Barbarossa weigerte sich, mit den anderen
Kindern in einem Zimmer zu schlafen. Stattdessen machte er es sich
auf dem Sofa im salotto bequem. Ida
ließ ihn gewähren, aber sie schloss ihn vorsorglich ein, was
Barbarossa nicht bemerkte. Dann brachte sie Victor noch zur Tür und
ging schlafen.
Scipio war schon lange fort. Er hatte sich von Mosca etwas von dem
Geld geben lassen, das sie noch von dem Handel mit Barbarossa
besaßen, und war in die Nacht verschwunden. Wohin er wollte, sagte
er nicht. »Wie früher«, murmelte Wespe, als sie ihm von Idas Balkon
aus nachblickten.
Die Nacht verschluckte Scipio, und sie blieben zurück mit seinem
Versprechen, bald wiederzukommen. Und mit einer seltsamen
Traurigkeit, die sie enger zusammenrücken ließ. Jeder von ihnen
wusste, woran die anderen dachten – an einen Vorhang voller Sterne,
an eine Tür in einer schmalen Gasse, an Matratzen auf dem Boden und
mäusezerfressene Sessel. Und an Gold und Silber aus dem Beutel des
Herrn der Diebe. Alles verloren.
»Kommt, lasst uns reingehen«, sagte Wespe irgendwann. »Es fängt
wieder an zu regnen.«
Sie gingen hinauf in ihr Zimmer, wo an der Wand das Stück Vorhang
hing, das Victor abgeschnitten hatte. Ida hatte ihnen einen Teppich
auf den kahlen Boden gelegt, und die Wände schmückte das, was sich
im Kino noch hatte retten lassen. Aber so manches Foto, so manches
Bild hing immer noch dort an der Wand über ihren leeren Matratzen
und auch das, was sie gemalt und gekritzelt hatten, hatten sie
nicht mitnehmen können. Müde krochen sie unter ihre Decken. Doch
keiner von ihnen fand Schlaf, nicht einmal Bo, dem sonst die Augen
zufielen, sobald er den Kopf aufs Kissen legte. »Das wäre was, wenn
Barbarossa sich bei eurer Tante einnisten könnte«, sagte Mosca
irgendwann in die Dunkelheit hinein. »Aber was machen wir? Jetzt,
wo Prop wieder da ist und Bo auch. Hat da irgendeiner schon eine
Idee?«
»Nee«, brummte Riccio in sein Kissen. »So was Gutes wie das
Sternenversteck kriegen wir nie wieder. Schon gar nicht mit einer
Tasche Falschgeld. Und von dem anderen Geld ist auch nicht mehr
viel übrig. Vielleicht finden wir in Castello was. Da stehen viele
Häuser leer.«
»Wieso?« Bo richtete sich so abrupt im Bett auf, dass er Prosper
die Decke wegzog. »Ich will gar kein neues Versteck. Ich will hier
bleiben. Bei Ida!«
»Ach, Bo!« Wespe knipste die Lampe an, die Ida ihr ans Bett
gestellt hatte, damit sie abends noch lesen konnte. »Hört euch den
Zwerg an«, spottete Riccio. Er lehnte den Rücken gegen die Wand und
wickelte sich die Bettdecke um den mageren Körper. »Weiß Ida schon
von der Ehre? Also, ich werde mich morgen mal in Castello umsehen.
Wie sieht’s mit euch aus?« Mosca nickte. »Klar, ich bin dabei«,
murmelte er und blickte aus dem Fenster, als wollte er ein Loch in
die Nacht starren. Wespe griff nach einem der Bücher, die sie sich
aus Idas Regal geholt hatte, und begann gedankenverloren darin
herumzublättern.
»Ich bleib aber hier!«, wiederholte Bo und verschränkte störrisch
die Arme. »Jawohl.«
»Du schläfst jetzt«, sagte Prosper, drückte ihn zurück aufs Kissen
und deckte ihn zu. »Darüber reden wir morgen.«
»Da können wir hundert und tausend Jahre drüber reden!«, rief Bo
und strampelte die Decke weg. »Ich bleib hier. Meinen Katzen
gefällt es auch hier, weil sie Lucias Hunde ärgern können, und
Victor holt mich und Ida ab und wir gehen Eis essen und Lucia macht
mir Lieblingsnudeln und…«
»Na und?«, unterbrach Riccio ihn. »Als Nächstes werden sie dir
erzählen, dass du zur Schule gehen musst und wann du schlafen und
was du essen sollst und dass du dich öfter waschen musst. Nein
danke! Mann, wir kommen schon so lange allein zurecht, da lass ich
mir doch nicht erzählen, dass ich zu jung zum Rauchen bin oder dass
meine Fingernägel dreckig sind. Nein, meine Herren, nicht mit
Riccio.«
Ein paar Augenblicke lang schwiegen die anderen. Dann sagte Mosca
mit gemächlicher Stimme: »Mann, das war ja eine richtige Rede,
Riccio.«
Wespe legte ihr Buch weg, tappte auf nackten Füßen zum Fenster und
blickte hinaus.
»Ich würde auch gern hier bleiben«, sagte sie, so leise, dass die
anderen sie kaum verstanden. »Es ist besser als alles, was ich mir
vorgestellt habe.«
»Du spinnst«, sagte Riccio und kroch gähnend wieder unter seine
Decke. »Ich werd Scipio fragen, was er vorhat. Falls er wirklich
noch mal zurückkommt. Vielleicht hat er ja noch eine geniale Idee.«
»Was er jetzt wohl treibt«, murmelte Mosca. »Hast du eine Ahnung,
Prop?«
Wespe kehrte zu ihrem Bett zurück und knipste die Lampe aus. »Kann
sein«, antwortete Prosper und starrte hinauf zur dunklen Decke. Er
versuchte sich Scipio vorzustellen: wie er durch die Gassen ging
und sein Spiegelbild in den dunklen Ladenfenstern musterte, wie er
ins Licht der Laternen trat und betrachtete, wie lang sein Schatten
geworden war. Vielleicht ging er in eine der Bars, in denen die
Erwachsenen bis tief in die Nacht saßen. Und dann, wenn seine
Schritte immer müder wurden, mietete er sich schließlich das
Hotelzimmer, von dem er gesprochen hatte, mit einem großen Spiegel,
und rasierte sich davor zum ersten Mal das fremde Gesicht. »Meinst
du, es geht ihm gut?«, fragte Bo und legte den Kopf auf Prospers
Brust.
»Ich glaub schon«, antwortete Prosper. »Ja, ich glaub, es geht ihm
gut.«