VII.

Während Cäsar von seinem Sieg über die Helvetier berichtete, starben in den Sanitätszelten täglich Dutzende von Legionären. Jeden Morgen erstattete Antonius, der erste Medicus, Bericht über die Zahl der in der Nacht Verstorbenen. Wer schwer verletzt war, starb schnell. Während man Fleisch- und Knochenwunden relativ erfolgreich behandeln konnte, stand man inneren Verletzungen machtlos gegenüber. Heikel waren auch offene Fleischwunden, die sich entzündeten und Eiterherde bildeten. Dem ersten Medicus, Antonius, standen zahlreiche Fachleute zur Verfügung. Einige waren gelernte Metzger, die in der Legion umgeschult worden waren. Für festsitzende Geschosse waren sie die idealen Chirurgen. Entweder wurde das Geschoß rückwärts aus dem Wundkanal gezogen oder am anderen Ende herausgedrückt. Dazu schnitt man mit dem Skalpell das Fleisch bis zur Geschoßspitze auf. Nur selten wurden dabei Adern und Sehnen durchtrennt. Komplizierter und anspruchsvoller waren jedoch die zahlreichen Amputationen, die nach der Schlacht vorgenommen werden mußten. Der Patient wurde gefesselt und auf einem Tisch festgebunden. Bevor der Medicus mit der Operation begann, schob er dem Unglücklichen ein Stück Holz zwischen die Zähne. War zum Beispiel ein Bein unterhalb des Knies zerfetzt, schnitt man das Fleisch oberhalb des Knies bis auf den Knochen ein und schälte das Fleisch über dem blanken Knochen zurück. Dann wurde der Knochen durchgesägt. Die aufgerauhte Sägestelle wurde sorgfältig geglättet, und dann zog man die zurückgestülpte Haut wieder nach vorne. Überlebte der Legionär die Wundheilung, erhielt er vom Zimmermann frische Krücken und wurde feierlich aus der Legion entlassen. Abends an den Lagerfeuern wurde oft darüber debattiert, ob ein Leben mit einem Arm noch lebenswert war oder ob der Tod einem Leben mit zwei abgetrennten Beinen vorzuziehen sei. Die Mehrheit vertrat die Meinung, daß das Leben lebenswert blieb, solange man sich noch zu einer Prostituierten schleppen und Wein trinken konnte. Wie auch immer: Nach einer Schlacht mit hohen Verlusten war die Stimmung im Lager stets eine sehr fragile Angelegenheit. Sie konnte jederzeit kippen. So war es auch nach der Schlacht bei Bibracte. Zuerst hörte man nur vereinzelte Kritik, die hinter vorgehaltener Hand weitergegeben wurde. Doch die Kritik fiel auf fruchtbaren Boden. Einige Offiziere, die lukrative Beförderungen oder noch größere Beute erwartet hatten, warfen Cäsar vor, einen unnötigen und unerlaubten Krieg gegen die Helvetier geführt zu haben, der nur seiner persönlichen Bereicherung und der Befriedigung seines krankhaften Ehrgeizes gedient hatte. Cäsar hatte in der Tat nicht nur in Rom Feinde. Auch unter seinen Offizieren befanden sich etliche Männer, die spionierten, intrigierten und sich Cäsars Gegnern in Rom verpflichtet fühlten. Obwohl Cäsar in der Regel einen guten Riecher hatte, blieb ihm dieser aufkeimende Widerstand zunächst verborgen. Ich hielt es nicht für meine Aufgabe, ihm darüber Bericht zu erstatten. Vielleicht wußte er auch davon und ignorierte ihn, weil er in diesen Tagen mehr denn je überzeugt war, von den Göttern begünstigt zu sein.

In den nächsten Wochen empfing Cäsar zahlreiche keltische Fürsten, die ihm ihre Aufwartung machten. Sie baten ihn um Erlaubnis, in Gallien eine Versammlung der Stammesfürsten abhalten zu dürfen. Cäsar gestattete es ihnen, aber er war verblüfft. Keiner warf ihm vor, in ihr Land eingedrungen zu sein. Nein, sie hießen ihn willkommen und machten ihn zum Richter. Jeder wünschte ihn sich als Verbündeten. Auch Vercingetorix sprach bei Cäsar vor. Er brannte darauf, nach Gergovia zurückzukehren und sich an der Sippe seines Onkels zu rächen. Aber Cäsar sicherte ihm bloß seine Freundschaft zu und bat ihn erneut um Geduld. Er hatte andere Pläne. Mir schien, als hätte auch dieser ehrgeizige Vercingetorix allmählich andere Pläne …

Eines Morgens, die vierte Nachtwache war noch nicht vorüber, wurde ich von Lucias Knurren geweckt. Ich warf einen Blick auf Wanda, die sanft und friedlich neben mir schlief, und freute mich darüber, daß die Götter es bisher so gut mit mir gemeint hatten. Rückblickend war die Geschichte gar nicht so übel, die sie sich für mich ausgedacht hatten. Ich behaupte ja stets, daß die Wege der Götter oft unergründlich sind und daß man den göttlichen Plan, der ihnen zugrunde liegt, erst viel später erkennen kann.

»Korisios!« Jetzt hörte ich die Rufe. Die Stimme kam von draußen. Es war Krixos. Ein Prätorianer stand neben ihm.

»Cäsar will dich sprechen!«

Ich stand sofort auf und folgte dem Prätorianer zu Cäsars Feldherrenzelt. Wanda begleitete mich. Noch herrschte Ruhe im Lager. Die Wachen auf den Wällen waren in dicke Wollmäntel gehüllt und wärmten sich die Hände über kleinen Feuern. In den frühen Morgenstunden war es noch kühl. Von weitem schon sah ich den heißen Dampf aus Cäsars Zelt hochsteigen. Sklaven verließen gerade mit leeren Bronzekesseln sein Zelt. Der Duft von warmgerührten Eiern lag in der Luft. Der Prätorianer schob die Zeltplane zur Seite und ließ mich eintreten. Im Zeltinneren staute sich heißer Dampf. Man konnte nicht mal die eigene Hand vor dem Gesicht erkennen. Ohne Wanda wäre ich wohl über das erstbeste Hindernis gestolpert.

»Setz dich, Korisios«, hörte ich Cäsars Stimme. Ich tastete mich vorsichtig zu einem Stuhl und setzte mich. Es war irgendwie unangenehm. Irgend etwas in meinem Rücken. Ich drehte mich um. Über der Stuhllehne hing ein ledernes Gehänge mit einem Gladius und einem Pugio. Ich war plötzlich hellwach. War heute der Tag, an dem sich die Prophezeiung des Druiden Santonix erfüllen sollte? Ich umklammerte den Griff des Gladius. Er war aus kunstvoll verarbeitetem Rinderknochen. Jeder Finger paßte genau in die runden Einkerbungen. Ein kalter Luftzug drang ins Zelt und lichtete den Dampf. Ich erschrak. Cäsar lag vor mir, keine drei Schritte entfernt, in einer hölzernen Wanne, die randvoll mit warmem Wasser gefüllt war. Den Kopf hatte er zurückgelegt, die Augen geschlossen. Müde ruhte sein verschwitztes Haupt mit dem schütteren Haar auf dem Rand der Wanne. Aber es war nicht die Hitze, die ihm zu schaffen machte. Cäsar schien zu leiden. Er hatte Schmerzen. Ein Diener hatte das Zelt betreten und stellte einige Schalen auf den kleinen Tisch, der vor der Wanne stand. Genauso leise, wie er gekommen war, verschwand er wieder. Dabei strömte erneut kalte Luft ins Zelt und machte die Sicht noch klarer.

»Kannst du heilen, Druide?« fragte Cäsar mit matter Stimme.

»Ich kann den heilen, den die Götter heilen wollen«, antwortete ich.

Cäsar schien zu überlegen. Nach einer Weile sagte er: »Druide, als die Kelten ihre Waffen abgelegt haben, hast du einen Krieger begrüßt. Basilus hast du ihn genannt.«

»Ja, wieso fragst du?«

»Er hat dich gefragt, ob ihr euch jemals wiedersehen würdet.«

»Ja, das ist richtig.«

»Wieso hat er dich gefragt? Kannst du die Zukunft lesen? Sprichst du etwa mit den Göttern?«

»Wovor hast du Angst, Cäsar? Stehst du nicht selber unter dem Schutz der unsterblichen Götter?«

Cäsar richtete sich abrupt auf. Dabei schwappte das Wasser über den Rand der Badewanne. Cäsars Brust war glattrasiert. Nirgends auch nur ein einziges Härchen.

»Ein Cäsar hat keine Angst, Druide. Meinst du etwa, ich hätte nachts Alpträume, nur weil ich die goldenen Sicheln deiner Druiden habe einschmelzen lassen.«

»Du hast die goldenen Sicheln nicht einschmelzen lassen, Cäsar«, sagte ich mit absoluter Bestimmtheit. Ich ging ein hohes Risiko ein. Aber Cäsars Überraschung bestätigte mich.

»Woher weißt du das, Druide?«

»Wenn du es getan hättest, hättest du keine Alpträume. Ich glaube nicht, daß unsere Götter derart nachsichtig mit dir umgehen würden.«

»Rom verlieh mir den Titel des Pontifex maximus. Ich bin somit der oberste Priester der zivilisierten Welt. Wieso soll es mir nicht zustehen, eure Heiligtümer zu plündern? Wem soll es zustehen, wenn nicht mir, dem Pontifex maximus der römischen Republik?«

»Die menschliche Ordnung erheitert die Götter immer wieder, Cäsar. Das Gold hat deinen Verstand getrübt. Schon lechzt du nach mehr und denkst, du könntest nun auch über die heiligen Stätten der Kelten herfallen. Hast du nicht selber gesagt, daß die Götter einem manchmal eine längere Phase des Glücks gönnen, nur damit der jähe Absturz um so grausamer empfunden werde?«

Cäsar lehnte sich wieder in der Wanne zurück und legte seinen Kopf auf den mit Leintüchern gepolsterten Rand. Er schloß die Augen. Sein Kiefer war angespannt. Er schien Schmerzen zu haben.

»Ich verstehe euch Kelten nicht«, murmelte er. »Was habe ich denn getan, daß mir plötzlich ganz Gallien zu Füßen liegt?«

»Der erste Schritt im Moor ist stets einfach, doch wenn dein Körper langsam verschlungen wird und du hilflos mit den Armen ruderst und wider Willen deinen Untergang beschleunigst, dann erst, Cäsar, merkst du, daß der erste Schritt der verhängnisvollste gewesen ist.«

»Willst du damit sagen, daß mir all diese gallischen Fürsten, die hier vor mir im Staub kriechen, eine Falle stellen wollen?«

»Nein, Cäsar, ihre kampflose Unterwerfung ist redlich. Es sind die Götter, die mit dir ihr Spiel treiben.«

Cäsar schwieg. Nach einer Weile forderte er mich auf, etwas zu essen. Er selber hatte keinen Hunger.

»Es ist ein punischer Brei«, murmelte Cäsar, »ich hatte mir punischen Brei gewünscht …« Seine Stimme klang schleppend, ja schwermütig. Ich reichte Wanda die Schale mit dem Brei. Es war ein wohlriechender gallischer Frischkäse, der mit Emmergraupen, Honig, Eiern und frischer Milch aufgekocht worden war. Eine Delikatesse! Dazu gab's Knoblauchkugeln. Das war frischer Käse, den man mit frischen Kräutern und zahlreichen Knoblauchzehen zerrieben und mit Öl und Essig vermengt hatte. Die Paste wurde zu Kügelchen geformt und mit salzigem Brot serviert.

»Schmeckt vorzüglich, dieser punische Brei. Hat euch Hannibal das Rezept nach Rom gebracht?«

»Nur vor die Tore Roms«, lächelte Cäsar matt. »Weißt du eigentlich, wie die Punier in ihrer Sprache das Wort Elefant übersetzen?«

Ich schüttelte den Kopf und aß weiter.

»Cäsar. Cäsar bedeutet in der Sprache der Carthager Elefant. Und wir haben diesen Beinamen erhalten, weil einer unserer Vorfahren in einer Schlacht gegen Hannibal einen Elefanten getötet hat.« Nach einer Weile fügte Cäsar hinzu: »Einige behaupten, es sei im ersten punischen Krieg geschehen. Aber mir gefällt der zweite punische Krieg besser. Es ist allemal ehrenhafter, einen von Hannibals Elefanten getötet zu haben.«

Im Lager erschallte das Signal zum Aufstehen. Cäsar murmelte: »Gibt es Kräuter, die die Sinne erhellen, und solche, die die Sinne trüben?«

»Ja«, antwortete ich zögernd, »so wie der Wein dich fröhlich und heiter stimmen kann, können gewisse Kräuter dich ängstlich und mutlos machen. In unserem Inneren sieht es aus wie in einem Kochtopf. Es liegt an uns, ob es bitter oder süß schmeckt. Nüsse geben neue Kraft.«

»Dann laß mir Nüsse bringen, Druide«, murmelte Cäsar und suchte meine Hand. »Ich danke dir, Druide, für deine Ehrlichkeit. Einen Römer hätte ich dafür kreuzigen lassen. Aber noch ziert kein Halbmond deinen Fußknöchel.«

»Was bedeutet der Halbmond?« fragte ich ganz aufgeregt.

»Der Halbmond? Nur römische Bürger tragen den Halbmond, und in Rom tun es nur die Söhne der Senatoren.«

Cäsar bemerkte meine Aufregung wohl. Doch er war zu müde, um darauf zu reagieren. Wie von selbst fielen ihm die Augen zu. Dann murmelte er, ich solle ihn nun in Ruhe lassen.

Draußen blieben wir noch eine Weile unter dem überdachten Eingang stehen und plauderten mit den Prätorianerwachen. Obwohl ich fieberhaft über Cäsars Worte nachdachte, sprachen wir über Eier. Das zweitwichtigste Thema eines Legionärs ist nun mal das Essen. Und wenn man übers Essen spricht, spricht man über Eier. War man endlich in einem Standlager und nicht mehr unterwegs, wollte jeder wissen, wo es die billigsten Eier gab. Dreißigtausend Legionäre hatten nur noch Eier im Kopf: rohe Eier, gekochte Eier, gerührte Eier. Eieromelette, Eiersaucen und Eierbrei.

Als wir zu unserem Zelt zurückgingen, herrschte bereits überall reger Betrieb. Vor den Legionärszelten brannten schon kleine Feuer. Über den Feuerstellen hingen die Bronzetöpfe mit den hübschen Henkeln. In den bronzenen Kasserollen richteten die Sklaven den Frühstücksbrei an.

Ich dachte noch lange über die merkwürdige Unterredung mit Cäsar nach. Ich begriff, daß er vermutlich jedem Römer mißtraute, jeder Römer, der mit ihm verkehrte, war ein potentieller Konkurrent in Rom. Vielleicht schätzte er deshalb meine Gesellschaft. Ich war kein Rivale. Vielleicht erinnerte ich ihn auch ein bißchen an seinen Grammaticus Antonius Gripho. Was man als Kind geliebt hat, liebt man oft ein Leben lang.

In der Zwischenzeit hatten all jene gallischen Stammesführer, die Cäsar zu seinem Sieg über die Helvetier gratuliert hatten, eine Versammlung der gallischen Stämme einberufen. Wenig später standen sie wieder Schlange vor dem römischen Lagertor und baten, bei Cäsar vorsprechen zu dürfen. Die Delegation wurde angeführt vom Druiden Diviciatus, der mittlerweile die politische Führung bei den Häduern zurückerhalten hatte. Begleitet wurde er nicht nur von sequanischen Abgesandten und Fürsten anderer Stämme, sondern auch von Vertretern unzähliger Klientenstaaten. Diviciatus bat den senatorischen Tribun, der ihn vor dem Tor empfing, mit Cäsar vertraulich verhandeln zu dürfen. Doch als man ihm die Bitte vortrug, wollte Cäsar lediglich wissen, ob sich die Gallier nun endlich geeinigt hätten oder nicht. Der senatorische Tribun wurde wieder zu den Galliern geschickt, und als Cäsar erfuhr, daß sich die Häduer und Sequaner tatsächlich geeinigt hatten und nun gekommen waren, um ihn öffentlich um ein Eingreifen gegen Ariovist zu bitten, ließ er sie fürstlich bewirten und beschenken. In der Zwischenzeit ließ er eilig seinen Stab zusammentrommeln und erläuterte Diviciatus in seinem Feldherrenzelt Sinn und Zweck der Rede, die der Häduer vor den römischen Offizieren zu halten hatte. Ich versuchte so ungerührt wie möglich zu übersetzen. Cäsar sollte anhand meines Gesichtsausdruckes weder Zustimmung noch Ablehnung erkennen können.

Wenig später hatte sich der Stab mit allen Tribunen, Offizieren, Legaten und Schreibern im großen Zelt, das als Kommandozentrale diente, versammelt.

Als erster ergriff Diviciatus, der mittlerweile den Charme einer ausgehungerten Fledermaus hatte, das Wort und bat um absolute Geheimhaltung ihres Treffens. Er konnte sicher sein, daß Ariovist davon erfuhr, bevor er den letzten Satz beendet hatte. Mit schleppender Stimme trug er sein Gejammer in keltischer Sprache vor, während ich laufend übersetzte.

»Cäsar, ganz Gallien ist in zwei Parteien gespalten. An der Spitze der einen stehen die Häduer, an der Spitze der anderen die Arverner. Seit Generationen kämpfen beide erbittert um die Vorherrschaft in Gallien. Um den endgültigen Sieg zu erringen, haben die Arverner und die Sequaner vor einigen Jahren germanische Söldner zu Hilfe gerufen. Anfangs kamen nur fünfzehntausend germanische Krieger über den Rhenus. Doch rasch fanden sie Gefallen an unserem Land. Jetzt stehen bereits hundertzwanzigtausend Germanen in Gallien unter Waffen. Gemeinsam mit unseren Bundesgenossen haben wir schon unzählige Schlachten gefochten. Doch stets sind wir vernichtend geschlagen worden. Wir haben mittlerweile unseren ganzen Adel, unseren Obersten Rat und unsere gesamte Reiterei eingebüßt.«

Während ich übersetzte, schrieben die anderen Schreiber die Rede des Diviciatus nieder. Ich mußte grinsen, als Diviciatus den Verlust seiner Reiterei erwähnte. Hatten nicht noch vor ein paar Wochen viertausend häduerische Reiter auf Cäsars Seite gekämpft?

»Cäsar, das Volk der Häduer ist gebrochen«, stöhnte Diviciatus. Cäsar hoffte wohl insgeheim, daß Diviciatus nicht wieder wie eine Klette seine Knie umklammerte. »Cäsar, dank unserer Gastfreundschaft und unserem guten Einvernehmen mit dem römischen Volke waren wir Häduer bisher die größte Macht in Gallien. Doch jetzt sind wir gezwungen, den Sequanern Geiseln zu stellen. Wir mußten schwören, Rom nicht um Hilfe zu bitten und den Wünschen der suebischen Germanen stets Folge zu leisten. Ich, Diviciatus, bin der einzige Häduer, der sich damals durch Flucht diesem Eid entzogen hat. Deshalb spreche ich heute zu dir, weil ich weder durch Geiseln noch durch einen Schwur gebunden bin.«

Diviciatus legte eine kurze Pause ein, um die Wirkung seiner Worte zu überprüfen. Alle blickten zu den schuldigen Sequanern, die mit gesenkten Köpfen dastanden. »Aber mittlerweile«, fuhr Diviciatus fort, »ist es den siegreichen Sequanern noch schlimmer ergangen als den besiegten Häduern. Nachdem Ariovist ihnen bereits ein Drittel ihres Gebietes weggenommen hat, fordert er nun das zweite Drittel. Und weißt du, für wen, Cäsar? Für vierundzwanzigtausend Haruder, die vor wenigen Wochen zu ihm gestoßen sind.«

Cäsar hatte ihm eingehämmert, die Gefahr der Haruder ausführlich zu schildern und die historischen Wurzeln ausgiebig zu würdigen. Das tat Diviciatus auch: »Die Haruder wohnten ursprünglich im hohen Norden. Sie sind damals mit den kriegslüsternen Kimbern ausgezogen und vorübergehend in Germanien geblieben. Doch jetzt drängen sie nach Gallien. Und Ariovist hat ihnen die Tore geöffnet. Wenn wir nichts unternehmen, werden immer mehr Germanen über den Rhenus kommen und uns aus unserem Land vertreiben. Deshalb haben wir uns mit den Sequanern wieder versöhnt. Bedenke, Cäsar: Ariovist führt ein stolzes und grausames Regime. Er ist wild und jähzornig. Wir Häduer und Sequaner können seine Herrschaft nicht mehr länger ertragen. Cäsar, wenn du uns keine Hilfe gewährst, müssen wir dasselbe tun wie die Helvetier und auswandern! Das wird das Schicksal aller keltischen Stämme sein. – Nur du, Cäsar, kannst verhindern, daß noch mehr Germanen über den Rhenus kommen. Nur du, Cäsar, kannst Gallien vor Ariovist schützen. Wenn du uns vor Ariovist schützt, schützt du auch deine Provinz. Denn wenn wir vor Ariovist fliehen, wird der Suebenkönig an deiner Provinzgrenze stehen. Aber nicht lange. Dann steht er vor den Toren Roms. Deshalb flehen wir dich an, so schnell wie möglich zu handeln. Nur du kannst Ariovist bezwingen. Dank deinem Ansehen und der Achtung, die sich dein siegreiches Heer verdient hat. Dank deinem Ruhm, der sich in ganz Gallien verbreitet hat, und dem stolzen Namen des römischen Volkes.«

Diviciatus schwieg. Cäsar vermied es, das Wort zu ergreifen. Die Worte sollten weiterwirken. Er wollte zuerst sehen, in welche Richtung der Wind blies. Ich muß schon sagen, dieser Diviciatus, der nicht ein Wort Lateinisch oder Griechisch verstand, war ein vorzüglicher Schauspieler, und Cäsar, der ihm diese eindrückliche Sprechrolle auf den Leib geschrieben hatte, ein begnadeter Dramatiker. Ich bin sicher, daß er in Rom als Komödienschreiber ebenfalls zu Ruhm und Ehre gelangt wäre. Die Rede des Diviciatus hatte auf jeden Fall zwiespältige Gefühle ausgelöst.

Labienus ergriff das Wort: »Cäsar, wir müssen das Übel an der Wurzel packen und Ariovist das Handwerk legen. Unsere sechs Legionen sind kampferprobt und stehen bereit.«

Der junge Crassus, der Sohn des reichsten Mannes von Rom, erwiderte ihm: »Labienus, wie willst du in Rom diese Politik verständlich machen? Ich stimme dir zu, wir müssen das Übel an der Wurzel packen. Aber wieso, wird man sich in Rom fragen, haben wir das nicht gleich getan? Wieso haben wir nicht gleich mit den Helvetiern zusammen Ariovist zurückgeschlagen?«

»Die Helvetier haben uns nicht um Hilfe gebeten«, sagte Cäsar ruhig. Einige der jungen Tribune schmunzelten. Sie kannten Cäsar. Einer bemerkte spitz, daß es nicht so einfach sein würde, gegen Ariovist vorzugehen: »Trägt er nicht den Titel ›König und Freund des Römischen Volkes‹? Und hat nicht ausgerechnet ein gewisser Gaius Julius Cäsar ihm diesen Titel verliehen, als er letztes Jahr noch Konsul war? Derselbe Cäsar, der ein Gesetz eingebracht hatte, wonach ein Prokonsul außerhalb seiner Provinz keinen Krieg anzetteln darf?« Einige Legaten und Tribune lachten. Sie konnten sich dieses Auftreten leisten, weil die Opposition unter den Offizieren mittlerweile groß war.

»Gerade weil ich Ariovist diesen Titel verliehen habe«, sprach Cäsar, »wiegt sein Verhalten so schwer. Noch schwerer wiegt aber die Tatsache, daß die Häduer, die vom römischen Senat als Brüder und Blutsverwandte anerkannt worden sind, von einem Barbaren gedemütigt und mißhandelt werden. Das ist für ein Volk, das die Welt beherrscht, die größte Schmach überhaupt.« Cäsar wandte sich an die Legaten und Tribune, die bereits am Abend das Gehörte in Briefen nach Rom berichten würden, und fuhr fort: »Die Barbaren werden sich nie und nimmer mit Gallien begnügen. Sie werden dem Beispiel der Kimbern und Teutonen folgen und weiter vordringen, um bald darauf in Italien einzufallen. Labienus! Schick Gesandte an Ariovist. Cäsar wünscht eine Unterredung!«

Cäsar nahm mich und Diviciatus erneut beiseite und versprach dem Häduer die Vorherrschaft über ganz Gallien. Er sicherte Diviciatus zu, daß er auch die bisherigen Klientenstaaten der Häduer und der Sequaner achten würde. Hingegen solle das übrige Gallien nach der Niederlage des Ariovist ihm, Cäsar, ganz alleine zustehen. Diviciatus war sofort einverstanden. Erfreut und stolz gesellte er sich zu den übrigen Galliern, die bereits lautstark dem Wein zu sprachen. Ich blieb alleine mit Cäsar zurück.

»Ist das Gallien?« fragte er schmunzelnd. Ich zuckte bloß die Schultern. Gallien war in der Tat ein verwirrendes Gemisch von Wirtschaftsinteressen, verworrenen Bündnissen und uralten Stammesfehden.

»Gallien ist ein reiches Land, ihr habt mutige Männer. Gallien könnte die Welt beherrschen. Statt dessen fällt uns Gallien wie ein reifer Apfel zu. Und weißt du, wer schuld daran ist, Druide?«

»Ja«, sagte ich leise. Ich wußte es.

»Eure Druiden sind schuld daran! Sie sind nicht Mittler zwischen Himmel und Erde, sie sind die Hüter des Wissens, die Hüter der Macht. Sie fördern nicht, sie verhindern. Sie verhindern jegliche geistige Öffnung, sie verhindern jeglichen Fortschritt. Wie sollen Analphabeten ein Weltreich regieren? Wie sollen Analphabeten einen Staat regieren? Wie sollen Analphabeten eine Armee ausheben, ausbilden und unterhalten?«

»Ja«, wiederholte ich leise.

»Wenn Gallien befriedet ist, wird der Handel blühen bis ins Nordmeer hinauf, und jedem Gallier wird es unter dem römischen Adler bessergehen als vorher. Nur die Druiden werden unsere Feinde bleiben. Denn wir öffnen Gallien das Tor zum Universum des Wissens.«

»So ist es«, murmelte ich, und ich hatte in diesem Augenblick überhaupt kein Interesse mehr, irgendwelche kruden Prophezeiungen zu erfüllen.

Als ich abends mit Wanda zu unserem Zelt zurückkehrte, bemerkten wir überrascht, daß Krixos ein neues Zelt aufgestellt hatte. Er empfing uns wie ein stolzer Besitzer.

»Ein Geschenk Cäsars, Herr.«

Ich nickte ihm anerkennend zu. Das neue Zelt war doppelt so groß wie unser altes und in zwei Räume unterteilt. Neugierig bückten wir uns unter dem Vordach und betraten das Vorzimmer. Es hatte einen richtigen Tisch und vier Liegen. Auf dem Tisch standen eine Schale mit frischem Obst und Nüssen und ein Krug Wasser. Dahinter befand sich das Schlafzimmer mit zwei gepolsterten Liegen, Fellen und Wollmänteln, einem kleinen Gestell mit Spiegel und allerlei Zubehör für die Körperpflege. Und: eine hölzerne Badewanne! Ich befahl Krixos sofort, uns ein Bad herzurichten und uns dann in Ruhe zu lassen. Krixos entfachte vor dem Zelt ein kleines Feuer und schaffte es in kürzester Zeit, daß auch Sklaven von anderen Herren einen Kessel heißes Wasser in unsere Holzwanne gossen. Die Wanne war rasch gefüllt. Vergnügt warfen Wanda und ich unsere Kleider ab und stiegen in die Wanne. Krixos hatte sie mit wohlriechenden Ölen eingerieben. Es liegt wohl an der Beschaffenheit einer Wanne, daß zwei Menschen in einer Wanne sich der Lust hingeben. Das Wasser schwappte über den Rand, so daß die Erde unter den mit Bronze verstärkten Holzfüßen immer weicher wurde. Schließlich sank der eine Fuß ein. Und die Wanne kippte …

Am frühen Morgen erreichte Balbus, Cäsars Geheimagent, unser Lager. Er sprengte wie von der Tarantel gestochen ins Lager und riß nur wenige Schritte vor Cäsars Zelt das Pferd unsanft zurück, um abzusteigen. Seine Begleiter waren Speculatores, Elitereiter mit speziellen Geheimdienst- und Kurieraufgaben. Sie führten etliche Reservepferde mit, die mit Proviant und Dokumenten bepackt waren. Balbus zu dienen galt als Privileg. Denn Balbus genoß als Cäsars Erster Geheimagent Sondervollmachten. Seine Ankunft wurde sofort gemeldet. Zu dieser Tageszeit hielt sich Cäsar gewöhnlich in der Schreibkanzlei auf, wo er Aulus Hirtius und mir Briefe und Berichte über seinen Gallischen Krieg diktierte oder mit Gaius Oppius und Trebatius Testa neue Strategien der Kommunikation entwickelte. Der keltische Prinz Valerius Procillus hingegen war von der täglichen Arbeit suspendiert. Er gehörte zu Cäsars privaten Reisebegleitern. Das waren Menschen, die mittels ihres Wissens oder besonderer Begabungen den tristen Alltag des Feldherrn auflockerten. Sozusagen geistige Konkubinen. Während der Offiziersessen lagen sie stets in seiner näheren Umgebung. Balbus trat ins Vorzimmer der Schreibkanzlei, breitbeinig und triumphierend wie üblich. Er hatte erneut seine Bestzeit unterboten. Dann trat er ein paar Schritte vor, während er Aulus Hirtius, Gaius Oppius und Trebatius Testa Briefe zuwarf, die sie mit leuchtenden Augen auffingen. Balbus war nur für Cäsar zuständig, aber einige bessergestellte Familien in Rom erfuhren jeweils von seiner Rückkehr und baten ihn dann persönlich, Briefe für ihre Söhne nach Gallien mitzunehmen. Balbus stampfte auf den ungehobelten Brettern herum, mit denen mittlerweile der erdige Zeltboden abgedeckt worden war.

»Dann stimmt es also, Cäsar, was man in Rom erzählt – du willst dich hier niederlassen?«

Balbus ließ sich auf das Liegesofa fallen, das neben dem Durchgang zum hinteren Zimmer stand, und befahl dem herbeigeeilten Sklaven, ihm seine Stiefel auszuziehen und sorgfältig zu reinigen. »Und vergiß nicht, sie anschließend einzufetten!«

Der Sklave verschwand lächelnd. Mamurra trat ins Zelt und begrüßte Balbus mit einer innigen Umarmung. »Balbus! Erzähl, spricht man in Rom über meine Brücken und Belagerungstürme?«

Balbus lachte. »Man spricht nur von deinem griechischen Lustknaben!«

Alle lachten. Mamurra jammerte: »Die Dame des Hauses hat mich verlassen, stell dir vor. Während der Schlacht in Bibracte hat sie das Weite gesucht. Dabei wollte ich ihr die Freiheit schenken!«

Alle schauten Mamurra verwundert an.

»Wißt ihr«, sagte er schelmisch, »unser Lagerpräfekt hat tatsächlich mitten im Lager ein Bordell eröffnen lassen. Und wißt ihr, wer dort arbeitet … Sie servierte früher in Genava … im Gasthaus des Syrers Ephesus …«

»Juuulia!« lachte Gaius Oppius. »Ich glaube, die Dame ist mittlerweile fast so bekannt wie unser Prokonsul.«

»Und wißt ihr, wer mir diese erotische Pfefferschote empfohlen hat?« fragte Mamurra. Alle kicherten bereits leise vor sich hin.

»Die Dame des Hauses?« fragte Oppius.

»So ist es«, sagte Mamurra in das laute Gelächter, »das ist der letzte Dienst, den sie mir vor Bibracte erwiesen hat.«

»Vielleicht könnten wir gelegentlich zur Sache kommen«, sagte Cäsar ungeduldig. Er trat neben Balbus, ließ sich vom Diener einen Becher Wein reichen und nippte daran. Er schaute Balbus eindringlich an. Cäsar hatte genug von diesem ganzen Geschwätz. Er wollte Neuigkeiten, Fakten. Balbus nickte, während er noch schnell einen Becher Wein leerte und nach geräucherten Gallierwürsten verlangte.

»Cäsar, deine Kanzlei leistet miserable Arbeit. Du würdest gescheiter Julia in den Senat schicken und auf dem Forum gallische Räucherwürste und dieses unverschämt gute luftige Weißbrot verteilen lassen. Das wäre überzeugender! Was nützen alle Siege auf dem Schlachtfeld, wenn du den Krieg der Meinungen und Stimmungen verlierst?«

Das Lachen war uns plötzlich vergangen. Dankbar griffen wir nach dem verdünnten Wein, den die Sklaven brachten.

»Sprich endlich! Was erzählt man sich in Rom?«

Cäsars Stimme klang scharf und zornig. Balbus ließ einen klangvollen Rülpser entweichen und überbrachte dann endlich die sehnlichst erwarteten Neuigkeiten.

»Seit dein Kettenhund Clodius Volkstribun geworden ist, haben sich die Sitten geändert. Cicero ist zwar endlich in der Verbannung, aber mir wäre es lieber gewesen, Clodius hätte weiterhin nachts mit seinen Schlägertrupps in den Gassen politische Gegner erschlagen.«

»Arbeitet er denn gegen uns?« fragte Cäsar erstaunt.

»Nein«, rief Balbus, »nicht gegen uns, aber der Narr legt sich mit Pompeius an. Mit unserem großen Alexander der Neuzeit, der untätig in Rom sitzt, ohne Amt und Heer! Seine einzige Beschäftigung ist die Bewirtung des armenischen Prinzen Tigranes, den er bei sich in Geiselhaft hält. Und was macht Clodius? Er befreit den Prinzen Tigranes und verhilft ihm zur Flucht. Dabei weiß er doch ganz genau, daß er nichts unternehmen darf, was das Triumvirat Cäsar, Pompeius und Crassus belasten könnte. Damit treibt er einen Keil zwischen Pompeius und dich. Du mußt dich entweder für Clodius und gegen Pompeius oder gegen Clodius und für Pompeius entscheiden. Ich hab dich stets vor Clodius gewarnt! Er ist so berechenbar wie ein besoffener Gallier.«

Cäsar reagierte wütend. »Und was sagt Crassus dazu?«

»Nichts«, lachte Balbus, »er wird jeden Tag fetter und reicher. Er ist froh, wenn du seinen Sohn weiterhin als Legaten in deinem Heer beschäftigst. Er hält nämlich Gallien für eine Goldgrube.«

»Soso«, murmelte Gaius Oppius, »mir scheint, Crassus hat das Streben nach Ruhm und Ehre aufgegeben.«

»Aufgegeben?« spottete Cäsar. »Der Dicke weiß einfach, daß man sich weder auf dem Schlachtfeld abmühen noch im Senat heiser reden muß, um Rom zu beherrschen. Geld allein genügt. Er setzt sein Geld ein wie die Götter den Regen. Was genehm ist, wird bewässert, der Rest kann verdorren.«

»Wird denn Pompeius zum Problem?« fragte Gaius Oppius.

»Ich habe ihm meine einzige Tochter, Julia, zur Frau gegeben!« antwortete Cäsar an Balbus' Stelle, als wären damit alle Probleme gelöst.

»Die Ehe soll sehr gut sein. Es soll sogar Liebe sein! Stell dir das vor, man spricht in Rom von Liebe!« schmatzte Balbus.

Cäsar nickte befriedigt und fuhr dann fort: »Ohne Heer und Amt kann Pompeius nicht die Seite wechseln. Und solange ich hier Krieg führe, habe ich auch die Legionen, die ich brauche.«

»Ja«, pflichtete Gaius Oppius bei, »wir brauchen diese Legionen, um in Rom überleben zu können. Selbst wenn wir wollten, wir können uns nicht einfach in die Provinz Narbonensis zurückziehen, die Hälfte unserer Legionen abgeben und Statthalter spielen. Wir brauchen diesen Krieg in Gallien. Damit wir unsere Legionen behalten können.«

»Hm«, brummte Balbus, »Cäsars Krieg stößt in Rom auf geteilte Reaktionen. Die meisten Senatoren sagen, daß man keinen Krieg führen darf, der nicht zuerst angedroht und dann erklärt worden ist. Und eine Kriegserklärung ohne vorherigen Senatsbeschluß finden sie geradezu unerhört. Man spricht in Rom von einem Skandal, Cäsar! Du weißt, daß es dir gesetzlich verboten war, ohne Vollmacht des Senats die Grenzen deiner Provinz zu überschreiten. Wozu haben wir diese Gesetze erlassen, fragen die Senatoren? Um solch selbstherrliche Unternehmen ruhm- und beutegieriger Feldherren zu verhindern!«

Cäsar stampfte mißmutig durchs Zelt und schaute uns Schreiber vorwurfsvoll an. Als wären wir für den ganzen Schlamassel verantwortlich.

»Ich habe mich stets an die Gesetze gehalten!« schrie Cäsar. »Aber all diese Gesetze sind während meines Konsulats nur dazu benützt worden, meine Politik zu blockieren und zu hintertreiben! Die zerstörerische Verschleppungspolitik der patrizischen Senatoren hat mich gezwungen, Gesetze zu brechen! Was sind denn das für Gesetze, die einem Cato erlauben, eine Dauerrede zu halten, damit ich meine Anträge nicht mehr fristgerecht vortragen kann? Was sind denn das für Gesetze, die einem Aedilen erlauben, das halbe Jahr zum Feiertag zu erklären, damit der Senat nicht mehr tagen und ich einmal mehr meine Vorlagen nicht einbringen kann? Ja, ich habe Gesetze gebrochen! Für Rom und das römische Volk!«

»Cäsar! Die Senatoren haben Angst, daß du es weiter tust. Sie sind der Ansicht, man müsse einen wie dich stoppen, bevor du die Republik zerstörst und dich zum Diktator machst. Es gibt sogar Stimmen, die behaupten, es sei oberste Bürgerpflicht, dich zu töten. Man munkelt in Rom, daß du mit dem Überfall auf die Helvetier deine Karriere ruiniert hast.«

Trebatius Testa meldete sich überraschend zu Wort: »Balbus, was die Senatoren sagen, gilt für den Angriffskrieg. Was Cäsar in Gallien führt, ist aber ein Verteidigungskrieg. Wir verteidigen die Grenzen der römischen Provinz.«

Balbus hob amüsiert die Augenbrauen. »Weißt du eigentlich, wie viele Tage ich geritten bin, seit ich die Provinzgrenze überschritten habe?«

Trebatius Testa ließ sich nicht beirren. »Wir haben die Pflicht, die Provinz zu verlassen, wenn uns Bundesgenossen zu Hilfe rufen.«

Balbus grinste. »Ich hoffe, ich kann eine Abschrift von so einem Hilfegesuch mit nach Rom nehmen.«

»Ja«, sagte Cäsar ernst, »das werde ich dir mitgeben.«

»Das wird nicht genügen. Wir brauchen nicht die Wahrheit, Cäsar, wir brauchen überzeugende Gründe.«

Jetzt grinste Cäsar. »Die wirst du erhalten. Aber es werden nicht Worte sein, die ich dir mitgeben werde. Es werden Geschenke sein: goldene Torques, mit Emaille und Korallen verzierte bronzene Gefäße, Schmuck und faßweise Goldmünzen … Du wirst alles unter den Senatoren verteilen. Und zwar so, als würdest du Nüsse verteilen. Außerdem werde ich dir gebildete Sklaven und hübsche Sklavinnen mitgeben, die du den Senatoren schenken wirst. Und dann werden mir die Senatoren Briefe schreiben und mich bitten, ihre Söhne ins Heer aufzunehmen. Und ich werde es tun und sie mit Säcken voller Gold wieder nach Rom zurückschicken. Und dann möchte ich noch einen einzigen Senator sehen, der gegen meinen Krieg ist!«

»Cato«, grinste Gaius Oppius.

»Ist ein Mann, der im Winter in Sandalen rumläuft, sich nur mit eiskaltem Wasser wäscht, Weib und Gesang verschmäht und das Glied nur zum Pinkeln benutzt, überhaupt ein Mann?« fauchte Cäsar.

Alle lachten. Skepsis, Zweifel und Besorgnis hatten sich in nichts aufgelöst. Es wurde reichlich Wein getrunken und gescherzt. Alle fühlten sich in ihrer Meinung bestärkt, auf der richtigen Seite zu stehen. Auf der Seite des Siegers.

»Rom braucht keinen Umsturz zu fürchten«, scherzte Cäsar. »Wieso soll ich mit sechs Legionen in Rom einmarschieren, wenn zwei Hände genügen, um den Senat zu erobern?«

Alle Augen waren gebannt auf Cäsar gerichtet, der genüßlich an seinem Weinbecher nippte. »Mit der einen Hand packst du ihre Schwänze, während du mit der anderen Hand ihre Taschen mit Keltengold füllst. So eroberst du den römischen Senat.«

Einige Tage später traf der Bote ein, den Cäsar kürzlich zu Ariovist geschickt hatte. Dieser ließ ausrichten, daß sich Cäsar selber zu ihm bemühen solle, wenn er etwas von ihm wolle. Auch würde er es nicht wagen, ohne Heer die gallischen Gebiete zu betreten, die Cäsar gewaltsam besetzt habe. Und überhaupt sehe er nicht ganz ein, was die Römer in Gallien verloren hätten. Er habe Gallien nach geltendem Kriegsrecht unterworfen. Gallien gehöre ihm, nicht Cäsar.

Cäsar reagierte wütend und diktierte umgehend das Antwortschreiben an Ariovist:

»Unter Cäsars Konsulat bist du mit dem Titel ›König und Freund des Römischen Volkes‹ ausgezeichnet worden. Ist das der Dank für die außergewöhnliche Gunst, die Cäsar und das römische Volk dir gewährt haben? Wenn du meine Einladung zu einer Unterredung nicht annehmen willst und auch Beratungen über gemeinsame Angelegenheiten ablehnst, dann stelle ich, Cäsar, die Forderungen. Erstens wirst du keine weiteren Scharen über den Rhenus nach Gallien führen. Zweitens wirst du den Sequanern erlauben, den Häduern ihre Geiseln zurückzugeben. Drittens wirst du nicht mehr gegen Häduer oder Sequaner kämpfen. Kommst du diesen Forderungen nach, werden Cäsar und das römische Volk stets in Frieden mit dir leben. Kommst du den Forderungen nicht nach, gilt …« Cäsar forderte Trebatius mit einem Blick auf, den relevanten juristischen Text gleich selbst zu diktieren: »… gilt der Senatsbeschluß aus dem Konsulatsjahr des Marcus Messala und Marcus Piso, daß der Statthalter der gallischen Provinz, soweit er dies ohne Nachteil für den Staat tun kann, die Häduer und die anderen Bundesgenossen des römischen Volkes beschützen muß.«

Cäsar nickte Trebatius anerkennend zu. Er schickte den Boten weg und diktierte einen Brief an den Senat, worin er dringend darum ersuchte, den heimkehrenden Helvetiern den Titel ›König und Freund des Römischen Volkes‹ zu verleihen und sie damit zu Bundesgenossen zu machen. Er brauchte ihre Reiterei im Kampf gegen Ariovist.

Labienus betrat das Zelt. »Die Soldaten werden unruhig, Cäsar. Man munkelt, du willst Ariovist angreifen.«

»Wenn die Helvetier im täglichen Kampf gegen die Germanen bestanden haben, werden wir es wohl auch schaffen. Und jetzt sind meine Legionen kampferprobt. Was willst du mehr, Labienus?«

»Einen plausiblen Grund, Cäsar!«

»Ich kann den Helvetiern nicht vorschreiben, in ihre Heimat zurückzukehren, und sie dann im Stich lassen. Ich kann den Hilferuf unserer häduerischen Bundesgenossen nicht überhören. Und wenn ich die Probleme im Norden nicht löse, habe ich sie bald in der Provinz Narbonensis. Dann hat sie Rom!«

»Ich werde das den Offizieren mitteilen«, antwortete Labienus. »Aber sag mir, wie du Ariovist besiegen willst. Seine Reiterei ist vergleichbar mit der Reiterei der Helvetier. Haben wir jemals die Reiterei der Helvetier geschlagen? Nein! Und wer sagt dir, daß uns nicht auch noch die Helvetier und Sequaner in den Rücken fallen, wenn wir Ariovist angreifen?«

»Weil wir Ariovist mit der sequanischen und helvetischen Reiterei angreifen werden. Das ist in deren eigenem Interesse.«

»Dann beeil dich, daß der Senat die Helvetier zu Bundesgenossen macht. Sonst hast du sie im Rücken.«

Der Disput zwischen Cäsar und Ariovist schien in eine regelrechte Brieffreundschaft auszuarten. Ariovist schrieb erneut zurück. Er teilte Cäsar mit, daß es das Recht des Siegers sei, mit den Besiegten nach Belieben zu verfahren. So würden auch die Römer mit den Besiegten verfahren. Ariovist betonte, daß er dem römischen Volk keine Vorschriften mache, und daß das römische Volk deshalb auch nicht das Recht habe, ihm Vorschriften zu machen. Die Häduer seien ihm nun mal tributpflichtig geworden, weil sie das Kriegsglück versucht und in offener Schlacht verloren hätten. Cäsar begehe ein großes Unrecht, wenn er Ariovists Einnahmen schmälern wolle. Er werde deshalb den Häduern ihre Geiseln nicht zurückgeben, aber auch nicht gegen sie in den Krieg ziehen, wenn sie ihren jährlichen Zahlungsverpflichtungen nachkämen. Sollten sie sich jedoch weigern, zu bezahlen, dann würde ihnen der Titel ›Freunde des Römischen Volkes‹ wenig nützen. Und wenn ihn Cäsar warne, dann möchte er ihn nur daran erinnern, daß er selbst bislang immer siegreich aus jedem Kampf hervorgegangen sei. Ariovist höhnte, Cäsar möge sein Glück nur versuchen, wenn er dazu Lust habe. Er werde schon erfahren, was die unüberwindlichen Germanen, die waffengeübtesten Leute, die seit vierzehn Jahren nicht mehr unter einem festen Dach lebten, mit ihrer Tapferkeit vermochten.

Cäsar war außer sich vor Wut. Noch nie war er einem Mann begegnet, der ihm derart unverfroren die Stirn bot. Er las das Schreiben, das ich zusammen mit Wanda für ihn ins Lateinische übersetzt hatte, zweimal durch und bat mich, den Inhalt weitgehend identisch in die regelmäßig erscheinende Rechtfertigungsschrift über den Gallischen Krieg zu übernehmen.

Er baute dabei noch ein paar neue Klagen und Bitten der Häduer ein und ergänzte diese mit Beschwerden der germanischen Treverer. Ich weiß nicht, ob ein treverischer Abgesandter tatsächlich bei Cäsar vorgesprochen hatte. Ich habe das Gespräch auf jeden Fall nicht übersetzt. Ich weiß, daß sich Procillus mehrmals mit germanischen Händlern unterhalten hat, die auch bei Cäsar hatten vorsprechen dürfen. Vielleicht hatten die gemeldet, daß sich am östlichen Rhenusufer zahlreiche germanische Stämme versammelt hatten, die jeden Augenblick den Fluß überqueren konnten. Mag sein. An ihrer Spitze standen auf jeden Fall zwei Brüder: Nasua und Cimberius. Und sie hatten angeblich die Absicht, sich nach der Rhenusüberquerung mit Ariovist zu vereinen. Ich weiß nicht, ob es wahr ist. Auf jeden Fall löste die Nachricht eine große Unruhe in Cäsars Heer aus. Schließlich befanden sich die Legionäre in der Wildnis, auf fremdem Gebiet, ohne geographische Karten und Stützpunkte. Man konnte nie wissen, was einen hinter dem nächsten Berg erwartete. Ein paar Wilde in Höhlen oder eine moderne Kavallerie mit unbekannten Waffen. Cäsar reagierte wie immer prompt und befahl den sofortigen Aufbruch. In Eilmärschen bewegten wir uns auf Ariovist zu. Während die Legionäre normalerweise fünf Stunden pro Tag marschierten, befahl Cäsar plötzlich neun Stunden. Selbst für mich, der ich nur auf dem Rücken eines Pferdes saß, war dieser Gewaltmarsch ziemlich anstrengend. Mein Sklave Krixos, der irgendwie unsichtbar, aber dennoch immer da war, wenn man ihn brauchte, schien mittlerweile auch meine Gedanken lesen zu können. Er organisierte auf einem Proviantwagen, der im Troß mitgeführt wurde, einen bequemen Platz, der aus vier aneinandergereihten Liegen bestand. Es war eine willkommene Abwechslung, denn das Liegen entlastete die Gesäßmuskulatur – aber ich muß wohl nicht betonen, daß man sich auf diesen holprigen Straßen nur mit leerem Magen in einen Wagen legen durfte. Lucia leistete mir Gesellschaft. Zitternd stand sie da, während ihr der Speichel in langen Fäden hinuntertropfte. Dann sperrte sie das Maul weit auf, duckte sich und kotzte erbärmlich. Dennoch zog sie es vor, mir Gesellschaft zu leisten. Begleitet wurden wir von unzähligen Häduern, darunter auch Diviciatus. Er wollte seinen Männern beweisen, daß die römischen Legionen ihm zu Diensten waren. Er, der Häduer Diviciatus, würde die keltischen Sequaner von ihrem Joch befreien. Er war zurückgekehrt, mit römischen Legionen. In Wirklichkeit hatte ihm Cäsar die Begleitung befohlen, um auch den letzten seiner Offiziere davon zu überzeugen, daß er diesen Krieg nur auf Bitten der Häduer führte. Cäsar war fest entschlossen, den Krieg auf der ganzen Linie zu gewinnen.

Bereits nach drei Tagen meldeten Cäsars Späher, daß Ariovist mit allen Truppen aufgebrochen war, um Vesontio, die Hauptstadt der Sequaner, zu besetzen. Am Abend diktierte Cäsar einen Bericht, den er zusammen mit den bisherigen Kriegsberichten an Balbus übergab, und bat ihn, damit nach Rom zurückzukehren. Er mußte verständlich machen, wieso er Vesontio auf keinen Fall Ariovist überlassen durfte. Obwohl er jetzt noch viel weiter von der römischen Provinz entfernt war als damals vor Bibracte. Vesontio verfügte über Kriegsmaterial und Lebensmittel und war fast vollständig von einem Fluß umschlossen. Vom Dubis. Und dort, wo der Fluß fehlt, ragen steile Felsen in die Höhe, die zu einer massiven Festungsmauer ausgebaut worden waren. Deshalb eilte Cäsar in langen Märschen nach Vesontio. Einmal mehr hatte er sowohl seine Offiziere als auch seine Gegner überrascht.

Erschöpft lagerten die Männer innerhalb der Mauern von Vesontio. Cäsar hatte blitzschnell reagiert und sein Heer mit unglaublicher Schnelligkeit in die richtige Position gebracht. Was er hingegen noch nicht geschafft hatte, war, seinen ausgepumpten Soldaten klarzumachen, daß es ihr Krieg war. Und nicht sein Privatkrieg.

Die Männer waren total erschöpft und gereizt. Viele klagten über Blasen an den Füßen, schmerzhafte Rötungen an den Innenschenkeln und blutige Schürfungen an den Schultern. Es waren kleine Wunden, aber beim Marschieren äußerst schmerzhaft. Viele ließen ihrem Ärger beim geringsten Anlaß freien Lauf. Obwohl es keiner zugeben wollte, mißfiel vielen, daß man innerhalb eines keltischen Oppidums lagerte. Wo blieb da die Erholung, wenn man mit einem offenen Auge schlafen mußte? Die Gallier waren absolut unberechenbar. Aber um Ariovist zuvorzukommen, mußte Cäsar das Oppidum besetzen. Für die Centurionen wurde die Aufrechterhaltung der Disziplin immer schwieriger. Es war unmöglich, die Legionäre von der Bevölkerung fernzuhalten. Egal ob die Soldaten Eier kauften, auf den Märkten flanierten oder sich in Gasthöfen mit jungen Sequanerinnen vergnügten, sie kamen alle kreidebleich zurück. Überall wurde nur noch von den bärenstarken Germanen gesprochen, die angeblich nackt in finsteren Wäldern übernachteten und sich von rohem Fleisch ernährten. Noch niemand hätte sie besiegt, sie seien wie riesige Bestien, von Göttern erschaffen, um die Menschheit zu bestrafen, und selbst wenn man sie mit Pila durchbohre, kämpften sie weiter, bis sie ihrem Gegner die Rippen zerquetscht hätten. Ja, selbst wenn man ihnen den Kopf abschlug, würden sie noch lachen, so rauh und tief dröhnend, daß man nachts, von Alpträumen geplagt, aus dem Schlaf gerissen würde und tagelang nichts mehr essen könne. In den Wirtshäusern wurden jene alten Gallier, die schon mal mit den Germanen gekämpft hatten, umlagert wie siegreiche Wagenlenker in Rom. Gebannt lauschte man ihren Erzählungen, hing wie hungrige Fledermäuse an ihren Lippen, beobachtete mit Gänsehaut, wie sie zum Sprechen ansetzten, während sie wie versteinert ins Leere starrten. »Ja«, erzählten sie, »gar oft bin ich ihnen begegnet, das ist wahr, aber wir konnten nicht mal den stechenden Blick ihrer Augen ertragen …« Ein Raunen erfüllte dann den Raum, und jemand befahl dem Wirt, noch einen Krug Roten zu bringen.

Wanda und ich, wir hatten nicht wirklich Angst. Die Nächte gehörten uns. Kaum hatte ich die Arbeit in der Kanzlei erledigt, eilte ich in unser Zelt, wo mich Wanda erwartete. Meistens lag sie bereits nackt unter dem Fell. Ich riß mir die Kleider vom Leib und ließ mich in die Arme meiner Geliebten sinken. Mal liebten wir uns zärtlich und sanft, mal feurig und wild, mal setzte sich Wanda auf mich und hielt mich an den Armgelenken fest, mal spreizte sie ihre Beine und umklammerte meinen Rücken, setzte sich auf den Tisch oder streckte mir ihr Gesäß entgegen. In diesen Augenblicken war es mir einerlei, ob Cäsar in Gallien war oder Ariovist in Rom. In Wandas Armen verlor alles andere an Bedeutung. Wir waren absolut verrückt nacheinander. Wenn ich ihre Zunge auf meinen Lippen spürte, vergaß ich alles, was zwischen Massilia und Rom lag. Zum Glück waren wir im Quartier der Offiziere untergebracht. Sie hatten ihre Sklavinnen dabei oder ließen sich Sequanerinnen ins Lager bringen. So gab es weder Neid noch Mißgunst. Krixos ließ sich nichts anmerken. Ich denke, so gerissen wie dieser Bursche war, hatte er bestimmt ausreichend Gelegenheit, sich mit anderen Sklavinnen zu vergnügen. Doch in jener Nacht rief er meinen Namen.

»Herr! Du hast Besuch, es ist wichtig!«

Verärgert löste ich mich von Wanda und küßte nochmals ihre Scham.

»Wer ist es?« fragte ich ungeduldig.

»Der Ritter Publius Considius!«

Das war der nervöse Kerl, der seinerzeit vor Bibracte Labienus' Männer auf dem Hügel mit Helvetiern verwechselt hatte und deshalb nicht ganz unschuldig am merkwürdigen Schlachtverlauf gewesen war. Er hatte seine Strafe, drei Wochen außerhalb des befestigten Lagers leben zu müssen, im Gegensatz zu manchen seiner Kameraden, überlebt. Aber der Kerl war immerhin Reiterführer gewesen. Also warf ich mir einen Wollmantel über und trat ins Vorzimmer.

Krixos stand verlegen unter dem Vordach und hob die Plane, die den Eingang bedeckte, hoch.

»Er sagt, es sei dringend, Herr!«

Und wie dringend! Publius Considius schob Krixos beiseite und trat in das Vorzimmer.

»Schreiber, ich will sofort mein Testament machen. Ich bezahle dir dafür zwei Silberdenare!« Seine Lider waren dunkel und schwer, und der Angstschweiß hatte die Fransen auf seiner Stirn verklebt. Ich war einigermaßen überrascht.

»Drei Denare!« zischte Publius Considius.

»Danach bin ich an der Reihe«, flüsterte ein Legionär, der frech den Kopf zwischen die Lederplanen beim Eingang steckte. Ich sah, daß vor meinem Zelt eine ganze Menge dunkler Gestalten standen. Dem Geflüster nach zu urteilen, kamen immer neue dazu. Ich ließ mir also von Krixos eine Fackel und ausreichend Papyrusrollen bringen und wies jeden einzelnen darauf hin, daß er das Testament morgen vom Lagerjuristen Trebatius Testa beglaubigen lassen mußte. Bis in die frühen Morgenstunden schrieb ich den Letzten Willen von Dutzenden von Legionären nieder. Jeder wollte noch etwas Gutes tun, einen Menschen berücksichtigen, dem er Unrecht getan oder zuwenig Achtung und Aufmerksamkeit entgegengebracht hatte, und natürlich sollte die Nachwelt ihn ewig als besten Menschen zwischen Himmel und Erde in Erinnerung behalten. Im Angesichts des Todes waren sie nachdenklich, melancholisch und gefühlvoll zugleich. Vielleicht muß ich mich an dieser Stelle noch genauer ausdrücken, diese Legionäre litten nicht an einer unheilbaren Krankheit. Nein, sie hatten Angst vor Ariovist. Ihr Mut hatte sie verlassen. Sie verabschiedeten sich von ihren Angehörigen!

Cäsar war wütend, als er am nächsten Morgen erfuhr, was sich in der vergangenen Nacht ereignet hatte. Jeder einigermaßen schreibkundige Mensch war um seinen Schlaf gebracht worden. Im ganzen Lager gab es praktisch keine unbeschriebenen Papyrusrollen mehr. In einzelnen Zeltgemeinschaften sollen sich wahre Dramen abgespielt haben. Junge Legionäre, die sich in Weinkrämpfe gesteigert hatten, waren von ihren Kollegen bewußtlos geschlagen worden, andere hatten sich bereits etwas voreilig die Pulsadern aufgeschnitten.

Während Cäsar den Berichten des Lagerpräfekten zuhörte, schüttelte er immer wieder heftig den Kopf. Schließlich schrie er: »Was hab ich für eine Scheißarmee!«

»Acht Legionäre haben ihren Selbstmordversuch überlebt …«

»Verbindet ihre Wunden, laßt sie danach öffentlich auspeitschen und zwei Tage lang nackt am Pranger stehen. Dabei sollen sie einen Hasen in den Armen halten! Und dann setzt sie eine Woche auf Gerstenkost!«

Gerste war das übliche Kraftfutter für Pferde und Maultiere. Wer auf Gerstenkost gesetzt wurde, wurde öffentlich erniedrigt, weil er mit seinem Verhalten die Würde der Legion beschmutzt hatte. Nackt am Pranger zu stehen, mit irgendeinem lächerlichen Gegenstand, das war üblich in der Legion. Während der Lagerpräfekt die weiteren Vorfälle der vergangenen Nacht berichtete, bat ein junger Kriegstribun um ein Gespräch mit Cäsar. Der junge Mann gehörte zu jenen Tribunen, die dem Rittergeschlecht entstammten und wohl oder übel ein oder zwei Jahre in einem Heer dienen mußten, damit sie in Rom Karriere machen konnten. Während die einen mit der Zeit eingefleischte Militaristen wurden, die den Geruch von Knoblauch und Soldatenstiefeln den feinen Parfüms der Senatoren vorzogen, blieben die meisten ein Häufchen Herrensöhne, das jeden Schmutz und jede Anstrengung vermied und selbst beim Stuhlgang auf offenem Feld den Aristokraten herauskehrte. Der junge Mann, der hier vortrat, gehörte zu letzteren. Er war ein enger Freund jenes Tribuns gewesen, der vom Sklaven Fuscinus vergewaltigt und ermordet worden war. Er hieß Gaius Tullus und stank nach Parfüm. Seine Hände waren von den Salben und vom Nichtstun geschmeidig und zart. Der schmale Purpurstreifen auf seiner frischen Tunika war makellos geglättet. Stolz bat er Cäsar um die Bewilligung eines Urlaubs. Sein Vater liege im Sterben.

»Dein Vater liegt im Sterben?« fragte Cäsar.

»Ja«, antwortete der junge Tribun mit staatsmännischer Miene. »Ich muß so schnell wie möglich nach Rom. Wann kann ich abreisen?«

»Und woher weißt du, daß dein Vater im Sterben liegt?« fragte Cäsar.

»Meine Mutter hat mir geschrieben.«

»Zeig mir den Brief.«

Der Tribun lief rot an, doch schnell faßte er sich wieder und reckte gekränkt den Kopf.

»Dieses Schreiben, Cäsar, ist mir leider … verlorengegangen. Im Feuer. Aber du wirst wohl nicht ernsthaft am Wort eines Gaius Tullus zu zweifeln wagen.«

»Im Feuer …«, wiederholte Cäsar. »Das macht nichts, Tribun, ich habe nämlich auch einen Brief von deiner Mutter erhalten.«

Der junge Tribun schien in keiner Weise überrascht. Mit einer Handbewegung wischte er ein imaginäres Stäubchen von seiner Tunika, als wolle er damit ausdrücken, daß man ihm nichts anhaben konnte.

»Deine Mutter teilt mir in ihrem Brief mit, daß dein Vater leider bereits verstorben ist. Du sollst hierbleiben, für deine Familie Ehre einlegen … und dich wie ein Mann benehmen!« Die letzten Worte schrie Cäsar.

»Kann ich den Brief meiner Mutter … ich meine, den Brief, den meine Mutter, dir, Cäsar, geschrieben hat …«

»Auch dieser Brief ist verlorengegangen, Tribun! Im Feuer. Du wirst es nicht glauben, aber er ist im Feuer verlorengegangen. Und du wirst doch nicht ernsthaft am Wort eines Juliers zweifeln!«

Der Tribun stand da wie ein Tölpel.

»Du kannst gehen, Gaius Tullus, aber niemand von deiner Familie soll jemals wieder einen Julier um einen Gefallen bitten. Und ganz Rom soll es wissen. Geh jetzt!«

Der junge Tribun war sichtlich durcheinander. Er wußte nicht mehr so recht, wie er sich verhalten sollte. Schließlich verließ er das Zelt. Doch kaum hatte er es verlassen, betraten einige Legaten und Centurionen das Vorzimmer, an ihrer Spitze Lucius Speratus Ursulus, der sofort das Wort ergriff. »Cäsar, im Lager herrscht Panik. Nicht nur die Rekruten jammern, mittlerweile auch die erfahrenen Legionäre. Und seit heute früh zittern auch die Centurionen vor Angst.«

»Er hat recht«, pflichtete ihm der Legat Labienus bei, »die meisten Tribunen bitten um Urlaub. Plötzlich sind alle Mütter und Väter in Rom todkrank, eine regelrechte Epidemie. Selbst den Offizieren der Reiterei steht der Schrecken deutlich ins Gesicht geschrieben.«

»Und wie schätzt ihr die Situation ein?« fragte Cäsar und schaute einen nach dem andern an. Schließlich trat der senatorische Tribun Laticlavius einen Schritt vor.

»Ich frage mich, ob wir genügend … Lebensmittel haben. Wir befinden uns hier in … in der Wildnis … niemand kennt die Gegend … wo sind die nächsten Oppida … wo können wir uns mit Nahrung versorgen … den Galliern ist nicht zu trauen, Cäsar, viele Männer machen sich Sorgen um unsere Verpflegung.«

Labienus lachte bitter auf. »Cäsar, es ist einfach so, daß dir viele Männer den Gehorsam verweigern werden! Wenn du den Befehl zum Aufbruch gibst, werden die Legionäre rebellieren. Es wird das definitive Ende dieses gallischen Abenteuers sein.«

»Laß die Rädelsführer hinrichten, Cäsar«, empfahl der junge Jurist Trebatius Testa.

»Nein«, lachte Labienus spöttisch, »es wird eine Rebellion geben. Die Männer wissen, daß man sie in Rom dafür nicht bestrafen wird.«

»Ja«, murmelte Cäsar, »ich hatte gehofft, für fünf Jahre der römischen Politik entfliehen zu können, aber ich stelle fest, daß ich all die Kröten und Intriganten mit nach Gallien geschleppt habe. Sie sind mitten unter uns. So wie sie mich seinerzeit in Rom mit ihrer Verzögerungspolitik an der Ausübung meines Konsulats gehindert haben, so hindern sie mich jetzt mit dem Aufwiegeln der Männer am Weitermarsch.«

Alle schwiegen betreten. Doch da meldete sich plötzlich überraschend der junge Crassus zu Wort. Er war der Sohn des fetten Milliardärs, der nie zu militärischen Ehren gekommen war, obwohl er (und nicht Pompeius) seinerzeit Spartacus besiegt hatte. Am Beispiel seines Sohnes konnte man unschwer erkennen, daß für einen römischen Bürger Ehre und Anerkennung mehr zählten als Milliarden von Sesterzen. Denn Crassus' Sohn war, im Gegensatz zu seinem Vater, ein brillanter Legat und Stratege, und er kämpfte mit beispiellosem Mut, ja mit einer schier keltisch anmutenden Todesverachtung. Und dieser Crassus meldete sich zu Wort:

»Cäsar«, sagte der junge Crassus, »die Offiziere haben vor wenigen Tagen Post aus Rom erhalten. Ihre Väter und Freunde haben ihnen geschrieben, daß nur dein Ehrgeiz sie in diesen Krieg führe. Sie sagen, daß dieser Krieg weder gerecht noch offiziell befohlen worden sei. Sie sagen, ganz Rom habe sich gegen dich gewandt. Das ist der wahre Grund der Rebellion. Deshalb haben sie die jungen Rekruten, die voller Angst aus den gallischen Wirtshäusern zurückgekehrt sind, nicht besänftigt, sondern diese Angst geschürt und sie regelrecht in eine Panik hineingeredet. Rom hat dich fallenlassen, sagen sie. Du stehst hier als Privatmann, und es gibt keinen Grund mehr, dir zu folgen. Das sind die wahren Gründe, Cäsar.«

Der junge Crassus hatte mit dieser ehrlichen Rede einmal mehr Charakter bewiesen. Cäsar schätzte Charakter, obwohl es ihm mißfallen mußte, daß nun alle wußten, was bisher nur ein paar wenige hinter vorgehaltener Hand gemunkelt hatten. Cäsar schien zu überlegen, ob der junge Crassus im Auftrag seines Vaters gehandelt hatte oder nicht. War dieser junge Mann gegen ihn oder für ihn? Cäsar reagierte wie immer – er setzte alles auf eine Karte.

»Versammelt alle Legaten, Tribune, Präfekten und Centurionen vor meinem Zelt. In einer halben Stunde werde ich zu euch sprechen!«

»Soldaten«, schrie Cäsar von seinem hölzernen Podest hinunter, das man vor dem Eingang seines Zeltes errichtet hatte, »wer gibt euch das Recht, unser Vorhaben zu hinterfragen oder über den Zweck unseres Feldzuges nachzudenken? Hat euch der Senat etwa zu Feldherren erkoren? Ich bin hier, um Ariovist Vorschläge zu unterbreiten. Und Ariovist, da bin ich mir sicher, wird diese Vorschläge annehmen, denn er legt Wert auf den Titel, den ihm der römische Senat verliehen hat. Er ist König und Freund des römischen Volkes. Wenn aber Ariovist aus Wut oder Verblendung uns dennoch den Krieg erklären sollte, wovor sollten wir uns dann fürchten? Habt ihr denn kein Vertrauen in euren Feldherrn? Haben sich denn nicht schon unsere Vorfahren mit diesem Feind gemessen, als sie die Kimbern und Teutonen schlugen? Hat sich kürzlich nicht auch der große Crassus mit diesem Feind gemessen, als er den Aufstand des Spartacus niederschlug? Waren das nicht alles germanische und gallische Sklaven, die Crassus ans Kreuz schlagen ließ? Und haben nicht auch die Helvetier diesen Feind in häufigen Kämpfen immer wieder besiegt? Dieselben Helvetier, die unseren Heeren nicht gewachsen waren! Die Furcht der Gallier mag euch beeindrucken, aber die Gallier sind von den langen Kriegen zermürbt und haben keinen Feldherrn von Rang und Namen.«

Ironischerweise hob Cäsar hervor, daß Ariovist ein Feigling sei, der eher durch List als durch Tapferkeit siege. Er kritisierte auch jene, die ihre Angst hinter der angeblichen Sorge um die Verpflegung versteckten. Obwohl er den Männern klar zu verstehen gab, daß es nicht ihre Sache war, über irgend etwas nachzudenken, erklärte er bereitwillig seine Vorsorgungspläne und nannte die Stämme, die ihm Getreide liefern würden. Und schließlich hob er nochmals scharf die Stimme an und kritisierte das, was ihn am meisten erbost hatte: »Legionäre! Das ist nicht mein Krieg! Sollen wir uns etwa zurückziehen und warten, bis Hunderttausende von Germanen die römische Provinzgrenze erreicht haben? Wir müssen nicht die Flammen bekämpfen, sondern den Feuerherd. Und deshalb führen wir hier oben im Norden einen Verteidigungskrieg. Für Rom und das römische Volk. Legionäre! Dieses Gerede, daß ihr mir angeblich den Gehorsam verweigern wollt, läßt mich ganz und gar gleichgültig. Ich weiß wohl, daß jeder Feldherr, dem das Heer den Gehorsam verweigert, seine Sache schlecht gemacht hat, kein Glück gehabt hat oder der Habgier überführt worden ist! Aber meine Uneigennützigkeit ist durch mein gesamtes Leben belegt! Mein Glück ist durch den Krieg mit den Helvetiern erprobt!«

Ich hörte den leisen Spott in seiner Stimme. Hochmütig preßte er die schmalen Lippen zusammen und schaute voller Verachtung über die Köpfe seiner Legionäre hinweg. Er schien dem Irdischen entrückt. Dieser Mann war anders.

»Eigentlich hätte ich noch ein paar Tage hierbleiben wollen«, fuhr er fort, »aber wenn es so ist, werden wir bereits in der nächsten Nacht nach der vierten Nachtwache das Lager abbrechen, damit ich mich so schnell wie möglich davon überzeugen kann, ob bei euch Scham und Pflichtgefühl oder Furcht überwiegt. Und sollte mir tatsächlich niemand folgen, dann werde ich alleine mit der zehnten Legion losziehen. Denn an der zehnten habe ich noch nie gezweifelt, und deshalb soll sie in Zukunft auch die Männer meiner Leibgarde stellen!« Cäsar stieg die vier Stufen von seinem Podest herunter. Ein Prätorianer schlug die Zeltplane zur Seite. Cäsar verschwand in seinem Zelt. Er ließ mich rufen und bat mich, ihm Gesellschaft zu leisten. Cäsar war verärgert. Fortuna schien ihn zu verlassen. Er haderte mit den Göttern. Hatte er die Beweglichkeit seiner Offiziere überschätzt? War er ihnen zu schnell, wurde er ihnen zu mächtig? Er hatte es immer gehaßt, sich von irgendwelchen Leuten oder Umständen aufhalten zu lassen. Mit atemberaubender Geschwindigkeit zog er seine kraftvollen Furchen durch den Acker der Weltgeschichte, und er würde weiterpflügen, solange er konnte.

»Woran liegt es, Druide? Wenn du es weißt, so sag es mir.«

»Du ruderst zu schnell Cäsar, und du wunderst dich, daß die anderen nicht mitrudern. Wieso sollen sie sich anstrengen, wenn doch nur einer als Sieger an Land geht.«

»Ja«, murmelte Cäsar, »ein Brutus hat vor vierhundertfünfzig Jahren den letzten Tyrannen getötet. Aber was haben uns Republik und Konsulat gebracht? Eine erneute Tyrannei! Die Tyrannei der republikanischen Gesetzgebung. Nicht umsonst bedeutet Brutus Dummkopf.«

Cäsar schwieg. Am liebsten hätte er sofort die Schlacht gegen Ariovist geschlagen. Sachzwänge schaffen, für sich und die andern, das war eine seiner Stärken.

»Was meinst du, Druide? Was werden sie tun?«

»Sie werden dir folgen, Cäsar, sie werden daherkriechen wie die Schnecken und Schleimspuren der Heuchelei hinterlassen. Sie werden behaupten, daß sie nie Angst gehabt oder deine Fähigkeiten in Frage gestellt hätten. Sie werden dir sagen, daß sie darauf brennen, für Rom und das römische Volk in den Kampf zu ziehen.«

»Sagst du das, um mir einen Gefallen zu tun?«

»Das wäre töricht, Cäsar, denn in wenigen Augenblicken wirst du es wissen.«

Und tatsächlich meldete ein Prätorianer wenig später den Primipilus Lucius Speratus Ursulus. Er verneigte sich vor Cäsar und dankte ihm im Namen der zehnten Legion für das günstige Urteil, das Cäsar öffentlich über sie abgegeben hatte. Es war typisch für einen römischen Centurio, daß er von günstigem Urteil und nicht von Lob sprach. Hätte er strahlend von Lob gesprochen, man hätte es als unwürdige Prahlerei empfunden. Die Centurionen waren das Herz einer jeder Legion. Es waren ausschließlich Männer, die sich von ganz unten mit Mut, Tapferkeit und Ausdauer nach oben gekämpft hatten. Sie hatten aufgrund ihrer niedrigen Herkunft keinerlei Aussichten auf irgendwelche zivilen Karrieren. Die Legion war ihr Leben, ihre einzige Chance. Sie waren stolz auf diese männliche Lebensweise. Was zählte, war die Anerkennung der Legionäre, der Ehrgeiz der ranghöheren Offiziere, ihren Feldherrn zufriedenzustellen.

»Cäsar, wir können es kaum erwarten, für dich in den Kampf zu ziehen. Für dich geht die zehnte durchs Feuer.«

Cäsar ging auf den Primipilus zu und ergriff seinen Arm.

»Ich danke dir, Lucius Speratus Ursulus. Von jetzt an stehst du in Cäsars Gunst. Solltest du oder einer deiner Angehörigen jemals einen Wunsch haben, den ein Julier dir erfüllen kann, so wende dich an mich.«

Das war für den alten Centurio zuviel des Guten. Er war sichtlich bewegt, räusperte sich und schluckte hektisch. Dann verbeugte er sich knapp und bat Cäsar, ihm deswegen keinerlei Gunst zu gewähren, denn er habe nur aus Pflicht- und Ehrgefühl gehandelt. Und das sei die Aufgabe eines Primipilus und dürfe deshalb nicht belohnt werden. Eine Belohnung würde bedeuten, daß Cäsar sein Verhalten nicht für selbstverständlich halten würde. Und das würde ihn kränken und sein Ansehen bei den Legionären mindern.

Cäsar schien gerührt. »Dein Wunsch sei dir gewährt.«

Der Primipilus streckte den ausgestreckten Arm schräg in die Höhe und schrie sich die Erleichterung von der Seele: »Ave Cäsar! Ave Imperator!«

Mit dem ›Ave Imperator‹ hatte er natürlich noch eins draufgesetzt. Denn wenn Soldaten ihren Feldherrn mit ›Ave Imperator‹ grüßten, dann bedeutete dies, daß sie für ihn in Rom einen Triumphzug verlangten.

Wenig später kamen die Tribune und Legaten. Sie alle schworen Cäsar ewige Treue. Nicht Cäsar hatte Angst gehabt, Ariovist mit nur einer Legion entgegenzutreten, nein, die fünf übrigen hatten Angst gehabt, daß Cäsar sie auflöse. Als der letzte Offizier gegangen war, grinste Cäsar breit und schaute mich anerkennend an.

»Komm, Druide, der gallische Krieg geht weiter. Ich werde dir noch einen kurzen Abschnitt diktieren. Denn morgen brechen wir auf.«

Cäsar erwähnte in seinem Diktat alle Vorfälle und nannte auch die Ursachen. Aber er vermied es zu erwähnen, daß der Auslöser nicht nur die Angst vor den Germanen gewesen war, sondern die Haltung der Offiziere, die in Cäsars Einfall in Gallien keinen gerechten Krieg, keinen römischen Krieg, keinen offiziellen Krieg erkennen konnten. Er erwähnte nicht, daß zahlreiche Offiziere ihm vorwarfen, diesen unnötigen Krieg aus maßlosem Ehrgeiz, krankhafter Ruhmsucht und grenzenloser Geldgier zu führen. Doch Cäsar wäre nicht Cäsar gewesen, hätte er sich auch nur einen Augenblick länger als notwendig mit dem niedergeschlagenen Widerstand beschäftigt. Cäsar ließ durch Diviciatus, einem der wenigen Gallier, denen er vertraute, einen sicheren Weg auskundschaften, und brach dann um die vierte Nachtwache auf. Zuvor verfaßte ich noch einen Handelsbericht an Kretos und ließ ihn von einem römischen Kundschafter, der nach Genava aufbrach, mitnehmen.

Nachdem wir sieben Tage marschiert waren, erhielt Cäsar von seinen Kundschaftern die Nachricht, daß Ariovist mit seinen Truppen nur noch vierundzwanzig Meilen entfernt war.

Kaum hatten wir unser Marschlager aufgeschlagen, ritten bereits germanische Unterhändler ins Lager. Ariovist hatte dazu regelrechte Riesen ausgesucht. Sie trugen römische Offiziersstiefel! Die dunklen Wollhosen waren über den Knöcheln mit Lederriemen zusammengebunden. Über der bläulichen Reitertunika trugen sie eine dunkle, langärmelige, aber sehr kurze Tunika. Den Rücken bedeckte ein langer, dicker Wollmantel, den vorne am Hals dicke Goldspangen zusammenhielten. Das auffallendste Merkmal war jedoch der lange rotblonde Haarschopf, den sie seitlich mit einem Knoten zusammengebunden und mit einer zusätzlichen Stirnbinde fixiert hatten. Die Schnurrbärte trugen sie nicht so üppig und wuchernd wie die Kelten. Auch die Kinnbärte waren seitlich beschnitten und verlängerten die Gesichter. Sie wirkten noch hagerer. In den Gesichtszügen lag eine Gelassenheit und Ruhe, die eine gewisse Abgeklärtheit ausstrahlte. Es waren sieben Gesandte. Sie wurden höflich empfangen und zu Cäsar geführt. Vor dem Feldherrenzelt ließ man sie warten. Prätorianer wollten ihnen die Pferde abnehmen, aber sie weigerten sich abzusteigen. Als einer der Prätorianer dabei etwas zu forsch vorging, versetzte ihm einer der Germanen einen Fußtritt ins Gesicht. In diesem Augenblick trat Cäsar aus seinem Zelt. Er hatte mich, Wanda und Procillus als Dolmetscher ausgewählt und erklärte, daß es mit Ariovist vermutlich noch zahlreiche Unterredungen geben würde, nicht nur im römischen, sondern auch in Ariovists Lager. Offenbar wollte Cäsar nicht seine Legaten riskieren. Und schon gar nicht die jungen Tribune, die ihm den Zorn ihrer Väter in Rom zugezogen hätten. Er hatte ja bereits einen verloren.

»Bist du Cäsar?«

»Ja«, antwortete Wanda, »er ist Cäsar.« Sie sprach, ohne gefragt worden zu sein. Die germanischen Gesandten schauten erstaunt zu ihr hinunter. Sie hatten nicht erwartet, daß eine gallo-römisch gekleidete Frau akzentfrei Germanisch sprach.

»Höre, was Ariovist dir zu sagen hat. Da du seinem Wunsch entsprochen hast und näher gerückt bist, kann Ariovist einer Unterredung zustimmen, ohne sich in Gefahr zu begeben. Die Unterredung soll in fünf Tagen stattfinden.«

Cäsar nickte dem Gesandten zu und sagte in lateinischer Sprache, daß er damit einverstanden sei. Er würdigte Wanda keines Blicks. Da Procillus erkannt hatte, daß Cäsar sich daran störte, von einer Frau übersetzt zu werden, hatte er mir einen Wink gegeben, die Übersetzung zu übernehmen.

Die Gesandten stellten die Bedingung, daß Cäsar zur Unterredung kein Fußvolk mitbringen dürfe. Beide Seiten sollten mit ihrem berittenen Gefolge erscheinen. Falls Cäsar damit nicht einverstanden sei, solle er überhaupt nicht kommen.

Cäsar erwiderte, daß er die Bedingung akzeptiere.

Wenig später rief Cäsar seine Offiziere zusammen. Es waren nur die Legaten und die obersten Tribune anwesend. Er war besorgt. War Ariovists Forderung, ohne Fußvolk zu erscheinen, eine Falle? Auch Ariovist wußte, daß Cäsar praktisch über keinerlei römische Reiter verfügte. Wollte Ariovist ihn zwingen, sich der häduerischen Reiterei anzuvertrauen? Cäsar wollte die Meinungen der höheren Offiziere hören. In Wirklichkeit wollte er vermutlich nur herausfinden, wer ihn einer Gefahr aussetzen wollte und wer nicht. Wer für und wer gegen ihn war. Etliche Tribune lobten scheinheilig die Zuverlässigkeit der Häduer, doch schließlich meldete sich der Legat Brutus zu Wort und empfahl Cäsar, den Häduern alle Pferde wegzunehmen und die zehnte Legion damit auszurüsten.

»Nachdem du die zehnte bereits zu deiner Leibwache ernannt hast, kannst du sie ja auch gleich noch zu deiner Reiterei machen«, scherzte Labienus. »Ich finde den Vorschlag des Legaten Brutus vernünftig.«

Ein Tribun gab zu bedenken, daß man mit dieser Geste die Häduer beleidigen könnte, aber er wagte nicht zu insistieren, denn er spürte, daß man ihm jede Hartnäckigkeit als Cäsarfeindlichkeit auslegen würde.

Fünf Tage später ritt Cäsar kurz vor Mittag aus dem Lager. Er wurde von einigen ausgewählten Legaten, Offizieren und Dolmetschern eskortiert. Die zehnte Legion war nun eine berittene Legion. Wir ritten eine gute Stunde über eine weite Ebene, bis wir schließlich einen hohen Erdhügel erreichten, der wie ein erdener Schildbuckel aus dem flachen Gelände ragte. Dieser Hügel war von beiden Lagern in etwa gleich weit entfernt. Cäsar befahl den Soldaten, ungefähr zweihundert pes vor dem Hügel haltzumachen. Von hier aus konnten sie nicht nur den Kamm des Hügels im Auge behalten, sondern auch das, was sich in der Ebene dahinter abspielte. Dort war mittlerweile Ariovist mit seinen Reitern eingetroffen. Auch er gab seinen Männern den Befehl, sich in einer Entfernung von zweihundert pes aufzustellen. Wie vereinbart nahmen sowohl Cäsar als auch Ariovist je zehn Reiter mit und ritten auf den Hügelkamm hinauf. Auf Wunsch Ariovists sollte die Besprechung zu Pferde stattfinden. Fast gleichzeitig erreichten beide Parteien den Kamm. Während die Feldherren ihre Pferde zum Stehen brachten, gruppierten sich Dolmetscher und Offiziere links und rechts von ihnen. Ich erkannte die Gesandten, die vor einigen Tagen unser Lager besucht hatten. Wir begrüßten uns gegenseitig mit einem achtungsvollen Kopfnicken. Ariovist hingegen grinste Cäsar an, so respektlos und frech, wie es kein Römer bisher getan hatte. Der Germane war eine stattliche Erscheinung, breitschultrig und hager, und wenn er lachte, sah man das kräftige, gesunde Gebiß. Er mußte über eine außergewöhnliche Gesundheit verfügen, denn in seinem Alter hatten die meisten Menschen, die nicht in festen Häusern lebten, die meisten Zähne bereits verloren. Ja, dieser Ariovist strotzte vor Gesundheit und Selbstbewußtsein. Er trug einen vergoldeten keltischen Zeremonienhelm mit versilberten Hörnern, als wolle er damit verdeutlichen, daß er Herr über Gallien war. Während des ganzen Gesprächs ruhte seine rechte Hand auf dem Knauf seines Schwertes.

Cäsar ergriff als erster das Wort. Ich hatte die Ehre zu übersetzen. Manchmal korrigierte mich Wanda leise.

»Ariovist, du hast vom römischen Senat den Titel ›König und Freund des römischen Volkes‹ erhalten. Du hast von uns so viele Geschenke erhalten wie kaum ein anderer Freund.«

Ariovist lächelte. Er war von Cäsars schmächtiger Statur sichtlich enttäuscht. Ich sah den Spott in seinen Augen. Und diese Gefühlsduseleien über Freundschaft und Titel hielt er für heuchlerisch und verlogen, wußte er doch ganz genau, daß Rom niemandes Freund war.

»Ariovist, üblicherweise schenken wir Titel und Vermögen nur jenen, die sich in besonderer Weise den Dank des römischen Volkes verdient haben. Du aber, Ariovist, hast diese Gunst noch durch nichts gerechtfertigt. Du hast diese Gunst vor allem mir, Cäsar, zu verdanken.«

Cäsar erwähnte die alte Freundschaft mit den Häduern, um seine Anwesenheit außerhalb der römischen Provinz zu legitimieren. Er zitierte verschiedene Senatsbeschlüsse, die in bestimmten Fällen Aktivitäten außerhalb der Provinz legitimierten. Während er also in einem fort auf Ariovist einredete, versuchte er gleichzeitig seine römischen Begleiter zu überzeugen.

»Es ist nicht ungewöhnlich«, fuhr Cäsar fort, »daß unsere Bundesgenossen und Freunde nicht nur nichts von ihrem Besitz verlieren, sondern auch an Einfluß, Ansehen und Ehre gewinnen.«

Schließlich kam Cäsar auf den Punkt und forderte von Ariovist, der ihm immer noch ruhig und lächelnd gegenüber saß, die sofortige Einstellung der kriegerischen Handlungen gegen die Häduer und Sequaner. Er forderte die Rückgabe aller Geiseln und die Zusage, daß keine weiteren Germanen über den Rhenus kämen.

Cäsar hatte seine Rede beendet. Nun war die Reihe an Ariovist. Zur Überraschung aller sprach Ariovist in perfektem Latein. Wir waren sprachlos, ja regelrecht schockiert. Ariovist genoß die Überraschung der römischen Delegation. Man hatte ihn unterschätzt. Hatte man ihn etwa auch in anderen Punkten unterschätzt? Saßen wir bereits in der Falle? Die Römer waren wie vor den Kopf geschlagen. Da begegneten sie in dieser geheimnisvollen Wildnis einem primitiven Barbaren. Und dieser Barbar sprach Lateinisch! Und mehr noch: Er beherrschte sogar die Redekunst in all ihren Facetten.

»Cäsar, ich habe den Rhenus nicht aus freien Stücken überschritten. Ich bin darum gebeten worden. Ich habe den Sequanern kein Land geraubt. Sie haben mir als Zeichen ihrer Dankbarkeit Land geschenkt. Ich habe von keinem gallischen Stamm Geiseln gefordert. Sie wurden mir freiwillig gestellt, wie das in Gallien auch zwischen befreundeten Stämmen üblich ist. Nicht ich habe in Gallien den Krieg gesucht, sondern gallische Stämme haben mich angegriffen. Wer in der Schlacht sein Glück sucht und verliert, muß nach geltendem Kriegsrecht dem Sieger Tribut zahlen. Es steht den Besiegten frei, in einer weiteren Schlacht ihr Glück zu versuchen. Aber sie ziehen es vor, Tribut zu bezahlen. Was ist daran falsch?

Es ist richtig, daß ich mich um die Freundschaft des römischen Volkes bemüht habe. Aber diese Freundschaft soll mir nützen und nicht schaden. Hast du nicht selbst gesagt, daß es Roms Wunsch ist, das Ansehen seiner Freunde zu mehren? Wenn das römische Volk mir nun Tribut und Untertanen streitig machen will, so verzichte ich gerne auf seine Freundschaft. Ich werde aber dann noch mehr Germanen über den Rhenus holen. Zu meinem Schutz. Ich habe ein Anrecht auf Gallien. Ich war schon früher in Gallien als das römische Volk. Noch nie hat es ein römischer Prokonsul gewagt, seine Provinz zu verlassen. Was sucht dein Heer in Gallien? Was willst du hier, Cäsar? Warum dringst du in meine Gebiete ein? Gallien ist meine Provinz, so, wie die Provinz Narbonensis deine Provinz ist. Du hast kein Recht, hier zu sein, Cäsar. Du hast kein Recht, mir Vorschriften zu machen.

Ich weiß, daß ihr die Menschen außerhalb eurer Grenzen Barbaren nennt. Aber ihr unterschätzt uns. Ich beherrsche nicht nur eure Sprache und die der Gallier, ich bin mit den Verhältnissen in Rom durchaus vertraut. Und ich weiß, daß alle von dir zitierten Freundschaften nicht beständiger sind als ein Tropfen Wasser in der Sonne. Haben euch denn die Häduer geholfen, als ihr die Allobroger angegriffen habt? Habt ihr andererseits den Häduern geholfen, als sie von den Sequanern niedergemacht wurden?

Deshalb muß ich annehmen, daß du diese Freundschaften nur benutzt, um dein Heer nach Gallien zu bringen. Dein Heer dient nicht der Freiheit, sondern der Unterdrückung Galliens. Wenn du mit diesem Heer nicht abziehst, werde ich dich nicht mehr als Freund betrachten, sondern als Feind.«

Bei diesen Worten lächelte Ariovist breit und zeigte wieder sein kräftiges Gebiß. Seine Augen blitzten listig, als er fortfuhr: »Ich werde dich als Feind betrachten, Cäsar, dich, aber nicht das römische Volk und nicht den Senat von Rom. Denn ich habe unter den Vornehmen und Großen des römischen Volkes viele Freunde! Ich würde ihnen allen einen sehr großen Gefallen erweisen, wenn du hier den Tod finden würdest. Zahlreich sind die Boten aus Rom und Massilia, die täglich bei mir eintreffen und mir Geschenke und Briefe bringen. Wenn ich dich töte, Cäsar, wird mir die Gunst all dieser einflußreichen Männer in Rom und Massilia gewiß sein.«

Cäsar kochte vor Wut. Was Ariovist hier vortrug, war Wasser auf die Mühlen jener Offiziere, die behaupteten, er führe einen Privatkrieg. Cäsar hatte Ariovist vollkommen unterschätzt. Dieser Barbar pflegte offenbar ausgezeichnete Beziehungen nach Rom und Massilia.

Obwohl falsche Behauptungen durch ständige Wiederholung nicht wahrer werden, bestand Cäsar erneut darauf, seinen lieben Bundesgenossen in Gallien beistehen zu müssen. Überraschend zog er einen Quintus Fabius Maximus aus dem Ärmel, der bereits vor dreiundsechzig Jahren gegen die Arverner gekämpft und gesiegt hatte. Aber Rom habe den Arvernern verziehen, ihnen die Freiheit gelassen und auch keinen Tribut verlangt. Damit hätten die Römer also viel ältere Rechte und Ansprüche.

Die Pferde wurden allmählich unruhig. Wir spürten alle instinktiv, daß sich die Unterredung zuspitzte. Unten in der Ebene war einiges in Bewegung geraten. Germanen und Römer beschimpften sich in einem fort. Einige ritten bis auf wenige Schritte aufeinander zu und bewarfen sich mit Steinen. Fast gleichzeitig erschienen Reiter hinter Ariovist und Cäsar und meldeten die Vorfälle. Wütend und entnervt brach Cäsar die Unterredung ab, wendete sein Pferd, ohne sich von Ariovist zu verabschieden, und preschte, von seinen Offizieren und Dolmetschern begleitet, den Hügel hinunter. Dort erwartete ihn bereits die berittene zehnte Legion, die ihn in strengem Galopp ins Lager zurückbegleitete. Dort erhielten die Häduer wieder ihre Pferde.

Gegen Abend rief Cäsar die Legaten und Offiziere zusammen und berichtete ihnen detailliert über seine Unterredung mit Ariovist. Aufgrund der zahlreichen Zeugen war es ihm kaum möglich, Wichtiges zu unterschlagen. Man spürte aber, daß er über die Entwicklung nicht wirklich verärgert war. Er wünschte sehnlichst den Krieg gegen Ariovist. Mit jedem Tag konnte die Opposition innerhalb der Offiziere von neuem aufflammen. Nur ein Krieg würde dem Geschwätz ein Ende setzen und vollendete Tatsachen schaffen. Im übrigen entwickelten sich die Ereignisse für Cäsars Geschmack ohnehin viel zu schleppend. Denn in Gedanken war er bereits im Norden. Eifrig ließ er militärische Einzelheiten über die belgischen Stämme sammeln.

Zwei Tage später trafen erneut germanische Gesandte im Lager ein. Ariovist wünschte eine weitere Besprechung. Er bat Cäsar um einen Terminvorschlag oder um die Entsendung von Vertrauten. Cäsar ging zum Schein darauf ein. Während er bereits die Schlacht vorbereitete, sollte Ariovist glauben, daß man demnächst wieder verhandeln würde. Daß Cäsar ausgerechnet mich und den Prinzen Valerius Procillus als Gesandte schickte, empfanden wir als Auszeichnung. Am Anfang wenigstens.

Die germanischen Reiter brachten uns ins Lager des Ariovist. Wir waren beide stolz, als Repräsentanten Roms dem germanischen Suebenführer vorgestellt zu werden.

Das Lager des Ariovist hatte keinerlei Befestigung. Im Gegensatz zu einem römischen Marsch- oder Standlager konnte man auch keinerlei Ordnung erkennen. Die ganze Ebene schien innerhalb weniger Stunden in eine gigantische Zeltstadt verwandelt worden zu sein. An manchen Stellen waren Karren zu einer Wagenburg zusammengezogen worden. Offenbar kampierten auch die Germanen nach Sippen und Familien geordnet. Unser Erscheinen löste im Lager kaum Aufsehen aus. Ab und zu flog uns ein abgenagter Knochen um die Ohren, denn überall saßen die Leute um Feuerstellen herum und brieten und aßen Fleisch. Einmal mehr imponierte uns der in der Tat erstaunlich hohe Wuchs der Germanen, der breite, knochige Körperbau, die helle Haut, die mit Talg und Asche eingerieben wurde, um sie noch heller erscheinen zu lassen, und die rotblonden Haare, die im Süden kaum bekannt waren. Auf ihre Art waren diese Germanen viel exotischer als dunkelhäutige Nubier oder Ägypter. Aber vor allem furchterregender.

Ariovists Zelt war weit geöffnet. Im Innern stapelten sich Felle, Tücher und Wolldecken wie in einem Handelshaus in Massilia. Zahlreiche junge Frauen, vermutlich häduerische Geiseln, saßen inmitten von angeheiterten Kriegern bei einem opulenten Mahl. Plötzlich erhob sich einer der Krieger zwischen Kisten und Fässern und kam auf uns zu. Erst jetzt erkannten wir, daß es Ariovist war. Seine Kleidung war bescheidener als die mancher seiner Gäste.

»Cäsar schickt uns Kelten!« brüllte Ariovist. »Hat er Angst um seine römischen Offiziere!«

Procillus erwiderte: »Ariovist, ich bin Procillus, Fürst der Helvier und …«

»Legt sie in Ketten, diese Spione!«

Wir hatten gar keine Zeit, uns zu wehren. Während Ariovist uns wieder den Rücken zudrehte und sich seinen Gästen zuwandte, wurden wir unsanft aus den Sätteln gerissen und in Ketten gelegt. Ein paar Krieger schleppten uns zu einem Platz, wo vier Karren zu einem Rechteck zusammengefügt worden waren. Innerhalb dieses Rechtecks stand ein Baum, an dem mehrere Gefangene angekettet waren. Einige waren verletzt und lagen im Sterben. Auch auf den vier Karren, die wie Mauern angeordnet worden waren, lagen Verletzte, die leise wimmerten und zu ihren Göttern flehten. Auch Procillus war erstaunt. Eben waren wir noch stolz gewesen, als Roms Vertreter bei Ariovist vorzusprechen. Jetzt waren wir seine Gefangenen. Ich war froh, daß Wanda nicht mitgekommen war.

»Druide«, flüsterte Procillus, »du kennst die Sitten und Bräuche der Germanen besser als ich – was haben die mit uns vor?«

»Das wissen die selber noch nicht, Procillus, aber mir wird da gerade etwas ganz anderes klar …«

Procillus schaute mich ungeduldig an. Ich sagte es ihm: »Ich begreife allmählich, wieso Cäsar nicht einen Legaten oder Tribun geschickt hat. Sondern uns zwei. Er hat uns geopfert. Er wußte, daß seine Unterhändler nicht mehr zurückkehren werden.«

Procillus schien gekränkt. Daß Cäsar seine Ehre verletzt hatte, schien ihn mehr zu kümmern als sein baldiger Tod. Ich hielt Ausschau nach Lucia. Als sei dies irgendwie noch von Belang.

Zwischen den einzelnen Wagen standen germanische Wachen. Über dem Lager hing der Duft von gegrilltem Schweinefleisch und Kräutern. Ich setzte mich, während Procillus stolz stehen blieb. Der Germane, der uns am nächsten stand, nagte an einem Knochen. Manchmal schaute er zu uns rüber. Sein Blick war leer. Plötzlich bewegte sich etwas hinter ihm. In einem der Wagen. Ich erkannte das mit Kalkwasser gebleichte und stachelförmig frisierte Haar eines Kelten. Tatsächlich, langsam richtete sich ein junger Kelte, der offenbar bäuchlings im Karren gelegen hatte, auf. Jetzt kniete er hinter dem Germanen, der sich mit dem Fingernagel Fleisch aus den Zähnen pulte. Blitzschnell warf der junge Kelte seine Handketten über den Kopf seines Bewachers und schnürte ihm die Kehle zu. Ohne einen Ton von sich zu geben, sackte der Germane zusammen. Seine Fleischkeule fiel zu Boden. Der junge Kelte trug einen goldenen Torques. Er mußte ein häduerischer Adliger sein, der als Geisel gehalten wurde. Gelenkig sprang er vom Karren herunter, die Hände immer noch aneinandergekettet. Er wollte gerade um den Karren herumschleichen, als eine Lanze seine Brust durchbohrte. Hinter dem Karren kam ein blonder Hüne hervor. Während der junge Kelte noch mit schmerzverzerrtem Gesicht mit dem Tod rang, schlug der Germane ihm die Faust auf den Kopf. Der Kelte ging zu Boden und blieb auf dem Rücken liegen. Der Germane riß ihm die Lanze aus den Rippen, reinigte die blutverschmierte Spitze an der karierten Hose seines Opfers und verschwand wieder, als sei nichts geschehen. Von den Gefangenen hatte sich niemand gerührt. Kein Wort war gefallen. Unter dem Wagen entdeckte ich jetzt Lucia. Sie knabberte gierig an der Fleischkeule, die der toten Wache aus der Hand gefallen war.

Bereits wenige Stunden später wurden wir auf die Karren getrieben und mit anderen Geiseln zusammengepfercht. Ariovist marschierte Cäsar entgegen. Unterwegs starben einige der verletzten Geiseln. Unsere Bewacher nahmen ihnen einfach die Fuß- oder Handfesseln ab und warfen sie aus den Karren. Lucia folgte unserem Wagen. Sie schien nervös. Als habe sie Angst, mich inmitten all dieser Beine, Spuren und Gerüche zu verlieren. Obwohl meine Lage ziemlich hoffnungslos war, war ich doch immer wieder besorgt, wenn Lucia aus meinem Blickfeld verschwand, und ich freute mich wie ein Kind, wenn ich sie nach Stunden wieder erblickte.

Im Angesicht des Todes hatte sich Procillus von mir abgesondert. Ich weiß nicht, warum. Er suchte immer weniger das Gespräch. Die gemeinsame Notlage schien uns nicht miteinander zu vereinen. Wahrscheinlich war ihm bewußt geworden, daß sein großer Freund Cäsar ihn geopfert hatte. Er war halt doch bloß ein Kelte, ein Gallier, auch wenn er seine Erziehung und Ausbildung in Rom erhalten hatte.

Gegen abend erschien eine zahnlose Greisin bei den Geiseln, verkrümmt und knorrig wie eine alte Wurzel. Sie stank nach Schweinefett. Doch die Adligen, die sie begleiteten, behandelten sie äußerst respektvoll. Sie trat vor einen jungen Kelten, der neben uns angekettet war, und schleuderte ihm plötzlich Asche vor die Brust, die sie in der geballten Faust versteckt hatte. Dann kniete sie nieder und vermischte die Asche mit Erde. Nachdem sie ein paar gutturale Laute ausgestoßen hatte, ging sie wieder. Gleich darauf erschienen Fackelträger, die den jungen Kelten losbanden und wegschleppten. Wir hörten seine Schreie, als sie ihn dem Feuergott opferten.

Am nächsten Tag führte Ariovist seine Truppen an Cäsars Lager vorbei und lagerte dahinter. So schnitt er Cäsar von seinen Nachschubwegen ab. Die Verbindungslinie Bibracte, Genava, Massilia war unterbrochen. Ariovist hatte von den Römern schon eine ganze Menge gelernt. Zum Beispiel, daß der Hunger das Eisen besiegt. So würde es nicht mehr lange dauern, bis Cäsar abziehen mußte, um das nächste Proviantlager aufzusuchen.

Ariovist spielte auf Zeit. Er wich jeder Schlacht aus.

Acht Tage lang versuchten beide, ihre Ausgangslage für die bevorstehende Schlacht zu verbessern, und wechselten deshalb immer wieder ihre Position. Dieses ständige Vorrücken und Zurückweichen wurde immer wieder von Gefechten der Reiterei begleitet. Zwar hatten auch die heimkehrenden Helvetier Cäsar ein berittenes Kontingent abgetreten, doch die germanischen Reiter waren weit überlegen. Die Fußtruppen hielt Ariovist sorgfältig in seinem Lager zurück. Noch wollte er keine offene Feldschlacht. Ihm genügten die täglichen Scharmützel, aus denen er stets als Sieger hervorging. Sie stärkten die Moral seiner Truppe. Und schwächten die der Römer. Cäsar geriet in Zugzwang. Er konnte nicht warten, bis ihm seine Männer wegen der täglich verlorenen Reitergefechte und der sich zuspitzenden Versorgungslage davonliefen. Er brauchte eine schnelle Entscheidung. Es war auch schon Ende September. Bald würden Regen und Stürme die Lagerplätze, Schlachtfelder und Wege in Schlammgruben verwandeln. Cäsar bestimmte einen günstigen Lagerplatz. Hier sollte ein zweites, kleines Lager entstehen, das nur das Notwendigste für die bevorstehende Schlacht bereitstellen sollte. Dann stellte er das Heer in drei Reihen auf. Während die letzte Reihe das kleine Lager befestigte, marschierten die ersten beiden gegen Ariovist. Ariovist schickte ihm sechzehntausend Mann und die gesamte Reiterei entgegen, doch Cäsar hielt diesem Angriff stand, setzte die Befestigung des kleinen Lagers fort und rüstete es mit allem aus, was er für die bevorstehende Schlacht brauchte. Zwei Legionen ließ er in diesem Lager zurück, zwei Legionen und den Großteil der häduerischen Hilfstruppen. Die vier anderen Legionen führte er ins große Lager zurück. Dort wartete vermutlich Wanda auf meine Rückkehr. Auch ihr Überleben hing mittlerweile von Cäsars Kriegskunst und Glück ab.

Mein Überleben hing in jener Nacht von einer alten Frau ab. Diesmal schmiß die Alte mir die Asche an die Brust, kniete nieder und stocherte mit einer Astgabel im Dreck herum. Plötzlich wich sie entsetzt zurück, legte schützend ihre Hand vor die Augen und ging weg. Enttäuscht verließen die Adligen mit ihren Fackelträgern den Platz. Im Morgengrauen hörte ich, wie zwei germanische Wachen sich über die Weissagungen ihrer Seherinnen unterhielten. Sie hatten in der Nacht prophezeit, daß Ariovist erst nach Neumond erfolgreich sein könne. Vermutlich ging es in Cäsars Lager nicht anders zu. Die Römer hatten meist ihre weißen Hühner bei sich. Man deutete dann die Art und Weise, wie die Hühner ihre Körner pickten.

Am nächsten Tag rückte Cäsar mit allen Legionen gleichzeitig aus und stellte seine Soldaten zur Schlacht auf. Doch Ariovist rührte sich nicht. Cäsar war überrascht, daß dieser Barbar Taktik und strategische Positionswechsel mindestens so hoch bewertete wie Mut und Tapferkeit auf dem Schlachtfeld. Aber hätte Cäsar bei einem Barbaren, der fließend Lateinisch und Keltisch sprach, nicht damit rechnen müssen? Um die Mittagszeit führte Cäsar seine Legionen wieder in die beiden Lager zurück. Wenig später griff Ariovist überraschend das kleine Lager an, das nur von zwei Legionen verteidigt wurde. Beide Seiten kämpften verbissen, heftig und ohne Gnade. Römer und Germanen fielen übereinander her wie molossische Kampfhunde, die man zu lange an der Kette gehalten hatte. Die Schlacht artete in eine regelrechte Abschlachterei aus. Es genügte nicht, den Gegner zu töten, nein, er wurde aufgeschlitzt und verstümmelt. Bei Sonnenuntergang zogen sich die Germanen zurück. Auf beiden Seiten waren die Verluste beträchtlich.

Von Gefangenen erfuhren die Centurionen die Prophezeiung der Seherinnen. Die Götter würden den Germanen den Sieg erst nach Neumond schenken.

Daraufhin rückte Cäsar am nächsten Morgen erneut mit allen seinen Legionen aus. In beiden Lagern ließ er nur wenige Männer zurück. Vor dem kleinen Lager stellte er zum Schein seine Hilfstruppen auf und rückte dann in dreifacher Schlachtlinie auf Ariovists Stellung zu. Ariovist hatte keine Wahl. Er mußte kämpfen. Links und rechts der germanischen Schlachtreihen und auch dahinter ließ Ariovist Wagen und Karren eng aneinanderreihen, damit kein Krieger die Flucht ergreifen konnte. Auch für Ariovist galt nun die Devise: Sieg oder Tod. Unser Gefangenenwagen wurde auf der linken Seite abgestellt. Wir waren eingeklemmt zwischen Hunderten von Wagen, die sich gegenseitig behinderten. Frauen und Kinder standen aufgeregt auf den Karren und warteten auf den Beginn der Schlacht. Lucia hatte mich mittlerweile wieder gefunden, war zu mir hochgesprungen und hatte sich unter meinem Arm zusammengerollt. Sie zitterte.

Cäsar eröffnete die Schlacht auf der rechten Seite. Kräftige Tubastöße gaben das Signal zum Angriff. In makelloser Schlachtformation rückten die römischen Legionäre vor. Über ihren glitzernden Bronzehelmen wurde die Feldherrnfahne geschwungen, und kurz darauf ertönte das Angriffssignal aller ihrer Hörner und Trompeten. Die Legionäre gingen in leichten Laufschritt über und skandierten ihren Schlachtruf. Die Germanen stemmten sich in der üblichen Phalanxformation den Römern entgegen. Es war eine äußerst phantasielose Aufstellung, denn eine Mauer von aneinandergereihten Männern, die zu zehnt hintereinander standen, war unbeweglich und nicht zu manövrieren. Die römischen Legionäre hingegen rückten zwar als geschlossene Linie vor, konnten sich aber blitzschnell in wendige kleine Manipel aufteilen, die nach Bedarf dirigiert werden konnten. Die Schlacht war genauso brutal wie am Vortag. Mit unvorstellbarem Haß und unglaublicher Grausamkeit schlachteten sich die Männer gegenseitig ab. Doch die Götter waren unschlüssig, wem der Sieg zu schenken war. Während die Germanen auf der linken Seite leicht zurückgedrängt wurden, stießen sie auf der rechten Seite tiefer in die römischen Reihen vor. Dies bemerkte der junge Legat Publius Crassus, der tüchtige Sohn des milliardenschweren Triumvirn. Er war Anführer der Reiterei und hatte strikten Befehl, sich vorläufig nicht an der Schlacht zu beteiligen. Doch Publius Crassus handelte eigenmächtig; er schickte die dritte Schlachtreihe, die Cäsar als Reserve zurückbehalten hatte, in den Kampf und griff gleichzeitig mit seiner Reiterei auf der rechten Seite an. Die Germanen waren über diesen unerwarteten Angriff derart überrascht, daß sie auf der rechten Seite zurückwichen, bis sie sich schließlich ganz vom Gegner abwendeten und Hals über Kopf die Flucht ergriffen. Die Frauen auf den Karren entblößten ihre Brüste und schrien ihren Männern zu, sie sollten weiterkämpfen, damit sie nicht von römischen Zwergen geschändet würden. Die Wirkung blieb aus. Die Panik griff wie ein Waldbrand um sich. Immer mehr Karren wurden aus der Wagenburg herausgelöst und eilig abgezogen. Während sich einzelne Verbände ebenso todesmutig wie kopflos den diszipliniert vorrückenden Legionen entgegenwarfen, hatten andere bereits die Flucht ergriffen. Ich flehte zu den Göttern, unser Gefangenenwagen möge noch lange eingekeilt bleiben, doch es schien, als hätten meine Hilferufe Gegenteiliges bewirkt. Während andere Wagen sich nicht von der Stelle bewegten oder wegen Achsbrüchen steckenblieben, ratterte unser Karren wenig später inmitten der flüchtenden Germanen Richtung Rhenus. Zwei bis drei Tage würde die Flucht dauern. Der Fluß war noch weit entfernt. Aber die römische Kavallerie setzte den Germanen nach. Es ging nicht darum, eine Schlacht zu gewinnen. Cäsar hatte die Vernichtung der Sueben gefordert. Sie sollten nie mehr in der Lage sein, über den Fluß zu kommen. Der Rhenus sollte fortan die Grenze zur zivilisierten Welt sein. Die gesamte Kavallerie beteiligte sich an der Verfolgung der Germanen. Von hinten schlitzte man den Fliehenden den Rücken auf. Man machte keinen Unterschied zwischen Kriegern, Frauen und Kindern.

In unserem Wagen versuchten mittlerweile einige ihre Ketten aus den Holzplanken zu reißen, doch germanische Reiter, die an uns vorbeipreschten, schlugen sie mit Schwerthieben nieder. Ich legte mich flach auf den Wagenboden und preßte mein Gesicht aufs Holz, als wollte ich die Beschaffenheit der Eisennägel analysieren, die die Planken mit den Querbalken verbanden. Ich konnte nur hoffen, daß unser Wagen bald auseinanderbrechen oder sich auf den holprigen Wegen überschlagen würde. Doch plötzlich hörten wir ganz in der Nähe die Angriffssignale der römischen Reiterei. Ich richtete mich etwas auf und sah, daß die germanischen Reiter, die noch auf gleicher Höhe mit uns waren, reihenweise von den Pferden fielen. Gleich wurden wir von römischen und häduerischen Reitern überholt. Darunter erkannte ich auch Cäsar. Er trug seinen wallenden roten Feldherrnmantel. Jetzt sah er Procillus. Cäsar stürmte auf unseren Wagen zu. Der Lenker brachte sich mit einem Sprung in Sicherheit und wurde von den nachrückenden Reitern niedergemacht. Cäsar riß die Zügel der Pferde an sich und brachte den Wagen zum Stehen. Er wandte sich an uns, und man sah, daß es ihm eine große Genugtuung war, uns persönlich befreit zu haben. Er gab einem Reiterführer Befehl, uns die Ketten abzunehmen und ins große Lager zurückzubringen. Ein häduerischer Reiter brachte uns herrenlose Pferde. Stumm trabten wir am Rande des Schlachtfeldes ins Lager zurück. Überall Leichen und das Stöhnen der Sterbenden. Doch was sich hier abgespielt hatte, war nicht vergleichbar mit Bibracte. Hier hatte man selbst den Tieren und Kindern die Bäuche aufgeschlitzt, ja, es lagen sogar Hunde herum, denen man alle vier Pfoten abgehackt hatte.

Ich war glücklich, als ich Wanda endlich wieder in meine Arme schließen konnte. Ich schämte mich, daß ich an den Göttern gezweifelt hatte.

Am nächsten Tag ritten Wanda und ich hinaus und wuschen uns an einem Bach. Bei einer Quelle opferte ich den Göttern die Silberdenare, die ich für die Erstellung der Testamente erhalten hatte, und versuchte den heiligen Stimmen zu lauschen. Wo war Kretos? Würde ich jemals Massilia sehen? Würde ich jemals in einem massilianischen Handelshaus residieren und mich von nubischen Sklavinnen verwöhnen lassen, so, wie ich es als Junge auf unserem raurikischen Hof immer geträumt hatte? Oder hatte ich hier eine höhere, eine göttliche Aufgabe zu erfüllen? Lag es an mir, Cäsars Schicksal zu besiegeln? Aber ich fühlte keinen Haß mehr gegen diesen Menschen, den sich jeder keltische Stamm zum Freund machen wollte, um über seinen Nachbarn herzufallen. Hatte er mir nicht zu einem gesellschaftlichen Status verholfen, der mir in der keltischen Gemeinschaft stets verwehrt geblieben wäre? Hatte er mir heute nicht gar das Leben gerettet? Hatte er sich nicht sogar persönlich darum bemüht? Meine Gefühle ihm gegenüber waren wechselhaft und zwiespältig. In gewissem Sinne war ich vielleicht sogar schon sein Komplize geworden. Jede Aufmerksamkeit, die er mir schenkte, erfüllte mich mit Stolz. Ich ertappte mich auch immer öfter beim Versuch, ihm zu helfen, ihm beizustehen, ihm meine Treue zu zeigen, nur um seine Anerkennung zu finden. An anderen Tagen wiederum war er mir unheimlich, und ich freute mich klammheimlich über Ungereimtheiten in seinen Rechtfertigungsberichten, weil ich hoffte, daß die Nachwelt ihn deswegen eines Tages entlarven würde. Aber diese Tage wurden immer seltener. Das Schicksal hatte uns immer enger miteinander verknüpft. Hätte Cäsar gegen Ariovist verloren, ich hätte vermutlich Wanda nie mehr gesehen. Da war ein merkwürdiger Zwiespalt in mir. Vielleicht war es auch der Zwiespalt der Götter. Ich war von den Göttern begünstigt. Aber Cäsar war es auch.

Am nächsten Tag zog ich mich in die Finsternis der Wälder zurück. Verdorrtes Geäst bedeckte den trockenen Boden. Bei jedem Schritt zerbrachen trockene Zweige unter meinen Füßen. Kein Lichtstrahl drang zwischen den dichten Baumkronen hindurch. Ich spürte einen trockenen Luftzug. Es waren Winde aus der Anderswelt. Ich wußte, daß ich nicht mehr allein war. Obwohl alles um mich herum seit Jahrhunderten tot schien. Ich war auf der Suche nach Kräutern und Wurzeln. Doch plötzlich hörte ich Stimmen, die nicht zur Anderswelt gehörten. Es waren keine heiligen Stimmen, denn sie klangen laut, respektlos und rauh. Langsam ging ich weiter, den Stimmen entgegen. Ich hielt mich dabei immer wieder an Ästen und Sträuchern fest und versuchte die Füße so hoch wie möglich zu heben, damit ich nicht ständig über Wurzeln und Gestrüpp stolperte. Schließlich erreichte ich eine felsige Anhöhe, von der aus ich eine enge Schlucht überblicken konnte. In dieser Schlucht floß ein Bach. Und in diesem Bach standen römische Legionäre. Sie fischten all die verbogenen Schwerter und goldenen Torques heraus, die bereits unsere Ahnen an diesem Ort den Göttern geopfert hatten. Ich erschauerte bei diesem Anblick. Wie konnte es jemand wagen, die Götter derart herauszufordern?

Am nächsten Tag ließ mich Cäsar in sein Zelt kommen. Er hatte Kopfschmerzen.

»Was tut ihr Druiden, wenn der Kopf schmerzt?«

Cäsar lag ausgestreckt auf der Liege und hatte einen Arm übers Gesicht gelegt.

»Kommen die Schmerzen vom Wein, empfehlen wir, den Händler zu wechseln. Kommen die Schmerzen von den warmen Winden, empfehlen wir einen Becher verdünnten Rotweins, kommen die Schmerzen jedoch von geplünderten keltischen Heiligtümern …«

Cäsar richtete sich auf, hielt in der Bewegung inne und verzog schmerzhaft das Gesicht.

»Was willst du damit sagen, Druide?«

»Du forderst die Götter heraus, Cäsar!«

»Ich stehe unter dem Schutz der unsterblichen Götter! Mit Glück habe ich die Helvetier besiegt, mit Glück habe ich Ariovist besiegt, und mit demselben Glück werde ich ganz Gallien unterwerfen. Ich brauche den Schutz deiner Götter nicht, Druide! Um Gallien zu erobern, brauche ich Legionäre! Und Legionäre brauchen Geld, sehr viel Geld! Und all meinen Feinden in Rom werde ich mit Keltengold das Maul stopfen und ihnen jedes Jahr mehr Sklaven schicken, als sie in den letzten zehn Jahren gesehen haben! Setz dich, Druide!«

Ich setzte mich Cäsar gegenüber auf einen Stuhl. Cäsar saß jetzt auf seiner Liege und stützte seinen Kopf mit beiden Händen. Er hatte die Augen geschlossen.

»Was ist es, Druide?« stöhnte Cäsar. »Gibt es denn kein Mittel dagegen?«

»Ich kann es versuchen«, sagte ich nach einer Weile. Bei diesen Worten zitterte ich am ganzen Körper. Die Anspannung, die die ganze Zeit über meine Muskeln verhärtet hatte, ließ nach.

»Versuch es, Druide«, murmelte Cäsar und streckte sich wieder auf der Liege aus.

Ich ging nach draußen und befahl den herumstehenden Prätorianern, Wasser zu kochen. In der Zwischenzeit holte ich aus meinem Zelt die nötigen Kräuter und überlegte. Hatten die Götter die Entscheidung über Cäsars Leben in meine Hand gelegt?

Ich versuchte mich an die Kräutermischung zu erinnern, die ich seinerzeit Fumix zubereitet hatte. Fumix? Ja, Fumix. Das war gar nicht so einfach, denn entscheidend war nicht nur der Anteil eines einzelnen Krautes am Ganzen, sondern auch die Dauer, die ein Kraut im heißen Wasser verbrachte. Auch ob ein Kraut kaltem, warmem oder kochendem Wasser zugesetzt wurde, war von wesentlicher Bedeutung. Je nach Dosierung und Zubereitung konnte ein heilendes Kraut töten und ein tödliches Kraut heilen. Wenn ich ganz ehrlich bin, muß ich gestehen, daß ich mich an die genaue Zubereitung nicht mehr erinnerte. Man mag sich wundern, wieso ich nach all den druidischen Mißerfolgen der letzten Monate erneut den Zauberlehrling spielte. Ich gebe zu, das ist schwer zu verstehen. Aber etwas in mir drängte mich dazu. Und insgeheim war ich sicher, daß es die Götter waren, die mich drängten, und daß die Götter meine Hände leiten würden. Die Götter sollten entscheiden, ob Cäsar leben oder sterben sollte.

Ich gab die Kräuter in das kochende Wasser und bat die Prätorianer, auf meine Rückkehr zu warten. Wanda überredete ich dazu, den Kräuterkessel zu überwachen. Ich wollte nicht, daß mir jemand ins Handwerk pfuschte.

Allein ritt ich nun hinaus zu den uralten Wäldern, die sich westlich von unserem Lager über die Hügel ausbreiteten. An einem Fluß wusch ich Hände und Füße und ritt dann langsam und andächtig in die Tiefe des Waldes hinein, vorbei an bizarr geformten Felsen und knorrigen alten Bäumen. Ich hörte den Ruf der Elster, den Flügelschlag des schwarzen Falken und den Schrei der Eule. Im Dickicht verharrten drei Hirsche. Ich weiß nicht, ob es eine Sinnestäuschung war, denn als ich wieder hinüberschaute, waren sie verschwunden. Dieser Wald war anders als der abgestorbene mit dem toten Geäst am Boden. Es war ein lebendiger Wald, der mich wie einen Triumphator empfing, freudig und heiter. Als ich die drei Hirsche wieder sah, hörte ich das Plätschern einer Quelle. Ich stieg ab und näherte mich mit demütig gesenktem Kopf dem heiligen Ort. Ich spürte, wie eine heiße Kraft meinen Körper durchflutete. Im hellgrünen Moos kniete ich nieder und streckte meine Hände in das frische, glasklare Quellwasser, das gleichmäßig aus dem Erdboden sprudelte, um das Licht der Sonne zu empfangen. Dann tat ich etwas, was nur wenige Menschen vor mir getan haben. Ich, Korisios, Druidenlehrling aus dem Stamme der Rauriker, erflehte die Hilfe der Erdmutter-Göttin. »Du, Allmutter Natur, Beherrscherin der Elemente, erstgeborenes Kind der Zeit, Höchste der Gottheiten, Königin der Seelen, Erste der Himmlischen, du, die vereint die Gestalten aller Götter und Göttinnen, ergreife meine Hände, damit sie besiegeln das Schicksal unseres Volkes.« Und während ich ihre Hilfe erflehte, mehr in Gedanken als in Worten, schloß ich die Augen und öffnete den Mund, so daß ich vom heiligen Quellwasser, das aus ihrer Scham sprudelte, trinken konnte. Ich bot ihr mein Leben zum Tausch für Cäsars Tod! Denn bei uns Kelten gilt auch im Religiösen das Prinzip der Gegenseitigkeit. Wer mit den Göttern Tauschhandel betreiben will, muß fair sein. Wer einen Todkranken retten will, muß einen Kerngesunden opfern. Aber dieser Tausch sollte nicht ein Tausch zwischen Mensch und Gott sein, sondern ein Tausch zwischen den Göttern, die Cäsar beschützten, und jenen, die sich zu meinen Gunsten vereint hatten. Deshalb bot ich mein Leben an, damit beide Seiten den gleichen Einsatz hatten. Ich mußte lächeln, als ich die kleinen Pilze sah, die auf dem feuchten Moos am Rande der Quelle wuchsen. Santonix hatte mir davon erzählt. Wenn die Götter den Dialog aufnehmen, hat plötzlich alles seine Richtigkeit. Mit der linken Hand griff ich nach einem Pilz und aß ihn. Dann nahm ich noch einen Schluck des heiligen Wassers und bedankte mich für ihre Liebe. Ich spürte, wie mich die Göttin in ihre Arme schloß, und hörte ihr Lachen, als ich in dem Weiher untertauchte, der sich unter der Quelle gebildet hatte.

Als ich wieder ins Lager zurückritt, fühlte ich mich so, als hätte ich zuviel Rotwein getrunken. Nur: Mund und Gaumen waren weder trocken noch pelzig. Ich hatte auch keinen Durst. In meiner Hand hielt ich frische Kräuter. Ich weiß nicht, wie ich dazu gekommen bin. Die Druiden behaupten, daß die Götter die Sinne der Auserwählten mit Pilzen trüben, bevor sie ihnen die Plätze zeigen, an denen die heiligen Kräuter wachsen. Die Wachen am Lagertor waren seltsam verändert, sie glichen untersetzten Fröschen mit aufgeblasenen Backen. Und wenn sie sprachen, klang es wie das Gurren einer Taube. Ich mußte lachen. Auch Wanda hatte sich verändert. Ihre Brüste waren so groß wie die Hügel, die ich einst gesehen hatte, als dieser Arvernerfürst Vercingetorix mich gefunden hatte. Ihr Kopf war derart klein, daß man ihr Haar gerade noch erkennen konnte, und für einen Augenblick fragte ich mich, ob sie vielleicht auf dem Kopf stand, doch unter den Brüsten sah ich dann den großen Bauch, der so dick und rund war, als würde er noch diese Nacht sechs keltische Legionen gebären. Ich hörte mich fragen, ob in meiner Abwesenheit alles nach meinen Wünschen verlaufen sei. Sie nickte, während die gepanzerten Frösche vor dem Zelt sich leise gurrend unterhielten. Ich sah, wie meine Hand die getrocknete Mistel zwischen Daumen und Zeigefinger zerbröselte und ins heiße Wasser gab. Bei den anderen Kräutern, die mir die Götter aus dem Wald mitgegeben hatten, war ich mir nicht sicher, ob sie nur der Geschmacksverbesserung oder auch dem Wohlbefinden dienen würden. Obwohl meine Wahrnehmung sehr gestört war, waren meine Gedanken von einer erstaunlichen Klarheit! Ich spürte, daß die Götter meine Hände führten. Nicht ich bereitete diesen Trank zu. Ich war nur das Werkzeug der Götter. Fast verwundert nahm ich zur Kenntnis, daß ich auch Kräuter hinzufügte, die ich bereits vor meinem Ritt in den Wald dem kochenden Wasser beigegeben hatte. Aber offenbar hatte ich mich geirrt. Und die Götter korrigierten meinen Fehler. Es war ein ganz besonderes Kraut, das ich da in großen Mengen erneut beifügte. Man sagte ihm nämlich nach, es würde die Blutgefäße erweitern. Die Verengung der Blutgefäße war ja laut Santonix mithin ein Grund für den Druck, der manchmal in den Schläfen entsteht. Ich rief den Küchenburschen und befahl ihm, mir verschiedene Rotweine und Trinkgefäße zu bringen. Den göttlichen Sud ließ ich in eine flache Schale, die meist für kultische Zwecke verwendet wurde, umschütten. Darin würde er am schnellsten abkühlen. In einem versilberten, schlanken Becher auf hohem Fuß ließ ich mir frisches Wasser bringen. Ich würde es brauchen, um die Weine zu verdünnen.

Sklaven hatten inzwischen die verschiedenen Weinamphoren in Cäsars Vorzelt gebracht. Dort standen sie nun vor mir, wie eine im Morgennebel wartende römische Schlachtreihe. Ich begann mit einem zwanzigjährigen Albaner. Sorgfältig und würdevoll wie ein Priester brach der Küchenmeister den Pechverschluß auf und gab den Sklaven Anweisung, mit dem Einschenken zu beginnen. Während er selbst einen leinenen Filtriersack über die Trinkschale hielt, goß der Sklave langsam den beinahe schwarzen Wein ein. Er roch abscheulich. Ich nahm einen kleinen Schluck und spuckte ihn sofort wieder aus. Ich fügte frisches Wasser hinzu und kostete mit höchster Konzentration. Der Wein hatte sich bereits in einen bitteren Honig verwandelt. Ich erhob mich und schaute mir nun die Aufschriften der verschiedenen Amphoren genauer an. Bei den besseren Weinen stand auf Papyrusetiketten Jahrgang und Produzent, bei einfacheren waren die Angaben in Kreide vermerkt. Aber etwas ganz anderes fiel mir in diesem Augenblick auf. Mein Gleichgewicht war vorzüglich. Ja, ich möchte sogar behaupten, daß sich meine Muskeln noch nie so sanft und geschmeidig bewegt hatten wie nach dem Verzehr dieses göttlichen Pilzes. Ich kniete vor den Amphoren und las die Etiketten. Ich entschied mich schließlich für einen vierjährigen Sabiner, der etwas herb und trocken und vermutlich mit Marmorstaub und Aschenlauge durchsetzt worden war. Aber zum Mundspülen hatte er durchaus seine Berechtigung. Wesentlich besser waren ein dunkler Caecuber aus Latium und ein Mamertinus aus dem sizilianischen Messina. Ich denke, diese beiden Weine konnte man auch bei übertriebenem Genuß durchaus überleben. Ich versuchte nun auch hier mit der Gewissenhaftigkeit eines keltischen Druiden das optimale Mischverhältnis herauszufinden. Während die einen drei Teile Wasser und einen Teil Wein bevorzugen, schwören die andern auf zwei Teile Wasser und einen Teil Wein. Einige wollen den Wein kalt oder gar mit Schnee versetzt, andere wiederum gekocht und mit Minze, Anis oder Veilchen verhunzt. Ich hingegen brauchte eine Mischung, die die Blutgefäße erweiterte, bevor man sie wieder herauskotzte. Es wurde immer schwerer, eine Entscheidung zu treffen, denn mit jedem Becher Wein, den ich probeweise leerte, schien die göttliche Kraft und Weisheit in mir abzunehmen. Ich glaube, die Erdmuttergöttin hatte nicht damit gerechnet, daß ich mich nach der Pilzverkostung noch derart aufopfernd dem Wein hingeben würde. So überwog die Wirkung des Weines bald die Wirkung des Pilzes, und ich torkelte mit schwerem Zungenschlag zwischen den Sklaven und Amphoren herum und wußte nicht mehr, welchen Wein ich in welcher Konzentration bereits gekostet hatte. Schließlich verlangte ich nach einem Bronzesieb und ließ mir einen echten Falerner einschenken. Welch ein Geschenk der Götter! Als hätte Bacchus persönlich den Kelterungsprozeß überwacht! Keine Spur von Terpentin, Kreide, Harz, Schwefel, Salz, Marmorstaub oder Aschenlauge! Das war ein richtiger Wein, schwer und tiefrot, aber samtig weich und mit dem schmeichelhaft feinen Geschmack von altem Faßholz und Nüssen. Diesen Falerner trank ich unverdünnt. Ich legte mich dazu auf die Liege und genoß den Rausch, der mich von allen Sorgen und Ängsten befreite und mir das euphorische Gefühl eines Imperators verlieh. Am liebsten wäre ich aufgestanden, nach Rom geritten und hätte mich dort zum Konsul ausrufen lassen! Doch als ich meine Trinkschale zum Nachfüllen ausstreckte, verlor ich das Gleichgewicht und fiel vom Sofa.

»Druide, der Sud ist nun kalt«, sagte der Küchenmeister leise, während er mir diskret unter die Arme griff. Den hatte ich beinahe vergessen. Ich torkelte ein paar Schritte nach vorne und stützte mich dann an der Tischplatte ab. Der Tisch kippte, die bronzenen Gefäße und Becher flogen scheppernd durch das Vorzelt. Ich stürzte der Länge nach hin und riß ein paar Amphoren mit, die in Metallgestellen standen und sich nun wie rohe Eier gegenseitig die Köpfe aufschlugen. Welche Tragödie für einen Weinfreund! Der Wollstoff meiner Tunika sog sich mit dem blutroten Traubensaft voll. Mir war, als würde mir jemand das Zelt um die Ohren schwingen. Alles drehte sich. Kraftlos blieb ich in einer Weinlache liegen. Neben mir lag meine Trinkschale. Der herausspritzende Wein der zerbrechenden Amphoren hatte sie wieder aufgefüllt. Das mußte ein Wink der Götter sein. Ich zwinkerte dem Küchenmeister zu, der irritiert das ganze Chaos betrachtete.

»Schütte den Sud in einen Tonkrug. Aber nichts verschütten! Dann gibst du Wasser und Falerner hinzu, aber gib acht, daß alle drei Teile gleich groß sind.«

Der Küchenmeister schien erleichtert, daß ich nicht die Absicht hatte, das Ganze selber umzuschütten. Mit seinem Dolch markierte er den Stand der Flüssigkeit in der Trinkschale und goß den Sud schließlich in einen Tonkrug. Dann füllte er die Schale bis zur eingeritzten Kerbe mit Wasser und Falerner. Zuletzt schickte er die Sklaven mit den Amphoren hinaus. Wohl meiner Gesundheit zuliebe. Und dann kam der Augenblick, den ich in keiner Weise herbeigesehnt hatte. Vom Küchenmeister gestützt wurde ich in den hinteren, privaten Teil von Cäsars Feldherrenzelt geführt. Cäsar lag immer noch wie erschlagen auf der Liege, den einen Arm über der Schläfe. Am liebsten hätte ich mich neben ihn gelegt und wäre eingeschlafen. Doch der Küchenmeister setzte mich vorsichtig auf einen Stuhl und füllte eine Trinkschale mit meiner Kreation. Allein der Gedanke daran machte mich krank. Mir war mittlerweile kotzübel.

»Cäsar«, flüsterte der Küchenmeister. Cäsar war wach. Er richtete sich auf, nahm die Schale und trank sie in wenigen Schlucken leer, ohne mich anzuschauen. Cäsar reichte dem Küchenmeister die Schale, damit dieser nachschenke. Der Küchenmeister schaute mich fragend an. Ich nickte, obwohl ich keine Ahnung hatte, wieviel man von diesem Gebräu trinken konnte. In meinem Kopf jagten sich die Gedanken. Fieberhaft versuchte ich zu rekonstruieren, was ich eigentlich zusammengebraut hatte. Einerseits befand ich mich in ausgelassener Stimmung, wie ein Gott, der vergnügt mit seinen Gespielinnen in den Wolkenfeldern schäkert, andererseits geisterte das Stichwort ›Fumix‹ durch mein Hirn.

»Bring dem Druiden einen Falerner«, murmelte Cäsar, während er tief ein- und ausatmete.

Der Küchenmeister starrte mich entgeistert an und verschwand dann im Vorzelt. Cäsar legte sich wieder und schloß die Augen.

»Du bist ein seltsamer Druide, Korisios«, murmelte Cäsar. »Mein Grammaticus, Antonius Gripho, hat mir seinerzeit erzählt, daß Druiden nur Wasser und Milch trinken.«

»Ja«, versuchte ich mit klarer Stimme zu antworten, »das ist schon richtig, der Wein ist für uns kein Genuß-, sondern ein Heilmittel. Wir benutzen ihn zu kultischen Zwecken. Es versteht sich von selbst, daß auch wir Druiden … eh …« Ich hatte den Faden verloren. Die letzten Worte hatte ich ohnehin nur noch gelallt.

»Badet ihr auch darin?« fragte Cäsar mit leidender Miene, während er angeekelt die Nase rümpfte. Ratlos glättete ich meine vom Wein durchnäßte Tunika über den Knien. Der Küchenmeister brachte einen Krug Falerner und schenkte mir einen Becher ein. Der Schlaumeier hatte ihn stark verdünnt. Aber zu seinem Glück war er bereits wieder hinausgeschlichen. Cäsar lachte leise vor sich hin. Dann sagte er: »Wenn ich das richtig verstehe, Druide, dann sauft ihr keinen Wein, ihr sauft Heilmittel.« Cäsar kicherte leise, vorsichtig, als befürchte er durch die kleinste Erschütterung eine Verstärkung seiner Kopfschmerzen. Ich trank meinen Becher in wenigen Zügen leer und beobachtete nun aufmerksam jede Regung in Cäsars Gesicht. Das heißt, ich saß da wie versteinert, nahm zur Kenntnis, daß ich nicht vom Stuhl kippte, und glotzte Cäsar an. Er lag immer noch auf der Liege, den rechten Arm über den geschlossenen Augen. Würden sich die Lippen dunkelblau verfärben, oder würde sich zuerst die Halsmuskulatur zu einem ausgedörrten Rebstock verzwirnen? Würden die Hände zittern und die Bewegungen fahrig werden, oder würde er einfach Wasser lassen und geräuschlos in die Anderswelt hinübergleiten? Vielleicht würde er auch toben und schreien und lauthals nach der Prätorianergarde verlangen oder den Verstand verlieren und den Marsch nach Britannien befehlen. Meine Zunge war bereits pelzig und trocken. Ich sehnte mich nach süßen Früchten und Honig und frischem Wasser … Und nach frischer Luft und einem Stück Wiese, um mich zu übergeben. Mir war heiß, und das Herz pochte bis in den Hals hinauf. Ich schwitzte aus allen Poren warmen, klebrigen Schweiß, der nach abgestandenem Wein stank.

»Druide«, sagte Cäsar plötzlich mit einer verblüffenden Leichtigkeit in der Stimme. Er setzte sich auf die Kante seiner Liege und schaute mich fast heiter an. Seine Augen suchten erneut meine Komplizenschaft, während seine Hand mein Knie berührte, »Druide«, wiederholte er, »die Schmerzen sind aus meinem Körper gewichen.«

Ich überlegte, ob Fumix kurz vor seinem grausamen Sterben auch ein kurzes Gefühl von Glück und Erleichterung empfunden hatte, aber ich konnte mich an nichts Derartiges erinnern. Fumix war wie eine tollwütige Ratte, schäumend und zuckend, verendet. Nein, Cäsar war wohlauf. Langsam fragte ich mich ernsthaft, ob die Auswahl der Kräuter und die Zubereitung überhaupt eine Rolle spielten. Entschieden die Götter nicht ohnehin nach eigenem Gutdünken und Ermessen? Oder war ich ganz einfach ein bemitleidenswerter Dilettant, der alles sein und können wollte, und deshalb nichts richtig beherrschte? Oder liebten mich die Götter so sehr, daß sie mein Opfer nicht annahmen und deshalb auch Cäsar am Leben ließen? Diese Variante war natürlich auch nicht übel. Aber ich konnte es drehen und wenden, wie ich wollte. Es half nichts. Tief in mir spürte ich eine ungeheure Schmach. Ich fühlte mich von den Göttern erniedrigt und gedemütigt. In diesem Augenblick war mir wirklich zum Heulen zumute. Und kotzübel.

»Mir scheint«, scherzte Cäsar, »als würden mir selbst deine Götter beistehen.«

Cäsar hatte meine rechte Hand ergriffen. Er hielt sie fest, fast zärtlich. Liebevoll strich er mir über den Handrücken und lächelte mich an, dankbar. Meine Gefühle und Empfindungen verwirrten mich. Mir war, als würde ich Cäsar in diesem Augenblick alles verzeihen, was ich ihm jemals vorgeworfen hatte. Hatten mich meine Götter erniedrigt, damit ich mich zornig von ihnen abwandte? Hatten sie mich gedemütigt, damit ich Cäsar um so bereitwilliger in mein Herz schloß? Ich weiß es nicht. Ich erinnere mich aber, daß ich mich leicht nach vorn beugte und mit beiden Händen seine Hand ergriff. Ich war endgültig Cäsars Druide geworden.

Ich war stolz, Cäsars Anerkennung gefunden zu haben. Manch einer in Rom hätte Millionen von Sesterzen dafür ausgegeben. Cäsar ließ meine Hand los und erhob sich. Es schien so, als hätte ein unsichtbarer Regen alle Schmerzen von ihm gewaschen. Die Vertraulichkeit, die eben noch zwischen uns geherrscht hatte, wich wieder der Nüchternheit des ehrgeizigen Feldherrn, der nur sein egoistisches Ziel vor Augen hatte. Aber doch schien mir, als sei irgend etwas in mir zurückgeblieben. Ein Gefühl der Loyalität? Ich weiß es nicht. Ich war ziemlich verwirrt. Vielleicht auch bloß betrunken. Das auf jeden Fall.

»Das erste Jahr in Gallien ist vorbei. Das soll das erste Buch sein. Ich will es heute nacht beenden und morgen abreisen.« Erschrocken zog ich die Augenbrauen hoch und versuchte angestrengt Feder und Papyrusrolle zu finden. Das Zelt schien sich zu bewegen, wie ein Floß auf hoher See. Die Konturen und Farben verschwammen zu einem grotesken Schauspiel. Das flackernde Licht ließ auf meinem Schreibtisch ekstatische Tänzerinnen entstehen, die ihre Schatten wild zuckend auf die Papyrusrollen warfen. Ich sehnte mich wirklich nach einem Stück Wiese. Cäsar rollte eine beschriebene Papyrusrolle vor mir aus und drückte mir einen Griffel in die Hand. Obwohl wir seit Tagen nicht mehr daran gearbeitet hatten, hatte Cäsar noch alles präsent und diktierte einfach weiter: »Gaius Valerius Procillus, den seine Wächter auf der Flucht in dreifachen Ketten fortschleppten, fiel Cäsar selbst in die Hände, als dieser die Feinde mit der Reiterei verfolgte. Und dieser Umstand bereitete Cäsar keine geringere Freude als der Sieg selbst.« Ich war überrascht, daß Cäsar unsere Befreiung erwähnte. Wollte er damit ausdrücken, daß ihm das Wohl jedes einzelnen am Herzen lag? Natürlich war dies für mich nicht die zentrale Frage. Ich wunderte mich darüber, daß Cäsar Procillus erwähnte, mich aber nicht, und daß Cäsar mich für die Niederschrift ausgewählt hatte und nicht Procillus. Ich denke, daß auch für einen Römer nur die Rettung eines Adligen erwähnenswert ist. Vielleicht wollte er auch die Intimität beenden, die zwischen uns geherrscht hatte. »So hatte Cäsar in einem einzigen Sommer zwei sehr bedeutende Kriege zu Ende gebracht und ließ daher früher, als es die Jahreszeit verlangte, sein Heer bei den Sequanern das Winterlager beziehen, den Oberbefehl übergab er dem Labienus. Er selbst begab sich ins diesseitige Gallien, um Gerichtstage zu halten.«

Gegen Mitternacht fand ich endlich das langersehnte Stück Rasen im Freien. Krixos besorgte mir frisches, kaltes Wasser und eine neue Tunika. Als ich in den frühen Morgenstunden in mein Zelt zurückkehrte, hatte Cäsar das Lager bereits Richtung Süden verlassen. Wanda nahm mir meine Eskapaden übel. Ich versuchte ihr die Pflichten eines Druiden zu erklären, doch sie schimpfte mich einen Säufer und behauptete, nicht Cäsars Legionen würden Gallien unterwerfen, sondern der römische Wein. Ich schwieg. Ich glaube, ich habe vor langer Zeit mal angedeutet, daß es Sklavinnen gibt, die ihren Herren die Leviten lesen. »Dafür werde ich dich auspeitschen lassen«, murmelte ich, während ich entweder das Bewußtsein verlor oder aus kulinarischer Überanstrengung einschlief.