13. KAPITEL

Mit gelbem Regenmantel, einem passenden Regenhut und schwarzen Gummistiefeln ausgerüstet, ignorierte Julia den prasselnden Regen und bahnte sich langsam ihren Weg hügelabwärts, um ihr Grundstück auf mögliche Wasserschäden abzusuchen. Rund fünfzehn Meter unter ihr schlug die See, die durch den Wolkenbruch kaum zu sehen war, heftig gegen die Felsen.

Dank El Niño hatte dieser Frühling Mittelkalifornien einige der heftigsten Stürme in der Geschichte beschert. Der heutige Tag stellte keine Ausnahme dar. Nach drei Tagen milden Wetters hatte der Regen um kurz vor zwei Uhr nachmittags wieder eingesetzt, um mit neuer Wut auf die Küste und die Hügel niederzupeitschen.

Die Bewohner entlang der Küste hatten verzweifelt versucht, ihre Häuser daran zu hindern, ins Meer abzurutschen, indem sie Sandsäcke aufeinander gestapelt und eine künstliche Wand zwischen dem Regenwasser und den Fundamenten errichtet hatten. Einige Gebäude hielten stand, während andere mit einer Schlammlawine mitgerissen wurden.

Mit der Stiefelspitze testete Julia den Boden unter ihren Füßen und zuckte zusammen, als sie spürte, wie die vollgesogene Erde nachgab. In Anbetracht ihres geringen Budgets war eine Versicherung gegen Flutschäden das Letzte gewesen, woran sie gedacht hätte. Jetzt sah sie mit an, wie der Regen einen kleinen Fluss in den Hügel schnitt, und wünschte sich, dass sie diese Ausgabe an erste Stelle gesetzt hätte.

Sie versuchte, optimistisch zu bleiben, und dachte an Sandi Garcias Bemerkungen über das Haus, als sie es sich zum ersten Mal angesehen hatte.

“So etwas wird heute nicht mehr gebaut”, hatte der alte Mann voller Stolz gesagt. “Die 'Hacienda' ist vielleicht alt und angestaubt, aber sie steht so sicher wie ein Fels.”

Ich hoffe, du behältst Recht, Sandi.

Julia sah in Richtung “Cliffside”, wo sich gut ein Dutzend Gäste fröhlich unterhielt, während sie auf der verglasten Veranda saßen und zu Mittag aßen. Der Luxuskomplex war auf einem höheren Hügel errichtet worden und stand weit genug von der steil abfallenden Kante entfernt, so dass sich die Eigentümer keine Gedanken über Schlammlawinen machen mussten.

Bevor sie in Selbstmitleid versinken konnte, zuckte ein Blitz über den Himmel, gefolgt von einem Donner, der bedrohlich nahe klang. Julia drehte sich um und machte sich behutsam auf den Weg zurück zur “Hacienda”.

Vom Fenster im Salon, an dem Steve die letzten fünfzehn Minuten gestanden hatte, sah er zu, wie Julia den steilen Hang hinaufkletterte.

Ihm war ihr besorgtes Gesicht aufgefallen, als sie das Regenwasser beobachtete, das hügelabwärts strömte. Gleichzeitig hatte er aber auch eine bemerkenswerte Stärke an ihr wahrnehmen können, eine Entschlossenheit, sich zur Wehr zu setzen, ganz egal, was Mutter Natur ihr bescherte.

Augenblicke später kam Julia in den Salon und erschrak zuerst, als sie ihn und das knisternde Kaminfeuer bemerkte. Sie hatte den Regenmantel ausgezogen und sah verdammt sexy aus in ihrer braunen Jeans, den dicken schwarzen Socken, die sie bis zu den Knöcheln heruntergeschoben hatte, und ihrem beigefarbenen Rollkragenpullover, den er lieber nicht zu genau inspizieren wollte.

“Ich hoffe, das stört Sie nicht.” Steve deutete auf das Feuer. “Sie haben ja gesagt, ich solle mich wie zu Hause fühlen.”

“Ich bin froh, dass sie das gemacht haben.” Sie rieb ihre Arme, um sie zu wärmen. “Seit gestern ist das Thermometer um acht Grad gefallen, und diese Regenfront macht keine Anzeichen, dass sie weiterzieht.”

Steve sah aus dem Fenster. “Andrew wird enttäuscht sein.”

“Oh, machen Sie sich um ihn keine Gedanken.” Sie blieb am Fenster stehen und hielt ihre Hände den lodernden Flammen entgegen. “Er und sein Freund Jimmy sind nie um Ideen verlegen, was sie machen können. Auch nicht, wenn es regnet.”

“Hier.” Steve nahm einen Becher von dem kleinen runden Tisch am Fenster und reichte ihn Julia. “Ich dachte, etwas Heißes würde Ihnen vielleicht zusagen.”

Ihr irritierter Blick verriet ihm, dass sie es nicht gewohnt war, dass sich jemand um sie kümmerte. “Wie ich sehe, können Sie sogar Gedanken lesen.”

“Nur manchmal.”

Julia setzte sich auf das Sofa und nahm einen Schluck.

“Mmm. Köstlicher Kaffee.”

“Das sollte er auch sein, sonst würde mich meine Mutter wahrscheinlich enterben. Ich bin auf Kuba geboren”, erklärte er. “In unserer Familie ist es sozusagen eine Tradition, guten Kaffee zu machen.”

“In dem Fall dürften Ihre Eltern stolz auf Sie sein.”

Steve versuchte zu ignorieren, wie sie sich auf dem Sofa einer zufriedenen Katze gleich zusammengekuschelt hatte. Er wandte seinen Blick von ihr ab und griff nach dem Schürhaken, um den Holzscheiten ein paar kurze Stöße zu versetzen. Ein Scheit, der zur Hälfte abgebrannt war, gab mit einem leisen Zischen nach. Blaue und orangerote Funken stiegen auf.

“Wie schlimm ist es draußen?” fragte er.

“Schlimm genug. Gott sei Dank habe ich Anfang der Woche Sandsäcke bestellt. Die werden sich jetzt als nützlich erweisen.” Sie legte die Hände um den großen blauen Becher und nahm wieder einen Schluck. “Ich habe in den letzten vierunddreißig Jahren alle nur denkbaren Katastrophen miterlebt – Brände, Erdbeben, Dürren.” Sie schüttelte den Kopf. “Aber nichts davon war so heftig wie das hier. Oder so unerbittlich.”

Steve hängte den Schürhaken zurück in seine Halterung. “Ich bin heute früh einmal um die 'Hacienda' gegangen. Die Erde rund um das Fundament scheint zu halten, aber die Sandsäcke sind schon eine gute Idee.”

Er ging zurück zu seinem Sessel und nahm seinen Becher. “Ich stapele sie gerne für Sie auf, da ich heute Nachmittag wohl kaum mit Andrew zum Ballspielen kommen werde.”

Sie legte den Kopf schräg, was die Ähnlichkeit zwischen ihr und Andrew noch stärker unterstrich. “Und ich dachte, Sie würden kneifen und irgendwo anders Unterschlupf suchen.”

“Ich bin nicht der Typ, der kneift. Außerdem habe ich schon schlimmere Unwetter mitgemacht als das hier.”

“Tatsächlich? Wo?”

“In Indonesien, während meiner Zeit als Auslandskorrespondent. Sie wissen nicht, was ein schwerer Regen ist, wenn Sie noch keinen Monsun mitgemacht haben.”

Sie drückte sich tiefer in die Kissen. “Warum sind Sie zum investigativen Journalismus gewechselt?”

“Schicksal.” Diesmal konnte er seinen Blick nicht von ihr lösen, also setzte er sich einfach hin und genoss ihren Anblick. “Einem hochkarätigen Schönheitschirurgen aus Manhattan wurde vorgeworfen, er habe seine Frau ermordet. Der Reporter, der das übernehmen sollte, war nicht verfügbar, ich dagegen schon. Mein Verleger, der Mann, mit dem Sie letzte Woche gesprochen haben, gab mir den Auftrag. Als ich die Story geschrieben hatte, merkte ich, dass es mir gefiel, nach Hinweisen zu suchen und sie zusammenzufügen, so wie ein Puzzle.” Er zuckte mit den Schultern. “Ich sprach meinen Verleger auf einen festen Job an, und prompt hatte ich ihn.”

“War er es gewesen?”

“Bitte?”

“Der Schönheitschirurg. Hat er seine Frau umgebracht?”

“Oh.” Er lächelte. “Nein. Es war ihre Schwester. Als sie merkte, dass ich ihr auf der Spur war, versuchte sie, mich ebenfalls umzubringen. Aber zum Glück war ich ihr einen Schritt voraus.”

Julia trank wieder einen Schluck Kaffee. “Ihr Job klingt etwas gefährlich.”

“Nur, wenn man nicht auf sich aufpasst.” Er grinste sie an. “Ich passe sehr gut auf mich auf.”

“Gut. Ich möchte nämlich nicht, dass meinem einzigen Gast etwas passiert. Erst recht nicht, wenn er einen so guten Kaffee kocht.”

Er ließ seinen Blick über ihren anmutigen Körper wandern. “Das ist schon eine bemerkenswerte Aussage von jemandem, der mir vor nicht mal vierundzwanzig Stunden die Tür vor der Nase zugeschlagen hat.”

Julias Wangen wurden vor Verlegenheit rot. “Darauf bin ich wirklich nicht stolz, aber ich war noch immer wütend auf einen anderen Reporter, mit dem ich am Tag zuvor ziemlich aneinander geraten war.”

Steve verspürte den plötzlichen und unerklärlichen Drang, sie zu beschützen. “Tatsächlich? Wer war es? Vielleicht kenne ich ihn.”

“Er heißt Ron Kendricks.”

“Noch nie gehört.”

“Er schreibt für die L.A. News, ein Boulevardblatt, das vor allem im Süden und Südwesten Kaliforniens erscheint.”

“Und was wollte er?”

Sie hob die Schultern. “Meine Geschichte schreiben, natürlich sensationell aufgebauscht, und sie dann in Hollywood verkaufen. Er wollte sogar Andrew benutzen, um sie noch dramatischer zu machen.”

Dieser Bastard. Kein Wunder, dass Julia vorsichtig war, wenn es um Reporter ging. “Wenn er wieder auftaucht”, sagte Steve, “lassen Sie es mich wissen. Es gibt immer Mittel und Wege, um mit solchem Abschaum fertig zu werden.”

Die Bemerkung ließ sie lächeln. “So wie mit Larry im Eisenwarengeschäft?”

Steve lachte, als er an sein Gespräch mit Larry dachte. Er hatte keine Gewalt angewendet, nicht einmal ein böses Wort gesagt, aber der Mann hatte ihn sehr schnell verstanden. “Wenn es funktioniert.”

“Oh, es hat funktioniert. Larry war hier, als Sie unterwegs waren, und hat das Fenster ausgemessen. Das Buntglas dürfte in drei Wochen da sein.” Sie lachte. “Er hat gesagt, dass er der Reparatur Vorrang geben wird.”

Steve nickte zufrieden. “Ich werde ihm ein Bier ausgeben.” Mit einem Mal wurde er ernst und beugte sich vor, während er den Becher mit beiden Händen fest umschlossen hielt. “Ich habe mich heute mit Edith Donnovan unterhalten.”

Julia warf ihm einen irritierten Blick zu. “Pauls Sekretärin? Wie haben Sie das denn geschafft?”

“Ich habe herausbekommen, dass sie ihre Mittagspause immer im Park verbringt, also bin ich hingegangen und habe mich zu ihr gesetzt. Wir haben uns angenehm unterhalten.”

“Das überrascht mich. Edith reagiert nicht gut auf Fremde.”

“Das Gefühl hatte ich auch. Was wissen Sie über sie?”

Julia sah einen Moment lang in das lodernde Kaminfeuer. “Nicht viel. Sie ist ruhig, tüchtig, loyal.”

“Und sie hat Ihren Exmann geliebt.”

Julia riss erstaunt den Mund auf. “Das hat sie Ihnen gesagt?”

“Nein, aber es war nicht schwer zu erkennen. Ich nehme an, dass Sie das wussten?”

“Sie hat es nie offen erkennen lassen, jedenfalls nicht in meiner Gegenwart. Aber ich wusste, dass sie sich zu Paul hingezogen fühlte.”

“Hat Sie das nicht gestört?”

Ihr Blick war jetzt etwas kühler, als sie ihm in die Augen sah. “Wenn Sie wissen wollen, ob ich eifersüchtig war, dann ist die Antwort nein. Um ehrlich zu sein fand ich ihre Verliebtheit anfangs ziemlich … niedlich. Paul und ich haben uns oft darüber amüsiert. Als wir uns aber immer mehr voneinander entfernten, habe ich nicht mehr darauf geachtet.”

“Hüten Sie sich vor ihr, okay? Sie könnte gefährlich sein. Vielleicht nicht mit Taten, aber mit Worten.”

“Sie meinen, dass sie irgendwelche Gerüchte über mich verbreiten könnte?”

“Das könnte sie schon gemacht haben.”

Diese Bemerkung ließ Julia ein wenig unbehaglich reagieren. “Da irren Sie sich. Edith mag mich vielleicht nicht, aber sie würde mir keinen Schaden zufügen.”

Und doch, dachte Steve, hat jemand mit genauso viel Hass im Herzen einen Ziegelstein durch ihr Fenster geworfen.

“Wie haben Sie überhaupt von Edith erfahren?” fragte Julia.

“Detective Hammond hat mir eine Liste der Leute gegeben, die er befragt hat.”

Überrascht schüttelte Julia langsam den Kopf. “Ich bin beeindruckt. Von den täglichen Presseterminen abgesehen, die für ihn eine Qual sein sollen, spricht Detective Hammond so gut wie nie mit Reportern.”

Steve grinste. “Das kommt nur dadurch, dass er noch nie einem Reporter begegnet ist, der seine Leidenschaft für Hockey teilt.”

“Leidenschaft?” Sie lächelte. “Ich hätte nicht gedacht, dass Hammond überhaupt Leidenschaft verspüren kann.”

“Bei diesen schweigsamen Typen kann man sich manchmal irren.”

Er sah zu, wie sie ihre Beine auf dem roten Sofa ausstreckte, und fragte, was wohl ihre Leidenschaft wecken konnte. Sie war da, gleich unter der Oberfläche. Er hatte sie für einen Moment lang gespürt, als sie ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte und als sie so voller Stolz über die “Hacienda” gesprochen hatte. Er verspürte das Verlangen, sie zu berühren, nur um zu sehen, ob er eine Reaktion bei ihr hervorrufen konnte.

Er wollte der Versuchung nachgeben, als sie wieder zu reden begann. “Hat Edith etwas über Gleic Éire gesagt?”

Steve berichtete ihr alles, was er von der tüchtigen Miss Donnovan erfahren hatte. Als er erwähnte, dass er sich als Nächstes vermutlich mit Jennifer Seavers unterhalten wolle, sah sie ihn erstaunt an.

“Jennifer? Wieso?”

“Ich möchte mir gerne das Haus ihres Onkels ansehen, wenn das möglich ist. Ich habe gehört, dass Eli es ihr vererbt haben soll.”

“Das stimmt, aber das FBI hat bereits alles durchsucht, und nach Jennifers Worten recht gründlich. Viel gefunden hat man allerdings nicht.”

Er zuckte mit den Schultern. “Vielleicht hat man etwas übersehen. Wäre nicht das erste Mal.”

“Ich kann sie gerne für Sie anrufen”, sagte sie unerwartet. “Ich kann ihr sagen, dass Sie hier wohnen. Ich glaube, sie hat bei Elis Nachbarin einen Schlüssel hinterlegt, einer Frau namens Esther Hathaway.”

Er war von dem Angebot angenehm berührt, da es seine Arbeit erheblich erleichtern würde. “Das wäre sehr hilfreich. Danke, Julia.”

Aus dem Wolkenbruch war inzwischen ein feiner Nieselregen geworden. Steve stellte seinen Becher ab und stand auf. “Dafür tue ich Ihnen auch einen Gefallen”, sagte er. “Warum zeigen Sie mir nicht, wo Sie die Sandsäcke liegen haben? Irgendwann muss ich schließlich damit anfangen.”

“Sie müssen nicht …”

“Ich weiß.” Er hielt ihr seine Hand entgegen. “Kommen Sie. Zeigen Sie mir, wo sie liegen.”

Er sah, dass sie zögerte, dann nahm sie seine Hand und ließ sich vom Sofa hochziehen.

“Julia!” rief Penny, als sie in Julias Küche gestürmt kam. “Da draußen ist ein griechischer Gott, der vor dem Gasthaus Sandsäcke aufstapelt.”

Julia blickte von ihrem Scheckbuch auf, wo sie versucht hatte, die Beträge zu addieren. “Beruhige dich, Mädchen. Du bist verheiratet, weißt du noch?”

Penny drückte ihre Nase gegen die Fensterscheibe, um besser nach draußen sehen zu können. “Wer ist das?”

“Mein neuer Gast.”

“Sag bloß.” Penny drehte sich, ihre Augen strahlten vor Ausgelassenheit. “Meine Güte, Julia! Schau ihn dir an, dein neuer Gast ist ja ein richtiger Prachtkerl.”

“Wenn du das sagst.”

“Na, komm schon. Erzähl mir nicht, dass dir das nicht aufgefallen ist.”

“Es ist mir aufgefallen, und das ist auch schon alles. Also hör auf, irgendetwas hineinzuinterpretieren. Und komm um Gottes willen vom Fenster weg, sonst wird er dich sehen.”

Penny setzte sich auf die Kante von Julias Schreibtisch. “Wie lange bleibt er? Was macht er? Ist er verheiratet?”“

Julia seufzte ungeduldig auf und klappte ihr Scheckbuch zu. Solange Penny sie in die Mangel nahm, würde sie ihre Finanzen nicht auf die Reihe bekommen. “Sein Name ist Steve Reyes, er ist Reporter für die New York Sun, er lebt auf einem Hausboot in Florida, ich weiß nicht, wie lange er bleibt, und nein, er ist nicht verheiratet.” Sie holte Luft. “So, bist du jetzt zufrieden, Miss Ich-muss-alles-wissen?”

“Tja.” Pennys Gesichtsausdruck wurde besserwisserisch. “Jetzt weiß ich, dass du wirklich sein gutes Aussehen wahrgenommen hast.”

“Und wieso das?”

“Der Mann ist ein Reporter? Und du hast ihn ins Haus gelassen? Schlimmer noch, du hast ihm ein Zimmer vermietet?”

“Ich brauche das Geld.”

“Ah, ja.” Penny machte den Mund auf, als wolle sie noch etwas sagen, doch in dem Moment ging die Hintertür auf, und Steve kam herein. Sein Haar war vom Regen nass und klebte am Kopf, seine Brust hob und senkte sich, da er durch die Anstrengung schwer atmen musste.

“Fertig”, sagte er und trat sich die Füße auf der Türmatte ab. Dann sah er Penny. “Entschuldigung, ich wusste nicht, dass Sie Besuch haben.”

“Oh, ich bin kein Besuch.” Strahlend stürmte Penny vor und streckte ihm ihre Hand entgegen. “Ich bin Julias Freundin Penny Walsh. Und Sie müssen Steve sein.”

Steve schüttelte die Hand der jungen Frau. “Sagten Sie Walsh? Wie in Frank Walsh?”

“Sie kennen meinen Frankie?”

“Andrew hat mir von ihm erzählt.”

“Wenn das so ist, dann müssen Sie Frank auch mal kennen lernen.” Sie warf Julia einen listigen Blick zu. “Vielleicht sollten wir alle vier mal essen gehen. Mögen Sie Meeresfrüchte, Steve? Ich kenne ein wunderbares Restaurant in der Cannery Row, da gibt es die besten Chioppino …”

“Ich muss mich für meine Freundin entschuldigen.” Mit einem Lächeln legte Julia ihre Hände auf Pennys Schultern, drehte sie von Steve fort und schob sie sanft aus dem Zimmer. “Sie ist sehr nett, aber manchmal sehr geschwätzig.”

Mit diesen Worten drängte Julia Penny durch die Tür.

“Wirf ihn genau hierhin, Kleiner.” Julia stand in der Eingangstür der “Hacienda” und sah zu, wie Steve seine Faust in die Vertiefung seines neuen Baseballhandschuhs schlug. “Mit voller Wucht.”

Mit einer Form, die für einen Jungen in dem Alter bemerkenswert war, winkelte Andrew langsam ein Bein an, nahm seinen Wurfarm nach hinten und feuerte den Ball los, der mit einem satten Geräusch in Steves Handschuh landete.

“Guter Wurf!” Steve warf den Ball zurück zu Andrew, der ihn mühelos auffing.

Als der Regen aufhörte, hatten beide die Gelegenheit genutzt und waren nach draußen gegangen, wo sie seit einer Stunde unermüdlich spielten. Julia brachte es nicht übers Herz, sie zu stoppen. Auch wenn sich Andrews Stimmung beträchtlich gebessert hatte, war dies das erste Mal seit über einer Woche, dass er sich für irgendwelche Aktivitäten unter freiem Himmel interessierte. Es war ein gutes Gefühl, zu sehen, dass er sich wieder wie ein ganz normales Kind benahm.

Während sich Andrew auf einen weiteren Wurf vorbereitete, ging Julia zu ihnen nach draußen. “Seid ihr noch immer nicht müde? Ihr spielt seit drei Uhr.”

Steve ließ seine Schultern rotieren. “Erst?”

Sie warf ihm einen amüsierten Blick zu. “In jedem Badezimmer im Haus gibt es eine Salbe gegen Gelenkschmerzen, falls Sie sie benötigen.” Sie winkte Andrew zu. “Komm her, Schatz. Ich muss mit Grandma zum Arzt fahren, und du gehst in der Zwischenzeit zu Tante Penny.”

“Oh, Mom”, jammerte Andrew wehleidig. “Kann ich nicht hier bleiben? Steve hat gestern doch nicht mit mir spielen können, weil es so geregnet hat.”

“Das ist kein Grund, Steves Zeit heute in Anspruch zu nehmen, hörst du?”

Zum ersten Mal hatte sie seinen Vornamen ausgesprochen. Es war unbewusst geschehen, und sie war erstaunt, wie leicht ihr der Name über die Lippen gekommen war. “Ich bin sicher, dass er etwas Besseres zu tun hat, als auf einen kleinen Rabauken wie dich aufzupassen.”

“Eigentlich nicht”, sagte Steve. Er schlug wieder mit der Faust in den Handschuh und zwinkerte Andrew zu. “Außerdem bin ich gerade erst warm geworden.”

Julia zögerte. Sie hatte Andrew noch nie in die Hände eines Fremden gegeben. Irgendwie war es zwischen ihrer Mutter, Penny und Frank bisher nie zu einem Mangel an Babysittern gekommen.

Gleichzeitig fiel es ihr aber schwer, Steve Reyes als Fremden zu betrachten. Nicht mehr jedenfalls. In nur drei Tagen hatte der Reporter ihre sämtlichen Verteidigungslinien durchbrochen oder es geschafft, sich unabkömmlich zu machen. Noch überraschender war die Erkenntnis, dass es ihr gefiel, ihn in ihrer Nähe zu haben. Sie mochte das Geräusch seiner Schritte, wenn er die Treppe herunterkam und wie jeden Morgen zum Joggen ging, ob es regnete oder ob die Sonne schien. Und sie mochte es, wie es im Foyer noch immer nach seinem dezenten After Shave roch, wenn er schon längst das Haus verlassen hatte. Ihr gefiel sogar die Art, wie er sie manchmal ansah, mit dieser Mischung aus Belustigung und Bewunderung.

“Mom, bitte.” Andrews Augen hatten einen flehenden Ausdruck. “Ich bin auch ganz brav. Das schwöre ich.”

“Penny sollte dir bei den Hausaufgaben helfen.”

“Steve kann mir auch helfen. Ja, Steve?”

“Solange ich nichts buchstabieren muss. Ich wurde in sechs Jahren sechs Mal aus dem Buchstabierwettbewerb geworfen.”

“Also …” Julia fühlte, dass sie weich wurde. Andrew schien es so gut zu gehen. Wollte sie ihn jetzt wirklich fortbringen? “Na gut”, sagte sie nach einer Weile. “Ich nehme an, ich kann dir vertrauen, dass du die nächsten Stunden keinen Unsinn machst.” Sie wandte sich dann an Steve. “Aber er muss seine Hausaufgaben machen.”

“Schon verstanden.”

“Sie können mich über mein Autotelefon oder im Haus meiner Mutter oder in der Praxis von Dr. Cantrell erreichen. Die ersten beiden Nummern sind im Telefon gespeichert, die Nummer von Dr. Cantrell finden Sie in dem kleinen roten Buch auf meinem Schreibtisch.”

Steve salutierte mit zwei Finger. “Jawohl, Commander.”

Während Andrew laut lachte, verdrehte Julia die Augen und ging zu ihrem Wagen.

“Willst du reinkommen, Darling?” fragte Grace, als Julia in die Einfahrt fuhr. “Ich habe noch etwas von dem Früchtekuchen, den du so magst.”

Julia schüttelte den Kopf. “Nächstes Mal, Mom. Ich bin seit über einer Stunde weg und weiß nicht, wie lange Steve noch durchhält. Du weißt ja, wie gnadenlos Andrew sein kann.”

“Ach, da würde ich mir keine Gedanken machen. Nach allem, was du mir über deinen Mister Reyes erzählt hast, muss er ein ziemlich fähiger und verantwortungsvoller, junger Mann sein.”

“Er ist nicht mein Mister Reyes, Mom.”

“Wie du meinst.” Grace suchte in ihrer Handtasche nach den Schlüsseln. “Es war sehr nett von ihm, bei Andrew zu bleiben.”

“Andrew hat ihm keine Wahl gelassen.”

Grace warf ihrer Tochter einen Blick von der Seite zu. “Ich glaube, ich würde ihn gerne mal kennen lernen.”

Sofort wurde Julia misstrauisch. “Warum?”

“Weil er charmant zu sein scheint. Und weil ich gerne einen Blick auf den Mann werfen würde, der auf meine Tochter eine solche Wirkung hat.”

Julia fühlte, dass sie rot wurde. “Wirkung? Was redest du da? Er hat gar keine Wirkung auf mich. Hast du etwa mit Penny gesprochen?”

Grace zog den Schlüsselbund aus der Tasche hervor. “Ach ja, jetzt, wo du das erwähnst. Sie war gestern kurz bei mir.”

“Und was hat sie gesagt?”

“Dass Steve Reyes sehr gut aussieht und sich im Gasthaus sehr nützlich macht, was doch ziemlich ungewöhnlich ist, oder nicht?” In ihren grünen Augen sprühte Humor. “Normalerweise lässt du doch deine Gäste nicht für dich arbeiten, oder? Und du lädst sie auch nicht zum Frühstück mit dir und Andrew ein.”

“Woher weiß Penny das mit dem Frühstück?”

“Weiß sie nicht, Andrew hat es mir gesagt. Dein neuer Gast hat bei ihm einen ziemlichen Eindruck hinterlassen.”

Julia wusste, dass ein weiteres Abstreiten sinnlos war, vor allem wenn Grace und Penny und auch noch Andrew sich gegen sie verbündet hatten. Sie schüttelte frustriert den Kopf. “Ich muss los.”

Grace beugte sich hinüber und gab Julia einen Kuss auf die Wange. “Danke, dass du mich zum Arzt gefahren hast, Darling. Ich stelle mich immer an wie ein Baby, wenn es um Ärzte geht.”

Julias Verärgerung verschwand sofort. “Und dabei musstest du dir gar keine Gedanken machen. Dr. Cantrell hat dich wie immer für kerngesund erklärt.”

“Ich weiß. Und wie immer tut es mir hinterher Leid, dass ich dich mitgeschleppt habe.” Grace öffnete die Wagentür. “Beeil dich, Schatz, deine beiden Männern warten bestimmt schon auf dich.”

Julia wollte etwas erwidern, doch da hatte Grace bereits die Tür hinter sich ins Schloss fallen lassen.

Steve, Andrew und ein ihr unbekannter Mann saßen am Küchentisch, als Julia zur “Hacienda” zurückgekehrt war.

Ein neuer Gast? überlegte sie und fühlte sich plötzlich von neuer Hoffnung erfüllt. Oder ein Freund von Steve?

Während der Fremde sich zu ihr umdrehte, legte sie ihre Handtasche auf den Schreibtisch und betrachtete den Mann eindringlich. Sie schätzte ihn auf Anfang bis Mitte sechzig. Über seinen blauen Augen lag aus einem unerfindlichen Grund ein Schleier, tiefe Falten zogen sich um seinen Mund, er hatte angegrautes Haar und einen breiten Brustkorb. Er trug eine sorgfältig gebügelte dunkelgrüne Hose und ein rotes Polohemd.

Ohne zu wissen, warum, ging Julia nicht auf ihn zu, um sich vorzustellen. Stattdessen blieb sie wie angewurzelt stehen, ihre Augen auf den Mann geheftet.

Der Fremde rutschte mit dem Stuhl nach hinten und stand auf.

“Hallo, Prinzessin”, sagte er.