22
Abrechnung
Wir kamen nach Einbruch der Dunkelheit in
Doonesbury an. Es war eine große Kutschenstation, glücklicherweise
mit Gasthof. Dougal schloß schmerzlich die Augen, als er den Wirt
bezahlte; es bedurfte einiger Münzen, sein Stillschweigen zu
erkaufen.
Doch erhielten wir dafür auch ein reichhaltiges
Abendessen mit viel Bier. Das Mahl war eine verbissene
Angelegenheit; es wurde fast schweigend eingenommen. Ich saß in
meinem ruinierten Gewand bei Tisch, notdürftig mit Jamies zweitem
Hemd bedeckt, und war offenkundig in Ungnade gefallen. Die Männer
verhielten sich so, als wäre ich gar nicht da, und selbst Jamie tat
nicht mehr, als ab und zu Brot und Fleisch in meine Richtung zu
schieben. Es war eine Erleichterung, endlich in die Kammer
hinaufzusteigen, obwohl sie klein und eng war.
Ich ließ mich seufzend aufs Bett sinken, ohne auf
den Zustand der Decken zu achten.
»Ich bin erledigt. Das war ein langer Tag.«
»Aye.« Jamie entfernte Kragen und Stulpen,
schnallte sein Schwertgehenk auf, machte aber keine Anstalten, sich
weiter zu entkleiden. Er zog den Gürtel aus der Schlaufe, legte ihn
einmal zusammen und dehnte nachdenklich das Leder.
»Komm ins Bett, Jamie. Worauf wartest du?«
Er stellte sich neben das Bett und ließ den Gürtel
hin- und herschwingen.
»Nun, Mädel, ich fürchte, wir müssen noch etwas
erledigen, bevor wir uns hinlegen.« Ich empfand plötzlich eine
Übelkeit erregende Besorgnis.
»Was denn?«
Jamie antwortete nicht sofort. Er setzte sich nicht
zu mir aufs Bett, sondern zog einen Hocker heran und nahm darauf
Platz.
»Ist dir klar«, fragte er ruhig, »daß wir heute
nachmittag alle mit knapper Not dem Tode entronnen sind?«
Ich blickte beschämt auf die Decke nieder. »Ja, und
das war meine Schuld. Es tut mir leid.«
»Also ist es dir klar«, sagte Jamie. »Weißt du, daß
man einem Mann, der so etwas getan hat, die Ohren abschneiden oder
ihn auspeitschen, wenn nicht gar töten würde?« Ich
erbleichte.
»Nein, das wußte ich nicht.«
»Du bist eben noch nicht mit unserer Art vertraut,
und das entschuldigt einiges. Trotzdem habe ich dir gesagt, du
solltest in dem Wäldchen bleiben, und hättest du’s getan, so wäre
das alles nicht geschehen. Nun werden uns die Engländer überall
suchen; wir werden uns tagsüber verstecken und bei Nacht reiten
müssen.«
Jamie legte eine Pause ein. »Und was Randall
betrifft… aber das ist wieder etwas anderes.«
»Du meinst, er wird besonders nach dir fahnden,
nun, da er weiß, daß du in der Nähe bist?« Jamie nickte
geistesabwesend und starrte ins Feuer.
»Ja. Er… das ist etwas Persönliches, verstehst
du?«
»Es tut mir so leid, Jamie«, sagte ich. Er winkte
ab.
»Wenn es bloß um mich ginge, würde ich kein Wort
mehr darüber verlieren. Aber da wir nun schon einmal darüber
reden…«, er warf mir einen scharfen Blick zu, »werde ich dir sagen,
daß es mich fast umgebracht hat mitanzusehen, wie dieses Vieh Hand
an dich legte.« Jamie schaute wieder mit finsterer Miene ins Feuer,
als durchlebte er die Ereignisse des Nachmittags noch einmal.
Ich spielte mit dem Gedanken, ihm von Randalls …
Schwierigkeiten zu berichten, fürchtete jedoch, es würde mehr
schaden als nützen. Ich wünschte mir verzweifelt, Jamie in die Arme
zu nehmen und ihn um Verzeihung zu bitten, aber ich wagte es nicht,
ihn zu berühren. Nach langem Schweigen seufzte er und erhob sich.
Er schlug mit dem Gürtel leicht gegen sein Bein.
»Nun denn«, sagte er. »Bringen wir’s hinter uns. Du
hast erheblichen Schaden angerichtet, weil du meine Befehle
mißachtet hast, und ich werde dich dafür bestrafen, Claire. Du
erinnerst dich noch daran, was ich gesagt habe, als ich dich heute
vormittag verließ?« Ich erinnerte mich nur zu gut und warf mich
hastig übers Bett, so daß mein Rücken gegen die Wand gepreßt
war.
»Was meinst du?«
»Du weißt genau, was ich meine«, erwiderte Jamie
mit fester Stimme. »Knie dich vors Bett und heb die Röcke,
Mädel.«
»Nein, das tue ich nicht!« Ich packte den
Bettpfosten mit beiden Händen und verkroch mich weiter in die
Ecke.
Jamie beobachtete mich abwägend. Ich erkannte, daß
es nichts gab, was ihn daran hindern könnte, mit mir zu verfahren,
wie er wollte; er war an die dreißig Kilo schwerer als ich. Doch
schließlich entschied er sich dafür, zu reden statt zu handeln, und
legte den Gürtel beiseite, ehe er sich neben mich setzte.
»Claire -«, begann er.
»Ich habe gesagt, daß es mir leid tut!« erwiderte
ich heftig. »Und es tut mir wirklich leid. Ich werde so etwas nie
wieder machen.«
»Das ist der springende Punkt«, sagte Jamie
langsam. »Vielleicht machst du’s doch wieder. Und zwar, weil du die
Dinge einfach nicht ernst genug nimmst. Du kommst, denke ich, aus
einer Gegend, wo alles einfacher ist. Dort geht es, wenn man einen
Befehl mißachtet, nicht gleich um Leben oder Tod. Schlimmstenfalls
bereitest du jemandem Unbehagen oder fällst ein wenig lästig, aber
es bringt niemanden um.« Ich beobachtete, wie Jamies Finger den
bräunlichen Plaid seines Kilts kneteten, während er seine Gedanken
ordnete.
»Die harte Wahrheit lautet aber, daß eine scheinbar
geringfügige Handlung an einem Ort wie diesem und zu einer Zeit wie
dieser sehr böse Folgen haben kann - besonders für einen Mann wie
mich.« Jamie sah, daß ich den Tränen nahe war, und tätschelte mir
die Schulter.
»Ich weiß, du würdest mich oder jemand anderen
niemals absichtlich gefährden. Aber du könntest es unabsichtlich
tun - so wie heute -, weil du mir nicht wirklich glaubst, wenn ich
dir sage, daß einige Dinge gefährlich sind.« Jamie warf mir einen
Seitenblick zu. »Ich weiß, du bist es gewohnt, selbständig zu
denken, und du bist es nicht gewohnt, dir von einem Mann sagen zu
lassen, was du tun sollst. Doch das mußt du, um unser aller willen,
lernen.«
»In Ordnung«, sagte ich langsam. »Ich verstehe. Du
hast natürlich recht. Ich werde also deinen Befehlen gehorchen,
auch wenn ich nicht mit ihnen einverstanden bin.«
»Gut.« Jamie stand auf und nahm den Gürtel in die
Hand. »Dann komm jetzt vom Bett herunter, und wir bringen es hinter
uns.«
Mein Mund stand vor Empörung offen. »Wie bitte? Ich
habe doch gesagt, daß ich dir gehorchen werde!«
Jamie seufzte entnervt und setzte sich wieder auf
den Hocker. Er betrachtete mich ruhig.
»Du hast gesagt, daß du es verstehst, und ich
glaube dir. Aber es ist ein Unterschied, ob man etwas mit dem
Verstand begreift oder ob man es im Innersten weiß.« Ich nickte
widerwillig.
»Gut. Ich muß dich jetzt bestrafen, und zwar
aus zwei Gründen. Erstens, damit du es wirklich begreifst.« Jamie
lächelte plötzlich. »Ich kann dir aus eigener Erfahrung sagen, daß
du die Dinge nach einer Tracht Prügel in einem anderen Licht
siehst.« Ich hielt mich noch verbissener am Bettpfosten fest.
»Der zweite Grund«, fuhr Jamie fort, »sind die
anderen Männer. Du wirst bemerkt haben, wie sie sich heute abend
verhalten haben?« Das hatte ich; und ich hatte es sehr ungemütlich
gefunden.
»Es gibt so etwas wie Gerechtigkeit, Claire. Du
hast ihnen allen geschadet, und dafür wirst du büßen müssen.« Jamie
holte tief Luft. »Ich bin dein Mann; es ist meine Pflicht, mich
darum zu kümmern, und ich habe vor, es zu tun.«
Was immer in dieser Lage gerecht sein mochte - und
ich mußte zugeben, daß Jamies Argumente nicht ganz aus der Luft
gegriffen waren -, die Vorstellung, geschlagen zu werden, egal, von
wem und aus welchen Gründen, verletzte mich tief.
Ich fühlte mich verraten, weil mir der Mann, der
mir Freund, Beschützer und Liebhaber war, so etwas antun wollte.
Und ich war insgeheim entsetzt bei dem Gedanken, mich auf Gedeih
und Verderb jemandem auszuliefern, der ein fünfzehnpfündiges
Schwert so leicht führte wie eine Fliegenklatsche.
»Ich dulde es nicht, daß du mich schlägst«, sagte
ich, mich an den Bettpfosten klammernd.
»Ach?« Jamie hob die Augenbrauen. »Nun, Mädel, ich
möchte bezweifeln, daß du da viel mitzureden hast. Du bist meine
Frau, ob es dir gefällt oder nicht. Wenn ich dir den Arm brechen
oder dich auf Wasser und Brot setzen oder dich tagelang in eine
Kammer sperren wollte - und du führst mich wahrlich in Versuchung,
das zu tun -, dann könnte ich das; und erst recht kann ich dir den
Hintern versohlen!«
»Ich werde schreien!«
»Höchstwahrscheinlich. Sie werden dich noch auf dem
nächsten
Hof hören; du hast kräftige Lungen.« Jamie grinste abscheulich und
streckte die Hände nach mir aus.
Mit einiger Mühe löste er meine Finger vom
Bettpfosten und zog mich an die Seite des Bettes. Ich trat ihm
gegen das Schienbein, bewirkte aber nichts damit, weil ich keine
Schuhe trug. Keuchend drückte er mich mit dem Gesicht nach unten
aufs Bett und verdrehte mir den Arm, um mich niederzuhalten.
»Es ist mir ernst, Claire! Wenn du dich fügst, sind
wir nach einem Dutzend Streichen quitt.«
»Und wenn nicht?« Ich zitterte. Jamie nahm den
Gürtel und schlug ihn mit einem häßlichen Klatschen gegen sein
Bein.
»Dann schlage ich dich, bis ich müde werde, aber
ich warne dich - du wirst weit eher ermüden als ich.«
Ich sprang aus dem Bett, wirbelte zu Jamie herum
und ballte die Fäuste.
»Du Barbar! Du… du Sadist!« zischte ich wütend. »Du
tust das doch bloß zu deinem Vergnügen! Das werde ich dir nie
verzeihen!« Jamie drehte den Gürtel zwischen den Fingern.
Er antwortete ruhig: »Ich weiß nicht, was ein
Sadist ist. Aber wenn ich dir verzeihe, dann wirst du mir, glaube
ich, auch verzeihen, sobald du wieder sitzen kannst.
Und was das Vergnügen angeht…« Seine Lippen
zuckten. »Ich habe gesagt, ich würde dich bestrafen müssen. Ich
habe nicht gesagt, daß es mir kein Vergnügen bereitet.« Er
krümmte den Finger.
»Komm.«
Am nächsten Morgen mochte ich die Kammer nicht
verlassen und trödelte herum, knotete Bänder, schlang sie wieder
auf und bürstete mir die Haare. Ich hatte seit gestern nacht kein
Wort mit Jamie gesprochen, doch er bemerkte mein Zögern und drängte
mich, mit ihm zum Frühstück zu gehen.
»Du mußt dich nicht davor fürchten, den anderen zu
begegnen, Claire. Wahrscheinlich foppen sie dich ein bißchen, aber
es wird bestimmt nicht schlimm. Nur Mut.« Er hob mein Kinn, und ich
biß ihn in die Hand.
»Oh!« Jamie riß die Finger zurück. »Paß auf, Mädel,
du weißt nicht, wo die gewesen sind.« Er verließ mich leise lachend
und ging frühstücken.
Du kannst leicht guter Dinge sein, dachte ich
erbittert. Wenn er sich rächen wollte, dann war es ihm
gelungen.
Die Nacht war äußerst unangenehm gewesen. Mein
widerwilliges Einverständnis hatte genau bis zum ersten Schlag
gereicht. Dem folgte ein kurzer hitziger Kampf, aus dem Jamie mit
einer blutigen Nase, drei schönen Kratzern an der Wange und einem
tiefen Biß im Handgelenk hervorging. Anschließend war ich, nicht
weiter überrascht, fast erstickt in den schmierigen Decken und um
Haaresbreite totgeprügelt worden.
Es erwies sich, daß Jamie - Fluch und Verdammnis
über seine schwarze schottische Seele - recht hatte. Die Männer
begrüßten mich verhalten, aber nicht unfreundlich; die
Feindseligkeit und Verachtung vom Abend vorher waren
verflogen.
Als ich am Beistelltisch stand und mich bediente,
trat Dougal zu mir und legte mir väterlich den Arm um die
Schultern. Sein Bart kitzelte mich am Ohr, während er vertraulich
zu mir sprach.
»Ich hoffe nur, daß Jamie gestern nacht nicht zu
hart zu dir war, Mädel. Es klang, als würdest du ermordet.«
Ich errötete tief und wandte mich ab, damit Dougal
es nicht sah. Nach Jamies gemeinen Bemerkungen hatte ich
beschlossen, während der ganzen Tortur den Mund zu halten. Doch
selbst die Sphinx hätte wohl nicht geschwiegen, wäre ihr ein Gürtel
übergezogen worden, den Jamie Fraser führte.
Dougal drehte sich um und richtete das Wort an
Jamie, der bei Tisch saß und Brot und Käse aß. »He, Junge, es wäre
nicht nötig gewesen, das Mädel halb umzubringen. Ein kleiner
Denkzettel hätte genügt.« Dougal gab mir, um zu verdeutlichen, was
er meinte, einen Klaps auf den Allerwertesten, bei dem ich
zusammenzuckte. Ich funkelte ihn an.
»Ein wunder Hintern hat noch niemandem geschadet«,
bemerkte Murtagh mit vollem Mund.
»In der Tat«, stimmte Ned grinsend zu. »Kommen Sie,
Mädchen, setzen Sie sich.«
»Nein danke, ich stehe lieber«, erwiderte ich
würdevoll, worauf sie alle brüllten vor Lachen. Jamie schnitt sich
ein Stück Käse ab und wich meinem Blick aus.
Im Laufe des Tages folgten noch ein paar gemütliche
Neckereien, und jeder der Männer fand einen Vorwand, um mit
geheucheltem Mitgefühl meine Kehrseite zu betatschen. Insgesamt war
es jedoch erträglich, und ich begann, wenn auch nur widerwillig,
darüber nachzudenken, ob Jamie vielleicht recht gehabt hatte,
obwohl ich ihn immer noch erwürgen wollte.
Da Sitzen völlig undenkbar war, beschäftigte ich
mich den Vormittag über mit kleinen Verrichtungen wie Säumen und
Knopfannähen, was ich mit der Begründung, ich brauchte dafür gutes
Licht, am Fenster erledigen konnte. Nach dem Mittagessen, das ich
im Stehen einnahm, gingen wir alle auf unsere Zimmer, um zu ruhen.
Dougal hatte beschlossen, daß wir warten würden, bis es völlig
dunkel war, ehe wir nach Bargrennan aufbrachen, der nächsten
Station unserer Reise. Jamie folgte mir zu unserer Kammer, aber ich
machte ihm die Tür vor der Nase zu. Sollte er doch auf dem Boden
schlafen.
Er war in der Nacht recht taktvoll gewesen; als er
fertig war, hatte er sich den Gürtel wieder umgeschnallt und den
Raum wortlos verlassen. Eine Stunde später, nachdem ich das Licht
gelöscht und mich niedergelegt hatte, war er wiedergekommen, jedoch
so vernünftig gewesen, nicht zu mir ins Bett zu steigen. Er hatte
in die Dunkelheit gestarrt, tief geseufzt, sich in sein Plaid
gewickelt und auf dem Boden in der Nähe der Tür geschlummert.
Zu wütend, fassungslos und blessiert, um zu
schlafen, hatte ich den größten Teil der Nacht wach gelegen und
teils darüber nachgesonnen, was Jamie gesagt hatte, teils dem
Wunsch widerstanden, mich aus dem Bett zu erheben und ihn dahin zu
treten, wo es weh tat.
Wäre ich in der Stimmung gewesen, die Sache
objektiv zu betrachten, hätte ich vielleicht zugegeben, daß er
recht hatte, wenn er behauptete, ich nähme die Dinge nicht ernst
genug. Allerdings lag das nicht daran, daß es dort, wo ich herkam,
weniger gefährlich war. Tatsächlich war eher das Gegenteil der
Fall.
Jamies Zeit war in mancher Hinsicht immer noch so
unwirklich für mich wie ein Theater oder Historienspiel. Im
Vergleich mit dem mechanisierten Massenkrieg, den ich kannte,
erschienen mir die kleinen Gefechte, die ich bis jetzt gesehen
hatte - ein paar Männer, mit Degen und Musketen bewaffnet -, eher
malerisch als bedrohlich.
Ich hatte Probleme mit der Größenordnung. Ein von
einer Musketenkugel hinweggeraffter Soldat war natürlich genauso
tot wie einer, den ein Mörser getroffen hatte. Nur tötete ein
Mörser unpersönlich,
vernichtete Dutzende von Menschen, während die Muskete von einem
einzelnen abgefeuert wurde, der die Augen des Gegners, den er
erschoß, sehen konnte. Und das war für meine Begriffe nicht Krieg,
sondern Mord. Und doch war dies für Dougal, Jamie, Rupert, Murtagh
und Ned offenbar Krieg - oder zumindest eine ernste Sache.
Und wie stand es mit den Gründen dafür? Daß man
lieber den einen König gehabt hätte als den anderen? Stuarts statt
Hannoveraner? Für mich waren dies kaum mehr als Namen an einer
Schultafel. Was zählten sie schon, verglichen mit einem so
unermeßlichen Übel wie Hitlers Drittem Reich? Es fiel wohl ins
Gewicht für diejenigen, die unter diesen Königen lebten, mochten
mir die Unterschiede zwischen ihnen auch banal erscheinen. Aber
durfte ich das Recht zu leben, wie man wollte, als banal abtun? War
der Kampf darum, sein Geschick selbst zu bestimmen, weniger wert
als die Anstrengung, einem großen Übel Einhalt zu gebieten? Ich
bewegte mich gereizt und rieb mir zaghaft das wunde Hinterteil. Ich
funkelte Jamie an, der sich bei der Tür zusammengerollt hatte. Er
amtete gleichmäßig, aber flach: vielleicht konnte auch er nicht
schlafen. Geschah ihm recht.
Erst war ich geneigt gewesen, mein ganzes
Mißgeschick als Melodram zu betrachten; solche Dinge passierten
einfach nicht im wirklichen Leben. Ich hatte, seit ich durch den
gespaltenen Stein getreten war, so manchen Schock erlebt, doch der
bisher schlimmste hatte mich an jenem Nachmittag ereilt.
Jack Randall, Frank so ähnlich und gleichzeitig so
entsetzlich unähnlich. Als er meine Brüste berührte, hatte das
plötzlich eine Verbindung zwischen meinem alten und meinem neuen
Leben hergestellt, meine beiden Existenzen mit einem Knall
zusammengebracht, der einem Donnerschlag glich. Und dann war da
noch Jamie: sein Gesicht, bleich vor Furcht an Randalls Fenster,
verzerrt vor Wut am Straßenrand, gezeichnet von Schmerz bei meinen
Beleidungen.
Jamie. Er war real, realer als alles andere, selbst
als Frank und mein Leben im Jahre 1945. Jamie, zärtlicher Liebhaber
und perfider Lump.
Vielleicht war das ein Teil des Problems. Jamie
füllte mich so vollständig aus, daß mir seine Umgebung fast
unwichtig schien. Doch ich konnte es mir nicht mehr leisten, diese
Umgebung zu ignorieren.
Durch meinen Leichtsinn hätte er beinahe den Tod gefunden, und bei
diesem Gedanken drehte sich mir der Magen um. Ich setzte mich auf,
wollte ihn wecken und ihm sagen, er solle zu mir ins Bett kommen.
Als ich aber mit meinem vollen Gewicht auf das Ergebnis seines
Werkes fiel, überlegte ich es mir anders und legte mich verärgert
auf den Bauch.
Die so verbrachte Nacht - hin und her gerissen
zwischen Wutanfällen und Gleichmut - hatte mich völlig erschöpft.
Ich schlief den ganzen Nachmittag und stolperte, immer noch müde,
nach unten zu einem leichten Abendessen, nachdem mich Rupert kurz
vor Einbruch der Dunkelheit geweckt hatte.
Dougal, dem sich der Kosten wegen zweifellos die
Haare sträubten, hatte ein neues Pferd für mich besorgt. Eine
kräftige, wenn auch unelegant gebaute Stute mit freundlichen Augen
und kurzer, stachliger Mähne; ich taufte sie sofort »Thistle«, weil
sie mich an eine Distel erinnerte.
Über die Auswirkungen eines langen Ritts direkt
nach einer schweren Tracht Prügel hatte ich nicht nachgedacht. Ich
beäugte zweifelnd den harten Sattel und erkannte plötzlich, was mir
bevorstand. Ein dicker Umhang wurde über den Sattel geworfen, und
Murtagh blinzelte mir verschwörerisch zu. Ich beschloß in
würdevollem Schweigen zu leiden, und biß grimmig die Zähne
zusammen, als ich mich in den Sattel schwang.
Zwischen den Männern schien eine stillschweigende
Übereinkunft zum Edelmut zu herrschen; sie hielten häufig an, um
sich zu erleichtern, womit ich ein paar Minuten absitzen und mir
verstohlen die schmerzende Kehrseite massieren konnte. Dann und
wann schlug einer vor, einen Schluck zu trinken, was mir ebenfalls
eine kurze Pause verschaffte, da Thistle die Wasservorräte
schleppte.
Auf diese Weise brachten wir ein paar Stunden
hinter uns, doch meine Schmerzen wurden ständig schlimmer, und ich
rutschte unablässig im Sattel hin und her. Schließlich sagte ich
mir: Zum Teufel mit dem würdevollen Leiden, ich muß eine Weile vom
Pferd herunter.
»Brr!« befahl ich Thistle und saß ab. Als die
anderen Pferde trappelnd anhielten, tat ich so, als untersuchte ich
Thistles linke Vorderhand.
»Sie hatte leider einen Stein im Hufeisen«, log
ich. »Ich habe ihn herausgekriegt, aber jetzt gehe ich besser ein
Stück zu Fuß, ich will nicht, daß sie lahmt.«
»Nein, das kommt nicht in Frage«, sagte Dougal.
»Oder - gut, führe sie ein Stück am Zügel, aber es muß jemand bei
dir bleiben.« Jamie schwang sich sofort aus dem Sattel.
»Ich begleite sie«, sagte er ruhig.
»Einverstanden. Aber haltet euch nicht zu lange
auf; wir müssen in Bargrennan sein, ehe der Morgen graut. Wir
treffen uns im Red Boar.« Mit ausladender Gebärde sammelte Dougal
die anderen um sich, und sie ritten in flottem Trab davon und
ließen uns in ihrer Staubwolke zurück.
Mehrere Stunden im Sattel hatten meine Laune nicht
verbessert. Mochte mich Jamie also begleiten. Ich würde mir lieber
die Zunge abbeißen, als mit ihm sprechen, diesem sadistischen,
brutalen Vieh.
Im Licht des aufsteigenden Vollmonds sah er zwar
nicht besonders viehisch aus, aber ich verhärtete mein Herz gegen
ihn und humpelte stumm dahin, wobei ich sorgfältig darauf achtete,
ihn nicht anzuschauen.
»Morgen wirst du dich wesentlich besser fühlen«,
bemerkte Jamie leichthin. »Richtig sitzen kannst du allerdings erst
wieder übermorgen.«
»Und was macht dich zu einem solchen Experten?«
fauchte ich. »Schlägst du so oft Menschen?«
»Nein«, sagte Jamie unbeeindruckt. »Dies ist das
erste Mal, daß ich’s versucht habe. Andersherum habe ich allerdings
einige Erfahrung.«
»Du?« Ich starrte ihn offenen Mundes an. Es war
eine völlig irrwitzige Vorstellung, daß jemand diese turmhohe Masse
aus Muskeln und Sehnen mit einem Gürtel traktierte.
Jamie lachte über meinen Gesichtsausdruck. »Als ich
noch ein bißchen kleiner war, Sassenach. Zwischen acht und dreizehn
ist mir der Hintern öfter versohlt worden, als ich zählen kann.
Dann wurde ich größer als mein Vater, und es wurde ihm zu unbequem,
mich über den Zaun zu legen.«
»Dein Vater hat dich geschlagen?«
»Ja, im allgemeinen. Der Schulmeister natürlich
auch, und dann und wann Dougal oder einer der anderen Onkel, je
nachdem, wo ich war und was ich ausgefressen hatte.«
Trotz meiner Entschlossenheit, Jamie zu ignorieren,
nahm mein Interesse zu.
»Was hast du denn so ausgefressen?«
Wieder ließ Jamie sein leises, aber ansteckendes
Lachen hören.
»Nun, an alles kann ich mich nicht erinnern.
Meistens hatte ich es verdient. Ich glaube kaum, daß mich mein
Vater je zu Unrecht geschlagen hat.« Jamie schritt wortlos eine
Weile dahin und dachte nach.
»Hm. Schauen wir - einmal habe ich die Hühner mit
Steinen beworfen, einmal mehrere Kühe geritten und sie so
aufgeregt, daß sie sich nicht mehr melken ließen, und einmal habe
ich einen Kuchen aufgegessen, der für alle bestimmt war. Einmal
habe ich das Dach des Taubenschlags in Brand gesetzt - ein dummer
Zufall, ich habe es nicht mit Absicht getan - und meine Schulbücher
verloren - das habe ich mit Absicht getan…« Jamie brach
achselzuckend ab, und ich lachte wider Willen.
»Das übliche eben. Meistens aber habe ich Prügel
bezogen, weil ich den Mund zu weit aufgerissen habe.«
Dann fiel Jamie etwas ein, über das er vor
Erheiterung prustete. »Einmal hat meine Schwester Jenny einen Krug
zerbrochen. Ich hatte meinen Schabernack mit ihr getrieben und sie
zornig gemacht, worauf sie den Krug nach mir warf. Als mein Vater
in den Raum kam und wissen wollte, wer es gewesen war, hatte sie
zuviel Angst, um etwas zu sagen; sie schaute mich nur an mit
großen, bangen Augen - sie hat blaue Augen wie ich, aber schönere,
mit dunklen Wimpern.« Jamie zuckte erneut die Achseln. »Und so
sagte ich meinem Vater, ich sei es gewesen.«
»Das war sehr nobel von dir«, kommentierte ich
ironisch. »Deine Schwester war dir sicher sehr dankbar.«
»Zunächst ja. Nur hatte mein Vater die ganze Zeit
an der offenen Tür gestanden und gesehen, was wirklich passiert
war. Also bekam sie Schläge, weil sie den Krug zerbrochen hatte;
und ich bekam gleich zweimal Schläge: zum einen, weil ich Jenny
geärgert, und zum andern, weil ich gelogen hatte.«
»Das ist ungerecht!« empörte ich mich.
»Mein Vater war nicht immer freundlich, aber er war
meistens gerecht«, erwiderte Jamie unbeirrbar. »Er sagte, was wahr
sei, müsse wahr bleiben, und man sollte die Verantwortung für das,
was man tut, übernehmen. Beides ist richtig.« Jamie warf mir einen
Seitenblick zu.
»Aber er sagte auch, es sei gutherzig von mir, die
Schuld auf
mich zu nehmen, und so müsse er mich zwar bestrafen, aber ich
dürfte wählen: eine Tracht Prügel oder ohne Abendessen zu Bett.«
Jamie schüttelte lachend den Kopf. »Vater kannte mich recht gut.
Ich entschied mich natürlich für die Tracht Prügel.«
»Du bist die Gefräßigkeit in Person, Jamie«, sagte
ich.
»Aye«, bestätigte er gleichmütig, »war ich schon
immer. Du auch, Vielfraß«, sagte er zu seinem Pferd und zog es von
den verlockenden Grasbüscheln am Straßenrand fort.
Dann sprach er weiter. »Ja, Vater war gerecht. Und
rücksichtsvoll, obwohl ich das damals nicht zu schätzen wußte. Er
ließ mich nie auf meine Prügel warten; wenn ich etwas ausgefressen
hatte, wurde ich sofort bestraft - oder sobald er es herausfand. Er
stellte immer sicher, daß ich wußte, wofür ich versohlt wurde, und
wenn ich darüber disputieren wollte, so durfte ich das.«
Darauf willst du also hinaus, du raffinierter
Schlawiner, dachte ich. Ich bezweifelte zwar, daß Jamie mich mit
seinem Charme von der Absicht abbringen konnte, ihm bei der
nächstbesten Gelegenheit den Bauch aufzuschlitzen, aber er konnte
es gerne versuchen.
»Hast du dich bei einem solchen Disput je
durchgesetzt?« erkundigte ich mich.
»Nein. Der Fall war meistens klar, und der
Angeklagte wurde durch seine eigene Aussage überführt. Aber zweimal
konnte ich eine etwas mildere Strafe erwirken.« Jamie rieb sich die
Nase.
»Einmal sagte ich ihm, seinen Sohn zu schlagen sei
in meinen Augen nichts als eine barbarische Methode, den eigenen
Willen durchzusetzen. Worauf er erwiderte, ich hätte ungefähr
soviel Verstand wie der Pfahl, neben dem ich stehe. Er sagte, die
Eltern zu achten, sei einer der Grundsteine einer zivilisierten
Gesellschaft, und bis ich das lernte, sollte ich mich besser daran
gewöhnen, meine Zehen zu betrachten, während mir mein barbarischer
Vater den Hintern versohlte.«
Diesmal lachte ich mit Jamie. Es war friedlich auf
der Straße - es herrschte jene absolute Ruhe, die sich einstellt,
wenn man kilometerweit von anderen Leuten entfernt ist. Die Ruhe,
die zu meiner Zeit, wo Maschinen den Einfluß des Menschen
vergrößerten und ein einzelner soviel Krach schlagen konnte wie
eine Menge, so schwer zu finden war. Hier hörte man nur das leise
Rascheln von Pflanzen, den gelegentlichen Laut eines Nachtvogels
und den gedämpften Hufschlag unserer Pferde.
Das Gehen fiel mir jetzt leichter, weil sich meine
verspannten Muskeln zu lockern begannen. Auch meine Gefühle
entkrampften sich, während ich Jamies Geschichten lauschte.
»Natürlich gefiel es mir nicht, geschlagen zu
werden, aber wenn ich die Wahl hatte, war mir mein Vater lieber als
der Schulmeister. Bei dem bekamen wir meistens Tatzen. Vater sagte,
wenn er mich auf die Hand schlägt, könnte ich keine Arbeit mehr
verrichten; wenn er mir dagegen den Hintern versohlte, geriete ich
wenigstens nicht in Versuchung, mich zu setzen und
herumzufaulenzen.
Wir hatten für gewöhnlich jedes Jahr einen anderen
Schulmeister; sie blieben nie lange. Schulmeister bekommen so wenig
Lohn, daß sie immer hungrig und mager sind. Einmal hatte ich einen
dicken und konnte kaum glauben, daß er ein richtiger Schulmeister
war; er sah aus wie ein verkleideter Pfarrer.« Ich dachte an den
kugelrunden kleinen Vater Bain und lächelte.
»An einen erinnere ich mich besonders gut, weil er
einen im Klassenzimmer mit ausgestreckter Hand vor die anderen
hintreten ließ; dann hielt er einem eine Strafpredigt, und zwischen
den Schlägen wurde man wieder ausführlich belehrt. Ich stand mit
ausgestreckter Hand da und betete darum, daß er aufhören möge mit
dem Salbadern und endlich weitermachen sollte, ehe ich all meinen
Mut verlor und zu weinen anfing.«
»Ich vermute, genau das wollte er«, sagte
ich.
»Aye«, bestätigte Jamie nüchtern. »Es dauerte aber
einige Zeit, bis mir das aufging. Und dann konnte ich wie üblich
den Mund nicht halten.« Er seufzte.
»Was ist passiert?« Ich hatte inzwischen so
ziemlich vergessen, wütend zu sein.
»Nun, eines Tages war ich wieder an der Reihe - das
geschah oft, weil ich nicht richtig mit der Rechten schreiben
konnte und immer wieder die Linke nahm. Der Schulmeister hatte mir
drei Tatzen gegeben - und fast fünf Minuten dafür gebraucht, der
Hund - und predigte und predigte, ehe er mir die nächste gab: Ich
sei ein dummer, fauler, halsstarriger Flegel. Meine Hand brannte
böse, weil es das zweite Mal an diesem Tag war, und ich fürchtete
mich, weil ich wußte, daß ich zu Hause eine furchtbare Tracht
Prügel bekommen würde - das war die Regel, wenn es in der Schule
Hiebe setzte, denn mein Vater hielt die Schule für wichtig -, wie
auch immer, ich verlor die Beherrschung.«
Er schaute mich an. »Ich verliere selten die
Beherrschung, Sassenach, und wenn, dann bereue ich es meistens.«
Eine bessere Entschuldigung würde ich wohl nicht zu hören bekommen,
dachte ich.
»Hast du es damals auch bereut?«
»Nun, ich ballte die Fäuste, blickte finster zum
Schulmeister auf - er war groß und hager, etwa zwanzig Jahre,
obwohl er mir ziemlich alt vorkam - und sagte: ›Ich fürchte mich
nicht vor Ihnen, und wie hart Sie mich auch schlagen, Sie werden
mich nicht zum Weinen bringen!‹« Jamie holte tief Luft. »Ich nehme
an, es war ein Fehler, das zu sagen, während er den Stock noch in
der Hand hielt.«
»Du brauchst nicht weiterzuerzählen«, sagte ich.
»Er hat versucht, dich zu widerlegen.«
»O ja, er hat’s versucht.« Jamie nickte. Sein Kopf
zeichnete sich dunkel vor dem wolkenverhangenen Himmel ab. Bei dem
Wort »versucht« klang eine gewisse Genugtuung durch.
»Es ist ihm nicht gelungen?«
Jamie schüttelte den Kopf. »Nein. Er konnte mich
nicht zum Weinen bringen. Aber ich habe bitter bereut, daß ich den
Mund nicht gehalten habe, dafür hat er gesorgt.«
Jamie schwieg einen Moment und drehte den Kopf zu
mir herum. Die Wolkendecke war aufgerissen, und der Mond schien auf
die Konturen seines Gesichtes, so daß er vergoldet wirkte und wie
ein Erzengel von Donatello aussah.
»Als Dougal dir meinen Charakter beschrieb, ehe wir
geheiratet haben - hat er da vielleicht erwähnt, daß ich manchmal
ein bißchen störrisch bin?« Jamies Augen glitzerten; mehr Luzifer
als Michael.
Ich lachte. »Ja. Wenn ich mich recht erinnere,
sagte er sogar, die Frasers seien so störrisch wie Esel, und du
seist der Schlimmste. Tatsächlich«, fuhr ich trocken fort, »ist es
mir auch schon aufgefallen.«
Jamie lächelte, während er sein Pferd um eine tiefe
Pfütze auf der Straße lenkte.
»Hm. Nun, ich will nicht behaupten, daß Dougal sich
irrt«, sagte Jamie. »Aber wenn ich störrisch bin -«
Jamie streckte plötzlich die Hand aus, um den Zügel
meines Pferdes zu fassen, da das Tier schnaubte und sich aufbäumte.
»Heda! Sachte! Stad, mo dhu!« Sein Pferd, weniger
verängstigt, warf nur nervös den Kopf hin und her.
»Was ist?« Ich konnte nichts sehen trotz des
Mondlichts, das die
Landschaft erhellte. Vor uns lag ein Kiefernwald, und die Pferde
schienen nicht bereit, sich ihm zu nähern.
»Ich weiß es nicht. Bleib hier und sei leise. Steig
auf dein Pferd und halt meines fest. Wenn ich rufe, dann laß den
Zügel fallen und flieh.« Jamie klang beiläufig; was mich ebenso
beruhigte wie die Pferde. Mit einem gedämpften »Sguir!« und
einem leichten Schlag auf den Hals brachte er das Pferd dazu, sich
dichter an mich zu drängen, dann verschwand er in der Heide, die
Hand an seinem Dolch.
Angestrengt versuchte ich zu erkennen, was die
Pferde nervös machte; sie stampften mit den Hufen, und ihre Ohren
und Schweife zuckten erregt. Der Nachtwind hatte die Wolken
inzwischen vertrieben, und der Mond strahlte herab. Trotz der
Helligkeit sah ich weder auf der Straße noch im Wald etwas.
Die Kiefern rauschten leise, und Millionen Nadeln
wisperten im Wind. Uralte Bäume, die in der Finsternis sehr
unheimlich wirkten. Nacktsamer, Zapfenträger, die ihre geflügelten
Samen ausstreuten, weitaus urtümlicher und strenger als die Eichen
und Espen mit ihrem Laub und ihren zarten Zweigen. Ein geeignetes
Zuhause für Ruperts böse Geister.
Nur du, dachte ich verärgert, kannst dich so in
Gefühle hineinsteigern, daß du dich vor einem Haufen Bäume
fürchtest. Aber wo war Jamie?
Plötzlich packte mich eine Hand am Oberschenkel,
und ich quiekte wie eine verschreckte Fledermaus; das kam davon,
wenn man schreien wollte, obwohl einem das Herz bis zum Hals
schlug. Mit dem unvernünftigen Zorn eines Menschen, der Gespenster
sieht, trat ich nach Jamie.
»Schleich dich nicht so an!«
»Psst«, sagte Jamie. »Komm mit.« Er zog mich ohne
viel Federlesen aus dem Sattel und band hastig die Pferde fest, die
uns unruhig hinterherwieherten, als er mich ins hohe Gras
führte.
»Was ist?« hauchte ich, blindlings über Wurzeln und
Steine stolpernd.
»Ganz still. Schau auf meine Füße. Tritt dahin, wo
ich hintrete, und halt an, wenn ich dich berühre.«
Langsam und leise näherten wir uns dem Waldrand.
Unter den Bäumen war es dunkel, nur hier und da fiel ein wenig
Licht auf den dichten Nadelteppich. Selbst Jamie konnte hier nicht
lautlos
gehen; aber das Rascheln wurde vom Rauschen der grünen Nadeln über
uns übertönt.
Ein Stück weiter ragte ein Granitfelsen auf. Hier
schob mich Jamie vor sich und half mir, auf den Fels
hinaufzuklettern. Oben war soviel Platz, daß wir Seite an Seite auf
dem Bauch liegen konnten. Jamie drückte, kaum atmend, den Mund
gegen mein Ohr. »Zehn Meter zur Rechten. Auf der Lichtung. Siehst
du sie?«
Nachdem ich sie einmal erspäht hatte, konnte ich
sie auch hören. Wölfe, ein kleines Rudel, acht bis zehn Tiere. Kein
Geheul. Die Beute lag im Schatten, ein dunkler Flecken mit
hochstehendem Bein, das dürr wie ein Stock war und hin und her
schlug, so heftig rissen die Wölfe an dem Kadaver. Gelegentlich,
wenn ein Junges von einem ausgewachsenen Tier verjagt wurde, war
ein leises Knurren und Winseln zu vernehmen, auch wohliges
Schmatzen und das Knacken von Knochen.
Als sich meine Augen an das Halbdunkel gewöhnt
hatten, erkannte ich mehrere zottige Gestalten, die sich satt und
zufrieden unter den Bäumen ausgestreckt hatten. Ab und zu leuchtete
ein Stück grauer Pelz auf, als diejenigen, die noch mit dem Kadaver
beschäftigt waren, nach zarten Stücken wühlten, die bisher
übersehen worden waren.
Plötzlich hob sich ein breiter Kopf mit gelben
Augen und gespitzten Ohren ins Mondlicht. Die Wölfin - ich war
sicher, daß es sich um ein Weibchen handelte, obwohl ich nicht
sagen konnte, woher ich das wissen wollte - machte ein leises,
dringliches Geräusch, das zwischen einem Jaulen und einem Knurren
lag, und unter den Bäumen herrschte plötzliche Stille.
Die safrangelben Augen schienen sich in meine zu
bohren. Das Tier wirkte weder verängstigt noch neugierig, nur
aufmerksam. Jamie gab mir durch eine Geste zu verstehen, daß ich
mich nicht bewegen sollte, obwohl ich keineswegs den Wunsch zu
fliehen verspürte. Ich hätte mich vom Blick der Wölfin stundenlang
festhalten lassen können, doch nun zuckte sie mit den Ohren, als
entließe sie mich, und beugte sich wieder über ihre Mahlzeit.
Wir beobachteten die Wölfe noch ein paar Minuten.
Schließlich berührte Jamie mich am Arm und bedeutete mir damit, daß
es Zeit war zu gehen.
Er ließ die Hand auf meinem Arm, um mich zu
stützen, als wir zur Straße zurückliefen. Es war das erste Mal,
seit er mich aus Fort
William gerettet hatte, daß ich ihm erlaubte, mich zu berühren.
Wir waren immer noch fasziniert vom Anblick der Wölfe und sprachen
daher nicht viel, aber wir fühlten uns allmählich wieder wohl
miteinander.
Während wir dahinschritten und ich über die
Geschichten nachdachte, die mir Jamie erzählt hatte, konnte ich
nicht anders, als ihn zu bewundern. Ohne ein direktes Wort der
Erklärung oder Entschuldigung hatte er vermittelt, was er sagen
wollte: Ich habe dir Gerechtigkeit widerfahren lassen; die
Gerechtigkeit, die man mich gelehrt hat. Ich bin auch, soweit ich
das vermochte, barmherzig gegen dich gewesen. Zwar konnte ich dir
Schmerz und Demütigung nicht ersparen, aber ich mache dir, damit es
für dich erträglicher wird, das Geschenk, dir von meinen
Schmerzen und Demütigungen zu berichten.
»Hat es dich sehr belastet?« fragte ich abrupt.
»Geschlagen zu werden, meine ich. Oder bist du leicht darüber
hinweggekommen?«
Jamie drückte meine Hand, ehe er sie losließ.
»Meistens habe ich’s vergessen, sobald es vorbei
war. Bis auf das letzte Mal; das hat eine Weile gedauert.«
»Warum?«
»Nun, zum einen war ich sechzehn und erwachsen…
dachte ich wenigstens. Zum andern hat es höllisch weh getan.«
»Du brauchst mir nicht davon zu erzählen, wenn du
nicht möchtest«, sagte ich, da er zögerte. »Ist es eine schlimme
Geschichte?«
»Nicht halb so schlimm wie die Schläge«, antwortete
Jamie lachend. »Ich erzähle dir die Geschichte gern. Sie ist nur
lang, das ist alles.«
»Bis Bargrennan haben wir noch einen weiten
Weg.«
»Stimmt. Nun denn. Ich habe dir berichtet, daß ich
ein Jahr auf Burg Leoch verbracht habe, als ich sechzehn war - du
erinnerst dich? Colum und mein Vater hatten das vereinbart, damit
ich mit dem Clan meiner Mutter vertraut wurde. Erst war ich zwei
Jahre als Pflegekind bei Dougal; dann ging ich auf die Burg, um
Latein zu lernen, auch gute Manieren und dergleichen.«
»Aha. Ich habe mich schon gefragt, wie du nach
Leoch gekommen bist.«
»Jetzt weißt du’s. Ich war groß für mein Alter,
schon damals ein guter Fechter und ein besserer Reiter als
viele.«
»Und so bescheiden«, sagte ich.
»Nicht besonders. Verteufelt aufgeblasen und noch
vorlauter als jetzt.«
»Nicht auszuhalten«, sagte ich erheitert.
»Mag sein, Sassenach. Ich entdeckte, daß ich Leute
mit meinen Bemerkungen zum Lachen bringen konnte, und das tat ich
immer öfter, ohne groß nachzudenken. Manchmal war ich grausam zu
den anderen Jungen, ohne es wirklich zu wollen; ich konnte mich nur
nicht zügeln, wenn mir etwas Schlaues einfiel.«
Jamie blickte zum Himmel auf, um zu schätzen, wie
spät es war.
»Und eines Tages ging ich zu weit. Ich war mit ein
paar Jungen unterwegs, als ich am anderen Ende des Flures Mistress
FitzGibbons erblickte. Sie trug einen Korb, der fast so groß war
wie sie und hin und her schwang, wenn sie sich bewegte. Du weißt,
wie sie heute aussieht, und damals war sie nicht viel schmäler.«
Jamie rieb sich verlegen die Nase.
»Nun, ich machte ein paar Bemerkungen über ihr
Äußeres, die spaßig, aber höchst ungalant waren und meine Freunde
sehr erheiterten. Ich merkte nicht, daß Mrs. FitzGibbons sie auch
hörte.«
Ich erinnerte mich an die kolossale Dame von Burg
Leoch. Zwar hatte ich sie nie anders als gutgelaunt erlebt, aber
sie schien mir nicht die Art Mensch, die sich ungestraft beleidigen
läßt.
»Und was hat sie getan?«
»Zunächst gar nichts. Ich ahnte nicht, daß sie mich
gehört hatte, bis sie sich am nächsten Tag bei Colums Gericht erhob
und ihm alles erzählte.«
»Ach, du lieber Himmel.« Ich wußte, wie sehr Colum
seine Mrs. FitzGibbons schätzte. »Was ist passiert?«
»Dasselbe, was Laoghaire passiert ist - oder fast.«
Jamie lachte leise.
»Ich war sehr keck und stand auf und sagte, ich
ziehe es vor, mit Fausthieben bestraft zu werden. Ich bemühte mich,
gelassen und erwachsen zu wirken, obwohl mein Herz hämmerte wie
wild und mir ein wenig übel wurde, als ich Angus’ Hände
betrachtete; sie kamen mir wie Wackersteine vor. Ein paar von den
Leuten im Saal lachten; ich war damals noch nicht so groß wie heute
und wog kaum die Hälfte. Angus hätte mir mit einem Schlag den Kopf
abhauen können.
Wie auch immer, Colum und Dougal schauten mich
finster an,
obwohl ich glaubte, in Wirklichkeit gefiel es ihnen, daß ich den
Mut hatte, um Fausthiebe zu bitten. Dann sagte Colum, nein, wenn
ich mich wie ein Kind betrüge, würde ich auch wie ein Kind betraft.
Er nickte, und ehe ich mich rühren konnte, legte mich Angus übers
Knie, zog meinen Kilt hoch und verwamste mich mit seinem Gürtel vor
allen Augen.«
»O Jamie!«
»Mmmpf. Du wirst gemerkt haben, daß Angus seine
Aufgabe sehr ernst nimmt. Er gab mir fünfzehn Streiche, und ich
kann dir heute noch genau sagen, wo jeder einzelne landete.« Jamie
schauderte im nachhinein zusammen. »Die Striemen waren noch nach
einer Woche zu sehen.«
Er streckte die Hand aus, brach einen kleinen Zweig
von der nächsten Kiefer ab und rieb ihn zwischen den Fingern.
Terpentingeruch stieg auf.
»Ich durfte auch nicht gehen und meine Wunden
lecken. Als Angus mit mir fertig war, packte mich Dougal beim
Kragen und führte mich zum anderen Ende des Saales. Dann mußte ich
den ganzen Weg auf Knien zurückrutschen und vor Colums Sessel,
immer noch auf Knien, Mrs. FitzGibbons um Verzeihung bitten, dann
Colum und dann alle im Saal, und schließlich mußte ich Angus für
die Prügel danken. Daran erstickte ich fast, aber Angus war sehr
liebenswürdig; er gab mit die Hand und half mir auf. Dann mußte ich
auf einem Hocker neben Colum Platz nehmen und sitzen bleiben, bis
der Gerichtstag vorbei war.«
Jamie zog abwehrend die Schultern hoch. »Es war die
ärgste Stunde meines Lebens. Mein Gesicht brannte und mein Hintern
auch, und die Knie waren aufgeschürft. Da saß ich dann und konnte
nirgendwohin schauen als auf meine Füße, doch das Schlimmste war,
daß ich dringend pinkeln mußte. Ich bin fast gestorben, wäre aber
lieber geplatzt, als mich auch noch vor allen naß zu machen, aber
es war knapp. Ich habe mein ganzes Hemd durchgeschwitzt.«
Ich verkniff mir das Lachen. »Hättest du Colum
nicht sagen können, was los war?« fragte ich.
»Er wußte es ganz genau, und die anderen im Saal
wußten es auch; sie sahen ja, wie ich mich auf dem Hocker wand. Es
wurden sogar Wetten darüber abgeschlossen, ob ich es schaffen würde
oder nicht.« Jamie zuckte die Achseln.
»Colum hätte mich durchaus gehen lassen, wenn ich
ihn darum gebeten hätte. Aber - nun, ich war eben störrisch.« Jamie
grinste ein bißchen verlegen. Als Colum schließlich sagte, ich
könnte gehen, kam ich gerade noch aus dem Saal, doch nur bis zur
nächsten Tür. Stellte mich dahinter an die Wand und ließ wahre
Gießbäche heraussprudeln; ich dachte, es würde nie wieder
aufhören.«
Jamie breitete die Arme aus und ließ den
Kiefernzweig fallen. »So«, sagte er, »jetzt weißt du das
Schlimmste, was mir je widerfahren ist.«
Ich konnte nicht anders, ich lachte, bis ich mich
an den Straßenrand setzen mußte. Jamie wartete geduldig eine Minute
lang, dann sank er auf die Knie.
»Was lachst du?« fragte er. »Es war nicht lustig.«
Doch er lächelte selbst.
Ich schüttelte, immer noch lachend, den Kopf.
»Nein, sicher nicht. Es ist eine furchtbare Geschichte. Aber… ich
sehe dich vor mir, wie du störrisch auf deinem Hocker sitzt, mit
zusammengebissenen Zähnen, und der Dampf quillt dir aus den
Ohren…«
Jamie schnaubte, doch er lachte auch ein wenig.
»Aye. Es ist nicht leicht, sechzehn zu sein, wie?«
»Dann hast du Laoghaire also geholfen, weil sie dir
leid tat«, sagte ich, als ich meine Fassung wiedergewonnen hatte.
»Weil du wußtest, wie es ist.«
Jamie war überrascht. »Richtig, das habe ich doch
schon gesagt. Es ist sehr viel leichter, sich mit dreiundzwanzig
ins Gesicht schlagen zu lassen, als mit sechzehn öffentlich den
Hintern versohlt zu bekommen. Gekränkter Stolz tut mehr weh als
alles andere, besonders in diesem Alter.«
»Ich habe mich damals gewundert. Hatte noch nie
jemanden erlebt, der grinst, bevor er einen Fausthieb ins Gesicht
kriegt.«
»Danach konnte ich’s schwerlich tun.«
»Mhm.« Ich nickte. »Ich habe gedacht…«, begann ich
und verstummte verlegen.
»Was hast du gedacht?« erkundigte sich Jamie. Doch
er erriet es selbst. »Ach so, über Laoghaire und mich. Du hast es
gedacht, und Alec und alle anderen, einschließlich Laoghaire. Nein,
ich hätte das auch getan, wenn sie unansehnlich gewesen wäre.«
Jamie gab mir einen leichten Rippenstoß. »Obwohl ich nicht erwarte,
daß du mir das glaubst.«
»Ich habe euch doch an diesem Tag zusammen im
Alkoven gesehen«, verteidigte ich mich, »und irgend jemand
hat dich gewiß das Küssen gelehrt.«
Jamie scharrte betreten mit den Füßen im Staub und
senkte scheu den Kopf. »Nun, Sassenach, ich bin nicht besser als
die meisten Männer. Du kennst die Stelle beim Apostel Paulus, wo er
sagt, es sei besser zu freien, als von Begierde verzehrt zu werden?
Und ich war eben ziemlich begierig.«
Ich lachte wieder, so unbeschwert, als wäre ich
selbst sechzehn. »Du hast mich also geheiratet, um nicht zu
sündigen?« foppte ich Jamie.
»Ja. Dazu ist die Ehe da: Sie macht ein Sakrament
aus Dingen, die man sonst beichten müßte.«
Ich brach fast zusammen.
»O Jamie, ich liebe dich!«
Nun begann er zu lachen. Er bückte sich und setzte
sich, übersprudelnd vor Heiterkeit, an den Straßenrand. Schließlich
sank er auf den Rücken und lag keuchend im langen Gras.
»Was um alles in der Welt ist mir dir los?« fragte
ich und starrte Jamie an. Er setzte sich auf und wischte sich die
tränennassen Augen. Keuchend schüttelte er den Kopf.
»Ich habe mein Leben für dich aufs Spiel gesetzt,
Sassenach, habe Diebstahl, Brandstiftung, Körperverletzung und
einen Mord begangen. Wofür du mich beschimpfst, meine Männlichkeit
beleidigst, mich ins Gemächte trittst und mir das Gesicht
zerkratzt. Dann schlage ich dich halb tot und erzähle dir die
demütigendsten Dinge, die mir widerfahren sind, und du sagst, daß
du mich liebst.« Jamie legte den Kopf auf die Knie und lachte
wieder. Schließlich erhob er sich und streckte mir die eine Hand
entgegen, während er sich mit der anderen die Augen wischte.
»Du bist nicht besonders vernünftig, Sassenach,
aber ich mag dich gut leiden. Laß uns gehen.«
Es war schon spät - oder früh, je nachdem, wie man
es betrachten wollte -, und wir mußten uns sputen, um bei
Tagesanbruch in Bargrennan zu sein. Ich hatte mich inzwischen so
gut erholt, daß ich das Sitzen ertragen konnte.
Wir ritten eine Weile in freundlichem Schweigen
dahin. Ich sann in aller Ruhe darüber nach, was geschehen würde,
wenn ich den
Weg zurück zum Steinkreis fand. Man hatte mich dazu gezwungen,
Jamie zu heiraten, und notgedrungen war ich nun von ihm abhängig,
aber ich hatte ihn zweifellos liebgewonnen.
Er mich auch? Erst waren es die äußeren Umstände,
die uns zusammenbrachten, dann Freundschaft und schließlich eine
verblüffend tiefe körperliche Leidenschaft. Dennoch hatte er mir
gegenüber nie etwas über seine Gefühle gesagt. Und doch.
Er hatte sein Leben für mich riskiert. Das mochte
er des Eheversprechens wegen getan haben; er hatte ja gelobt, daß
er mich bis zum letzten Blutstropfen beschützen würde, und ich
glaubte, daß es ihm ernst damit war.
Die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden
hatten mich weitaus mehr berührt, da er mir plötzlich sein
Innerstes offenbart hatte. Wenn er so viel für mich empfand, wie
ich glaubte - was würde es dann für ihn bedeuten, wenn ich
plötzlich verschwand? Mein körperliches Unbehagen trat in den
Hintergrund, als ich mich mit diesen unerfreulichen Überlegungen
befaßte.
Einige Kilometer vor Bargrennan brach Jamie
plötzlich das Schweigen.
»Ich habe dir noch nicht erzählt, wie mein Vater
gestorben ist«, sagte er.
»Dougal zufolge an einem Schlaganfall - an
Apoplexie, meine ich«, erwiderte ich verwirrt. Ich nahm an, daß
sich Jamie, ebenso in Gedanken verloren wie ich, nach unserem
Gespräch an seinen Vater erinnert hatte, doch ich konnte mir nicht
vorstellen, was ihn gerade auf dessen Tod gebracht hatte.
»Richtig. Aber es… er…« Jamie hielt inne, wägte
seine Worte ab, zuckte dann die Achseln und ließ alle Bedenken
fahren. »Du solltest darüber Bescheid wissen. Es hat… mit allem zu
tun.« Die Straße war hier so breit, daß wir bequem nebeneinander
herreiten konnten.
»Es geschah im Fort«, sagte Jamie, »wo wir gestern
waren. Wohin mich Randall und seine Leute gebracht hatten. Wo sie
mich ausgepeitscht haben. Zwei Tage nach dem ersten Mal holten mich
zwei Soldaten aus der Zelle und führten mich in Randalls Zimmer,
dasselbe, in dem ich dich gefunden habe; daher wußte ich, wohin ich
gehen mußte.
Auf dem Hof trafen wir meinen Vater. Er hatte
entdeckt, wohin sie mich geschafft hatten, und war gekommen, um zu
sehen, ob er
mich auslösen oder sich wenigstens davon überzeugen konnte, daß
ich wohlauf war.«
Jamie drückte seinem Pferd die Fersen in die
Flanken und trieb es mit einem leisen Schnalzen an. Noch war kein
Tageslicht zu sehen; aber bis zur Dämmerung konnte es nicht mehr
länger als eine Stunde dauern.
»Ehe ich ihm begegnete, hatte ich nicht erkannt,
wie einsam ich war und wie sehr ich mich fürchtete. Die Soldaten
ließen uns nicht alleine miteinander sprechen, doch sie duldeten es
wenigstens, daß ich meinen Vater begrüßte.« Jamie schluckte.
»Ich sagte ihm, es täte mir leid - wegen Jenny und
dem ganzen traurigen Durcheinander. Er aber sagte, ich sollte
schweigen, und schloß mich in die Arme. Er fragte, ob ich schlimm
verletzt sei - er wußte, daß sie mich ausgepeitscht hatten. Ich
antwortete, es werde mir bald wieder gutgehen. Die Soldaten sagten,
wir müßten nun weiter, und so drückte Vater meine Arme und mahnte,
ich sollte nicht vergessen zu beten. Er sagte, er werde zu mir
stehen, gleichgültig, was geschehen würde, und ich müßte den Kopf
hochhalten und versuchen, mich nicht zu beunruhigen. Er küßte mich
auf die Wange, und die Soldaten zerrten mich davon. Es war das
letzte Mal, daß ich ihn sah.«
Jamies Stimme war belegt. Ich hatte selbst einen
Kloß im Hals, und ich hätte Jamie berührt, wenn ich gekonnt hätte,
aber die Straße wurde jetzt schmaler, weil sie durch eine kleine
Schlucht führte, und ich mußte einen Moment hinter ihm reiten. Als
ich wieder neben ihm war, hatte er sich gefangen.
»Und so«, sagte Jamie, tief Atem holend, »trat ich
in Hauptmann Randalls Zimmer. Er schickte die Soldaten hinaus, so
daß wir alleine waren, und ließ mich auf einem Hocker Platz nehmen.
Er sagte, mein Vater habe angeboten, mich auszulösen, doch mir
werde ein schweres Verbrechen zur Last gelegt und ich könnte nicht
einmal gegen Sicherheit auf freien Fuß gesetzt werden ohne das
schriftliche Einverständnis des Herzogs von Argyll, in dessen
Gebiet wir uns hier befänden. Ich vermutete daher, mein Vater sei
auf dem Weg zu Argyll.
Unterdessen, meinte Randall, müsse man sich
Gedanken machen wegen der zweiten Auspeitschung.« Jamie unterbrach
sich, als wüßte er nicht, wie er fortfahren sollte.
»Randall betrug sich seltsam. Sehr höflich, doch
dahinter lag
etwas, das ich nicht verstand. Er beobachtete mich unablässig, als
erwartete er, daß ich irgend etwas unternahm. Dabei saß ich nur
still da.
Er entschuldigte sich beinahe bei mir, sagte, er
bedaure, daß unsere Beziehungen bis dato so schwierig gewesen
seien.« Jamie schüttelte den Kopf. »Ich wußte gar nicht, wovon er
sprach; zwei Tage zuvor hatte er mich doch fast totschlagen lassen.
Aber als er endlich zur Sache kam, war er durchaus offen.«
»Was wollte er denn?« fragte ich. Jamie sah mich
an; dann schaute er weg. Die Dunkelheit verbarg seine Züge, doch
mir schien, daß er verlegen war.
»Mich«, sagte er.
Ich fuhr so heftig zusammen, daß mein Pferd den
Kopf zurückwarf und vorwurfsvoll wieherte. Jamie zuckte erneut die
Achseln.
»Er war völlig unverblümt. Wenn ich ihm… äh, meinen
Körper schenkte, ließe er die zweite Auspeitschung entfallen. Wenn
nicht - nun, dann würde ich mir wünschen, nie geboren worden zu
sein.«
Mir war ziemlich übel.
»Das wünschte ich mir beinahe schon«, sagte Jamie
mit einem Anflug von Humor. »Ich hatte ein Gefühl im Bauch, als
hätte ich Glasscherben geschluckt, und wenn ich nicht gesessen
hätte, hätten mir die Knie geschlottert.«
»Und was…« Meine Stimme war heiser, und ich
räusperte mich. »Was hast du getan?«
Jamie seufzte. »Ich will dich nicht belügen,
Sassenach. Ich habe mit dem Gedanken gespielt. Die Striemen auf
meinem Rücken waren noch so wund, daß ich kaum ein Hemd tragen
konnte, und wann immer ich aufstand, wurde mir schwindelig. Die
Überlegung, das noch einmal durchzumachen - gebunden und hilflos
auf den nächsten Schlag zu warten -« Jamie schauderte
unwillkürlich.
»Ich hatte keine genaue Vorstellung«, fuhr er
sarkastisch fort, »aber ich dachte, Sodomie sei wenigstens weniger
schmerzhaft. Es sind schon Männer unter der Peitsche gestorben,
Sassenach, und so wie Randall aussah, würde ich einer von ihnen
sein, falls ich ablehnte.« Jamie seufzte noch einmal.
»Aber… nun, ich spürte noch den Kuß meines Vaters
auf der Wange und dachte daran, was er dazu sagen würde, und… ich
konnte es einfach nicht. Ich überlegte nicht, was mein Tod für
meinen Vater bedeuten würde.« Jamie schnaubte, als fände er
etwas amüsant. »Dann sagte ich mir, der Mann hat bereits meine
Schwester geschändet, und verflucht, mich soll er nicht auch noch
haben.«
Ich fand das nicht amüsant. Ich sah Jack Randall
wieder vor mir - in einem neuen und abstoßenden Licht. Jamie rieb
sich den Nacken; dann ließ er die Hand auf den Sattelknauf
sinken.
»Ich nahm also das bißchen Mut zusammen, das ich
noch hatte, lehnte ab und warf ihm all die Schimpfworte an den
Kopf, die mir gerade einfielen, und das aus vollem Hals.«
Jamie verzog das Gesicht. »Ich fürchtete, wenn ich
noch einmal darüber nachdachte, würde ich es mir anders überlegen;
ich wollte sichergehen, daß keine Möglichkeit zur Umkehr bestand.
Obwohl ich annehme«, fügte er hinzu, »daß sich ein solches Angebot
nicht taktvoll ablehnen läßt.«
»Richtig«, bestätigte ich trocken. »Ich glaube,
Randall wäre, egal, was du gesagt hättest, nicht zufrieden
gewesen.«
»So kann man es ausdrücken. Er gab mit eine
Maulschelle, damit ich ruhig war. Ich fiel um - war immer noch ein
bißchen schwach -, und er stand vor mir und starrte auf mich herab.
Ich war vernünftig genug, liegenzubleiben, bis er die Soldaten
rief, damit sie mich abführten.« Jamie schüttelte den Kopf. »Er
verzog keine Miene und sagte nur, als ich ging: ›Wir sehen uns am
Freitag‹, wie wenn wir eine geschäftliche Verabredung
hätten.«
Die Soldaten hatten Jamie nicht in die Zelle
zurückgebracht, die er mit drei anderen Gefangenen geteilt hatte.
Statt dessen wurde er in ein winziges Gelaß eingesperrt, damit er
alleine und ohne jede Ablenkung auf die Abrechnung am Freitag
wartete. Nur der Wundarzt der Garnison schaute täglich nach seinem
Rücken.
»Er war kein besonders guter Heiler«, sagte Jamie,
»aber ein freundlicher Mann. Am zweiten Tag brachte er außer
Gänseschmalz und Holzkohle eine kleine Bibel mit, die einem
verstorbenen Gefangenen gehört hatte. Er sagte, ihm sei zu Ohren
gekommen, daß ich Papist sei, und ob ich Gottes Wort nun tröstlich
fände oder nicht, wenigstens könnte ich mein Unglück mit dem von
Hiob vergleichen.« Jamie lachte.
»Seltsamerweise war es tröstlich. Unser Herr
und Heiland mußte sich auch geißeln lassen, und ich konnte mir
sagen, daß man mich danach immerhin nicht ans Kreuz schlagen
würde.«
Jamie hatte die kleine Bibel behalten. Nun wühlte
er in seiner
Satteltasche und reichte sie mir. Es war ein abgegriffenes, in
Leder gebundenes Büchlein, etwa zwölf Zentimeter lang und auf so
dünnes Papier gedruckt, daß die Buchstaben der einen Seite auf der
nächsten durchschienen. Auf dem Vorsatz stand: ALEXANDER WILLIAM
RODERICK MACGREGOR, 1733. Die Tinte war verblaßt und verwischt, und
die Deckel waren wellig, als sei das Buch öfter als einmal naß
geworden.
Ich betrachtete es neugierig von allen Seiten. Es
mußte Jamie einige Mühe gekostet haben, es über die Abenteuer der
letzten vier Jahre hinwegzuretten.
Ich gab es ihm zurück und sagte: »Ich habe dich nie
darin lesen sehen.«
»Deshalb bewahre ich es auch nicht auf«, antwortete
Jamie. Er steckte die Bibel wieder fort. Dann klopfte er gegen die
Satteltasche.
»Ich stehe in Alex MacGregors Schuld, und ich werde
sie eines Tages begleichen.
Wie auch immer«, fuhr Jamie fort und nahm den Faden
seiner Geschichte wieder auf, »schließlich kam der Freitag, und ich
wußte nicht, ob ich froh oder traurig sein sollte, daß ich ihn
erleben durfte. Das Warten und die Furcht waren beinahe schlimmer
als die Schmerzen. Dachte ich wenigstens. Doch als es dann soweit
war …« Jamie vollführte jenes seltsame, halbe Achselzucken, das für
ihn so typisch war. »Nun, du hast die Narben gesehen. Du weißt, wie
es war.«
»Nur weil Dougal es mir erzählt hat. Er sagte, er
sei dabeigewesen.«
Jamie nickte. »Ja, Dougal war dabei. Und mein Vater
auch, obwohl ich das nicht wußte.«
»Oh«, sagte ich langsam, »und dein Vater -«
»Richtig. Da geschah es. Einige Männer erzählten
mir hinterher, daß sie, als ich es zur Hälfte hinter mir hatte,
gedacht hätten, ich sei tot, und mein Vater nahm das wohl auch an.«
Jamie zögerte und sprach mit heiserer Stimme weiter. »Als ich
zusammensackte - so berichtete mir Dougal -, gab mein Vater einen
gedämpften Laut von sich und faßte mit der Hand nach seinem Kopf.
Dann fiel er um. Und stand nicht wieder auf.«
Die Vögel begannen sich zu regen, sie riefen aus
dem immer noch dunklen Laub der Bäume. Jamie hatte den Kopf
gesenkt.
»Ich wußte nicht, daß er tot war«, flüsterte er.
»Sie haben es mir
erst vier Wochen später gesagt - als sie dachten, ich sei stark
genug, es zu ertragen. Und so begrub ich ihn nicht, wie ich’s als
sein Sohn hätte tun sollen. Auch sein Grab habe ich nie
gesehen.«
»Jamie«, sagte ich, »o Jamie.«
Nach langem Schweigen fuhr ich fort: »Aber dafür
wirst du dich doch nicht verantwortlich fühlen - du darfst
dich nicht dafür verantwortlich fühlen. Du hättest nichts tun
können, Jamie.«
»Nein?« erwiderte er. »Vielleicht nicht, obwohl ich
mich frage, ob es auch geschehen wäre, wenn ich den anderen Weg
gewählt hätte. Trotzdem, mir ist, als hätte ich Vater mit meinen
eigenen Händen umgebracht.«
»Jamie«, begann ich und verstummte ratlos. Er ritt
eine Weile schweigend dahin, dann richtete er sich wieder auf und
straffte die Schultern.
»Ich habe niemandem davon erzählt«, sagte er. »Aber
ich dachte, du solltest es erfahren - das mit Randall, meine ich.
Du hast ein Recht zu wissen, was zwischen ihm und mir ist.«
Was zwischen ihm und mir ist. Das Leben
eines guten Mannes, die Ehre eines Mädchens und eine Lust, die in
der Angst anderer Befriedigung suchte. Und jetzt, nahm ich mit
einem flauen Gefühl im Magen an, gab es noch etwas, das ins Gewicht
fiel. Mich. Zum ersten Mal bekam ich eine Vorstellung davon, was
Jamie empfunden hatte, als er mit einer ungeladenen Pistole vor
Randalls Fenster kauerte. Und ich begann ihm zu verzeihen.
Als hätte er meine Gedanken erraten, sagte Jamie,
ohne mich anzuschauen: »Weißt du … ich meine, begreifst du jetzt
vielleicht, warum ich es für nötig gehalten habe, dich zu
schlagen?«
Ich wartete einen Moment, bevor ich antwortete. Ich
begriff es, aber damit war es noch nicht abgetan.
»Ich begreife«, sagte ich. »Und das verzeihe ich
dir auch. Was ich dir nicht verzeihe, ist…« - ich erhob, ohne es zu
wollen, die Stimme -, »daß du es genossen hast!«
Jamie beugte sich vor, umklammerte den Sattelknauf
und lachte. Der Himmel war inzwischen merklich heller geworden, und
ich konnte Jamies Gesicht gut erkennen: Erschöpfung malte sich
darin, Anspannung - und Heiterkeit.
»Genossen!« sagte er, nach Atem ringend. »O
Sassenach. Du warst so … Gott, du warst so schön. Ich war so
wütend, und du hast dich so erbittert gegen mich gewehrt. Es war
mir verhaßt, dir
weh zu tun, und gleichzeitig wollte ich’s … bei unserem Erlöser«,
Jamie unterbrach sich und wischte sich mit dem Ärmel über die Nase.
»Ja. Ja, ich habe es genossen. Obwohl du es mir hoch
anrechnen solltest, daß ich mich dabei noch zurückgehalten
habe.«
Ich wurde wieder zornig. In der kühlen Morgenluft
spürte ich, wie meine Wangen brannten.
»Zurückhaltung nennst du das? Du hast mich fast zum
Krüppel geschlagen, du arroganter Kerl!«
»Wenn ich dich zum Krüppel geschlagen hätte, dann
säßest du jetzt nicht so munter auf deinem Pferd«, erwiderte Jamie
trocken. »Ich meine danach. Ich habe auf dem Boden geschlafen, wie
du dich vielleicht erinnerst.«
Ich musterte ihn scharf. »Oh, dann war das
also Zurückhaltung?«
»Nun, ich habe es nicht richtig gefunden, dich in
dieser Verfassung zu nehmen, obwohl ich’s wirklich sehr gern getan
hätte«, fügte Jamie hinzu.
»Mich nehmen?« fragte ich, abgelenkt durch den
archaischen Ausdruck.
»Unter den gegebenen Umständen würde ich es nicht
›der Liebe huldigen‹ nennen - du vielleicht?«
»Wie immer du es nennen möchtest«, sagte ich kühl,
»es ist gut, daß du’s nicht versucht hast, sonst würden dir jetzt
einige der von dir sehr geschätzten Teile deiner Anatomie
fehlen.«
»Das hat mir auch schon geschwant.«
»Und wenn du meinst, du hättest ein Lob dafür
verdient, weil du großmütig davon abgesehen hast, mich auch noch zu
vergewaltigen, nachdem du schon -«, ich erstickte schier an meiner
Wut.
Wir ritten einen Kilometer lang schweigend. Dann
stieß Jamie einen Seufzer aus. »Ich sehe schon, ich hätte dieses
Gespräch nicht beginnen sollen. Dabei wollte ich dich im Grunde nur
fragen, ob du gestattest, daß ich wieder das Lager mit dir teile.«
Jamie legte eine scheue Pause ein. »Es ist ein bißchen kalt auf dem
Boden.«
Ich ließ mir gut fünf Minuten Zeit mit meiner
Antwort. Als ich mir zurechtgelegt hatte, was ich sagen wolle,
zügelte ich mein Pferd und drehte es quer zur Straße, so daß auch
Jamie anhalten mußte. Bargrennan war in Sicht, man konnte die
Dächer im ersten Licht gerade eben erkennen.
Ich lenkte mein Pferd an das seine heran, bis ich
nicht mehr als
dreißig Zentimenter von Jamie entfernt war. Bevor ich etwas sagte,
sah ich ihm eine Weile in die Augen.
»Wirst du mir die Ehre erweisen, das Lager mit mir
zu teilen, mein Herr und Meister?« fragte ich höflich.
Jamie witterte Unheil und dachte einen Moment lang
nach; dann nickte er. »Ja. Und ich danke dir.« Er hob schon die
Zügel, da hielt ich ihn auf.
»Noch etwas, Meister«, sagte ich, immer noch
höflich.
»Ja?«
Blitzschnell zog ich die Hand aus der Tasche meines
Kleides, und das Morgenlicht funkelte auf der Klinge des Dolches,
den ich Jamie auf die Brust setzte.
»Wenn du«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen,
»noch einmal die Hand gegen mich erhebst, James Fraser, werde ich
dir das Herz aus dem Leib schneiden!«
Es folgte ein langes Schweigen, unterbrochen nur
durch das Scharren von Hufen und das Klirren von Geschirr. Dann
streckte Jamie die Hand aus.
»Gib ihn mir.« Als ich zögerte, sagte er
ungeduldig: »Ich habe nicht vor, dir damit etwas anzutun. Gib ihn
mir.«
Jamie nahm den Dolch bei der Klinge, so daß die
aufgehende Sonne den Mondstein am Heft aufglühen ließ. Er hielt die
Waffe wie ein Kruzifix und rezitierte etwas auf gälisch. Ich kannte
es von der Feier in Colums Saal, aber Jamie übersetzte es für mich:
»Ich schwöre beim Kreuz unseres Herrn und Heilands Jesus Christus
und bei dem heiligen Eisen, das ich halte, dir Gefolgschaft zu
leisten, und gelobe dir Treue. Erhebe ich je meine Hand wider dich,
so soll dieses heilige Eisen mein Herz durchbohren.« Jamie küßte
den Dolch an der Verbindung von Heft und Klinge und gab ihn mir
zurück.
»Ich stoße keine leeren Drohungen aus, Sassenach«,
sagte er, »und ich schwöre keine Meineide. So, können wir nun zu
Bett gehen?«