Der Laden, in dem sich schon so manche Beute
des Herrn der Diebe in bares Geld verwandelt hatte, lag in einer
Gasse unweit der Basilica San Marco, gleich neben einer
Pasticceria, hinter deren Fenster sich gebackene Köstlichkeiten
jeder Form und Größe stapelten. »Nun komm schon!«, sagte Prosper
ungeduldig, als Riccio sich die Nase an der Scheibe platt drückte,
und Riccio ließ sich widerwillig
weiterzerren, die Nase voller Mandelduft.
In Barbarossas Laden roch es nicht halb so gut. Von außen
unterschied er sich kaum von all den anderen Trödelläden, die es in
der Stadt des Mondes gab. Ernesto
Barbarossa stand in schnörkeliger Schrift auf dem Glas des
Schaufensters, Ricordi di Venezia.
Dahinter thronten auf fadenscheinigem Samt Vasen und wuchtige
Kerzenhalter, umstanden von Gondeln und Insekten aus Glas.
Dünnwandiges Porzellan stritt mit Stapeln alter Bücher um einen
Platz, Bilder in angelaufenen Silberrahmen lehnten sich neben
Masken aus Papier. Bei Barbarossa fand jeder, was sein Herz
begehrte, und was der Rotbart nicht in seinen Regalen hatte,
besorgte er. Wenn nötig, auch auf krummen Wegen.
Als Prosper die Ladentür öffnete, läuteten Dutzende von
Glasglöckchen über seinem Kopf. Einige Touristen drängten sich
zwischen den voll gestellten Regalen. Sie tuschelten miteinander,
so leise und andächtig, als befänden sie sich in einer Kirche.
Vielleicht lag es an den Kronleuchtern, die von der dunklen
Ladendecke hingen und mit bunten Glasblumen klirrten, oder an all
den Kerzen, die in schweren Leuchtern brannten, obwohl draußen die
Sonne schien. Mit gesenkten Köpfen drängten Prosper und Riccio sich
an den Fremden vorbei. Einer hielt eine kleine Statue in der Hand,
die Mosca dem Rotbart vor zwei Wochen verkauft hatte. Als Prosper
das Preisschild sah, das unter ihrem Sockel klebte, stieß er fast
die große Gipsfigur um, die mitten im Laden stand. »Weißt du noch,
was Barbarossa uns für die Figur da bezahlt hat?«, fragte er
Riccio.
»Nein. Du weißt, ich kann mir keine Zahlen merken.« »Na, jetzt
hängen an der Zahl auf jeden Fall zwei Nullen mehr«, flüsterte
Prosper. »Kein schlechtes Geschäft für den Rotbart, oder?« Er trat
an den Ladentisch und drückte auf den Klingelknopf neben der Kasse,
während Riccio der maskierten Dame, die von einem Bild auf sie
herablächelte, Grimassen schnitt. Den Spaß machte er sich jedes
Mal, denn in der schwarzen Maske der Dame verbarg sich ein
Guckloch, durch das Barbarossa beobachtete, ob seine Kundschaft ihn
bestahl.
Nur ein paar Sekunden verstrichen, dann raschelte der Perlenvorhang
in der Ecke und Ernesto Barbarossa erschien persönlich. Der Rotbart
war so dick, dass Prosper sich jedes Mal wunderte, mit welcher
Behändigkeit er sich durch den voll gestopften Laden
bewegte.
»Ich hoffe, ihr habt diesmal etwas Besseres für mich!«, raunte er
ihnen zu, doch weder Prosper noch Riccio entging, dass er die
Tasche, die Prosper gegen seine Brust presste, so gierig musterte
wie ein hungriger Kater eine fette Maus.
»Ich glaube, Sie werden zufrieden sein!«, antwortete Prosper.
Riccio sagte nichts, er starrte Barbarossas fuchsroten Bart an, als
erwarte er, dass im nächsten Moment irgendetwas herauskrabbeln
könnte.
»Was stierst du meinen Bart so an, du Frettchen?«, knurrte der
Rotbart.
»Ach, ich, ich…«, Riccio geriet ins Stottern, »ich hab mich nur
gefragt, ob er echt ist. Echt rot, meine ich.« »Natürlich! Willst
du etwa behaupten, ich färbe ihn?«, raunzte Barbarossa ihn an. »Auf
was für lächerliche Ideen ihr Zwerge doch kommt.« Er fuhr sich mit
seinen dicken, beringten Fingern durch den Bart und wies mit dem
Kopf unauffällig zu den Touristen, die immer noch tuschelnd
zwischen den Regalen standen. »Ich werde die da so schnell wie
möglich abfertigen«, raunte er. »Geht schon mal in mein Büro, aber
dass ihr mir ja nichts anrührt, verstanden?«
Prosper und Riccio nickten und verschwanden hinter dem
Perlenvorhang.
In Barbarossas Büro sah es völlig anders aus als in seinem Laden.
Dort gab es keine Kronleuchter, brennenden Kerzen oder Glaskäfer.
Das Licht in dem fensterlosen Raum kam von einer Neonröhre, und
außer dem großen Schreibtisch und dem gewaltigen Ledersessel
dahinter gab es nur zwei Stühle, deckenhohe Regale voll mit sorgsam
beschrifteten Kisten und ein Plakat vom AccademiaMuseum, das hinter
dem Sessel an der kahlen weißen Wand hing. Unter Barbarossas
Guckloch stand eine gepolsterte Sitzbank. Riccio stieg hinauf und
lugte in den Laden. »Das musst du dir ansehen, Prop!«, flüsterte
er. »Der Rotbart schnurrt wie ein fetter Kater um diese Touristen
herum! Ich glaube, aus diesem Laden kommt keiner raus, ohne
irgendwas gekauft zu haben.«
»Ja, und ganz bestimmt zu teuer.« Prosper stellte die Tasche mit
Scipios Beute auf einem Stuhl ab und sah sich um. »Bestimmt färbt
er ihn«, murmelte Riccio, ohne das Auge von dem Guckloch zu nehmen.
»Ich hab mit Wespe um drei Comichefte gewettet, dass er es tut.«
Barbarossas Kopf war kahl wie eine Christbaumkugel, aber sein Bart
wuchs dicht und kraus. Und war rot wie Fuchsfell. »Ich glaub,
hinter der Tür da ist ein Bad. Kannst du mal nachsehen, ob er
dadrin was zum Färben stehen hat?«
»Wenn es sein muss.« Prosper trat zu der schmalen Tür, von der das
Bild einer Madonna herablächelte, und schob den Kopf hindurch.
»Mann, hier ist fast so viel Marmor wie im Dogenpalast«, hörte
Riccio ihn sagen. »Das vornehmste Klo, das ich gesehen habe.«
Riccio presste wieder ein Auge gegen das Guckloch. »Prosper, komm
da wieder raus!«, rief er leise. »Der Rotbart schiebt sie schon aus
der Tür und schließt ab.« Aber Prosper kam nicht. »Er färbt ihn,
Riccio!«, rief er. »Die Flasche steht gleich neben seinem
stinkenden Rasierwasser. Puh, riecht das widerlich! Soll ich als
Beweis ein Stück Klopapier rot färben?«
»Nein! Du sollst da rauskommen!« Riccio sprang von der Sitzbank.
»Schnell, er kommt zurück, verdammt noch mal.« Der Perlenvorhang
klimperte – und Prosper und Riccio saßen mit unschuldigen
Gesichtern auf den Klappstühlen vor Ernesto Barbarossas
Schreibtisch. »Ich werde euch heute das Geld für einen Glaskäfer
abziehen«, verkündete der Rotbart, als er sich in seinen gewaltigen
Sessel fallen ließ. »Dein kleiner Bruder«, er warf Prosper einen
missbilligenden Blick zu, »hat mir letztes Mal einen
zerbrochen.«
»Hat er nicht«, protestierte Prosper.
»Hat er doch«, erwiderte Barbarossa ohne ihn anzusehen und nahm
eine Brille aus seiner Schreibtischschublade. »Also, was habt ihr
mir heute anzubieten? Ich hoffe, nicht nur Katzengold und
minderwertige Silberlöffel?«
Mit ausdrucksloser Miene leerte Prosper seine Tasche auf dem
Schreibtisch aus. Barbarossa lehnte sich vor, nahm die Zuckerzange,
das Medaillon, die Lupe in die klobigen Finger, drehte und wendete
sie, betrachtete sie von allen Seiten, während die Jungen ihn
beobachteten. Keine Miene verzog er dabei, legte etwas zur Seite,
nahm es noch einmal auf, schob es weg, besah es sich wieder, bis
Prosper und Riccio vor Ungeduld mit den Füßen scharrten.
Schließlich lehnte Barbarossa sich mit einem Seufzer zurück, legte
die Brille auf den Schreibtisch und strich sich über den Bart, als
kraule er den Pelz eines Tieres. »Angebot oder Forderung?«, fragte
er. Prosper und Riccio wechselten einen raschen Blick. »Angebot«,
sagte Prosper und versuchte so auszusehen, als wüsste er ganz
genau, wie viel Scipios Beute diesmal wert war. »Angebot«,
wiederholte Barbarossa, legte die Fingerspitzen gegeneinander und
schloss für einen Moment die Augen. »Nun gut, ich gebe zu, diesmal
sind ein, zwei ganz nette Sachen dabei, deshalb biete ich euch…«,
er öffnete die Augen wieder, »… hunderttausend Lire. Weil ihr es
seid.«
Riccio hielt ehrfürchtig den Atem an. Er sah all die Kuchen vor
sich, die man für hunderttausend Lire bekam. Berge von Kuchen. Aber
Prosper schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er und blickte dem
Rotbart fest in die Augen. »Fünfhunderttausend, sonst kommen wir
nicht ins Geschäft.« Für einen Moment konnte Barbarossa seine
Überraschung nicht verbergen, aber er hatte sich schnell wieder im
Griff und zauberte einen Ausdruck ehrlichster Empörung auf sein
Mondgesicht. »Bist du verrückt geworden, Junge?«, polterte er los.
»Da mache ich euch ein großzügiges Angebot, ein viel zu großzügiges
Angebot, und du kommst mir mit so einer wahnwitzigen Forderung?
Richtet dem Herrn der Diebe aus, dass er nicht noch einmal dumme
Jungen schicken soll, wenn er weiter Geschäfte mit Barbarossa
machen will!«
Riccio zog den Kopf zwischen die Schultern und warf Prosper einen
besorgten Blick zu, doch der stand nur wortlos auf, öffnete seine
Tasche und stopfte die Beutestücke eins nach dem anderen wieder
hinein. Barbarossa sah ihm ohne eine Regung dabei zu. Aber als
Prosper nach der Zuckerzange griff, packte er seine Hand, so
plötzlich, dass Prosper zusammenzuckte. »Schluss mit den
Spielchen!«, knurrte der Rotbart. »Du bist ein schlaues Kerlchen.
Ein bisschen zu schlau für meinen Geschmack. Aber der Herr der
Diebe und ich haben bisher gute Geschäfte miteinander gemacht, und
deshalb zahle ich euch vierhunderttausend, obwohl das meiste, was
ihr da habt, Plunder ist. Die Zange gefällt mir. Richtet dem Herrn
der Diebe aus, er soll mir öfter etwas in der Art anbieten, dann
bleiben wir im Geschäft, auch wenn seine Boten so unverschämt sind
wie du.« Er musterte Prosper mit einem Blick, in dem sich Ärger und
Respekt mischten. »Da wäre noch etwas.« Er räusperte sich. »Fragt
den Herrn der Diebe, ob er einen Auftrag annehmen würde…«
»Einen Auftrag?« Die beiden Jungen sahen sich an. »Ein wichtiger
Kunde von mir…«, Barbarossa schob ein paar Papiere auf seinem
Schreibtisch zusammen, »… sucht einen begabten Mann, der ihm etwas,
sagen wir, besorgt, das mein Kunde unbedingt besitzen will. Soviel
ich verstanden habe, befindet sich der Gegenstand hier in Venedig.
Sicherlich ein Kinderspiel für jemanden, der sich selbst gern…«,
Barbarossa lächelte spöttisch, »der Herr der Diebe nennt.
Oder?«
Prosper antwortete nicht. Der Rotbart hatte Scipio noch nie gesehen
und dachte sicherlich, dass er es mit einem Erwachsenen zu tun
hatte. Er hatte nicht die geringste Ahnung, dass der Herr der Diebe
genauso alt war wie die Boten, die er sandte. Aber Riccio schien
das keine Sorgen zu bereiten. »Klar, wir fragen ihn«, sagte er.
»Hervorragend.« Mit zufriedenem Lächeln lehnte Barbarossa sich in
seinem Sessel zurück. Die Zuckerzange hielt er in der Hand. Fast
zärtlich fuhr er mit seinen dicken Fingern über den fein
geschwungenen Rand. »Wenn er den Auftrag übernehmen will, soll er
mir einen von euch mit seiner Antwort schicken. Ich werde dann ein
Treffen mit meinem Kunden arrangieren. Die Bezahlung…«, Barbarossa
senkte vertraulich die Stimme, »… soll sehr großzügig sein, wie
mein Kunde mir versichert hat.« »Wie Riccio schon gesagt hat, wir
richten es aus«, wiederholte Prosper. »Aber jetzt hätten wir gern
unser Geld.« Da lachte Barbarossa, so laut und schallend, dass
Riccio zusammenfuhr. »Ja, ja, du bekommst dein Geld!«, schnaufte er
und wuchtete sich aus seinem Sessel hoch. »Keine Sorge. Aber jetzt
raus mit euch. Ich werde doch nicht meinen Safe öffnen, während ihr
kleinen Diebe mir zuseht.«
»Was meinst du, wird Scipio den Auftrag annehmen?«, flüsterte
Riccio Prosper zu, als sie draußen am Ladentisch lehnten und auf
Barbarossa warteten. »Am besten, wir erzählen es ihm gar nicht«,
antwortete Prosper und musterte das Bild mit der maskierten Frau.
»Wieso das denn nicht?«
Prosper zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Ist nur so ein Gefühl.
Ich trau dem Rotbart nicht.«
In dem Moment schob Barbarossa sich wieder durch den klimpernden
Vorhang. »Hier,«, sagte er und hielt ihnen ein dickes Bündel
Geldscheine hin. »Aber lasst es euch nicht stehlen auf dem Heimweg.
Ihr wisst doch, all die Fremden da draußen mit ihren Fotoapparaten
und dicken Geldbörsen ziehen die Diebe wie die Fliegen an.« Die
Jungen beachteten sein spöttisches Grinsen nicht. Prosper nahm das
Geldbündel entgegen und betrachtete es unschlüssig. »Du brauchst
nicht nachzuzählen«, sagte Barbarossa, als hätte er Prospers
Gedanken erraten. »Es stimmt. Ich habe lediglich den Glaskäfer
abgezogen, den dein kleiner Bruder zerbrochen hat. Unterschreib mir
die Quittung hier. Ich hoffe, du kannst schreiben, oder?«
Prosper warf ihm einen ärgerlichen Blick zu und kritzelte seinen
Namen auf den Block, den der Rotbart ihm hinhielt. Bei seinem
Nachnamen zögerte er einen Augenblick, dann schrieb er einen
falschen hin. »Prosper«, brummte der Rotbart. »Du kommst nicht aus
Venedig, was?«
»Nein«, antwortete Prosper, warf sich die leere Tasche über die
Schulter und ging zur Ladentür. »Komm, Riccio.«
»Gebt mir so bald wie möglich Nachricht wegen des Auftrags!«, rief
Barbarossa ihnen nach.
»Machen wir«, antwortete Prosper, obwohl er fest entschlossen war,
Scipio nicht ein Wort von der Sache zu erzählen. Dann zog er die
Ladentür hinter sich zu.