Als Prosper und Riccio endlich ins
Sternenversteck zurückkehrten, kam Bo ihnen schon ungeduldig
entgegengelaufen, und so erzählten sie erst einmal auch den anderen
nichts über den Verfolger, der sie aufgehalten hatte. Ihre
Verspätung war ohnehin vergessen, als Prosper das Geld aus der
Jacke zog, das er dem Rotbart abgehandelt hatte. Sprachlos vor
Bewunderung saßen die anderen um ihn herum, während Riccio ihnen
ausführlich schilderte, wie kaltblütig Prosper Barbarossa die Stirn
geboten hatte. »Und außerdem«, verkündete Riccio zum Abschluss,
»färbt der Fettwanst sich seinen Bart doch, und ich krieg drei
funkelnagelneue Comichefte von dir, Wespe. Oder hast du unsere
Wette schon vergessen?« Kaum zwei Stunden nach Prospers und Riccios
Rückkehr klingelte die Glocke am Notausgang und der Herr der Diebe
stand vor der Tür, wie er es versprochen hatte. Und ausnahmsweise,
bevor der Mond über den Dächern der Stadt hing. Natürlich öffnete
Mosca ohne nach der Parole zu fragen und fing sich ein furchtbares
Donnerwetter dafür ein, aber als Bo ihm aufgeregt mit Barbarossas
Geldbündel entgegenlief, brachte das selbst Scipio zum Schweigen.
Mit ungläubigem Gesicht nahm er das Geld entgegen und zählte es
durch, jeden einzelnen Schein. »Na, Scip, was sagst du? Du guckst,
als hättest du einen Geist gesehen«, spottete Mosca. »Kannst du
Wespe jetzt sagen, dass sie mir endlich Farbe für mein Boot kaufen
soll?«
»Dein Boot? Ja, ja, sicher.« Scipio nickte geistesabwesend und
wandte sich zu Prosper und Riccio um. »Hat Barbarossa irgendetwas
besonders gefallen?« »Ja, die Zuckerzange, die hatte es ihm
angetan«, antwortete Riccio. »Er hat gesagt, so etwas Feines
solltest du ihm ruhig öfter mal anbieten.«
Scipio runzelte die Stirn. »Die Zuckerzange«, murmelte er. »Ja, die
war wohl ziemlich wertvoll.« Er schüttelte den Kopf, als wollte er
ein paar lästige Gedanken loswerden. »Riccio«, sagte er. »Kauf uns
Oliven und scharfe Wurst. Das müssen wir feiern. Ich habe nicht
lange Zeit, doch dafür reicht es.«
Eilfertig steckte Riccio sich zwei Scheine von Barbarossas Geld in
die Hosentasche und schoss davon. Als er zurückkam, mit einem
Plastikbeutel voller Oliven, Brot, paprikaroter Salami und einer
Tüte mandorlati, den in bunte
Papierchen gewickelten Pralinen, die Scipio so gern mochte, hatten
die anderen schon Decken und Kissen auf dem Fußboden vor dem
Vorhang verteilt. Bo und Wespe hatten alle Kerzen, die sie besaßen,
zusammengeholt, und ihre flackernden Flammen füllten das Kino mit
tanzenden Schatten. »Auf ein paar sorgenfreie Monate!«, sagte
Wespe, als sie alle im Kreis zusammensaßen, und goss Traubensaft in
die Weinkelche aus rotem Glas, die Scipio von seinem vorletzten
Raubzug mitgebracht hatte. Dann hob sie ihr Glas und prostete
Prosper zu. »Und auf dich, weil du den Rotbart dazu gebracht hast,
so viel Geld herauszurücken, obwohl es ihm sonst wie Kaugummi an
den fetten Fingern klebt.«
Riccio und Mosca hoben ebenfalls ihre Gläser, und Prosper wusste
nicht, wo er hinschauen sollte, aber Bo lehnte sich stolz an seinen
großen Bruder und setzte ihm eins der Kätzchen aufs Knie, die
Scipio ihm geschenkt hatte.
»Ja, auf dich, Prop!«, sagte Scipio und prostete Prosper als
Letzter zu. »Hiermit ernenne ich dich zu meinem Beuteverkäufer.
Allerdings…«, er strich mit den Fingern über das Geldbündel, »…
überlege ich, ob es nach so reicher Beute nicht ratsam wäre, für
eine Weile Pause zu machen.« Er schwieg einen Moment, dann fuhr er
fort: »Ein Dieb darf niemals gierig werden, sonst erwischt man
ihn.«
»O nein, aber doch nicht gerade jetzt!« Riccio tat, als bemerke er
Prospers warnenden Blick nicht. »Barbarossa hat uns nämlich heute
was Interessantes erzählt.«
»Und was?« Scipio warf sich eine Olive in den Mund und spuckte den
Kern in seine Hand.
»Ein Kunde von ihm sucht einen Dieb. Die Bezahlung soll sehr gut
sein, und wir sollen dich fragen, ob du Interesse hast.« Scipio sah
Riccio überrascht an. Und schwieg. »Hört sich doch gut an, oder?«
Riccio stopfte sich eine Scheibe Wurst in den Mund. Die Schärfe
trieb ihm die Tränen in die Augen. Schnell hielt er Wespe sein
leeres Glas hin. Scipio hatte immer noch nichts gesagt. Zerstreut
strich er sich über das glatte Haar und tastete nach dem Zopfband,
das es zusammenhielt. Dann räusperte er sich. »Interessant«, sagte
er. »Ein Auftrag für einen Dieb. Wieso nicht? Und was soll
gestohlen werden?«
»Keine Ahnung.« Riccio wischte sich die fettigen Finger an der Hose
ab. »Viel weiß der Rotbart wohl auch noch nicht darüber. Aber er
scheint der Meinung zu sein, dass der Herr der Diebe genau der
Richtige für die Sache ist.« Riccio grinste. »Der Fettwanst stellt
sich bestimmt einen Riesenkerl vor, mit einem Strumpf überm Kopf,
der wie eine Katze zwischen den Säulen des Dogenpalastes
herumschleicht. Auf jeden Fall will er schnell eine
Antwort.«
Alle blickten Scipio an. Der saß da und spielte mit seiner Maske
herum. Nachdenklich strich er über die lange, gebogene Nase. Man
hörte die Kerzenflammen knistern, so still war es. »Doch, das ist
wirklich interessant«, murmelte er. »Ja, warum nicht?« Prosper
beobachtete ihn voll Unbehagen. Er hatte immer noch dieses Gefühl,
als ob etwas Unheimliches auf sie zukäme, Ärger, Gefahr…
Scipio schien seine Gedanken zu erraten. »Was hältst du davon,
Prop?«, fragte er.
»Gar nichts«, antwortete Prosper. »Weil ich Barbarossa nicht
traue.« Er konnte ja schlecht sagen: Weil ich nichts vom Klauen
halte. Schließlich lebte er davon, dass Scipio ein Meister darin
war. Scipio nickte. Aber da fiel ausgerechnet Bo seinem großen
Bruder in den Rücken. »Ach was«, sagte er und kniete sich neben
Scipio, die Augen blank vor Aufregung. »Das ist doch eine
Kleinigkeit für dich. Oder, Scip? Oder?«
Scipio musste lächeln. Er nahm Bo das Kätzchen ab, das er auf dem
Arm hielt, setzte es sich auf den Schoß und kraulte ihm die
winzigen Ohren.
»Und ich helf dir!« Bo rückte noch näher an Scipio heran. »Ja,
Scip? Ich komm mit.«
»Bo! Rede nicht so einen verdammten Blödsinn!«, fuhr Prosper ihn
an. »Du kommst überhaupt nirgendwo mit hin, klar? Schon gar nicht
zu irgendwas, was gefährlich sein könnte.«
»Komm ich doch!« Bo schnitt seinem Bruder eine Fratze und
verschränkte trotzig die kurzen Arme vor der Brust.
Scipio hatte immer noch nichts gesagt.
Mosca strich mit dem Finger die glänzenden bunten Papierchen glatt,
in die die mandorlati eingewickelt
gewesen waren, und Riccio bohrte die Zunge in seine Zahnlücke und
ließ keinen Blick von Scipio.
»Ich schließ mich Prospers Meinung an«, sagte Wespe in das
Schweigen hinein. »Es gibt keinen Grund, schon wieder etwas zu
riskieren. Wir haben doch jetzt erst mal genug Geld.« Scipio
betrachtete seine Maske und steckte einen Finger in die leeren
Augenhöhlen. »Ich werde den Auftrag annehmen«, sagte er. »Riccio,
du gehst gleich morgen zu Barbarossa und überbringst ihm meine
Antwort.«
Riccio nickte. Er strahlte über sein ganzes mageres Gesicht. »Und
diesmal nimmst du uns mit, ja?«, fragte er. »Bitte, ich will auch
endlich mal so ein vornehmes Haus von innen sehen.«
»Stimmt. Das würde ich auch gern.« Mosca blickte verträumt an dem
Vorhang hoch, der im Kerzenlicht glitzerte, als wäre er mit
goldenen Spinnenfäden bedeckt. »Ich hab mir schon oft ausgemalt,
wie es dadrin aussieht. Ich hab mal gehört, dass in einigen der
Fußboden aus Gold ist, und an den Klinken sitzen echte
Diamanten.«
»Geh in die Scuola di San Rocco, wenn du so was sehen willst!«
Wespe sah die anderen ärgerlich an. »Scipio hat es eben noch selbst
gesagt. Er sollte eine Weile Pause machen. Schließlich suchen sie
bestimmt immer noch nach dem Dieb, der in den Palazzo Contarini
eingebrochen ist. Da wäre ein neuer Einbruch doch leichtsinnig,
dumm!« Sie drehte sich zu Scipio um. »Wenn Barbarossa wüsste, dass
der Herr der Diebe nicht eine Bartstoppel am Kinn hat und ihm
selbst mit hohen Absätzen kaum bis an die Schulter reicht, dann
hätte er ihn sowieso nie gefragt…«
»Ach ja?« Scipio richtete sich auf, als könnte er Wespe das
Gegenteil beweisen. »Weißt du, dass Alexander der Große kleiner war
als ich? Er musste sich einen Tisch vor den persischen Thron
schieben lassen, um draufklettern zu können! Es bleibt dabei.
Richtet Barbarossa aus, dass der Herr der Diebe den Auftrag
annimmt. Ich muss jetzt gehen, aber morgen komme ich wieder.« Er
wollte sich umdrehen, aber Wespe trat ihm in den Weg. »Scipio!«,
sagte sie leise. »Hör zu. Vielleicht bist du wirklich ein besserer
Dieb als alle erwachsenen Diebe dieser Stadt, aber wenn Barbarossa
dich mit deinen hohen Hacken und deinem Erwachsenengetue sieht,
wird er dich auslachen.« Betreten sahen die anderen Scipio an. Noch
nie hatte einer von ihnen so mit ihm zu sprechen gewagt. Reglos
stand Scipio da und starrte Wespe an.
Dann verzog sein Mund sich plötzlich zu einem spöttischen Lächeln.
»Der Rotbart wird mich aber nicht sehen!«, sagte er und schob sich
die Maske über die Augen. »Und sollte er jemals wagen, über mich zu
lachen, dann spucke ich ihm in sein rundes Mondgesicht und lache
doppelt so laut über ihn, denn er ist nur ein gieriger, fetter
alter Mann, aber ich bin der Herr der Diebe.« Mit einem Ruck drehte
er Wespe den Rücken zu und stakste davon. »Es wird spät morgen!«,
rief er über die Schulter.
Dann verschluckten ihn die Schatten, die die Kerzen nicht aus dem
Saal hatten scheuchen können.