32. Kapitel

Seufzend blickte Ana auf die Zutaten, die sie vor sich aufgestapelt hatte: Reis und Mehl, Sirup und Butter, Schweine- und Schaffleisch, außerdem Kräuter, Pilze und diverse Wurzeln. Sie hatte keine Ahnung, was sie mit all dem machen sollte. Emilia fehlte zwar an allen Ecken und Enden, aber nie hatte Ana sie so vermisst wie in diesem Augenblick.

Eigentlich hatte Rita mit ihrer Hochzeit auf Emilias Rückkehr warten wollen, aber Balthasar hatte das brüsk von sich gewiesen: »Wer weiß, wie lange die beiden in Hamburg bleiben werden. Und selbst wenn sie sich bald wieder zur Abreise entschließen – die Fahrt dauert eine halbe Ewigkeit. Ich will nicht weitere Jahre auf dich warten!«

»Denkst du, Emilia wird es in Deutschland gefallen und sie wird für immer dort leben?«, hatte Rita gefragt. Sie hatte es nicht ausgesprochen, aber sie hatte große Angst, ihre Freundin zu verlieren. Ana hatte versucht, sie ihr auszureden. Emilia mochte zwar seit langem eine Sehnsucht nach dem Land ihrer Vorfahren hegen, aber ihrer Meinung nach passte sie ins wilde Patagonien viel besser.

Auch Balthasar glaubte offenbar nicht an eine Zukunft in Deutschland.

»Die Frage ist: Wie lange bleibt sie an Arthurs Seite, wenn sie erst erfährt …«

Er hatte diesen geheimnisvollen Satz weder auf Anas noch Ritas Drängen hin zu Ende geführt, und mittlerweile machten sie sich weniger Gedanken um Emilias Entscheidung als darum, wie sie sie auf der Estancia möglichst gut ersetzen und auch ohne ihre Hilfe die Hochzeit vorbereiten und feiern konnten.

Als größte Herausforderung stellte sich hierbei das üppige Mahl heraus, das gekocht werden sollte. Kaum etwas bereitete Ana je Anstrengung – doch wenn sie nun auf die Zutaten blickte, die auf ihre Verarbeitung warteten, brach ihr der kalte Schweiß aus. Sie hatte noch nicht entschieden, was sie als Erstes tun sollte, als Don Andrea zu ihr trat und mehrmals theatralisch seufzte – wie immer, wenn ihm irgendetwas Sorgen bereitete, er es jedoch nicht von sich aus bekunden, sondern lieber danach befragt werden wollte.

»Was ist los?«, fragte Ana und ließ ihren Blick nicht von den Zutaten. Ob Reis und Pilze irgendwie zusammenpassten?

»Ich bin wirklich gerne Gast auf dieser Estancia«, setzte Don Andrea an, »Mensch und Tier werden hier gleichermaßen gut behandelt, und natürlich möchte ich Signorina Rita und Signore Baldassare gerne trauen, es ist nur … wissen Sie vielleicht, ob die Signorina … Es heißt, sie sei eine Mapuche … und deswegen gelte es zu klären, ob sie überhaupt getauft ist … Weil das doch die Voraussetzung für eine christliche Eheschließung ist.«

Ana verdrehte die Augen. »Woher soll ich das wissen?«, fragte sie unwirsch.

»Aber ich kann sie nicht trauen, wenn ich nicht weiß, ob sie getauft ist!«, rief Don Andrea seufzend.

Aus den Augenwinkeln nahm Ana Maril wahr, der im Türrahmen gelehnt stand. Sie wusste nicht, wie lange er schon beobachtete, wie sie tatenlos vor den Zutaten stand, und hoffte unwillkürlich, er hätte ihre Hilflosigkeit nicht bemerkt. Nun musterte er Don Andrea verständnislos: »Bei euch ist das kompliziert!«, stieß er aus. »Uns Tehuelche muss niemand trauen oder verheiraten oder sonst was! Wenn der Preis einer Frau feststeht, dann führt der Vater der Braut seine Tochter einfach zum Zelt des Bräutigams. Und der schlachtet zwei Stuten und gibt ein Festmahl.«

Ana drehte sich zu ihm um. »Und das ist alles?«

»Nun, im Laufe des Tages versammeln sich Wahrsager um das Zelt und geben den jungen Eheleuten Ratschläge. Und endgültig verheiratet ist man erst, wenn man die Nacht gemeinsam in einem Zelt verbracht hat und die ganze Tolderia es bezeugen kann.«

Don Andrea seufzte wieder, bekundend, dass er solche Sitte unmöglich gutheißen konnte. Ana jedoch war neugierig geworden. »Was meintest du damit – wenn der Preis der Braut feststeht?«

»Nun, ganz einfach. Es muss vor der Ehe geklärt werden, wie viel eine Frau mitbringt. Das können bis zu vierhundert Tiere sein und …«

Er verstummte, ehe er den Satz zu Ende bringen konnte, und trat rasch zur Seite, denn hinter ihm war Agustina erschienen, die nun ihren Kopf in die Küche steckte und leise fragte, ob sie helfen könne.

Ana zuckte die Schultern. Es lag ihr auf der Zunge, einzugestehen, wie dringend sie Unterstützung beim Kochen nötig hatte – allerdings konnte sie sich noch gut an Emilias Geschichten erinnern, die diese über Agustinas Herberge erzählt hatte. Nicht nur, dass sie völlig verdreckt gewesen war, als sie sie zum ersten Mal betreten hatten – obendrein war das Essen immer angebrannt, bis sie sich selbst darum gekümmert hatte. Ob Agustina seitdem dazugelernt hat?

Ana musterte die alte Frau nachdenklich. Sie wirkte zart und fahrig wie eh und je und litt obendrein an Gicht, doch seit sie auf der Estancia lebte, war sie etwas aufgeblüht, hatte Gewicht zugelegt und Farbe bekommen. In ihren Augen stand zwar steter Schmerz, und Ana ahnte, dass sie sich Sorgen um Esteban machte und ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie ihn verlassen hatte, doch sie sprach nie über ihn. Auf Ritas Bitte hin behandelte Ana sie höflich, wenngleich sie nicht wusste, welch üble Flüche ihr entkommen wären, hätte Agustina auch nur ein freundliches Wort über Esteban gesagt. Rita selbst machte Agustinas Anwesenheit nicht minder zu schaffen, aber als sie gehört hatte, wie Esteban die eigene Mutter fast totgeprügelt hatte, hatte sie nicht gezögert, sie in ihrem und Emilias Namen auf der Estancia aufzunehmen.

»Ich komme beim Kochen gut allein zurecht«, erklärte sie nun, »aber vielleicht kannst du Don Andrea helfen. Weißt du, ob Rita getauft ist?«

Agustina zuckte hilflos mit den Schultern.

»Selbst wenn geklärt ist, ob sie getauft ist. Ich muss auch wissen, ob sie katholisch oder protestantisch ist!«, warf Don Andrea ein.

Maril blickte ihn wieder verwundert an. »Ich dachte, bei euch gibt es nur einen Gott und nicht etwa zwei – einen katholischen und einen protestantischen.«

Don Andrea war der Einwurf entgangen, aber Ana musste grinsen. Noch mehr als die Gottesfrage interessierte sie etwas anderes. »Wie viele Tiere wäre ich dir wohl wert, wenn du mich heiraten würdest?«, sinnierte sie laut.

Maril schüttelte den Kopf. »Du hast es falsch verstanden – nicht ich müsste für dich bezahlen, sondern dein Vater müsste mir Tiere, am besten Pferde, geben, wenn du mich heiraten wolltest.«

»Aber ich habe keinen Vater«, rief Ana leichtfertig. »Wahrscheinlich müsste in meinem Fall Emilia zahlen, dann aber Schafe, keine Pferde. Wobei – ich habe dir doch schon das Leben gerettet. Das wiegt gewiss jede Mitgift auf.«

»Ungeachtet der Mitgift – würdest du mich überhaupt heiraten wollen?«, fragte Maril mit der Andeutung eines Grinsens.

»Das müsste ich mir in der Tat noch gut überlegen.«

»Nun – selbst wenn man verheiratet war –, bei uns ist es ganz leicht, sich wieder zu trennen. Wenn jemand die Scheidung will, egal, ob Mann oder Frau, geht man auseinander und sucht sich einen neuen Partner. Und ein Mädchen muss nie gegen seinen Willen heiraten, auch wenn sich Bräutigam und Vater über die Mitgift einig wurden.«

»Na ja«, meinte Ana, »so schön und leicht, wie du es schilderst, ist bei euch das Frauenleben dennoch nicht. Hast du nicht auch schon mal erzählt, dass ein Mann oft mehrere Frauen hat – und die anderen der ersten als Dienstbotin dienen müssen?«

Maril zuckte die Schultern. »Du hättest doch auch gerne Hilfe beim Kochen, nicht wahr?«

»Ich werde es dir auf jeden Fall nicht untersagen, mit anzupacken.« Ana grinste, als Maril irritiert die Braue hob.

»Kochen ist Aufgabe der Frauen«, verkündete er, »wir Männer jagen.«

»Ich weiß, ich weiß. Und die Frauen müssen auch ganz alleine die Zelte von einem Ort zum anderen tragen – ohne geringste Hilfe von den Männern.«

Darauf wusste Maril nichts zu sagen, und Ana vertiefte das Thema nicht weiter, sondern begann nun endlich, die Pilze klein zu hacken. Agustina war abwartend stehen geblieben, doch ehe sie ihr erneut ihre Hilfe antrug, kam Aurelia in die Küche gestürmt. Sie hatte einen Bogen Papier in der Hand, schwenkte ihn in der Luft und verkündete stolz, sie habe ein Bild gemalt. Aufgeregt zupfte sie an Anas Schürze. »Schau nur, schau nur, wen ich gezeichnet habe!«

»Ich habe keine Zeit, ein Bild anzusehen, ich muss kochen!«, erklärte sie mit scharfem Tonfall, der Aurelia sofort zurückweichen ließ.

Sie trabte zu Don Andrea. »Schau du, was ich gemalt habe!«

Der beachtete sie erst gar nicht. »Ist sie nun getauft?«, stöhnte er zum wiederholten Male.

Einzig Agustina beugte sich zu Aurelia nieder, obwohl ihr das sichtlich Schmerzen im Rücken bereitete. »Ich würde es mir gerne anschauen«, sagte sie leise.

Ana entging Aurelias misstrauischer Gesichtsausdruck nicht. Offenbar war sich die Kleine noch nicht sicher, was sie von der Frau zu halten hatte, die nun schon seit einigen Wochen auf der Estancia lebte. Genau betrachtet, war diese der erste alte Mensch, dem sie jemals begegnet war. Ungewöhnlich waren sie zwar alle – Balthasar hässlich, Maril ein Tehuelche, Pedro dick wie kein Zweiter, und Don Andrea sprach diesen merkwürdigen Akzent –, aber eben keiner alt.

Doch bestochen von Agustinas ehrlicher Neugierde, zeigte Aurelia ihr Bild, und Agustina bestaunte es ausführlich und stellte Fragen.

Erst nach einer Weile richtete sie sich wieder unter Schmerzen auf und trat zu Ana: »Ich könnte frisches Wasser holen«, schlug sie vor. »Vorhin wollte ich auch mitgehen, als Balthasar und Rita die Schafkoppel abritten …«

»Da wärst du ihnen eine schöne Hilfe gewesen!«

»Aber ich würde doch so gerne etwas tun!«

Ana schüttelte den Kopf. »Du musst hier nicht die Sklavin spielen, nur weil du dich für Esteban schämst. Rita und Emilia haben dir immer angeboten, dich aufzunehmen – jetzt lebst du hier, und es ist gut. Du musst es dir nicht verdienen. Dir gehört dieses Land.«

Agustinas Gesicht verzog sich kummervoll, und Ana konnte ihren leisen Ärger nicht unterdrücken. Sie witterte Schwäche und Entschlusslosigkeit – und sie wusste, dass beides dazu beigetragen hatte, aus Esteban zu machen, wer er war. Selbst wenn Ana der alten Frau nicht die Schuld für seine Untaten geben wollten – allein dass sie nicht schon früher mit dem Sohn gebrochen hatte, erzeugte in ihr mehr Verachtung als Mitleid.

»Ich … ich würde so gerne gutmachen«, stammelte Agustina.

Aurelia trat dazwischen: »Was willst du gutmachen?«

Agustinas Gesichtsausdruck wurde verlegen, und Ana beugte sich schnell zu der Kleinen.

»Es gibt so viel zu tun und noch so viel zu klären. Lass uns einen Augenblick alleine, ja?«

»Aber mir ist so langweilig!«, stieß Aurelia aus. »Und warum will niemand mein Bild sehen?«

Ana seufzte, und es klang fast so theatralisch wie Don Andrea. Es war schlimm genug, zu kochen und obendrein Agustina zu trösten. Sie konnte sich nicht auch noch um Aurelia kümmern!

»Pass auf«, schlug sie vor, »für die Hochzeit müssen wir die Estancia schmücken, und deswegen … deswegen brauchen wir Blumen, möglichst viele Blumen. Kannst du welche pflücken?«

Zu Anas Erleichterung breitete sich sofort Begeisterung in Aurelias Gesicht aus. »Aber natürlich!«, rief sie und stürmte tatendurstig nach draußen.

Ana nickte zufrieden. Wenigstens ein Problem war gelöst.

»Ist sie nun katholisch oder protestantisch?«, fragte Don Andrea wieder.

»Also, was kann ich tun, um dir zu helfen?«, fragte Agustina.

Ana gab nach: »Am besten, du schneidest das Fleisch klein und reibst es mit Mehl und Kräutern ein.« Dann wandte sie sich an Don Andrea: »Und wenn Sie sich nicht sicher sind, dann taufen Sie Rita doch einfach noch mal! Ist es nicht so, dass man dafür nur Wasser braucht?«

Sie grinste Maril an. »Hörst du? Nur Wasser – keine Tiere! Vielleicht ist es bei uns doch unkomplizierter als bei euch.«


Aurelia war eine Weile nachdenklich vor dem Haus stehen geblieben und hatte dort missmutig den ebenso sandigen wie trockenen Boden gemustert. Balthasar hatte ihr so oft von seiner Heimat erzählt, in dem wunderschöne Blumen in kniehohem, tiefgrünem Gras wuchsen. Nur schwer konnte sie sich dergleichen vorstellen, und bis jetzt hatte sie solche Wiesen auch nicht sonderlich vermisst. Doch heute fand sie es sehr bedauerlich, dass es sie nicht auch hier, unmittelbar vor ihrem Haus, gab und sie Blumen pflücken konnte.

Sie wollte schon wieder hineingehen, als ihr einfiel, wo zwar kein kniehohes Gras, aber zumindest Blumen wuchsen.

Hinter einer der Koppeln wurde der Schafmist gelagert – für etwa ein halbes Jahr lang, ehe man ihn in kleine Stücke zerteilen und als Dünger verwenden konnte. Er war mit Stroh und Laub abgedeckt, und Emilia hatte darauf Kürbisse gepflanzt, um zu verhindern, dass der Mist austrocknete. Und zwischen den Kürbissen wuchs die eine oder andere Blume. Aurelia lachte begeistert auf, als sie daran dachte. Im nächsten Augenblick wurde sie wieder ernst. Wegen seines strengen Geruchs wurde der Schafmist ziemlich weit entfernt vom Haupthaus gelagert, und deswegen durfte sie nicht alleine dorthin gehen.

Allerdings, dachte sie nach einer Weile, würde es ohnehin niemand bemerken. Emilia war nicht da und alle anderen mit der Hochzeit beschäftigt – und genau für diese Hochzeit wollte sie doch einen Beitrag leisten! Würde man ihr wirklich anlasten, ein Verbot zu brechen?

Entschlossen machte sie sich auf den Weg zum Schafmist, wenngleich sie immer mal wieder stehen blieb.

In den letzten Wochen hatte sie mehr und mehr Pflichten auf der Estancia übernommen, und wenn sie auch nicht ganz so gerne für die Schafe sorgte, wie sie zeichnete, war ihr das immer noch lieber, als im Haus zu arbeiten.

Täglich half sie Ana nun dabei, die Wassertröge erst zu leeren und dann mit kaltem, frischem Wasser nachzufüllen. Diese Wassertröge mussten auf einem Podest stehen, das ihr etwa bis zu den Knien reichte, damit sie nicht durch Schafkot verunreinigt wurden. Beim Vorbeigehen lugte sie hinein. Noch war das Wasser halbwegs sauber – am Abend würde es gewiss mit Schlick und Disteln bedeckt sein. Der starke Wind war daran schuld – und auf den fluchte Ana ebenso oft wie auf die anspruchsvollen Schafe, die nur sauberes Wasser tranken.

Aurelia kicherte, als sie an die fluchende Ana dachte. Ihre Mutter ärgerte sich darüber, wenn sie in Aurelias Gegenwart böse Worte sagte – doch sie selbst fand das lustig.

Als die Schafe ihre Schritte hörten, kamen sie näher, und Aurelia ahnte, warum. Wenn Schafe frei wählen konnten, verzehrten sie lieber Blätter als Gras, und wenn schon Gras, dann am liebsten süßes, und da dergleichen meist nicht auf den Koppeln wuchs, pflückte sie es oft und brachte es den Tieren, um sie zwischendurch mit Leckerbissen zu verwöhnen. Erst gestern hatte sie gemeinsam mit Balthasar saftige Kräuter von einem feuchten Talboden nicht weit von der Estancia entfernt gepflückt, und wahrscheinlich hofften die Schafe, auch jetzt davon zu bekommen – vom Poa, Festuca oder Stipa oder vom Cebadillagras.

»Heute habe ich nichts!«, rief sie ihnen bedauernd zu. »Aber morgen bringe ich euch wieder etwas Feines!«

Emilia würde sie wahrscheinlich dafür maßregeln, denn ihrer Meinung nach sollten sich die Schafe gar nicht erst daran gewöhnen. Früher hatte sie sich auch oft darüber erregt, dass Aurelia einigen der Tiere Namen gegeben hatte. Es wären schließlich nur Tiere, keine Menschen!

So oder so – die Schafe hörten auf ihre Namen, und Aurelia rief sie nun laut, um die Mutterschafe samt ihrer süßen Lämmchen herbeizulocken. Hingerissen beobachtete sie die winzigen Tiere, die erst wenige Wochen alt waren, und konnte sich nur mühsam wieder von dem Anblick losreißen. Rasch streichelte sie zweien über den Kopf, ehe sie sich von ihnen löste und weiterging, um Blumen zu pflücken. Ein Stück lang folgten ihr die Schafe, dann blieben sie plötzlich stehen – nicht weil die Koppel zu Ende war, sondern weil sie irgendetwas gehört hatten.

Aurelia wusste, dass Schafe schreckhafte Tiere waren, und kicherte in sich hinein, als manche argwöhnisch den Kopf hoben, andere große Sprünge vollführten, bei denen sie teilweise gleichzeitig mit allen vier Beinen wieder aufsetzten. Die Jungtiere flüchteten ins Herdenzentrum.

»Was seid ihr für Feiglinge!«, lachte Aurelia.

Sie selbst hatte nichts Ungewöhnliches gehört oder gesehen, sondern ging unbeirrt weiter. Erst als sie ein weiteres Stück des Weges zurückgelegt hatte, erblickte sie in der Ferne einen Mann. Er stand so reglos, dass sie zunächst dachte, er wäre ein Zaunpfosten. Doch als er umgekehrt auch sie gesehen hatte, kam er langsam auf sie zu. Aurelia verharrte unsicher und überlegte, ob sie besser umkehren sollte, doch dann kam sie zum Schluss, dass der Fremde wohl nur einer der vielen Männer war, die Pedro schickte und die immer mal wieder auf der Estancia aushalfen. Früher hatte sie schreckliche Angst vor diesen Männern gehabt; später war sie mutig genug gewesen, um auf sie zuzugehen und mit ihnen zu sprechen. Die Männer waren entweder wortkarg oder konnten kein Spanisch, so dass sie sie irgendwann ignoriert hatte – Furcht hatte sie in jedem Fall keine mehr vor ihnen. Und dieser Mann nun lächelte sogar. Aurelia wollte es schon erwidern, zögerte dann aber doch. Das Lächeln war das Einzige, was an dem Mann freundlich wirkte – ansonsten machte er einen ziemlich wilden Eindruck. Sein Haar reichte tief über die Augen, seine Haut wirkte irgendwie kränklich blass, und über die Wange verlief eine Narbe.

Noch vor einigen Jahren wäre sie spätestens jetzt schreiend fortgerannt, aber beim Anblick der Narbe musste sie an Balthasar denken, dessen Gesicht voller Brandwunden war und der stets behauptete, er sei der hässlichste Mann Hamburgs. Anfangs hatte sie ihm geglaubt, doch mittlerweile war sie so oft auf seinem Schoß gesessen und hatte die Scheu vor seinen einstigen Verletzungen verloren. Auch dem narbigen Fremden blickte sie darum offen ins Gesicht.

»Suchen Sie meine Mutter?«, fragte sie. »Oder Tante Emilia?«

»Du bist Ritas Tochter, nicht wahr?«

Er sprach merkwürdig, so, als würde seine Zunge bei jedem Wort gegen seine Zähne stoßen. Immerhin war er kein Schotte, sondern Spanier.

»Ich bin Aurelia«, bestätigte sie zögerlich.

Eine Weile stand er steif vor ihr, dann kniete er sich zu ihr, und sein Lächeln verstärkte sich.

»Nun, Aurelia – was machst du denn ganz allein hier draußen?«

Seine Stimme klang unheimlich, weil raunend, aber das fortwährende Lächeln beschwichtigte sie.

»Meine Mama heiratet bald. Und ich pflücke Blumen.«

»Aber hier wachsen doch keine Blumen.«

»Doch«, bestand sie, »hinten beim Schafmist.«

»Tatsächlich? Zeigst du sie mir?«

Aurelia zog die Stirn in Falten. Die Männer, die auf der Estancia arbeiteten, waren eigentlich nicht an Blumen interessiert. Allerdings würde auch Balthasar die Blumen sehen wollen und sie später sogar malen. Also nickte sie dem Fremden zu und wies ihm den Weg. Die Schafe hatten sich wieder beruhigt, sich aus dem Rudel gelöst, und die Lämmer sprangen munter über die Weide. Aurelia lächelte, als sie sie beobachtete, und sie lächelte noch mehr, als sie den Misthaufen erreichten und sie schon von weitem die Blumen sah – rote, blaue und gelbe.

»Hier!«, sie deutete stolz darauf. »Hier sind die Blumen.«

Der Mann sagte nichts, starrte sie nur lächelnd an. Sie wusste nichts mehr zu sagen, hob nun das Kleid, damit es nicht im Dreck hängen würde, und bestieg geschickt den Misthaufen. Wahrscheinlich würden später ihre Schuhe stinken, aber der Schafmist war längst getrocknet, so dass sie nicht darin versank. Eine Weile pflückte sie vor sich hin pfeifend einen Strauß Blumen. Sie war nicht sicher, ob der Mann stehen geblieben war, hörte ihn auf jeden Fall nichts mehr sagen, sondern nur das Stöhnen des Steppenwinds.

Als sie aufblickte, war es nicht mehr nur einer, sondern auch einer zweiter Mann, der plötzlich vor ihr stand. Sie zuckte zusammen, ehe sie den Rücken straffte und auch dem zweiten offen ins Gesicht blickte. Ohne Zweifel war er schöner als der andere – er hatte keine Narben, stattdessen graublaue Augen und einen spitzen Bart am Kinn. Doch er lächelte nicht.

Unwillkürlich umkrampfte Aurelia den Blumenstrauß. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie die Schafe wieder den Kopf hoben und die Nüstern blähten. Unbehagen stieg in ihr hoch. Es war nicht wirklich kalt, und dennoch breitete sich eine Gänsehaut über ihre Arme aus. Das Haus … es war so weit weg … und sie durfte doch eigentlich nicht so weit fortgehen …

Der Wind pfiff lauter.

»Ich muss nun wieder zurück«, erklärte sie und hoffte, dass man nicht hören würde, wie ihre Stimme zitterte.

Der Narbige lächelte weiterhin.

»Das ist ja alles viel leichter, als ich dachte«, sagte er.

Aurelia wusste nicht, was er meinte – noch nicht. Doch dann, sie war gerade vom Misthaufen gestiegen, sah sie etwas Dunkles in seiner Hand. Ehe sie erkennen konnte, was genau es war, wurde es bereits über ihren Kopf gestülpt. Entsetzt schrie sie auf. Zuerst hüllte das Dunkle nur ihren Kopf ein, dann den ganzen Leib, und plötzlich spürte sie den Griff von Männerhänden, hart, schmerzhaft, roh. Nicht länger war ihr kalt, Blut schoss ins Gesicht. Sie schrie verzweifelt, als der Mann sie umklammerte, sie schließlich hochhob und über seine Schultern warf. Doch als er den ersten Schritt machte, blieb ihr die Luft weg, und sie konnte nicht mehr schreien.

Nicht!, flehte sie innerlich. Nicht!

Sie spürte, dass sie fortgetragen wurde, hörte, wie nun jemand lachte. Voller Angst begann sie, mit den Händen um sich zu boxen und mit den Beinen zu strampeln. Doch sie erreichte nur, dass der Griff sich noch fester um sie legte. Sie hörte ein Fluchen, dann bekam sie einen Schlag auf den Kopf, und augenblicklich wurde es finster um sie.


Als sie im Hamburger Hafen einliefen, erwartete sie Nieselregen. Die Stadt war von einem dicken Nebelkleid umhüllt, so dass sich so gut wie nichts von den großen Gebäuden erkennen ließ. Fröstelnd standen sie an der Reling, und Arthur konnte Emilia die Enttäuschung über das schlechte Wetter ansehen. So begierig war sie darauf gewesen, die Stadt kennenzulernen – doch nun versteckte sie sich!

Arthur selbst hätte im Laufe der Reise am liebsten nie über seine Heimatstadt und das, was dort auf ihn wartete, nachgedacht, aber sie hatte ihn immerzu mit Fragen bedrängt, so dass er schließlich den Widerwillen bezwungen und die Freie und Hansestadt Hamburg in leuchtenden Farben ausgemalt hatte – eine Stadt mit riesigen Häusern und ebenso breiten Straßen, weil man nach dem großen Brand 1842 die vielen kleinen Häuser nicht wieder aufgebaut hatte, sondern stattdessen ein gerades, rechtwinkeliges Straßennetz aus Asphalt und gleichförmige Putzbauten entstanden war. Ziemlich schmucklos wären diese, hatte er Emilia beschrieben, weil sie doch keinen Schutzwehrstein, kein Kettenschirmgehege, keinen Vorbau und keine Kellerhöhlung mehr besäßen, und dennoch ein prächtiger Anblick.

Wie Punta Arenas war Hamburg eine Stadt, die stetig wuchs – wenn auch nicht ganz so schnell. Längst war Hamburg im Westen über die Vorstadt Sanct Pauli bis an die Grenze der preußischen Stadt Altona herangewachsen und über Sanct Georg an die Grenze von Wandsbek. Insgeheim bezweifelte er, dass sich Emilia tatsächlich dafür interessierte, aber sie lauschte angeregt und stellte immer wieder Fragen.

Ja, ein neues Rathaus würde eben errichtet, und ja, er wäre selbst neugierig, ob der spitze Turm, der bei seinem letzten Besuch in Bau gewesen war, nun fertiggestellt war. Und ja, die große Eisenbrücke, die seit über einem Jahrzehnt Norder- und Süderelbe verband und über die mittlerweile auch der Straßenverkehr ging, war tatsächlich sehenswert.

»Ich kann es nicht mehr erwarten!«, hatte Emilia in den letzten Tagen, da sie Hamburg immer näher kamen, oft gerufen – und nun war nichts zu sehen. Hinter der grauen Nebelwand hätte sich auch bloß ein Dorf, nicht eine Stadt verbergen können.

Während Emilia mit dem ersten Anblick, den das ersehnte Deutschland bot, haderte, kam Arthur dieses Wetter eben recht. Er fand, dass es seine eigene Laune spiegelte. Während der Reise hatte er dagegen angekämpft, hatte versucht, jeden Tag mit Emilia zu genießen und nicht an die Zukunft zu denken. Doch spätestens heute musste er dieser Zukunft ins Gesicht blicken: Wie sollte es ihm hier gelingen, sein größtes Geheimnis vor Emilia zu bewahren? Das Geheimnis, das er so gerne ohne ihr Wissen aus dem Weg geschafft hätte, um später zu ihr nach Chile zurückzukehren?

Manchmal war er kurz davor gestanden, sich ihr anzuvertrauen, hatte sich aber dann doch nicht überwinden können, ihr von seiner ungeliebten Ehefrau in Hamburg zu berichten. Vielleicht hätte sie es sogar verstanden, warum er Nora damals hatte heiraten müssen, und ihm geglaubt, dass die Ehe nur auf dem Papier bestand. Aber er bezweifelte, dass sie ihm sein beharrliches Schweigen leichtfertig verzeihen würde, vor allem, nachdem sie sich ihre Liebe gestanden hatten. Und worüber sie ihm womöglich noch mehr zürnen würde, waren die Kälte und Gleichgültigkeit, mit denen er Nora stets behandelt hatte.

Sein Grübeln entging ihr nicht, denn sie blickte ihn mehrmals verwundert an. Aber sie fragte nicht nach – weder als sie anlegten noch als sie auf die Beiboote stiegen und zur Mole gebracht wurden. Sie hatten keinen Schirm wie manch andere, für nördlichere Gefilde besser ausgerüstete Passagiere, so dass Arthur ihr schützend den eigenen Mantel über die Schultern legte. Dennoch spürte er, wie sie zitterte, als sie endlich wieder auf festem Boden standen.

Nicht mehr voller Vorfreude wirkte sie wie in den letzten Tagen, sondern müde und verzagt, und auch Arthur sah sich ratlos um und wusste nicht recht, was er nun tun sollte. Das Schicksal kam ihm zuvor und nahm ihm diese Entscheidung ab – in Gestalt eines kleinen Bengels nämlich, rothaarig und sommersprossig. Trotz seines dünnen Gewandes schien er nicht zu frieren, und der Nieselregen konnte seiner Neugierde nichts anhaben, die ihn in den Hafen gelockt hatte, um große Dampfschiffe zu sehen. Eben noch hatte er ihres fasziniert gemustert, nun glitt sein Blick auf Arthur.

»Herr Arthur, Herr Arthur!«, rief er laut über die Menschenmenge hinweg und stürmte auf sie zu.

Arthur sah ihn nachdenklich an. Das Gesicht des Jungen kam ihm irgendwie vertraut vor, aber er wusste nicht, wie er es einordnen sollte.

»Sie sind wieder zurück! Da wird sich meine Großmutter aber freuen.«

Jetzt ging es ihm auf – dieser Bengel musste Flori sein, der Enkelsohn von Frau Christa, der Haushälterin der Hoffmanns.

»Meine Güte, wenn ich ihr sage, dass Sie wieder hier sind! Im Haus weiß es niemand. Und Großmutter wird es Ihnen übelnehmen, dass nichts vorbereitet ist.« Er zwinkerte Arthur vertraulich zu. »Aber wenn ich es ihr jetzt sage, dann bleibt ihr noch ein bisschen Zeit …«

Sprach’s, drehte sich um und war schon davongerannt.

»Warte!«, schrie Arthur ihm vergebens nach.

Wieder fühlte er Emilias verwunderten Blick auf sich, und diesmal konnte sie sich ihre Frage nicht verkneifen: »Hast du denn deine Ankunft nicht angekündigt?«

Er zuckte unschlüssig die Schultern. »Man weiß doch nie, wie lange die Reise dauert … Ich wollte niemanden aufregen. Ich komme meistens unangekündigt.«

Eine Weile blieb er gedankenverloren stehen. »Und nun?«, drängte Emilia, die noch stärker zitterte. »Sollen wir im Regen stehen bleiben?«

Arthur zögerte und rang nach einer Ausrede. »Ich würde dich gerne zu mir nach Hause bringen«, murmelte er. »Aber … aber … mein Onkel sieht es wahrscheinlich nicht so gerne …«

Er brach ab.

Emilia sah ihn erst verdutzt an, dann lachte sie aus voller Kehle. »Ach jetzt verstehe ich deine schlechte Laune und warum du immer so wortkarg wirst, wenn es um deine Familie geht!«, rief sie aus. »Du weißt nicht, wie du mich deinem Onkel vorstellen sollst!«

Arthur war verblüfft, welche Schlussfolgerung sie zog, aber dann überlegte er blitzschnell, dass sie ihm recht zupasskam, und nickte widerstrebend. »Er ist ein alter Herr«, erklärte er, »und er war immer sehr sittenstreng. Er würde nicht recht verstehen, in welchem Verhältnis …« Wieder brach er ab.

Emilia grinste. »Warum hast du mir das nicht schon früher gesagt?«

»Ich würde dich gerne fürs Erste in einem Hotel unterbringen … natürlich in einem feinen … und in Ruhe mit ihm sprechen. Dann kann ich ihn von meinen Eheplänen unterrichten und ihm mehr von dir erzählen …«

Er hoffte, dass die Röte, die in sein Gesicht stieg, ihn nicht verriet, doch Emilia lachte wieder befreit. »Mir soll es recht sein.«

Sie hob den Blick zum grauen Himmel, und er tat es ihr gleich. Die Regentropfen wurden etwas spärlicher, die Wolkendecke schien nicht mehr ganz so dicht und tief zu hängen. »Und später zeigst du mir Hamburg?«, fragte sie begierig.

Arthur seufzte wieder – diesmal erleichtert. Alles ging viel besser als erwartet. Emilia würde das Haus seiner Familie gar nicht erst betreten. Was wiederum bedeutete, dass sie nicht mit Nora zusammentreffen würde.

Plötzlich spürte er den kalten Wind nicht mehr, und der graue Himmel trübte nicht länger seine Laune; mit einer heftigen Bewegung zog er sie an sich heran und küsste sie.

Er hatte Zeit gewonnen, Zeit, alles in Ruhe zu klären …

»Wir gehen jetzt erst einmal in ein Kaffeehaus«, entschied er, als er sich wieder von ihr gelöst hatte, »dort kannst du dich aufwärmen und eine heiße Schokolade trinken. Und ich nehme in der Zwischenzeit unser Gepäck entgegen.«

»Ich muss mich nicht aufwärmen und bin lange genug ruhig gesessen. Ich bleibe bei dir.«

»Aber …«

»Ich halte viel aus, wirklich. Auch das bisschen Regen. Wir warten gemeinsam auf unser Gepäck – und trinken dann die heiße Schokolade. Und dann geht’s für dich nach Hause und für mich ins Hotel.«

Nun beugte sie sich vor und wollte ihn ihrerseits küssen. Noch ehe ihre Lippen die seinen berührte, erstarrte er und stieß sie weg – der ersten Regung folgend, die ihn jäh überkam.

Der Hafen war voller Fuhrwerke und Ochsenkarren, Kutschen und Droschken – und eine dieser Droschken kam nun ganz dicht an die Mole herangefahren. Der Kutscher sprang vom Bock, öffnete die Tür und half einer schwarzgewandeten Frau heraus. Sie spannte einen Schirm auf und blickte sich kurz suchend um, um schließlich in die Richtung zu sehen, in die Flori, Frau Christas sommersprossiger Enkel, deutete. Er war nach ihr aus der Droschke gesprungen und hatte Arthur sofort wiedergefunden.

Emilia ahnte nicht, was hinter ihrem Rücken vorging, und blickte verwundert zu ihm hoch. »Arthur, was hast du denn?«

Er konnte nichts sagen, konnte nur auf die dunkle Frau starren, Nora van Sweeten, nein, sie hieß ja Hoffmann wie er, er hatte sie geheiratet, Nora Hoffmann …

Sehr langsam ging sie auf ihn zu und kam doch unaufhaltsam näher. Nur knapp zwei Meter vor ihm blieb sie stehen.

»Guten Tag, Arthur«, sagte sie mit einer Stimme, so kalt und grau wie das Wetter.

Erst jetzt fuhr Emilia herum und betrachtete verwirrt die Frau, deren Blicke sich in Arthur bohrten.

Der Kontrast der beiden konnte nicht augenfälliger sein: Nora wirkte starr, aber zugleich ungemein elegant und gepflegt. Ihr schwarzes Kleid saß perfekt, das Haar war streng aus der Stirn gekämmt und im Nacken zu einem Knoten gebunden, ihr Cape mit einer glänzenden Brosche zusammengehalten. Sie trug Handschuhe aus schwarzem Leder und gebundene Stiefel und zeigte keine Anzeichen, dass sie fror.

Emilias Haare begannen sich indes aus ihrem Zopf zu lösen und kräuselten sich in der feuchten Luft. Ihr graues Kleid war schlicht und fleckig. Ihr Gesicht war nicht nur von Kälte gerötet, sondern braun und von Sonne und Wind gegerbt. Anders als die von Nora waren ihre Hände nicht unter feinem Stoff versteckt, sondern offenbarten – rauh und gefurcht – die vielen Mühsale und Lasten, die sie in den letzten Jahren hatte tragen müssen.

Für Arthur war Emilia die schönste Frau der Welt, doch kurz sah er sie aus Noras Augen – und sah ein verwildertes Wesen, das sie wohl nicht einmal als Dienstmagd geduldet hätte.

»Was machst du hier?«, rief Arthur entgeistert.

Noras Miene blieb starr. »Darf ich meinen Ehemann nicht begrüßen, nachdem ich ihn monatelang nicht zu Gesicht bekommen habe?«, fragte sie mit samtig leiser Stimme. »Flori ist mir über den Weg gelaufen und hat mir von deiner Ankunft berichtet. Und damit du mich nicht wieder vor deinem Onkel beschämst wie schon so oft, dachte ich, ich sorge dafür, dass du diesmal in angemessenem Aufzug vor ihm erscheinst.«

Erst jetzt ging ihm auf, dass er sie noch nie hatte laut sprechen hören – nicht so wie Emilia, die schreien und fluchen und befehlen und lachen konnte.

Nun aber, als Emilia erst ihn, dann Nora anblickte und fragte: »Wer ist das?« – da lag auch in ihrer Stimme kaum Kraft.

Nora trat ein Stückchen näher. »Nora Hoffmann. Geborene van Sweeten. Ich bin Arthurs Ehefrau.«

Erstmals traf sich ihr und Arthurs Blick. Er hielt ihm nicht stand, sondern schloss die Augen. Er fühlte, wie ein Ruck durch Emilias Körper ging, wie sie offenbar etwas sagen wollte, aber sie kam nicht dazu.

»Sie können es sich ersparen, sich selbst vorzustellen«, fuhr Nora mit samtiger Stimme fort. »Ich sehe es auf den ersten Blick, dass Sie eine seiner Huren sind. Nicht die erste und gewiss nicht die letzte. Kommst du, Arthur? Und wag es nicht, dieses Weib mitzunehmen!«

Sie winkte den Kutscher zu sich heran, senkte dann den Schirm tief über ihr Gesicht. Der Regen war wieder etwas stärker geworden.

Jenseits von Feuerland: Roman
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