15

Aus grellem Tageslicht folgte Pendel seinem Gastgeber in finstere Nacht, verlor ihn und blieb stehen, wartete, bis seine Augen sich umgestellt hatten, und lächelte, falls er beobachtet wurde. Wem würde er hier begegnen, in was für einem sonderbaren Aufzug? Er schnupperte, aber statt Weihrauch oder warmem Blut roch er abgestandenen Tabakqualm und Bier. Erst allmählich machten sich die Werkzeuge der Folterkammer den Sinnen bemerkbar: Flaschen hinter einer Theke, ein Spiegel hinter den Flaschen, ein asiatischer Barkeeper von beträchtlichem Alter, ein cremefarbenes Klavier, auf dessen aufgeklapptem Deckel hüpfende Mädchen gepinselt waren, träge unter der Decke kreisende Holzventilatoren, ein hohes Fenster mit einer Schnur zum Öffnen, die allerdings weit oben abgerissen war. Und schließlich, weil sie am wenigsten leuchteten, jene, die wie Pendel nach dem Licht suchten; jedoch trugen sie keine mit Tierkreiszeichen bedruckten Gewänder und keine hohen kegelförmigen Hüte, sondern die triste Arbeitskleidung der panamaischen Geschäftswelt: weiße kurzärmelige Hemden, ausgebeulte Hosen unter Maurerbäuchen, gelockerte Krawatten mit rotem Blumenkohlmuster.

Einige Gesichter kannte er aus dem bescheideneren Umfeld des Club Unión: Henk der Holländer, dessen Frau kürzlich mit seinen Ersparnissen und einem chinesischen Schlagzeuger nach Jamaica durchgebrannt war, trippelte, in jeder Hand einen beschlagenen Zinnkrug, feierlich auf ihn zu – »Harry, unser Bruder, wir sind stolz, daß Sie endlich den Weg zu uns gefunden haben« –, als ob Pendel, um ihn aufzusuchen, von weither über die Polder marschiert sei. Olaf, der schwedische Schiffsmakler und Säufer, mit dicker Brille und borstigem Toupet, schrie in seinem geliebten Oxford-Akzent, der keiner war: »Bruder Harry, alter Freund, bravo, Prost!« Hugo der Belgier, Schrotthändler von eigenen Gnaden und vormals im Kongo tätig, bot Pendel aus einem zitternden silbernen Flachmann ›etwas ganz Besonderes aus Ihrer alten Heimat‹ an.

Keine gefesselten Jungfrauen, keine blubbernden Teerfässer, keine angstschlotternden Schwarzen: bloß all die anderen Gründe, weshalb Pendel bis jetzt nie hierhergekommen war, bloß dieselbe Besetzung in immer demselben Stück, einschließlich »Was wollen Sie trinken, Bruder Harry?« und »Darf ich Ihnen nachschenken, Bruder?« und »Warum kommen Sie erst so spät zu uns, Harry?«. Bis Mr. Blüthner, geschmückt mit Beefeaters-Cape und Bürgermeisterkette, auf einem verbeulten englischen Jagdhorn zwei heisere Töne blies und eine Doppeltür aufgetreten wurde, durch die im Eiltempo eine Kolonne asiatischer Dienstboten mit hochgehaltenen Tabletts in den Raum marschierte; sie riefen »Halt ihn nieder, alter Zulukrieger« und wurden von keinem Geringeren als Mr. Blüthner persönlich angeführt, der, wie Pendel allmählich aufging, gewisse verlorene Teile seines früheren Lebens, wie zum Beispiel Straftaten im Jugendalter, wiedergutmachen wollte.

Denn nachdem er alle zu Tisch gerufen hatte, stellte sich Mr. Blüthner mitten an die Tafel; Pendel trat neben ihn und wartete frohgemut und aufmerksam wie alle anderen, während Henk der Holländer ein langes, unverständliches Tischgebet sprach, das in etwa darauf hinauslief, daß die Gesellschaft, wenn sie das aufgetragene Essen verspeisen würde, noch tugendhafter wäre als sie es ohnehin schon war – ein Gedanke, an dem Pendel einige Zweifel kamen, als er den ersten fatalen Happen des bewußtseinsveränderndsten Currys schmeckte, das er jemals verzehrt hatte, seit Benny ihn das letztemal in Mr. Khans Restaurant um die Ecke mitgenommen hatte – essen wir eine Kleinigkeit, während deine Tante Ruth bei den Töchtern Zions fromme Werke tut.

Aber kaum hatten sie Platz genommen, als Mr. Blüthner bereits wieder aufsprang und zum Entzücken der Gesellschaft zwei Neuigkeiten verkündete: Unser Bruder Pendel weilt heute zum ersten Male unter uns – donnernder Beifall, in den sich, da man inzwischen leicht angeheitert war, zotige Scherze mischten –, und gestatten Sie mir, Ihnen einen Bruder vorzustellen, den man im Grunde nicht vorzustellen braucht; ich bitte um freundlichen Beifall für unsern wandernden Weisen und langgedienten Diener des Lichts, unsern Taucher im Tiefen und Erforscher des Unbekannten, der in weitaus mehr dunkle Orte eingedrungen ist – schmutziges Lachen – als jeder andere von uns hier am Tisch: der unvergleichliche, der unverwüstliche, der unsterbliche Jonah, soeben zurück von einer erfolgreichen Wrackbergungs-Expedition in Niederländisch-Indien, von der einige von Ihnen wahrscheinlich gelesen haben (Laute Rufe: »Woher?«).

Und Pendel, der seine gardenienrote Wand anstarrte, erblickte, wie auch ein Jahr zuvor, Jonah: kauernd und knurrig, mit gelblichem Teint und Reptilienaugen, belud er sich den Teller systematisch mit dem Besten von allem, was vor ihm aufgetragen stand – höllisch scharfe Pickles, würzige Papadams und Chapattis, gehackte Chilis, Naan-Brot und eine schleimige, klumpige, rotbraun gefleckte Substanz, die Pendel für sich bereits als Roh-Napalm identifiziert hatte. Hören konnte Pendel ihn auch. Jonah, unser wandernder Weiser. Das Lautsprechersystem der gardenienroten Wand funktioniert einwandfrei, auch wenn Jonah einige Schwierigkeiten hat, sich über das Stimmengewirr aus Zoten und albernen Trinksprüchen verständlich zu machen.

Der nächste Weltkrieg, erklärte Jonah den Anwesenden mit starkem australischen Akzent, findet in Panama statt, der Termin steht bereits fest, und ihr Schweinebande solltet euch lieber darauf einstellen.

 

Der erste, der diese Behauptung in Frage stellte, war ein ausgemergelter südafrikanischer Ingenieur mit Namen Piet.

»Das hatten wir schon, Jonah, alter Freund. Kleines Scharmützel, genannt Operation Just Cause. George Bush hat uns mal kurz gezeigt, wer hier der Schlappschwanz ist. Gab ein paar tausend Tote.«

Dies wiederum provozierte verschwommene Fragen nach dem Motto »Und was hatten Sie bei der Invasion zu tun?« sowie Antworten ähnlich tiefsinniger Art.

Darauf entspann sich ein heftiges Hin und Her von Angriffen und Gegenangriffen, das Mr. Blüthner mit kindlicher Freude zu genießen schien: Sein Lächeln wechselte begeistert von einem Sprecher zum andern, als verfolgte er ein großartiges Tennismatch. Doch Pendel bekam durch den Aufruhr in seinen Eingeweiden nur wenig mit, und als er wieder halbwegs bei Bewußtsein war, hatte Jonah sich bereits den Mängeln des Kanals zugewandt.

»Moderne Schiffe können mit dem Scheißding nichts anfangen. Erzfrachter, Supertanker, Containerschiffe – alles viel zu groß dafür«, verkündete er. »Der Kanal ist total veraltet.«

Olaf der Schwede erinnerte die Gesellschaft an die Pläne zum Bau weiterer Schleusen. Jonah strafte diese Mitteilung mit der Verachtung, die sie offensichtlich verdiente.

»Na prima, Meister, tolle Idee. Noch mehr von diesen Scheißschleusen. Fantastisch. Unglaublich. Möcht wissen, was den Ingenieuren als nächstes einfällt. Vielleicht versuchen wir’s ja mal mit der alten französischen Rinne, wenn wir schon mal dabei sind. Oder mit einem Durchstich durch die Rodman Navy Base. Und im Jahr 2020 haben wir, so Gott will und dank der Wunder der modernen Technik, einen nur etwas breiteren Kanal und eine wesentlich längere Durchfahrtszeit. Ich trinke auf Sie, Meister. Ich erhebe mich und mein Glas auf den Fortschritt im einundzwanzigsten Jahrhundert.«

Und wahrscheinlich tat Jonah jenseits des Rauchs genau das, denn als Pendel sich auf der gardenienroten Wand die Wiederholung anschaut, erinnert er sich in Hifi-Qualität daran, wie Jonah, ohne dabei einen einzigen Zentimeter größer zu werden, aufspringt, mit übertrieben feierlicher Geste seinen Krug hebt und sein gelbes Gesicht hineintaucht, samt Reptilienaugen und allem anderen, so daß Pendel sich schon fragt, ob er jemals wieder auftauchen wird; aber diese Taucher kennen ihr Metier.

»Uncle Sam interessiert es natürlich einen Scheißdreck, ob wir bloß eine Schleuse haben oder sechs«, fuhr Jonah im selben schartigen Tonfall grenzenloser Verachtung fort. »Die Amis haben nur eins im Kopf. Je mehr desto besser. Für unsere tapferen Yankee-Freunde ist der Kanal schon lange gestorben. Es würde mich nicht überraschen, wenn es welche gäbe, die das Scheißding am liebsten in die Luft sprengen würden. Was brauchen die überhaupt einen leistungsfähigen Kanal? Die haben schließlich ihre schnelle Güterzugstrecke von San Diego nach New York. Ihren trockenen Kanal, wie sie gern sagen, der von anständigen schwachsinnigen Amerikanern und nicht von einem Haufen Latinos geführt wird. Soll der Rest der Welt doch sehen, wo er bleibt. Der Kanal ist bloß noch ein veraltetes Symbol. Sollen die anderen damit fertigwerden – Ihre dummen Sprüche können Sie sich sparen, Sie dösiger Sauerkrautfresser«, fuhr er Henk den verschlafenen Holländer an, der es gewagt hatte, seine Weisheit in Zweifel zu ziehen.

Doch woanders am Tisch hoben sich Köpfe, wandten sich verwirrte Gesichter der fragwürdigen Sonne Jonah zu. Und Mr. Blüthner, begierig, nichts von dem köstlichen Schlagabtausch zu verpassen, hatte sich halb von seinem Stuhl erhoben und weit über den Tisch gebeugt, um nur ja jedes Wort von Jonah mitzubekommen. Unterdessen wies der wandernde Weise jede Kritik zurück:

»Nein, ich ziehe mir das nicht aus dem Hintern, Sie irischer Pfeifenkopf, ich rede von Öl, von japanischem Öl. Öl, das einmal schwer war und jetzt leicht gemacht worden ist. Ich rede von der Weltherrschaft der Gelben, vom Ende der Scheißzivilisation, wie wir sie kennen, auch auf Ihrer bescheuerten grünen Insel.«

Ein Witzbold fragte, ob Jonah damit sagen wolle, die Japaner hätten vor, den Kanal mit Öl zu fluten, aber diese Bemerkung wurde überhört.

»Die Japaner, meine lieben Freunde, haben schon nach Schweröl gebohrt, als sie noch gar nicht wußten, was sie mit dem Zeug anfangen sollten. Sie haben im ganzen Land riesige Lagertanks damit gefüllt, und gleichzeitig haben ihre besten Wissenschaftler Tag und Nacht nach der Scheißformel gesucht, mit der sie es aufspalten können. Und jetzt haben sie sie gefunden, also seht euch vor. Ich kann euch nur raten, rafft alles zusammen, was ihr noch habt und falls ihr’s noch finden könnt, und dreht eure Ärsche zur aufgehenden Sonne, bevor ihr euch von all dem verabschieden müßt. Denn die Japaner haben ihre magische Emulsion gefunden. Und damit ist eure Zeit hier im Paradies abgelaufen, ihr habt noch ungefähr fünf Minuten auf der Bahnhofsuhr. Man gießt das Zeug rein, schüttelt ein bißchen, und zack hat man ein Öl wie alle anderen auch. Und zwar in rauhen Mengen. Und wenn die erst mal ihren eigenen Panamakanal gebaut haben, und das wird schneller gehen als ein Reiher kotzen kann, sind sie in der glücklichen Lage, die ganze Welt damit zu überfluten. Was Uncle Sam ganz schön auf die Palme bringen wird.«

Pause. Mißbilligendes Gemurmel von verschiedenen Seiten des Tischs, bis der trockene Olaf sich die Vollmacht erteilt, die naheliegende Frage zu stellen.

»Was wollen Sie bitte damit sagen Jonah? – ›wenn die erst mal ihren eigenen Panamakanal gebaut haben‹? Aus welcher Körperöffnung ziehen Sie das jetzt, das wüßte ich gerne? Seit der Invasion sind sämtliche Pläne für einen neuen Kanal gestorben. Vielleicht haben Sie zu viel Zeit unter Wasser verbracht und deshalb nicht mitbekommen, was sich oben abspielt. Vor der Invasion hat es eine hochkarätige und sehr intelligente trilaterale Kommission gegeben, die sich mit den Alternativen zum Kanal beschäftigt hat, einschließlich einem neuen Durchstich. Beteiligt waren die Vereinigten Staaten, Japan und Panama. Inzwischen hat die Kommission ihre Arbeit eingestellt. Das freut die Amerikaner mächtig. Die konnten sich nämlich gar nicht damit anfreunden. Sie haben so getan als ob, aber in Wahrheit hat ihnen die Kommission nicht gepaßt. Ihnen ist es viel lieber, wenn alles so bleibt wie es ist, von ein paar neuen Schleusen vielleicht abgesehen. Hauptsache, ihre Schwerindustrie hat weiter die Abfertigungshäfen unter Kontrolle, weil damit große Profite zu erzielen sind. Ich weiß das alles. Das ist mein Job. Die Sache ist gestorben. Also reden Sie nicht so einen Scheiß.«

Jonah holte unbeeindruckt zum Gegenschlag aus.

Pendel, in die gardenienrote Wand versunken, spannt wie Mr. Blüthner alle Kräfte an, auf daß ihm kein Wort der Prophezeiung entgehe, die von den Lippen des großen Mannes strömt.

»Natürlich hat ihnen die Scheißkommission nicht gefallen, Sie nordischer Korinthenkacker! Gefressen hatten sie die. Und natürlich wollen sie ihre eigene Schwerindustrie in Colón und Panama City installieren und die Abfertigungshäfen verwalten. Was glauben Sie, warum die Amis die Kommission boykottiert haben, nachdem sie ihr beigetreten waren? Was glauben Sie, warum die überhaupt in dieses blöde Land einmarschiert sind? Und es nach Strich und Faden zu Klump gehauen haben? Etwa um den ungezogenen General daran zu hindern, sein Kokain weiter an Uncle Sam zu verhökern? Daß ich nicht lache! Sie haben es getan, um die panamaische Armee zu vernichten und der panamaischen Wirtschaft den Hahn abzudrehen, damit die Japaner kein Interesse mehr haben konnten, dieses Land zu kaufen und dort einen eigenen Kanal zu bauen, den dann sie selbst ausgebeutet hätten. Woher kriegen die Japaner denn ihr Aluminium? Sie wissen es nicht, also sag ich’s Ihnen: aus Brasilien. Woher kriegen sie ihr Bauxit? Auch aus Brasilien. Und ihren Ton? Aus Venezuela.« Er zählte andere Stoffe auf, von denen Pendel noch nie gehört hatte. »Wollen Sie mir erzählen, die Japaner würden ihre wichtigsten industriellen Rohstoffe nach New York verfrachten, von dort mit dem Scheißgüterzug nach San Diego und dann per Schiff nach Japan, bloß weil ihnen der Kanal jetzt zu eng und zu langsam geworden ist? Glauben Sie etwa den Scheiß, daß die ihre riesigen Öltanker um Kap Horn herumschicken würden? Oder ihr neues Öl quer durch den Isthmus pumpen, auch wenn das eine Ewigkeit dauert? Daß die sich nicht rühren, wenn auf den Preis jedes einzelnen japanischen Kleinwagens, der in Philadelphia ankommt, fünfhundert Dollar draufgeschlagen werden, bloß weil der Scheißkanal zu klein geworden ist? Wer ist der Hauptbenutzer des Kanals?«

Pause, in der nach einem Freiwilligen gesucht wurde.

»Die Amis«, sagte jemand kühn, worauf ihm prompt der Kopf gewaschen wurde:

»Quatsch, die Amis! Nie davon gehört, daß die Scheißbilligflaggen jetzt unter dem herrlich harmlosen Namen Offenes Register firmieren dürfen? Wem gehören die Billigflaggen? Den Japanern und Chinesen. Wer baut wohl die nächste Generation kanaltauglicher Schiffe?«

»Die Japsen«, flüsterte jemand.

Ein Strahl göttlichen Sonnenlichts bahnt sich seinen Weg durch das Fenster von Pendels Zuschneidezimmer und setzt sich ihm wie eine weiße Taube auf den Kopf. Jonahs Stimme wird sonor. Die albernen Kraftausdrücke werden wie nutzlose Töne ausgeblendet. »Wer hat die modernste Technologie, die billigste, die schnellste? Von wegen die tollen Amerikaner. Die Japsen natürlich. Wer hat die besten Maschinen, die verschlagensten Unterhändler? Die erfinderischsten Köpfe, die fähigsten Arbeitskräfte und Organisatoren?« deklamiert er in Pendels Ohr. »Wer träumt Nacht und Tag davon, den berühmtesten Verkehrsweg der Welt zu beherrschen? Wessen Landvermesser und Techniker bohren in diesem Augenblick dreihundert Meter unter der Mündung des Caimito nach Öl? Glauben Sie, die hätten aufgegeben, bloß weil die Amis hier aufgekreuzt sind und alles plattgemacht haben? Glauben Sie, die würden vor Uncle Sam den Kotau machen und um Verzeihung bitten, weil sie auf die freche Idee kamen, die Herrschaft über den Welthandel zu erstreben? Die Japsen? Glauben Sie, die zerreißen sich die Kimonos wegen des ökologischen Wahnsinns, zwei inkompatible Ozeane zusammenzuführen, die man einander niemals vorgestellt hat? Die Japsen, wenn es um ihr eigenes Überleben geht? Glauben Sie, die werden abschwirren, bloß weil man es ihnen gesagt hat? Die Japsen? Das ist keine Geopolitik, sondern der Weltbrand. Und wir sitzen hier rum und warten auf den Knall.«

Jemand fragt schüchtern an, wie denn die Chinesen in dieses Szenario passen, Bruder Jonah. Wieder ist es Olaf mit seinem ungedämpften Oxford-Englisch: »Ich meine, großer Gott, Jonah, alter Freund, ist es nicht so, hassen denn nicht die Japaner die Chinesen und umgekehrt? Warum sollten die Chinesen ruhig zusehen, wenn sich die Japaner die ganze Macht unter den Nagel reißen?«

In Pendels Erinnerung ist Jonah inzwischen die Toleranz und Freundlichkeit in Person.

»Weil die blöden Chinesen dasselbe wollen wie die Japsen, Olaf, mein lieber Freund. Sie wollen expandieren. Sie wollen Reichtum. Ansehen. Anerkennung in den Welträten. Respekt für den gelben Mann. Was wollen die Japaner von den Chinesen? fragen Sie mich. Erlauben Sie, daß ich das erkläre. Zunächst einmal wollen sie sie als ihre Nachbarn. Danach als Käufer japanischer Waren. Und schließlich als Lieferanten billiger Arbeitskräfte zur Herstellung besagter Waren. Die Japaner halten die Chinesen für eine Unterart, und die Chinesen erwidern dieses Kompliment. Aber fürs erste sind Chinesen und Japaner Blutsbrüder, und wir, Olaf, die betrogenen Langnasen, werden als die Gelackmeierten dastehen.«

 

Was Jonah sonst noch an jenem Nachmittag sagte, war für Pendel nicht mehr entwirrbar. Nicht einmal die gardenienrote Wand war zur Behebung des Schadens ausgerüstet, den die Kombination von Napalm und alkoholischen Getränken in seinem Gedächtnis angerichtet hatte. Erst Bennys Geist, der neben ihm stand, vermochte die fehlende Botschaft zu improvisieren:

Harry, mein Junge, ich sag’s dir ganz offen, wie immer. Wir haben es hier mit einem riesigen Betrugsmanöver zu tun, wie bei dem Burschen, der den Eiffelturm an interessierte Kunden verhökert hat, das ist ein gewaltiges Komplott, so weitgespannt, daß dein Freund Andy gleich zu seinem Bankdirektor rennen muß, kein Wunder, daß Mickie Abraxas für seine Freunde stillgeschwiegen hat, denn das ist eine ganz heiße Sache, und außerdem ist er ihnen was schuldig. Harry, mein Junge, ich habe es schon oft gesagt und sag’s noch einmal, du hast mehr Redetalent als Paganini und Gigli zusammen. Gefehlt hat dir nur immer der richtige Bus zur richtigen Zeit an der richtigen Haltestelle, wenn der gekommen wäre, wärst du im Handumdrehen auf dem richtigen Weg gewesen und hättest nicht wie wir anderen draußen auf dem Flur warten müssen. Nun, der Bus ist da. Es geht um einen Kanal von Küste zu Küste, eine Viertelmeile breit, auf Meereshöhe, hochmodern, gebaut von den Japanern, Harry, mein Junge, geplant unter höchster Geheimhaltung, während die Amis noch von neuen Schleusen blöken und ihre Großkonzerne rücksichtslos ins Geschäft bringen wollen, genau wie in den alten Zeiten, nur daß sie den falschen Kanal im Auge haben. Und die Topanwälte und Politiker in Panama und der Club Unión stecken wie üblich unter einer Decke, die hängen bis zu den Ellbogen in der Ladenkasse, drehen Uncle Sam eine lange Nase und nehmen gleichzeitig auch noch die Japaner aus wie die Weihnachtsgänse. Nimm noch die hinterlistigen Franzosen dazu, von denen Andy dir dauernd was vorerzählt, und als weitere finstere Zutat ein bißchen kolumbianisches Drogengeld, und, Harry, mein Junge, der Gunpowder Plot ist nicht dabei, aber wer wird dich diesmal mit den Zündhölzern in der Hand erwischen? Antwort: niemand. Du fragst mich nach dem Preis, Harry, mein Junge? Du sagst mir, diese Japsen können sich das nicht leisten? Die Japsen können sich ihren eigenen Kanal nicht leisten? Was hat denn der Flughafen von Osaka gekostet? Dreißig Milliarden in gebrauchten Scheinen, hab ich aus zuverlässiger Quelle erfahren. Ein Schnäppchen. Weißt du, was ein Kanal auf Meereshöhe kostet? Soviel wie drei Osaka-Flughäfen, einschließlich Anwaltsgebühren und Stempelsteuer. Harry, so was zahlen die aus der Portokasse. Verträge, fragst du? Die Panamaer hätten bindende Verpflichtungen, den Amis den Kanal nicht kaputtzumachen? Harry, mein Junge, da ging es um den alten Kanal. Und genau da hinein schmeißen die Panamaer ihre bindenden Verpflichtungen.

 

Die gardenienrote Wand bietet ihm noch eine letzte kleine Szene.

Pendel und sein Gastgeber stehen vor Mr. Blüthners Warenhaus und verabschieden sich mehrmals voneinander.

»Harry, wissen Sie was?«

»Ja, bitte, Mr. B.?«

»Dieser Jonah ist ein fürchterlicher Schwätzer. Er hat von Ölraffination keine Ahnung, und von der japanischen Industrie schon gar nicht. Was deren Expansionsträume angeht: na ja, da stimme ich ihm zu. Beim Thema Panamakanal waren die Japaner schon immer ziemlich irrational. Das Problem dabei ist nämlich: wenn die mit ihrem Kanal fertig sind, schickt niemand mehr Supertanker über die Meere, und überhaupt benutzt niemand mehr Öl, weil es bis dahin bessere, sauberere, billigere Energieformen gibt. Und was er von Erzen gesagt hat« – er schüttelte den Kopf – »wenn die Japaner so was brauchen, finden sie die gleich vor der Haustür.«

»Aber, Mr. B., Sie haben doch vorhin so einen glücklichen Eindruck gemacht!«

Mr. Blüthner grinste boshaft. »Harry, ich sag Ihnen was. Die ganze Zeit, als ich Jonah zugehört habe, habe ich Ihren Onkel Benny gehört und daran denken müssen, wie gern er hochgestapelt hat. Also, wie sieht’s aus? Wollen Sie unserer kleinen Bruderschaft beitreten?«

Aber diesmal bringt Pendel es nicht fertig zu sagen, was Mr. Blüthner hören will.

»Ich bin noch nicht soweit, Mr. B.«, antwortet er ernst. »Ich muß noch wachsen. Ich arbeite daran, es wird schon werden. Und wenn ich dann soweit bin, melde ich mich auf der Stelle bei Ihnen.«

Aber jetzt war er soweit. Seine Verschwörung war in vollem Gang, mit oder ohne Ölraffination. Die schwarze Katze der Wut putzte sich die Pfoten für die Schlacht.