11
Alle waren begeistert, wie gut es sich mit dem jungen Andy anließ. Selbst Botschafter Maltby, bei dem man Begeisterungsfähigkeit im herkömmlichen Sinn gar nicht vermutet hätte, ließ die Bemerkung fallen, daß ein junger Mann, der beim Golf mit Handicap Acht antritt und zwischen den Schlägen den Mund hält, kein ganz schlechter Mensch sein könne. Nigel Stormont hatte seine bösen Befürchtungen nach wenigen Tagen vergessen. Osnard erhob keinen Anspruch auf seine Stellung als Leiter der Kanzlei, bewies gebührenden Respekt vor den Empfindlichkeiten seiner Kollegen und machte bei den diversen gesellschaftlichen Anlässen einen guten, wenn auch nicht glänzenden Eindruck.
»Haben Sie irgendwelche Vorschläge, wie ich Ihre Anwesenheit hier in der Stadt erklären soll?« fragte Stormont ihn bei ihrer ersten Begegnung nicht allzu freundlich. »Ganz zu schweigen von der Botschaft«, fügte er noch hinzu.
»Wie wär’s mit Kanalbeobachter?« meinte Osnard. »Großbritanniens Handelswege im postkolonialen Zeitalter. Stimmt doch sogar in gewisser Weise. Kommt nur drauf an, wie man beim Beobachten vorgeht.«
Stormont fand an diesem Vorschlag nichts auszusetzen. Jede bedeutende Botschaft in Panama hatte ihren Kanalexperten, nur die Briten nicht. Aber kannte Osnard sich überhaupt damit aus?
»Wie steht es denn mit den US-Basen?« Mit dieser Frage wollte Stormont Osnards Befähigung für seinen neuen Posten prüfen.
»Kann Ihnen nicht folgen.«
»Bleiben die US-Soldaten oder nicht?«
»Ist noch völlig offen. Viele in Panama wollen die Basen noch behalten, als Sicherheit für ausländische Investoren. Kurzsichtige Leute. Sehen das als Übergangsstadium.«
»Und die anderen?«
»Für die ist jeder weitere Tag zuviel. Müssen die Amis seit 1904 als Kolonialmacht ertragen, Schande für die Region, sollen endlich abhauen. Von hier aus sind US-Marines in den zwanziger Jahren über Mexiko und Nicaragua hergefallen, 1925 haben sie die Streiks in Panama niedergeschlagen. Seit dem Bau des Kanals sind die US-Soldaten hier. Das gefällt keinem außer den Bankleuten. Zur Zeit dient Panama den USA als Basis für Schläge gegen die Drogenbarone in den Anden und in Mittelamerika und als Ausbildungslager für lateinamerikanische Soldaten, die von ihren Regierungen in den Kampf gegen Feinde geschickt werden sollen, die erst noch gefunden werden müssen. Auf den US-Basen sind viertausend Panamaer beschäftigt, weitere elftausend Jobs hängen zusätzlich dran. Offizielle Truppenstärke der USA siebentausend Mann, aber vieles wird verschwiegen, jede Menge ausgehöhlte Berge, vollgestopft mit Kriegsgerät und so weiter. Angeblich entfallen vier Komma fünf Prozent des Bruttosozialprodukts auf die militärische Präsenz der USA, aber das ist natürlich Quatsch, wenn man Panamas versteckte Gewinne mit einbezieht.«
»Und die Verträge?« fragte Stormont, insgeheim beeindruckt.
»Nach dem Vertrag von 1904 gehört die Kanalzone für alle Zeiten den Amis, der Torrijos-Carter-Vertrag von ’77 schreibt vor, daß der Kanal mit allem, was dazugehört, zur Jahrhundertwende unentgeltlich an Panama zurückzugeben ist. Amerikas Rechte sieht das immer noch als Ausverkauf. Das Protokoll läßt die weitere Anwesenheit von US-Militär zu, falls beide Seiten damit einverstanden sind. Die Frage, wer wem wann wofür wieviel bezahlt, hat man ausgeklammert. Hab ich bestanden?«
Er hatte bestanden. Osnard, der offizielle Kanalbeobachter, bezog pünktlich seine Wohnung, gab Einstandspartys, drückte tausend Hände und hatte sich binnen weniger Wochen zu einer erfreulichen kleinen Bereicherung der diplomatischen Landschaft entwickelt. Und ein paar Wochen später galt er schon als feste Größe. Er spielte nicht nur Golf mit dem Botschafter, sondern auch Tennis mit Simon Pitt, er beteiligte sich an den fröhlichen Strandpartys der jüngeren Botschaftsangestellten ebenso wie an den regelmäßigen hektischen Aktivitäten der diplomatischen Gemeinde, wenn es darum ging, zur Beruhigung des eigenen Gewissens Geld für die unterprivilegierten Bürger Panamas zu sammeln, von denen es erfreulicherweise einen unerschöpflichen Vorrat gab. Als die Botschaft eine Pantomimenaufführung plante, wurde Osnard einstimmig die Rolle des Freifräuleins zugewiesen.
»Darf ich Sie mal was fragen?« wandte sich Stormont an ihn, als sie sich etwas besser kennengelernt hatten. »Was macht eigentlich dieser Ausschuß Planung & Anwendung, wenn er zusammenkommt?«
Osnard drückte sich undeutlich aus. Absichtlich, vermutete Stormont.
»Weiß ich nicht genau. Untersteht dem Finanzminister. Bunte Mischung aus diversen Ämtern. Dazu Leute aus allen möglichen Lebensbereichen. Frischer Wind, der die Spinnweben vertreiben soll. Unabhängige und Gesalbte des Herrn.«
»Irgendwelche bestimmten Bereiche?«
»Parlament. Presse. Hier und da. Mein Chef hält das für eine Riesensache, spricht aber kaum davon. Den Vorsitz hat ein gewisser Cavendish.«
»Cavendish?«
»Vorname Geoff.«
»Geoffrey Cavendish?«
»So eine Art Freischaffender. Zieht die Fäden von außerhalb. Büro in Saudi-Arabien, Häuser in Paris und im West End, Schloß in Schottland. Mitglied im Boodles-Club.«
Stormont starrte Osnard ungläubig an. Cavendish, der Vitamin-B-Händler, dachte er. Cavendish, der Rüstungslobbyist. Cavendish, der selbsternannte Freund der Staatenlenker. Cavendish, der Zehn-Prozent-Mann: Stormont kannte ihn aus seiner Dienstzeit im Londoner Außenministerium. Kanonen-Cavendish, Waffenmakler. Geoff der Ölscheich. Wer mit Obengenanntem in Beziehung tritt, hat vor jedem weiteren Schritt unverzüglich die Personalabteilung zu informieren.
»Wer noch?« fragte Stormont.
»Ein gewisser Tug. Nachname unbekannt.«
»Vielleicht Kirby?«
»Nur Tug«, sagte Osnard mit einer Gleichgültigkeit, die Stormont ziemlich sympathisch war. »Zufällig am Telefon mitbekommen. Mein Chef hatte sich vor der Sitzung mit Tug zum Essen verabredet. Mein Chef hat bezahlt. War wohl so üblich.«
Stormont biß sich auf die Lippe und fragte nicht weiter. Er wußte bereits mehr als er wollte und wahrscheinlich auch mehr als er sollte. Statt dessen wandte er sich dem heiklen Problem von Osnards künftigen Erkenntnissen zu, worüber sie unter vier Augen in einem neuen schweizerischen Restaurant diskutierten, in dem es Kirsch zum Kaffee gab. Osnard hatte das Lokal ausgesucht, Osnard bestand darauf, die Rechnung aus seinem, wie er es nannte, Reptilienfonds zu bezahlen, Osnard schlug vor, sie sollten Cordon bleu und Gnocchi essen, das Ganze mit einem chilenischen Roten runterspülen und dann den Kirsch nehmen.
Zu welchem Zeitpunkt würde die Botschaft von Osnards Erkenntnissen erfahren? fragte Stormont. Bevor sie nach London übermittelt würden? Danach? Niemals?
»Mein Chef sagt, hiesige Instanzen dürfen nur mit seiner Zustimmung einbezogen werden«, antwortete Osnard mit vollem Mund. »Heidenangst vor Washington. Will Informationen nur persönlich weitergeben.«
»Können Sie damit leben?«
Osnard nahm einen Schluck Roten und schüttelte den Kopf »Unternehmen Sie was dagegen, rate ich Ihnen. Gründen Sie eine botschaftsinterne Arbeitsgruppe. Sie, der Botschafter, Fran und ich. Gully ist vom Verteidigungsministerium, gehört also nicht zu uns. Pitt ist bloß auf Probe da. Stellen Sie eine Unterweisungsliste auf, alle Beteiligten erklären sich damit einverstanden, Treffen nur außerhalb der Dienststunden.«
»Wird Ihr Chef das tolerieren, wer auch immer er ist?«
»Sie schieben, ich ziehe. Er heißt Luxmore, soll ein Geheimnis sein, nur jeder weiß es. Sagen Sie dem Botschafter, er soll auf den Tisch hauen. ›Der Kanal ist eine Zeitbombe. Es muß unbedingt sofort hier vor Ort reagiert werden können.‹ Irgend so einen Scheiß. Er wird’s schon schlucken.«
»Der Botschafter haut nie auf den Tisch«, sagte Stormont.
Aber auf irgend etwas mußte Maltby gehauen haben, denn nach einer Flut ablehnender Telegramme, die in der Regel spät nachts per Hand dekodiert werden mußten, erhielten Osnard und Stormont von ihren jeweiligen Dienstherren widerwillig die Erlaubnis, gemeinsame Sache zu machen. In der Botschaft wurde eine Arbeitsgruppe mit dem harmlos klingenden Namen Isthmus gegründet. Aus Washington flog ein Trio mißmutiger Techniker ein, die drei Tage lang die Wände abhorchten und sie schließlich für taub erklärten. Und an einem turbulenten Freitagabend um sieben war es soweit: Im trüben Licht einer scheußlichen Lampe versammelten sich die vier Verschwörer um den Tropenteak-Konferenztisch der Botschaft; sie hatten es schriftlich, daß ihnen die Geheimakte BUCHAN zugänglich gemacht würde und sie von der Quelle BUCHAN im Rahmen einer Operation mit dem Decknamen BUCHAN unterrichtet werden sollten. Die Feierlichkeit des Augenblicks wurde etwas gedämpft von einem humoristischen Ausbruch Maltbys, den er hinterher dem vorübergehenden Aufenthalt seiner Frau in England zuschrieb:
»Von jetzt an ist BUCHAN amtlich, die Sache läuft, Sir«, erklärte Osnard leichthin, als er wie ein Croupier, der die Chips zusammenharkt, die unterschriebenen Formulare einsammelte. »Die Quelle sprudelt reichlich. Vielleicht sollten wir uns öfter als einmal die Woche treffen.«
»Was tut die Sache, Andrew?« fragte Maltby und legte geräuschvoll seinen Kugelschreiber hin.
»Sie läuft.«
»Sie läuft?«
»Sag ich doch, Botschafter. Sie läuft.«
»Ja. Ganz recht. Vielen Dank. Nun, von jetzt an, wenn Sie gestatten, Andrew, hat sich die Sache – um mich Ihrer Ausdrucksweise zu bedienen – ausgelaufen. BUCHAN mag sich in Gang befinden. Er mag sogar in vollem Gange sein. Er mag in Betrieb oder notfalls auch auf Touren sein. Aber solange ich Botschafter bin, wird er niemals laufen, wenn ich bitten darf. Das wäre mir zu stressig.«
Hinterher lud Maltby, Wunder über Wunder, die ganze Mannschaft zu Eiern mit Schinken und einer Runde im Swimmingpool in die Residenz; nach einem Toast auf »die Buchanianer« führte er die Gäste in den Garten, wo sie seine Schildkröten bewunderten, deren Namen er ihnen durch den Verkehrslärm zubrüllte: »Na komm, Herkules, hopphopp! – glotz die Dame nicht so an, Galileo, hast du noch nie ein hübsches Mädchen gesehen?« Und als sie schwammen, herrlich bei einbrechender Dämmerung, verblüffte Maltby die Anwesenden ein weiteres Mal, indem er Fran mit dem Jubelruf »Gott, was für eine schöne Frau!« hochleben ließ. Zur Krönung des Abends bestand er darauf, Tanzmusik zu spielen, und ließ von seinen Hausdienern die Teppiche aufrollen, wobei Stormont nicht entging, daß Fran mit jedem tanzte, nur nicht mit Osnard, der sich demonstrativ den Büchern des Botschafters widmete, deren Titel er, die Hände auf dem Rücken wie ein englischer Prinz beim Abschreiten der Ehrengarde, einen nach dem anderen entzifferte.
»Findest du nicht auch, daß Andy ein wenig seltsam ist?« fragte er Paddy bei einem letzten Drink. »Soweit man weiß, geht er niemals mit Mädchen aus. Und Fran behandelt er, als ob sie die Pest hätte.«
Stormont dachte, sie bekäme wieder einen Hustenanfall, aber sie lachte nur.
»Darling«, murmelte Paddy und verdrehte die Augen. »Andy Osnard?«
Eine Ansicht, der Francesca Deane, hätte sie sie in Osnards Bett in dessen Wohnung in Paitilla hören können, aus vollem Herzen zugestimmt hätte.
Wie sie dort hingekommen war, war ihr ein Rätsel, freilich schon seit zehn Wochen.
»Es gibt nur zwei Möglichkeiten, wie man sich in dieser Situation verhalten kann, Mädchen«, hatte Osnard ihr mit der ihm eigenen Selbstsicherheit bei Grillhähnchen und kühlem Bier am Pool des El Panama erklärt. »Möglichkeit A. Sechs Monate lang verkrampft abwarten, dann einander brünstig in die Arme sinken. ›Liebling, warum haben wir das nicht schon viel früher getan, keuch, keuch?‹ Möglichkeit B, die bessere, auf der Stelle losvögeln, absolutes Stillschweigen bewahren, sehen, wie’s uns gefällt. Gefällt es uns, na prima. Wenn nicht, lassen wir’s bleiben, und keiner hat was gemerkt. ›Hab’s probiert, hat keinen Spaß gemacht, danke für die Auskunft. Das Leben geht weiter. Basta.‹«
»Es gibt auch noch Möglichkeit C.«
»Die wäre?«
»Enthaltung zum Beispiel.«
»Ich soll mir also einen Knoten reinmachen, und du nimmst den Schleier?« Er wies mit einer gutgepolsterten Hand über die Hotelterrasse, wo zur Musik einer Live-Band alle möglichen jungen Luxusgeschöpfe mit ihren Verehrern flirteten. »Wir sind hier auf einer einsamen Insel, Mädchen. Der nächste weiße Mann ist tausend Meilen weit weg. Nur du und ich und unser Dienst für England, bis nächsten Monat meine Frau nachkommt.«
Francesca war halb aufgesprungen. Sie schrie ihn an: »Deine Frau!«
»Hab gar keine. Nie eine gehabt, und will auch keine«, sagte Osnard, sich ebenfalls erhebend. »Demnach dürfte unserem Glück jetzt nichts mehr im Weg stehen, also was zierst du dich noch?«
Während sie noch nach einer Antwort suchte, tanzten sie schon, und gar nicht schlecht. Sie hätte nie gedacht, daß ein so massig gebauter Mann sich so leichtfüßig bewegen konnte. Oder daß so kleine Augen so unwiderstehlich sein konnten. Und wenn sie ehrlich war, hätte sie auch nie gedacht, daß ihr ein Mann gefallen konnte, der, um das mindeste zu sagen, nicht gerade wie ein Adonis aussah.
»Dir ist wohl gar nicht erst in den Sinn gekommen, daß mir ein anderer wesentlich lieber sein könnte?« fragte sie.
»In Panama? Ausgeschlossen, Mädchen. Hab mich nach dir erkundigt. Die Männer hier nennen dich den englischen Eisberg.«
Sie tanzten eng umschlungen. Es schien sich ganz von selbst zu verstehen.
»Kein Mensch nennt mich so!«
»Wollen wir wetten?«
Sie tanzten noch enger.
»Und zu Hause?« hakte sie nach. »Woher willst du wissen, daß ich in Shropshire keinen Geliebten habe? Oder von mir aus auch in London?«
Er küßte ihre Schläfe, es hätte aber auch jeder andere Körperteil sein können. Seine Hand lag vollkommen reglos auf ihrem Rücken, und ihr Rücken war nackt.
»Das nützt dir hier draußen auch nicht viel, Mädchen. Befriedigung über fünftausend Meilen hinweg? Das glaubst du doch selbst nicht.«
Es war nicht so, daß sie sich von Osnards Argumenten hatte überzeugen lassen, versuchte Fran sich einzureden, als sie den gutgenährten Schläfer neben sich betrachtete. Oder daß er der beste Tänzer der Welt war. Oder daß er sie öfter und lauter zum Lachen gebracht hatte als jeder andere, den sie kannte. Es war einfach so, daß sie sich nicht vorstellen konnte, ihm auch nur einen Tag, geschweige denn drei Jahre, Widerstand zu leisten.
Sie war vor sechs Monaten nach Panama gekommen. In London hatte sie die Wochenenden mit einem beängstigend gutaussehenden Börsenmakler namens Edgar verbracht. Als sie dann versetzt wurde, betrachteten sie die Affäre in beiderseitigem Einvernehmen als beendet. Bei Edgar geschah alles in beiderseitigem Einvernehmen.
Aber wer war Andy eigentlich?
Fran, die nur soliden Quellen vertraute, hatte noch nie mit jemandem geschlafen, über den sie sich nicht vorher informiert hatte.
Sie wußte, daß er in Eton gewesen war, aber nur weil Miles es ihr erzählt hatte. Osnard, der sein altes College zu hassen schien, sprach in diesem Zusammenhang nur von »Gefängnis« oder »Tretmühle«. Im übrigen vermied er jeden Hinweis auf seine Ausbildung. Sein Wissen war durchaus fundiert, aber eigenwillig, wie man es bei jemandem erwarten würde, dessen schulische Laufbahn abrupt geendet hatte. Wenn er betrunken war, berief er sich gern auf Pasteur: »Das Glück begünstigt nur den Vorbereiteten.«
Er war entweder reich oder, falls er das nicht war, verschwenderisch beziehungsweise mehr als großzügig. Fast jede Tasche seiner teuren Maßanzüge – jemand wie Andy fand natürlich den besten Schneider in der Stadt, sobald er hier ankam – schien mit 20- und 50-Dollar-Scheinen vollgestopft zu sein. Aber wenn sie ihn darauf hinwies, erklärte er bloß achselzuckend, das bringe der Job so mit sich. Und wenn er sie zum Essen ausführte oder ein heimliches Wochenende mit ihr auf dem Lande verbrachte, warf er mit Geld nur so um sich.
Er hatte einen Windhund besessen, den er an Rennen im White-City-Stadion hatte teilnehmen lassen, bis – nach seinen Worten – ein paar von den Jungs ihn aufgefordert hatten, mit dem Köter woanders hinzugehen. Das ehrgeizige Projekt einer Go-Kart-Bahn in Oman war auf ähnliche Weise fehlgeschlagen. Dann hatte er am Shepherd Market Silber verkauft. Keins dieser Intermezzi konnte lange gedauert haben, denn er war erst siebenundzwanzig.
Über seine Herkunft verweigerte er jede Auskunft, er behauptete lediglich, seinen ungeheuren Charme und Reichtum habe er einer entfernten Tante zu verdanken. Er sprach auch nie von seinen früheren Eroberungen, dabei hatte sie erstklassige Gründe zu der Annahme, daß es eine beträchtliche Zahl sein mußte. Seinem Schweigeversprechen getreu, stellte er in der Öffentlichkeit keinerlei Ansprüche an sie, und gerade das fand sie sehr erregend: Eben noch war sie in seinen überaus fähigen Armen auf dem Höhepunkt der Ekstase, und im nächsten Augenblick saß sie ihm bei einer Kanzleibesprechung züchtig gegenüber und tat so, als ob sie einander kaum kennen würden.
Und er war ein Spion. Und er hatte den Auftrag, einen anderen Spion mit Namen BUCHAN zu führen. Beziehungsweise mehrere, denn BUCHANs Informationen waren so vielfältig und aufregend, daß sie unmöglich von einer einzigen Person stammen konnten.
Und BUCHAN hatte Zugang zum Präsidenten und zum US-General des Kommando Süd. BUCHAN kannte Gauner und Geschäftemacher, Leute, wie Andy sie gekannt haben mußte, als er noch seinen Windhund hatte, dessen Namen sie kürzlich erfahren hatte: Vergeltung. Sie maß dem Bedeutung bei: Andy hatte feste Vorstellungen.
Und BUCHAN stand in Kontakt mit einer heimlichen demokratischen Opposition, die nur darauf wartete, daß die alten Faschisten in Panama ihr wahres Gesicht zeigten. Er sprach mit militanten Mitgliedern der Studentenbewegung, mit Fischern und heimlichen Aktivisten in den Gewerkschaften. Er verschwor sich mit ihnen, wartete mit ihnen auf den Tag X. Er nannte sie – sehr reizvoll, dachte sie – die Leute von der anderen Seite der Brücke. Zu BUCHANs Bekannten zählte auch Ernie Delgado, die graue Eminenz des Kanals. Und Rafi Domingo, der als Geldwäscher für die Kartelle tätig war. BUCHAN kannte Mitglieder der Gesetzgebenden Versammlung, und zwar viele. Er kannte Anwälte und Bankdirektoren. BUCHAN kannte offenbar jeden, den man in Panama kennen mußte, und Fran fand es außerordentlich, ja unheimlich, daß es Andy in so kurzer Zeit gelungen war, mitten ins Herz eines Panama einzudringen, von dessen Existenz sie nie etwas geahnt hatte. Aber schließlich hatte er auch ihr Herz ziemlich im Sturm erobert.
Und BUCHAN witterte eine große Verschwörung, wenngleich niemand so recht begriff, wer genau dahinterstecken sollte: nur daß die Franzosen und vermutlich die Japaner und Chinesen und die Tiger Südostasiens daran beteiligt waren oder sein könnten, vielleicht auch die mittel- und südamerikanischen Drogenkartelle. Und bei der Verschwörung ging es darum, den Kanal durch die Hintertür zu verkaufen, wie Andy das ausdrückte. Aber wie? Und wie, ohne daß die Amerikaner es mitbekamen? Immerhin hatten die Amerikaner fast das ganze Jahrhundert über faktisch dieses Land regiert, und sie hatten auf dem ganzen Isthmus, ja in ganz Mittelamerika die erstaunlichsten und raffiniertesten Abhörsysteme installiert.
Aber seltsam, die Amerikaner wußten von all dem nichts, und das machte die Sache nur um so aufregender. Beziehungsweise, falls sie davon wußten, haben sie es uns verschwiegen. Oder sie wußten es, haben es aber einander verschwiegen; denn wenn man heutzutage von amerikanischer Außenpolitik redete, mußte man erst einmal fragen welche, und welcher Botschafter: der in der US-Botschaft oder der auf Ancón Hill, weil die amerikanischen Militärs sich immer noch nicht daran gewöhnt hatten, daß sie in Panama keine Köpfe mehr einschlagen konnten.
Und London war aufs äußerste erregt, dort wurden an allen möglichen befremdlichen Orten und aus längst vergangenen Zeiten Belegmaterial ausgegraben, und man stellte kuriose Betrachtungen darüber an, wessen Ambitionen auf globale Macht den Sieg davontragen würden, denn über dem armen kleinen Panama versammelten sich, wie BUCHAN es ausdrückte, sämtliche Geier der Welt, und wer schließlich die Beute wegschleppen würde, sei noch völlig offen. Und London verlangte unablässig nach mehr, mehr, was Andy wütend machte, denn man könne, sagte er, ein Netzwerk ebenso überfordern wie einen Windhund: am Ende müssen beide dafür bezahlen, der Hund und man selbst. Aber das war auch schon alles, was er ihr erzählte. Im übrigen war er die Verschwiegenheit selbst, und das bewunderte sie.
Und all das in zehn kurzen Wochen und ohne Anlauf, genau wie ihre Liebesaffäre. Andy war ein Zauberer, er faßte Dinge an, die seit Jahren herumlagen, und erweckte sie zu faszinierendem Leben. Auch Fran faßte er auf diese Weise an. Aber wer war BUCHAN? Wenn Andy durch BUCHAN definiert wurde, wer definierte dann BUCHAN?
Warum sprachen BUCHANs Freunde so offen mit ihm? War BUCHAN Psychiater? Arzt? Oder gar eine Frau? Irgendeine raffinierte Schnepfe, die ihren Liebhabern mit lüsternen Tricks Geheimnisse aus der Nase zog? Wer war das, der immer schon nach fünfzehn Sekunden auflegte, wenn er Andy anrief, so daß er kaum noch »Ich komme« sagen konnte? War es BUCHAN selbst, oder ein Mittelsmann, ein Student, ein Fischer, ein Kontaktagent, irgendeine besondere Verbindungsperson im Netzwerk? Wo ging Andy hin, wenn er, wie von einer übernatürlichen Stimme gelenkt, mitten in der Nacht aufstand, sich in seine Kleider warf, aus dem Wandtresor hinterm Bett einen Packen Dollarscheine nahm und sie ohne ein Abschiedswort dort liegen ließ, um dann im Morgengrauen, verärgert oder in bester Stimmung, nach Zigarrenqualm und Weiberparfüm stinkend, wieder zu ihr hereinzuschleichen? Und dann, immer noch ohne ein Wort, mit ihr zu schlafen, endlos, wunderbar, unermüdlich, stundenlang, jahrelang, sein dicker Leib schwerelos über ihr, neben ihr, überall, ihr einen Höhepunkt nach dem andern schenkend, etwas, das Fran bis dahin nur in ihrer Schulmädchenfantasie erlebt hatte?
Und welchen alchimistischen Übungen gab sich Andy hin, wenn ihm an der Haustür ein ganz gewöhnlich aussehender brauner Umschlag übergeben wurde und er sich damit für eine halbe Stunde im Badezimmer einschloß und es dann hinterher nach Kampfer stank, oder war es Formaldehyd? Was sah Andy, wenn er mit einem feuchten Filmstreifen, nicht breiter als ein Bandwurm, aus der Besenkammer zurückkehrte, damit an seinen Schreibtisch ging und ihn in das Microfiche-Lesegerät einlegte?
»Solltest du das nicht besser in der Botschaft machen?« fragte sie ihn.
»Keine Dunkelkammer, keine Fran«, antwortete er in dem gelangweilten, verächtlichen Tonfall, den sie so unwiderstehlich fand. Was für ein perfekter Grobian er nach diesem Edgar war! – wie einfallsreich, wie hemmungslos, wie unerschrocken!
Sie beobachtete ihn auf den BUCHAN-Sitzungen: unser Ober-Buchanianer, selbstbewußt an den langen Tisch gelümmelt, eine verträumte Stirnlocke über dem rechten Auge, teilte er seine grell gestreiften Aktendeckel aus und starrte dann ins Leere, während alle außer ihm selbst zu lesen anfingen – BUCHANs Panama auf frischer Tat ertappt:
Antonio Soundso vom Außenministerium hat kürzlich gestanden, seine kubanische Mätresse habe ihm so den Kopf verdreht, daß er sich allen US-amerikanischen Einwänden zum Trotz mit ganzer Kraft für die Verbesserung der panamaisch-kubanischen Beziehungen einzusetzen gedenke …
Wem hatte er das gestanden? Seiner kubanischen Mätresse? Und die hatte es BUCHAN verraten? Oder hatte sie es unmittelbar Andy verraten – im Bett womöglich? Sie mußte wieder an das Parfüm denken und stellte sich vor, wie es von nackten Leibern auf ihn übertragen wurde. Ist Andy BUCHAN? Nichts war unmöglich.
Soundso hat auch Beziehungen zur libanesischen Mafia in Colón, von der es heißt, sie habe für den Status als »begünstigte Nation« innerhalb der Verbrecherwelt von Colón zwanzig Millionen Dollar bezahlt …
Und nach kubanischen Mätressen und libanesischen Gangstern macht BUCHAN einen Sprung in den Kanal:
Das Chaos innerhalb der neu eingesetzten Kanalverwaltung nimmt täglich größere Ausmaße an, da aufgrund der herrschenden Vetternwirtschaft und zur Verzweiflung Ernesto Delgados die altgedienten Mitarbeiter gegen unqualifizierte Angestellte ausgetauscht werden; ein besonders krasser Fall ist die Ernennung von José-María Fernandez zum Direktor der Öffentlichen Versorgungsbetriebe, nachdem er gerade erst eine 30prozentige Beteiligung an der chinesischen Fast-Food-Kette Lee Lotus erworben hat, an der auch Gesellschaften, die dem von Rodríguez kontrollierten brasilianischen Drogenkartell gehören, mit 40 Prozent beteiligt sind …
»Ist das der Fernandez, der sich am Nationalfeiertag an mich ranmachen wollte?« erkundigte sich Fran mit ausdrucksloser Miene bei Andy, als sie wieder einmal spät abends in Maltbys Büro zu einem Buchanianer-Treffen versammelt waren.
Sie hatte mit ihm in seiner Wohnung zu Mittag gegessen und den ganzen Nachmittag mit ihm im Bett verbracht. Nicht nur die wohlige Erinnerung daran, auch Neugier trieb sie zu dieser Frage.
»Krummbeiniger Glatzkopf«, antwortete Andy sorglos. »Brille, Pickel, Achselschweiß und Mundgeruch.«
»Genau, das ist er. Er wollte mich zu einem Festival nach David mitnehmen.«
»Wann geht’s los?«
»Andy, wir sind hier nicht vor Gericht«, sagte Nigel Stormont, ohne von seiner Akte aufzublicken, und Fran mußte sich schwer zusammennehmen, um nicht laut loszukichern.
Und nach den Sitzungen sah sie aus den Augenwinkeln zu, wie Andy die Akten wieder zusammenpackte und damit in sein geheimes Reich hinter der neuen Stahltür im Ostflügel stapfte, gefolgt von seinem unheimlichen Sekretär, der immer Strickwesten trug und sich die Haare mit Pomade anklatschte – Shepherd nannte er sich, und ständig hatte er Schraubenschlüssel, Schraubenzieher, Verlängerungskabel und dergleichen in der Hand.
»Was macht dieser Shepherd eigentlich für dich?«
»Die Fenster putzen.«
»Dazu ist er nicht groß genug.«
»Ich hebe ihn hoch.«
Mit ähnlich gedämpfter Erwartung fragte sie Osnard jetzt, warum er sich wieder einmal anziehen müsse, wenn alle anderen schlafen wollten.
»Muß jemand sprechen, geht um einen Hund«, antwortete er knapp. Er war den ganzen Abend nervös gewesen.
»Einen Windhund?«
Keine Antwort.
»Das ist ja ein sehr später Hund«, sagte sie in der Hoffnung, ihn aus der Versenkung zu locken.
Keine Antwort.
»Wahrscheinlich derselbe Hund, der in dem dringenden kodierten Telegramm, das du heute nachmittag bekommen hast, so eine wichtige Rolle spielt.«
Osnard, der sich gerade das Hemd über den Kopf zog, erstarrte mitten in der Bewegung. »Woher weißt du das denn?« fragte er nicht allzu freundlich.
»Ich habe vorhin im Aufzug Shepherd getroffen. Er wollte wissen, ob du noch im Hause bist, und da habe ich natürlich gefragt warum. Er habe eine scharfe Nummer für dich, hat er gesagt, aber die müßtest du persönlich knacken. Erst bin ich für dich rot geworden, dann ist mir aufgegangen, daß er von einer dringenden Nachricht sprach. Willst du nicht deine Beretta mit Perlmuttgriff mitnehmen?«
Keine Antwort.
»Wo triffst du dich mit ihr?«
»Im Puff«, sagte er barsch, schon auf dem Weg zur Tür.
»Hab ich dich irgendwie beleidigt?«
»Noch nicht. Aber du schaffst’s schon noch.«
»Vielleicht hast du mich beleidigt. Ich geh wohl besser in meine Wohnung. Muß unbedingt mal richtig ausschlafen.«
Aber sie blieb, und bei ihr blieb der Geruch seines starken Körpers und sein Abdruck in der Matratze neben ihr und die Erinnerung an seine wachsam glühenden Augen, die sie im Halbdunkel anstarrten. Selbst seine Wutanfälle erregten sie. Nicht minder seine böse Seite, in den seltenen Augenblicken, in denen er sie herausließ: zum Beispiel im Bett, wenn sie ihn bei ihren Spielchen fast bis zur Gewalttätigkeit reizte, und wenn er dann den verschwitzten Kopf hob, als ob er zuschlagen wollte, und gerade noch darauf verzichtete. Oder bei den BUCHAN-Sitzungen, wenn Maltby ihn mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit wegen irgendeines Berichts piesackte – »Ihre Quelle scheint mir nicht nur allwissend, sondern auch ein Analphabet zu sein, Andrew, oder haben wir diese Grammatikfehler Ihnen zu verdanken?« –, wenn sich dann seine unsteten Züge allmählich verhärteten und es in seinen Augen gefährlich zu funkeln begann, und sie mit einemmal begriff, warum er seinen Windhund »Vergeltung« getauft hatte.
Ich verliere die Kontrolle, dachte sie. Nicht über ihn, die hatte ich nie. Sondern über mich. Und was noch beunruhigender war, sie, die Tochter eines unsäglich aufgeblasenen Oberhausmitglieds und die ehemalige Partnerin des makellosen Edgar, mußte erkennen, daß ihr das Anrüchige ausgesprochene Lustgefühle verschaffte.