VI.

In den nächsten Tagen marschierten wir mit Cäsars drei Legionen den Helvetiern hinterher. Der Abstand unserer Vorhut zur Nachhut der Helvetier betrug jeweils fünf bis sechs Meilen. Unter den Legionären war das Goldfieber ausgebrochen. Die Schlacht gegen die eher bäuerischen Tiguriner hatte sie nachträglich in Euphorie versetzt. Cäsars Kanzlei hatte gute Arbeit geleistet. Die Fakten hatten sich nicht verändert. Nur ihre Darstellung. Und die Art und Weise, wie man sie den Legionären verkaufte. Die Aussicht auf weitere Plünderungen und große Goldmengen machten die Beine der Legionäre wieder frisch und munter. In Reih und Glied folgten sie dem Troß der Helvetier, der sich langsam durch das Land der Häduer bewegte. Cäsars Reiterei bestand fast ausschließlich aus häduerischen und allobrogischen Adeligen und ihren bessergestellten Klienten. Vertreten waren auch aus keltischen Oppida ausgestoßene Adlige wie die Leute um den Arverner Vercingetorix. Sie alle waren für sehr viel Geld und mit dem Versprechen auf Keltengold angeworben worden.

Unter ihnen war erstaunlicherweise sogar Dumnorix, der erklärte Romhasser. Tag für Tag reizten er und seine Männer, gegen Cäsars Befehl, den Zug der Helvetier, jagten jeden Trupp, der in den umliegenden Dörfern Nahrung beschaffen wollte. Sie reizten, forderten heraus, aber sie mieden den direkten Kampf. Schon das Ausbleiben von Grünfutter für die Tiere konnte den ganzen Treck zum Erliegen bringen. Ein paar Stunden Regen reichten bereits aus, damit das zickige Schwein, wie die Legionäre den Helvetierzug nannten, im Morast steckenblieb. Der Umweg über die Schluchten hatte Kraft gekostet, und die beinahe völlige Ausrottung der Tiguriner hatte viele deprimiert. Die Helvetier wurden zunehmend nervös. Einmal verlor die berittene Nachhut die Nerven, und fünfhundert helvetische Reiter galoppierten auf die viertausend berittenen Häduer zu. Der schlitzohrige Dumnorix ergriff mit seinen Leuten als erster die Flucht und löste unter den viertausend Häduern eine Panik aus. Fünfhundert helvetische Reiter schlugen viertausend häduerische Reiter in die Flucht. Diese Nachricht blieb auf beiden Seiten nicht ohne Wirkung. Das war auch Dumnorix' Absicht gewesen. Er wollte unter den Römern Panik und schlechte Laune verbreiten. Nur wenn Cäsar sich in die Provinz zurückzog, konnte er seinen prorömischen Bruder Diviciatus politisch vernichten.

Nach zwei Wochen kam Fufius Cita, Cäsars Getreidebeschaffer, aus dem Oppidum Bibracte zurück und teilte Cäsar mit, daß er das Getreide auf Schiffe verladen habe und den Arar hinaufbrachte. Die Flüsse in Gallien waren die schnellsten, billigsten und sichersten Transportwege überhaupt.

»Was nützen mir deine Schiffe, Fufius Cita«, schrie Cäsar wutentbrannt, »die Helvetier sind vom Arar abgebogen und bewegen sich jetzt auf Matisco zu! Wenn ich ihnen auf den Fersen bleibe, entferne auch ich mich vom Arar und somit vom Nachschub. Dieses Getreide nützt mir nichts mehr! Ich brauche neues Getreide. Diviciatus persönlich hat mir die Lieferungen versprochen!«

»Cäsar, der Winter in Gallien war in diesem Jahr ungewöhnlich lang, das Getreide auf den Feldern ist noch nicht reif. Wir haben nicht mal ausreichend Grünfutter. Aber die Häduer …«

»Was meinen diese Häduer eigentlich, wen sie vor sich haben? Habe ich ihnen die Freiheit gelassen, damit sie mich zum Narren machen? Jeden Tag neue Versprechungen! Das Getreide kommt … es wird bereits zusammengetragen … es ist bereits unterwegs … Meine Geduld ist zu Ende! In wenigen Tagen erhalten unsere Soldaten ihre Nahrungsmittelration für die nächsten zwei Monate, zwei Modien pro Kopf! Und wir haben keinen Sack Getreide mehr im Heer! Fufius Cita«, tobte Cäsar, »der Hunger ist schrecklicher als das Eisen! Du kannst eine Schlacht gegen Männer gewinnen, aber nicht eine Schlacht gegen den Hunger!«

»Ich weiß, Cäsar«, gab Fufius Cita kleinlaut zu, »ich habe deshalb Diviciatus und Liscus mitgebracht. Sie warten draußen vor dem Zelt, um mit dir zu sprechen.«

Cäsars Miene hellte sich auf. »Führt sie rein! Und ruft die Legaten!«

Soldaten von Cäsars Prätorianergarde führten die beiden häduerischen Adligen rein. Gleichzeitig betraten auch Cäsars Legaten das Zelt. Diviciatus sah noch zermürbter aus als vor einigen Wochen. Wie eine langgezogene Pflaume, die zu lange in der Sonne gelegen hatte. Liscus war ein stets händereibender, untersetzter Häduer um die vierzig, mit einem Bart, den er so üppig wuchern ließ, als wolle er sich darin verstecken. Er hatte kleine Schweinsaugen, und seine untertänige und heuchlerische Art war eher abstoßend.

»Gallier«, begann Cäsar, alle Höflichkeit außer acht lassend, »wie könnt ihr es bloß wagen, mich in einer solchen Lage nicht zu unterstützen? Wo ist das versprochene Getreide? Ihr laßt mich im Stich, obwohl ich euretwegen hier bin. Auf eure Bitten hin habe ich mich zu diesem Krieg entschlossen!«

Liscus schaute Diviciatus verwirrt an. Hatte er das Hilfegesuch nicht geschrieben, um Cäsar einen Gefallen zu tun? Cäsar argumentierte so, als ob nicht er in der Schuld von Diviciatus stünde, sondern Diviciatus in seiner. Das war eine verkehrte Welt! Diviciatus verschlug es förmlich die Sprache. Liscus hob zaghaft die Hand und begann dann die verzwickte Angelegenheit näher zu erläutern: »Großer Cäsar, es gibt bei uns …« Liscus bohrte hektisch in seinem linken Ohr und rang nach Worten, »… es gibt bei uns gewisse Leute, die beim einfachen Volk ein sehr hohes Ansehen genießen. Und obwohl sie kein öffentliches Amt bekleiden, haben sie im Grunde genommen mehr Macht als unsere Obrigkeit. Diese Leute versuchen nun seit Wochen, das Volk durch böswillige und aufrührerische Reden von der Lieferung des versprochenen Getreides abzubringen. Sie sagen, wenn die Häduer nicht mehr in der Lage seien, ihre Vormachtstellung in Gallien zu behaupten, dann sei es immer noch besser, sich einer gallischen Macht unterzuordnen als einer fremden, römischen Macht. Diese Leute behaupten, daß du ganz Gallien erobern würdest, wenn du mit den Helvetiern fertig wärst. Und sie sagen auch, du würdest allen Galliern die Freiheit rauben.«

Liscus gab sich alle Mühe, leidend und gequält zu klingen. Wenn sein Bartwuchs nicht alles verdeckt hätte, wir hätten bei genauerem Hinsehen vielleicht sogar eine Träne entdeckt, die er mit viel Mühe kunstvoll herauspreßte. »Cäsar«, flehte er nun mit bebender Stimme, »wir haben keine Möglichkeit, diese Leute in die Schranken zu weisen, und du machst dir keine Vorstellung davon, welcher Gefahr ich mich aussetze, wenn ich dir das alles berichte. Denn alles, was wir bereden und beschließen, wird schon morgen den Helvetiern mitgeteilt. Denn zwischen Helvetiern und Häduern gibt es sehr viele Blutsverwandte.«

Ich übersetzte, so schnell ich konnte. Auch Liscus konnte kein Wort Lateinisch. Und von den Nöten eines Dolmetschers hatte er keine Ahnung. Er sprudelte wie ein Wasserfall. Diviciatus starrte resigniert auf den Zeltboden. Eine erbärmliche Kreatur mit herunterhängendem Unterkiefer, ein Mann, der nur noch Bitterkeit und Resignation ausstrahlte. Cäsar schaute Diviciatus an, doch dieser wagte nicht mehr, den Kopf zu heben. Cäsar entließ darauf die Versammlung.

»Liscus?« Liscus wollte gerade wie ein Wiesel entwischen, da rief ihn Cäsar zurück. »Ich möchte dich noch etwas fragen.« Liscus kam ins Zelt zurück. Auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen.

»Du sprachst stets von gewissen Leuten. Sprachst du von Dumnorix, dem Bruder des Diviciatus?«

»Ja!« stieß Liscus erleichtert hervor. »Ja, Cäsar, Dumnorix ist der Anstifter und an allem schuld – das Volk liebt seinen kühnen Unternehmungsgeist, seine Freiheitsliebe. Niemand wagt gegen ihn vorzugehen, und das, obwohl wir alle wissen, daß er auf einen Umsturz hin arbeitet. Seit Jahren hat er die Zölle und übrigen Staatsgeschäfte in Pacht. Für einen Spottpreis.«

»Werden bei euch die Pachten nicht versteigert?« fragte Cäsar. Ich hatte das mal beiläufig erwähnt. Ich war überrascht, wie Cäsar sich stets an jedes Detail erinnerte und bei Bedarf bereit hatte. Wenn es ihm nutzte.

»Doch, Cäsar, aber wenn Dumnorix eine Summe bietet, wagt niemand ihn zu überbieten. Das wäre tödlich. Dumnorix ist sehr reich. Er unterhält eine eigene Reiterei. Auch bei den benachbarten Stämmen ist er äußerst beliebt. Seine Frau ist eine Helvetierin. Seine Mutter hat er einem mächtigen Fürsten aus dem Land der Bituriger zur Frau gegeben. Alle seine weiblichen Verwandten gibt er anderen keltischen Stammesfürsten zur Frau. Dich, Cäsar, haßt er aber abgrundtief, denn du hast seinem Bruder Diviciatus die einflußreiche und ehrenvolle Stellung zurückgegeben, die er früher hatte. Du hast seine Macht beschnitten. Dumnorix beschimpft öffentlich seinen Bruder, weil dieser Roms Legionen zu Hilfe gerufen hat, um sich im eigenen Hause behaupten zu können. Er tadelt dies als Verrat an den keltischen Bräuchen. Und wenn dir ein Unglück geschieht, Cäsar, dann wird er nicht zögern, sich mit Hilfe der Helvetier zum König aller Stämme ausrufen zu lassen.« Liscus' Stimme wurde immer weinerlicher. Er kam während des Sprechens so richtig in Fahrt. Es hätte wohl wenig gefehlt, daß er wie ein altes Klageweib zu Boden gesunken und sich wie ein Wurm im Staub gewunden hätte. Wenn ich auf einem einzigen Bein hätte stehen können, ohne das Gleichgewicht zu verlieren, wer weiß, ich hätte diesem Liscus vielleicht einen tüchtigen Tritt in den Hintern gegeben. Wie konnte ein Mann sich bloß so erniedrigen!

Den ganzen Tag über empfing Cäsar weitere Adlige aus der Gefolgschaft von Diviciatus und Liscus. Es war schon erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit Cäsar sich in dieser Wildnis als Herr und Richter aufspielte. Aber die meisten Kelten machten es ihm leicht. Sie stellten seine Autorität nicht in Frage. Gegen Abend empfing Cäsar dann nochmals Diviciatus zum Gespräch. Er bat alle Dolmetscher und Schreiber, das Zelt zu verlassen. Nur mir befahl er zu bleiben. Nachdem er mich bei der öffentlichen Unterredung mit Divico öffentlich zurückgesetzt hatte, gewährte er mir also wieder eine besondere Ehre. Ich bin sicher, daß dieses Wechselspiel von Milde und Härte von Cäsar gezielt eingesetzt wurde, so, wie man auch Brot und Peitsche zur Dressur bestimmter Tiere einsetzt. Nun gut, ich war nicht Cäsars Haustier, aber Cäsars Druide.

Cäsar eröffnete das Gespräch, indem er Diviciatus überschwenglich lobte. Das war sehr geschickt. Will man jemanden kritisieren, sollte man stets mit Lob beginnen. Cäsar lobte also Diviciatus' Freundschaft, seine Treue, sprach von bewegenden menschlichen Augenblicken, die er in seiner Gegenwart erfahren durfte. Er klopfte den alten Mann regelrecht weich mit all seinem Lob, wie ein Faustkämpfer, der pausenlos auf seinen Gegner einschlägt, bis dieser stehend das Bewußtsein verliert. Diviciatus saß auf einem Stuhl. Er war nervlich völlig zerrüttet, und wie bei vielen Menschen, die sehr lange mit dem Schicksal hadern, flossen die Tränen in Strömen, wenn einer ihnen ein bißchen Verständnis und Liebe entgegenbrachte.

»Ich sollte deinen Bruder Dumnorix hinrichten lassen. Das befehlen mir Gesetz und Brauch. Aber mein Herz sagt mir, daß ich einen treuen Freund, wie du es bist, Diviciatus, nicht verletzen darf.«

Ich übersetzte Cäsars Satz und versuchte mit leiser, bewegter Stimme, die Rührung zu erzeugen, die Cäsar beabsichtigt hatte. Ich spürte förmlich, wie Cäsars Sätze Diviciatus' Körper durchdrangen. Auch Cäsar bemerkte es. Für einen Augenblick glaubte ich Anerkennung in Cäsars Augen zu lesen. Für einen ganz kurzen Augenblick waren wir Verbündete. Ich genoß es, den Hauch einer Bewunderung zu erfahren. Sicher, es war überheblich und abstoßend, sich als Maß aller Dinge zu betrachten, so wie es Cäsar tat, aber wer weiß, möglicherweise genoß er wirklich den besonderen Schutz der unsterblichen Götter, die er bei jeder Gelegenheit aufs neue bemühte. Ich setzte meine Übersetzung fort, leise und einfühlsam, während Diviciatus beschämt den Kopf senkte und von einem stummen Weinkrampf geschüttelt wurde. Als Cäsar freundschaftlich seine Schulter berührte, fiel Diviciatus auf die Knie und weinte hemmungslos, während er wie ein ertrinkendes Kind Cäsars Knie umklammerte. Diviciatus klagte Cäsar sein Leid und gestand ihm, daß alles wahr sei, was man ihm erzählt habe.

»Nur durch mich ist mein Bruder damals zu Ehre und Ansehen gelangt. Doch er hat es besser als ich verstanden, sich überall beliebt zu machen. Und jetzt schadet er mir, wo immer er kann.«

Es war einfach unerhört, wie sich nun auch Diviciatus vor Cäsar erniedrigte! Ich brauchte ein Höchstmaß an Konzentration, um dieses Gestammel zügig übersetzen zu können. Diviciatus hing zitternd an Cäsars Knien und bat um Gnade für seinen Bruder. Ein beschämender Augenblick für einen Kelten. Ich weiß nicht, ob nicht dieses Verhalten auch dazu beitrug, daß Cäsar die Achtung vor den Kelten allmählich verlor.

»Alle Häduer wissen, daß ich deine Freundschaft genieße, Cäsar. Wenn du also meinen Bruder bestrafst, werden alle denken, ich hätte es veranlaßt, und alle werden sich von mir abwenden!«

Cäsar fühlte sich langsam unwohl. Er ergriff Diviciatus' Hand und bat ihn aufzustehen. Dann wandte er sich von ihm ab, und während er sich mit einem Leintuch Diviciatus' Tränen von seinen nackten Knien wischte, versicherte er ihm, seine Bitte zu erhören.

»Geh jetzt, Diviciatus, und schick deinen Bruder zu mir.«

Diviciatus nickte und verließ beschämt das Zelt. Cäsar setzte sich wieder auf seinen Stuhl und starrte kopfschüttelnd und angewidert zum Zelteingang. Dann schaute er kurz zu mir rüber. »Ist das Gallien?«

»Nein«, sagte ich, »das war Diviciatus.«

Cäsar grinste breit.

»Du bist ein guter Übersetzer, Druide.«

»Wie willst du das beurteilen, Cäsar? Sprichst du die Sprache der Kelten?«

Cäsar lachte. »Aber noch besser ist dein Verstand. Dir gebührt ein Königreich in Gallien.« Cäsar klatschte in die Hände und befahl dem herbeieilenden Sklaven, verdünnten Wein zu bringen. Einer von Cäsars Leibwache kündigte Dumnorix an. Cäsar hieß ihn eintreten. Es ist schon sonderbar, wie verschieden Brüder sein können. Das muß auch Cäsars erster Gedanke gewesen sein. Dumnorix verkörperte den stolzen Kelten, der lieber untergeht, als in Knechtschaft zu geraten.

Cäsar bot Dumnorix einen Stuhl und einen Becher Wein an. Dumnorix lehnte mit einer stolzen Geste ab. Cäsar nahm es ungerührt zur Kenntnis und faßte alle Vorwürfe zusammen, die er im Laufe des Tages gehört hatte. Als er jedoch Dumnorix vorwarf, den Helvetiern den Durchmarsch durch das Gebiet der Sequaner vermittelt zu haben, ohne ihn, Cäsar, um Erlaubnis zu bitten, unterbrach ihn Dumnorix barsch. Er sprach laut und klar, damit seine Gefolgsleute vor dem Zelt jedes Wort verstehen konnten:

»Seit wann müssen wir, freie Kelten, den Prokonsul der römischen Provinz um Erlaubnis bitten, wenn wir außerhalb seiner Provinz unseren Geschäften nachgehen? Bitten die Römer uns um Erlaubnis, wenn sie in Ostia gebrannten Kalk in die Latrinen werfen oder die Via Appia pflastern? Was hast du hier verloren, Cäsar? Wieso bleibst du nicht in deiner Provinz? Wieso verfolgst du die Helvetier durch freies Gebiet? Was haben sie dir getan? Wer hat dir überhaupt erlaubt, das Land der Sequaner zu betreten?«

»Schweig, Dumnorix«, herrschte Cäsar ihn verärgert an. »Du verkennst die Lage, wenn du meinst, du könntest mich einem Verhör unterziehen. Ich bin der, der über dich richtet. Ich bin hier, weil die Häduer Rom gerufen haben.«

»Nein«, schrie Dumnorix, »ich habe dich nicht gerufen!«

Cäsar ignorierte nach bewährter Manier, was ihm nicht paßte, und fuhr fort: »Wenn die Häduer mit den Aufrührern in ihren eigenen Reihen nicht fertig werden, wird Rom ihnen dabei behilflich sein. Und ich rate dir jetzt, Dumnorix, vermeide jeden Anlaß zur Klage, vermeide jeden erneuten Verdacht. Deinem Bruder Diviciatus zuliebe will ich dein Leben schonen, aber von nun an sollen dich auf Schritt und Tritt fünfzig Männer begleiten, die mein Vertrauen genießen. Du stehst unter Aufsicht, Dumnorix.«

»Du kannst mir das Leben nehmen, Cäsar, vielleicht, aber nie wirst du meinem Land die Freiheit nehmen.«

Cäsar war erbost von seinem Stuhl aufgesprungen. Beide Männer standen sich feindselig gegenüber. Dumnorix' Hand umklammerte bereits den Griff seines Hiebschwertes. Da fing Cäsar plötzlich an zu lachen und sagte: »Dumnorix, dein Mut gefällt mir. Ich werde dir deshalb nicht das Leben nehmen, sondern dich zum König der Häduer machen!«

Dumnorix war verwirrt. Schließlich zupfte er an seinem borstigen Schnurrbart und nickte Cäsar anerkennend zu.

»Dumnorix, du sollst das einflußreiche Amt des Vergobreten übernehmen und als oberster Richter eures Stammes über Leben und Tod entscheiden. Überlaß deinem Bruder für diese Zeit die politische Führung der Häduer. Sobald ich Gallien befriedet habe, sollst du dann König der Häduer werden.«

»So überzeugend hat noch keine Frau um mich geworben«, lachte Dumnorix, »aber was hast du mit den Sequanern im Sinn? Die haben germanische Söldner über den Rhenus geholt und unserem Volk übel zugesetzt. Mittlerweile sind bereits über hunderttausend Germanen über den Rhenus gekommen und tanzen den Sequanern auf dem Kopf herum.«

»Beruft eine Versammlung der Stammesfürsten ein«, riet Cäsar »und versucht euch mit den Sequanern zu einigen. Dann kommt zu mir und laßt uns die Sache besprechen.«

Dumnorix bedankte sich bei Cäsar und verließ mit erhobenem Kopf das Zelt. Man mußte wahrlich nicht in irgendwelchen Eingeweiden herumstochern, um vorauszusehen, daß Dumnorix mit Milde oder Härte nicht beizukommen war. Nur mit der Aussicht auf die Königskrone.

Cäsar schaute zu mir rüber.

»Ist das Gallien, Druide?«

»Gallien hat viele Gesichter«, antwortete ich, »Rom aber nur eins.«

Cäsar lächelte und bot mir einen Becher Wein an. Ich setzte mich zu ihm. Lucia streckte ihre Vorderläufe von sich und gähnte geräuschvoll. Dann tippelte sie in kurzen Schritten zu mir herüber und setzte sich wieder auf meine Füße.

»Du erinnerst mich an meinen Grammaticus, Druide.«

»An deinen was?«

»An meinen Grammaticus. Das war mein Lehrer. Antonius Gripho. Er unterrichtete mich zu Hause. Er war Gallier. Ursprünglich war er als Geisel nach Rom verschleppt worden. Aber er hat sich bei uns so gut eingelebt, daß er auch nach Ablauf seiner regulären Zeit geblieben ist. Er hat mir leider nicht sehr viel über Gallien erzählt. Was denkst du, Druide, was ist der größte Unterschied zwischen Rom und Gallien?«

»Die Pferde«, schmunzelte ich.

»Die Pferde? Du meinst, die Pferde in Gallien sind größer und stärker als die Pferde in Rom?«

Ich schwieg und nippte an meinem Becher. Es war Cäsars Hauswein, den ich da trank, ein blutroter Tropfen aus Massilia.

Cäsar insistierte: »Was willst du damit sagen? Daß ihr besser mit Pferden umgehen könnt? Daß ihr die besseren Reiter seid?«

»Nein, Cäsar. Die Pferde in Gallien haben nicht nur vier Beine wie die Pferde in Rom, sondern auch vier Köpfe. Und jeder Kopf vertritt eine andere Meinung, und jedes Bein gehorcht einem anderen Kopf.«

Cäsar musterte mich nachdenklich, dann setzte er seinen Becher an die Lippen und trank ihn in gleichmäßigen Schlucken leer. In diesem Augenblick war ich stolz, Cäsar gegenüberzusitzen. Der jämmerliche Anblick von Diviciatus und Liscus hatte etwas in mir zerbrochen. Vielleicht den Stolz, ein Kelte zu sein. Von diesem Tag an stellte ich mich Fremden nicht mehr als Kelte vor. Sondern als Rauriker. Ich war Rauriker und würde immer ein stolzer Rauriker sein. Aber noch lieber war ich: Cäsars Druide!

Kundschafter meldeten, daß die Helvetier am Fuße eines Berges ruhten. Sofort sandte Cäsar Reiter aus, um die Beschaffenheit des Berges auszukundschaften. Wenig später meldeten sie, der Berg sei von allen Seiten leicht zu besteigen. Deshalb schickte Cäsar während der dritten Nachtwache seinen ersten Legaten, Titus Labienus, mit zwei Legionen auf den Bergkamm hinauf. Cäsar selbst folgte um die vierte Nachtwache den Spuren der Helvetier. Die Reiterei bildete die Vorhut. Publius Considius wurde mit Spähern vorausgeschickt. Ich blieb mit Wanda im Lager zurück und kopierte in Cäsars Sekretariat Briefe und Dokumente, die aus Rom eingetroffen waren. In der Zwischenzeit hatte Labienus mit den beiden Legionen den Bergkamm besetzt. Cäsar war nur noch anderthalb Meilen entfernt, als ihm Publius Considius die Falschmeldung brachte, daß die Bergspitze von den Helvetiern besetzt sei. Er habe es deutlich an den glitzernden Rüstungen und Abzeichen erkannt. Cäsar zog sich darauf auf den nächsten Hügel zurück und stellte sein Heer in Schlachtordnung auf. Da Labienus erst angreifen durfte, wenn Cäsar in unmittelbarer Nähe des feindlichen Lagers war, wartete Labienus geduldig auf seiner Bergspitze, während auch Cäsar geduldig auf seinem Hügel ausharrte. Als Kundschafter endlich das Mißverständnis klärten, waren die Helvetier bereits weitergezogen.

Publius Considius wurde am Abend vor der versammelten Legion degradiert und mußte zu seiner Schande zusammen mit seiner Reiterstaffel drei Wochen außerhalb des befestigten Nachtlagers schlafen. Als wir am nächsten Tag aufbrachen, fanden wir hier und da Leichen von Publius Considius' Reitern. Sie waren allesamt nackt und enthauptet. Die Köpfe fanden wir später. Man hatte sie auf angespitzte Pfähle aufgepflockt und am Waldrand in den Boden gerammt.

Wir folgten den Helvetiern. Sie hatten zu keinem Zeitpunkt auch nur die kleinste Chance. Sie waren zu langsam. Und siegen würde schließlich derjenige, der den Nahrungsmittelnachschub besser organisiert hatte. In dieser Beziehung hatte Cäsar plötzlich ein großes Problem. In zwei Tagen mußte er seinen Soldaten den Proviant für die nächsten zwei Monate aushändigen. Zwei Modien pro Kopf.

Cäsar berief den Kriegsrat ein und verlangte von allen Offizieren die neuesten Meldungen. Die Stimmung war schlecht. Die meisten machten die unzuverlässigen Häduer für den Schlamassel verantwortlich. Einerseits war es ein Kinderspiel, Gallien im Handstreich einzunehmen, aber andererseits schien es so, als hätte sich alles gegen Cäsars Plan verschworen. Cäsar schickte die Offiziere wieder hinaus und blieb alleine mit Aulus Hirtius und mir zurück. Gereizt überflog er die Korrespondenz aus Rom. Schließlich donnerte er die Faust auf den Tisch. »Da läuft dieses fette Wildschwein seit Wochen vor mir her, und ich kriege es nicht zu fassen. Weshalb, Druide?«

»Du meinst, Publius Considius habe Wahnvorstellungen gehabt, als er dir gestern meldete, die Helvetier hätten den Berg bereits besetzt«, sagte ich.

»Er hat zuviel gesoffen und Wahnvorstellungen entwickelt. Das sagen auch seine Männer. Er hat die Rüstungen verwechselt …«

»Nein, Cäsar, es sind die Wälder, die ihn um den Verstand gebracht haben. In den Wäldern wohnen unsere Götter. In jedem Baum sind sie zu Hause, und sie können nach Belieben ihr Erscheinungsbild ändern. Als Publius Considius glaubte, die Helvetier auf dem Berg zu sehen, sah er in Wirklichkeit unsere Ahnen. Sie haben ihm den Verstand geraubt.«

»Ach, hör auf, Druide, ich kann deine Geschichten nicht mehr hören! Ich werde dir zeigen, welche Götter sich für einen Cäsar entschieden haben. Aber zuerst brauchen meine Männer zu essen. Wir marschieren morgen nach Bibracte. Wenn die Häduer uns kein Getreide geben, werden wir es uns gewaltsam holen.«

Am anderen Morgen brachen wir gegen Ende der vierten Nachtwache auf und marschierten gegen Bibracte. Über Nacht hatte es geregnet. Die Wege waren aufgeweicht und matschig, und die Legionäre hatten an diesem Tag noch mehr zu schultern. Denn wie üblich waren in der Nacht wieder Sklaven verschwunden. Einige von ihnen waren zu den Helvetiern übergelaufen und hatten ihnen Cäsars Pläne verraten. In der Marschkolonne der Helvetier machte sich darauf Hochstimmung breit. Cäsar hatte die Verfolgung aufgegeben! Nein, ein ängstlicher Cäsar floh vor den mutigen Helvetiern! Während die Helvetier weiter nach Westen zogen, entfernten sich die Römer Richtung Norden. Hatten gestern Cäsar und Labienus nicht Hügel und Berg besetzt und trotz günstiger Position die Schlacht vermieden? Die Helvetier wurden geradezu euphorisch, denn es liegt nun mal in der Natur des Menschen, daß er die angenehmste Deutung stets für die wahrscheinlichste hält. Aus den Verfolgten wurden Verfolger. Die Ungeduldigsten unter den helvetischen Reitern ritten zurück und provozierten nun ihrerseits Cäsars Nachhut. Cäsar reagierte prompt. Er ließ die beiden Legionen, die er kürzlich im diesseitigen Gallien ausgehoben hatte, auf einem Hügel in Stellung gehen, flankiert von leichtbewaffneten Söldnern mit Rundschild, Lederhelm, Schwert und mehreren Wurfspeeren; auch einige Bogenschützen waren unter ihnen. Ihre Aufgabe war der Schutz des Gepäcks. Unterhalb dieser unerfahrenen Legionen, ungefähr auf halber Höhe des Hügels, stellte Cäsar seine vier altgedienten Legionen auf.

Ich stand mit Wanda zuoberst auf dem Hügel inmitten von Karren, Katapulten und zusammengerollten Lederzelten und sah, wie die helvetische Kavallerie ungestüm auf uns zupreschte und gar nicht erst wartete, bis die helvetische Marschkolonne, die größtenteils noch zum designierten Schlachtfeld unterwegs war, den Ort erreicht hatte. Cäsar gab seiner Kavallerie den Befehl zum Angriff. Die Cornubläser übertrugen die Kommandos in akustische Tonfolgen, deren Bedeutung allen Soldaten bekannt war. Auf dieses Signal hin stürmte die häduerische Kavallerie in Cäsars Diensten auf die Helvetier hinunter. Doch die helvetischen Reiter standen derart eng beieinander, daß die Häduer abrupt zum Stillstand kamen und niedergehauen wurden; fluchtartig stoben sie nach allen Seiten auseinander. Angst und Schrecken stand in den Gesichtern der Rekruten. Den Krieg kannten sie nur vom Hörensagen. Aber jetzt standen sie irgendwo in der Wildnis auf einem Hügel und wurden von Tausenden von Barbaren bedrängt. Und es wurden immer mehr. In wenigen Stunden würden die letzten Kelten der helvetischen Marschkolonne den Kriegsschauplatz erreicht haben. Es war wie ein Fluß, der sich am Fuße des Hügels in einen immer breiter werdenden Ozean ergoß. Cäsar handelte rasch. Demonstrativ ließ er sein Pferd und die Pferde seiner Offiziere wegbringen. Er setzte, wie so oft in seinem Leben, alles aufs Spiel. Sein fanatischer Ehrgeiz erlaubte ihm keine Niederlage. Jede Auseinandersetzung geriet sofort zur Überlebensfrage. Sieg oder Tod. Diese Haltung versuchte er auf seine Legionäre zu übertragen. Keiner sollte auch nur einen Augenblick an Flucht denken. Die Gefahr sollte für alle gleich sein. Ein Kälteschauer durchfuhr mich. Ich setzte mich mit Wanda und Krixos auf einen Stapel Lederballen und schaute gebannt den Hügel hinunter. Links von uns sammelten sich Hunderte von Troßknechten wie zu einer Vorstellung in einer römischen Arena und schlossen Wetten ab. Unter ihnen waren auch ein paar Sklaven, die für den Fall einer römischen Niederlage ihre Flucht erörterten.

»Römer!« brüllte Cäsar den Hügel hinunter. »Soldaten! Vor euch stehen die Nachfahren jener Barbaren, die wir schon vor Massilia geschlagen haben. Es sind Räuber, die nur Krieg und Verderben bringen und nie müde werden, sich ihrer Taten zu rühmen. Wenn wir ihnen heute gegenüberstehen, so ist es der Wunsch der unsterblichen Götter, diese Barbaren ein für allemal zu bestrafen. Römer! Legionäre! Wir sind von den Göttern auserkoren, das Schicksal der Helvetier zu erfüllen. Kämpft, Legionäre! Holt euch das Gold der Helvetier! Es gehört euch! Kämpft, Legionäre! Verdient euch die Achtung eurer Centurionen. Verdient euch Cäsars Achtung. Rom blickt auf euch. Der Kampf möge beginnen!«

Die Legionäre brüllten sich die ganze Angst aus dem Bauch, in rhythmischen Versen ließen sie Rom und Cäsar hochleben und machten sich gegenseitig Mut, während die Kelten am Fuße des Hügels ein seltsames Schauspiel boten. Ein keltischer Adliger stand nackt zwischen den helvetischen und römischen Reihen und forderte lauthals den Primipilus zum Zweikampf auf. Hätte ich all seine Worte, die von den keltischen Kriegern mit lautem Hohngelächter kommentiert wurden, mitgeschrieben, ich hätte vermutlich eine kleine Enzyklopädie der keltischen Fäkalsprache veröffentlichen können. Doch kein Centurio ließ sich herausfordern. Vier Legionen standen dem nackten Kelten gegenüber. Vier Legionen, die jeweils drei hintereinanderliegende Reihen bildeten. Die häduerische Kavallerie war zurückgezogen worden. Cäsar traute ihr nicht mehr. Der nackte Kelte trommelte sich auf die Brust und brüllte weitere Verwünschungen zu den Legionen hinüber. Schließlich pinkelte er verächtlich in ihre Richtung. Als er ihnen dann den nackten Hintern zeigte und in die Hocke ging, traf ihn ein gezielter Pfeil zwischen den Schultern. Wütend rissen sich einige keltische Adlige Rüstungen und Kleider vom Leib und traten ebenfalls nackt und wild gestikulierend nach vorne. Die Feigheit der Römer war ihnen absolut unbegreiflich. Was nützte ein heimtückisch errungener Sieg? Die Römer verweigerten den ehrenhaften Kampf! Sie wollten bloß einen Sieg! Die nackten Fürsten waren außer sich vor Wut. Schließlich verlor ein Centurio aus der zweiten Reihe die Nerven und rannte nach vorn. Sein Mut wurde von den Kelten mit einem orkanartigen, zustimmenden Geschrei gewürdigt. Die nackten Kelten wollten sich schon darüber streiten, wer mit dem Römer kämpfen durfte, als ein weiterer nackter Kelte in den breiten Korridor trat, der die keltischen Schlachtreihen von den römischen Linien trennte. Der Centurio ging sofort in Verteidigungsstellung und zog den Gladius. Der nackte Kelte war hochgewachsen und nur mit einem langen Schwert und einer Axt bewaffnet. Während der Centurio ständig die Position von Schild und Schwertarm veränderte, stampfte der nackte Riese furchtlos auf den eher kleingewachsenen Centurio zu. Dieser tänzelte geschmeidig und taktisch klug von einem Fuß auf den anderen, um notfalls blitzschnell ausweichen zu können. Doch da sauste die Axt des nackten Kelten durch die Luft, spaltete den rotgefärbten Scutum des Centurios, schlitzte ihm das Kettenhemd auf und blieb in seinem Brustbein stecken. Mit zwei Schritten stand der nackte Riese vor dem nach Luft ringenden Centurio und hieb ihm mit einem glatten Schnitt den Kopf ab. Die keltischen Schlachtreihen stießen johlend ihre Schwerter in die Luft. Der Riese bückte sich nach dem abgeschlagenen Kopf und hob ihn auf. Mit kreisenden Bewegungen schwang er den Blut spritzenden Kopf durch die Luft. Ein Pfeilhagel streckte den Kelten nieder. Ein ungeheuerlicher Vorgang! Es war nicht zu fassen, wie unsportlich sich diese Römer verhielten! Wie Feiglinge standen sie da. Sie nannten das Disziplin. Unruhig warteten sie auf das Angriffssignal der Cornus. Unten am Hügel drängten sich immer mehr Kelten in die vordersten Reihen. Als wolle jeder beim Sterben der erste sein. Sie standen so dicht beieinander, daß die Schilder übereinanderlappten. Plötzlich erklangen aus allen Richtungen die ohrenbetäubenden Stöße der Cornus. Die Legionäre warfen ihre Pila und stürmten den Hügel hinunter. Wie ein eisernes Netz zischten Abertausende von Wurfgeschossen durch die Luft und verdeckten für kurze Zeit den Blick auf die keltischen Schlachtreihen. Weil die Helvetier so eng standen, durchbohrten die Pila oft zwei Schilde und hefteten sie so aneinander. Vergebens versuchten die Kelten die Pila, deren weiche Eisenspitze sich nach dem Aufprall verkrümmte, abzuschütteln. Entnervt ließen viele ihre Schilde fallen und wurden von den nachfolgenden Wurfspeeren, die nun die Legionäre aus der zweiten und dritten Reihe herabschleuderten, durchbohrt. Als die mit gezücktem Gladius herunterrennenden Legionäre die helvetische Schlachtreihe erreichten, klafften dort bereits riesige Löcher, und es war für die kampferprobten Römer ein leichtes, den verdutzten Kelten den Schild ins Gesicht zu donnern, während sie gleichzeitig mit dem Gladius zustachen und gezielt Achselhöhle oder Unterleib durchbohrten. Da die Römer in enger, aber nicht beengender Aufstellung kämpften und ein kurzes Schwert benutzten, das vor allem zum Stoßen geeignet war, waren sie den verdutzten Kelten, die überlange und deshalb unhandliche Hiebschwerter benutzten, weit überlegen. Unerwartet rasch zogen sich die Helvetier auf einen Berg zurück, der kaum tausend Schritte entfernt war. Die siegessicheren Legionäre rückten unaufhaltsam vor. Doch plötzlich erschienen rund fünfzehntausend Bojer und Tiguriner auf dem Schlachtfeld. Sie hatten die Nachhut des Helvetierzuges gebildet. Sie griffen sofort in den Kampf ein und stürzten sich in die rechte, ungeschützte Seite der nachrückenden Legionäre. Als die Helvetier, die sich auf den Berg zurückgezogen hatten, die lautstark eintreffende Verstärkung sahen, gingen sie erneut zum Angriff über und rannten wieder den Berg hinunter. Mit voller Wucht prallten sie auf ihre Verfolger, die nun von zwei Seiten arg bedrängt wurden. Cäsar ordnete sofort an, daß die ersten beiden Reihen der vier Legionen den Helvetiern auf dem Berg trotzen sollten, während die dritte und letzte Reihe die heranstürmenden Bojer und Tiguriner aufhalten müsse. Auf beiden Seiten wurde erbittert gekämpft. Die Helvetier wußten, daß eine Niederlage das Ende ihrer Atlantikträume war, und jeder Legionär war sich bewußt, daß eine Niederlage in dieser Wildnis den sicheren Tod bedeutete. Auf beiden Seiten sah man niemanden fliehen. Nur die römischen Sklaven, die oben auf dem Hügel beim verschanzten Gepäck gebannt dem Schauspiel folgten, glaubten plötzlich die Römer unter Druck. Zuerst grinsten sie sich nur frech an. Allmählich verschwand der eine oder andere auf der Rückseite des Hügels, und plötzlich rannten sie zu Hunderten weg. Johlend und spottend. Die Centurionen verboten den Rekruten, die Verfolgung aufzunehmen. Sie brauchten jeden Mann Reserve. Der Kampf unten am Hügel artete in eine regelrechte Abschlachterei aus, die von Mittag bis tief in die Nacht dauerte. Auf beiden Seiten waren die Verluste riesig, die Zahl der Verletzten unüberschaubar. Doch selbst jene, die sich mit schwersten Verwundungen vorübergehend aus dem Kampfgeschehen zurückgezogen hatten, erhoben sich nach einer Weile wieder, um weiterzukämpfen. Jede Seite versuchte immer wieder mit einem allerletzten Aufbäumen die Entscheidung herbeizuführen. Die Männer fielen und starben, zu Tausenden lagen sie auf der blutgetränkten Erde. Ein Centurio rannte wie von Sinnen mit abgetrennten Armen durch das unüberschaubare Leichenfeld, bis er in einem Brei von dampfenden Gedärmen ausglitt und der Länge nach hinfiel. Ein Kelte torkelte in die feindlichen Linien und versuchte dabei das abgeknickte Pilum aus seinem Hals zu ziehen. Ein Schwerthieb spaltete ihm den Kopf. Ein großes Auge kullerte über den bronzenen Muskelpanzer eines jungen Tribuns, der bewegungslos, aber mit weit aufgerissenen Augen in den Himmel starrte. Ein Kelte brach tot über ihm zusammen. Der Gladius steckte noch in seiner Achselhöhle. Und langsam wurden die Rufe der Kelten schwächer. Die Bojer und Tiguriner zogen sich allmählich zurück. Sie taten es so ruhig und geordnet, daß man den Eindruck haben konnte, sie hätten nun genug von der Schlacht. Die Frauen und Alten, die an der Stelle geblieben waren, wo der lange Treck sich am Mittag aufgelöst hatte, hatten mittlerweile eine Wagenburg gebildet. Die zurückkehrenden Bojer und Tiguriner stiegen auf die Ladeflächen, verschanzten sich hinter Getreidesäcken und Fässern und schleuderten von dort ihre Speere auf die diszipliniert nachrückenden Legionäre. Die Helvetier hatten sich auf ihren Berg zurückgezogen und versuchten die nachrückenden Römer aufzuhalten, bis sie ihr Gepäck in Sicherheit gebracht hatten. Da schrie ein Centurio, daß Cäsar den ersten, der in das helvetische Lager eindringe, persönlich belohnen werde. Daraufhin rannten die Legionäre mit Todesverachtung gegen die keltischen Stellungen an. Schließlich gelang es ihnen, in das Herz des Lagers einzudringen und sich des Trosses zu bemächtigen. Die Kinder der angesehensten Fürsten gerieten in Gefangenschaft, die legendären Goldreserven in die Hände der römischen Soldaten. Die überlebenden Helvetier, Rauriker, Bojer und Tiguriner verließen den Kriegsschauplatz. Stumm und ohne Eile, als zollten sie dem wimmernden Schlachtfeld die letzte Ehre.

Die Römer sanken erschöpft zu Boden und dankten den Göttern, daß der Alptraum vorüber war. Viele weinten leise vor sich hin. Einige zitterten am ganzen Körper und murmelten wirres Zeug, als hätten sie den Verstand verloren. Ich war wie gelähmt. Die ganze Nacht über hörten wir das Flehen, Stöhnen und Wimmern der Sterbenden. Bis in die frühen Morgenstunden mußten erschöpfte Legionäre jungen Rekruten beistehen, die sich, von Weinkrämpfen geschüttelt, am Boden krümmten oder verstört herumirrten. Was hatte man ihnen alles erzählt, über die glorreichen Schlachten ihrer Ahnen, über die Feldzüge, an denen Verwandte teilgenommen hatten! Aber niemand hatte ihnen gesagt, was Krieg wirklich war.

Cäsar saß starr in seinem Zelt. Ein Kundschafter meldete, daß die Helvetier ihren Zug fortgesetzt hätten. Er schätzte die Überlebenden auf sechzig- bis siebzigtausend. Cäsar befahl, die Verfolgung aufzunehmen.

»Dazu sind wir nicht mehr in der Lage«, murmelte Labienus. Cäsar wußte, daß die Schlacht unentschieden geendet hatte. Er hätte genausogut als erster das Schlachtfeld verlassen können. Aber so wie ich Cäsar mittlerweile kannte, bin ich sicher, daß er den Ausgang der Schlacht als Zeichen der Götter wertete.

»Wie lange werden wir brauchen, um die Toten zu bestatten?« fragte Cäsar in die Runde.

»Mindestens drei Tage, Cäsar.«

Fast beschämt blickte er auf seine lehmverschmierten Lederstiefel. Drei Tage, das bedeutete, daß er immense Verluste erlitten hatte.

»Labienus, schick Boten zum Stamm der Lingonen. In ein, zwei Tagen werden die Helvetier ihr Gebiet erreicht haben. Ich verbiete den Lingonen, den Helvetiern zu helfen. Bei Zuwiderhandlungen werde ich die Lingonen so behandeln, wie ich die Helvetier behandelt habe. Sage es ihnen.«

»Cäsar«, sagte einer der jungen Tribune, »wir haben im Lager der Helvetier Unmengen Gold gefunden. Sollen wir …«

»Kann Gold meine toten Männer wieder zum Leben erwecken oder die Sterbenden heilen?« fauchte der Centurio Lucius Speratus Ursulus. Sein linkes Auge war blau unterlaufen. Unter dem zerschlissenen rechten Ärmel seiner Tunika hatte sich eine Blutkruste gebildet.

»In gewissem Sinne schon«, antwortete Cäsar ruhig. »Gold bedeutet Legionen, Legionen bedeuten Macht, und Macht bedeutet Rom. Bringt mir das Gold der Helvetier!«

In einem riesigen Zelt, das von Cäsars Leibgarde bewacht wurde, hatten die Rekruten das Gold der Helvetier gestapelt. Raubgold. Es waren ganze Wagenladungen von groben Goldbarren, unzählige Fässer mit keltischen, massaliotischen, römischen und griechischen Gold- und Silbermünzen. Cäsar hatte darauf bestanden, daß ich ihn begleitete. Da der Boden zum Teil glitschig war, hatte ich Wanda mitgenommen. Cäsar nahm einem Soldaten seiner Leibwache die Fackel ab und schickte ihn raus. Jetzt stand er allein inmitten seines Goldes. Es hatte einen Gegenwert von einigen hundert Millionen. Und es war Cäsars Gold.

»Bist du deswegen ins freie Gallien eingefallen?« fragte ich Cäsar.

Cäsar griff in ein Faß mit massaliotischen Silbermünzen, nahm eine Handvoll und ließ sie wieder ins Faß zurückfallen.

»Druide«, antwortete Cäsar, in Gedanken versunken, während an den Zeltwänden die Schatten der Wachsoldaten patrouillierten, »hast du jemals Alexander gefragt, wieso er ein Weltreich erobert hat?«

Cäsar war ein Besessener. Es war nicht das Gold, das ihn faszinierte, sondern die Möglichkeiten, die dieses Gold ihm nun bot. Es war ihm nicht möglich, das bisher Erreichte zu genießen. In Gedanken war er bereits bei der Verwirklichung eines noch tollkühneren Planes. Cäsar war, so gesehen, der Sklave seines Ehrgeizes.

Plötzlich erregte eine alte Holzkiste mit vergoldeten Scharnieren seine Aufmerksamkeit. Er kniete davor nieder und wollte sie öffnen.

»Tu es nicht«, warnte ich Cäsar.

Er drehte sich um und reichte mir die Fackel, damit er beide Hände frei hatte.

»Wieso sollte ich sie nicht öffnen, Druide? Die Kiste ist nicht mal verschlossen.«

»Sie ist deshalb nicht verschlossen, weil kein Kelte auf die Idee käme, sie zu öffnen.«

Cäsar drehte sich um. Er grinste über beide Ohren. Das gefiel ihm. Ein Kelte verbot ihm, eine Kiste zu öffnen.

»Es ist die Kiste eines Druiden. Du solltest sie zurückgeben, bevor die Götter dich bestrafen.«

Jetzt war für Cäsar endgültig klar, was er zu tun hatte. Ich hatte ihm mit der Strafe der Götter gedroht. Wenn er die Kiste öffnete, machte er sich die keltischen Götter zu Gegnern. Das war ganz nach seinem Geschmack. Sich mit Göttern anzulegen. Sie besiegen oder untergehen. Als Cäsar die Kiste öffnete, wandte ich mich beschämt ab. Ich stellte die Fackel in einen eisernen Trichter, der an einer Stange in der Mitte des Zeltes befestigt war. Ich wollte nicht sehen, wie dieser gottlose Römer die heiligen Sicheln unserer Druiden beschmutzte.

In den nächsten Stunden begann Mamurra die Beute zu katalogisieren. Er wurde dabei von gebildeten griechischen Sklaven unterstützt. Die Arbeit war dringend, denn die Höhe der Beute entschied über den Anteil der einzelnen Soldaten. Während der Zählung stürmte Ursulus, der Primipilus, begleitet von anderen aufgebrachten Centurionen, ins Goldzelt und bat Cäsar, sich endlich an die Männer zu wenden. Cäsar gab dem Drängen nach und trat vor die Legionen, die sich bereits in Reih und Glied aufgestellt hatten. Er lobte ihre Tapferkeit und versprach jedem einzelnen eine Prämie in Höhe eines Jahressolds. Trebatius Testa, ein junger Spezialist für Verwaltungsrecht, der gerade erst aus Rom eingetroffen war, nahm die Rede mit Kopfschütteln zur Kenntnis. Wie konnte Cäsar einen Jahressold versprechen, wenn er noch nicht wußte, ob er dieses Versprechen halten konnte? Aber auch das war ein typischer Charakterzug Cäsars. Er setzte sich permanent mit voreiligen Versprechen und Taten unter Druck. Sollte er zuwenig Gold haben, um sein Versprechen zu erfüllen, wäre er gezwungen, zusätzliches Gold zu beschaffen.

Ich zog mich mit Wanda in unser Zelt zurück und bat Krixos um eine Kanne Wein. Ich hatte Lust, mich zu besaufen. Es war bereits Mitternacht.

»Was meinst du, Wanda? Liegt dem Schicksal eines jeden Menschen ein göttlicher Plan zugrunde?«

»Ich weiß es nicht«, lächelte sie, während sie ihren Arm fester um meine Taille schlang. Lucia spielte mit den Lederschnüren meiner Schuhe. Ich war froh, sie bei mir zu haben. Ich erwähne Lucia ausdrücklich, weil man Hunde meist erst dann erwähnt, wenn sie sterben. Lucia war mir stets sehr wichtig gewesen. In gewissem Sinne war sie wie ein Schwamm, der all meine Sorgen aufsog. Nach einigen Schlucken Wein fühlte ich mich schwermütig und melancholisch. Ich war unruhig. Ich hatte plötzlich Angst, Wanda zu verlieren. Ich weiß nicht, ob es daran lag, daß in den letzten Tagen so viele Menschen soviel verloren hatten. Ich weiß es nicht. Oder war es eine Vorahnung? Eine Botschaft der Götter? Ich nahm Wanda in die Arme und hielt sie fest.

Cäsar stand immer noch draußen vor seinen Legionären. Seine Stimme drang bis in unser Zelt. Einmal mehr bemühte er die unsterblichen Götter, die Rom zu diesem Sieg verholfen hatten.

Sieg? Cäsars Männer waren am Ende. Drei Tage wurden die Verletzten gepflegt und die Toten verscharrt. An eine Verfolgung der Helvetier, die Weidetiere und Karren zurückgelassen hatten, war nicht mehr zu denken.

Unterdessen marschierten die Helvetier beinahe Tag und Nacht. Richtung Norden. Sie wollten sich bei den Lingonen verpflegen und sich für die nächste Schlacht rüsten. Doch die Lingonen hatten bereits Cäsars Boten empfangen und seine Drohung zur Kenntnis genommen. Die Lingonen schlossen die Tore ihrer Oppida und verweigerten den Helvetiern jede Hilfe. Sie schickten Gesandte zu Cäsar und boten Frieden an. Einen Zweifrontenkrieg konnten sich die hungernden Helvetier nicht leisten. Cäsar, der nach drei Tagen die Verfolgung der Helvetier wieder aufgenommen hatte, empfing die Gesandten und beschied ihnen knapp, sich nicht mehr von der Stelle zu rühren und seine Ankunft zu erwarten.

Die erste Nachtwache hatte bereits begonnen, als Cäsar die keltische Gesandtschaft in seinem Feldherrenzelt empfing. Sie wurde von Nammejus und Verucloetius angeführt. Cäsar saß in einem mit rotem Leder überzogenen Stuhl, dessen breite Armlehnen in Bronze eingefaßt waren. Der Boden des Zeltes war mit Brettern ausgelegt, doch dort, wo Cäsar saß, war er um einen Tritt höher. So thronte Cäsar, leicht erhöht, inmitten seiner Tribune, Präfekten und den Legaten A. Cotta, Crassus, D. Brutus, S. Galba, C. Fabius und dem treuen T. Labienus. Zu beiden Seiten waren Tische für die Schreiber und Dolmetscher aufgestellt. Cäsar hatte mich, Aulus Hirtius, Gaius Oppius, Valerius Procillus und Trebatius Testa mit den Kanzleiarbeiten beauftragt. Cäsar ergriff sofort das Wort: »Helvetier, im Namen Roms fordert Cäsar eure sofortige Kapitulation.«

Procillus übersetzte. Cäsar gab dem jungen Trebatius Testa einen Wink. Testa war ein ansehnlicher junger Mann, schlank und mit griechisch anmutenden Gesichtszügen. Seine Stimme war angenehm weich, seine Worte präzise und verständlich: »Die Kapitulation beinhaltet die sofortige Abgabe aller Waffen, die Rückerstattung aller entlaufenen Sklaven und das Stellen von Geiseln. Mit der Annahme der Kapitulation stimmt ihr einem provisorischen Rechtszustand zu, der Roms Herrschaftsanspruch zum Inhalt hat. Stimmt ihr der Kapitulation zu, werde ich euch anschließend die Einzelheiten der Bestimmungen vorlesen.« Testa schaute kurz zu Cäsar. Als Procillus die Übersetzung beendet hatte, ergriff Cäsar wieder das Wort: »Helvetier, stimmt der Kapitulation zu, oder lehnt sie ab.«

»Cäsar«, begann Nammejus, »die Götter waren dir wohlgesonnen. Sie haben unsere Pläne zunichte gemacht. Aber sie haben uns nicht vernichtet. Unser Kampfeswillen ist ungebrochen. Deshalb sag uns, wo du uns ansiedeln willst, wenn wir kapitulieren.«

»Ich befehle euch, in eure Heimat zurückzukehren. Baut eure Häuser und Oppida wieder auf.«

»Hat Cäsar denn den Grund vergessen, wieso wir vor drei Jahren beschlossen haben, unsere Heimat zu verlassen? Will Cäsar uns schutzlos den Angriffen der Germanen überlassen? Wenn Cäsar uns zurückschickt, damit Ariovist nicht in die verlassenen Gebiete nachrücken kann und zum Nachbarn der römischen Provinz wird, dann soll Cäsar uns wenigstens unsere Waffen lassen.«

Cäsar schüttelte unwirsch den Kopf.

»Ihr habt keine Bedingungen zu stellen, Helvetier. Ihr sollt bis morgen abend, bis zur ersten Nachtwache, alle eure Waffen abgegeben haben. Jeder Kelte, der dann noch Waffen trägt, wird gewaltsam entwaffnet und in die Sklaverei geschickt. Wer die Kapitulation annimmt, kann in seine Heimat zurückkehren. Dort wird er seine Waffen wiedererhalten.«

Die helvetische Delegation beriet sich kurz. Offenbar hatten sie die möglichen Szenarien vorher schon genau besprochen. Nammejus löste als erster den vergoldeten Haken seines Waffengurtes und warf das Gehänge mitsamt dem Schwert erhobenen Hauptes zu Boden. Dann lösten zwei Sklaven die Lederschnallen seines Brustpanzers und legten die Rüstung zu Boden. Die anderen Fürsten folgten seinem Beispiel. Es war ein Augenblick, der mich stark bewegte und unendlich traurig stimmte. Wir alle wußten, daß Cäsar einen ungerechten Krieg geführt hatte. Ich verstand nicht, wieso unsere Götter dies zugelassen hatten. Oder war es vielleicht doch so, wie Cäsar behauptete, daß die Götter gerade denjenigen, den sie besonders strafen wollen, länger unter ihre Fittiche nehmen, damit der plötzliche Sturz ins Unglück um so grausamer empfunden wird? Ich wußte es nicht. Der Druide Verucloetius kam auf mich zu und ergriff meine Hand.

»Divico ist tot, Korisios. Geh deinen Weg, und denk an die Prophezeiung.«

Ein kalter Schauer fuhr mir den Rücken hinunter. Ich sollte also im Alleingang einen Mann vernichten, den eine ganze keltische Armee nicht hatte vernichten können. Ich nickte Verucloetius zu, aber ich meinte es nicht wirklich. Für einen Druiden wie Verucloetius war Cäsar natürlich das größere Problem. Seine Armeen brachten die lateinische Schrift, sie brachten Wissen, Wissen und Wein. Sie brachten neue Götter und frisches Geld aus Rom. Und dort, wo einst blutige Schlachten geschlagen worden waren, blühte später der Handel. Die Druiden würden ihre ganze Macht verlieren! Für immer. Ihr sorgsam gehütetes Wissen! Und die Adligen bangten um ihre Privilegien. Deshalb hatte sich der Häduer Diviciatus auf die Seite Cäsars geschlagen. Deshalb ritt der Arverner Vercingetorix in der römischen Kavallerie. Mir schien plötzlich, als würde keinem keltischen Vornehmen sein Land wirklich am Herzen liegen. Jeder wollte bloß sein Eigentum beschützen. Wenn nötig, mit Cäsars Hilfe.

»Ich soll auch nicht mehr Druide werden, nicht wahr?«

»Die Götter haben bereits zu dir gesprochen«, lächelte Verucloetius, »du sollst kein verschlossenes Buch der Kelten werden, Korisios, du sollst ein sprechendes Buch werden.«

Um schöne Worte waren die Druiden nie verlegen. In dieser Stunde wurde mir klar, daß ich vermutlich nie die Chance gehabt hatte, jemals Druide zu werden. Innerlich hatte ich mich schon entschieden. Lieber Wandas Geliebter als Druide auf der Insel Mona. Aber es kränkte mich, daß es nicht meine Entscheidung gewesen sein sollte. Selbst wenn ich mich dafür entschieden hätte, den Weg der Druiden zu gehen, heute wäre ich abgewiesen worden. Spätestens heute hätten mich die Druiden aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen. Ich war nun mal nicht adliger Abstammung. Wollte ich gesellschaftlich aufsteigen, so konnte ich dies nur in Cäsars Heer. Ausgerechnet in Cäsars Heer. Ich denke, daß der Tag der Kapitulation für mich ähnlich einschneidend gewesen ist wie der Anblick der erbärmlich weinenden Häduer Diviciatus und Liscus.

Ich verabschiedete mich von Verucloetius. Und auch ein bißchen von meinem Stamm. Ich wußte, daß ich den Druiden nie mehr wiedersehen würde. Jetzt erst bemerkte ich, daß Cäsar mich die ganze Zeit über beobachtet hatte. Er lächelte. Es schien, als hätte er meinen Abschied von Verucloetius mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. Und seine Augen suchten erneut meine Freundschaft.

Das Lager der Helvetier war mittlerweile mit einer endlosen Palisade in einen Freiluftkäfig verwandelt worden. Als die Delegation ins Lager zurückgekehrt war, hörte man aufgeregte Stimmen. Es wurde auch gestritten und hier und da gekämpft. Gegen Mitternacht gelang sogar über sechstausend Kriegern die Flucht aus dem Lager.

Am anderen Morgen inszenierten Cäsars Legaten und Tribune den offiziellen Kapitulationsakt. Sechs Legionen standen Spalier. Am Ende der Allee war ein Holzpodest aufgebaut. Cäsar saß wie ein König in seinem roten Lederstuhl, umringt von seinen Offizieren. Ein Kelte nach dem andern schritt den Weg zwischen den Legionärsreihen hinunter und warf vor Cäsar seine Waffen ab. Als der Stamm der Rauriker an der Reihe war, hielt ich die Luft an. Wer hatte überlebt? Doch Basilus war einer der ersten.

»Basilus!« brüllte ich, so laut ich konnte. Die römischen Offiziere schauten verdutzt zu mir rüber. Wanda schubste die jungen Tribune vor mir beiseite und zerrte mich nach vorn. Jetzt endlich sah mich Basilus. Sein Oberkörper war nackt und von Wunden gezeichnet. Aber er schien keine bleibende Verletzung zu haben. Er bewegte sich aufrecht und stolz und kam leichtfüßig auf mich zu. Übers ganze Gesicht strahlend, reckte er sein Schwert in die Höhe.

»Korisios!«

Sofort sprangen einige Prätorianer von Cäsars Leibwache vor ihren Feldherren und schützen ihn mit ihren Schilden. Links und rechts legten kretische Bogenschützen auf Basilus an. Er blieb stehen und genoß den Schrecken, den er den Römern eingejagt hatte. Lachend warf er sein langes Hiebschwert auf den Eisenhaufen zu Cäsars Füßen.

»Werden wir uns wiedersehen, Korisios?« fragte Basilus. Er schrie es freudig heraus.

»Ja«, antwortete ich spontan, »wir werden uns wiedersehen, Basilus, aber es werden einige Winter vergehen.«

Die Prätorianer gingen nun mit gezückten Gladien auf Basilus zu. Einige Legionäre hatten bereits ihre Pila gesenkt und schubsten ihn vorwärts. Gereizt drehte er sich um und schaute die Legionäre, die ihre Pilumspitzen nur eine Handbreite vor seiner nackten Brust hielten, verächtlich an. Er hatte keine Angst. Er wußte ja aufgrund meiner Prophezeiung, daß heute nicht sein Tag zum Sterben war. Basilus lachte furchtlos und ging dann weiter. Mir schien, als sei er älter geworden. Sein Gesicht war eingefallen und von den Strapazen gezeichnet.

Die Waffenübergabe dauerte den ganzen Morgen. Am Nachmittag wurden die geforderten Geiseln gestellt. Es waren grausame Szenen. Die Kinder weinten jämmerlich. Es brach einem das Herz mitanzusehen, wie die Legionäre die schweren Handschellen um ihre zarten Gelenke schlugen. Procillus kamen bei diesem Anblick die Tränen. Obwohl er längst ein erwachsener und gestandener Mann war, weckten diese Bilder wieder die Erinnerung an seine eigene Verschleppung. Gerne hätte ich den Kindern die keltische Weisheit mit auf den Weg gegeben, wonach ein Unglück, das man sofort annimmt, viel leichter wiegt. Aber heute hätten sie es nicht verstanden. In einigen Tagen würde man den Kindern und Frauen die Handschellen abnehmen und sie fortan wie Gäste behandeln. Die Kinder würden ja nicht allein sein, es gab auch adlige Männer jeglichen Alters, die als Geiseln gestellt wurden. In der Regel versuchte man alle Sippen zu berücksichtigen und wählte stets die Beliebtesten aus, denn nur diese boten die Gewähr, daß sich der Besiegte auch wirklich im Sinne Roms verhielt.

Gegen Abend wurden die übergelaufenen Sklaven zurückgebracht. Jene, die sich gewaltsam ihrer Rückführung widersetzt und dabei Legionäre verletzt hatten, wurden ans Kreuz geschlagen. Diese Sitte stammt übrigens von den Carthagern. Es war ursprünglich ein Opferritus gewesen. Die Römer übernahmen diese Hinrichtungsart jedoch, um ihre Opfer der Lächerlichkeit preiszugeben.

In den nächsten Tagen bewilligte Cäsar mehrere Lagerfeste. Er kaufte die Märkte in der Umgebung leer und ließ seine Legionäre fürstlich bewirten. In einer feierlichen Rede lobte er ihren Mut und ihre Tapferkeit und verkündete erneut, daß er seinen Quästor angewiesen habe, jedem Legionär eine Prämie in Höhe eines Jahressoldes zu schenken. Obwohl normalerweise nur römische Bürger in diesen Genuß kamen, wich Cäsar auch in diesem Punkt vom Üblichen ab. Er ordnete an, daß auch die Auxiliartruppen, die berittenen Kelten in seinen Reihen, eine Prämie erhalten sollten. Er empfing die keltischen Reiterführer, die geschlossen mit all ihren Gefolgsleuten Cäsars Auxiliarkavallerie beigetreten waren, persönlich in seinem Zelt und überreichte ihnen das Geld. Er machte sie zu reichen Leuten und trieb den Keil zwischen den rivalisierenden keltischen Stämmen damit noch tiefer. Um die hohen Prämien zahlen zu können, mußte Cäsar einmal mehr seine private Feldherrenkasse belasten. Mamurra war deswegen außer sich vor Wut.

»Du gibst das Geld aus, bevor ich es gezählt habe. Wieso zahlen wir nicht endlich deine Schulden zurück, Cäsar?«

Er war einer der wenigen, die so mit Cäsar sprechen konnten.

»Was habe ich davon, wenn ich schuldenfrei bin und Gallien verliere?« fragte Cäsar lakonisch. »Die Häduer sind für mich mehr wert als irgendein befestigtes Proviantdepot mitten in dieser Wildnis.«

»Du versprichst viele Königskronen«, grinste Mamurra versöhnlich und führte Cäsars Befehle aus.

Die Abende verbrachte Cäsar meist mit dem Diktieren von Briefen. Ganz Rom sollte erfahren, daß er hier in Gallien auf eine Goldader gestoßen war. Ganz Rom sollte erfahren, daß er die Helvetier, die wegen ihrer Nachbarschaft zu den Germanen als besonders mutig galten, besiegt hatte.

Die Helvetier, Latobriger, Tiguriner und Rauriker schickte er in ihre Heimat zurück und wies die Allobroger an, den Heimkehrenden genügend Lebensmittel bis zur ersten Ernte zur Verfügung zu stellen. Die Allobroger waren nicht zu beneiden. Sie unterstanden der römischen Verwaltung der Provinz Gallia Narbonensis. Sie hatten zu tun, was Cäsar ihnen befahl. Als die Helvetier hingegen in ihre Heimat zurückkehrten, waren sie immer noch ein freies Volk.

Cäsar ließ in der Nähe von Bibracte ein befestigtes Lager errichten und gönnte seinen Männern Ruhe und ausgiebig Verpflegung. Die Häduer hatten nach der Unterwerfung der Helvetier ihre Verzögerungstaktik aufgegeben. Nun versorgten sie das römische Heer mit allen gewünschten Nahrungsmitteln und Materialien. Die zahlreichen Verletzten wurden fürsorglich gepflegt und mit doppelten Nahrungsrationen verwöhnt, die übrigen Legionäre durften sich nach Erledigung ihrer Pflichten zu den Händlern und Prostituierten begeben, die im Umkreis des Lagers wieder ihre Zelte aufgeschlagen hatten und bereitwillig den keltischen Schmuck aufkauften, den die Legionäre den Toten geraubt hatten. Die zahlreichen Waffen und Rüstungen der toten Kelten wurden von der Legion eingesammelt und entweder für die spätere Ausrüstung von Hilfstruppen aufbewahrt oder den Großhändlern verkauft. Ein gewaltiger Geldkreislauf war in Bewegung geraten. Täglich entstanden außerhalb des Lagers noch mehr Bordelle, noch mehr Garküchen und noch mehr Weinstuben. Jeder Legionär, so klein und pockennarbig er auch sein mochte, wurde von den keltischen Huren und Bauern wie ein vornehmer Herr empfangen. Er konnte nach Knoblauch stinken und wie ein alter Hund furzen, für die Menschen in der Umgebung war er ein von Esus gesandter Prinz. Er brachte Geld. Viel Geld. Und dreißigtausend Legionäre brachten noch mehr Geld. Diesen Kelten hatte Cäsar nicht Tod und Verderben gebracht, sondern den wirtschaftlichen Aufschwung. Selbst Helvetier, die Cäsar vor kurzem noch erbittert bekämpft hatten, bewarben sich nun bei den Präfekten um eine Anstellung in der Legion. Und Cäsar war nicht nachtragend. Für ihn zählte die Leistung. Er gab deshalb die Order, daß auch adlige Helvetier mit ihrer gesamten berittenen Gefolgschaft geschlossen seiner Auxiliarkavallerie beitreten konnten. Cäsar war nur an Reitern interessiert.

Auch mir gegenüber zeigte er sich großzügig. Ich erhielt eine Prämie in Höhe von zwei Jahreslöhnen. Es war ein seltsames Gefühl, von Cäsar etwas entgegenzunehmen, was dieser zum Teil meinem eigenen Volk gestohlen hatte. Aber hätte irgendein adliger Helvetier oder Rauriker mir jemals auch nur eine Sesterze geschenkt? Hatte man mir nicht selbst das Tor zum Druidenberuf verschlossen? Ich weiß, mittlerweile zog ich Wandas Körper den himmlischen Gestirnen vor, aber factum war, daß ich nie die Möglichkeit gehabt hätte, Druide zu werden. Selbst wenn ich es gewollt hätte. Und das machte mich wütend. Ich brauchte diese Wut, um Cäsars Geschenk annehmen zu können. Sein Arm ruhte auf meinen Schultern, als er selbst mir die Silberdenare aushändigte. Seine Augen waren sanft und milde und boten mir erneut seine Freundschaft an. Ich widerstand nicht mehr. Cäsar hatte mir mehr geboten als jemals irgendein fremder Kelte! An jenem Tag war ich zum ersten Mal wirklich stolz darauf, sein Druide zu sein.

Wenig später diktierte mir Cäsar bereits die Fortsetzung seines Rechtfertigungsberichtes: »Den Häduern gestattete Cäsar auf ihre Bitte, die Bojer, die als Leute von seltener Tapferkeit bekannt waren, in ihrem Lande anzusiedeln. Die Häduer gaben ihnen also Ländereien und gewährten ihnen (später) dieselbe rechtliche und bürgerliche Stellung, die sie selbst hatten.«

Ich mußte innerlich schmunzeln, als ich diese Zeilen schrieb. Denn jeder halbwegs intelligente Mensch in Rom würde sich wundern, daß die Häduer, die Cäsar ja angeblich um Hilfe gerufen hatten, ihn nun darum baten, die Bojer, die ja angeblich mit den anderen Auswanderern ihre Felder verwüstet hatten, in ihrem Land aufnehmen zu dürfen. Während des Diktats brachte Ursulus Tafeln, die man im helvetischen Lager gefunden hatte. Auf diesen Tafeln war in griechischer Schrift festgehalten, wie viele Waffenfähige, Kinder, Greise und Frauen an der Auswanderung teilgenommen hatten. Die Zahlen waren für Cäsar eher ernüchternd. Er konnte von Glück reden, daß Ursulus nicht Griechisch lesen konnte. Die Tafeln sprachen von insgesamt hundertvierundachtzigtausend Personen, davon sechsundvierzigtausend Waffenfähigen. Überlebt hatten fünfundfünfzigtausend Menschen. Somit hatten Cäsars Legionen innerhalb weniger Wochen weit über hunderttausend Menschen niedergemetzelt und ausgeplündert. Cäsar ließ sich verdünnten Wein bringen. Gespannt warteten Aulus Hirtius und ich auf die Fortsetzung des Diktats. Schließlich diktierte Cäsar weiter:

»Die Summe belief sich auf 263.000 Helvetier, 36.000 Tulinger, 14.000 Latobriger, 23.000 Rauriker und 32.000 Bojer; darunter befanden sich gegen 92.000 Waffenfähige. Alles in allem waren es gegen 368.000 Köpfe. Die Anzahl derer, die in ihre Heimat zurückkehrten, betrug nach der von Cäsar befohlenen Zählung 110.000.«

Cäsar hatte jede Zahl verdoppelt. So einfach wurde Geschichte geschrieben. Es ist stets die Geschichte der Sieger.