Epilog
Das Führungspersonal hatte sich auf dem achtern gelegenen Helipad versammelt, als George Adams Hali Kasim von einem Krankenhaus in Tripolis aufs Schiff zurückbrachte. Hux hatte einen Rollstuhl bereitgestellt, und nun wandte sie sich vom Hubschrauber ab, als er über das Heck der Oregon einschwebte.
Die Kufen setzten punktgenau auf. Gomez schaltete die Turbinen ab. Alle drängten sich unter den kreisenden Rotorblättern heran, um lachend und Grimassen schneidend auf die gläserne Hecktür zu klopfen, hinter der Hali angeschnallt auf seinem Platz saß, eine lockere Schutzhülle um seine bandagierte Brust. Er hatte eine fünfstündige Operation hinter sich, in der die Schäden hatten repariert werden müssen, die Assads Kugel seinen inneren Organen zugefügt hatte, und danach eine Woche Krankenhausverpflegung ertragen, bevor die Ärzte seiner Entlassung zustimmten.
Er war der Letzte, der nach der wahrscheinlich schwierigsten Mission, die die Corporation jemals durchgeführt hatte, nach Hause zurückkehrte. Im Morgengrauen waren sie mit den beiden treibenden Rettungsbooten voller Ex-Gefangener zusammengetroffen. Der Außenminister hatte wieder seinen alten Posten inne und nahm an der Friedenskonferenz teil. Adams hatte Linda und die anderen nicht lange nach ihrem Überraschungssieg von der Wüstenhöhle abgeholt. Als sie ans Tageslicht gelangten, fanden sie Professor Bumford gefesselt und geknebelt am Höhleneingang. Die beiden Agenten, die während des Angriffs auf die Sidra in den Bach gefallen waren, wurden vom Zodiac aufgefischt und hatten nichts Schlimmeres als leichte Verbrennungen an den Händen und in den Gesichtern zu beklagen. Hux und ihr Team hatten sie verpflastert, Alanas Hände und Erics Schulter versorgt und aus dem Höhlen-Team, dem Mark den beziehungsreichen Namen Die fantastischen Vier verpasst hatte, etwa ein Pfund Gesteinssplitter herausgepult.
Alana war nur für eine Nacht auf der Oregon geblieben. Sie hatte es eilig, nach Arizona und zu ihrem Sohn zurückzukehren. Unglücklicherweise wollte ohne eindeutigen Herkunftsnachweis und angesichts des völlig zerstörten Kristalls niemand seinen Ruf aufs Spiel setzen und sich darauf festlegen, dass die Halskette, die sie gefunden hatte, tatsächlich das legendäre Juwel von Jerusalem sei. Das echte Archäologenteam, das die römische Villa ausgegraben hatte, wurde in die Höhle geschickt, nachdem die Rauchmassen abgesaugt worden waren. Die Saqr war ein riesiger Haufen Asche – und nur das Gold war noch in der Seitenhöhle übrig. Aber das allein war schon der sprichwörtlich wahr gewordene Traum eines jeden Numismatikers. Der Goldschatz bestand hauptsächlich aus Münzen, die einige hundert Jahre alt waren und aus jeder Nation Europas und jedem Winkel des Ottomanischen Reichs stammten. Er stellte die Beute von Generationen der Al-Jama-Familie dar. Selbst die vorsichtigste Schätzung setzte den Wert der Münzen mit dem Zehnfachen des reinen Goldwertes an.
Die Delegierten des Tripolis-Abkommens hatten bereits verlauten lassen, dass die aus dem Verkauf so vieler perfekt erhaltener und unterschiedlicher Münzen erzielten Gewinne zur Finanzierung sozialer Hilfsprogramme in der muslimischen Welt verwendet werden sollten. Und das waren nur die ersten einer Vielzahl von umfangreichen Reformen, die von den Staatsoberhäuptern beschlossen wurden.
Ein halbes Dutzend helfender Hände hoben Hali Kasim aus dem Hubschrauber und in den wartenden Rollstuhl.
»Ich finde, du siehst gar nicht so übel aus«, sagte Max und wischte sich eine Träne aus den Augen.
»Ich bin immer noch mit Schmerzmitteln vollgepumpt, daher fühle ich mich auch nicht so übel«, erwiderte Hali grinsend.
»Willkommen zu Hause.« Juan schüttelte ihm die Hand. »Diesmal hat es dich wirklich von allen am schlimmsten erwischt.«
»Ich kann dir sagen, Juan, ich weiß gar nicht, was schlimmer war: angeschossen oder nach Strich und Faden ausgetrickst worden zu sein. Ein Mossad-Agent, du liebe Güte. Ich hoffe nur, dass es ihm am Ende richtig dreckig ergangen ist.«
»Mach dir deswegen keine Sorgen«, sagte Linc. »Lungenschüsse sind wohl das Schlimmste, was einem passieren kann.«
Als Riesengewinn, was die archäologischen Funde im Grab betraf, waren auf jeden Fall die drei Bücher zu betrachten, die Alana hatte retten können. Eins war Henry Lafayettes Bibel, die er bei seinem Mentor zurückgelassen hatte, und das andere Suleiman Al-Jamas persönlicher Koran. Das dritte war eine ausführliche Abhandlung über die Möglichkeiten und Wege, wie zwei bedeutende Religionen nebeneinander existieren könnten und sollten, wenn die Gläubigen stark und willens genug wären, nach den moralischen Standards zu leben, wie sie in den heiligen Texten festgelegt sind. Die Urheberschaft des Werks galt bereits als eindeutig gesichert – und während einige der Ewiggestrigen es als Fälschung und Trick des Westens abqualifizierten, beherzigten andere – viele, viele andere – die Worte des zum Pazifisten gereiften ehemaligen Imams und Piraten.
Niemand, am wenigsten Juan Cabrillo, gab sich der phantastischen Hoffnung hin, dass das Ende des Terrorismus unmittelbar bevorstehe, aber er war doch optimistisch, dass er auf dem Rückzug war. Er würde damit keine Probleme haben, selbst wenn es letztlich bedeutete, dass die Oregon auf dem Schiffsfriedhof landen und er sich als Rentner in irgendein tropisches Paradies zurückziehen würde.
Als Hali ins Schiff gerollt wurde, folgten ihm alle bis auf Max und Juan. Sie verharrten am Heck neben der iranischen Fahne, die am Flaggenmast flatterte. Das Wasser schäumte hinter dem großen Frachter auf, als er wieder Fahrt aufnahm.
Max holte seine Tabakspfeife hervor und schob sie sich zwischen die Zähne. Das hohe Heck war jedoch zu sehr dem Wind ausgesetzt, um sie anzuzünden. »Noch ein paar gute Neuigkeiten für dich. Ein Kommandotrupp der NATO hat die neue Basis, die Ghamis Leute im Sudan aufgebaut haben, dem Erdboden gleichgemacht. Nachdem ihr Anführer aus dem Verkehr gezogen wurde, haben sie nur symbolisch Gegenwehr geleistet. Nicht so jedoch seine Leute in Libyen. Die letzten versuchten sogar, das Gefängnis zu stürmen, in dem er unter Verschluss gehalten wird.«
»Und …«, fragte Juan.
»Bis auf den letzten Mann erschossen. Ein Wächter kam durch eine Selbstmordbombe ums Leben, als er versuchte, einen von ihnen gefangen zu nehmen. Ach ja«, rief Max, als er sich plötzlich an etwas erinnerte, »heute Morgen habe ich deinen Abschlussbericht über die ganze Affäre gelesen. Eine Frage hätte ich noch …«
»Schieß los.«
»Sie betrifft das Geschehen auf der Sidra, als du noch einmal umgekehrt bist, nachdem die Ministerin dich gebeten hatte, Ghamis Leibwächter nicht zu töten.«
»Du meinst Mansour.«
»Ja genau, ihn. Du hast geschrieben, du hättest ihm in die Kniescheibe geschossen. Stimmt das?«
»Natürlich«, sagte Juan, ohne den Blick vom Horizont zu lösen. »Denk an die Regeln des Marquis von Queensberry. Das sind die Einschränkungen, die wir uns selbst auferlegt haben. Wenn ich es mir jedoch genau überlege, hätte ich den Bericht ein wenig ausführlicher abfassen können. Ich habe nicht erwähnt, dass sich Mansour über einen seiner Männer beugte, um sich in den Besitz seiner Waffe zu bringen, und dies auf eine Art und Weise versuchte, dass sein Kopf sich auf der anderen Seite des Knies befand, auf das ich geschossen habe. Ich glaube nicht, dass sich der Marquis an irgendeiner Stelle zu Geschossen mit extremer Durchschlagskraft geäußert hat.«
Max lachte verhalten. »Ich glaube, das ist wahr. Aber sag mal, was meinte Hux zu dir, kurz bevor Hali eintraf?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob du das wirklich wissen willst.« In Juans Stimme lag ein seltsamer Unterton. »Ich versuche noch immer, damit klarzukommen.«
»Red schon. Ich kann’s ertragen«, sagte Max, um die plötzlich aufkommende ernste Stimmung aufzulockern.
»Ihr ist es gelungen, die Flüssigkeit zu analysieren, die aus dem Juwel herausgetropft ist. Sie war ziemlich verunreinigt … und es war auch nur eine winzige Menge, daher kann sie ihr Ergebnis nicht verifizieren. Deshalb steht in ihrem offiziellen Bericht nicht eindeutig.«
»Aber …?«
»Es war menschliches Blut.«
»Es könnte von jedem stammen, Al-Jama könnte das Juwel selbst angefertigt und sein eigenes Blut genommen haben.«
»Die Kohlenstoffdatierung platziert die Probe in den Zeitraum zwischen fünfzig vor Christus und achtzig nach Christus. Der wahre Knaller ist aber, dass sie ausschließlich weibliche DNS gefunden hat.«
»Es ist weibliches Blut?«
»Nein, die Chromosomen weisen auf einen Mann hin, nur hatte er zu hundert Prozent mitochondriale DNS, sogar außerhalb der Mitochondrien, und bitte mich nicht, das näher zu erläutern. Hux hat es versucht und mir damit nur Kopfschmerzen verursacht. Die Quintessenz ist, dass mitochondriale DNS nur von Müttern vererbt wird.«
Trotz des warmen Wetters überkam Max ein Frösteln. »Und was bedeutet das?«
»Es bedeutet, dass die Mutter dessen, von wem auch immer das Blut stammt, ihm seine gesamte DNS vererbt haben muss. Zu einhundert Prozent. Der Vater hat nichts beigesteuert. Es scheint fast so, als hätte es ihn überhaupt nicht gegeben.«
»Was soll das heißen?«
»Sinngemäß sagte sie: Wenn sie sich das Blutbild einer Person vorstellen müsse, die unbefleckt empfangen wurde, dann wäre es genau das, was wir gefunden haben.«
»Jesus.«
Max sprach es in einem Ton gespielter Ehrfurcht aus, als erlaubte er sich einen blasphemischen Scherz. Doch Juan antwortete darauf mit einem ernsthaften »Offensichtlich.«