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Die USS Ranger, eine Fregatte mit vierundzwanzig Kanonen, war ausgezeichnet gebaut und bemannt. Sie durchschnitt die Luft wie glänzender, scharfer Stahl, ihre weißen Segel blähten sich, und der Chromkäfig, der ihre schlanken Gasbehälter umschloss, funkelte.

Manche der älteren Bewohner Alexandrias brummten, während sie die Augen abschirmten und zusahen, wie sich das amerikanische Schiff über das grün schimmernde Mittelmeer näherte. Wo sind ihre Schlachtschiffe?, murmelten sie. Ein Mann kommt zu einer kaiserlichen Hochzeit und das nicht auf dem größten Schiff der amerikanischen Flotte? Hmpf.

Dennoch jubelte die riesige Menge am Flughafen von Pharos und entlang der Piers mit überzeugender Kraft, als sich die Fregatte aus der zeremoniellen Eskorte von equatorianischen Begleitschiffen löste. Anders als die schwerfälligen kaiserlichen Großkampfschiffe, die sie geleiteten, war die Ranger schnell und wendig, ein flinker Hai unter dümpelnden Walen.

Der Premierminister von Equatoria, Lord Kelvin, stand auf einer Empfangsplattform, die mit Wimpeln und den Flaggen von Equatoria und Amerika geschmückt war, und lächelte zufrieden. Allerdings nicht sehr. Nicht einmal so viel, dass jemand, der ihn beobachtete, gemerkt hätte, dass er lächelte. Das wäre schlechte Etikette für den Premierminister.

Neben Lord Kelvin standen zwei Granden des Reiches. Einer davon war Admiral Kilwas, Oberbefehlshaber der Luftstreitkräfte, Stratege des Luftangriffs, der die Rebellen von Sansibar zerschlagen hatte. Kräftig und dunkel sah der Admiral blendend in seiner Uniform aus und stellte ein notwendiges Beispiel kaiserlicher Solidarität dar, da er von der reichen Handelsküste Tanganjika stammte. An Kelvins anderer Seite befand sich der Wirtschaftsgigant Laurence Randolph, Lord Aden, Herr eines unermesslichen Vermögens, das er mit Holz, Kohle und Öl verdient hatte, die die Dampfmaschinen des Reiches befeuerten. Er trug maßgeschneiderte, formelle Kleidung, hatte eine einzigartige Figur und war fit und gut aussehend. Dabei wirkte er viel jünger, als er eigentlich war, mit einem verwegenen Schnurrbart und strahlenden Augen, die zeigten, dass er mehr wusste als irgendjemand um ihn herum.

Das amerikanische Schiff kreuzte ein letztes Mal, bevor es sich dem Hauptturm näherte. Jeder Fehler der Ausländer würde zum Stadtgespräch werden und ihrem Ruf in den Augen der Einwohner Alexandrias schaden. Dieser Gedanke ließ Lord Kelvins ohnehin bereits kaum existentes Lächeln vollends verschwinden. Es durfte einfach nicht geschehen, dass der neue kaiserliche Gemahl bei den Menschen der Hauptstadt gleich einen schlechten Start hatte. Die Winde auf Pharos waren berüchtigt für ihre Tücke. Kelvin hatte die Amerikaner angefleht, einen ortsansässigen Lotsen an Bord zu nehmen, doch Senator Clark hatte rundheraus abgelehnt und darauf bestanden, seine »Jungs könnten die Ranger im Sturm an einem Kastanienbaum vertäuen«.

Die Wimpel am Andockturm Pharos Eins peitschten im Wind wie die Schwänze wütender Katzen. Hoch oben auf den Anlegeplattformen stand eine Mannschaft steifbeinig im stürmischen Wind und wartete auf die Bugleine der Ranger. Die Männer gehörten zum Haushalt des Kaisers und waren verantwortlich für Constantines Flaggschiff bei jenen zunehmend seltener werdenden Gelegenheiten, wenn sich Seine Kaiserliche Majestät in die Lüfte erhob. Eigentlich war es ein schockierender Bruch des Protokolls, dass Personal des kaiserlichen Haushaltes einem einfachen amerikanischen Senator diente. Doch Lord Kelvin hatte diese Peinlichkeit umgangen – und das sehr clever, wie er meinte –, indem er die gesamte Mannschaft vorübergehend degradierte. Sobald die Ranger sicher vertäut war, würden sie alle ihre ursprünglichen Pflichten im kaiserlichen Haushalt wiederaufnehmen.

Die Ranger näherte sich schnell dem mächtigen Pharos Eins. Das letzte der Sprietsegel luvte an, und der Bug des Luftschiffs wandte sich dem Tower zu. Die Bugleine flog. Die Tower-Mannschaft fing sie auf und machte sie an einem riesigen, zahnradbetriebenen Mechanismus fest. Die Messgeräteskala in der Mitte leuchtete blau auf, dann setzten sich die Zahnräder langsam in Bewegung und kurbelten die Bugleine auf, um das Schiff am Tower zu vertäuen. Die Mannschaft wirkte zufrieden. Admiral Kilwas stieß den angehaltenen Atem durch die Nase aus. Lord Kelvin wollte ebenfalls erleichtert aufatmen, weigerte sich jedoch, so schlechte Etikette zu zeigen. Er horchte auf das Ablassen der chemischen Auftriebmittel des amerikanischen Schiffes, doch das kam nicht. Der Admiral stieß ein erschreckendes Schnauben der Verwirrung aus, als eine Vielzahl von Tauen über die Bordwand der Fregatte geworfen wurde. Er beugte sich sogar zu einem anderen Offizier hinüber und wechselte ein paar geflüsterte Worte. Stumm drängte Kelvin ihn, seinen Platz wiedereinzunehmen.

Lord Kelvins Hände schmerzten, doch er wollte sie nicht bewegen, aus Angst, nicht gelassen auszusehen. Seine rote zeremonielle Schärpe war ein wenig an seinem Hals hochgerutscht und kratzte, doch er weigerte sich, sie zurechtzurücken. Es war schlechte Etikette, sich anmerken zu lassen, dass man sich unwohl fühlte. Mit dem Ausschlag an seinem Hals würde er sich später auseinandersetzen.

Die kaiserlichen Würdenträger auf der Tribüne konnten die Backbordseite der Ranger sehen und waren schockiert genug, um zu murmeln, als die Stückpforten des Schiffes aufflogen und Kanonen ausgefahren wurden. Die Menge unter ihnen begann zu brodeln. Sie war ebenfalls überrascht von den Kanonen. Und dann sogar noch überraschter, zu sehen, wie sich Männer an der Reling des Schiffes aufreihten, deren Abzeichen entfernt im Sonnenlicht funkelten.

Lord Kelvin war entsetzt, als Admiral Kilwas nach seinem Messingfernrohr verlangte und es ans Auge hob, als wäre dies eine gewöhnliche Bootsregatta auf dem Nil. Der Admiral rief etwas in seiner Muttersprache Swahili aus, zum Glück leise, was Kelvin dazu veranlasste, tadelnd durch die Nase zu schnauben. Der Premierminister konnte erkennen, dass die Männer an der Reling der Ranger die Taue ergriffen, die im Wind herunterbaumelten.

Plötzlich dröhnte eine Breitseite von der Fregatte, zuerst an Steuerbord, dann an Backbord. Das Mündungsfeuer der Kanonen war eigenartig. Manche spuckten roten Rauch, manche blauen und manche weißen. Der dichte dreifarbige Qualm hüllte das Schiff ein wie grellbunte Baumwollflocken.

Dann fielen Männer, die rote, weiße und blaue Rauchfähnchen hinter sich herzogen, aus den Wolken. Einige Leute in der Menge schrien beim Anblick der Menschen, die augenscheinlich in den Tod stürzten, entsetzt auf. Die Amerikaner fielen schnell an den Tauen entlang nach unten, fünfzig an der Zahl, in blauen Uniformen und mit weißen Cowboyhüten, die ihnen an langen Lederschnüren im Nacken baumelten. Einer von ihnen zog eine flatternde amerikanische Flagge hinter sich her. Gekonnt landete die Kommandotruppe am Fuß des Pharos-Towers.

Admiral Kilwas beugte sich mitsamt seinem Fernrohr vor und lachte. Lauthals. Lord Kelvin zuckte beinahe zusammen.

Die Menschen in der Menge erlebten einen kurzen Augenblick der Verwirrung, in dem sie zu verstehen versuchten, wie sie sich verhalten sollten, bevor sie von einem Sturm der Begeisterung mitgerissen wurden. Sie waren überrumpelt worden, und obwohl sie ihre Verlegenheit mit Ablehnung hätten kaschieren können, warfen sie stattdessen die Arme in die Luft und brüllten vor Vergnügen.

Die amerikanischen Soldaten formierten sich in einer Reihe, mit dem Fahnenträger an der Spitze, und marschierten lässig den Dammweg zum Hauptpier entlang, das funkelnde Mittelmeer im Rücken. Fahrenheit-Säbel baumelten ihnen an einer Seite an der Hüfte, und Bajonette steckten in Holstern an der anderen. Ihre dunkelblauen Hosen endeten in hohen weißen Gamaschen und schwarzen Stiefeln. Sie trugen keine Jacken, aber ihre schweren blauen Uniformröcke hatten Epauletten und Doppelreihen schimmernder Messingknöpfe. Muntere gelbe Halstücher flatterten im Wind. Breitkrempige weiße Hüte überschatteten ihre Augen, und ihr weißes Lächeln strahlte.

Lord Kelvin warf einen Blick auf sein ledergebundenes Exemplar der offiziellen Agenda auf dem Podium vor ihm. Die Marschkapelle hatte ihren Einsatz verpasst. Er blätterte zur zweiten Seite und überflog seine Anmerkungen zur Begrüßung. Dann wurde ihm mit aufwallender Panik bewusst, dass die Amerikaner, da sie sich wie gewöhnliche Orang-Utans von den Tauen geschwungen hatten, den kaiserlichen Protokoll-Offizier zurückgelassen haben mussten. Würden sie wissen, wo sie sich aufstellen sollten? Würden sie wissen, was sie sagen mussten?

Ein Desaster, dachte Kelvin. Das Ganze war zu einem schrecklichen Desaster geworden. Oh Gott, jetzt winkte Senator Clark der Menge auch noch zu!

Senator Clark, der direkt vor dem Fahnenträger marschierte, wedelte mit einer fleischigen Hand, als winke er einem Barmädchen, sein Glas aufzufüllen. Sein freimütiges Grinsen strahlte unter einem üppigen schwarzen Vollbart hervor. All seine derben Kommandosoldaten trugen eine ähnlich eindrucksvolle Gesichtsbehaarung zur Schau.

Lord Kelvin krampfte sich der Magen zusammen. Das Protokoll-Memorandum hatte auch Anweisungen zu Kleidung und Haartracht enthalten. Die kaiserliche Mode forderte in Sachen Gesichtsbehaarung einen Schnurrbart und eventuell noch Koteletten, falls nötig. Vollbärte waren nicht länger angemessen, da der Kaiser sich den seinen vor zwei Jahren abrasiert hatte. Der Protokoll-Offizier hatte Senator Clark sicher auf diese Tatsache hingewiesen. Dennoch sah er aus wie ein Wilder. Und anstatt Galauniformen zu tragen, waren die Amerikaner offensichtlich gekleidet wie eine Art Kabarett-Darsteller.

Der Senator sprang auf die Bühne, zog die großen weißen Handschuhe aus und streckte Lord Kelvin die Hand hin. Mit dröhnender Stimme sagte er: »Sie müssen Lord Kelvin sein. Ich bin Senator Clark. Es ist mir ein Vergnügen, Sir.«

Seine Lordschaft starrte auf die schwieligen Finger und wog Unhöflichkeit gegen den Versuch ab, zumindest etwas vom Protokoll zu retten. Der Amerikaner grinste und beugte sich erwartungsvoll vor. Kelvin konnte nicht öffentlich unhöflich sein. Deshalb zwang er sich, Jahrzehnte der Ausbildung zu vergessen und die monatelange sorgfältige Planung, die zur Vorbereitung für genau diesen Augenblick aufgewendet worden war, in den Wind zu schlagen. Dies war das Treffen zweier großer Nationen, zweier großer Völker. Und alles lief auf eine ausgestreckte Pranke und den prosaischen Austausch rustikaler Floskeln hinaus. Langsam streckte Lord Kelvin die Hand aus und Clark quetschte sie in einem Schraubstock der Freundschaft.

Die Menge tobte.

Clark wandte sich wieder den Massen zu und hob die Faust in die Luft. Dabei umklammerte er immer noch Lord Kelvins Hand, der entsetzt darüber war, Teil eines solch barbarischen Schauspiels zu werden. Doch die Zerstörung der prächtigen Zeremonie war noch nicht ganz vorbei. Clark ließ Kelvins Hand los, wofür Seine Lordschaft äußerst dankbar war, doch dann legte der großspurige Amerikaner Kelvin tatsächlich den muskulösen Arm um die befrackten Schultern.

Clark schwang seinen riesigen weißen Hut über dem Kopf und lachte schallend wie ein Betrunkener im Varieté.

Clark schenkte Lord Kelvin, Admiral Kilwas, Lord Aden und sich selbst von einer dunklen Spirituose ein. Dann hob er sein Glas. »Gentlemen, ich verkünde hiermit die Allianz der Amerikanischen Republik und des Equatorianischen Reiches.«

Die vier Gläser klirrten, und die Männer tranken, nachdem der Admiral ein »Hört! Hört!« hinzugefügt hatte. Clark wischte sich geübt mit einem Finger den Schnurrbart ab und knallte das Glas auf die Tischplatte aus poliertem Teakholz. Lord Kelvin nippte nur leicht und stellte sein Glas geräuschlos ab.

»Bourbon«, verkündete Clark. »Früher war das ein typisches amerikanisches Getränk. Wir beziehen es immer noch aus dem alten Süden. Doch jetzt gibt es viel mehr Rum in Amerika. Rum ist in Ordnung. Aber auf Dauer nichts im Vergleich zu Bourbon.« Er schenkte noch einmal nach.

Admiral Kilwas hob sein Glas. »Tod den Vampiren.«

»Verdammt richtig!«, bellte Clark und kippte seinen Whiskey.

Lord Aden schenkte dem Amerikaner ein charmantes Lächeln und nippte.

Lord Kelvin benetzte sich nur die dünnen, farblosen Lippen und stellte das volle Glas zurück auf den Tisch. In seinen Privaträumen kontrollierte der Premierminister seine Bewegungen nicht so streng wie in der Öffentlichkeit, deshalb fühlte er sich so frei, sich mit der Hand über das zurückgekämmte schwarze Haar zu streichen. Als er den Mund öffnete, um etwas zu sagen, schenkte der Amerikaner erneut ein. Wieder sah Kelvin Gläser auf Augenhöhe erhoben.

Seine Lordschaft hob seinen Drink, räusperte sich und brachte näselnd hervor: »Auf Seine Kaiserliche Majestät, Constantine den Zweiten. Und auf Ihre Kaiserliche Hoheit, Prinzessin Adele und die bevorstehende Verbindung.« Er setzte das Glas an die Lippen.

Clark lächelte anerkennend und stürzte die goldgelbe Flüssigkeit erneut hinunter, als wäre sie Wasser. Selbst Admiral Kilwas trank seinen dritten Whiskey nur noch langsam.

Der Senator schenkte Lord Aden ein schiefes Grinsen und meinte: »Lord Aden, es ist mir ein Vergnügen, Sie wiederzusehen, Sir. Hat Ihnen Ihre Reise nach Amerika letztes Jahr gefallen?«

»Das hat sie tatsächlich. Die Hauptstadt Panama ist bezaubernd. Ich war höchst beeindruckt von der Großzügigkeit der Menschen in der ganzen Republik.«

»Was ist mit unserem Programm für chemische Energie? Beeindruckend, nicht wahr?«

»Ja. Ziemlich.«

»Im Laufe unserer Allianz werden wir euch equatorianische Jungs schon noch von dieser schmutzigen Dampfkraft wegbringen. Wir werden eure chemische Industrie verzehnfachen.«

»Hm. Zweifellos wird chemische Energie eine nützliche Ergänzung zu unseren existierenden Systemen darstellen.«

»Oh, vertrauen Sie mir, wenn Sie erst einmal sehen, was unsere chemischen Ingenieure leisten, werden Sie Holz und Kohle und Öl schnell vergessen. Sie haben doch die USS Hamilton gesehen, als Sie in Panama waren, oder? Unser erstes vollständig energiebetriebenes Kampfluftschiff. Aluminiumexplosionen. Tolle Sache!«

Lord Aden nahm einen weiteren Schluck von seinem Drink und lächelte. »Ja. Interessanter Prototyp. Er verspricht einiges für die Zukunft. Aber wie ich bemerkte, kamen Sie mit einem segelbetriebenen Luftschiff an.«

Clark lachte. »In der Tat. Ich liebe die Ranger. Sie ist das Schönste, was es in der Luft gibt. Aber Energieantrieb ist die Welle der Zukunft.«

»Wir müssen Ihnen unsere Dampfluftschiffe zeigen.« Admiral Kilwas nickte. »Die HMS Culloden liegt in Alexandria vor Anker, glaube ich. Wir können gerne eine Besichtigungstour arrangieren.«

Der Senator nickte ebenfalls. »Dampf. Begrenzt. Wir sitzen in den Tropen nicht auf endlosen Kohlevorräten.«

»Wir fahren gut damit«, warf Lord Aden schnell ein. »Ihre chemischen Technologien sind faszinierend, das muss ich zugestehen. Aber weniger leistungsfähig im Vergleich zu Dampf. Und bisher noch unterentwickelt. Ich denke, wir setzen unsere Hoffnungen am besten auf Brennstoffe, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt funktionieren.«

Clark lachte ein wenig schroff. »Das sind die Worte eines Mannes, der sein Vermögen mit alten Energien macht.« Er griff in eine Armeetasche neben seinem Sessel, zog ein kleines Kästchen aus Zypressenholz hervor und stellte es offen auf den Tisch. Kubanische Zigarren. Er nahm eine, hielt ein langes Zündholz an die Spitze und lehnte sich mit überschlagenen Beinen zurück. »Eure Lordschaften. Admiral. Sollen wir zum Wesentlichen kommen?«

»Gewiss«, antwortete Lord Kelvin ziemlich erleichtert. Würdevolle Diskussion war unvorhersehbarem und ausuferndem Geschwätz absolut vorzuziehen.

Clark blies eine lange Rauchwolke aus. »Ich würde gern den Kaiser sehen.«

»Natürlich.« Kelvin zog die Pergamentseiten der Agenda zurate. »Es ist geplant, dass Sie übermorgen an der öffentlichen Audienz mit Seiner Kaiserlichen Majestät teilnehmen. Zusammen mit Ihren Männern.« Seine Lordschaft blickte hoch, um sich zu vergewissern, dass Clark verstand, wie entgegenkommend er sich verhielt. »Und Sie haben zwei Tage später eine Privatkonferenz mit Seiner Kaiserlichen Majestät und dem Kronrat. Das können Sie alles dem Ablaufprogramm entnehmen, das Sie von uns bekommen haben.« Aus Freundlichkeit öffnete Kelvin das ledergebundene Exemplar der Agenda auf der Seite, auf der Clarks erste Audienz mit Seiner Majestät verzeichnet war, und schob das Buch über den Tisch auf die schmutzigen Stiefel des Amerikaners zu.

Der Senator beäugte die Agenda, summte dann unzufrieden und schnippte Asche auf das in aufwendigem Muster verlegte Mahagoniparkett. »Mmhmm. Außerdem hielt sich Ihr Protokoll-Offizier etwas bedeckt darüber, wann ich Adele sehen werde.«

Kelvin wandte Clark sein scharf geschnittenes, ausdrucksloses Gesicht zu. »Die Hochzeit mit Ihrer Kaiserlichen Hoheit, Prinzessin Adele, ist für heute in einem Monat und zwei Tagen angesetzt.«

Clark grinste. »Das weiß ich, Premierminister. Aber irgendwie hätte ich sie gerne schon vor dem tatsächlichen Hochzeitstag gesehen. Ich würde gerne eine Art Abendessen arrangieren. Das scheint mir nur angemessen zu sein.«

»Ach ja?« Obwohl Kelvin sich durch die vertrauten Wände der Ratskammer bestärkt fühlte, verprellte es ihn ein wenig, dass Clark ihn mit Premierminister anstelle des eigentlich richtigen Euer Lordschaft ansprach. Deshalb war er nicht geneigt, sich weniger begriffsstutzig zu geben, als er es normalerweise getan hätte.

Der Amerikaner lachte und starrte liebevoll auf seine Zigarre hinunter. »Dort, wo ich herkomme, ist es üblich, die Braut vor der Hochzeit wenigstens zu Gesicht zu bekommen.«

»Höchst interessant«, murmelte Lord Kelvin. »Wie dem auch sei, Ihre Kaiserliche Hoheit die Prinzessin befindet sich zurzeit nicht hier.«

»Was?« Clarks Stuhl scharrte über den Boden, als er sich aufsetzte und den aalglatten Premierminister fest anstarrte. »Sie ist nicht einmal hier, wenn ich ankomme?«

Kelvin spürte, wie sich Admiral Kilwas bei Clarks Wutausbruch anspannte. Aber Seine Lordschaft blätterte nur eine Seite weiter und sagte in ruhigem Tonfall: »Sie bereist die Grenzgebiete, Senator. Sie mag zwar Ihre Verlobte sein, aber sie hat fortwährende Pflichten dem Staat gegenüber. Natürlich wäre sie gerne hier, aber der Staat steht immer an erster Stelle. Sie werden feststellen, dass Ihre Kaiserliche Hoheit Prinzessin Adele diese Tatsache vollständig verinnerlicht hat. Genauso wie Sie, dessen bin ich mir sicher.«

Wieder ergriff Lord Aden mit geschäftsmäßiger Präzision das Wort. »Es erschien vernünftig, angesichts der uns bevorstehenden Feindseligkeiten, im Grenzgebiet das Wohlwollen dem Reich gegenüber zu stärken. Viele der freien Städte im Norden haben noch nie ein Mitglied der kaiserlichen Familie gesehen. Der Hof wollte sich ein Urteil bilden, wie empfänglich sie für eine Annektierung wären, falls das eine notwendige Option werden sollte.«

»Ja.« Clark umklammerte seine Zigarre fester. »Aber sicher hätte man eine Reise ins Grenzgebiet doch auch für einen anderen Zeitpunkt ansetzen können. Meine Ankunft wurde schon vor Monaten geplant.«

Lord Kelvin lächelte ohne Fröhlichkeit. »Damit war keine Kränkung beabsichtigt, das versichere ich Ihnen, Senator. Die Reise Ihrer Kaiserlichen Hoheit wurde bereits vor mehreren Monaten geplant. Bevor die Verhandlungen bezüglich Ihrer Hochzeit abgeschlossen waren.«

Die wuchtige Tür öffnete sich, und ein Ordonnanzoffizier kam ohne Umschweife auf Lord Kelvin zu, reichte ihm einen Umschlag und trat dann einen Schritt zur Wand zurück, um auf eine Antwort zu warten. Es machte Kelvin stutzig, dass die Nachricht per Bote und nicht über die Vielzahl von pneumatischen Röhren kam, die dem Palast als Kommunikationssystem dienten. Hunderte solcher Röhren verliefen in dem gewaltigen Gebäude, und man konnte ihr metallisches Klappern Tag und Nacht durch die Räume hallen hören. Entschlossen öffnete Kelvin den Umschlag, zog ein dickes Blatt Papier heraus und überflog es zügig. Seine Stirn umwölkte sich, und er las es erneut.

Dann reichte Kelvin die Nachricht an Admiral Kilwas weiter, der sie kurz studierte und dann alarmiert aufsprang. Clark erhob sich ebenfalls, und seine Hand fuhr instinktiv zum Holster seiner Waffe.

»Was ist los?«, bellte der Senator.

Bestätigung suchend musterte Lord Kelvin das aschfahle Gesicht des Admirals. Eindeutig hatte er die Nachricht nicht missverstanden. Es war tatsächlich das Ende der Welt.

Der Premierminister sah Senator Clark an und sagte mit düsterer Deutlichkeit: »Der Hof erhielt soeben eine Nachricht von Colonel Anhalt, dem Kommandanten der Hausgarde Ihrer Kaiserlichen Hoheit der Prinzessin. Das Schiff Ihrer Kaiserlichen Hoheit Prinzessin Adele wurde angegriffen. Es stürzte unter großen Verlusten ab. Ihre Kaiserliche Hoheit die Prinzessin wird vermisst. Man nimmt an, dass sie von den Vampiren gefangen genommen wurde.«

»O nein«, hauchte Lord Aden.

»Gefangen? Oder getötet?«, fragte Clark kalt.

»Das wissen wir nicht. Wir haben keine Ahnung, wo sie ist. Oder ob sie noch lebt.«

»Nun, dann werden wir vorerst davon ausgehen, dass sie noch am Leben ist.« Clark rückte seinen Säbel zurecht. »Bringen Sie mich zum Kaiser. Es ist Zeit, einen Krieg zu beginnen.«

Lord Kelvin nickte traurig und klappte sein Programmbuch zu.

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