II.

Unser Ziel war das Ufer des Rhodanus, kurz bevor er in den Lemannus-See mündet. Dort führt eine Brücke über den Fluß ins Oppidum Genava. Genava ist der Hauptsitz der allobrogischen Kelten. Leider ist das Gebiet der Allobroger mittlerweile römische Provinz.

Am Ufer des Rhodanus würden sich Ende März all jene keltischen Stämme vereinen, die sich vor drei Jahren entschlossen hatten, sich dem großen Zug der Helvetier anzuschließen. Ich hatte den Atlanticus noch nie gesehen, aber Händler hatten mir derart viel darüber erzählt, daß ich in meinen Träumen bereits oft dort gewesen war. Man konnte dort schwimmen, und die Fische waren riesengroß. Die Santonen haben die Sitte, ihnen die Bäuche mit Kräutern vollzustopfen und sie so über dem Feuer zu braten. Man konnte diese Fische angeblich in großer Zahl essen, ohne gleich einen neuen Gurt kaufen zu müssen. Nach alledem, was ich in den letzten Tagen erlebt hatte, überlegte ich nun, ob es für mich nicht gescheiter wäre, im Schutze der helvetischen Stämme an den Atlanticus zu ziehen. Oder sollte ich die Gunst der Götter prüfen und nach Massilia gehen? Auch Massilia lag an einem Meer, am tuskischen oder Unteren Meer, wie man es auch nannte. Auch dort konnte man schwimmen. Und Fische würde es dort auch geben. Ja, mein imaginäres Handelshaus in Massilia hatte mittlerweile mächtige Wurzeln geschlagen. Aber nachdem ich siebzehn Jahre unter einem Baum verbracht hatte, mußte ich erst einmal lernen, selber Entscheidungen zu treffen. Ich war unschlüssig, und der von Hufen plattgedrückte Frosch am Wegesrand war mir auch keine Entscheidungshilfe, obwohl ihm die Weichteile vieldeutig aus dem Bauch hervorgequollen waren. Jaja, es ist schon erheiternd, wie wir Menschen uns ständig den Kopf über Dinge zerbrechen, die die Götter längst entschieden haben. Aber waren die Götter nicht auch sehr launisch? Und war es nicht auch möglich, daß sie mich manchmal aus den Augen verloren und ich in dieser Zeit mein Schicksal selbst bestimmen konnte?

Schweigend ritten Wanda und ich Seite an Seite die aufgeweichten Trampelpfade entlang. In der Nacht machten wir nur eine kurze Rast in einer Höhle. Bereits in den frühen Morgenstunden ritten wir weiter. Taranis war offenbar wieder eingefallen, daß er nicht nur für Blitz und Donner zuständig war, sondern auch für die Sonne. Es ist schon erstaunlich, wie ein paar keltische Goldschüsselchen und massilianische Silberdenare das Gedächtnis eines Gottes wieder auffrischen können. Aber ist es andererseits nicht ein bißchen schäbig, daß man selbst Götter mit ein paar Münzen bestechen kann? Ich meine das durchaus ernst. Mir war nicht mehr zum Scherzen zumute. Wir waren müde, erschöpft, das Gesäß auf dem nassen Sattel wundgescheuert, doch die Angst vor den Germanen trieb uns weiter. Wir wußten, daß es die Germanen nicht eilig hatten. Es war ihnen egal, ob alle keltischen Oppida von ihrem Einfall erfuhren und die Bewohner rechtzeitig das Weite suchten. Die Germanen wollten jagen und plündern, irgendwann ihre Familien nachkommen lassen und ihnen das leergefegte Siedlungsgebiet der Rauriker und Helvetier zuweisen.

Gegen Mittag erreichten wir das Oppidum der helvetischen Tiguriner. Es lag auf einem Hügel zwischen einem kleinen und einem großen See. Eine Holzbrücke führte über einen breiten, mit Regenwasser und Abfällen gefüllten Graben. Hinter der Brücke lag ein steil aufgeschütteter Erdwall, auf dem eine solide Brustwehr errichtet worden war. Überall standen bewaffnete Krieger, Bogenschützen und Schleuderer in Alarmbereitschaft. Es bestand kein Zweifel, daß die Tiguriner über die letzten Ereignisse bereits in Kenntnis gesetzt worden waren. Wir wurden freundlich begrüßt. Doch als die Wachen erfuhren, daß wir die letzten Überlebenden eines raurikischen Hofes waren, kannte ihre Begeisterung keine Grenzen mehr.

»Das muß Korisios sein!« schrie jemand.

»Er trägt einen germanischen Bogen!« jauchzte ein anderer und stieß grelle Laute aus.

»An seinem Gurt hängt ein Germanenzopf!« lachte ein Bogenschütze, und alle schrien begeistert auf. Dutzende von Händen wollten mich berühren, als sei ich eine der zahlreichen hölzernen Statuen, die wir Kelten manchmal in den Mooren versenken. Und in der Tat fühlte ich mich ziemlich hölzern. Aus eigener Kraft hätte ich nicht mehr vom Pferd steigen können.

»Wo ist Basilus?« fragte ich laut.

»Er hat uns erzählt, wie du den germanischen Fürsten getötet hast!« schrie ein Greis. Er hob bebend seinen Stock und griff sich mit der anderen Hand ans Geschlecht. Das mußte wohl ein sehr alter Brauch sein. Wieder schrien alle meinen Namen und ließen mich und meine Nachkommen hochleben. Dabei hatte ich in diesem Augenblick nicht den geringsten Wunsch, irgendwelche Nachfahren zu zeugen. Ich wollte nur von diesem Gaul runter und meine steifen Glieder wärmen. Ich beugte mich tief über den Hals meines Pferdes und bat einen Krieger, mich vom Pferd runterzunehmen. Er half. Doch kaum hatte ich den Boden berührt, ließ er mich los. Er hatte nicht damit gerechnet, daß ich wie eine entwurzelte Rotbuche umkippen würde. Mir wurde kotzübel und schwarz vor den Augen, und all die Stimmen schienen plötzlich in weite Ferne zu rücken.

Als ich wieder zu mir kam, stand ich wieder auf den Beinen. Links und rechts wurde ich von zwei Kriegern gestützt, die nach Zwiebeln und Bier stanken.

»Wanda!« Beruhigt stellte ich fest, daß sie hinter mir her ritt und mein Pferd am Zügel hielt. Ihr Gesichtsausdruck war irgendwie beleidigend. Keine Begeisterung, keine Bewunderung, einfach nichts. Die beiden Männer, die mich stützten und mir dabei beinahe die Arme verrenkten, bahnten mir einen Weg durch die Menge. Überall standen bereits bepackte Wagen herum, Schafe blökten, aufgescheuchte Hühner suchten laut gackernd und mit heftigem Flügelschlag einen Fluchtweg, grunzende Schweine wühlten im Schlamm abseits des Weges, Dutzende von abgemagerten Hunden huschten auf der Suche nach Abfällen herum, aber Lucia wich keinen Schritt von meiner Seite.

»Wo ist Basilus?« fragte ich nochmals.

Jemand schrie, man solle mich zu Basilus bringen. Ich war erleichtert. Offenbar lebte er noch. Dankbar ließ ich mich von der Menge begleiten und führen. Das Oppidum war viel größer als das der Rauriker am Knie des Rhenus. Breite Straßen trennten den Wohnbereich mit den zahlreichen Langhäusern von den Gewerbe- und Handelszonen.

Mein einziger Wunsch war, Basilus zu sehen und dann in ein mit heißem Wasser gefülltes Faß zu steigen, um endlich meine Muskeln zu entspannen, die bereits so hart waren wie die Seile eines syrakusischen Torsionskatapults. Aber offenbar war dies der Preis des Ruhms! Ich gehörte der Öffentlichkeit! Ich wurde wie ein großer Krieger gefeiert, der vom Schlachtfeld zurückgekommen war. Ich bat meine Helfer, endlich meine Arme loszulassen. Es paßte nicht ganz zum Bild eines Helden. So wollte ich Basilus nicht gegenübertreten. Mit leicht rudernden Armbewegungen kämpfte ich mich weiter durch die Menge, die eine schmale Gasse bildete und mir so den Weg wies. Das ewige Schulterklopfen war schon in Ordnung, aber ich kam dabei jedes Mal ins Straucheln.

Natürlich mußte ein vom Kampf gezeichneter Kelte mit einem germanischen Bogen und einer bildhübschen germanischen Sklavin zunächst einmal seine Geschichte zum besten geben. Ich machte dabei eine interessante Erfahrung: Je öfter eine Geschichte erzählt wird, desto besser wird sie. Mittlerweile hatte der von mir im fairen Zweikampf besiegte Germane noch einen Zwillingsbruder erhalten, und wenn Wanda mich nicht diskret mit dem Fuß geschubst hätte, wäre eine weitere Zugabe durchaus möglich gewesen – ich schwöre bei den Göttern, daß meine Geschichte noch besser geworden wäre als die gesammelten Werke der griechischen und römischen Literatur zusammen.

Es ist schon eine seltsame Welt, in der man wegen einer Gehbehinderung den Männern Ariovists entkommt und dabei noch unfreiwillig einen germanischen Fürsten umbringt, weil man nicht rechtzeitig zur Seite springt. Keltische Götter haben Humor. Wirklich! Ich warf Lucia, die gerade wieder aufjaulte, weil ihr jemand auf die Pfoten trat, einen kurzen Blick zu. Ich war stolz und gerührt zugleich, daß sie mir derart treu beigestanden hatte. Es gibt nur wenige Menschen, auf die man sich so verlassen kann. Die meisten werden in der Not unsichtbar.

Plötzlich verstummten die Stimmen. Vor uns teilte sich die Menge. Die Leute wichen so weit zurück, daß zwei Ochsenkarren aneinander hätten vorbeifahren können. Vor mir stand ein stolzer, alter, bärtiger Mann in einem prächtigen keltischen Kettenhemd. Am Hals trug er einen kunstvoll verzierten Torques aus massivem Gold. Er hatte eine sehr hohe, breite Stirn, von der Sonne gebräunt, unter den buschigen Brauen funkelten große, aufmerksame Augen. Der Wind spielte mit seinem Haar, und man hatte fast den Eindruck, vor einem Gott zu stehen. Er soll damals bereits über achtzig Jahre alt gewesen sein! In diesem Augenblick war auch ich davon überzeugt, daß die Götter ihm ein so langes Leben geschenkt hatten, damit er uns an den Atlanticus führte. Ich war tief bewegt. Vor mir stand Divico, Fürst der Tiguriner, dem mächtigen Gau der Helvetier, Divico, ein Held, der bereits zu Lebzeiten zur Legende geworden war, weil er vor rund fünfzig Jahren eine römische Legion zerschmettert hatte. Aber wie die Germanen hatte auch er es nicht verstanden, diesen Sieg zu nutzen.

»Sei gegrüßt, großer Divico, Bezwinger des Konsuls Lucius Cassius, Held der Garumna, Fürst der Tiguriner und Führer der Helvetier!« versuchte ich mit einigermaßen kräftiger und lauter Stimme zu sagen. Für keltische Verhältnisse war meine Aufzählung eher knapp. Wir Kelten schätzen nichts so sehr wie Lob, das öffentlich vorgetragen wird. Entsprechend nachtragend sind wir bei der kleinsten Form von öffentlicher Beleidigung. Ich reichte Divico als erstes den goldenen Torques von unserem Postulus.

»Er gehörte Postulus, dem Ältesten unseres Hofes.«

Divico nahm den Torques und musterte mich neugierig.

»Zeig mir dein Messer, Korisios!«

Ich war überrascht. Er kannte meinen Namen und wollte mein Messer sehen. Ich reichte es ihm. Er schaute es kurz an. An der Klinge klebte noch getrocknetes Blut. Als er hochsah, reichte ich ihm auch das Opfermesser.

Auch am Opfermesser klebte noch Blut. Jetzt trat ein weiterer Mann an die Seite von Divico. Ein Druide, den ich noch nie gesehen hatte. Er war groß und hager, seine Wangen waren tief eingefallen. Das gekräuselte lange Barthaar war schwarz und hatte nur vereinzelte weiße Haare. Er betrachtete das Opfermesser, roch daran und fuhr mit dem Finger über die blutverkrustete Klinge. Dann nickte er Divico zu.

»Korisios, Krieger aus dem Stamm der Rauriker, an diesem Messer klebt das Blut des Ochsen und das Blut der Sueben. Du bist der Mann, von dem der Druide Santonix sagt, er wolle Druide werden. Aber die Götter haben dich dazu auserkoren, den Adler zu zerschmettern. Ich werde unser Volk an den Atlanticus führen, und du wirst den Adler zerschmettern.« Er schaute kurz auf Lucia hinunter. Zugegeben, Basilus hatte mir ohne Zweifel einen kleinen Gefallen erweisen wollen, als er den Tigurinern von den Prophezeiungen des Santonix und von meiner Heldentat erzählt hatte, aber allmählich hatte ich den Eindruck, daß Basilus seine Geschichte etwas zu stark ausgeschmückt hatte.

Divico musterte Wanda und fragte mich: »Wer ist dieses Weib?«

»Das ist meine Frau«, antwortete ich. Im selben Augenblick hätte ich mir den Schnurrbart ausreißen können. Wenn ich eine Frau hatte, konnte ich nicht mehr Druide werden. Wanda zeigte keine Gefühlsregung.

»Bringt ihnen heißes Wasser und frische Kleider«, befahl Divico den Umstehenden. Er musterte mich eindringlich, als wolle er prüfen, ob ich ihn beschummelt hatte. Ich wagte nicht mehr nach Basilus zu fragen. Wenn Divico ein Bad befahl, dann hatten wir ein Bad zu nehmen.

Ich kniete in einem Faß und hatte beide Arme auf dem Rand aufgestützt, der mit einem Fuchsfell gepolstert war. Die Frau des Faßbinders kam mit einem neuen Eimer heißen Wassers. Ich legte meinen Kopf auf die verschränkten Arme und schloß die Augen, während mir das Wasser über Kopf und Schultern floß. Langsam ließ der ziehende Schmerz in meinen Muskeln nach. Allmählich konnte ich wieder die Glieder strecken, ohne gleich befürchten zu müssen, die Muskulatur würde zerreißen. Ich nahm das runde Amulett in die Hand und küßte es. Ich glaube, Taranis hat mich beschützt, so wie er auch Onkel Celtillus beschützt hatte. Vielleicht hatten Regen, Blitz und Donner nur den Sueben gegolten. Es ist auch für einen Gott nicht einfach, ein derartiges Orchester von Naturgewalten zu dirigieren, ohne daß der eine oder andere Schützling dabei übersehen wird. Man muß auch Verständnis haben für seine Götter!

Ich war im offenen Langhaus der Familie des Turio, des Faßbinders. Nach hinten war das Langhaus offen und führte direkt in die Werkstatt. Es war angenehm warm, weil seine Leute in der Werkstatt zugeschnittene Faßdauben über dem Dampf bogen. In der Mitte des Wohnraumes waren mächtige Pfeiler, die tief im Boden versenkt waren. Dazwischen war eine große Feuerstelle, über die ein neuer Kessel mit Wasser gehängt wurde. Der heiße Dampf verteilte sich unter dem hohen Strohdach. An den mit Lehm verkleideten Flechtwerk-Wänden hingen farbige Stoffe. Darunter waren mit Hundefellen ausgelegte Erdpodeste, die als Schlafstätte oder als Sitzgelegenheit dienten.

Lucia wurde von einer Horde Kinder gewaschen und geschrubbt. Doch ihr ganzes Interesse galt den Knochen und Fleischresten, die man ihr vorlegte.

Und plötzlich stand er vor mir, mein Freund Basilus. Seine Augen leuchteten wie zwei fröhliche Monde in der Nacht. Den nackten Oberkörper hatte er in Bauchnabelhöhe mit schmalen Leintüchern umwickelt. Unter dem blutdurchtränkten Verband ragten Stiele von irgendwelchen Blättern und Kräutern hervor. Wir strahlten uns einfach an, mit weit offenem Mund, als könnten wir uns gar nicht satt sehen aneinander. Wir hatten beide den Schalk in den Augen. Wir hatten den Sueben ein Schnippchen geschlagen. Unvermittelt kicherte er und sagte: »Komm, Korisios, erzähl mir die Geschichte vom Zweikampf.«

»Du kennst sie doch besser als ich. Du hast sie ja bereits allen erzählt«, schmunzelte ich. Basilus grinste über beide Ohren und prustete vor Aufregung plötzlich laut los. Und ich erzählte wieder von vorne. Ich war gerade dabei, erneut meinen abenteuerlichen Zweikampf zu schildern, als der Druide Diviciatus den Raum betrat. Sofort wurde es still. Die Kinder stoben davon. Man hatte wirklich das Gefühl, eine göttliche Kraft hätte den Raum betreten. Man konnte es körperlich spüren. Dieser Diviciatus war kein gewöhnlicher Mensch, er war ein Mittler zwischen Himmel und Erde. War man ihm nahe, war man den Göttern nahe. Aber irgend etwas an ihm gefiel mir nicht. Ich spürte seine göttliche Kraft, aber ich spürte auch, daß er damit Schlechtes tun konnte. Ich weiß nicht, warum. War es diese Bitterkeit in seinen Mundwinkeln, der Hader in seinen Augen? Ja, wenn ich ihn so ansah, machte er eher den Eindruck einer stark behaarten, langgezogenen Dattel, die das Schicksal ausgedörrt hatte. Verwirrt wich ich seinem Blick aus. Hatte er meine Gedanken gelesen? In der Hand hielt er eine schön gebogene Tonschale, die mit abstrakten Tiermustern versehen war. Auch in der Kunst nehmen wir es mit der Realität nicht so genau.

»Ich bin Diviciatus, Druide und Fürst der Häduer.«

Er trat ein paar Schritte vor und fühlte mit der Hand die Wärme meines Badewassers. Dann goß er den Inhalt der Schale hinein und vermischte ihn, indem er mit dem Arm ein paar Ruderbewegungen machte. Daß dabei die langen Ärmel seiner mit goldenen Stickereien verzierten Tunika naß wurden, schien ihn zu ärgern. Er war halt mehr Adliger als Druide.

»Das Feuer, das du nun spüren wirst, wird das Eisen in dir zum Schmelzen bringen.« Dann murmelte er irgendwelche Verse, die ich aber leider nicht verstand. Ich hoffe, die Götter haben ein besseres Gehör. Diviciatus legte seine rechte Hand auf meine Schulter und blickte ins Leere. Ich erzitterte, denn meine Haut ist wesentlich empfindlicher als die anderer Menschen. Aber da war noch etwas anderes. Diviciatus hatte sehr große Hände, mit schmalen, langen Fingern. Man sah ihnen an, daß sie noch nie schwere Arbeiten verrichtet hatten. Die Haut war geschmeidig wie eingefettetes Leder. Über diese Hände schien etwas Wunderbares in mich hineinzufließen. Ich schwor mir, nie mehr spöttisch oder schlecht über ihn zu denken, denn es war die Kraft der Götter, die durch seine Hände floß.

»Ich danke dir, Diviciatus, großer Druide der Häduer«, murmelte ich ehrfürchtig und hielt den Kopf demütig gesenkt.

Hinter Diviciatus hatte Divico das Langhaus betreten. Dem Gesetz nach war er zwar mächtiger als ein Druide, aber er hätte ohne die Zustimmung eines Druiden nichts entscheiden können. Hätte er etwas Entscheidendes befohlen, wir hätten alle fragend den Druiden angeschaut. Die heimlichen Könige der Kelten sind die Druiden. Die richtigen Könige bringen wir um.

Diviciatus murmelte etwas, das ich nicht verstand, und nahm dann seine Hand von meiner Schulter. Er lächelte und gab mir damit zu verstehen, daß der heilige Akt beendet war und wir nun miteinander sprechen konnten. Sein Lächeln hatte etwas Versöhnliches. Vielleicht hatte er mir auch meine Gedanken verziehen. Ein weiser Mann wie Diviciatus weiß bestimmt, wie er auf andere Menschen wirkt.

»Danke, Diviciatus, großer Fürst und Druide der Häduer. Ich habe schon viel von dir gehört. Man sagt, du hättest vor drei Jahren sogar vor dem Senat in Rom gesprochen und wärst Gast beim Redner Cicero gewesen.«

Der Druide Diviciatus gehörte, im Gegensatz zu seinem impulsiven Bruder Dumnorix, zur prorömischen Partei der Häduer. Obwohl Diviciatus in bewährter Druidenmanier keine Regung zeigte, wußte ich ganz genau, daß es ihn freute, daß sein Senatsauftritt in Rom bis zu unserem Hof am Knie des Rhenus durchgedrungen war.

»Ich habe mich bei meiner Rede vor dem römischen Senat auf meinen Schild gestützt und das Angebot, mich zu setzen, abgelehnt«, antwortete Diviciatus.

Für einen Römer mag eine solche Aussage ziemlich trivial und langweilig sein, ja vielleicht sogar lächerlich klingen, aber für uns Kelten bedeutet sie sehr viel. Diviciatus wollte damit sagen, daß er nicht als Druide, sondern als Abgesandter und Fürst der Häduer nach Rom gereist war.

»Sind die Römer tatsächlich so, wie es uns die Händler immer erzählen?« fragte Basilus aufgeregt.

Immer mehr Menschen drängten sich hinter Diviciatus und Divico zusammen. Sie hielten jedoch Abstand zu dem heiligen Mann, als hätte man ihn mit unsichtbaren Seilen abgeschirmt.

»Rom ist der Freund der keltischen Stämme«, antwortete Diviciatus, »wir Häduer sind der erste keltische Stamm, der mit Rom ein Bündnis geschlossen hat. Wer also Klient des häduerischen Volkes wird, genießt den Schutz Roms. Und Rom allein kann uns im Kampf gegen die südwärts ziehenden Germanen helfen.«

Den Gesichtern der Anwesenden konnte man unschwer ablesen, daß nicht alle seiner Meinung waren. Ich faßte mir ein Herz und versuchte zaghaft ein etwas heikles Thema anzusprechen: »Diviciatus, Druide und Fürst der Häduer. Vor einigen Jahren haben die keltischen Sequaner den germanischen Suebenfürsten Ariovist über den Rhenus geholt, um Krieg gegen euch zu führen. Bei Admagetobriga habt ihr den Sequanern und Ariovist eine heldenhafte Schlacht geliefert.« Da alle Umstehenden wußten, daß Ariovist den Häduern eine vernichtende Niederlage bereitet hatte, war es nicht nötig, dies zu erwähnen.

»Wieso ist Rom den Häduern nicht zu Hilfe geeilt?« fragte ich mit gespielter Naivität. Ich hatte mir wirklich Mühe gegeben, die Frage demütig und höflich zu stellen, aber ich sah den Leuten an, daß ich eine ziemliche Frechheit begangen hatte.

Diviciatus schwieg. Basilus grinste über beide Ohren.

»Rom hatte einen Freundschaftsvertrag mit den Häduern«, polterte Divico los und trat näher an mein Faß. Ich war überrascht. Soviel Temperament hätte ich dem Alten gar nicht zugetraut. »Rom hätte euch gegen Ariovist beistehen müssen!« schrie Divico. »Du warst sogar in Rom, um persönlich Roms Bündnispflicht einzufordern. Und was haben sie dir geantwortet?«

»Ich solle mich an den Prokonsul Metellus Celer wenden«, antwortete Diviciatus stolz.

»Und er hat euch im Stich gelassen!«

»Der Prokonsul, ja, aber nicht Rom!« beharrte Diviciatus.

Trotz seiner Erregung hatte Divico das Problem elegant umschifft, so daß es an mir lag, voll ins Fettnäpfchen zu treten.

»Statt euch gegen Ariovist beizustehen, hat Rom dem Aggressor Ariovist den Titel ›rex atque amicus‹ verliehen.«

Divico lachte kurz auf: »Korisios hat recht, das war Rom und nicht der Prokonsul Metellus Celer!«

Diviciatus ließ sich nicht anmerken, daß er mich am liebsten in meinem Faß ersäuft hätte. »Du weißt viel, Korisios, aber spricht der Fischer nachts über das Eisen?«

Damit gab er mir zu verstehen, daß ich über Dinge sprach, von denen ich nicht die geringste Ahnung hatte. Er rümpfte verächtlich die Nase und sprach weiter: »Die Häduer haben gelernt, sich zu biegen wie die Weide im Wind. Dank Rom haben wir unsere Stellung in Gallien behaupten können. Die Arverner im Süden haben ihre Vormachtstellung eingebüßt, und die Sequaner im Nordosten gehen an ihrem Freund Ariovist zugrunde. Wer in Gallien herrschen will, braucht einen starken Verbündeten. Deshalb bin ich unterwegs zum Prokonsul Metellus Celer.«

»Da wirst du aber lange unterwegs sein, Druide!« krächzte jemand mit einer ziemlich abscheulichen Rabenstimme auf lateinisch. »Metellus Celer ist tot.«

Alle Anwesenden drehten sich um. Vor dem Langhaus stand ein etwa dreißigjähriger Mann.

»Wer bist du?« fragte Divico in griechischer Sprache.

»Ich bin Quintus Aelius Piso, römischer Bürger und Klient des hochverehrten Lucceius«, antwortete Piso. Auch er sprach Griechisch.

»Und was suchst du im Lande der Helvetier?« fragte Divico.

»Ich folge den Schuldnern meines Patrons«, lachte Piso, und seine Gefolgsleute, vermutlich griechische Sklaven, stimmten in das eher stupide Gekicher ein.

»Und wer sind die Schuldner deines Herrn?« fragte Divico und musterte diesen Piso und seine Gefolgsleute geringschätzig.

»Wer viel Geld hat, hat viele Schuldner. Aber unser größter Schuldner ist in Gallien. Es ist der Nachfolger von Metellus Celer«, antwortete Piso, und sogleich kicherten wieder alle seine Begleiter.

»Und wie heißt er?«

»Gaius Julius Cäsar.«

Diviciatus schien nun doch etwas betrübt. Schließlich war dieser Gaius Julius Cäsar jener Mann gewesen, der den Häduern trotz Freundschaftsvertrag jegliche Hilfe gegen den Aggressor Ariovist verweigert und wenig später ausgerechnet diesem Ariovist den Titel ›König und Freund des römischen Volkes‹ verliehen hatte. Alle Blicke waren nun auf den Druiden Diviciatus gerichtet. Er mußte darauf antworten. Diviciatus schwieg eine Weile. Schließlich wandte er sich an Divico und sprach mit dem ganzen Stolz und der Überheblichkeit des keltischen Druiden: »Divico, das Rom, das du besiegt hast, existiert nicht mehr. Wir leben in Frieden mit Rom. Rom nimmt seine Verträge ernst.«

»Welche Verträge meinst du?« krächzte Piso erneut. »Meinst du den Freundschaftsvertrag mit den keltischen Häduern oder den Freundschaftsvertrag mit den germanischen Sueben?« Sein Gefolge lachte wieder dümmlich. Offenbar war dies für sie das größte Vergnügen.

»Großer Divico«, wandte sich Piso nun an den greisen Fürsten der Tiguriner, »ihr solltet auch einen Freundschaftsvertrag mit Rom abschließen. Dann seid ihr die Herrscher am Atlanticus, und viele gallische Stämme werden eure Klienten werden. Für einen solchen Vertrag braucht ihr nur einen Fürsprecher in Rom.«

Divico schwieg. Piso krächzte weiter: »Großer Divico, die Zeiten, in denen man mit ein paar tausend Leuten durch die Gegend spazieren und ein paar Legionären den Arsch aufreißen konnte, sind vorbei. Die Welt besteht jetzt aus Grenzen. Verträge sichern diese Grenzen. Verträge bieten Schutz und Sicherheit. Verträge sind wertvoll. Deshalb sind sie auch so teuer. Der Ägypterkönig Ptolemaios XII. hat Cäsar und Pompeius für einen solchen Vertrag 144 Millionen Sesterzen geschenkt. Ihr Kelten, ihr seid das Volk des Goldes! Ihr habt doch genug Gold, um den besten aller Verträge abzuschließen! Folgt dem Beispiel des Ägypters. Er hat bei meinem Herrn Lucceius eine Anleihe aufgenommen.«

Obwohl Divico dieser personifizierten Ausgeburt von Charakterlosigkeit und moralischer Verkommenheit am liebsten den Kopf abgeschlagen hätte, begriff er sofort, daß Piso über wertvolles Wissen und große Möglichkeiten verfügte. Man sah Divico an, daß er sich mächtig beherrschen und überwinden mußte: »So sei mein Gast, Römer, und laß dich in meinem Haus bewirten.«

Man kann uns Kelten eine Menge nachsagen, aber die Gastfreundschaft ist ein hohes Gut. Es wäre unhöflich gewesen, den Römer stehend im Freien in ein längeres Gespräch zu verwickeln, ohne ihm Speis und Trank unter dem eigenen Dach anzubieten. Na gut, die Einladung hatte auch den Vorteil, daß nicht jeder mithören konnte.

Divico schaute kurz zu mir rüber und nickte mir und Basilus ebenfalls zu. Das war eine Einladung keltischer Art. Er zollte damit den beiden einzigen Überlebenden unseres Dorfes seine Achtung. Die Menge löste sich auf. Einige tuschelten über den romfreundlichen Häduer-Druiden Diviciatus, andere lobten seinen Bruder Dumnorix, einen eingefleischten Romhasser, der die Tochter des verstorbenen Orgetorix geheiratet hatte, und wieder andere tauschten Beobachtungen über den Flug der Vögel aus, der angeblich nichts Gutes verhieß. Ich war begeistert. Basilus auch. Wir hatten stets von Massilia geträumt, aber jetzt hatten wir plötzlich den Duft von römischen Senatorentogen, Sesterzen und Intrigen geschnuppert.

Divicos Langhaus war das Langhaus eines keltischen Fürsten. Es war prunkvoller als alles, was ich jemals zu Gesicht bekommen hatte. An den Wänden hingen farbige Stoffe mit Mustern, die ich noch nie gesehen hatte. Die Erdpodeste waren teilweise mit Bärenfellen ausgelegt. Wir saßen in einem weiten Kreis auf dem mit frischem Stroh bedeckten Boden. Divico selbst saß auf einem Löwenfell, das ihn bestimmt eine Menge gekostet hatte. Hinter ihm stand sein persönlicher Schildträger. An den Wänden hingen kostbar verzierte Schwerter und römische Feldzeichen und Adler, Kriegsbeute von seinem legendären Sieg an der Garumna. Ein römischer Sklave reichte Divico einen vergoldeten Kelch aus massivem Silber. Er war mit Wein gefüllt. Divico nahm einen Schluck und reichte den Kelch dem Tigurinerfürsten Nammejus. So machte der Weinkelch die Runde, bis ihn der Sklave erneut auffüllte. Mittlerweile hatten sich noch andere Tiguriner zu uns gesellt, Druiden und Adlige aus Divicos Führungsstab.

»Trinkt ihr den Wein immer unverdünnt?« Piso hielt den Weinkelch hoch und schaute fragend in die Runde. Der Druide Diviciatus trank Wasser und schwieg. Wenn diesem Römer der Wein nicht schmeckte, dann hielt er gescheiter den Mund. Alles andere war eine Beleidigung. Divico gab dem Sklaven einen Wink, dem römischen Gast verdünnten Wein einzuschenken. Dieser Quintus Aelius Piso war sich offenbar gar nicht bewußt, daß er mit dieser Geste seinen Gaststatus aufhob! Das konnte ihn den Kopf kosten! Divicos römischer Sklave goß gesiebten Wein aus der schmalen Amphore in einen Kupferkessel und fügte Wasser hinzu. Dann nahm er eine hölzerne Schöpfkelle und verrührte Wasser und Wein. Piso tauchte seinen Becher in den Krug und trank nun verdünnten Wein. Divico murmelte, daß wir Kelten keine Weiber seien, die den Wein verdünnen würden. Mit dieser Beleidigung gab Divico den Umstehenden bekannt, daß er Piso nicht mehr als Gast betrachtete. Der Römer hatte jetzt seinen eigenen Wein in seinem eigenen Kelch und kippte ihn wie eine verschimmelte Druidenmixtur hinunter.

»Erzähl, Römer, was sagt man in Rom?«

Piso setzte ein scheinheiliges Lächeln auf und erzählte beflissen den neuesten Klatsch aus Rom und Umgebung: »Lucius Piso, mit dem ich übrigens nicht verwandt bin, und Aulus Gabinius haben ihr Konsulatsjahr angetreten. Und Metellus Celer, der Statthalter der römischen Provinz Gallia Narbonensis, ist überraschend gestorben. In Rom sagt man, er sei vor Kummer gestorben, weil kein gallischer Stamm ihn angegriffen hat. Er hätte so gerne einen Vorwand gehabt, um gegen das reiche Gallien in den Krieg zu ziehen. Böse Zungen behaupten sogar, seine Hure Clodia hätte ihn umgebracht. Clodia ist die Schwester von Clodius, und Clodius ist Roms größter Bandenführer. Mit seiner Gladiatorentruppe terrorisiert er nachts mißliebige Senatoren. Clodius ist übrigens ein enger Freund Cäsars! Er frißt Cäsar aus der Hand. Jaja, der arme Metellus Celer! Jetzt kann der neue Prokonsul Julius Cäsar die Hure Clodia sogar im Bett eines Metellus Celer reiten! Ihr wißt ja, in Rom sagt man, Crassus hat das Geld, Pompeius die Macht, aber Cäsar den größten Schwanz.«

Niemand schien das komisch zu finden.

»Und dieser Gaius Julius Cäsar erhält nun die Provinz dieses Metellus Celer?« fragte Divico ungeduldig. Divicos zunehmend strenger Tonfall hatte Piso verwirrt. Er schaute zu mir rüber. Ich antwortete ihm mit dem steinernen Blick eines alten Druiden. Stumm.

»So ist es, Divico. Der neue Statthalter heißt Gaius Julius Cäsar«, antwortete Piso.

Divico lachte lauthals und ließ sich vergnügt den Becher nachfüllen: »Dieser Weiberheld Julius Cäsar, der mehr in fremden Senatorenbetten als auf dem Schlachtfeld von sich reden macht? Da werden sich Roms Ehemänner aber freuen, wenn er die Hauptstadt verläßt.«

»Das ist richtig, Divico«, schmunzelte Piso, »aber Gaius Julius Cäsar ist nicht nur der größte Weiberheld Roms, er ist auch der größte Schuldner. Schuldner bringen Zinsen, aber sie sind gefährlich. Denn sie brauchen stets Geld. Und alle Gläubiger sind darauf bedacht, daß ihre Schuldner wieder zu Geld kommen …«

Einer jener vornehmen Fürsten, die bis jetzt schweigsam und stolz zugehört hatten, meldete sich zu Wort. Nammejus galt nach Divico als wichtigster Mann der Helvetier.

»Was hat Gaius Julius Cäsar Rom denn geboten außer Zirkusspielen, Wagenrennen und Tierhetzen?«

»Zirkusspiele, Wagenrennen und Tierhetzen!« lachte Piso und fügte hinzu: »Eine Menge betrogener Ehemänner und entjungferter Töchter.«

Divico röhrte, damit es auch jene hören konnten, die möglicherweise im Freien lauschten: »Genügt das, um in Rom Konsul zu werden?«

»Es hat genügt«, antwortete Piso, »aber der große Divico sollte Cäsar nicht unterschätzen. Bevor Cäsar Konsul in Rom wurde, war er Proprätor in Hispania ulterior. Da er nach seiner Wahl aber immer noch zwanzig Millionen Sesterzen Schulden hatte, durfte er Rom nicht verlassen und konnte seine Statthalterschaft in Spanien erst gar nicht antreten. Ohne Crassus' Bürgschaft wäre Cäsar seinen Gläubigern nicht entkommen. Er ging mit zwanzig Millionen Schulden nach Spanien! Und wie kam er nach Rom zurück? Als steinreicher Mann! Gut, er hat dann alles wieder ausgegeben und sich bis über beide Ohren neu verschuldet … Ich will damit sagen, wenn Cäsar eines Tages Gallien verläßt und nach Rom zurückkehrt, wird er reicher sein, als es Crassus jemals gewesen ist! Und Gallien …?«

Alle schwiegen betreten. Piso genoß die Aufmerksamkeit ausgiebig, bevor er seinen Schlußsatz sagte: »Deshalb, großer Divico, sind Verträge mit Rom so wichtig.«

»Wenn uns dieser Weiberheld angreifen will, soll er es tun. Bei uns ist es nicht üblich, den Frieden mit Gold zu erkaufen. Wir wünschen den Frieden. Aber wir kaufen ihn nicht.«

Piso verzog das Gesicht zu einem gequälten Grinsen: »Großer Divico, ganz Rom weiß von eurem Mut, denn ihr lebt in Nachbarschaft zu den Germanen. Und jedes Jahr liefert ihr Tausende von germanischen Sklaven nach Rom. Aber unterschätzt Cäsar nicht. Er hat sich in Spanien nicht nur bereichert. Er hat sich dort so viele militärische Verdienste erworben, daß ihm der Senat einen Triumphzug gestattet hat.«

Divico winkte geringschätzig ab und trat nach einem Huhn, das sich zu nahe an den Schweinebraten wagte, den seine Sklaven nun auf Bronzetabletts herbeitrugen und auf den kniehohen Holztischen absetzten. »Ich habe von Händlern gehört, Cäsar hätte in Spanien die kleinen Bergstämme ausgerottet. Aber wenn er sich in das Land vorwagt, das er Gallien nennt, wird er den Tod finden. Denn dieses Gallien ist das Land der Kelten!«

Diviciatus war sichtlich betrübt über den Verlauf des Gesprächs. Er wünschte Frieden mit Rom. Frieden um fast jeden Preis. Denn nur Rom konnte ihn wieder zum Führer der Häduer machen, ihm zu jener Stellung verhelfen, die er wegen Roms Verrat Stück für Stück an seinen romfeindlichen Bruder Dumnorix verloren hatte. Piso bat, daß man seinen Wein noch mit mehr Wasser verdünne. Seine Zunge war schwer geworden: »Cäsar hat Spanien geplündert, um bei Crassus seine Schulden zu begleichen. Er wird in Gallien das gleiche tun.«

Diviciatus nahm Cäsar in Schutz und beteuerte, daß sich die Zeiten geändert hätten. Niemand hörte ihm richtig zu. Auch ich glaubte ihm kein Wort mehr. Ein Sklave trug den kulinarischen Höhepunkt auf, einen Schweinerücken, der über dem Feuer gegrillt worden war. Divico gebührte nach alter Sitte das beste Hüftstück. Sein Führungsanspruch war unbestritten. Bei Gelagen mit ebenbürtigen adligen Kriegern konnte es schon mal vorkommen, daß sich zwei um das Hüftstück stritten und sich dabei umbrachten. Es ging natürlich nicht um das Fleisch, sondern um die öffentliche Bestätigung der Führungsrolle. Der Römer sah mit Befremden, wie wir mit den Händen die großen Fleischstücke auseinanderrissen und gierig verschlangen. Als vornehmer Römer war er es gewohnt, daß ihm ein Sklave das Fleisch in mundgerechte Portionen vorschnitt, da man auf einem Liegesofa kein Besteck benutzen konnte. Basilus und ich griffen kräftig zu. Die goldbraune Kruste duftete nach Liebstöckel, gestampftem Pfeffer und Fenchelsamen. Basilus und ich wechselten zufriedene Blicke und verschlangen das Fleisch wie hungrige Wölfe. Wer weiß, wann wir das nächste Mal zu einer solchen Mahlzeit kommen würden? Zu meinen Füßen saß Lucia. Sie sah wieder genauso schmutzig aus wie noch vor einigen Stunden. Ich ließ absichtlich, aber eher diskret, ein Stück Fleisch fallen und spülte den Mund mit einem Schluck Wein. Lucia schmatzte geräuschvoll und schaute mich bereits wieder mit diesem sanften, herzzerreißenden Blick an, dem kein speisender Mensch widerstehen kann. Ich verstehe, wieso einige Menschen Hunde hassen. Sie verderben uns mit ihrem Bettelblick den Appetit und bringen uns dazu, ihnen die besten Stücke zu überlassen. Diskret reichte ich ihr einen Knochen hinunter, an dem noch eine ganze Menge Fleisch hing. Nach all den naßkalten, halbverwesten Mäusen muß dieser warme Schweinerücken für Lucia eine köstliche Abwechslung gewesen sein. Während ich trank und den Becher nach rechts weiterreichte, fiel mir – es war fast ein Versehen – ein ziemlich großes Stück Fleisch zu Boden. Das war offenbar des Guten zuviel. Ein keckes Huhn meldete gehässig gackernd seine Ansprüche an. Eine Katze sprang von einem Gestell und landete fauchend vor dem Huhn, das fluchtartig davonstob, während sich vor dem Langhaus magere Hunde versammelten, denen der Speichel in langen Fäden hinuntertroff. Die beschönigende Rede des Druiden Diviciatus wurde mit Schweigen quittiert. Schließlich ergriff erneut Divico das Wort: »Man hört immer wieder, Cäsar habe viele Feinde. Wieso erhält ein Mann, der in Rom so viele Feinde hat, nun plötzlich drei Provinzen zur Verwaltung? Und ein Militärkommando dazu!«

Eine berechtigte Frage, wie mir schien.

Piso lachte. »Cäsar hat nicht nur Feinde, es gibt auch Leute, denen er Geld schuldet.« Er röhrte vor Lachen und fuhr fort: »Wer Rom dient, tut es ehrenamtlich. Selbst als Konsul verdienst du nicht eine einzige Sesterze. Und trotzdem reißen sich alle um dieses Amt. Und wenn alle etwas wollen, entscheidet der Preis. In Rom werden Ämter gekauft. Hat man ein Amt erstanden, ist man hoch verschuldet und muß das neue Amt dazu benutzen, seine Schulden wieder abzubauen, um für den Kauf des nächsten Amtes ein Vermögen anzuhäufen. Nur weil Julius Cäsar den Volkstribun Vatinius bestechen konnte, hat er die unbedeutenden Provinzen Gallia Cisalpina und Illyricum erhalten. Und die dritte Provinz, die Narbonensis des Metellus Celer, hat er nur dessen plötzlichem Tod zu verdanken. Oder seiner Hure Clodia.«

Mit Befremden sahen wir, wie er sich vor lauter Lachen verschluckte und sich dennoch vergnügt den Bauch hielt. Ein Sklave reichte Diviciatus eine schwarz verzierte griechische Schale mit Früchten. Diviciatus ergriff das Wort: »Cäsar ist an Rom interessiert, nicht an Gallien. Er hat die Arverner besiegt. Er hat ihnen aber nicht die Freiheit geraubt. Es wäre für ihn ein Leichtes, Massilia einzunehmen. Er tut es nicht. Er achtet Massilia. Und Massilias Klienten achten Massilia, weil Massilia mit Rom befreundet ist. Und die Arverner achten die Häduer, weil auch wir mit Rom befreundet sind und einen Vertrag haben. Sind wir deswegen ein unfreies Volk? Bezahlen wir deswegen Tribute oder Steuern? Nein! Wir beherrschen das gesamte mittlere Gallien, und unsere Klientenstämme sind stolz, daß sie unseren Schutz genießen. Deshalb, Divico, rate ich dir, suche das Gespräch mit Cäsar. Cäsar ist ein Ehrenmann.«

Piso tauchte seinen Becher in den Bronzekessel: »Hätte Cäsar die Statthalterschaft in Gallien nicht angenommen, wäre er in Rom wegen seiner verfassungswidrigen Amtsführung als Konsul angeklagt worden. Nur der sofortige Antritt seiner Statthalterschaft in Gallien verschaffte ihm die nötige Immunität, um einem Gerichtsverfahren zu entgehen. Er ist regelrecht nach Gallien geflüchtet. Aber niemand nimmt an, daß er sich die fünf Jahre mit dem Besteigen von allobrogischen Huren vertreiben wird. Dafür hat ihm die Kriegsführung in Spanien viel zuviel Spaß bereitet. Und nebenbei seine Finanzen saniert.«

Unverhohlen musterte Piso die goldene Statue, die auf dem hölzernen Absatz eines Trägerpfostens stand.

»Piso, willst du damit sagen, daß Cäsar den Krieg sucht?« fragte ich überrascht. Nammejus musterte mich streng, als hätte ich infolge meiner niedrigen Herkunft gar kein Recht zu sprechen.

Piso grinste. »In der Narbonensis ist die zehnte Legion stationiert. Drei weitere sind in Norditalien, die siebte, die achte, und die neunte.«

»Und in Illyricum?« fragte Divico.

»Nichts. Und der Senat wird Cäsar auch keine Legion geben. Er mißtraut Cäsar. Auch er. Schließlich ist Cäsar ein notorischer Gesetzesbrecher.«

Piso lächelte breit und schaute genüßlich in die Runde. »Sollte Cäsar also in Gallien in einen Krieg verwickelt werden, wird ihm niemand Legionen zu Hilfe schicken.«

Diviciatus war verärgert. »Worauf willst du hinaus, Römer? Willst du die keltischen Stämme zu einem Einfall in die römische Provinz ermuntern?«

»Nein«, schrie Piso theatralisch, »ich will nur deutlich machen, daß Cäsar keine Freunde hat. Jeder wünscht ihm den Untergang. Stellt euch doch mal vor, selbst als Konsul wurde Cäsar öffentlich beschimpft, verleumdet und mit obszönen Gerüchten der Lächerlichkeit preisgegeben. Wenn ihr Cäsar vernichtet, werden wir in Rom ein zwanzigtägiges Freudenfest veranstalten.«

Diviciatus und Divico wechselten einen kurzen Blick. Es war offensichtlich, daß dieser Piso von Cäsars Feinden geschickt worden war; er sollte uns ermuntern, ihn zu vernichten.

»Piso«, sagte Divico, und er wägte jedes Wort sorgfältig, »ich, Divico, Fürst der keltischen Tiguriner, werde in wenigen Tagen aufbrechen und zusammen mit den Stämmen der Helvetier, der Rauriker, der Latobiker und der Boier ins Land der Santonen ziehen. Sag deinen Freunden in Rom, daß wir ohne Verwüstungen das Gebiet der keltischen Allobroger durchqueren werden …«

»Das ist jetzt römische Provinz!« unterbrach Piso.

»Ich bürge mit meinem Namen dafür«, schrie Divico, »daß es keinerlei Plünderungen geben wird. Sag es auch deinem Cäsar. Wir wollen Frieden. Wir sind ein Volk auf Wanderschaft. Wir sind keine Armee! Das ist kein Feldzug! Unser Volk zieht an den Atlanticus! Zu den keltischen Santonen. Das Land haben wir bereits bezahlt.«

Piso verlangte bei einem Sklaven nach einem Mundtuch, doch als dieser grinste, reinigte Piso seine fettigen Hände widerwillig mit Stroh und griff erneut zu seinem Weinbecher, der vor ihm auf dem kniehohen Holztisch stand. Er genoß, daß alle Augen auf ihn gerichtet waren. Man erwartete eine Antwort von ihm. Er griff erneut nach einem Stück Fleisch und schlug seine Zähne hinein. Mit vollem Mund begann er seine Ausführungen: »Wenn ihr die römische Provinz durchquert, wird sich Cäsar darüber freuen. Cäsar sucht den Erfolg, den Ruhm, die Macht. Dazu braucht er Legionen. Damit Cäsar mehr Legionen kriegt, braucht er einen gerechten Krieg. Damit es einen gerechten Krieg gibt, braucht er einen Vorwand … Und wenn ihr wirklich im Sinne habt, die römische Provinz zu durchqueren …, dann hat er seinen Vorwand. Es gibt für einen Römer kein größeres Schreckgespenst als Kelten auf Wanderschaft. Schließlich war der Kelte Brennus der einzige, der Rom jemals erobert hat.«

Divico war sichtlich beleidigt, daß der Römer nur Brennus erwähnte.

»Ich bin der Druide Verucloetius«, sagte plötzlich eine Stimme aus dem Dunkeln. Ein hagerer, großgewachsener Mann in der weißen Robe des Druiden trat näher und blieb vor Piso stehen. »Du sprichst viel, Römer, doch es dient nie der Klarheit. Vorhin sagtest du, der römische Senat würde Cäsar keine Legionen zu Hilfe schicken, wenn er in einen Krieg verwickelt würde, jetzt sagst du, Cäsar würde zusätzliche Legionen erhalten, wenn er einen Vorwand für einen Krieg fände.«

»Noch ist Cäsar nicht Rom! Wenn Cäsar bedroht wird, schickt Rom keinen einzigen Legionär, wenn hingegen Rom bedroht wird, schickt Rom Legionen über Legionen. Was Cäsar braucht, ist ein Vorwand.«

Divico schrie: »Sind Schulden Vorwand genug für einen Römer?«

Piso lächelte und vermied es, Verucloetius, der immer noch vor ihm stand, anzuschauen. Statt dessen starrte er auf die goldene Gurtkralle des Druiden.

»Schulden«, begann Piso, »sind für Cäsar Vorwand genug. Aber nicht für den römischen Senat. Nein, großer Divico, Cäsar wird sich daran erinnern, daß du an der Garumna römische Soldaten unter dem Joch hindurchgetrieben hast.«

Divico nickte stolz und genoß die weiteren Ausführungen des Römers mit sichtlicher Genugtuung.

»In jener Schlacht ist der Legat Lucius Piso, der Großvater von Cäsars Schwiegervater Lucius Piso, gefallen. Das mag ein Grund sein, wieso Cäsar in Rom das Gerücht verbreiten läßt, die Helvetier planten einen kriegerischen Einfall in die römische Provinz. In diesem Fall wäre Rom bedroht!«

Wir waren alle konsterniert. Fürst Nammejus sprang hoch. »Ist es wirklich wahr, daß Cäsar dieses Gerücht verbreiten läßt?«

Auch Divico sprang auf und schrie mit zornbebender Stimme: »Wer ist denn dieser Julius Cäsar? Habt ihr denn alle die glorreichen Siege unserer Vorfahren vergessen? Vor über dreihundert Jahren hat unser Heerführer Brennus Rom erobert, und wir haben den Appollotempel in Delphi geplündert. Gemeinsam mit Hannibal haben wir eine Legion nach der anderen aufgerieben, und vor neunundvierzig Jahren habe ich, Divico, Fürst und Heerführer der Tiguriner, das Heer des Konsuls Cassius Longinus besiegt, seine Soldaten unter das Joch und in die Sklaverei geschickt. Wer also ist dieser Gaius Julius Cäsar? Nenne mir seine Siege, Römer!«

Piso richtete sich etwas auf und füllte seinen Becher erneut mit Wein, dann sagte er: »Die Siege der Kelten sind glorreich, Divico, aber seit du die Römer unter dem Joch hindurchgeschickt hast, ist den Römern ein Marius geboren. Marius! Ein Onkel Cäsars! Er hat gewaltige Veränderungen im römischen Heer vorgenommen. Rom kämpft jetzt mit Berufssoldaten. Es sind keine Bauern mehr, die so schnell wie möglich auf ihre Felder zurückwollen. Roms neue Legionäre sind besoldet. Die können sogar im Winter kämpfen! Und sie kämpfen nicht mehr für Rom, sondern für ihren Feldherrn. Und Cäsar behandelt seine Soldaten gut. Er verspricht ihnen reiche Beute. Jetzt wollen sie ewig Legionäre sein. Mit solchen Männern kann man ein ganzes Weltreich erobern.«

»Römer«, sagte Diviciatus, »du säst Unfrieden und strapazierst die Gastfreundschaft des Fürsten Divico.«

Piso grinste breit, wie es nur die verkommensten und schurkischsten Kreaturen können. Er schien mit dem Verlauf des Gesprächs sehr zufrieden zu sein.

Divico hatte er jedenfalls in Wut versetzt. »Cäsar wird in der Provinz Gallia Narbonensis eine einzige Legion haben«, konterte er. »Das sind sechstausend Männer. Ich hingegen werde mehr Männer an den Atlanticus führen, als Rom jemals gesehen hat: hundertdreißigtausend Helvetier, achtzehntausend Tiguriner, siebentausend Latovicer, elftausend Rauriker und sechzehntausend Boier. Und davon sind sechsundvierzigtausend keltische Krieger. Selbst wenn Cäsar seine vier Legionen gegen uns führt, wird sein Name für immer in Vergessenheit geraten. Denn ich, Divico, werde ihn vernichten!«

Piso wurde plötzlich sehr ernst. Er erhob sich ebenfalls und stand nun Divico gegenüber. »Siege werden nicht nur auf dem Schlachtfeld errungen, großer Divico. Laß mich in Rom deine Sache vertreten. Ich werde den einflußreichen Männern Roms glaubwürdig versichern, daß es nicht in der Absicht des glorreichen Divico liegt, die römische Provinz zu verwüsten. Du hast genug Gold, um meine Dienste zu bezahlen.«

»Verlasse mein Haus«, brummte Divico, »du sollst nicht länger mein Gast sein.« Gekränkt wandte sich Divico von Piso ab. Divico war alt, ja, aber wie eine aus Eisen gegossene Esche. Ich begriff allmählich, wieso die Tiguriner erzählten, Divico könne allein mit seiner Präsenz eine ganze römische Legion in Panik versetzen. Er war ein Fels von einem Mann, eine Naturgewalt. Er war unerschrocken und jederzeit bereit, sein Leben zu opfern. Vor solchen Menschen fürchtete sich Rom.

Piso lächelte süffisant und spitzte die Lippen. Ich bin mir fast sicher, daß er noch etwas sagen wollte. Ich gab ihm heimlich ein Zeichen, daß er sofort verschwinden müsse. Ich verdrehte die Augen Richtung Ausgang und half diskret mit dem Zeigefinger nach. Doch der Kerl konnte es einfach nicht lassen. Er wollte unbedingt das letzte Wort haben.

»Divico …«, begann er von neuem. Divicos Faust krachte in sein Gesicht und zerschmetterte ihm das Nasenbein. Piso stürzte der Länge nach hin. Die Hühner flatterten gackernd zur Seite. Piso wischte sich das Blut von den Lippen und starrte Divico erstaunt an. Er wollte noch etwas sagen, doch ich schüttelte derart heftig den Kopf, daß er mir dankbar zunickte und mit einem gequälten Lächeln das Langhaus verließ.

Uns war plötzlich allen klar, daß dieser Piso mit einem einzigen Ziel gekommen war: Er wollte Divico die Lage in Rom so schildern, daß dieser seine Dienste für Keltengold in Anspruch nahm.

Eine ganze Weile saßen wir schweigend beisammen. Schließlich brach Diviciatus das Schweigen: »Divico, du solltest Boten nach Rom schicken, zu den Senatoren Cicero und Cato. Sie sind geachtet und verstehen die keltische Sache, aber die Helvetier müssen begreifen, daß sie in Gallien nur mit Roms Freundschaft überleben können.«

Niemand antwortete Diviciatus. Das war das Zeichen, daß er gehen sollte. Er verabschiedete sich förmlich und verließ das Langhaus. Draußen hörten wir ihn zornig nach seinen Begleitern und Sklaven rufen.

Divico wandte sich an Verucloetius: »Druide, reite nach Genava und versuche dir in diesem Gestrüpp von Gerüchten und Lügen Klarheit zu verschaffen. Sorge dafür, daß kein Kelte die neue römische Reichsgrenze verletzt. Ich will keinen Krieg. Ich will an den Atlanticus.«

Verucloetius nickte. Divico griff nach dem goldenen Torques unseres Hofältesten Postulus und reichte ihn mir mit den Worten: »Dieser goldene Torques steht dir zu, Korisios. Oft haben mir unsere Druiden von jenem jungen Kelten erzählt, der in einem raurikischen Dorf am Fuße einer Eiche sitzt. Daß du zu mir gekommen bist, betrachte ich als ein Zeichen der Götter.« Dann wandte er sich wieder an den Druiden Verucloetius: »Nimm Korisios in deine Obhut und bringe ihn, so die Götter wollen, im nächsten Jahr in die heilige Schule der Druiden auf die Insel Mona.« Er erhob sich und sagte abschließend: »Ich will den Göttern opfern, denn ich habe die heilige Pflicht der Gastfreundschaft verletzt.«

Verucloetius begleitete mich hinaus und lächelte mir freundschaftlich zu. »Ich werde dich mitnehmen, Korisios, aber du liebst den Wein und das Fleisch zu sehr, als daß du Druide werden könntest. Andererseits haben wir auch Götter, die dem Wein und dem Weib sehr zugetan sind. In deinem Körper scheint es ihnen zu gefallen. Sie werden entscheiden, ob sie durch dich zu unserem Volke sprechen werden. Wenn die Zeit gekommen ist, werden wir es wissen. Aber noch wissen wir es nicht.«

Den Abend verbrachte ich mit Basilus im Freien. Wir spielten mit den herumstreunenden Hunden und erzählten uns nochmals alle Details des Germanenangriffs, die wir unserer Meinung nach zuwenig ausgeschmückt hatten. Wir erwogen alle möglichen Entwicklungen. Was wäre geschehen, wenn … Es war ein faszinierendes Spiel. Natürlich lästerten wir auch über diesen griesgrämigen Druiden Diviciatus, schmiedeten Pläne, sprachen über Massilia und Rom, und Basilus fragte mich, ob ich mit Wanda schlafe. Ich antwortete ihm, daß Wanda meine Sklavin sei. Nicht mehr und nicht weniger.

Wir übernachteten im Langhaus des Bronzegießers Curtix. Divicos Töchter hatten Wanda derart vornehm eingekleidet, daß es mir fast ein bißchen schwerfiel, sie weiter wie eine Sklavin zu behandeln. Aber hatte ich Divico nicht erzählt, sie sei meine Frau? Deshalb wurde ihr auch der Schlafplatz neben mir zugeteilt, so daß ich zum Einschlafen ihre Füße an meinem Kopf hatte. Basilus wiederum hatte meine Füße an seinem Kopf. Kelten schlafen nicht nebeneinander, sondern entlang der mit Fell bedeckten Erdpodeste an den Wänden. In den frühen Morgenstunden drehte sich Wanda schließlich um, so daß wir Kopf an Kopf schliefen. Sie fragte, ob ich schon wach sei. Sie fragte derart häufig, daß ich schließlich mit einem ärgerlichen »Nein« antwortete.

»Bist du wütend, Herr, weil ich jetzt deine Frau bin?« kicherte sie leise. Offenbar hatte sie mit Divicos Töchtern einen vergnügten Tag verbracht. »Herr, wenn du im heroischen Zweikampf einen germanischen Fürsten besiegen kannst, kann ich doch wohl deine Frau sein?« Sie kicherte wieder.

»Was willst du damit sagen?« fauchte ich. »Daß beides erstunken und erlogen ist?«

»Nein, Herr«, log Wanda. »Es tut mir leid, wenn ich dich gekränkt habe. Verzeih mir.«

»Noch dieses eine Mal. Aber das nächste Mal lasse ich dich auspeitschen und verkaufen.«

Sie schwieg. Ich nehme an, daß sie breit grinste. Denn wie wollte ein geschäftstüchtiger Mensch eine Sklavin verkaufen, die er kurz zuvor ausgepeitscht hatte? Auch Basilus lachte. Ich bin sicher, daß er kein Auge zumachte, solange noch irgend jemand irgend etwas erzählte. Er war süchtig nach Geschichten. Genau wie ich.

Am nächsten Morgen saßen wir mit Divico und seiner Familie bei Fladenbrot und frischer Ziegenmilch. Wie unter Kelten, die sich besonders schätzen, üblich, wollte mir Divico zum Abschied eine besondere Freude machen.

»Korisios, du solltest deiner Sklavin Wanda die Freiheit schenken. Als Adelige sieht sie viel besser aus.« Divicos Töchter und Enkelkinder lachten vergnügt, und es war mir peinlich, obwohl solche Lügen bei uns Kelten nichts Anrüchiges haben. Das ist unsere Art zu scherzen. Für Außenstehende wie Wanda war das schwer zu verstehen.

»Ich glaube«, begann ich zögerlich, ohne eigentlich zu wissen, worauf ich hinauswollte, »ich habe Wanda gestern zu meiner Frau gemacht, weil sie mir sonst jeder hätte abkaufen wollen.«

Wieder lachten alle vergnügt. Nur Basilus schien besorgt. Auch er hatte die Angewohnheit, alles bis zu seinem schlechtestmöglichen Ende zu denken. Wenn er den Kampf nicht so geliebt hätte, wäre er bestimmt Barde geworden.

Divico erwiderte schmunzelnd: »Das war sehr klug von dir, Korisios. Ich hätte dir bestimmt ein Angebot gemacht. Jetzt, wo ich das weiß, biete ich dir für Wanda ein Tauschgeschäft an.«

Er zeigte auf den römischen Sklaven, der uns gestern den Wein eingeschenkt hatte.

»Das ist Severus. Seinen Vater habe ich vor fünfzig Jahren an der Garumna unter dem Joch hindurchgetrieben. Severus ist zwar schon dreißig, aber stark, zäh und gesund, und obwohl er ein Römer ist, ist er nicht ganz dumm.«

Wieder lachten alle, bis auf Basilus. Ich bekam allmählich ein flaues Gefühl in der Magengegend. Denn obwohl Divico mich wegen meiner Lüge nicht tadeln konnte, hatte er nun das Recht, das Spiel auf die Spitze zu treiben. Das war ein gesellschaftliches Ritual, und war es einmal eröffnet, mußte es mit Anstand und Würde zu Ende gebracht werden. Wanda spürte bereits, daß unsere Stunden als Ehepaar gezählt waren. Ich bedankte mich, wie es sich nun mal gehört, für Divicos Angebot.

»Dein Angebot ist sehr großzügig, Divico. Aber nur dem heldenhaften Bezwinger der römischen Legion an der Garumna gebührt es, seinen Haushalt mit einem lebendigen römischen Sklaven zu schmücken. Ich habe ihn genauso wenig verdient wie die römischen Feldzeichen, die über deinem Kopf hängen.«

Ich zeigte auf die römische Adlerstandarte. Das war das wichtigste Feldzeichen der Legion. Divico drehte sich um und betrachtete seine erbeuteten Feldzeichen.

Er machte dabei ein sehr ernstes Gesicht, während seine Frauen wieder vergnügt kicherten und Basilus über beide Ohren grinste.

»Du hast recht«, entgegnete Divico zerknirscht, »ein römischer Sklave gebührt einem Feldherrn, der eine römische Legion unter das Joch geschickt hat. Deshalb steht es dir frei zu wählen, was ich im Tausch für deine Sklavin geben darf.«

Damit hatte er mich natürlich wieder voll erwischt. Ich konnte ja schlecht behaupten, es gebe nichts in Divicos Haushalt, womit er eine germanische Sklavin eintauschen könne. Ich hätte jetzt Gold und Pferde verlangen können. Oder gar die Heirat mit einer Adligen. Was sollte ich tun? Divico unterdrückte ein Lachen und schmunzelte vergnügt vor sich hin, während alle Augen auf mich gerichtet waren. Besonders die von Wanda. Basilus saß mit zusammengepreßten Lippen da und wippte unruhig mit dem Fuß. Ich glaube, er mochte Wanda auch ein bißchen. Aber er machte sich vor allem Sorgen darüber, daß ich mein linkes Bein verlieren könnte!

»Danke, großer Divico«, entgegnete ich. »Die Wahl fällt mir außerordentlich schwer, denn alles, was der große Divico besitzt, ist es wert, gegen eine germanische Sklavin eingetauscht zu werden.« Divico nickte befriedigt und schaute zu Wanda hinüber. Sie schien richtig zornig. Doch ich war noch nicht zu Ende mit meiner Antwort: »Divico, selbst das Fell, auf dem du dich zum Schlafen niederlegst, wäre es wert, gegen meine germanische Sklavin eingetauscht zu werden. Doch meine Bewunderung für deine Taten ist derart groß, daß es mir die Götter nie verzeihen würden, wenn ich dir eine Sklavin überließe, die meist übelgelaunt ist, nie lacht, abscheulich kocht und nachts Geräusche von sich gibt, die an schlecht geölte Scharniere erinnern. Ihr dauernder Anblick würde deine Sinne verwirren, deine Stimmung trüben und dir viel Ärger bereiten. Meine Sklavin haben mir die Götter zur Strafe geschenkt, und es wäre unehrenhaft, wollte ich diese Strafe auf dich abschieben.« Ich versuchte richtig deprimiert zu wirken, während Wandas stumme Mimik meine Warnungen deutlich unterstrichen.

Niemand lachte. Alle schauten nun Divico an. Ohne große Begeisterung setzte er nun zu einer Erwiderung an: »Ich danke dir, Korisios, daß du einen alten Mann mit solcher Unbill verschonst. Du hast damit wirkliche Größe bewiesen.«

Wanda senkte den Kopf, und das blonde Haar, das sie an diesem Morgen noch offen trug, verdeckte ihr Gesicht. Divico und ich nickten uns kurz zu. Wir hatten das Ritual beendet. Es mag sich für Außenstehende wie ein frivoles Gesellschaftsspiel anhören, doch es ist ein Spiel mit unbarmherziger Konsequenz. Auch wenn die ganze Bauchpinselei erstunken und erlogen ist, darf man keine plausible Antwort schuldig bleiben, wenn man seine Sklavin nicht verlieren will.

Am nächsten Tag verabschiedete ich mich von Basilus. Er wollte mit den Kriegern reiten. Er war überzeugt, daß sie gegen römische Legionäre kämpfen würden. Den Kopf eines römischen Centurios an seinem Zaumzeug baumeln zu sehen war für ihn ein noch grandioserer Anblick als Massilia und Rom zusammen. Basilus war Krieger.

»Korisios«, rief er mir nach, als ich mit Wanda und dem Druiden Verucloetius das Tor Richtung Süden passierte, »Korisios, werden wir uns wiedersehen?«

»Ja, Basilus«, schrie ich zurück, »wir werden uns wiedersehen!«

Basilus stieß einen Jauchzer aus und reckte die Faust gegen den Himmel.

Das Wetter war gut, hier und da sah man sogar einige Sonnenstrahlen. Die Wege wurden wieder trockener und fester. Verucloetius und ich ritten nebeneinander. Er erzählte mir viel über die Heilkraft der einzelnen Pflanzen. Er hatte die Fähigkeit, komplizierte Dinge mit einfachsten Worten zu erklären. Ich mochte seine Art zu sprechen. Sicher, er hatte nicht den warmen und väterlichen Umgangston von Santonix. Santonix hatte mich schließlich von Geburt an gekannt und mich wie einen eigenen Sohn durch all die Jahre begleitet. Verucloetius hingegen betrachtete mich als Erwachsenen. Wenn er den Eindruck hatte, ich hätte genug gehört, ritt er voran, um ungestört seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Ich ließ mich dann etwas zurückfallen und ritt Seite an Seite mit Wanda. Sie wiederum erzählte mir in germanischer Sprache mehr über die Götter und Bräuche ihres Volkes. Der alte Santonix hatte schon recht gehabt: Je mehr man weiß, desto interessanter ist es, sich weiteres Wissen anzueignen, weil man jede Einzelheit in immer vielschichtigere Zusammenhänge einfügen kann. Ich war süchtig nach Wissen und stolz, es wiedergeben zu können. Mein Onkel Celtillus hatte mich nicht umsonst die lebende Bibliothek Alexandrias genannt. Und in der Bibliothek Alexandrias war immerhin das gesamte Wissen der Menschheit gesammelt. Ich hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis und konnte Dinge, die ich einmal gesehen, gehört oder gelesen hatte, für immer speichern. Das ist bei allen Druiden so. Es ist dieses stupide Auswendiglernen von Tausenden von Versen, die uns zu wahren Gedächtniskünstlern macht. Wenn sich jemand sechstausend Verse merken kann, kann er sich auch sechzigtausend Verse merken. Es ist wie ein Muskel, den man trainiert. Aber auch Wanda brachte mir viel bei. Leider sprachen wir nie über sie. Auch nicht über uns. Es schien mir, als würde sie ganz bewußt darauf achten, keine Gefühle zu zeigen. Nur einmal, da bedankte sie sich aus heiterem Himmel dafür, daß ich sie bei Divico nicht getauscht hatte. Ich werde den Blick, den sie mir dabei zuwarf, wohl nie vergessen. Mein Gesicht war plötzlich so heiß, als hätte ich Glühwein getrunken. Selbstverständlich habe ich sie barsch zurechtgewiesen. Eine Frau kann sich bei ihrem Ehemann bedanken, aber doch nicht eine Sklavin bei ihrem Herrn. So was ist eine absolute Frechheit! Ich wollte sie gerade beschimpfen, als ich ihre lachenden Augen in ihrem strahlenden Gesicht sah. Dabei hätte ich geschworen, daß ich sehr ernst und ärgerlich dreinblickte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als meinem Pferd die Fersen in die Flanken zu drücken und die Flucht zu ergreifen. Ich gesellte mich wieder zu Verucloetius. Er lächelte, als er mein Gesicht sah.

Unterwegs trafen wir etliche Pioniertrupps, die Divico ausgeschickt hatte, um Wege und Brücken instand zu setzen. Einzelne Dörfer waren bereits niedergebrannt und aufgegeben worden. Auf den Straßen sammelten sich immer mehr Menschen, Karren und Tiere, die südwärts zogen. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Für Kelten sind Völkerwanderungen genauso natürlich wie Seelenwanderungen. Wir empfinden es nicht als Verlust, unsere Heimat aufzugeben, so wie wir auch den Tod nicht als Verlust, sondern lediglich als Neubeginn betrachten. Unsere Häuser sind deshalb nie für die Ewigkeit gebaut.

Die Planung dieses Marsches war eine Meisterleistung. Divico hatte nichts dem Zufall überlassen. In regelmäßigen Abständen begegneten wir bewaffneten Truppen, die mit Kriegsmaterial und Zelten beladene Ochsenkarren begleiteten. Obwohl jeder sein persönliches Hab und Gut mitführte, hatte Divico auf seine Kosten auch Überschüsse aller Art mitführen lassen, denn der eine oder andere würde unterwegs vielleicht seine ganze Habe verlieren, und Divico wollte nicht, daß auch nur ein einziger Kelte auf den Gedanken kam, zu plündern. Deshalb ließ er zusätzliche Nahrungsmittel mitführen. Je näher wir unserem Etappenziel kamen, desto größer wurden die Kolonnen, die sich bereits gebildet hatten. Es war eine schier unüberschaubare Zahl an Wagen, Menschen und Tieren. Gemeinsam bildeten sie bereits eine Schlange von schätzungsweise dreißig römischen Meilen. Die Menschen waren ruhig und heiter, als würden sie bloß mal kurz ins nächste Dorf gehen.

Unterwegs redete ich viel mit Wanda. Über die Heilkunst der Germanen, über ihre Götter und die Gestirne. Doch Wanda selbst blieb mir ein Rätsel. Woher kam sie? Ich wußte es nicht. Manchmal schien es mir so, als sei ihre wahre Identität das letzte Stückchen Intimität, das sie sich bewahren wollte. Es war eine Frage der Würde. Ich weiß, man soll das achten. Auch bei einer Sklavin. Doch als ich einmal, aufgrund einer falschen Aussprache, eine ziemlich obszöne Behauptung aufstellte, schenkte mir Wanda erneut dieses wunderschöne Lachen, das mich jedes Mal von neuem verzauberte. Ich packte die Gelegenheit beim Schopf: »Mein Onkel hat dich auf dem Markt des raurikischen Oppidums am Knie des Rhenus eingekauft. Aber woher kommst du eigentlich. Von welchem Stamm?«

Wandas Lippen wurden schmäler. Sie schaute mich etwas abschätzig, ja fast mitleidig an, und ich vermißte jene Wärme in ihren Augen, die mir so oft die Hitze in den Kopf steigen ließ.

»Ich bin deine Sklavin, Herr«, sagte Wanda kühl. Offenbar erwartete sie, daß ich ihr die Freiheit schenkte, bevor sie mir ihre Geheimnisse preisgab. Ich weiß es nicht. Ich war wütend und verärgert. Auf mich. »Hast du eigentlich schon vergessen, daß ich dir das Leben gerettet habe?«

Wanda schaute geradeaus. »In Divicos Langhaus? Ich wußte gar nicht, daß keltische Fürsten zum Frühstück junge Germaninnen verspeisen.«

»Wärst du denn lieber die Sklavin von Divico geworden?« Jetzt war ich auch wütend auf Wanda. Ich konnte meinen Ärger nicht mal lauthals hinausschreien, weil der Druide Verucloetius, der zwei Pferdelängen vor uns herritt, spitzere Ohren hatte als eine Meute Jagdhunde.

»Divicos Töchter und Enkelinnen waren sehr nett zu mir, ich habe vorzüglich gespeist und wunderbar geschlafen.«

»Jaja«, stänkerte ich, »sie hielten dich ja auch für meine Frau. Aber als Sklavin …«

»Ich bin nicht als Sklavin geboren, Herr. Fürst Divico hat gleich erkannt, daß ich nicht gewöhnlicher Abstammung bin. Deshalb wollte er mich.«

»Oh«, spottete ich, »du bist wohl eine Fürstentochter.«

»Ich bin deine Sklavin und werde deshalb weiterhin das jämmerliche Blöken eines weidwunden Schafbockes erdulden.«

»Dafür werde ich dich in Genava auspeitschen lassen«, zischte ich und stieß meinem Pferd die Fersen in die Seite.

Verucloetius hatte bestimmt jedes Wort mitgehört. Er lächelte. »Manches Geschenk entpuppt sich als Last, während manches Unglück sich im nachhinein als Glück erweist.«

Das war wieder mal typisch Druide. Das konnte nämlich alles bedeuten. Es konnte bedeuten, daß sich die von Onkel Celtillus geerbte Sklavin als Last erweisen würde, es konnte aber auch bedeuten, daß das Unglück ›Wanda‹ sich später mal als glückliche Fügung entpuppen würde.

»Verucloetius«, fragte ich ungeduldig, »wie gehen die Germanen eigentlich mit ihren Frauen um?«

Verucloetius schmunzelte. »Ihre Frauen haben den Status von Sklavinnen. Während sich der Mann mit zahlreichen Frauen vergnügen darf, ist es einer Germanin unter Androhung der Todesstrafe verboten, das gleiche zu tun. Wenn ein Germane Geld braucht, kann er seine Frauen auf dem Sklavenmarkt verkaufen.«

Ich war einigermaßen überrascht. Wer weiß, vielleicht war Wanda deswegen verkauft worden? Das würde einiges erklären. Ich ließ mich wieder etwas zurückfallen, bis ich auf gleicher Höhe mit ihr war, und fragte sie, ob die Germanen aus Liebe heiraten.

Wanda schwieg. Sie hatte mittlerweile den Charme eines carthagischen Silberbarrens. Nach einer Weile sagte sie trocken: »Natürlich heiraten die Germanen aus Liebe, Herr. Die Eltern suchen den Ehepartner aus, dann feilschen die Eltern um den Preis, und nicht selten sehen sich die Brautleute am Hochzeitstag zum ersten Mal. Es ist Liebe auf den ersten Blick.«

»Und das laßt ihr euch gefallen?«

»Ja, Herr. So wie du deine Behinderung nicht als Behinderung empfindest, weil du seit Geburt nichts anderes kennst, so empfindet eine germanische Frau diesen Brauch nicht als schlecht, weil sie ja nichts anderes kennt.«

»Aber du, Wanda, du weißt doch jetzt, daß es auch anders geht.«

»Ja, Herr, aber jetzt bin ich eine Sklavin. Ich habe möglicherweise nicht mehr Rechte als vorher, nur weiß ich jetzt, daß es auch andere, bessere Bräuche gibt. Das ist wohl die größere Strafe.«

»Du meinst, auch eure Götter haben Humor?«

Wanda antwortete nicht. Sie schaute gelangweilt nach vorne und nahm ihr Pferd etwas zurück.

Vor uns stauten sich die Karren. An einem Wagen war die Achse gebrochen. Wir verließen den Troß und ritten zum Wald hinauf. Hier führte ein schmaler Fußweg parallel zum unter uns liegenden Trampelpfad Richtung Süden. Als wir alle drei am Waldrand standen, sahen wir auf den riesigen Wagentroß hinunter, der sich zwischen den brachliegenden Feldern hindurchschlängelte.

Verucloetius warf mir einen kurzen Blick zu. Ich gab Wanda zu verstehen, daß sie hier warten solle. Verucloetius zog seine Kapuze hoch und ritt langsam in den Wald. Zweige und hochgewachsene Büsche schlugen ihm ins Gesicht. Nach einer Weile stieg er vom Pferd und band es an einen Ast. Ich folgte seinem Beispiel. Vor uns lag eine kleine Lichtung, die zur Rechten von einem Felsen begrenzt war. Fast ehrfürchtig folgte ich Verucloetius über die Lichtung. Plötzlich fühlte ich mich heiter. Ich mußte an Onkel Celtillus denken. Es war mir, als würde er mich in diesem Augenblick begleiten. Ich spürte ganz deutlich, daß es ihm gutging. Ich glaube, er lachte über Wanda und mich.

Verucloetius blieb unvermittelt stehen, und ich sah, daß sich hinter wildem Gestrüpp der Eingang einer Höhle verbarg. Verucloetius teilte behutsam die Zweige, die den Zugang zur Höhle schützten. Er ließ die Zweige, die er zur Seite bog, nicht einfach zurückschnellen, nein, er wartete, bis ich den Zweig ergriff und ihm folgte. Selbst in den Zweigen wohnt der Geist der Götter. Es schien mir plötzlich, als hörte ich ein Summen und Plätschern, ich dachte an irgendwelche Stimmen, doch es war das Sprudeln einer Quelle, die neben dem Höhleneingang entsprang und in einen Bach mündete. Aus dem Wasser ragten unförmige, kunstlos geschnitzte Statuen, die in morschen Baumstümpfen steckten. Das Holz war vermodert und blaß. Dieser Ort gehörte den Göttern.

Ich nahm den goldenen Torques unseres Dorfältesten Postulus aus meinem großen Lederbeutel und opferte ihn dort, wo sich das Quellwasser plätschernd mit dem Bach vereinte. Ich spürte wieder die Wärme von Onkel Celtillus, ja, ich hatte sogar diesen penetranten Geruch von Knoblauch und unverdünntem römischem Wein wieder in der Nase. Wir hatten die Anderswelt betreten. Im Gegensatz zu anderen Völkern trennen wir die Welt der Lebenden nicht von der Welt der Toten. Es sind Parallelwelten, die an heiligen Orten fließend ineinander übergehen. Höhlen, Seen und schwarze Quellen dienen als Eingang, aber oft genügt ein Wind, ein Nebel oder der nächtliche Schrei einer Eule, um zu sehen, was dem gewöhnlichen Menschen ein Leben lang verborgen bleibt.

Wir rasteten in einem niedergebrannten Gehöft, das die Bewohner bereits verlassen hatten. Verwilderte Hunde streunten um eine Feuerstelle herum, in der offenbar noch Eßbares schmorte. Ich setzte mich mit Lucia auf einen umgestürzten Pfosten, den die Flammen verschont hatten, und vertrieb mir die Zeit mit der Schleuder. Obwohl ich nicht die weichen, rhythmischen Bewegungen anderer Leute habe, hatte ich es mittlerweile zu einer hohen Zielsicherheit gebracht. Ich traf einen Ast auf hundertfünfzig Pes Entfernung. In der Regel. Irgendwie hatte ich es im Gefühl und war ziemlich stolz, als ich den einen Hund in den Hintern traf. Jaulend rannte er davon und riß gleich das ganze Rudel mit. Mit Pfeil und Bogen konnte ich wesentlich besser umgehen, aber selten bot sich mir die Möglichkeit, mich an beweglichen Zielen zu versuchen.

Seit ich mit Verucloetius den Wald mit der heiligen Quelle betreten hatte, hatten wir nicht mehr miteinander gesprochen. Ich spürte aber verstärkt seine Nähe und glaubte hier und da seine Gedanken zu lesen. Möglicherweise hatte er mich prüfen wollen. Er wollte wissen, ob die Götter mich annahmen und mit mir und zu mir sprachen. Mit der Opferung des goldenen Torques hatte ich bewiesen, daß ich die Stimmen der Götter vernommen hatte. Um Druide zu werden genügte es nicht, die heiligen Verse zu kennen. Es waren die Götter, die sich für einen entscheiden mußten. Denn es lag an ihnen, ob sie durch meine Stimme das Schicksal meines Stammes leiten, ob sie durch meine Hände heilen und ob sie meine Augen für die Geheimnisse des Universums öffnen wollen. Instinktiv griff ich nach dem Amulett, das mir Onkel Celtillus geschenkt hatte. Ich empfand wieder das gleiche Glücksgefühl wie an der heiligen Quelle.

Schweigend ritten wir zurück. Wanda hatte uns schon erwartet. Sie reichte mir ein paar Felle für die Nacht. Sie schaute mich nicht an. Ich ergriff ihre Hand, während die andere das Amulett von Onkel Celtillus berührte. Ich wußte, daß sie jetzt Onkel Celtillus spürte. Sie schien überrascht, ja heiter, und lächelte mich an. »Du bist ein Druide«, sagte sie erstaunt, mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Angst.

Am nächsten Tag führte mich Verucloetius erneut in einen heiligen Wald, der an ein Sumpfgebiet grenzte. Er zeigte mir ein paar jener Pflanzen, über deren Wirkung er mir bereits einiges erzählt hatte.

»Das hier ist die Sumpfpflanze Samolus. Derjenige, der sie pflückt, darf nicht zurückschauen; er muß die Pflanze dort aufbewahren, wo man die Getränke lagert. Vor allem aber muß er den göttlichen Akt mit der linken Hand ausführen.«

Sorgfältig legte er die Pflanze in ein weißes Tuch und führte mich weiter. An einem kleinen Bach setzte er sich hin und wusch sich die Füße. Darauf warf er Brotstückchen ins Bachbett und goß Wein aus einem kleinen Lederschlauch ins Wasser. Er opferte den Wassergöttern. Er nahm seine Sandalen in die Hand und sagte, daß wir nach diesen Weiheopfern nun die Selago pflücken dürften. Es war schon erstaunlich, mit welcher Zielstrebigkeit er die einzelnen Pflanzen aufstöberte. Die Selago fand er inmitten eines verwilderten Himbeerbusches.

»Um die Selago zu pflücken, darf man ebenfalls keine eiserne Klinge benutzen. Man muß mit der rechten Hand links unter das Gewand greifen, als ob man etwas stehlen wolle. Außerdem muß man weiß gekleidet sein, mit gewaschenen Füßen barfuß gehen und zuvor ein Brot- und Weinopfer dargebracht haben.«

Mit seiner goldenen Sichel, dem Symbol der goldenen Sonne und des sichelförmigen Mondes, schnitt er eine Selago ab. Das war eine Pflanze, die andere Völker im Volksmund ›Bärlapp‹ nennen.

»Die Selago«, sagte Verucloetius, und seine Stimme hatte etwas Melodiöses, Enthusiastisches, »die Selago ist die Pflanze der dunklen, geheimnisvollen Kräfte. Damit diese Kräfte beim Pflücken erhalten bleiben, muß der Druide mit nackten Füßen auf der Erde stehen. Während die rechte Seite stets die Seite des Lichts ist, bleibt die linke Seite stets die Seite der Mysterien und Schattenwelten. Die Selago kochst du in heißem Wasser. Aber denke daran: Das Wasser muß kalt und frisch sein, wenn du die Selago hineintust. Du darfst sie nie in kochendes Wasser legen!«

Ich nickte und fragte, welche Wirkung die Selago denn hätte.

Verucloetius lächelte still vor sich hin. Nach einer Weile sagte er: »Die Selago kann heilen und töten. Wenn die Götter dich auserwählt haben, um durch deine Hände zu sprechen, wird der Sud, den du zubereitest, heilen oder töten.«

Verucloetius legte auch die Selago in ein weißes Tuch und schnürte dann seine Sandalen.

»Ich zeige dir jetzt, wo man das Eisenkraut findet. Es lindert Schmerzen. Es läßt dich alles vergessen, was ist. Deshalb nutzen wir es auch für Weissagungen. Aber sei vorsichtig, Korisios! Denn nutzt du das Eisenkraut zu oft, wirst du für spätere Weissagungen immer mehr davon brauchen. Das Eisenkraut ist mächtig. Sehr mächtig! Es hat schon manchen Druiden zum Sklaven gemacht.«

Wir gingen weiter durch den Wald. Der Druide pflückte das Eisenkraut, das er ebenfalls in ein weißes Tuch wickelte. Er zeigte mir die Bäume, wie ich sie bisher noch nie gesehen hatte. Er zeigte mir die Wurzeln, die Rinde, die Äste und Blätter und erzählte, zu welcher Jahreszeit und zu welcher Tages- oder Nachtzeit es erlaubt war, welche Handlungen vorzunehmen. Und was man bei Vollmond besonders beachten mußte. Darauf summte er die heiligen Verse über die Schlacht der Bäume und Sträucher, einst stolze Krieger, die zu ihrem eigenen Schutz in Bäume und Sträucher verwandelt worden waren. Jetzt begriff ich auch, wieso ich manchmal, wenn ich alleine im Wald war, das unbestimmte Gefühl hatte, inmitten von Tausenden von Menschen zu stehen, die mich stumm beobachteten. Ich hatte den Eindruck, in ein weiteres Geheimnis eingeweiht worden zu sein. Jetzt verstand ich auch besser, wieso das Wort Druide eine Zusammensetzung aus ›Wald‹ und ›Wissen‹ war. Unser gesamtes Wissen war in den Wäldern.

Wanda hatten wir in dem abgebrannten Gehöft zurückgelassen. Bei unserer Ankunft sah Verucloetius wohl, wie meine Augen Wandas Körper beim Wiedersehen liebkosten. Er schloß für einen Augenblick die Augen und teilte mir dann mit, daß es für mich noch zu früh sei, ins heilige Druidenzentrum auf der Insel Mona zu gehen. Noch sei mein Durst nach irdischen Dingen groß und ungestillt. Ich würde ein besserer Druide werden, wenn ich mich zuvor noch in der Welt umsehen würde. Es sei für mich noch zu früh, dem Irdischen, das mich derart faszinierte, den Rücken zu kehren.

»Ich sehe, daß die Götter in dir wohnen, Korisios, ich bin auch überzeugt, daß die Götter mit dir etwas Besonderes vorhaben, aber vergib mir, wenn ich dir heute nicht sagen kann, was es ist. Ich sehe so vieles in deinen Augen. Ich sehe den Seher und Heiler, ich sehe aber auch den feurigen Liebhaber und Genießer. Ich sehe, daß sich die Götter noch nicht einig sind.«

Er legte seine Hand auf meinen Kopf und schloß die Augen. Dann reichte er mir die drei kleinen weißen Tücher mit den Kräutern und ermahnte mich, sorgfältig mit meinem Wissen, so klein und bescheiden es auch noch sein mochte, umzugehen.

»Bedenke stets, Korisios, daß man die Geister, die man ruft, so schnell nicht wieder los wird.«

Er zögerte kurz, aber schließlich überreichte er mir einen kleinen Lederbeutel. »Das ist die Nieswurz, Korisios, damit kannst du den Helleborus brauen. Tunkst du einen Pfeil in den Helleborus, wird das größte Tier zusammenbrechen, auch wenn du nur den Fuß triffst. Der Helleborus ist ein Toxicum. Es tötet jede Krankheit. Aber in 99 von 100 Fällen auch den Menschen.«

Verucloetius faßte lächelnd meine Hände. »Die großen Prüfungen stehen dir noch bevor, Korisios. Noch bist du niemandes Druide! Geh sorgfältig mit deinem Wissen um. Die Götter haben dich erkannt. Von jetzt an genießt du ihre besondere Aufmerksamkeit.«

Als wir in der Ferne den Lemannus-See in der Sonne glitzern sahen, verabschiedete sich Verucloetius von uns. Er wollte alle keltischen Stammesfürsten ermahnen, Rom keinen Vorwand für eine militärische Auseinandersetzung zu liefern. Es war eine schwierige Aufgabe, denn kein Stammesfürst akzeptierte die Einmischung eines anderen Kelten. Aber Verucloetius war Druide. Er mußte es wenigstens versuchen.

Wanda und ich verbrachten die nächsten Tage allein in den Wäldern. Ich suchte Pflanzen und Kräuter, opferte den Göttern und versuchte zu hören, was sie mir zu sagen hatten. Sollte ich nun Druide werden oder ein Mann des Handels? Sollte ich mit den Helvetiern an den Atlanticus ziehen oder nach Massilia? Ich brauchte die Hilfe der Götter dringend. Onkel Celtillus hatte mir vieles beigebracht. Aber er hatte mir nie beigebracht, eigene Entscheidungen zu treffen.