18

Das Eintreffen des ersten Materials von Station Panama unter dem Kodenamen BUCHAN ZWEI hatte Scottie Luxmore, den Londoner Initiator der Aktion, auf nie dagewesene Höhen der Selbstbewunderung geführt. Doch an diesem Morgen war seine Euphorie einer gereizten Nervosität gewichen. Doppelt so schnell wie üblich stapfte er hin und her. Seine aufmunternde schottische Stimme hatte einen Sprung bekommen. Sein Blick schwenkte unruhig über den Fluß, nach Norden und Westen, wo jetzt seine Zukunft lag.

»Cherchez la femme, Johnny«, empfahl er einem hageren Jüngling namens Johnson, dem Nachfolger Osnards auf dem undankbaren Posten von Luxmores persönlichem Referenten. »In unserem Gewerbe ist ein einziges Weibchen mindestens soviel wert wie fünf Männer.«

Johnson, der wie sein Vorgänger die unentbehrliche Kunst des Kriechens beherrschte, beugte sich auf seinem Stuhl nach vorn, um zu zeigen, wie eifrig er zuhörte.

»Frauen verfügen über die nötige Heimtücke, Johnny. Sie sind nervenstark, sie sind die geborenen Heuchler. Was glauben Sie, warum sie darauf besteht, ausschließlich durch die Vermittlung ihres Mannes mit uns zu arbeiten?« Er sprach abwehrend wie jemand, der im voraus um Vergebung bittet. »Sie weiß ganz genau, daß sie ihn in den Schatten stellen wird. Und was wird dann aus ihm? Er landet auf der Straße. Wird abserviert. Ausgemustert. Warum sollte sie es dazu kommen lassen?« Er strich sich mit den Handflächen über die Hosenbeine. »Statt zwei Gehältern nur eins beziehen und ihren Mann als Tölpel hinstellen, wenn sie schon mal dabei ist? Louisa doch nicht. BUCHAN ZWEI doch nicht!« Er kniff die Augen zusammen, als ob er in einem fernen Fenster jemanden erkannt habe, unterbrach aber nicht seine Ausführungen. »Ich weiß, was ich getan habe. Für sie gilt dasselbe. Unterschätzen Sie niemals den weiblichen Instinkt, Johnny. Er hat den Gipfel überschritten. Er ist nicht mehr zu gebrauchen.«

»Osnard?« fragte Johnson hoffnungsvoll. Es war sechs Monate her, seit man ihn zu Luxmores Schatten bestimmt hatte, und noch immer war kein Auslandsposten für ihn in Sicht.

»Ihr Mann, Johnny«, entgegnete Luxmore gereizt und schabte sich mit den Fingerspitzen die bärtige Wange. »BUCHAN EINS. Sicher, er hat sich verheißungsvoll genug angelassen. Aber ihm fehlt die große Vision, die fehlt solchen Leuten immer. Ihm fehlt das rechte Maß. Das historische Bewußtsein. Er hat uns bloß Geschwätz und aufgewärmte Reste geliefert und im übrigen nur für sich selbst gesorgt. Wie ich es jetzt sehe, hätten wir ihn niemals halten können. Sie sieht das auch so. Sie kennt ihren Mann, diese Frau. Kennt seine Grenzen besser als wir. Und kennt natürlich ihre Stärken.«

»Die Analytiker sind leicht beunruhigt, weil es keine Belege gibt«, wagte Johnson zu bemerken; er nutzte jede Gelegenheit, an Osnards Sockel zu kratzen. »Sally Morpurgo hält das BUCHAN-ZWEI-Material für zu dick aufgetragen und zu dünn belegt.«

Der Schlag traf Luxmore, als er eben wendete, um zum fünftenmal den Teppich abzuschreiten. Er zeigte das breite, ausdruckslose Lächeln eines völlig humorlosen Mannes.

»Ach tatsächlich? Miß Morpurgo ist zweifellos eine höchst intelligente Frau.«

»Ja, das finde ich auch.«

»Und Frauen urteilen härter über andere Frauen, als wir Männer das tun. Und mit Recht.«

»Das stimmt. Darüber habe ich noch nie nachgedacht.«

»Außerdem sind sie anfällig für gewisse Eifersüchteleien – Neid wäre hier vielleicht das bessere Wort –, gegen die wir Männer von Natur aus immun sind. Stimmt’s, Johnny?«

»Schon möglich. Nein. Ich meine: Ja.«

»Was genau hat Miß Morpurgo zu beanstanden?« fragte Luxmore im Ton eines Mannes, der faire Kritik durchaus zu schätzen weiß.

Johnson wünschte, er hätte den Mund gehalten.

»Nun, sie meint eben, es gebe überhaupt keine Belege. Nichts in der ganzen täglichen Flut, wie sie das genannt hat. Null. Keine Abhörprotokolle, keine Berichte befreundeter Verbindungsleute, kein Sterbenswörtchen von den Amerikanern. Keine Erkenntnisse über Reisebewegungen, keine Satellitenbeobachtungen, keine ungewöhnlichen diplomatischen Aktivitäten. Als ob das Material aus einem Schwarzen Loch käme. Sagt sie

»Ist das alles?«

»Na ja, noch nicht ganz.«

»Weiter, nur keine Skrupel, Johnny.«

»Sie sagt, niemals in der Geschichte der Nachrichtendienste sei für so wenig so viel bezahlt worden. Ist natürlich als Witz gemeint.«

Falls Johnson gehofft hatte, Luxmores Vertrauen auf Osnard und seine Arbeit zu erschüttern, wurde er jetzt enttäuscht. Luxmore warf sich in die Brust, seine Stimme fand zum belehrenden schottischen Schwung zurück.

»Johnny.« Er saugte an den Schneidezähnen. »Ist Ihnen jemals der Gedanke gekommen, daß ein erwiesenes Minus von heute das genaue Gegenstück zu einem erwiesenen Plus von gestern ist?«

»Nein, eigentlich nicht.«

»Dann denken Sie mal kurz drüber nach, ich flehe Sie an. Jemand, der seine Spuren vor den Ohren und Augen der modernen Technik so gut zu verwischen weiß, muß doch wohl ziemlich gerieben sein, Johnny, oder? Kreditkarten, Reisetickets, Telefonate, Faxgeräte, Banken, Hotels – nirgends eine Spur. Heutzutage kann man nicht mal mehr eine Flasche Whisky im Supermarkt kaufen, ohne daß die ganze Welt davon erfährt. Unter solchen Umständen kommt der Befund ›Keine Spur‹ einem Schuldbeweis gleich. Erfahrene Leute haben das begriffen. Die wissen, wie man es anstellt, nicht gesehen, nicht gehört, nicht erkannt zu werden.«

»Ganz gewiß, Sir«, sagte Johnny.

»Erfahrene Leute leiden nicht an berufsbedingten Deformierungen, wie sie die eher introvertierten Mitarbeiter unseres Service befallen, Johnny. So etwas wie Bunkermentalität ist ihnen unbekannt, Details und Informationsüberfluß sind für sie kein Klotz am Bein. Sie sehen den Wald, nicht die Bäume. Und hier sehen sie ein Ost-Süd-Komplott von gefährlichen Ausmaßen.«

»Sally nicht«, widersprach Johnson halsstarrig; er hatte A gesagt, nun mußte er B sagen, egal was dabei herauskam. »Moo übrigens auch nicht.«

»Wer ist Moo?«

»Ihr Assistent.«

Luxmores Lächeln blieb tolerant und freundlich. Auch er, wollte er damit sagen, sah Wälder und nicht Bäume.

»Stellen Sie Ihre Frage mal andersrum, Johnny, dann kommen Sie von allein auf die Antwort. Warum sollte es in Panama eine verdeckte Opposition geben, wenn es in Panama nichts gibt, gegen das man opponieren könnte? Warum sollten Dissidentengruppen – kein Gesindel, Johnny, sondern engagierte Menschen aus wohlhabenden Kreisen – im Untergrund warten, wenn sie nicht wissen, worauf sie warten? Warum sind die Fischer so aufsässig? – kluge Männer, Johnny, unterschätzen Sie mir die Seeleute nicht. Warum vertritt der Vertreter des panamaischen Präsidenten bei der Kanalkommission in der Öffentlichkeit eine bestimmte Politik, verfolgt aber privat eine ganz andere? Warum führt er ein Leben nach außen hin und ein anderes im Verborgenen, wozu diese Heimlichtuerei, was sollen diese Gespräche mit unechten japanischen Hafenmeistern zu den unmöglichsten Zeiten? Was macht die Studenten so unruhig? Wovon haben sie Wind bekommen? Wer hat ihnen in ihren Cafés und Diskotheken was ins Ohr geflüstert? Wie kommt es, daß allenthalben das Wort Ausverkauf die Runde macht?«

»Das ist mir ganz neu«, sagte Johnson, der in letzter Zeit mit zunehmender Verwirrung feststellen mußte, wie sich das nachrichtendienstliche Rohmaterial aus Panama auf dem Schreibtisch seines Vorgesetzten immer weiter aufblähte.

Andererseits besaß Johnson keine unbeschränkte Zugangsberechtigung – am allerwenigsten zu Luxmores Inspirationsquellen. Wenn Luxmore eine seiner berüchtigten knappen Zusammenfassungen zur Vorlage bei seinen geheimnisvollen Planern & Anwendern formulierte, ließ er sich aus dem Archiv einen Berg streng geheimer Akten kommen und schloß sich damit in seinem Zimmer ein, bis das Dokument geschrieben war – dabei bezogen sich diese Akten, wie Johnson feststellte, als er sich durch raffinierte Manöver Zugang verschaffte, lediglich auf längst vergangene Ereignisse wie etwa die Suezkrise von 1956 und keineswegs auf irgendwelche Dinge, die jetzt geschahen oder für die Zukunft erwartet wurden.

Luxmore benutzte Johnson als Testpublikum. Manche Menschen, lernte Johnson, können ohne Zuhörer nicht denken.

»Das Schwierigste, Johnny, womit sich ein Dienst wie der unsere zu befassen hat, ist die öffentliche Meinung, bevor sie sich gerührt hat, die vox populi, bevor sie gesprochen hat. Denken Sie an den Iran und den Ajatollah. Denken Sie an Ägypten im Vorfeld der Suezkrise. Denken Sie an die Perestroika und den Zusammenbruch des Reichs des Bösen. Denken Sie an Saddam, einen unserer besten Kunden. Wer hat sie kommen sehen, Johnny? Wer hat sie wie schwarze Wolken am Horizont aufgehen sehen? Wir nicht. Denken Sie an Galtieri und die Falkland-Krise, mein Gott. Es ist immer wieder dasselbe: unser nachrichtendienstlicher Vorschlaghammer knackt jede Nuß, nur nicht die eine, auf die alles ankommt: das menschliche Rätsel.« Er ging wieder im gewohnten Tempo hin und her, im Takt zu seinen schwülstigen Worten. »Aber genau das werden wir jetzt knacken. Diesmal können wir schneller sein. Wir haben die Basare verkabelt. Wir kennen die Stimmung der Massen, ihre unbewußten Pläne, ihre verborgenen Siedepunkte. Wir können Vorsorge treffen. Wir können die Geschichte austricksen. Sie aus dem Hinterhalt überfallen …«

Er griff so schnell zum Telefon, daß es kaum Zeit zum Klingeln hatte. Aber es war nur seine Frau, die wissen wollte, ob er wieder einmal ihre Autoschlüssel eingesteckt habe. Luxmore gestand die Tat kurz und bündig, legte auf, zog sich an den Rockschößen und begann wieder auf- und abzugehen.

 

Man entschied sich für Geoff s Haus, weil Ben Hatry es empfohlen hatte, und schließlich war Geoff Cavendish ja Ben Hatrys Geschöpf, auch wenn die beiden es für klug hielten, das nicht auszuposaunen. Und daß man sich für Geoffs Haus entschied, war auch deshalb berechtigt, weil die Idee ursprünglich von ihm stammte, jedenfalls in dem Sinne, daß Geoff Cavendish den ersten Schlachtplan entworfen und Ben Hatry dazu nur gesagt hatte: Dann machen wir den Scheiß halt so – solcher Ausdrucksweise befleißigte sich Ben Hatry gern; als großer britischer Medienzar und Arbeitgeber zahlloser verschüchterter Journalisten hatte er eine natürliche Abneigung gegen seine Muttersprache.

Denn Cavendish hatte Hatrys Fantasie beflügelt, falls Ben Hatry so etwas wie Phantasie besaß; Cavendish hatte die Sache mit Luxmore eingefädelt, ihn ermutigt, seinen Etat und sein Ego gestärkt; Cavendish hatte mit Zustimmung Hatrys die ersten kleinen Essen und inoffiziellen Besprechungen in teuren, unweit des Parlaments gelegenen Restaurants organisiert, die richtigen Abgeordneten, freilich nie in Hatrys Namen, bearbeitet, er hatte die Karte ausgebreitet und ihnen gezeigt, wo dieses verdammte Land überhaupt lag und wo und wie der Kanal verlief, weil die Hälfte von ihnen nur nebelhafte Vorstellungen davon hatte; Cavendish hatte in London und bei den Ölgesellschaften dezent Alarm geschlagen und sich, was für ihn kein Kunststück war, an die vertrottelte konservative Rechte herangemacht und all die Weltreichträumer, Eurogegner, Negerhasser, pauschalen Fremdenfeinde und verirrten, ungebildeten Kinder umworben.

Cavendish hatte die Vision von einem Kreuzzug in letzter Minute vor der Wahl heraufbeschworen, von einem Tory-Phönix aus der Asche, einem neuen Kriegsgott, einem Führer in glänzender Rüstung, die diesem bis jetzt aber scheinbar stets zu groß gewesen war; Cavendish hatte sich mit derselben Masche, nur mit einer anderen Sprache an die Opposition herangemacht – keine Sorge, liebe Leute, ihr sollt weder opponieren noch Position beziehen, drückt einfach ein Auge zu und sagt euch, das ist jetzt nicht die Zeit, das Tapfere Britische Boot zum Kentern zu bringen, auch wenn es, von Irren gesteuert und leck wie ein Sieb, mit Volldampf in die falsche Richtung fährt.

Cavendish hatte die Multis in zweckdienliche Unruhe versetzt und Gerüchte von verheerenden Auswirkungen für Industrie und Handel Großbritanniens und das britische Pfund in Umlauf gebracht; Cavendish hatte uns aufgerüttelt, wie er das nannte: womit gemeint war, daß er durch den sinnreichen Einsatz unverfänglicher Leitartikler, die nicht zu Hatrys Imperium gehörten und daher, theoretisch jedenfalls, nicht von seinem furchtbaren Ruf beeinträchtigt waren, Gerüchte in allgemein anerkannte Tatsachen verwandelt hatte; Cavendish hatte in finanzschwachen, abhängig gemachten Fachzeitschriften Artikelserien lanciert, die dann wiederum von größeren Zeitschriften marktschreierisch nachgebetet wurden, bis sie, die ganze Leiter rauf oder runter, auf den Innenseiten der Boulevardblätter landeten und von den Kommentatoren der degenerierten spätabendlichen Fernsehmagazine in die sogenannte öffentliche Diskussion eingebracht wurden, und zwar nicht nur von Hatrys Haussendern, sondern auch auf den Konkurrenzkanälen – denn nichts ist vorhersehbarer, als daß die Medien ihre eigenen Märchen nachplappern und sämtliche Wettbewerber in Panik darüber geraten, von den jeweils anderen ausgestochen zu werden, ob die Geschichte nun wahr ist oder nicht, denn mal ganz ehrlich, meine Lieben, im heutigen Nachrichtengeschäft haben wir doch gar nicht die Leute, wir haben weder Zeit noch Interesse, Leistungswillen, Bildung und Verantwortungsgefühl, das heißt, wir können unsere Meldungen schlichtweg nicht mehr überprüfen, sondern bloß noch aufgreifen, was andere Schmocks über irgendein Thema geschrieben haben, und es dann nachbeten.

Und Cavendish, dieser grobschlächtige, stets in Tweed gekleidete englische Naturbursche mit der Stimme eines distinguierten Cricket-Kommentators an einem heiteren Sommernachmittag, hatte, durchweg über fürstlich bewirtete Mittelsmänner, Ben Hatrys Lieblingsmaxime Lieber heute als morgen so überzeugend propagiert, jenen Grundsatz, der seinem transatlantischen Hetzen und Drahtziehen und Intrigieren zugrunde lag und darauf abzielte, daß die Vereinigten Staaten unmöglich länger als ein weiteres Jahrzehnt die einzige Supermacht der Welt bleiben könnten, danach sei wirklich Schluß; wenn also, besagte diese Maxime, irgendwo auf der Welt größere chirurgische Eingriffe nötig sein sollten, gleichgültig, wie brutal oder selbstbedienerisch das von außen oder auch von innen aussehen mochte, dann müssen wir das für unser Überleben und das Überleben unserer Kinder und das Überleben von Hatrys Imperium und seines immer festeren Würgegriffs um die dritte und vierte Welt jetzt tun, jetzt, solange wir noch die Macht dazu haben, verdammte Scheiße! Schluß mit der Zimperlichkeit! Nehmt euch, was ihr haben wollt, und schlagt den Rest kaputt! Aber was auch immer ihr tun oder lassen wollt, hört endlich auf, euch als Schlappschwänze, Weicheier, Kriecher und Feiglinge aufzuführen!

Und wenn Ben Hatry damit der wahnsinnigen amerikanischen Rechten und ihren Blutsbrüdern auf dieser Seite des großen Teichs gefährlich nahe kam und obendrein auch noch zum Liebling der Rüstungsindustrie wurde – na, scheiß drauf, pflegte er dazu in seiner liebreizenden Muttersprache zu sagen, er sei kein Politiker, er hasse diese Schweine, er sei Realist, es sei ihm völlig egal, wer oder was seine Verbündeten seien, Hauptsache, sie hätten vernünftige Ansichten und sagten nicht zu jedem Japsen, Nigger oder sonstigen Kaffer, der ihnen auf den internationalen Korridoren über den Weg laufe: »Verzeihen Sie, Sir, daß ich ein liberaler weißer Amerikaner bin, und entschuldigen Sie bitte, daß wir so groß und stark und reich und mächtig sind, aber wir glauben an die Würde und Gleichheit aller Geschöpfe Gottes, und würden Sie mir wohl freundlicherweise erlauben, daß ich auf die Knie falle und Ihnen den Hintern küsse?«

Das war also das Bild, das Ben Hatry zum Wohle seiner Vasallen unermüdlich an die Wand malte, jedoch stets unter der Voraussetzung, daß wir das im heiligen Interesse objektiver Berichterstattung für uns behalten, meine Lieben, denn dafür sind wir auf der Welt, sonst kriegt ihr niemals ein Bein auf die Erde.

 

»Ohne mich«, hatte Ben Hatry tags zuvor tonlos zu Cavendish gesagt.

Manchmal sprach er, ohne die Lippen zu bewegen. Manchmal hatte er seine eigenen Machenschaften satt und die ganze menschliche Mittelmäßigkeit obendrein.

»Sie beide werden das mit denen allein abwickeln«, setzte er boshaft hinzu.

»Wie Sie wünschen, Chef. Schade, aber bitte sehr«, sagte Cavendish.

Ben Hatry war, wie Cavendish vorausgesehen hatte, mit dem Taxi gekommen, weil er seinem Fahrer mißtraute, ja er war sogar zehn Minuten zu früh gekommen, um sich eine Zusammenfassung von dem Scheiß durchzulesen, den Cavendish in den letzten Monaten an Vans Leute geschickt hatte – mit Scheiß pflegte er jede Art von Prosa zu bezeichnen – und der mit einem Bericht, brandheiß, eine Seite lang, von diesen Wichsern auf der anderen Seite des Flusses endete – ohne Unterschrift, ohne Quellenangabe, ohne Überschrift –, ein echter Hammer, Chef, hatte Cavendish gesagt, der reine Wein, die Kronjuwelen, Vans Leute drehten durch, daher die heutige Zusammenkunft.

»Welcher Schwachkopf hat das geschrieben?« fragte Hatry, der stets Wert darauf legte, jedem die gebührende Ehre zukommen zu lassen.

»Luxmore, Chef.«

»Der Scheißkerl, der uns im Alleingang die Falkland-Operation vermasselt hat?«

»Genau der.«

»Sieht mir verteufelt nach einer Rohfassung aus.«

Trotzdem las Ben Hatry den Bericht zweimal, was er sonst niemals tat.

»Ist das alles wahr?« fragte er Cavendish.

»Wahr schon, Chef«, sagte Cavendish mit jener klugen Mäßigung, die für seine Urteile typisch war. »Teilweise wahr. Zur Haltbarkeitsdauer will ich lieber nichts sagen. Vans Leute hatten es wohl ziemlich eilig.«

Hatry warf ihm den Bericht wieder hin.

»Na, diesmal kennen sie wenigstens den Weg«, sagte er und nickte freudlos zu Tug Kirby hin, dem dritten Mörder, wie Cavendish ihn geistreicherweise getauft hatte; er war gerade ins Zimmer gestürmt, ohne sich die großen Schuhe abzuputzen, und hielt jetzt finster nach Feinden Ausschau.

»Die Amis schon da?« brüllte er.

»Müssen jeden Augenblick eintreffen, Tug«, versuchte Cavendish ihn zu beschwichtigen.

»Die kommen zu spät zu ihrer eigenen Beerdigung«, sagte Kirby.

 

Ein besonderer Vorteil von Geoffs Haus war die ideale Lage im Zentrum von Mayfair, nahe dem Nebeneingang von Claridges in einer gesperrten und bewachten Sackgasse, die von Diplomaten und Lobbyisten und anderen hohen Tieren bewohnt wurde und in der sich auch die italienische Botschaft befand. Dennoch war alles erfreulich anonym. Ob die Leute, die hier aus- und eingingen, Fensterputzer, Lieferanten, Kuriere, Butler, Bodyguards, Lustknaben oder Großmeister der Galaxis waren, interessierte niemanden. Und Geoff war jemand, der überall Zutritt hatte. Er wußte, wie man an die Entscheidungsträger herankam und wie man sie zusammenbrachte. Wenn man Geoff hatte, konnte man sich zurücklehnen und die Sache einfach laufen lassen, und genau das taten sie jetzt: drei Briten und ihre zwei amerikanischen Gäste, die sich offiziell nicht kannten, während sie sich ohne Kellner als Zeugen über eine Mahlzeit hermachten, die nach allgemeiner Übereinkunft gar nicht stattfand; es gab Lachs tiède, von Cavendishs Landsitz in Schottland eingeflogen, dazu Wachteleier, Obst und Käse und zur Krönung des Ganzen einen phantastischen Butter-Pudding, den Geoffs betagte Großmutter zubereitet hatte.

Zum Trinken gab es Eistee und Artverwandtes, denn Alkohol zum Lunch, so meinte Geoff Cavendish, werde im heutigen fundamental-christlichen Washington als Erfindung des Teufels betrachtet.

Man saß an einem runden Tisch, niemand sollte den Vorsitz haben. Viel Platz für die Beine. Polsterstühle. Die Telefone ausgestöpselt. Cavendish sorgte hervorragend für seine Leute. Mädchen, soviel Sie wollen. Fragen Sie Tug.

 

»Erträglichen Flug gehabt, Elliot?« fragte Cavendish.

»Ach, ganz wunderbar, Geoff. Ich liebe diese holpernden kleinen Jets. Northolt war klasse. Ich liebe Northolt. Und dann der Hubschrauber nach Battersea, einfach Spitze. Ein tolles Kraftwerk haben die da.«

Bei Elliot wußte man nie, ob er bloß sarkastisch war oder ob er immer so redete. Er war einunddreißig Jahre alt, ein Südstaatler aus Alabama. Anwalt und Journalist, ein flapsiger Typ, falls er nicht gerade auf Angriff geschaltet hatte. Er hatte eine eigene Kolumne in der Washington Times, wo er sich demonstrativ mit Leuten anlegte, die bis vor kurzem bekannter gewesen waren als er selbst. Er war leichenblaß und hager, gefährlich und bebrillt. Sein Gesicht war nur Haut und Knochen.

»Bleiben Sie über Nacht, oder geht’s gleich wieder nach Hause, Elliot?« knurrte Tug Kirby und machte deutlich, daß er die letztere Variante vorziehen würde.

»Wir müssen leider umgehend zurück, sobald die Party hier vorbei ist, Tug«, sagte Elliot.

»Nicht mal in der Botschaft guten Tag sagen?« fragte Tug mit einfältigem Grinsen.

Das sollte ein Scherz sein. Tug riß andauernd Witze. Die Leute vom Außenministerium waren nämlich die allerletzten, die von der Visite Elliots und des Colonels erfahren sollten.

Neben Elliot saß der Colonel und kaute seinen Lachs mit der vorgeschriebenen Zahl von Kaubewegungen.

»Wir haben dort keine Freunde, Tug«, erklärte er naiv. »Nur Schwule.«

In Westminster wurde Tug Kirby »der Minister mit Riesigem Geschäftsbereich« genannt. Dieser Titel ging teils auf seine sexuellen Abenteuer zurück, vor allem aber auf seine beispiellose Sammlung von Berater- und Vorstandsposten. Es gab, behaupteten Schlauköpfe, im ganzen Land sowie im Mittleren Osten kein einziges Rüstungsunternehmen, in dem Tug Kirby nicht irgendwie seine Finger hatte. Ein mächtiger, bedrohlich wirkender Mann, genau wie seine Gäste. Er hatte fette runde Schultern und buschige schwarze Augenbrauen, die wie angeklebt aussahen. Sein Blick wirkte dumm und niederträchtig. Und seine großen Fäuste blieben sogar beim Essen in Alarmbereitschaft.

 

»He, Dirk – was macht Van?« rief Hatry fröhlich über den Tisch. Ben Hatry hatte seinen legendären Charme angeschaltet, dem niemand widerstehen konnte. Und wie erfreulich sein Lächeln, nachdem man so lange in den Wolken gesteckt hatte. Der Colonel wurde sofort vergnügter. Auch Cavendish war entzückt, seinen Chef plötzlich so guter Laune zu sehen.

»Sir«, bellte der Colonel, als rede er vor einem Kriegsgericht, »General Van läßt Sie grüßen und möchte Ihnen, Ben, und Ihren Mitarbeitern seinen Dank aussprechen für die unschätzbare tatkräftige Unterstützung und Ermutigung, welche sie ihm in den vergangenen Monaten und bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben angedeihen lassen.«

Schultern zurück, Kinn runter. Sir.

»Nun, richten Sie ihm aus, wir alle sind ungeheuer enttäuscht, daß er sich nicht um die Präsidentschaft bewirbt«, sagte Hatry, ebenfalls vergnügt lächelnd. »Es ist eine verdammte Schande, daß der einzige gute Mann in Amerika nicht den Mumm hat, sich als Kandidat aufstellen zu lassen.«

Der Colonel ließ sich von Hatrys launigen Provokationen nicht beeindrucken. Er war das von früheren Begegnungen her gewohnt.

»General Van ist noch jung, Sir. Der General plant langfristig. Der General ist ein hervorragender Stratege.« Zwischen diesen gedämpften, besorgten Sätzen nickte er sich selbst bestätigend zu, aber seine Augen blieben groß und verletzlich. »Der General liest sehr viel. Er ist ein gründlicher Mensch. Er kann warten. Andere hätten längst ihr Pulver verschossen. Nicht der General. Nein, Sir. Wenn die Zeit gekommen ist, den Präsidenten umzustimmen, wird der General zur Stelle sein. Er ist der einzige Mann in Amerika, dem man das zutrauen kann. Meine Meinung, Sir.«

Ich gehorche, sagten die Hundeaugen des Colonels, aber sein Kinn sagte, verdammt, laß mich in Ruhe. Sein Haar war kurzgeschoren. Seine straffe Haltung machte vergessen, daß er keine Uniform trug. Man fragte sich unwillkürlich, ob er nicht ein wenig verrückt sei. Beziehungsweise sie alle nicht verrückt seien. Die Formalitäten waren erledigt. Elliot sah auf die Uhr, zog die Brauen hoch und warf Tug Kirby einen herausfordernden Blick zu. Der Colonel nahm die Serviette vom Hals, tupfte sich pedantisch den Mund damit ab und legte sie dann auf den Tisch wie ein unerwünschtes Sträußchen, das Cavendish wegräumen sollte. Kirby zündete sich eine Zigarre an.

»Könnten Sie das Scheißding bitte ausmachen, Tug?« bat Hatry höflich.

Kirby drückte die Zigarre wieder aus. Manchmal vergaß er Hatrys Eigenheiten. Cavendish fragte, ob jemand Süßstoff oder vielleicht Milchpulver für den Kaffee brauche? Endlich fand die Besprechung statt, das Festmahl war beendet. Fünf Männer saßen um einen glänzend polierten Tisch aus dem 18. Jahrhundert; sie verachteten einander von Herzen, aber es verband sie ein hehres Ideal.

 

»Wollt ihr nun einmarschieren oder nicht?« fragte Ben Hatry, der nichts von langwierigen Einleitungen hielt.

»Natürlich wollen wir das, Ben«, sagte Elliot; seine Miene war verschlossen wie ein Schott.

»Scheiße, was hält euch dann noch auf? Ihr habt die Beweise. Ihr schmeißt den ganzen Laden. Worauf wartet ihr noch?«

»Van würde am liebsten sofort einmarschieren. Dirk auch. Stimmt’s, Dirk? Mit Pauken und Trompeten? Stimmt’s, Dirk?«

»Allerdings«, brummte der Colonel und faltete kopfschüttelnd die Hände.

»Dann tut’s doch, verdammt noch mal!« rief Tug Kirby.

Elliot überhörte ihn geflissentlich. »Das amerikanische Volk will ebenfalls, daß wir einmarschieren«, sagte er. »Die Leute wissen es vielleicht noch nicht, aber das wird sich bald ändern. Das amerikanische Volk will zurückhaben, was ihm rechtmäßig zusteht und was man gar nicht erst hätte weggeben dürfen. Niemand hindert uns, Ben. Wir haben das Pentagon, wir haben den Willen, wir haben ausgebildete Leute und die entsprechende Technologie. Wir haben den Senat, wir haben den Kongreß. Wir haben die Republikaner. Wir bestimmen die Außenpolitik. Wir haben die Medien, wenn’s um Krieg geht, fest in der Hand. Schon beim letztenmal hat uns niemand reingepfuscht, diesmal wird man uns noch weniger reinpfuschen. Niemand hält uns auf, nur wir selbst, Ben. Niemand, lassen Sie sich das gesagt sein.«

Kurzes allgemeines Schweigen. Kirby brach es als erster.

»Für den ersten Schritt braucht man immer etwas Mut«, sagte er schroff. »Thatcher war niemals unentschlossen. Andere sind’s immer.«

Erneutes Schweigen.

»So geht ein Kanal den Bach runter, nehme ich an«, bemerkte Cavendish, aber keiner lachte, und wieder trat Schweigen ein.

»Wissen Sie, was Van neulich zu mir gesagt hat, Geoff?« fragte Elliot.

»Nein, was denn, mein Freund?« fragte Cavendish.

»Jeder Nichtamerikaner sieht Amerika in einer bestimmten Rolle. Meist sind das Leute, die selbst keine Rolle spielen. Schlappschwänze.«

»General Van ist ein gründlicher Mensch«, sagte der Colonel.

»Weiter«, sagte Hatry.

Aber Elliot ließ sich Zeit; er legte nachdenklich die Hände auf die Brust, als trüge er eine Weste und rauchte auf seiner Plantage behaglich einen Stumpen.

»Ben, wir haben keinen Aufhänger dafür«, gestand er von Journalist zu Journalist. »Keinen Vorwand. Wir haben einen Zustand. Aber keine unwiderlegbaren Beweise. Keine vergewaltigten amerikanischen Nonnen. Keine toten amerikanischen Babys. Wir haben Gerüchte. Eventualitäten. Wir haben die Berichte von Ihren Spionen, die von unseren Spionen zur Zeit nicht bestätigt sind, weil wir es nun einmal so haben wollen. Fürs Außenministerium ist der Zeitpunkt nicht günstig, es will jetzt keine Krokodilstränen vergießen oder das Weiße Haus mit ›Hände weg von Panama!‹-Plakaten bekleben. Es gilt jetzt, entschieden zu handeln, und das nationale Bewußtsein muß dazu gebracht werden, sich rückwirkend anzupassen. Und das nationale Bewußtsein kann das. Wir können ihm dabei helfen. Und Sie auch, Ben.«

»Sag ich doch. Selbstverständlich.«

»Nur eins können Sie uns nicht liefern: einen Vorwand«, sagte Elliot. »Sie können für uns keine Nonnen vergewaltigen oder Babys massakrieren.«

Kirby lachte reichlich unangemessen auf. »Da seien Sie mal nicht so sicher, Elliot«, rief er. »Da kennen Sie unseren Ben aber schlecht. Oder? Oder?«

Doch statt Applaus erntete er bloß ein gequältes Stirnrunzeln des Colonels.

»Natürlich habt ihr einen Vorwand«, erwiderte Ben Hatry bissig.

»Und der wäre?« fragte Elliot.

»Die Dementis, verdammt noch mal.«

»Was für Dementis?« fragte Elliot.

»Von allen Seiten. Die Panamaer dementieren, die Franzosen dementieren, die Japaner dementieren. Also lügen sie, genauso wie Castro gelogen hat. Castro hat seine russischen Raketen dementiert, also seid ihr einmarschiert. Die Kanalverschwörer dementieren ihre Verschwörung, also marschiert ihr wieder ein.«

»Ben, diese Raketen gab es tatsächlich«, sagte Elliot. »Wir hatten Fotos von diesen Raketen. Wir hatten Beweise. Aber hier haben wir keine Beweise. Das amerikanische Volk verlangt Gerechtigkeit. Die gibt es nicht durch Gerede. Niemals. Wir brauchen einen Beweis. Der Präsident braucht einen Beweis. Solange er keinen hat, wird er sich nicht umstimmen lassen.«

»Ben, wir haben nicht zufällig ein paar nette Schnappschüsse von japanischen Ingenieuren mit falschen Bärten, die beim Schein von Taschenlampen einen zweiten Kanal buddeln?« fragte Cavendish kichernd.

»Nein, haben wir nicht«, erwiderte Hatry; er hob niemals die Stimme, aber das hatte er auch nicht nötig. »Also, was wollt ihr machen, Elliot? Warten, bis euch die Japaner am Mittag des 31. Dezember im Jahre des Herrn 1999 einen Fototermin geben?«

Elliot blieb unbewegt. »Ben, wir haben nicht ein einziges zu Herzen gehendes Argument, womit wir uns vor die Fernsehkameras stellen könnten. Letztesmal hatten wir Glück. Da wurden amerikanische Frauen auf den Straßen von Panama City von Noriegas Elitetruppen mißhandelt. Bis dahin konnten wir nichts machen. Wir hatten außerdem noch das Drogenproblem. Also haben wir das ausgeschlachtet. Und wir hatten das Problem mit Noriegas Einstellung. Auch das konnten wir ausschlachten. Ebenso seine Häßlichkeit. Viele Leute finden Häßlichkeit unmoralisch. Das haben wir ausgenutzt. Und sein Sexualleben und seinen Voodoozauber. Wir haben Castro ins Spiel gebracht. Aber erst als anständige Amerikanerinnen von Latinosoldaten belästigt wurden, fühlte sich der Präsident verpflichtet, unsere Jungs da hinzuschicken, damit denen mal Manieren beigebracht wurden.«

»Wie ich höre, haben Sie das arrangiert«, sagte Hatry.

»Ein zweitesmal würde das nicht funktionieren«, antwortete Elliot, und damit war auch dieser Vorschlag vom Tisch.

Ben Hatry implodierte. Ein unterirdischer Test. Es gab keinen Knall, alle Bohrlöcher waren verstopft. Er stieß nur ein scharfes Zischen aus, als Luft, Enttäuschung und Wut gleichzeitig entwichen.

»Verflucht. Dieser Kanal gehört doch euch, Elliot.«

»Und euch hat auch mal Indien gehört, Ben.«

Hatry verzichtete auf eine Antwort. Er starrte durch die Gardinen, aber dahinter gab es nichts für ihn zu sehen.

»Wir brauchen einen Vorwand«, wiederholte Elliot.

»Ohne Vorwand kein Krieg. Da macht der Präsident nicht mit. Basta.«

 

Geoff Cavendish mit seinen Manieren und seinem robusten guten Aussehen gelang es schließlich, die Wogen wieder einigermaßen zu glätten.

»Meine Herren, mir scheint doch, daß wir eine Menge gemeinsam haben. Über den Zeitplan hat General Van zu entscheiden. Das bestreitet niemand. Könnten wir das jetzt mal beiseite lassen? Tug, Sie sind ja kaum noch zu halten, wie ich sehe.«

Hatry hatte das Fenster mit der Gardine davor für sich beschlagnahmt. Die Vorstellung, Kirby zuhören zu müssen, hatte seine Verzweiflung noch gesteigert.

»Diese Stille Opposition«, sagte Kirby. »Die Gruppe Abraxas. Haben Sie sich darüber informiert, Elliot?«

»Sollte ich das?«

»Und Van?«

»Dem sind diese Leute sympathisch.«

»Ziemlich seltsam, oder?« sagte Kirby. »Wenn man bedenkt, daß der Kerl gegen Amerika ist?«

»Abraxas ist keine Marionette, er ist von niemand abhängig«, erwiderte Elliot gelassen. »Wenn wir in Panama eine provisorische Regierung installieren, bis dort wieder gewählt werden kann, könnte Abraxas uns einen Haufen Pluspunkte einbringen. Und weder die Liberalen noch die Panamaer selbst können uns als Kolonialisten beschimpfen.«

»Und wenn er nichts taugt, könnt ihr ja immer noch sein Flugzeug abstürzen lassen«, sagte Hatry gehässig.

 

Wieder Kirby: »Ich sage nur eins, Elliot: Abraxas ist unser Mann. Nicht eurer. Unser Mann aufgrund seiner freien Entscheidung. Damit gehört uns auch seine Widerstandsbewegung. Wir lenken sie, wir liefern Rat und Ausrüstung. Das wollen wir doch mal festhalten. Vor allem Van sollte das nicht vergessen. General Van würde sehr schlecht dastehen, falls sich einmal herausstellen sollte, daß Abraxas Geld von Uncle Sam genommen hat. Oder daß seine Leute mit amerikanischen Waffen beliefert worden sind. Wir wollen den Ärmsten doch nicht von Anfang an als Kollaborateur der Yankees abstempeln.«

Der Colonel hatte eine Idee. Seine Augen glänzten auf. Er lächelte verzückt.

»Ich hab’s: Wir machen das unter falscher Flagge, Tug! Wir haben doch Mitarbeiter da draußen! Wir können es so aussehen lassen, als ob Abraxas das Material aus Peru, Guatemala oder Castros Kuba bezieht. Oder sonstwoher! Das ist doch überhaupt kein Problem!«

Aber Tug Kirby beharrte auf seinem Standpunkt. »Wir haben Abraxas entdeckt, wir rüsten ihn aus«, sagte er eisig. »Wir haben einen erstklassigen Lieferanten vor Ort. Wenn Sie Geld dazu beisteuern wollen, sind wir für jedes Angebot dankbar. Aber Sie überlassen die Sache uns. Keine direkte Einmischung. Abraxas wird von uns kontrolliert, wir beliefern ihn. Er gehört uns. Und seine Studenten und Fischer und alle anderen ebenfalls. Die Heimmannschaft wird ausschließlich von uns beliefert«, sagte er und klopfte zur Bekräftigung mit den mächtigen Knöcheln auf den Tisch aus dem 18. Jahrhundert.

»Ja, wenn«, sagte Elliot etwas später.

»Wenn was?« fragte Kirby.

»Wenn wir einmarschieren«, sagte Elliot.

Hatry riß sich von der Betrachtung der Gardine los und wandte sich Elliot zu.

»Ich verlange die Exklusivrechte«, sagte er. »Meine Kameras und meine Reporter begleiten die erste Angriffswelle, meine Leute berichten über die Fischer und Studenten, und zwar exklusiv. Alle anderen kommen erst mit der Nachhut.«

Elliot gab sich kühl amüsiert. »Vielleicht solltet ihr auch gleich die Invasion für uns machen, Ben. Vielleicht könnt ihr auf diese Weise die nächste Wahl doch noch gewinnen. Wie wär’s mit einer Aktion zur Rettung britischer Bürger im Ausland? Ihr habt doch sicher ein paar in Panama rumlaufen.«

»Freut mich, daß Sie davon anfangen, Elliot«, sagte Kirby.

Die Achse hatte sich verschoben. Kirby war stark angespannt, alle starrten ihn an, auch Hatry.

»Wieso, Tug?« fragte Elliot.

»Weil wir endlich darüber reden müssen, was unser Mann eigentlich davon hat«, erwiderte Kirby errötend. Unser Mann, das hieß: unser Führer. Unsere Marionette. Unser Maskottchen.

»Sie verlangen, daß er neben Van im Planungsstab des Pentagon sitzt, Tug?« meinte Elliot grinsend.

»Seien Sie nicht albern.«

»Sie wollen britische Soldaten auf amerikanischen Schlachtschiffen? Aber gern!«

»Nein, wollen wir nicht, vielen Dank. Das ist euer Hinterhof. Aber wir verlangen Rückendeckung.«

»Ach, wollen Sie etwa Geld? Wieviel, Tug? Sie sollen ja ziemlich harte Forderungen stellen.«

»Nein, nein. Ich meine moralische Rückendeckung.«

Elliot lächelte. Hatry ebenfalls. Über Moral, sagten ihre Mienen, ließe sich reden.

»Unser Mann muß sichtbar und hörbar in vorderster Front auftreten«, erklärte Tug Kirby; er zählte die Bedingungen an seinen riesigen Fingern auf. »Unser Mann schreibt sich den Sieg auf die Fahne, euer Mann jubelt ihm zu. Britannien über alles, scheiß auf Brüssel. Unsre besonderen Beziehungen müssen als völlig intakt erscheinen – nicht wahr, Ben? Besuche in Washington, Händeschütteln, offensive Berichterstattung, unser Mann wird mit Lob überschüttet. Und euer Mann kommt nach London, sobald ihr ihn umgestimmt habt. Er ist seit langem überfällig, das ist schon unangenehm aufgefallen. Und es muß in die seriöse Presse durchsickern, welche Rolle der britische Nachrichtendienst bei der Sache gespielt hat. Wir geben Ihnen den Text – in Ordnung, Ben? Das übrige Europa bleibt außen vor, und die Franzosen sind mal wieder angeschmiert.«

»Überlassen Sie das mir«, sagte Hatry. »Er verkauft keine Zeitungen. Sondern ich.«

Sie trennten sich wie unversöhnte Liebende, voller Sorge, etwas Falsches gesagt, das Richtige nicht gesagt zu haben, nicht verstanden worden zu sein. Wir richten es Van aus, sobald wir zurück sind, sagte Elliot. Mal sehen, was er dazu meint. General Van denkt langfristig, sagte der Colonel. General Van ist ein echter Visionär. Der General hat den Blick auf sein Jerusalem gerichtet. Der General kann warten.

»Scheiße, ich brauch was zu trinken«, sagte Hatry.

 

Die drei Engländer waren unter sich, sie hatten sich mit ihrem Whisky zurückgezogen.

»Nette kleine Besprechung«, sagte Cavendish.

»Arschlöcher«, sagte Kirby.

»Kauft euch die Stille Opposition«, befahl Hatry. »Sorgt dafür, daß diese Leute reden und schießen können. Kann man sich auf diese Studenten verlassen?«

»Das möchte ich bezweifeln, Chef. Maoisten, Trotzkisten, Kriegsgegner, und viele sind nicht mehr die Jüngsten. Die können sich so oder so entscheiden.«

»Wen interessiert’s schon, wofür die sich entscheiden? Kauft euch die Kerle und hetzt sie auf. Van braucht einen Vorwand. Er träumt davon, wagt aber nicht, darum zu bitten. Was glaubt ihr, warum der Hund seine Handlanger schickt und selbst zu Hause bleibt? Vielleicht können die Studenten den Vorwand liefern. Wo ist Luxmores Bericht?«

Cavendish reichte ihn ihm, Hatry las ihn zum drittenmal und gab ihn wieder zurück.

»Wie heißt die Tussi, die unsere Katastrophenmeldungen schreibt?« fragte er.

Cavendish nannte einen Namen.

»Geben Sie ihr das«, befahl Hatry. »Sagen Sie ihr, sie soll das mit den Studenten ein bißchen ausschmücken, sie als Kämpfer für die Armen und Unterdrückten darstellen, den Kommunismus weglassen. Und die Stille Opposition blickt auf Großbritannien als demokratisches Vorbild für das Panama des 21. Jahrhunderts. Es soll dramatisch klingen. In den Straßen von Panama herrscht der Terror und so weiter. Sonntags in der Morgenausgabe. Rufen Sie Luxmore an. Sagen Sie ihm, er soll seine Scheißstudenten aus den Betten jagen.«

 

Einen so gefährlichen Auftrag hatte Luxmore noch nie gehabt. Er war begeistert, er hatte Angst. Freilich hatte er im Ausland immer Angst. Er war ein furchtbar einsamer Held. Ein imposanter Ausweis in seinem Jackett, das er auf keinen Fall ausziehen durfte, verpflichtete sämtliche Ausländer, dem hochgeschätzten Kurier der Königin – Mellors mit Namen – freies Geleit über ihre Grenzen zu gewähren. Auf dem Erster-Klasse-Sitz neben ihm standen zwei unförmige, mit breiten Schultergurten versehene schwarze Aktenkoffer; sie waren mit Wachs versiegelt und trugen das königliche Wappen. Die Vorschriften seines angeblichen Amtes erlaubten ihm weder zu schlafen noch zu trinken. Die Aktenkoffer mußten jederzeit in Sicht- und Reichweite bleiben. Profanen Händen war es nicht gestattet, die Taschen eines Kuriers der Königin zu entweihen. Er durfte sich niemandem nähern, hatte jedoch aus operativer Notwendigkeit eine matronenhafte Stewardeß von British Airways von diesem Erlaß ausnehmen müssen. Mitten über dem Südatlantik wandelte ihn nämlich ein unvorhergesehenes Bedürfnis an. Zweimal war er schon aufgestanden, um seinen Anspruch anzumelden, aber jedesmal war ihm ein gepäckloser Passagier zuvorgekommen. In höchster Not hatte er schließlich die Stewardeß gebeten, vor einer freigewordenen Toilette für ihn Wache zu halten, während er, dösende Araber anrempelnd und gegen Getränkewagen torkelnd, sich mit den Aktenkoffern durch den Gang zwängte.

»Sie schleppen wohl große Geheimnisse mit sich rum«, bemerkte die Stewardeß unbekümmert, als sie ihn zu seinem Ziel lotste.

Luxmore hörte entzückt, daß sie wie er aus Schottland stammte.

»Wo genau kommen Sie her, meine Liebe?«

»Aus Aberdeen.«

»Das ist ja wunderbar! Die silberne Stadt, mein Gott!«

»Und Sie?«

Luxmore wollte gerade mit einer ausführlichen Schilderung seiner schottischen Herkunft aufwarten, als ihm einfiel, daß Mellors seinem falschen Paß zufolge in Clapham geboren war. Seine Verlegenheit nahm noch zu, als sie ihm die Tür aufhielt, während er die Taschen herummanövrierte, um sich irgendwie hineinzuschieben. Auf dem Rückweg zu seinem Platz suchte er die Sitzreihen nach potentiellen Flugzeugentführern ab und sah niemanden, dem er vertraut hätte.

Die Maschine setzte zum Sinkflug an. Mein Gott, stell dir das vor! dachte Luxmore, während Ehrfurcht vor seinem Auftrag und Abscheu vor dem Fliegen sich mit dem Alptraum des Entdecktwerdens abwechselten – das Flugzeug stürzt ins Meer, die Taschen mit ihm. Bergungsboote aus Amerika, Kuba, Rußland und Großbritannien rasen zur Absturzstelle! Wer ist der geheimnisvolle Mellors? Warum sind seine Taschen bis auf den Meeresgrund gesunken? Warum hat man keine Papiere auf dem Wasser schwimmend gefunden? Warum bekennt sich niemand zu ihm? Keine Witwe, kein Kind, keine Verwandtschaft! Die Taschen werden geborgen. Wird die Regierung ihrer Majestät freundlicherweise einer atemlosen Welt erklären, was es mit dem ungewöhnlichen Inhalt auf sich hat?

»Sie müssen bestimmt weiter nach Miami, stimmt’s?« fragte die Stewardeß, als er die Taschen schulterte und sich zum Aussteigen anschickte. »Ich wette, Sie nehmen erst mal ein schönes heißes Bad, wenn Sie hier raus sind.«

Luxmore sprach leise, falls zufällig Araber mithörten. Sie war eine brave Schottin und hatte die Wahrheit verdient.

»Panama«, murmelte er.

Aber sie war bereits weg. Sie mußte jetzt die Passagiere bitten, die Sitze in aufrechte Position zu bringen und die Sicherheitsgurte anzulegen.