KAPITEL FÜNF

 

Das Wasser lief ihm über das Gesicht, lief ihm in die Nase und in den Mund, wieder und wieder und wieder. Er wand sich und kämpfte, verzweifelt … erstickte … aber es stieg weiter an, schnell und kalt, strömte unnachgiebig weiter rein, noch stärker, noch schneller.

Er konnte nicht atmen.

Wasser war überall in ihm, drosch auf ihn ein, prügelte ihn, während die Welt um ihn finster wurde.

Endlich riss sich Fence mit einem verzweifelten Aufbäumen raus, prallte von dem Traum wieder in den Wachzustand zurück. Erleichterung.

Er blieb noch einen Moment liegen, zitterte, sein Atem zu rau und zu schnell, das Herz schlug ihm wild in der Brust.

Er brauchte ein Weilchen, um sich daran zu erinnern, wo er war ... und dann brachte das Mondlicht und der Anblick einer Bleistiftzeichnung von drei Mädchen, die Springseil spielten, ihm die Erinnerung wieder. Auf dem zu kurzen Sofa in Anas kleinem Häuschen.

Seine Finger vergruben sich in dem Quilt, die Augen weit aufgerissen und er fluchte leise. Fuck. Er hoffte, dass er nicht zu laut gewesen war. Er hätte draußen unter den Sternen auf einem Feldbett schlafen sollen, wie er es vorgehabt hatte, anstatt Anas Angebot von ihrem Sofa sofort anzunehmen. Das Letzte, worauf er Lust hatte, war, ihr oder ihrem Vater seine Albträume zu erklären.

Fuck. Fuck. Fuck.

Sogar jetzt noch, als er wach war, mit offenen Augen und wild polterndem Herzen, musste er drum kämpfen, sich aus dem Traum rauszuhalten. Der zerrte immer noch an ihm, versuchte ihn wieder zurück, hinab in jenen Strudel, zu ziehen, in dem er zweimal fast ertrunken wäre.

Nein. Mittlerweile dreimal.

Fence wusste, dass es ihm heute Nacht nicht mehr gelingen würde einzuschlafen ... und er wollte es auch gar nicht, selbst wenn er es könnte. Der Zwischenfall am Teich heute – das erste Mal seit Jahren, dass er im Wasser gewesen war – war zu neu und aufwühlend. Er wusste, die Albträume würden wiederkehren, sobald er in den Schlaf zurückglitt.

Leise glitt er von dem Sofa runter und warf das Quilt einfach wieder darauf. Auf leisen Sohlen ging er barfuß ans Fenster. Der Mond nahm gerade zu, war etwa auf die Hälfte angewachsen, und die Sterne waren unglaublich – wie ein Stück glitzernder Spitze.

Er wurde nie müde, die Schönheit des Nachthimmels zu sehen – so viel sauberer und klarer als der, den er zuvor gekannt hatte. Da war Mars, nicht an der Stelle, wo er im November normalerweise sein sollte, sondern auf seiner neuen Position – jetzt, wo die Erdachsen gekippt waren. Und der Nordstern ... nicht ganz so nördlich wie sonst, sondern ein bisschen weiter östlich aufgehängt.

Da unten und noch ein Stückchen jenseits des Pfades zu dem Häuschen, sah Fence das Meer, hörte sein Tosen, als es an den Strand preschte; schwarz wie Tinte und mordlustig, bis auf einen im Mondlicht silbrig schimmernden Pfad. Das altbekannte Gefühl dieser Enge in der Brust kam da wieder, gefolgt von einem panischen Schauder in seiner Magengrube und er fluchte heftig aber ohne zu sprechen. Wütend auf sich selbst. Zutiefst beschämt.

Allein der Anblick von Wasser machte ihn zum Wrack. Selbst aus dieser Entfernung. Der Geruch des Meeres, das Geräusch der Wellen, die sich am Strand brachen, oder an einem See. Oder auch nur das Geräusch von Stromschnellen ... all das brachte den Terror, die lähmende Angst, wieder.

Teufel nochmal, wenn er in der Dusche stand und das Wasser ihm ins Gesicht spritzte, wurde er manchmal schon panisch. Sein Kiefer spannte sich an.

Welche Art von Frau würde so was denn verstehen, Scheiße nochmal?

Wie konnte ein Kerl wie er nur so ein beschissener Angsthase sein?

Das erste Mal war es passiert, als er siebzehn war. Er und ein Kumpel, Brian, waren im See geschwommen. Beide ausgezeichnete Schwimmer, ohne jegliche Furcht vor dem Wasser. Bis zum heutigen Tage konnte er nicht begreifen, wie es gekommen war, aber Brian geriet in Schwierigkeiten. Hing an irgendwas fest oder hatte einen Krampf oder was auch immer ... und so war Fence losgeschwommen, um ihm den Arsch zu retten.

Aber wie die meisten Ertrinkenden war Brian schon jenseits von Panik. Er war groß und stark – größer noch als Fence – und er verkrallte sich in seinen Kumpel, der gerade versuchte ihn zu retten, und sie beide verhedderten sich, während Brians Finger sich an seinem Kopf eingruben, bei dem verzweifelten Versuch, mit Fence als Leiter hochzuklettern und aus dem Wasser zu kommen. Das schob Fence nach unten, weiter runter, wo er sich weder bewegen, noch atmen konnte. Es war dunkel und kalt und Brian war über ihm, griff blind um sich, klammerte, kletterte, trat nach ihm, kratzte ... und Fence konnte den Atem nicht mehr anhalten, er konnte sich nicht befreien...

Die Erinnerung, so wie auch der Traum dazu, überwältigte ihn jetzt. Und auf einmal war er wieder mitten in dem tiefen, dunklen See, fühlte, wie seine Lungen kurz davor waren, zu bersten, und das Wasser auf ihn eindrückte, während er sich drehte und wand und mit seinem Freund kämpfte. Fence war endlich befreit worden, endlich weggezerrt worden, hin ans Ufer, von jemandem, der sein Handwerk als Rettungsschwimmer verstand.

Brian war gestorben und Fence beinahe auch. Das war der Anfang seiner Alpträume.

Wenn er anders hätte handeln können, wenn er stärker gewesen wäre, cleverer, schneller... Aber nein.

Brian war nicht mehr da.

Das zweite Mal war sechs Jahre später. Nachdem Brian ertrunken war, hatte Fence die daraus resultierende, panische Angst vor dem Schwimmen nie überwunden, das Gefühl von Hilflosigkeit. Aber widerstrebend erklärte er sich bereit, bei einem Wildwasserrafting Trip seiner alten Pfadfindertruppe mitzumachen. Es wäre ok, redete er sich ein. Er hätte eine Schwimmweste an, sie wären in Kajaks und ein Führer wäre dabei. Er würde ein für allemal beweisen, dass er über diese kindische Phobie weg war. Grundgütiger, ein großer, starker Kerl wie er? Nicht einmal seine vierjährige Nichte zögerte in den See hineinzuspringen. Mit Wasser bis über den Kopf.

Und außerdem: Er würde nicht mal ins Wasser rein müssen, außer um seine Hände zu waschen und das Boot aus dem Wasser rauszutragen. Es war höchste Zeit, dass er diese lächerliche Angst überwand.

Irrtum.

Entweder Gott oder der Teufel hatten ihn auf dem Kieker, denn etwa nach der Hälfte der Reise prallte sein Kajak irgendwo in den Stromschnellen übel gegen etwas, und es schleuderte ihn aus dem Boot. Das Wasser war tief genug, dass er nicht gegen die Felsen auf dem Grund knallte, aber es riss ihn auch etwa fünf Kilometer stromabwärts mit sich mit. Aber nicht einmal das hätte ihn zu dem Nervenbündel gemacht, das er jetzt war. Als er dann aber über einen der rauschenden Wasserfälle abgetrieben wurde, verfing sich seine Schwimmweste in einem der unter Wasser verhedderten Äste und er blieb dort hängen, verdreht und rücklings festgeklemmt. Außerstande, sich zu befreien.

Und die ganze Zeit über rauschte ihm das Wasser über das Gesicht, über die Nase, über den Mund. In großen, heftigen Brechern, während er versuchte sich gerade aufzurichten, auf die glitschigen Felsen hochzuziehen. Es war wie beim Waterboarding, erzählte er Lenny später. Kein Wunder nennt man das Folter.

Er steckte nur fünf Minuten so fest, so erzählte man es ihm zumindest, aber mehr war nicht nötig. Fünf Minuten Kampf darum, in einer Sturmflut von Wasser zu atmen, die Kräfte mal nachlassend, mal ansteigend bei der Chance Luft zu kriegen, während er die ganze Zeit wieder und wieder gegen die scharfen Felskanten gedrückt wurde. Und er war fertig.

Bind eine verfickte Schleife drum und weg.

Er würde nie wieder ins Wasser oder in die Nähe davon gehen.

Und das war er nicht ... bis heute.

Und selbst da war er so unfähig und feige gewesen wie nur möglich. Hatte fast noch eine Tragödie verursacht.

Fence fluchte erneut, es kam ihm bitter hinten in der Kehle hoch. Was zum Teufel stimmt mit mir nicht?

Lenny hatte es kapiert. Er war auf dem Kajak-Trip mit dabei gewesen und hatte gesehen, was Fence durchmachen musste. Sie hatten sogar drüber geredet, über das Irrationale seiner Ängste, über seine Schuldgefühle, dass er Brian nicht retten konnte ... und Lenny schaute ihn dabei nicht einmal komisch an. Aber Fence fühlte sich, als wäre er nur ein halber Mann. Als hätte er ein scheißgroßes Fehlerschild wie ein Brandmal auf der Stirn.

„Wir haben alle was“, hatte Lenny dazu gesagt und Weisheit brannte in seinen Augen, als er Fence am Handgelenk packte und fest drückte, von Herzen. „Wir haben alle was.“

Und hier stand er nun: ein verdammter Survivor in einer wilden Welt ... der nicht einmal bis zu den Knien ins Wasser gehen konnte, ohne zum Baby zu werden.

Und scheiß drauf ... er spürte, wie er an dem Fenster rot anlief, die sanfte Meeresbrise kühl an seinem nackten Oberkörper. Ana hatte ihn danach gesehen ... was zum Teufel dachte sie jetzt nur über ihn? Jemand, der sich die Seele aus dem Leib kotzte, nachdem er aus einem Winz-Teich wie dem da rausgeklettert war. Er schloss die Augen – bitter – und schüttelte den Kopf. Das war’s dann mit der Sonnengöttin.

Sicher, sie hatte sich nachher am Strand von ihm küssen lassen – und was für ein Wahnsinnskuss noch dazu! Aber das war nur er gewesen, der die günstige Gelegenheit beim Schopf gepackt hatte. Das war eben das, was er so tat.

Und ja, sie hatten diesen gemütlichen, häuslichen Moment da in ihrer Küche gehabt ... und da war die Art, wie sich ihre Blicke getroffen hatten, als er mit den Kleinen gerade „Fang den Bär“ spielte, das Knistern und die Wärme, die da aufkam ... aber ... fuck.

Eine kluge, wunderschöne Frau wie Ana würde von einem Kerl das Gesamtpaket haben wollen ... und das konnte er ihr einfach nicht liefern.

 

~*~

Nach ihrem frechen Schlagabtausch und diesem superheißen Kuss am Strand bei Glenway, war Ana wider Willen überrascht, dass Fence ihr Angebot, die Nacht auf dem Sofa zu verbringen, angenommen hatte, ohne irgendwelche Andeutungen – ob nun ernst oder scherzhaft gemeint – zu machen. Nicht einmal einen Gutenachtkuss nach einigen Gläsern von dem Met.

Nicht dass sie das Angebot angenommen hätte ... aber... Er hätte ein Angebot machen können. Oder zumindest andeuten können oder darüber scherzen.

War es möglich, dass es ... ihm nicht gefallen hatte sie zu küssen? Oder dass ihr verkrüppeltes Bein ihn anekelte?

Nicht dass es jetzt einen Unterschied gemacht hätte, außer dem Knick für ihren Stolz. Es war eine Frage des Selbsterhaltungstriebs, dass sie ihn auf Abstand halten und selber alle Kleider anbehalten musste.

Als sie in Richtung Envy aufbrachen, schien Fence ernst und fast unnahbar.

Während er sie über die lange, weit ausgedehnte Fläche eines alten Highway führte, sprach er sie kaum direkt an. Von dem ursprünglichen Beton war nur noch wenig übrig, bis auf wahllos verstreute Inselchen von Zement mit einem Streifen Gras, so breit wie ein Fluss, mit Büschen, Gestrüpp und Bäumen. Ein paar alte Schilder sagten, dass es sich entweder um Highway 309 oder 809 handelte.

Sie ritt natürlich auf Bruiser, denn zu Fuß hätte sie die Reise nie geschafft. Und Dad hatte sein eigenes Reittier. Sie hatte darauf bestanden, dass er ritt – trotz all seiner Gegenargumente.

„Es macht überhaupt keinen Sinn, es zu verschlimmern, was auch immer mit dir los ist“, widersprach sie ihm ihrerseits. „Wenn Elliott sagt, es ist alles in Ordnung mit dir, dann kannst du nach Glenway zurücklaufen, wenn du dich dann besser fühlst.“

Dad hatte gemault und sich beschwert, aber er hatte seinen schlaksigen Körper hoch aufs Pferd geschwungen und zu dem Thema nichts mehr gesagt. Stattdessen verlegte er sich mit seiner etwas zwanghaften Sorgfalt darauf, nach der Sicherheit und Stabilität der Ampullen und Flaschen und kleinen Schalen zu sehen, die er nach Envy transportierte – eine Auswahl seiner Experimente, die er während seiner Abwesenheit nicht unbeaufsichtigt lassen wollte. Ana war froh, ihm diese Aufgabe zu überlassen.

Sie versuchte sich keine Sorgen darüber zu machen, was mit ihrem Vater nicht in Ordnung sein könnte und ob dieser Elliott-Mensch ihm wohl helfen könnte. Er würde Dad natürlich untersuchen müssen, aber es gab an ihrem Vater nichts zu entdecken, nichts in der Art der Energie-Edelsteine, die in ihrem eigenen Körper eingepflanzt waren. Als sie noch alle mit den Atlantern zusammen gelebt hatten, hatte er die schützende Insel kaum verlassen, um ins Meer zu gehen, und hatte daher auch keine Kristalle zum Atmen nötig gehabt ... zumindest nicht, bis sie geflohen waren. Da hatte sich sein Defizit allerdings fast als tödlich erwiesen und hatte Ana um ein voll funktionstüchtiges Bein gebracht – ebenso wie um fast alle ihre Erinnerungen an ihr Leben in Atlantis.

Das war vor über zwölf Jahren passiert, aber sie gab sich keinen Illusionen hin, dass die Familie ihrer Mutter nicht immer noch nach ihnen suchte. Ana durchlief ein Schauder, als sie sich an jene schreckliche, wirbelsturmartige Nacht erinnerte, ganz kurz nach dem Tod ihrer Mutter ... und lenkte ihre Gedanken wieder in die Gegenwart zurück.

Nur Fence war zu Fuß unterwegs, aber er schritt in einem gleichmäßigen Tempo voran, anscheinend ohne je müde zu werden. Sie und Dad hatten ihre Pferde auf eine gemütliche Gangart gedrosselt, und wann immer sie Rast einlegten – was, um ihren Vater hier insgeheim Erleichterung zu verschaffen, recht oft passierte –, ging Fence voraus und erkundete die Route.

Selbst wenn sie unterwegs waren, hielt er oft an, um zu lauschen, um an der Luft zu riechen, um auf ein altes Auto oder einen Haufen aus sonstigem Schrott zu klettern und in die Ferne zu blicken. Er zeigte auf die Stelle, wo eine Elefantenmutter mit ihrem Kalb durch das Unterholz getrampelt war, und auf eine Stelle unter einem niedrigen, weit ausladenden Baum, wo eine Meute verwilderter Hunde geschlafen hatte. Er fand schwarze Brombeeren, wilden Mais, wild verschlungene Gurkenpflanzen und essbare Pilze. Einmal hielt er eine Hand hoch, legte einen mahnenden Finger an die Lippen und zeigte hin zu einem wilden Pfau, der sein eher unscheinbares Weibchen umwarb.

Ana wusste, sie hätte keines dieser Dinge erkannt oder auch nur bemerkt, wenn sie mit jemand anderem gereist wäre. Es gab ihr ein neues Gefühl der Wertschätzung für einen Teil der Welt, den sie – im Gegensatz zu ihrem geliebten Meer – einfach als selbstverständlich hingenommen hatte ... und auch eine höhere Wertschätzung für den Mann, der mit ihnen reiste.

Als sie die Überreste des Highway hinter sich ließen und anfingen etwas raueres Terrain zu durchqueren, führte Fence sie über ein weites, offenes Feld mit einer großen, weißen Stange am Ende. Hinter der Stange war eine alte, elektrische Tafel, längst zerfressen und verwittert. Zu einer Seite befand sich ein riesiges, verdrehtes Metallobjekt.

„Das hier war früher mal ein Football-Platz“, erzählte Fence ihnen und unterbrach sich für einen Moment. „Die weiße Stange am Ende ist das Tor – der obere Teil ist abgebrochen. Früher sah es aus wie ein weites, flaches Y. Da drüben war früher die Tribüne, wo alle gesessen haben.“ Er zeigte auf das verrostete, klapprige Metallgestell, das wie eine hohe, weite Treppe aussah.

Jetzt, wo er es mit den fehlenden Bildern füllte, konnte Ana es erkennen und erinnerte sich an Szenen von den DVDs, in denen Football-Spiele vorkamen. Sie erkannte einen traurigen Unterton in seiner Stimme und schaute ihn neugierig an. Er stand da, schaute das Feld entlang und wieder zurück, auf dem nun Grashuppel und niedrig wachsende Büsche wuchsen.

Dann, als wolle er den kurzen Abstecher in eine Art nostalgisches Zauberland abschütteln, setzte Fence sich wieder in Bewegung. „Wir schlagen in etwa einer Stunde Nachtlager auf“, sagte er, aber seine Stimme klang ungewohnt leise und rau. „Da weiter oben ist ein Platz, der ganz gut aussieht, mit genug Platz für die Pferde.“

Etwas später, als sie sich in einem heruntergekommen Haus zur die Nacht eingerichtet hatten, sagte er, „ich schätze, ich halt jetzt mal Nachtwache.“ Er blickte kurz zu dem kleinen Feuer, das sie in einer alten Spüle gemacht hatte. Rauch stieg zu dem kleinen Fenster darüber nach draußen und noch weiter draußen war die Sonne untergegangen und die Welt in Schatten versunken. „Ihr beide könnt schlafen gehen.“

„Warum willst du Wache halten?“, fragte Ana, während sie den Rucksack mit Essen auspackte, das sie vorbereitet hatte. „Die Zombies können die Treppe nicht hochklettern, um hierher zu kommen.“

„Könnte alles Mögliche sein. Wildkatzen oder Kojoten. Oder verwilderte Hunde. Andere Eindringlinge.“

„Oh“, sagte Ana und dachte daran, dass das Brüllen und das Heulen, das sie von Glenway aus – und aus sicherer Distanz – gehört hatte, genauso gut von lauernden Pumas oder Wölfen sein könnte. Und dann schauderte es sie – denn als sie und ihre Freundinnen unlängst ihren Trip nach Envy gemacht hatten, hatten sie niemand aus ihrer Gruppe dazu abgestellt, nachts Wache zu schieben.

Dann ging ihr auf, was er gesagt hatte: andere Eindringlinge. So was wie ... andere Leute?

„Das sieht gut aus“, sagte Fence und spazierte rüber zu dem Paket von zartem, gegrillten Thunfisch, das sie gerade ausgepackt hatte. „Brauchst du Hilfe?“

Ana schüttelte den Kopf. „Nein, ich komme klar.“

Sie dachte, dass er sich vielleicht auf den verstaubten Sessel setzen würde, dessen Polsterung schon längst angenagt oder verrottet war – aber das tat er nicht. Stattdessen nahm er den Thunfisch, eingewickelt in ein Stück flaches, weiches Brot, den sie ihm anbot und ging in dem Raum auf und ab, wobei er aus jedem Fenster schaute. Nach was hielt er Ausschau?

Oder nach wem?

Sie waren gerade dabei, das Abendessen zu beenden, als Fence ein warnendes Geräusch machte und sich vom Fenster wegdrehte. „Mach das Feuer aus. Jetzt sofort.“

Bevor sie reagieren konnte, eilte er schon quer durch den Raum, um die klapprige Treppenkonstruktion, auf der sie hier hochgeklettert waren und die sie dann hinter ihnen her hochgezogen hatten, wieder für den Abstieg bereit zu machen. „Bleibt hier“, sagte er. „Und weg von den Fenstern. Ich muss die Pferde verstecken gehen.“

Ana hatte schon ein Tuch über das kleine Feuer geworfen und jetzt starrte sie ihn mit offenem Mund an. “Was–?“

Aber er war verschwunden, geschmeidig und leise und schnell – und ließ sie gereizt und nervös zurück. Sie tauschte mit George eine Blick aus, der von seinem ewig präsenten Notizbuch nur kurz aufgeblickt hatte.

„Wahrscheinlich ein Wolf oder so was“, brummte ihr Vater und kehrte dann zu seinen Aufzeichnungen zurück.

Aber Ana war anderer Ansicht. Sie schlich sich auf die Seite zu dem Fenster, wo Fence gestanden und in die Dunkelheit raus gestarrt hatte.

Zuerst bemerkte sie nichts Besonderes. Aber dann hörte sie ein unbekanntes Poltern in der Ferne und im gleichen Augenblick fielen ihr zwei Lichter auf, tief unten am Boden, genau hinter einem niedrigen Hügel.

Zuerst wollte sie ihren Augen nicht trauen ... aber als das da draußen weiterrollte und sie das Geräusch von einem sich nähernden Motor hörte, gab sie ihrer ersten Einschätzung der Lage Recht.

Es war ein Fahrzeug.

 

~*~

Fence schlüpfte hinaus, ins Gras hinein und schlich sich an der von Efeu bedeckten Hauswand entlang. Es gab nicht viel, was er tun konnte, um die Pferde vom Schnauben und Wiehern abzuhalten, außer sie weit nach drinnen in einen alten Vorratsraum zu schaffen, hier drin in dem, was wohl mal ein kleines Bürogebäude gewesen war. Das war das Beste, was er tun konnte, um ihre Geräusche zu dämpfen.

Es gab keinen Grund anzunehmen, dass die Fremden oder ihre Kopfgeldjäger – denn sonst hatte niemand Zugang zu motorisierten Fahrzeugen – genau hier an diesem Gebäude anhalten würden, von allen anderen überwucherten, die sonst noch hier in dem ehemaligen Vorort standen, aber Fence war der Ansicht, dass man nie vorsichtig genug sein konnte. Ana hatte schnell reagiert und die Flammen gelöscht und es war unwahrscheinlich, dass das helle Flackern oder der Rauch von jemanden in dem Auto da gesehen worden war, wer auch immer drin saß.

Fence zog los in die Richtung, wo er die Scheinwerfer gesehen hatte, leise wie eine Katze und auch flink, durch stachelige Bäume durch, über kleine Erhebungen und dann ein paar Spalten runter und um Müllansammlungen herum. Seine Sinne waren nicht nur auf das gelegentliche Auftauchen der Lichter da vorne fixiert, sondern auch auf seine unmittelbare Umgebung: Auf alles, angefangen von sich anpirschenden Raubtieren bis hin zu Zombies ... und auch auf den Geruch oder die Geräusche von Wasser. Das Letzte, was er wollte, war kopfüber in eine Art Teich oder Fluss reinfallen.

Er wusste, es war eher unwahrscheinlich, dass er das Fahrzeug einholen würde; ebenso unwahrscheinlich, dass es die Richtung beibehielt. Aber er dachte sich, dass er es einfach mal riskierte. Die Gelegenheit, die da auszuspionieren oder zu belauschen, würde er sich nicht entgehen lassen.

Es war schwer genug, bei Tag auf unebenem Gelände und über nicht vorhandene Straßen zu fahren, aber fast unmöglich in der Dunkelheit, ohne eine Achse durchzubrechen oder einen Reifen zu ruinieren. Daher ging Fence davon aus, dass sie schon bald Halt machen müssten.

Das tiefe Brummen von etwas, was sehr wahrscheinlich ein Humvee war, zerstörte die Stille der Nacht und von den aufheulenden Geräuschen und ihrem Nachlassen, konnte Fence berechnen, in welche Richtung der fuhr. Er korrigierte seine eigene Marschrichtung und sein Herz begann schneller zu schlagen, als er kapierte, dass der Truck langsamer wurde ... vielleicht anhielt.

Das könnte was Gutes werden, wenn er nah genug rankam, um mitzuhören, was los war.

Fence legte eine schnellere Gangart ein und hielt dann an, presste sich gegen die kratzige Rinde eines Baumes, als er einen geschmeidigen Katzenschatten durch das Unterholz streifen sah. Neben anderen Dingen trug er auch stets ein Messer bei sich, aber er brachte es nicht gern zum Einsatz ... und als der Panther nichts anderes machte, als ihn mit einem bernsteingelb-grünen Blick zu streifen und dann weiter seines Weges zu ziehen, stieß er erleichtert den Atem aus. Er hatte sich mal mit einem Wolf angelegt, mit dem Messer in der Hand gegen Zähne und Klauen, und hatte den Ring als Sieger verlassen ... aber er hatte den Sieg nicht im Mindesten genossen. Im Nahkampf war er lieber ein Liebhaber als ein Kämpfer.

Er grinste da insgeheim im Dunkeln.

Fence hörte das Brummen nun etwas lauter, dann ein kleines Quietschen und dann Stille. Das Geräusch einer zuschlagenden Tür, dann noch eine. Leise Stimmen.

Ja.

Rasch warf Fence einen Blick nach hinten, um sich zu vergewissern, dass der Panther nicht einen Bogen zurück zu ihm geschlagen hatte, und pirschte dann vorwärts, bewegte sich selbst wie ein Schatten von Baum zu eingefallenem Haus zu überwuchertem Auto.

Das Geräusch von Wasser, das in den Boden sickerte, brachte Fence kurz zum Stillstand, und es wurde ihm kurz ganz klamm, bis er verstand, dass einer der Männer gerade pinkelte ... etwa sieben Meter weg, auf der anderen Seite eines umgestürzten Baums. So wie sich das anhörte, hatte der Kerl entweder einiges intus oder es war schon ein Weilchen her, dass sie eine Pinkelpause eingelegt hatten. Ein echt langes Weilchen.

„Fertig?“, kam jetzt eine Stimme von weiter weg.

„Moment noch“, rief der, der Fence am nächsten stand, zurück, immer noch mit seiner Evakuierungsmaßnahme beschäftigt.

Ein Krachen in den Büschen verkündete das Eintreffen von demjenigen weiter weg und Fence hockte sich tiefer in die Schatten, als er etwas weiter entfernt die Bewegung von einem Umriss wahrnahm.

In der Zwischenzeit war der erste Kerl immer noch am Pinkeln.

„Bist du dann soweit?“, sprach der Neuankömmling.

„Jep.“, erwiderte er.

„Himmel Herrgott, was dauert denn bei dir so scheißlang, Graves?“

„Ich pisse grade“, erwiderte Graves und das Geräusch herabfallenden Wassers wurde schwächer ... um dann wieder anzuschwellen. Fence konnte sich ein stilles Grinsen nicht verkneifen. Der Kerl konnte eine Bewässerungsanlage am Laufen halten, wenn er so weitermachte.

„Roofey wird angepisst sein, wenn wir nicht rechtzeitig am Treffpunkt sind. Er freakt total aus, weil wir diesen Quent-Kerl finden müssen, bevor der herausfindet, wie’s geht. Ich wette, dass er in Envy ist.“

„Was werden wir tun – da einfach reinspazieren und nach ihm fragen?“

„Ich hab’s dir doch gesagt – wir müssen ihn nicht mal treffen, Graves. Nur sicherstellen, dass er dort ist – ein bisschen rumfragen und so. Und dann der Natur ihren Lauf lassen. Das wird sich alles deutlich gemütlicher gestalten – und beide Probleme endgültig lösen.“

Als der letzte Strom versiegte, ein paar letzte Spritzer noch, kam dann das Rascheln von Stoff und das metallene Klink von einem Gürtel, der wieder geschlossen wurde. „Was, wenn er nicht dort ist?“

„Dann suchen wir weiter. Wir werden ihn finden“, sagte der zweite Typ. „Aber es macht eigentlich keinen Unterschied.“ Seine Stimme war leiser, als ob er sich umgedreht hätte, und dann gab es eine ganze Menge Krachen im Unterholz, als sie sich entfernten.

Fence lauschte angestrengt, um bei dem Lärm noch was zu hören, während er sachte – ganz, ganz sachte – hinter ihnen herschlich.

„Warum?“, sagte Graves, seine Worte von irgendwas gedämpft.

„Roofey hat mir erzählt, Kaddick hätte gesagt, dass es in ein paar Wochen sowieso kein Envy mehr geben wird, in dem Quent sich verstecken könnte.“