die Mundwinkel des jungen Mannes zuckten; beinahe hätte er gelächelt. »Viel ärger als jetzt kann’s nicht weh tun. Nur zu.« Inzwischen lief auch mir der Schweiß übers Gesicht. Einen Arm wieder einzurenken, ist selbst unter günstigsten Umständen harte Arbeit. Und bei diesem großen und breiten Mann, dessen Arm schon seit Stunden ausgekugelt war, kostete es mich alle Kraft, die ich hatte.
Plötzlich gab die Schulter ein leises Knirschen von sich, und der Arm war wieder eingerenkt. Der Patient blickte verdattert drein. Ungläubig hob er die Hand, um seine Schulter zu betasten.
»Es tut nicht mehr weh!« Ein Grinsen des Entzückens und der Erleichterung breitete sich über sein Gesicht, und die Männer spendeten Applaus.
»Das kommt noch.« Ich schwitzte vor Anstrengung, war jedoch mit dem Ergebnis zufrieden. »Das Gelenk wird noch eine Weile sehr empfindlich sein. Sie dürfen es zwei, drei Tage überhaupt nicht belasten; und wenn Sie es wieder tun, dann sehr vorsichtig. Hören Sie sofort damit auf, wenn Sie Schmerzen bekommen, und machen Sie jeden Tag warme Umschläge.«
Der Patient lauschte respektvoll meinem Rat; die anderen Männer dagegen musterten mich mit Blicken, die erstaunt bis argwöhnisch waren.
»Ich bin Schwester«, erklärte ich, weil ich irgendwie das Gefühl hatte, mich rechtfertigen zu müssen.
Dougal und Rupert beäugten mich verständnislos. Dann sahen sie einander an. Schließlich blickte mir Dougal wieder ins Gesicht und zog die Augenbrauen hoch.
»Wie dem auch sei«, sagte er. »Ob Bet- oder Bettschwester, Sie scheinen einiges Geschick im Heilen zu haben. Ist es Ihnen möglich, die Wunde des Jungen so zu versorgen, daß er zu Pferd sitzen kann?«
»Ich kann die Wunde verbinden, ja«, erwiderte ich schroff. »Vorausgesetzt, Sie haben Verbandsmaterial. Aber was soll das mit der Bet- oder Bettschwester? Und wie kommen Sie auf die Idee, ich könnte Ihnen helfen wollen?«
Man ignorierte mich wieder einmal; Dougal drehte sich einfach um und sprach in einer Sprache, die ich für Gälisch hielt, zu einer Frau, die in der Ecke kauerte. Da ständig Männer um mich herumstanden, hatte ich sie vorher nicht bemerkt. Sie war, fand ich, seltsam angezogen, trug einen zerlumpten Rock und eine Bluse mit langen Ärmeln, halb bedeckt von einer Art Leibchen. Alles, einschließlich ihres Gesichts, wirkte ein wenig schmuddelig. Doch als ich in die Runde blickte, stellte ich fest, daß es in der Kate nicht nur keinen Strom, sondern auch kein fließendes Wasser gab; das könnte den Dreck entschuldigen.
Die Frau sprang hastig auf, machte einen Knicks, trippelte an Rupert und Murtagh vorbei, wühlte in einer bemalten Truhe beim Feuer herum und förderte schließlich einen Stapel verlotterter Stofffetzen zutage.
Ich berührte die Sachen mit spitzen Fingern. »Nein, das geht nicht«, sagte ich. »Die Wunde muß erst desinfiziert und dann mit sauberem Stoff verbunden werden, wenn es hier schon keinen sterilen Mull gibt.«
Ringsum hoben sich Brauen. »Desinfiziert?« fragte der Mann mit den schütteren Haaren. Er sprach es sehr sorgfältig aus.
»Allerdings«, antwortete ich mit fester Stimme; ich hielt ihn trotz seiner gebildeten Sprache für etwas einfältig. »Jeder Schmutz muß aus der Wunde entfernt werden. Und sie muß mit einer Lösung behandelt werden - das tötet Keime ab und fördert den Heilungsprozeß.«
»Mit was für einer Lösung?«
»Zum Beispiel mit Jod.« Da die Gesichter, die ich vor mir hatte, immer noch verständnislos dreinblickten, versuchte ich es noch einmal. »Ein anderes Antiseptikum geht auch. Karbolverdünnung meinetwegen«, schlug ich vor. »Oder sogar Alkohol.« Erleichterte Blicke. Endlich hatte ich ein Wort gefunden, das die Männer zu kennen schienen. Ich seufzte vor Ungeduld. Ich wußte, daß das Hochland primitiv war, aber das hier war fast unglaublich.
»Hören Sie«, sagte ich so ruhig, wie ich nur konnte. »Warum bringen Sie ihn nicht einfach in die Stadt? Es kann nicht weit sein, und ich bin sicher, daß es da einen Arzt gibt, der sich um ihn kümmert.«
Die Frau gaffte mich an. »Welche Stadt?«
Dougal ignorierte mich erneut und ging leise zur Tür. Die Männer verstummten, als er in der Nacht verschwand.
Kurz darauf war er wieder da. Er brachte den Mann mit den schütteren Haaren und dem kalten, durchdringenden Duft von Kiefern mit. Als er die fragenden Blicke seiner Leute sah, schüttelte er den Kopf.
»Nein, nichts in der Nähe. Wir brechen sofort auf. Noch droht keine Gefahr.«
Er schaute mich an, hielt einen Moment inne und dachte nach. Dann nickte er mir zu - er hatte seine Entscheidung getroffen.
»Sie kommt mit«, sagte er. Er durchwühlte den Haufen auf dem Tisch und zog einen zerfledderten Fetzen aus dem Stapel; es sah aus wie ein Halstuch, das schon bessere Tage erlebt hatte.
Der Mann mit dem Schnurrbart wollte mich offenbar nicht dabeihaben.
»Warum bleibt sie nicht einfach hier?«
Dougal warf ihm einen ungehaltenen Blick zu, überließ die Erklärung jedoch Murtagh. »Wo immer die Rotröcke jetzt sein mögen, bei Tagesanbruch werden sie hier sein, und bis dahin ist es nicht mehr weit. Wenn die Frau für die Engländer spioniert, können wir es nicht wagen, sie dazulassen; dann verrät sie ihnen, in welche Richtung wir geritten sind. Und wenn sie nicht auf gutem Fuß mit ihnen steht…« - Murtagh betrachtete mich zweifelnd -, »dann können wir sie gewiß nicht allein und im Hemd zurücklassen.« Seine Miene hellte sich etwas auf, als er den Stoff meines Rockes befingerte. »Außerdem ist sie vielleicht einiges an Lösegeld wert. So wenig sie am Leibe hat - es ist feines Tuch.«
»Und sie kann uns unterwegs nützlich sein«, fügte Dougal hinzu. »Sie scheint sich aufs Heilen zu verstehen. Aber dafür haben wir jetzt nicht viel Zeit. Ich fürchte, du mußt aufbrechen, ohne ›desinfiziert‹ worden zu sein, Jamie«, sagte er und klopfte dem jungen Mann auf die gesunde Schulter. »Kannst du einhändig reiten?«
»Aye.«
»Gut so. Hier«, sagte Dougal und warf mir den schmierigen Fetzen zu. »Verbinden Sie seine Wunde. Schnell. Wir müssen uns auf den Weg machen. Ihr zwei holt die Pferde«, befahl er dem Mann mit dem Frettchengesicht und dem dicken Rupert.
Ich drehte den Fetzen angewidert um.
»Den kann ich nicht nehmen«, sagte ich. »Er starrt vor Dreck.«
Ich sah nicht, wie er sich bewegte, aber plötzlich hatte Dougal meine Schulter gepackt, und seine dunklen Augen waren nur ein paar Zentimeter von meinen entfernt. »An die Arbeit«, knurrte er.
Er gab mich mit einem leichten Stoß frei, schritt zur Tür und verschwand hinter seinen beiden Kumpanen. Mehr als nur ein bißchen mitgenommen, ging ich daran, die Schußwunde so gut wie möglich zu verbinden. Das schmierige Halstuch konnte ich nicht verwenden; das verbot mir meine medizinische Ausbildung. Ich verdrängte meine Verwirrung und mein Entsetzen, indem ich mich bemühte, etwas Geeigneteres zu finden, und nach einer raschen und vergeblichen Suche im Stoffhaufen begnügte ich mich schließlich mit einigen Streifen Kunstseide, die ich vom Saum meines Unterrocks abriß. Es war zwar nicht steril, aber das bei weitem sauberste Material, das mir zur Verfügung stand.
Das Leinenhemd meines Patienten war alt und abgetragen, aber immer noch erstaunlich fest. Mit einiger Mühe riß ich den Ärmel ganz auf und improvisierte daraus eine Schlinge. Ich trat zurück, um das Resultat zu betrachten, und stieß mit Dougal zusammen, der leise eingetreten war, um mir zuzusehen.
Er warf einen anerkennenden Blick auf mein Werk. »Gute Arbeit, Mädel. Konmt, wir sind fertig.«
Dougal gab der Frau eine Münze und drängte mich aus der Kate, gefolgt von Jamie, der immer noch ein wenig blaß war. Nun, da er sich von dem niedrigen Hocker erhoben hatte, erwies sich mein Patient als ziemlich hochgewachsen; er überragte Dougal, der selbst nicht klein war, um einige Zentimeter.
Rupert und Murtagh standen draußen mit sechs Pferden und murmelten ihnen gälische Koseworte zu. Die Nacht war mondlos, aber die metallenen Teile der Geschirre blinkten wie Silber. Ich schaute auf und hielt vor Staunen fast den Atem an; der Himmel war so wunderbar mit Sternen übersät, wie ich es noch nie gesehen hatte. Als ich auf die umliegenden Wälder blickte, erkannte ich den Grund dafür. Da keine Stadt in der Nähe lag, die den Himmel mit Licht verschleierte, waren die Sterne die unumschränkten Regenten der Nacht.
Und dann blieb ich stehen, und mir wurde kalt. Keine Lichter. »Welche Stadt?« hatte die Frau in der Kate gefragt. Aus den Kriegsjahren war ich Verdunkelung und Luftangriffe gewohnt, und so hatte es mich zunächst nicht beunruhigt, daß keinerlei Lichter zu sehen waren. Doch nun hatten wir Frieden, und die Lichter von Inverness hätten kilometerweit strahlen müssen.
Die Männer waren fast formlose Gestalten im Dunkeln. Ich spielte mit dem Gedanken, zwischen den Bäumen zu verschwinden, aber Dougal, der dies offenbar ahnte, packte mich am Ellbogen und zog mich zu den Pferden.
»Steig auf, Jamie!« rief er. »Das Mädel reitet mit dir.« Er drückte meinen Ellbogen. »Sie halten die Zügel, wenn Jamie nicht zurechtkommt, und sehen Sie zu, daß Sie immer in unserer Nähe bleiben. Wenn Sie etwas anderes versuchen, schneide ich Ihnen die Kehle durch. Verstanden?«
Ich nickte; ich hatte einen so trockenen Mund, daß ich nicht antworten konnte. Dougals Stimme hatte nicht allzu bedrohlich geklungen, doch ich glaubte ihm aufs Wort. Ich war um so weniger geneigt, etwas »zu versuchen«, als ich keine Ahnung hatte, was. Ich wußte nicht, wo ich mich befand, wer die Männer waren, warum und wohin wir so eilig aufbrachen, aber ich hatte keine andere Wahl, als mitzukommen. Ich machte mir Sorgen wegen Frank - er mußte mich schon seit einiger Zeit suchen -, doch dies schien nicht der richtige Zeitpunkt, ihn zu erwähnen.
Dougal hatte wohl geahnt, daß ich nickte, denn er ließ meinen Arm los und bückte sich plötzlich. Ich starrte töricht auf ihn herab, bis er zischte: »Den Fuß, Mädel! Geben Sie mir Ihren Fuß! Nein, den linken«, fügte er fast angewidert hinzu. Rasch nahm ich meinen rechten Fuß aus seiner Hand und stieg mit dem linken auf. Dougal hob mich vor Jamie in den Sattel, und Jamie hielt mich mit seinem gesunden Arm fest und zog mich an sich.
Trotz der Mißlichkeit meiner Lage war ich dankbar für die Wärme des jungen Schotten. Er roch nach Holzrauch, Blut und ungewaschenem Mann, aber die Nachtkälte drang unangenehm durch mein dünnes Kleid, und ich lehnte mich zufrieden gegen ihn.
Die Geschirre klirrten leise, und wir ritten in die sternhelle Nacht hinein. Die Männer redeten nicht miteinander; es herrschte nur eine allgemeine Vorsicht und Wachsamkeit. Als wir auf der Straße waren, begannen die Pferde zu traben, und ich wurde so ungemütlich durchgeschüttelt, daß ich gar nicht sprechen wollte, selbst wenn jemand bereit gewesen wäre, mir zu lauschen.
Mein Gefährte hatte, wie es schien, wenig Schwierigkeiten, obwohl er seine Rechte nicht gebrauchen konnte. Ich spürte seine Schenkel hinter mir; gelegentlich bewegten sie sich, um das Pferd zu lenken. Ich klammerte mich am Sattel fest; ich hatte zwar schon zu Pferd gesessen, konnte aber längst nicht so gut reiten wie Jamie.
Nach einer Weile kamen wir zu einer Kreuzung, wo wir einen Moment haltmachten, während sich Dougal und der Mann mit den schütteren Haaren flüsternd berieten. Jamie ließ die Zügel seines Pferdes locker, und es wanderte an den Straßenrand, um Gras zu rupfen. Der junge Mann begann unterdessen, sich hinter mir hin und her zu winden.
»Vorsichtig!« sagte ich. »Bewegen Sie sich nicht so heftig, sonst löst sich Ihr Verband! Was soll das denn?«
»Ich will mein Plaid über dich decken«, sagte er. »Du zitterst. Aber mit einer Hand kann ich’s nicht. Öffnest du mal den Verschluß meiner Brosche?«
Nach einigem unbeholfenen Gezerre bekamen wir das Plaid locker. Jamie warf es mit verblüffender Geschicklichkeit aus und ließ es wie einen Schal um seine Schultern sinken. Dann legte er die Enden über meine Schultern und steckte sie unterm Sattel fest, so daß wir beide warm eingepackt waren.
»Na also«, sagte er. »Wir wollen nicht, daß du uns erfrierst, bevor wir da sind.«
»Danke«, sagte ich. »Aber wohin reiten wir?«
Ich konnte Jamies Gesicht nicht erkennen. Wie auch immer, er legte eine kleine Pause ein, bevor er antwortete.
Schließich lachte er. »Um dir die Wahrheit zu sagen, Mädel, ich weiß es selber nicht. Aber wenn wir da sind, werden wir’s wissen, oder?«
 
Irgend etwas schien mir vertraut an der Gegend, durch die wir kamen. Kannte ich nicht dieses große Felsgebilde, das vor uns aufragte und die Form eines Hahnenschweifs hatte?
»Der Cocknammon Rock!« rief ich.
»Aye«, bestätigte mein Gefährte unbeeindruckt.
»Haben den die Engländer nicht für Hinterhalte benutzt?« fragte ich und versuchte, mich auf die ermüdenden Einzelheiten der lokalen Geschichte zu besinnen, mit denen mich Frank in der letzten Woche stundenlang verwöhnt hatte. »Wenn eine englische Patrouille in der Nähe ist …« Ich zögerte. Wenn eine englische Patrouille in der Nähe war, tat ich vielleicht nicht gut daran, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Andererseits wäre ich, wenn uns aufgelauert wurde, von meinem Gefährten nicht zu unterscheiden, da wir ja gemeinsam in ein Plaid gehüllt waren. Ich dachte an Hauptmann Jonathan Randall und schauderte unwillkürlich. Alles, was ich gesehen hatte, seit ich durch den gespaltenen Stein getreten war, legte den völlig irrationalen Schluß nahe, daß der Mann, dem ich im Wald begegnet war, tatsächlich Franks Ahnherr war. Ich wehrte mich verbissen dagegen, konnte jedoch zu keinem anderen Schluß kommen, der den Fakten gerecht wurde.
Erst hatte ich gedacht, daß ich nur lebhafter träumte als sonst, aber Randalls Kuß, plumpvertraulich und grob, hatte diesen Eindruck zerstreut. Auch bildete ich mir nicht ein, daß ich geträumt hatte, von Murtagh auf den Kopf geschlagen worden zu sein; die schmerzhafte Beule an meinem Schädel wurde ergänzt von einer wundgescheuerten Stelle an meinem Schenkel, die ebenfalls wenig traumhaft wirkte. Und das Blut - nein, es war mir nicht fremd, ich hatte zuvor schon von Blut geträumt. Aber im Traum hatte es nie nach Blut gerochen, diesem warmen, kupferigen Geruch, den der Mann hinter mir immer noch ausströmte.
Er schnalzte mit der Zunge und lenkte sein Pferd neben das von Dougal, zog den massigen Schatten in ein leises Gespräch auf gälisch. Die Pferde verlangsamten ihre Gangart, liefen im Schritt.
Auf ein Zeichen von Dougal blieben Jamie, Murtagh und der kurzwüchsige Mann mit den schütteren Haaren zurück, während die beiden anderen ihren Tieren die Sporen gaben und auf den knapp fünfhundert Meter rechts von uns gelegenen Felsen zugaloppierten. Der Halbmond war aufgegangen, und sein Licht war so hell, daß man die Blätter der Malvengewächse am Straßenrand erkennen konnte; doch in den Schatten zwischen den Felsspalten konnte sich alles mögliche verbergen.
Gerade als die Reiter den Cocknammon Rock passierten, flammte in einer Höhlung Musketenfeuer auf. Unmittelbar hinter mir ertönte ein grauenerregendes Geheul, und das Pferd schoß vorwärts wie von einem Stachelstock angetrieben. Plötzlich rasten wir über die Heide auf den Felsen zu, Murtagh und den Mann mit den schütteren Haaren neben uns. Markerschütterndes Geschrei zerriß die Nachtluft.
Ich klammerte mich am Sattelknauf fest und bangte um mein Leben. Jamie hielt plötzlich neben einem großen Ginsterbusch an, faßte mich um die Taille und ließ mich ohne viel Federlesens hineinfallen. Das Pferd warf sich herum und galoppierte weiter, umrundete den Felsen, um auf dessen Südseite zu gelangen. Als das Pferd im Schatten verschwand, sah ich den Reiter geduckt im Sattel. Als es wieder auftauchte, immer noch galoppierend, war der Sattel leer.
Die Oberfläche des Cocknammon Rock war schattengefleckt; ich hörte Rufe und gelegentlich Musketenschüsse, konnte aber nicht sagen, ob die Bewegungen, die ich sah, von Menschen herrührten oder ob es sich nur um die Schatten der verkümmerten Eichen handelte, die aus den Spalten im Fels sprossen.
Ich befreite mich mit einiger Mühe aus dem Gebüsch und zupfte mir den stachligen Ginster vom Rock und aus den Haaren. Ich leckte einen Kratzer an meiner Hand und fragte mich, was ich jetzt tun sollte. Ich konnte warten, bis der Kampf entschieden war. Wenn die Schotten siegten oder zumindest überlebten, würden sie vermutlich zurückkommen und mich suchen. Wenn nicht, konnte ich mich an die Engländer wenden, die höchstwahrscheinlich annehmen würden, daß ich mit den Schotten im Bunde war, da ich in ihrer Gesellschaft reiste.
Vielleicht war es das beste, bei diesem Konflikt beide Parteien zu meiden. Schließlich hatte ich, nun, da ich wußte, wo ich war, eine gewisse Chance, eine Stadt oder eine Siedlung zu erreichen, die ich kannte, selbst wenn ich den ganzen Weg zu Fuß gehen mußte. Ich brach entschlossen in Richtung Straße auf, stolperte über zahllose Granitbrocken, die illegitimen Kinder des Cocknammon Rock.
Im Mondschein herumzulaufen, war ein trügerisches Unterfangen; zwar sah ich den Boden in allen Einzelheiten, aber alles wirkte seltsam flach - niedrige Pflanzen und scharfkantige Steine wirkten gleich groß, und so hob ich über eingebildete Hindernisse die Füße absurd hoch und stieß mir an Felsbrocken die Zehen an. Ich ging, so schnell ich konnte, und lauschte auf Geräusche, die anzeigten, daß man mich verfolgte.
Das Kampfgetöse verhallte, als ich mich der Straße näherte. Ich merkte, daß man mich dort viel zu schnell erblicken würde, aber ich mußte ihr folgen, wenn ich eine Stadt finden wollte. Ich hatte im Dunkeln keinerlei Orientierungssinn, und ich hatte mir von Frank nie erklären lassen, wie man sich mit Hilfe der Sterne zurechtfindet. Beim Gedanken an Frank hätte ich am liebsten geweint, und so versuchte ich mich abzulenken, indem ich mich bemühte, Sinn in die Ereignisse des Nachmittags zu bringen.
Es schien unvorstellbar, aber alles deutete darauf hin, daß ich an einem Ort war, wo immer noch die Sitten, Bräuche und politischen Verhältnisse des achtzehnten Jahrhunderts herrschten. Ich hätte vermutet, das Ganze sei irgendeine Veranstaltung mit Kostümen, wären da nicht die Verletzungen des jungen Mannes gewesen, den die anderen Jamie nannten. Die Wunde an der Schulter war tatsächlich durch eine Musketenkugel oder dergleichen verursacht worden, soweit ich sehen konnte. Auch das Verhalten der Männer in der Kate paßte nicht zu einem Theaterspiel. Es waren ernsthafte Leute, und ihre Dolche und Degen waren echt.
Ich schaute zum Felsen zurück, um festzustellen, wo genau ich war, und blickte dann zum Horizont. Dort sah ich nichts außer fedrigen Kiefernnadeln, die undurchdringlich schwarz vor dem Sternenzelt aufragten. Wo waren die Lichter von Inverness? Wenn das hinter mir der Cocknammon Rock war - und er war es -, dann war Inverness keine drei Meilen entfernt. Ich hätte die Lichter der Stadt sehen müssen. Wenn sie denn da war.
Schaudernd drückte ich die Arme an den Körper, damit ich nicht so fror. Selbst wenn ich einen Moment die völlig unwahrscheinliche Vorstellung, daß ich mich in einer anderen Zeit befand, gelten ließ - Inverness existierte seit sechshundert Jahren. Mit anderen Worten, es lag vor mir. Unbeleuchtet. Das legte die Vermutung nahe, daß es noch kein elektrisches Licht gab. Ein weiterer Beweis, falls es not tat. Aber was genau bewies es?
Ein Schatten trat aus der Dunkelheit - so dicht vor mir, daß ich fast mit ihm zusammenstieß. Ich unterdrückte einen Schrei und wollte davonrennen, doch eine große Hand packte meinen Arm und vereitelte die Flucht.
»Keine Angst, Mädchen. Ich bin’s.«
»Genau das habe ich ja befürchtet«, sagte ich verdrossen, obwohl ich tatsächlich erleichtert war, daß es Jamie war. Vor ihm hatte ich nicht so viel Angst wie vor den anderen Männern. Zwar sah er genauso gefährlich aus, doch er war noch jung, vermutlich sogar jünger als ich. Und es fiel mir schwer, vor jemandem Angst zu haben, den ich gerade verarztet hatte.
»Ich hoffe, Sie haben die Schulter nicht übermäßig belastet«, sagte ich mit der rügenden Stimme einer Mutter Oberin. Wenn ich einen ausreichend gebieterischen Ton anschlug, konnte ich ihn vielleicht dazu bewegen, daß er mich gehen ließ.
Jamie massierte die verletzte Schulter mit seiner freien Hand. »Das kleine Scharmützel hat ihr nicht gutgetan«, gab er zu.
Im selben Moment trat er ins helle Mondlicht, und ich sah den riesigen Blutflecken auf seiner Brust. Arterielle Blutung, dachte ich sofort, aber warum steht er dann noch aufrecht?
»Sie sind verletzt!« rief ich. »Ist die Wunde an Ihrer Schulter wieder aufgebrochen, oder ist das neu? Setzten Sie sich und lassen Sie mich nachsehen!« Ich schob ihn auf einen Haufen Felsblöcke zu und ging im Geiste rasch die Erste-Hilfe-Maßnahmen in einem solchen Fall durch. Kein Verbandmaterial zur Hand außer dem, was ich am Leibe trug. Ich griff nach den Resten meines Unterrocks und wollte die Blutung damit stillen, als Jamie lachte.
»Kümmere dich nicht drum, Mädel. Das ist nicht mein Blut. Jedenfalls nicht viel davon«, fügte er hinzu und zupfte den durchweichten Stoff von seinem Körper ab.
Ich schluckte, weil mir ein wenig übel war. »Oh«, sagte ich matt.
»Dougal und die anderen warten sicher an der Straße. Gehen wir.« Jamie nahm meinen Arm, weniger eine galante Geste als ein Mittel, mich zum Mitkommen zu zwingen. Ich stemmte die Fersen in den Boden.
»Nein! Ich komme nicht mit!«
Jamie blieb verwundert stehen. »Doch. Du kommst mit.« Meine Weigerung erboste ihn offenbar nicht; es schien ihn eher zu amüsieren, daß ich etwas dagegen hatte, erneut entführt zu werden.
»Und wenn ich es nicht tue? Schneiden Sie mir dann die Kehle durch?« fragte ich. Er sann darüber nach und antwortete gelassen: »Nein. Du siehst nicht so aus, als wärst du schwer. Wenn du nicht freiwillig mitkommst, werfe ich dich einfach über die Schulter. Soll ich?« Er machte einen Schritt auf mich zu, und ich wich hastig zurück. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, daß er es tun würde.
»Nein! Das dürfen Sie nicht, sonst verletzen Sie sich wieder.«
Seine Gesichtszüge waren nicht deutlich zu erkennen, aber ich sah, wie seine Zähne im Mondlicht aufleuchteten - er grinste.
»Wenn du nicht willst, daß ich mir weh tue, dann wirst du wohl freiwillig mitkommen müssen.« Ich suchte nach Worten, fand aber keine. Wieder nahm er meinen Arm, und wir liefen auf die Straße zu.
Die anderen Männer warteten, nicht allzuweit entfernt, mit den Pferden; anscheinend hatte es keine Verluste gegeben, denn sie waren vollzählig. Ich stieg ungeschickt aufs Pferd und plumpste erneut in den Sattel. Dabei stieß ich aus Versehen mit dem Kopf gegen Jamies verletzte Schulter, und er zog den Atem zischend durch die Zähne ein.
Ich versuchte, meinen Groll über die erneute Gefangennahme und mein Bedauern, daß ich ihm weh getan hatte, mit einer strengen Ermahnung zu überspielen.
»Das geschieht Ihnen recht. Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen die Schulter nicht bewegen; und jetzt haben Sie wahrscheinlich nicht nur blaue Flecke, sondern auch zerrissene Muskeln.«
Meine Standpauke schien Jamie zu erheitern. »Ich hatte keine andere Wahl. Wenn ich meine Schulter nicht bewegt hätte, hätte ich bald überhaupt nichts mehr bewegen können. Mit einem Rotrock werde ich zwar einhändig fertig, vielleicht sogar mit zweien«, sagte er ein bißchen prahlerisch, »aber nicht mit dreien. Außerdem«, fuhr er fort und zog mich an sein blutverkrustetes Hemd, »kannst du’s wieder richten, wenn wir da sind, wo wir hinwollen.«
»Das meinen Sie«, erwiderte ich frostig und entwand mich dem Kontakt mit dem klebrigen Stoff. Jamie schnalzte seinem Pferd mit der Zunge zu, und wir brachen auf. Die Männer waren nach dem Kampf bester Laune; sie lachten und scherzten. Mein kleiner Beitrag zur Vereitelung des Hinterhalts wurde hoch gelobt, und die Männer tranken mehrmals auf mein Wohl.
Sie boten auch mir ihre Feldflaschen an, aber ich lehnte zunächst ab, weil ich es schon nüchtern schwierig genug fand, im Sattel zu bleiben. Dem allgemeinen Gespräch entnahm ich, daß es sich um eine Patrouille von zehn mit Musketen und Säbeln bewaffneten englischen Soldaten gehandelt hatte.
Jemand reichte Jamie seine Feldflasche, und als er trank, roch ich den scharfen Branntwein. Ich war nicht durstig, aber der schwache Duft nach Honig erinnerte mich daran, daß ich Hunger hatte, und das schon seit geraumer Zeit. Mein Magen protestierte gegen diese Vernachlässigung und knurrte peinlich laut.
Rupert verkannte die Lärmquelle. »He, Jamie!« rief er. »Bist du hungrig? Oder hast du einen Dudelsack bei dir?«
Jamie nahm ritterlich die Schuld auf sich. »Hungrig genug, um einen Dudelsack zu essen!« rief er zurück. Einen Moment später schwebte seine Hand mit der Feldflasche vor meinem Gesicht.
»Trink einen Schluck«, flüsterte er. »Das füllt dir zwar nicht den Bauch, aber du vergißt deinen Hunger.«
Und ein paar andere Dinge, hoffte ich. Ich setzte die Feldflasche an die Lippen und trank.
 
Mein Gefährte hatte recht; der Whisky zündete ein kleines, warmes Feuer an, das behaglich in meinem Magen brannte und den quälenden Hunger linderte. Wir brachten mehrere Kilometer ohne Zwischenfälle hinter uns, wechselten uns damit ab, die Zügel zu führen und Whisky zu trinken. Doch in der Nähe einer verfallenen Kate begann Jamies Atem zu rasseln. Unser ohnehin recht mühsam aufrechterhaltenes Gleichgewicht geriet nun ernsthaft in Gefahr. Das verwirrte mich; wenn ich schon nicht betrunken war, schien es unwahrscheinlich, daß er einen Rausch hatte.
»Halt! Hilfe!« schrie ich. »Er fällt gleich!«
Dunkle Gestalten scharten sich um uns; Stimmengemurmel ertönte. Jamie rutschte mit dem Kopf voran wie ein Mehlsack aus dem Sattel und wurde zum Glück aufgefangen. Die anderen Männer waren abgesessen und hatten ihn, als ich zu Boden kletterte, bereits auf einen Acker gebettet.
»Atmen tut er«, sagte einer.
»Das hilft uns jetzt aber weiter«, fauchte ich und tastete im Dunkeln hektisch nach Jamies Puls. Schließlich fand ich ihn - beschleunigt, aber recht kräftig. Ich legte Jamie die Hand auf die Brust und hielt das Ohr an seinen Mund. Er atmete jetzt regelmäßiger, keuchte nicht mehr so stark. Ich richtete mich auf.
»Ich glaube, er ist nur ohnmächtig geworden«, sagte ich. »Legen Sie ihm eine Satteltasche unter die Beine und bringen Sie mir Wasser, wenn welches da ist.« Ich stellte mit Überraschung fest, daß meinen Befehlen prompt Folge geleistet wurde. Anscheinend war der junge Mann seinen Kumpanen wichtig. Er ächzte und schlug die Augen auf; im Sternenlicht wirkten sie wie schwarze Höhlungen.
»Mir geht’s schon wieder gut«, sagte er und versuchte, sich aufzusetzen. »Nur ein bißchen schwindelig, das ist alles.« Ich drückte ihn wieder zu Boden.
»Liegen Sie still«, befahl ich. Ich untersuchte ihn rasch, kniete mich dann hin und wandte mich einer Gestalt zu, die, der Größe nach zu urteilen, Dougal, der Anführer, sein mußte.
»Die Schußwunde hat wieder geblutet, und eine Stichverletzung hat der Idiot auch noch. Ich glaube zwar nicht, daß es schlimm ist, aber er hat ziemlich viel Blut verloren. Er braucht Ruhe; wir sollten mindestens bis zum Morgen hierbleiben.« Die Gestalt machte eine abwehrende Bewegung.
»Nein. Wir sind zwar so weit, daß sich die Garnison nicht mehr traut, uns zu folgen, aber man muß auch die Wache bedenken. Wir müssen noch gut fünfzehn Meilen hinter uns bringen.« Dougal legte den Kopf zurück und betrachtete den Stand der Sterne.
»Mindestens fünf Stunden. Eher sieben. Wir können so lange bleiben, bis Sie die Blutung gestillt und die Wunde verbunden haben, aber länger nicht.«
Ich machte mich grummelnd an die Arbeit, während Dougal leise einen der Schatten dazu abkommandierte, ein Auge auf die Pferde zu haben. Die anderen Männer entspannten sich, tranken aus ihren Feldflaschen und plauderten. Murtagh half mir, riß Leinen in Streifen, holte Wasser, hob den Patienten vom Boden auf, damit ich den Verband neu anlegen konnte, denn Jamie durfte sich auf keinen Fall bewegen, obwohl er murrte und behauptete, es gehe ihm schon wieder ausgezeichnet.
Ich machte meiner Angst und Verärgerung Luft. »Es geht Ihnen alles andere als ausgezeichnet«, fauchte ich, »und das wundert mich nicht. Welcher Schwachkopf läßt sich denn ein Messer in den Leib rennen, ohne anzuhalten und sich darum zu kümmern? Haben Sie denn nicht gemerkt, wie schlimm Sie bluten? Sie können von Glück sagen, daß Sie nicht tot sind … jetzt rühren Sie sich gefälligst nicht, Sie verfluchter Narr!« Die Streifen aus Kunstseide und Leinen waren im Dunkeln irritierend schwer zu fassen. Sie glitten mir durch die Finger, entzogen sich meinem Griff wie Fische, die in die Tiefe schießen und dabei ihre weißen Bäuche spöttisch aufblitzen lassen. Trotz der Kälte brach mir der Schweiß aus. Zu guter Letzt hatte ich ein Ende befestigt und faßte nach dem anderen, das immer wieder hinter den Rücken des Patienten witschte. »Komm her, du … Sie gottverdammter Idiot!« Jamie hatte sich bewegt, und das erste Ende war wieder aufgegangen.
Ein Moment entsetzten Schweigens trat ein. »Barmherziger!« sagte der dicke Rupert. »Mein Lebtag habe ich noch keine Frau so fluchen gehört.«
»Dann kennst du meine Tante Grisel nicht«, erwiderte eine andere Stimme, woraufhin allgemeines Gelächter folgte.
»Ihr Mann sollte Ihnen das Fell gerben, Frau«, sagte eine dritte Stimme streng aus dem Dunkel unter einem Baum heraus. »Der Apostel Paulus spricht: ›Lasset die Frauen schweigen in der Gemeinde -‹«
»Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Dreck«, zischte ich, während mir der Schweiß herunterlief, »und der Apostel Paulus gefälligst auch.« Ich wischte mir die Stirn mit meinem Ärmel ab. »Drehen Sie ihn nach links«, sagte ich zu Murtagh. »Und wenn Sie«, fuhr ich, an meinen Patienten gewandt, fort, »auch nur einen einzigen Muskel rühren, während ich den Verband festmache, dann erwürge ich Sie.«
»Aye«, sagte Jamie lammfromm.
Ich zog zu heftig an dem letzten Leinenstreifen, und der ganze Verband löste sich wieder.
»Soll doch der Teufel den ganzen Scheißdreck holen!« schrie ich und schlug frustriert mit der flachen Hand auf den Boden. Die Männer schwiegen schockiert, und als ich dann im Dunkeln nach den losen Enden des Verbandes tastete, ließen sie sich wieder über meine wenig damenhafte Sprache aus.
»Vielleicht sollten wir sie nach Ste. Anne schicken, Dougal«, meinte eine der am Straßenrand kauernden Gestalten. »Seit wir von der Küste weg sind, habe ich Jamie kein einziges Mal fluchen hören, und er hatte ein Mundwerk, das einen Seemann beschämen würde. Die vier Monate im Kloster müssen etwas bewirkt haben. Du führst den Namen des Herrn nicht mehr unnütz, oder, Jamie?«
»Das würdest du auch nicht, wenn du dafür so büßen müßtest wie ich, wenn du im Februar mitten in der Nacht drei Stunden lang auf dem Steinfußboden einer Kirche liegen müßtest, mit nichts am Leib als deinem Hemd«, erwiderte mein Patient.
Die Männer lachten, und er fuhr fort: »Die Buße hat zwar nur zwei Stunden gedauert, aber ich habe danach noch eine gebraucht, um vom Boden hochzukommen; ich dachte, mein… äh, ich wäre an den Fliesen festgefroren, aber es hat sich herausgestellt, daß ich nur steif vor Kälte war.«
Anscheinend ging es Jamie wirklich besser. Ich lächelte gegen meinen Willen, sprach aber trotzdem mit großer Entschiedenheit. »Seien Sie ruhig«, sagte ich, »sonst tue ich Ihnen noch weh.« Er berührte vorsichtig seinen Verband, und ich schlug ihm auf die Finger, bis er sie wegnahm.
»Ach, eine Drohung war das?« fragte er dreist. »Und das, nachdem ich meinen Whisky mit dir geteilt habe!«
Die Feldflasche machte die Runde. Als sie bei Dougal angekommen war, kniete er sich neben mich und hielt sie dem Patienten behutsam an die Lippen. Ich legte gebieterisch die Hand auf die Flasche.
»Keinen Alkohol mehr«, sagte ich. »Er braucht Tee, allenfalls Wasser. Aber keinen Alkohol.«
Dougal ignorierte mich, entriß mir die Flasche und goß einen großen Schluck Whisky in den Schlund meines Patienten, der daraufhin husten mußte. Dougal wartete nur so lange, bis Jamie sich wieder gefangen hatte, dann setzte er ihm erneut die Flasche an die Lippen.
»Lassen Sie das!« Ich griff nach dem Whisky. »Wollen Sie ihn so betrunken machen, daß er nicht mehr stehen kann?«
Ich wurde rüde mit dem Ellbogen beiseite gestoßen.
»Ein vorlautes Luder, wie?« fragte mein Patient, und es klang amüsiert.
»Mischen Sie sich nicht ein, Frau«, befahl Dougal. »Wir haben heute nacht noch eine gute Strecke zurückzulegen, und er braucht alle Kraft, die ihm der Trank geben kann.«
Der Verband war kaum angelegt, da versuchte der Patient, sich aufzurichten. Ich drückte ihn zu Boden und setzte ihm ein Knie auf die Brust, damit er blieb, wo er war. »Sie sollen sich doch nicht bewegen«, sagte ich erbost. Ich packte den Saum von Dougals Kilt und riß derb daran, damit er sich wieder neben mich kniete.
»Sehen Sie sich das an«, befahl ich in meinem besten Krankenschwesternton. Ich drückte Dougal das blutdurchtränkte Hemd in die Finger. Er ließ es angewidert fallen.
Ich nahm seine Hand und legte sie auf die Schulter des Patienten. »Und das auch. Irgendeine Stichwaffe ist geradewegs durch den Kappenmuskel gegangen.«
»Ein Bajonett«, warf der Patient hilfreich ein.
»Ein Bajonett!« rief ich. »Warum haben Sie mir das nicht gesagt?«
Jamie wollte die Achseln zucken, ließ es jedoch mit einem leisen Schmerzenslaut bleiben. »Ich habe gespürt, wie es ins Fleisch ging, aber ich wußte nicht, ob es schlimm ist; es hat nicht sonderlich weh getan.«
»Tut es jetzt weh?«
»Ja«, sagte Jamie knapp.
»Gut«, erwiderte ich, aufs äußerste gereizt. »Sie haben es wirklich nicht besser verdient. Vielleicht ist Ihnen das eine Lehre, daß Sie nicht mehr durch die Gegend sausen, Frauen entführen, Menschen umbringen und …« Ich war lächerlicherweise den Tränen nahe und rang um Selbstbeherrschung.
Jetzt verlor Dougal die Geduld. »Kannst du deine Füße links und rechts von einem Pferd halten, Junge?«
»Er kann nirgendwohin!« wandte ich entrüstet ein. »Im Grunde müßte er ins Krankenhaus. Und er kann mit Sicherheit nicht -«
Mein Protest wurde wie immer ignoriert.
»Kannst du reiten?« wiederholte Dougal.
»Aye, wenn du das Mädel von meiner Brust nimmst und mir ein reines Hemd gibst.«
Feuer Und Stein
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