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Adele stürmte aus der Burg. Sie hatte keinen Plan, der Ärger trieb sie vorwärts. Sie wusste nicht, was sie außerhalb der Burgmauern erwartete, aber sie hatte den festen Vorsatz, zu verschwinden und sich irgendwohin durchzuschlagen, wo es sicher war. Sie hatte in letzter Zeit so viele Lügen gehört, dass sie nichts und niemandem mehr vertrauen konnte.
Sie folgte demselben Weg, der sie hergeführt hatte, und wandte sich nach Norden, wo das Meer und das Boot lagen. Die Stadt war leer gewesen, als sie angekommen war, doch nun sah sie Menschen. Eine Menge Menschen. Und was sie erstaunte, war, dass sie alltäglichen Aufgaben nachgingen. Kochen, putzen und Handel treiben. Adele hatte in London nichts dergleichen gesehen. Die Menschen dort waren niedergedrückt, als hätten sie keinen Willen. Die Leute in Edinburgh wirkten zufrieden, manche lächelten sogar. Das einzige andere Mal, dass sie Menschen im Norden eine glückliche Gefühlsregung hatte zeigen sehen, war bei dem Paar in Canterbury, Alphonse und Nina, gewesen. Sie hatten nicht gewusst, dass Greyfriar ein Vampir war. Sie fragte sich, ob die Menschen hier die Wahrheit über ihn kannten.
Endlich erreichte Adele das Meer und suchte mit den Augen den einsamen Strand ab. Das Boot war verschwunden. Natürlich würde er es vor ihr verstecken. Sie war also doch eine Gefangene. Ihre Wut auf Gareth kochte über.
Als sie langsam zurück in die Stadt trottete, beäugten die Menschen sie neugierig, und ein paar von ihnen hoben grüßend die Hand. Zögernd erwiderte Adele ihr Winken. Dann kam Morgana eine Straße entlanggelaufen, ein Bündel auf den Armen. Die Prinzessin rief ihr etwas zu, und Morgana blieb lächelnd stehen.
»Ah, da sind Sie ja, Miss. Ich kam in Ihr Zimmer, aber Sie waren nicht dort.«
»Was ist passiert?«
»Nichts. Ich habe nur Ihren Umhang mitgenommen, um ihn zu flicken.«
»Das solltest du nicht tun. Ich kann auch nähen. Ich brauche nur Nadel und Faden.«
»Keine Mühe, Miss. Ich bringe ihn nur zur alten Mary. Sie wird ihn gleich wieder in Ordnung bringen.«
Adele zögerte ein wenig, dann fragte sie: »Darf ich mit dir kommen?«
»Aber natürlich, Miss.«
Die beiden gingen schweigend ein Stück, bis Adeles Neugier die Oberhand gewann.
»Wie bist du hierhergekommen?«, fragte sie. »Nach Edinburgh, meine ich. Wurdest du hier geboren?«
»Haben Sie je vom Greyfriar gehört? Menschlicher Wundertäter. Er hat ein paar von uns aus den Sklavenställen in London gerettet und hierhergebracht. Er muss mit Prinz Gareth zusammenarbeiten oder so was.«
»Oder so was.«
Morgana lachte laut. »In London wäre ich höchstwahrscheinlich schon tot, eine Mahlzeit für den königlichen Hof oder noch schlimmer, wenn Greyfriar nicht gewesen wäre. Und Prinz Gareth. Dort sind sie Nimmersatte, und keiner von ihnen würde aufhören, bevor sie eine arme Seele bis auf den letzten Tropfen ausgesaugt haben.«
Adele konnte sich eine höhnische Bemerkung nicht verkneifen. »Dann sind hier also alle sicher und glücklich? Wovon ernährt sich Gareth denn? Von Dreck? Von Goldmünzen?«
»Nein. Wir bieten uns ihm selbst an.«
Adeles entsetzter Gesichtsausdruck war unverhohlen voller Abscheu. »Ihr lasst ihn von euch trinken?«
»Prinz Gareth bittet nur um kleine Schlucke und niemals öfter als einmal im Jahr von derselben Person.« Morgana entblößte ihr Handgelenk. Es zeigte längst verheilte Einstichwunden. »Das ist ein geringer Preis dafür, nicht im Schlaf ermordet zu werden.«
»Mein Gott! Ich würde lieber sterben, bevor ich ihn von mir trinken ließe!«
»Ich bezweifle, dass er Sie darum bitten wird. Dazu gibt es zu viele, die es ihm freiwillig geben.«
»Ihr seid verrückt. Dieser Ort ist verrückt.« Adele deutete nach Norden zum Meer. »Und das Boot ist fort! Er hat es fortgenommen! Er wusste, dass ich es gebrauchen könnte, um nach Hause zu kommen.«
»Woher kommen Sie denn, Miss?«
»Aus Alexandria.« Ein Seufzer entschlüpfte der Prinzessin.
Morgana nickte wissend. »Das ist in der Nähe von Berwick-on-Tweed, nicht?«
Adele lachte. »Nein. Das muss ein anderes Alexandria sein. Ich bin aus Alexandria in Ägypten. Im equatorianischen Reich.«
Morgana pfiff leise durch die Zähne. »Das klingt weit weg, wo immer es auch sein mag. Kein Wunder, dass Sie verdrießlich sind. Aber ich bin sicher, es gibt einen guten Grund dafür, dass Sie hier sind.«
»Greyfriar hat mich aus London hergebracht.« Adeles Stimme troff vor Sarkasmus.
»Na, das ist doch was, das wir das gemeinsam haben.« Wieder lächelte Morgana herzlich. »Es wird sich alles viel weniger fremd anfühlen, sobald Sie sich einmal eingelebt haben.«
Adele musterte die Dienerin kritisch. »Sag mir, auf welchem Weg man am sichersten aus der Stadt hinauskommt.«
»Hinaus? Da gibt es nicht viel, wo man sicher wäre.«
»Also sind wir im Grunde hier gefangen.«
»Nun ja, ich bin nicht gefangen. Ich lebe hier. Ich bin zufrieden. Aber ich würde davon abraten, dass Sie versuchen, sich durch irgendein Gebiet zu schlagen, das nicht unter Prinz Gareths Schutz steht.«
»Das nützt mir nichts. Ich weigere mich, eine Gefangene zu bleiben.«
»Sie wirken nicht gerade wie eine Gefangene, wenn ich das sagen darf.« Morgana deutete mit dem Kinn auf Adeles Waffenarsenal.
Die Prinzessin schnitt eine finstere Miene. »Ein Gefängnis kann mehr sein als nur vier Wände.«
Mit kokettem Lächeln winkte Morgana einem Mann zu. »Das ist Thomas. Er ist Metzger.«
»Ein Metzger?« Adele bemerkte, dass sich in den Gebäuden, die nicht zerstört waren, so etwas wie Läden befanden. Und ihr Magen knurrte. »Ich würde dir etwas zu essen kaufen, aber ich habe kein Geld.«
»Geld? Hier gibt es wenig Geld. Die meisten von uns haben irgendein Talent, oder wir bieten unsere Dienste an wie etwa beim Sammeln von Brennholz oder für Reparaturen. Irgendwas in der Art. Sie werden es sehen, wenn wir zu Mary kommen.«
»Aber ich weiß nicht, was ich anzubieten hätte.«
»Können Sie kochen oder putzen?«
»Kochen nicht, aber ich schätze, ich könnte putzen.«
»Nun, die alte Mary wird uns ihre Bottiche und Seifen benutzen lassen. Waschen Sie die Kleider einfach selbst, und dann können Sie Mary auch noch bei ein paar ihrer Aufgaben helfen. Das sollte sie entschädigen.«
Vor ihnen erhoben sich stattliche Kirchtürme mit kleinen Kränzen darauf. Die Architektur unterschied sich auffallend von der der umgebenden Gebäude. Es war ein massives Bauwerk.
»Das ist die High Kirk, die Kathedrale St. Giles«, erklärte Morgana.
»Kirk?«
»Kirche.«
»Ist es sicher, hineinzugehen?«
»Aye. Dort finden jeden Sonntag Zusammenkünfte statt.«
»Zusammenkünfte?«
»Gottesdienste.«
»Heilige Gottesdienste? Gareth erlaubt so etwas?«
Morgana musterte sie eigenartig. »Natürlich. Warum sollte ihm das etwas ausmachen?«
Adele war überrascht, dass Gareth religiöse Rituale nicht unterdrückte. Plötzliche Kühle lenkte Adeles Blicke hoch zu den luftigen Türmen von St. Giles, wo sie eine dunkle Gestalt entdeckte.
Die Dienerin blickte ebenfalls nach oben und schirmte die Augen mit der flachen Hand gegen den hellen Schein des schiefergrauen Himmels ab. »Es ist Prinz Gareth.«
Sofort flammte Adeles Wut wieder auf. »Ich sagte dir doch, dass ich eine Gefangene bin.«
Morgana ließ die Hand sinken. »Ich würde sagen, er hat ein Auge auf Sie, damit Sie sich nicht in Gefahr bringen. Es überrascht mich, dass er Sie nicht davor gewarnt hat, außerhalb der Stadt herumzuwandern.«
»Das hat er.«
Morgana zog eine Augenbraue hoch. »Dann sind Sie ziemlich eigensinnig. Wahrscheinlich bekommt er gerade Anfälle wegen Ihnen.«
»Gut.«
»Miss, ich weiß gar nicht, warum Sie ihn so hassen.«
»Er hat mir etwas versprochen«, sagte Adele leise, ohne den Schmerz verbergen zu können. »Aber ich habe herausgefunden, dass es alles eine Lüge war.«
»Da kann ich nicht mitreden, doch es tut mir leid, wenn er das getan hat.«
Die Prinzessin ergriff den Arm der jungen Frau und drückte ihn mit herzlicher Zuneigung. Vielleicht hatte das Schicksal deshalb dafür gesorgt, dass sie gefangen genommen wurde, dachte Adele unvermittelt. Vielleicht sollte sie diese Leute sehen und die Nachricht davon, was wirklich in Europa vor sich ging, nach Hause bringen. Dies war kein Kontinent von Vieh. Adele schwor sich, dass sie diesen Menschen helfen und sie von der Tyrannei befreien würde, die sie unterdrückte, sobald sie Kaiserin war. Dieser eine gute Gedanke munterte sie auf, als die beiden Frauen weiter durch die Stadt wanderten.
Cesares Augen waren geschlossen, und sein Atem ging flach. Mit knochigen Fingern umklammerte er die Armlehnen seines thronähnlichen Stuhls im Unterhaus. Er sprach langsam, und seine Stimme klang eisig. »Es ist schon beinahe eine Woche her.«
Flay antwortete nicht. Sie wartete in der Mitte des ehemaligen Sitzungssaals.
»Sie könnte inzwischen bereits wieder in den Armen ihres Vaters sein«, fuhr Cesare fort.
»Sie hat Britannien noch nicht verlassen, Mylord«, entgegnete Flay.
Der Prinz öffnete die Augen. »Würdest du dein Leben darauf verwetten?«
»Ja.« Falls Flay Prinzessin Adele nicht fand, würde sie ganz sicher sterben. Daher war das einfach. »Meine Jäger weiten ihre Kreise aus. Wir wissen, dass sie Canterbury mit dem Greyfriar verließ und zur Küste ging.«
»Zu einem Boot«, knurrte Cesare. »Um den Kanal zu überqueren.«
»Nein, Sire. Meine Verbindungen zum Kontinent sind ausgezeichnet. Dort ist sie nicht an Land gegangen. Und ich habe innerhalb einer Stunde nach ihrem Verschwinden Späher über den Kanal geschickt. Obwohl es sehr schwierig ist, eine Spur übers Wasser zu verfolgen, sind meine Jäger die besten aller Clans.«
Unvermittelt stand Cesare auf. »Du hast mich ruiniert, Flay! Warum solltest du noch eine Minute länger am Leben bleiben?«
»Das sollte ich nicht, wenn es dir so beliebt. Aber ich kann Prinzessin Adele finden. Sie ist mit dem Greyfriar nach Norden gesegelt.«
Cesare spitzte verärgert die Lippen. »Greyfriar. Wie oft wird dieser Mensch dich noch beschämen? Vielleicht hätte ich ihn zu meinem Kriegsführer machen sollen.«
Flay starrte den Prinzen hart an.
Cesare stieg von der Estrade und sagte mit gespieltem Humor: »Warum sollten sie nach Norden gehen? Gibt es dort etwa eine freie menschliche Siedlung, von der niemand etwas weiß? Operiert dieser Greyfriar vielleicht direkt unter unserer Nase von Whitby aus?«
»Es gibt keine freie menschliche Siedlung, Mylord. Es ist möglich, dass sie einfach nur nach Norden gingen, um ihre Verfolger abzuschütteln …«
»Das hat funktioniert!«
»… um ihre Verfolger abzuschütteln. Und nun verstecken sie sich an der Küste. Ich werde sie finden.«
Zweifelnd neigte Cesare den Kopf.
»Ich glaube, sie sind nach Schottland gegangen«, sagte Flay unvermittelt ohne große Geste.
Die Augen des Prinzen verengten sich. »Willst du in deiner erbärmlichen Verzweiflung etwa andeuten, dass Gareth mit diesem Greyfriar gemeinsame Sache macht?«
Flay führte ihre Folgerung weiter aus. »Nein, natürlich nicht, aber bedenke, Mylord. Dort gibt es weniger von uns. Gareth beschützt sein Territorium. Adele könnte sich dort jahrelang verstecken, ohne einem Vampir zu begegnen. Schottland. Die tollkühne Wahl. Es ist das, was Greyfriar tun würde.«
»Flay, du lebst ziemlich gefährlich. Du sagst zu Recht, dass Gareth eifersüchtig über sein karges kleines Territorium wacht. Glaubst du wirklich, dass ich einfach so nach Schottland hineinstürmen kann, um hinter den Vorhängen nach Prinzessin Adele zu suchen? Ich wage es nicht, Gareth irgendeinen Vorwand zu liefern, wegen einer Protokollverletzung Ärger heraufzubeschwören. Der Clan ist immer noch nervös nach dem Angriff auf den Tower.«
Den ich zurückgeschlagen habe, dachte Flay und ärgerte sich zähnefletschend, dass Cesare es versäumte, ihren Erfolg zu erwähnen.
Der Prinz nahm seinen Platz wieder ein. Der Angriff der Menschen auf die Clanhauptstadt, so klein er auch gewesen war, hatte bei manchen der Lords Bedenken in Bezug auf die Clanführerschaft ausgelöst. Manche von Cesares Feinden hatten vorgeschlagen, den König in einem Versteck in Sicherheit zu bringen und die Führung des Clans dem »Thronerben« zu übertragen. Womit sie Gareth meinten. Cesare war es gelungen, die Wogen zu glätten, und war bereit, sie noch weiter zu beruhigen, indem er Störenfriede umbringen ließ.
»Habe ich die Erlaubnis, Jäger nach Schottland zu schicken?«, fragte Flay.
Cesare holte tief Luft. Flays Theorie, dass die Prinzessin nach Schottland geflohen sein könnte, hatte etwas für sich. Es war möglich, dass ein menschlicher Flüchtling unbemerkt in dieses karge Land schlüpfen und sich mithilfe von Gareths vernachlässigten Herden durchschlagen konnte.
»Such die Prinzessin, wo du willst.« Cesare hielt kurz inne, um deutlich zu machen, dass er ihr nicht ausdrücklich erlaubte, Gareths Territorium zu betreten.
Flay verbeugte sich zur Bestätigung. Schottland. Es musste Schottland sein. Sie war sicher, dass die Prinzessin es nicht aufs Festland geschafft hatte. So sicher, wie sie sein konnte, wenn Greyfriar daran beteiligt war.
Greyfriar.
Flay knurrte tief in ihrer Kehle. Cesare hatte den Finger in ihre offenste Wunde gelegt. Der Mann hatte ihr bereits zweimal die Beute abgejagt. Es war unbegreiflich. Wie machte er das? Sie war die gefürchtetste Kriegsführerin in Europa. Als Flay sich zum Gehen wandte, murmelte Cesare: »Flay, ich werde ein Schiff bereithalten, um die Gefangene zu holen. Und ich werde damit nach Norden kommen. Denk daran, die Tage deines Leben sind gezählt.«
»Wie du wünschst, gefürchteter Lord.«
»Ganz genau.«
Adele verbrachte den Tag mit Morgana und der alten Mary, die sich sehr über die Gesellschaft freute. Die ältere Frau half Adele dabei, ihre Kleidung zu säubern und zu flicken. Sie borgte Adele ein paar Kleider zum Wechseln, ebenfalls selbstgesponnen und schlicht. Mode und Seide hatte die Prinzessin längst vergessen. Im Gegenzug füllte Adele die Waschzuber neu. Ihre Hände waren vom heißen Wasser und der kalten Luft gerötet. Zum Glück waren die Handflächen durch die vielen Stunden des Schwerttrainings schwielig genug, damit sie vom Schleppen der Eimer keine Blasen bekam.
Als sie eine Pause machten, um zu Mittag zu essen, holte Mary ein Stück Käse, und Adele teilte bereitwillig das Brot von Gareths Tafel. Morgana hatte ein paar Äpfel mitgebracht und schnitt sie in Stücke. Es war ein feines Mahl. Diese Methode des Tauschhandels funktionierte besser, als Adele gedacht hatte.
Mary schlurfte davon, um nach den Waschzubern zu sehen, und ließ die beiden jungen Frauen allein. Morganas Gesellschaft war angenehm, und Adele konnte ihre Neugier über das Leben in Gareths Edinburgh nicht zurückhalten.
»Tut es weh, wenn der Prinz von einem trinkt?«, fragte sie.
Nicht sicher, nach welcher Antwort diese Frau suchte, hob Morgana langsam den Kopf. »Zuerst ist es wie ein scharfer Stich mit einer Nähnadel. Der Rest ist eher eigenartig – beinahe warm. Er erlaubt uns stets, die Augen abzuwenden, wenn wir wollen. Ehrlich gesagt ist er manchmal sogar ziemlich beschämt.«
»Das ist widerlich«, murmelte Adele, ohne nachzudenken.
Unvermittelt erhob sich Morgana und räumte die Teller ab.
Adele ergriff ihre Hand. »Es tut mir leid. Ich wollte nicht …«
»Sie wollten wissen, wie es hier ist. Jetzt wissen Sie es. Was Sie davon halten, ist natürlich Ihre Angelegenheit. Aber urteilen Sie nicht zu scharf über uns. Das Leben ist überall hart, und wir behelfen uns, so gut wir können.«
»Ich wollte damit nicht auf dich herabsehen. Es ist nur … Ich bin nicht …«
»Andere Leute haben andere Gebräuche.«
»Ich hatte keine Ahnung, wie das Leben hier oben ist. Ich habe schon so viel erfahren. Auf gewisse Weise geht es den Menschen hier gut, zumindest besser, als wir alle glaubten. Ich wünsche mir einfach so viel mehr für euch.«
»Vielleicht wird das eines Tages so sein.« Morgana lächelte aufrichtig. »Ich erlebe es vielleicht noch, Gareth anstelle seines Bruders auf den Thron steigen zu sehen.«
»Hast du so viel Vertrauen in Gareth?«
»Mehr als die meisten.« Sie sah Adele in die Augen, bevor sie in Marys Küche verschwand.
Kurz vor der Abenddämmerung, als alle Aufgaben erledigt waren, gingen Adele und Morgana wieder den Hügel zur Burg hinauf. Adele war müde. Sie freute sich auf eine heiße Mahlzeit und ein warmes Bett.
Gareths Schatten flog über sie hinweg auf den Festungswall zu, ein dunkler Fleck am grauen Himmel. Er hatte sie den ganzen Tag von den Dächern aus beobachtet. Sie hoffte inständig, dass sie ihm Unannehmlichkeiten bereitet hatte.
Die Temperatur fiel, als Adele erneut die steinernen Mauern der Burg betrat. Morgana zog sich in ihre eigenen Räume zurück und überließ es Adele, durch die leeren Korridore zu wandern – leer bis auf die Katzen natürlich. Die Tiere hießen sie willkommen, deshalb nahm sie sich einen Augenblick lang Zeit, in die Hocke zu gehen und sie zu begrüßen. Der grau-weiße Kater war in der Menge und drängte sich nach vorne. Lächelnd hob sie ihn hoch und trug ihn in ihr Zimmer. Er schnurrte den ganzen Weg über.