»Danke. Stell dir vor, wenn Ursulus zum Lagerpräfekten befördert wird, hab ich Aussichten, zum ersten Centurio befördert zu werden.«
»Oh, das muß dich ja ein Vermögen gekostet haben«, scherzte Niger Fabius.
»Willst du meine Tapferkeit in Abrede stellen, Araber?« fauchte Silvanus ungewohnt heftig.
»Nein, tapferster Silvanus«, lachte Niger Fabius, »nur deine Finanzkraft. Die fünf Silberdenare, die du meinem jungen Freund abgeknöpft hast, werden dafür wohl nicht reichen.«
»Gibst du mir einen Kredit?« bat Silvanus plötzlich sehr ernst.
»Nein«, sagte Niger Fabius streng, »von mir kriegt kein Römer in Gallien einen Kredit. Das Land ist mir zu unruhig.«
»Hör mir gut zu, Araber: Der scheidende Praefectus castrorum möchte Cäsar ein Pferd schenken. Weil er ihm in Rom eine lukrative Pacht zugeschanzt hat.«
»Ich dachte, Cäsar macht sich mehr aus Frauen als aus Pferden«, sagte Niger Fabius.
»Die Frauen nimmt er sich einfach. Aber die Pferde muß er kaufen.«
»Tut mir leid, Silvanus, ich habe keine Pferde zu verkaufen«, entgegnete Niger Fabius freundlich.
»Und die beiden da draußen? Ich biete dir achthundert Silberdenare für beide Tiere.« Silvanus war leicht gereizt, weil er ahnte, daß Niger Fabius nicht verkaufen würde.
»Ich verstehe durchaus den Ehrgeiz des scheidenden Lagerpräfekten, Gaius Julius Cäsar mit seiner Tüchtigkeit zu beeindrucken. Aber falls er dich beauftragt hat, für achthundert Denare ein Pferd zu kaufen, hat er wohl ein Maultier oder einen Esel gemeint.«
»Neuntausend Denare für beide«, gab Silvanus knapp zurück und ignorierte Niger Fabius' Ironie, die für andere Römer eine folgenschwere Beleidigung gewesen wäre. Neuntausend Denare, das waren immerhin zwei Jahreslöhne eines Primipilus.
»Silvanus, kennst du den Frachttarif pro Lagerscheffel von Alexandria nach Rom? Sechzehn Denare. Ein Pferd entspricht ungefähr eintausendachthundert Lagerscheffeln. Das wären also achtundzwanzigtausendachthundert Denare für einen unterernährten, seekranken, lahmen Gaul. Aber meine Pferde sind die schnellsten rund ums Mittelmeer. In Rom kriegen die Sieger mittlerweile zwölftausendfünfhundert Silberdenare für ein einziges Rennen.«
»Du wirst doch nicht vierzigtausend Silberdenare für ein Pferd verlangen!« entrüstete sich Silvanus.
Niger Fabius lächelte. Mit heller, melodiöser Stimme rief er plötzlich: »Luuuuna!«
Wenig später steckte die Schimmelstute ihren muskulösen Kopf, der majestätisch auf dem breiten Hals des reinrassigen Araberpferdes ruhte, in das Zelt.
»Soll ich dich verkaufen, Luna?« fragte Niger Fabius.
Luna wieherte und schüttelte den Kopf, wobei ihr sauber gekämmter Schweif Silvanus ins Gesicht fuhr.
»Komm zu mir, Luna.«
Luna kam ins Zelt und stellte sich hinter Niger Fabius. Lucia kam zu mir rüber und setzte sich zu meiner Linken. Offenbar war ihr der neue Gast nicht geheuer.
»Hast du Hunger, Luna?«
Die Stute hob die Nüstern und schnappte mit den Lippen nach dem im schwarzen Haar versteckten linken Ohr. Niger Fabius nahm eine Dattel, steckte sie kurz in den Mund und reichte sie dann Luna, die sie dankbar entgegennahm. Sie schmatzte und zeigte dabei ihre riesengroßen Zähne. Es schien so, als würde sie lachen.
»Geh jetzt wieder, Luna.«
Gehorsam und elegant stolzierte die Araberstute zum Zelt hinaus.
»Seht ihr?« sagte Niger Fabius mit Stolz in der Stimme. »Jedes Tier ist so, wie man es behandelt.« Dann wandte er sich an Silvanus. »Für euch Römer sind alle Tiere Nutztiere, selbst die schönsten Exemplare laßt ihr in der Arena abschlachten. Ich habe gehört, daß Cäsar als Aedil zu Ehren Iupiters Tierhetzen veranstaltet haben soll, die fünfzehn Tage und Nächte gedauert haben.«
Silvanus winkte ab. »Gerüchte haben Flügel, aber oft sind sie falsch. Cäsar hat dreihundertzwanzig Gladiatorenpaare in silbernen Rüstungen antreten lassen. Wir hatten Angst, er plane einen Umsturz. Deshalb sind Cäsars Spiele bei den Patriziern ins Gerede gekommen. Aber das römische Volk rechnet es ihm hoch an, daß er sich als Aedil so hoch verschuldet hat, um dem Volk Brot und Spiele zu bieten, die alles Bisherige in den Schatten gestellt haben.«
»Jaja«, murmelte Niger Fabius, »Cäsar und seine ewigen Schulden … Vor vier Jahren soll er der höchstverschuldete Mann Roms gewesen sein …«
»Was gehen dich Cäsars Schulden an!« schrie Silvanus ungeduldig.
»Wenn ein krankhaft ehrgeiziger Mensch enorme Schulden hat, kann er der ganzen Menschheit gefährlich werden.«
»Niger Fabius! Noch ein Wort gegen den Prokonsul, und ich laß dich in den Lagerlatrinen ersäufen. Ich biete dir fünfzigtausend Silberdenare für beide Pferde. Du kannst stolz sein, daß Cäsar deine Pferde reiten wird.«
»Du meinst, ich werde meinen Kindern eines Tages erzählen können, daß Roms größter Bankrotteur meine Pferde gekauft hat? – Nein, sonst wird Cäsar behaupten, er habe Gallien ausplündern müssen, um meine beiden Pferde bezahlen zu können. Ich weiß, daß Cäsars Zunge gefürchteter ist als sein Schwert.«
Silvanus' Miene verfinsterte sich. »Ich habe nicht viel Zeit, Niger Fabius. Wenn du sie dem Lagerpräfekten nicht verkaufen willst, dann verkaufe sie wenigstens mir, oder nenne mir die Gründe für dein Verhalten!«
»Das will ich gerne«, sage Niger Fabius ernst, »denn Luna liegt mir mehr am Herzen als manche junge Frau in meinem Frauengemach. Ich liebe Luna wie meine eigene Tochter. Deshalb würde ich sie nie einem zweibeinigen Menschen verkaufen. Denn Menschen halten Tiere für dumm. Weil sie keine Tempel und Straßen bauen? Tiere brauchen weder Tempel noch Straßen.«
»Aber wir Römer lieben die Tiere. Würden wir ihnen sonst Grabsteine meißeln lassen und Trauerverse in Auftrag geben?« Gereizt griff er nach dem Weinbecher, den ihm ein Sklave reichte, und stürzte den Wein hinunter. »Bist du eigentlich Händler oder Philosoph?« blaffte Silvanus.
Niger Fabius erhob sich, und das Leuchten in seinen Augen erlosch. »Silvanus. Der keltische Druide Korisios ist mein Freund. Dein Feldherr Gaius Julius Cäsar bereitet die Vernichtung seines Volkes vor. Ich werde es nicht verhindern können. Aber er soll es nicht auf dem Rücken eines meiner Pferde tun.«
»Achtzigtausend Silberdenare, das ist mein letztes Wort.«
Niger Fabius lächelte. »Ich weiß, daß in Rom alles käuflich ist. Aber ich habe dir meine Antwort gegeben. Sie ist endgültig und unwiderruflich.«
»Die Antwort eines Arabers ist nie unwiderruflich. Ihr ändert doch zu jeder vollen Stunde eure Meinungen und Bündnisse! Euer Charakter ist so standhaft wie eine Fahne im Wind.«
»Du beleidigst mein Volk, Römer«, erwiderte Niger Fabius ruhig.
»Du hast komische Prinzipien«, ereiferte sich Silvanus. »Die Pferde willst du nicht verkaufen, aber Reis, Perlen, Kräuter, das alles verkaufst du uns ohne jeden Skrupel …«
»Ich habe zu einem Reiskorn nicht die gleiche Beziehung wie zu Luna. Ich weiß nicht, ob dir das aufgefallen ist, Römer?«
Silvanus stürzte den nächsten Becher Wein hinunter und drohte, während seine rechte Hand blitzschnell den Knauf seines Dolches umfaßte: »Wenn du mir die Pferde nicht verkaufst, werde ich dafür sorgen, daß kein römischer Legionär mehr bei dir einkauft!«
»Verbote haben schon immer das Geschäft belebt. Ich wäre dir deshalb für eine solche Geste sehr dankbar. Was Rom verbietet, Silvanus, verbreitet sich garantiert übers ganze Mittelmeer. Und im übrigen kenne ich keinen römischen Legionär, der eine Portion Reis mit Safran abschlagen würde. Darf ich dir etwas davon zum Mitnehmen anbieten?«
Silvanus stand da, als hätte man ihn im Stehen bewußtlos geschlagen.
»Von mir aus«, zischte er. »Und gib mir noch ein paar Jerichodatteln mit.«
Niger Fabius beauftragte den Sklaven, der stumm als Mundschenk neben dem Ausgang stand, Silvanus' Wunsch zu erfüllen. Mit einem brummigen »Válete semper« verabschiedete sich Silvanus von Niger Fabius und riet mir, mich morgen pünktlich zur vierten Tagesstunde vor dem Praetorium einzufinden. Er zog eine kleine, versiegelte Wachstafel unter seinem Gurt hervor und warf sie mir zu. »Dein Passierschein, Druide.«
Dann verließ er das Zelt. Nach einer Weile sagte ich: »Am liebsten hätte er dich umgebracht. Statt dessen nimmt er Geschenke von dir an. Wie kann man sich bloß so erniedrigen?«
Niger Fabius lächelte. »Das ist ein ganz normales Geschäft. Jemanden, der einen beschenkt, bringt man nicht um. Und wenn niemand mehr bei mir einkauft, ziehe ich weiter. Ich glaube nicht, daß Silvanus das recht wäre.«
Wir lachten, denn so hatten Wanda und ich die Angelegenheit noch nie betrachtet.
»Gibt es bei euch eine Schule, in der man diese Art der Gesprächsführung lernt?« fragte ich.
»Nein«, lachte Niger Fabius, »es ist das Leben, das dich lehrt, welche Art der Gesprächsführung am einträglichsten ist. Ich habe bereits als kleiner Junge meinen Vater auf seinen Reisen begleitet. Er war Sklave, aber sein Herr vertraute ihm. Und er hat mich gelehrt, wie man vermeidet, ein loderndes Feuer zu schüren, und wie man aus jeder Situation geschäftlichen Nutzen ziehen kann.«
»Das Geschenkangebot, das du Silvanus zum Abschluß gemacht hast, hätte dich bei einem Kelten den Kopf gekostet. Jeder Kelte hätte dies als Beleidigung empfunden.«
»Ein Kelte vielleicht, aber kein keltischer Händler. Die meisten Menschen sind käuflich und empfinden es nicht als Schande, ein Geschenk als Bestechung anzunehmen. Die Freude über das Geschenk ist größer als die Scham.«
Ich war beeindruckt. Bisher hatte ich Niger Fabius lediglich als herzensguten Orientalen kennengelernt. Aber die Berührung mit den Kulturen rund ums Mittelmeer hatte seinen Horizont erweitert und seinen Verstand geschärft.
»Sag mir, Niger Fabius, wieso gelten die Araber als schlüpfrige Fische?«
Niger Fabius lächelte breit. »Wenn du die Mentalität unseres Volkes verstehen willst, reicht es nicht, das Kamel mit dem Pferd zu vergleichen?« Niger Fabius wartete geduldig auf ein Zeichen, daß ich seinen Vergleich verstanden hatte, und fuhr dann fort: »Die Nomadenvölker in den arabischen Wüsten haben den Ruf, täglich ihre Meinungen und Bündnisse zu wechseln. Das mag für einen Griechen oder Römer den Anschein der Unzuverlässigkeit haben. Aber sie vergessen dabei, daß für einen Nomaden eine geäußerte Meinung nichts Endgültiges und auch ein Bündnis nicht für die Ewigkeit gedacht ist. Deshalb messen wir Meinungen und Bündnissen keine besondere Bedeutung bei, da beide Seiten wissen, daß sie jederzeit geändert werden können. Somit ist für uns die Änderung einer Meinung oder die Aufkündigung eines Bündnisses nichts Gravierendes. Andere Völker, die einem Bündnis eine beinahe sakrale Bedeutung geben, haben natürlich Mühe, mit uns Verträge zu schließen. Aber wie ich schon sagte, sie vergleichen Kamele mit Pferden.«
Niger Fabius bat die Sklaven, frisches Wasser zu bringen, damit wir uns vor dem abschließenden letzten Gang die Hände waschen konnten. Er erzählte noch viel über die wilden Reiterstämme im Osten, über die nomadisierenden Fürstenstämme in der arabischen Wüste, und allmählich begriffen Wanda und ich, daß Nomaden, die ihr Leben lang durch die Wüste ziehen, eine ganz andere Beziehung zum Endgültigen haben als ein Volk, das in Steinhäusern lebt und kaum Wechseln unterworfen ist. Niger Fabius war ein großartiger Erzähler, und es faszinierte mich, Vergleiche zwischen den einzelnen Kulturen und Mentalitäten anzustellen, herauszufinden, wie die verschiedenen Sitten entstehen und wieso sie manchmal derart gegensätzlich sind, daß die Menschen glauben, sie nur mit Gewalt überwinden zu können.
Wenig später besuchte ich Kretos, um die Sache mit den beiden Sklaven zu bereinigen. Es war sinnlos, die Geschichte noch länger vor mir herzuschieben. So löst man keine Probleme. Doch Kretos war nicht da. Es hieß, er sei unterwegs und würde erst in ein paar Tagen wieder zurückkommen. Als ich einen seiner Freigelassenen fragte, ob Kretos sehr wütend gewesen sei, grinste er anzüglich und wünschte mir viel Vergnügen für meine letzten Tage in Freiheit …
Als die keltische Delegation das andere Ufer erreichte, stellte sie fest, daß sich in den vergangenen acht Tagen eine ganze Menge verändert hatte. Das römische Ufer war mit einem Wall befestigt und gegen Norden durch Gräben abgesichert worden. Den Weg ins Heerlager säumten kampfbereite Legionäre mit blankgeputzten Rüstungen und Waffen. Es war kein triumphaler Empfang. Nirgends blies ein Cornu oder eine Tuba. Selbst die herrenlosen Hunde, die man in der Nähe von menschlichen Siedlungen immer irgendwo knurren oder bellen hörte, schienen verstummt. Diese Stille hatte etwas Gefährliches, Bedrohliches. Nur das gedämpfte Aufschlagen der Hufe auf der weichen Erde war zu hören.
Ich wartete hoch zu Roß vor dem Heerlager, gemeinsam mit den jungen Tribunen, Praefekten, Cäsars Prätorianergarde und Silvanus auf das Eintreffen der keltischen Delegation. Cäsar hatte verboten, die Delegation ins Lager zu lassen. Ich sollte die Abgesandten begrüßen und um Geduld bitten. Cäsar würde jeden Augenblick eintreffen.
Nammejus und Verucloetius nahmen Cäsars Beleidigung ohne Gefühlsregung zur Kenntnis. Stolz und furchtlos saßen sie aufrecht auf ihren reichgeschmückten Pferden. Als dicke graue Wolken die Sonne verdeckten und ein schneidend kalter Wind uns frösteln machte, erschien die graue Szenerie noch trostloser. Ich spürte den Blick des Druiden Verucloetius und schaute ihm offen in die Augen. Nach einer Weile sagte ich: »Druide, ich habe vor einigen Tagen …«
Doch Silvanus unterbrach mich: »Habe ich dir die Erlaubnis gegeben zu sprechen, Kelte?«
»Nein, Silvanus, aber ich möchte vom Druiden wissen, weshalb ich vor einigen Tagen beinahe gestorben wäre.«
»Du hast wohl bei deinem arabischen Freund zuviel von diesem griechischen Harzwein gesoffen«, grinste Silvanus, »aber frag ihn ruhig, ob Rattenpisse tödlich ist.«
Ich fragte den Druiden also, was ich bei der Zubereitung der Mixtur falsch gemacht hatte. Ich schilderte ihm, welche Kräuter ich verwendet, wie ich sie zubereitet und in welchem Verhältnis zueinander ich sie in das kochende Wasser geworfen hatte.
»Die Zubereitung war so, wie es uns unsere Ahnen seit Jahrtausenden lehren. Und doch mußt du etwas falsch gemacht haben, Korisios. War dein Geist nicht rein?«
»Oh doch«, log ich, »ich war absolut rein.«
»Das ist merkwürdig«, entgegnete der Druide, »mir ist kein vergleichbares Erlebnis bekannt.«
»Vielleicht hab ich zuviel davon getrunken …«, sagte ich einigermaßen ratlos.
»Getrunken?!!« entrüstete sich Verucloetius. »Die Mixtur mußt du inhalieren! Nicht trinken!«
Nammejus, der jedes Wort mitgehört hatte, begann leise zu lachen, zuerst nur leise, doch als auch die anderen in der keltischen Delegation zu lachen anfingen, verloren sie alle ihre Zurückhaltung und lachten sich die ganze Anspannung von der Seele.
Silvanus schaute mich mürrisch an. »Warum lachen sie?«
»Wenn du schon die Araber nicht verstehst, wie willst du dann die Kelten verstehen?« gab ich zurück. Die Gelegenheit schien mir günstig, und ich berichtete Verucloetius, was ich bereits Divico zu erklären versucht hatte, daß nämlich Cäsar einen Krieg um jeden Preis brauchte.
Silvanus beobachtete mich immer argwöhnischer. Ich ahnte, daß er mir bald das Wort verbieten würde. Deshalb fragte ich Verucloetius noch, ob er mir einen Rat geben könne. Was sollte ich tun? Mit den anderen nach Westen ziehen, mit Wanda nach Massilia … Doch Verucloetius sagte, ich solle warten, bis die Götter entschieden hätten. Warten? Hier in der römischen Provinz? Oder gar als römisches Haustier?
Wuchtige Tubaklänge zerrissen die Stille, und unter wilden Trommelwirbeln wurden die großen zweiflügeligen Holztore der Porta Praetoria geöffnet, während wir mit leisem Zureden unsere Pferde wieder beruhigten.
Jetzt kam er auf uns zugeritten, der Prokonsul Gaius Julius Cäsar. Von überall erschallten die Rufe »Heil dir, Cäsar«, als gelte es einen Gott zu begrüßen. Flankiert wurde er von seinen zwölf in blutrote Togen gekleideten prokonsularischen Liktoren, an seiner Seite ritten der Legat Titus Labienus und Ursulus, der Primipilus der zehnten Legion. Das »Heil dir, Cäsar«, das die Legionäre skandierten, klang wie die anfeuernden Rufe des Taktgebers auf einer Rudergaleere. Römische Standarten, Vexilla und goldene Adler wurden rhythmisch in die Höhe gereckt. »Heil dir, Cäsar! Heil dir, Cäsar!« Plötzlich dröhnte eine Donnerstimme: »Gladios stringite«, worauf alle Legionäre ihre Schwerter zückten. Dann erscholl der Befehl: »Scuta pulsate«, und die Legionäre schlugen auf die blutroten Schilde mit den gezackten Blitzen. Sie schlugen gleichmäßig, stur und monoton, während sie weiterhin ihr »Heil dir, Cäsar« brüllten.
Als Cäsar nur noch eine Wagenlänge von Nammejus und Verucloetius trennte, hielt er sein Pferd an. Drei kurze Stöße aus der Tuba ließen alle verstummen. Blitzschnell wurden die Gladien in die Scheiden zurückgestoßen und wieder Haltung angenommen.
»Rom hat entschieden«, begann Cäsar.
Wieder lag dieses herausfordernde Lächeln auf seinen Lippen. Diese Ironie in seinen Augen. Seine Haltung verriet Unerschrockenheit und Unbeugsamkeit. Im Grunde genommen war er nichts anderes als ein Glücksspieler, der jedes Mal um alles oder nichts spielte.
»Nammejus und Verucloetius, Fürsten der Helvetier und der Tiguriner, ihr habt Rom gebeten, euch den Durchmarsch durch unsere Provinz Narbonensis zu gestatten. Ihr habt versprochen, es ohne Feindseligkeiten zu tun. Nun hört die Antwort Roms! Noch haben wir nicht vergessen, daß die Helvetier vor neunundvierzig Jahren den römischen Konsul Lucius Cassius getötet, dessen Heer geschlagen und die Überlebenden unter dem Joch hindurchgetrieben haben. Wir können deshalb nicht glauben, daß ein Volk von derart feindseliger und gewalttätiger Gesinnung unsere Provinz durchqueren würde, ohne Schaden anzurichten.
Aus all diesen Gründen und auch nach Brauch und Herkommen des römischen Volkes ist es Rom nicht möglich, euch den Durchzug durch unsere Provinz zu gestatten. Solltet ihr jedoch versuchen, gewaltsam in die römische Provinz einzudringen, so werden wir euch erfolgreich zurückschlagen. Nehmt euch also in acht vor dem römischen Adler! Wenn ihr ihn reizt, wird er nicht eher ruhen, bis er euch der gerechten Strafe zugeführt hat. Rom hat gesprochen.«
Cäsar wartete, bis ich den letzten Satz übersetzt hatte. Dann streckte er das blasse, spitze Kinn keck nach vorne und schaute Nammejus direkt ins Gesicht. Sein ganzer Auftritt war eine einzige Herausforderung. Er brauchte dringend einen Krieg! Nur deshalb erwähnte er diese alte Geschichte. Damit er nochmals öffentlich kundtun konnte, wie gefährlich die Helvetier waren. Er wußte ganz genau, daß die damaligen Vorkommnisse nicht annähernd mit der heutigen Situation vergleichbar waren. Aber das spielte keine Rolle. Es ging ihm lediglich darum, seine eigennützigen Pläne als Verteidigung Roms zu verkaufen.
»Wir werden die Grenzen der römischen Provinz achten und einen anderen Weg einschlagen«, antwortete Nammejus.
Cäsar schien enttäuscht. Für einen Augenblick wirkte er hilflos wie ein Faustkämpfer, der allein in der Arena steht. Doch gleich hatte er sich wieder gefaßt. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Er schwieg.
Verärgert rissen die keltischen Fürsten ihre Pferde herum und ritten den Weg, den sie gekommen waren, wieder zurück. Mich ließen sie allein inmitten dieser Adler und blutroten Schilde.
In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Immer wieder kamen mir Dinge in den Sinn, die ich der keltischen Delegation vielleicht noch hätte sagen sollen. Sicher, das Wichtigste hatte ich ihnen mitgeteilt. Aber ich hätte ihnen mehr über Cäsar erzählen müssen, damit sie begriffen, was das für ein Gegner war, der ihnen am anderen Ufer gegenüberstand. Natürlich war die römische Innenpolitik kein Buch mit sieben Siegeln, aber ich hätte mehr sagen können. Ich hatte seine Augen gesehen.
Wanda, die meine Unruhe bemerkte, machte den Vorschlag, zum Fluß hinunterzugehen.
»Ich denke nicht, daß du dir Vorwürfe machen mußt, Herr«, beruhigte sie mich, als wir uns am Ufer niederließen, »die keltischen Fürsten wissen sehr genau, daß Cäsar sie nur hingehalten hat, um sich zusätzliche Legionen zu beschaffen.«
Ich nickte und streichelte nachdenklich Lucias Rücken. Sie hatte sich zwischen uns gedrängt. Offenbar hatte sie die Eifersucht entdeckt.
Auch im Lager der Helvetier wollte keine Ruhe einkehren. Einzelne junge Krieger standen nackt am Ufer und beschimpften die Römer. Manchmal sprang einer ins Wasser und schwamm herüber. Doch spätestens in der Mitte des Flusses surrte ein Pfeilhagel auf ihn hernieder und durchbohrte ihn. Immer mehr Leichen trieben auf dem Wasser. Die römischen Wachposten auf dem Damm konnten überhaupt nicht verstehen, wieso diese jungen Kelten so achtlos ihr Leben wegschmissen.
»Korisios«, flüsterte Wanda; immer wenn sie meinen Namen aussprach und nicht dieses förmliche Herr benutzte, wußte ich, daß sie sich der Liebe hingeben wollte. Und sie nannte mich fast nur noch Korisios.
In den frühen Morgenstunden wurden am anderen Ufer Flöße ins Wasser gelassen, die einige Kelten in der Nacht gebaut hatten. Geschützt von einer Schildewand versuchten diese nun über den Fluß zu setzen. Sie waren erfolgreicher als die nackten Schwimmer, doch kaum waren sie bis auf einen Steinwurf an das andere Ufer herangelangt, hagelten die römischen Geschosse auf die Flöße. Einige Kelten warfen, kaum hatten sie die Flußmitte erreicht, die Schildewand ins Wasser und präsentierten sich nackt den römischen Legionären. Sie prahlten mit ihrem Geschlecht, trommelten sich mit den Fäusten auf die Brust und lobten die mutigen Taten ihrer Vorfahren. Die meisten wurden von kretischen Pfeilen durchbohrt. Wer das Ufer erreichte, wurde von Pilen niedergestreckt. Die Römer, die kaum ein Wort von all diesen Beschimpfungen verstanden, mußten den Eindruck haben, wilden Tieren gegenüberzustehen.
»Wieso sind sie nackt?« fragte eine Stimme.
Ich hatte Aulus Hirtius nicht kommen hören.
»Sie glauben, dadurch vermehrt göttliche Hilfe empfangen zu können«, antwortete ich. Irgendwie war es mir peinlich, denn jedem vernünftigen Menschen war schließlich klar, daß ein Kettenhemd sicherer war als die nackte Haut. Und ein Penis kein Pilum war.
Aulus Hirtius setzte sich neben mich und sah dem seltsamen Treiben am anderen Ufer zu.
»Wieso setzt ihr nicht geschlossen und organisiert über den Fluß?«
»Ich weiß nicht, ob du das verstehen kannst, Aulus Hirtius, aber was du da siehst, ist keine militärische Aktion. Es sind junge Kelten, die ihre Mädchen beeindrucken wollen, das ist Sport und nicht Krieg …«
»Aber ihr habt heute nacht auf diese Weise schon weit über hundert Krieger verloren«, entgegnete Aulus Hirtius und schüttelte verständnislos den Kopf.
»Verloren … Nein, Aulus Hirtius, wir haben sie nicht wirklich verloren. Sie sind in die Schattenwelt übergetreten, verstehst du? Sie können bereits morgen wiedergeboren werden, als Hase, Pferd, Wildschwein oder Adler. Oder als Mensch.«
Aulus Hirtius schaute mich skeptisch an und beobachtete dann wieder das Treiben am anderen Ufer. »Worauf wartet ihr eigentlich? Auf Cäsars Legionen?«
»Man könnte es meinen«, sagte ich. »Also ich würde mich entlang des rechten Ufers zurückziehen und den Umweg durch die Schluchten zwischen Rhodanus und Jura wählen. So kommen wir auch nach Westen an die Küste.«
»Aber der Weg ist beschwerlich und führt durch das Gebiet der Sequaner und Häduer«, entgegnete Aulus Hirtius. Ich hatte keine Bedenken, mit ihm die möglichen Strategien zu erörtern, denn sie lagen ohnehin alle offen zutage, und egal welche Möglichkeit ich vorzog, ich konnte weder voraussehen noch erraten, wie sich Divico und seine keltischen Fürsten entscheiden würden.
Die nächsten Tage verbrachten wir meist am Ufer, Aulus Hirtius, Wanda, Lucia und ich. Ab und zu dachte ich an Kretos. Wann würde er zurückkommen? Und wie würde er reagieren? Das Zusammensein mit Hirtius war mir eine willkommene Abwechslung. Ich erzählte ihm eine Menge über unser Volk. Er hörte mir gerne zu und stellte mir viele Fragen, die ihn seit Jahren beschäftigten. »Ist es wahr, daß sich oben im Norden schreckliche Berge erheben und daß die Winter so kalt sind, daß die Menschen nachts erfrieren und die Überlebenden über die Seen marschieren können, weil sie monatelang gefroren sind? Und daß die Winde so stark sind, daß sie selbst Pferde durch die Luft blasen? Stimmt es, daß die Schneefälle manchmal über Tage andauern und ganze Dörfer unter ihren weißen Massen begraben?«
In der römischen Welt herrschten in der Tat recht seltsame Vorstellungen über das Land der Kelten. Das meiste Wissen stammte von redseligen Händlern, die ihre Erzählungen gerne ausschmückten. Ich beantwortete alle Fragen so gut und sachlich wie nur möglich, doch eine Antwort blieb ich ihm schuldig. Wo hörte die Welt auf? Das Land der Kelten und Germanen wird auf der einen Seite von einem Ozean, auf der anderen Seite von Wäldern begrenzt, aus denen noch niemals ein Mensch zurückgekommen war. Man erzählte sich, daß in diesen Wäldern unheimliche Tiere wohnten, aber ich bin überzeugt, daß es der Wald der Götter ist, und daß nach diesem Wald gar nichts mehr kommt. Dort hört die Zivilisation auf. Und ich nehme an, daß es anderswo ähnlich ist. Ich vermute, daß es im Westen das Wasser ist, im Süden die Wüste und im Osten die Berge, die bis in den Himmel ragen. Dort hört die Welt auf.
Aulus Hirtius vertrat hingegen die Meinung eines Gelehrten aus Massilia, wonach die bewohnte Welt in allen vier Richtungen von riesigen Meeren umgeben sei, unheimlichen Gewässern, in denen auf geheimnisvolle Weise die Länder wie Schiffe auf dem Grund verankert seien. Aulus Hirtius hatte mir auch von einigen Griechen erzählt, die tatsächlich behaupteten, die Erde sei rund wie eine Kugel. Denn wenn ein Schiff in See stach und man ihm lange genug nachschaute, verschwand zunächst der Rumpf und erst später die Segel. Damit glauben diese Griechen offenbar beweisen zu können, daß sich die Ozeane nach allen Seiten nach unten krümmen. Ein faszinierender Gedanke! Aber wenn die Erde eine Kugel war, so war mir nicht ganz klar, wieso die Schiffe wieder zurückkamen und nicht einfach hinunterfielen.
Die Gespräche mit Aulus Hirtius waren sehr anregend. Sie gaben mir das Gefühl, nicht ganz verloren zu sein in dieser römischen Provinz. Wir fachsimpelten und plauderten tagelang, und wir ahnten nicht, daß zur gleichen Zeit bereits keltische Reiter unterwegs waren, um den Häduerfürsten Dumnorix um Vermittlung zu bitten. Er sollte die Sequaner dazu überreden, den Helvetiern den Marsch durch ihr Gebiet zu gestatten. Dumnorix war ein erklärter Gegner Roms und im Gegensatz zu seinem prorömisch gesinnten Bruder, dem Druiden Diviciatus, sowohl bei seinem eigenen Volk als auch bei den Sequanern und Helvetiern äußerst beliebt. Die Bande zu den Helvetiern waren besonders eng, seit Dumnorix die Tochter des getöteten Helvetierfürsten Orgetorix zur Frau genommen hatte. Also die Tochter jenes Orgetorix, der den Auszug der Helvetier initiiert und geplant hatte, aber wegen seines Strebens nach der Königswürde zum Selbstmord gezwungen worden war. Diese miteinander verfeindeten, ewig kämpfenden und streitenden keltischen Sippen, das war Galliens Achillesferse. Wir waren kein zentral organisiertes und befehligtes Imperium, sondern kleine Häppchen, die man einzeln problemlos verspeisen konnte. Doch im Augenblick hatte Divico die Zügel noch fest in der Hand.
Bereits einige Tage später meldeten keltische Häduer, die sich bei der römischen Legion einschmeicheln wollten, daß die Sequaner und Helvetier sich gegenseitig Geiseln stellten, um die friedliche Durchquerung zu garantieren.
Eines Morgens sagte Wanda, daß Kretos wieder im Lager der Händler sei. Ich wollte es hinter mich bringen und suchte ihn gleich auf. Wanda begleitete mich. Kretos empfing uns freundlich wie immer. Ich hoffte schon, er würde mir aus reiner Freundschaft all meine Schulden erlassen. Er nahm eine Papyrusrolle vom Tisch und hielt sie in die Höhe.
»Korisios«, scherzte er, »ich freue mich, daß du mir nicht in die Anderswelt entwischt bist! Ich habe dich mehrmals besucht, weißt du …«
»Ja, ich weiß … Aber wegen deinen Sklaven tut es mir leid …«
»Was machen wir jetzt?« fragte Kretos, während er sich mit der Papyrusrolle auf die offene linke Hand klopfte. Ich wußte genau, daß er sich etwas überlegt hatte. Ich setzte mich auf ein Liegesofa und kraulte Lucia, die zu mir hochgesprungen war. Wanda stand wie eine Statue in der Ecke und wartete gespannt auf Kretos' Vorschlag. Sie wußte ganz genau, daß in dieser Stunde über ihr Schicksal entschieden wurde.
»Den Wein hast du bezahlt, Korisios, aber meine beiden Sklaven hast du mir nicht mehr zurückgebracht.« Kretos grinste. Es schien ihm nichts auszumachen. Im Gegenteil. Das Unglück seiner beiden Sklaven betrachtete er eher als Geschäft. Er würde mich auf keinen Fall ungeschoren davonkommen lassen. Ich leerte meinen Beutel, in dem die keltischen, schüsselförmigen Goldmünzen waren, die ich noch nicht in Sesterzen umgetauscht hatte, auf dem Tisch aus.
»Das ist alles, was mir geblieben ist, Kretos. Du weißt, daß es mir leid tut wegen deiner Sklaven. Aber es war nicht meine Absicht. Ich habe sie nicht ausgeliehen, um Geschäfte zu machen. Ich wollte mein Volk warnen. Und wenn mir die Götter nicht dieses linke Bein gegeben hätten, hätte ich bestimmt keine Begleitung gebraucht.«
»Du hast völlig recht«, entgegnete Kretos, »ich habe Verständnis dafür. Du verdienst meine Achtung und mein Mitgefühl, doch wir haben einen Vertrag, junger Mann. Wozu sollen Verträge gut sein, wenn man sie nicht einhält?«
Ich verstand Kretos' Verhalten wirklich nicht. Hatte er mich nicht wie einen guten Freund in die Arme geschlossen, als wir uns hier zum ersten Mal wieder getroffen hatten? Und war er nicht ein Freund meines Onkel Celtillus gewesen? Hatte er nicht sogar behauptet, mich wie seinen eigenen Sohn zu lieben? Langsam, aber sicher hatte ich den Eindruck, daß es mit meiner Menschenkenntnis nicht allzuweit her war.
»Was schlägst du vor, Kretos? Es tut mir sehr leid …«
»Mir tut es für dich leid, Korisios, denn gemäß unserem Vertrag schuldest du mir jetzt achtzehnhundert Sesterzen.«
»Achtzehnhundert Sesterzen! Woher soll ich das Geld nehmen?«
»Du kannst doch nicht Verträge unterzeichnen, die du im schlimmstmöglichen Fall nicht einhalten kannst. Das sind die Gesetze des Handels. Das sind auch die Risiken des Handels. Wenn alle Handelsgeschäfte Geld bringen würden – jeder Freigelassene würde Handel treiben.«
»Aber was machen wir jetzt, Kretos? Ich hab keine achtzehnhundert Sesterzen! Diese Goldmünzen sind alles, was mir geblieben ist. Das meiste habe ich auf der Reise nach Genava verloren. In einem Unwetter!«
Kretos spielte den Betrübten. Dann schaute er scheinheilig zu Wanda rüber und zog die Augenbrauen hoch.
»Kommt überhaupt nicht in Frage!« schrie ich.
»Dann bleibt dir nichts anderes übrig, als dich selbst in die Sklaverei zu verkaufen«, entgegnete Kretos in ähnlich scharfem Ton.
»Bist du von Sinnen, Kretos? Ich soll mich in die Sklaverei verkaufen?«
Kretos hatte sich wieder beruhigt. »Wir befinden uns hier auf römischem Boden. Hier gelten römische Gesetze. Vielleicht findest du einen Silberwechsler, der dir Geld leiht. Aber auch bei ihm wirst du Sicherheiten hinterlegen müssen …«
Er schaute wieder zu Wanda rüber.
»Woher weißt du eigentlich, daß deine beiden Sklaven nicht einfach abgehauen sind? Vielleicht hast du sie schlecht behandelt? Und ich muß dir auch sagen, Kretos, daß die beiden nicht gerade den hellsten Eindruck machten. Vielleicht haben sie den Nachhauseweg nicht gefunden. Wie kommst du überhaupt auf deine achtzehnhundert Sesterzen?«
»Entscheidend ist, was in unserem Vertrag steht, Korisios. Selbst wenn die beiden Dummköpfe nur hundert Sesterzen wert gewesen wären: In unserem Vertrag stehen zweimal neunhundert Sesterzen. Und es spielt auch keine Rolle, ob die beiden abgehauen oder im Fluß ersoffen sind. In unserem Vertrag steht nur, daß du bezahlst, falls sie nicht mehr zurückkommen. Du kannst sie auch suchen gehen …«
»Das werde ich tun«, antwortete ich trotzig. Ich brauchte Bedenkzeit. Kretos warf unseren Vertrag auf den Tisch und setzte sich neben mich auf das Liegesofa. Er legte seinen Arm um meine Schultern. »Junger Freund, wir wollen doch nicht wegen achtzehnhundert Sesterzen streiten, oder?«
»Das meine ich auch«, sagte ich, »aber wenn wir Freunde sind, sollten wir auch nicht davon sprechen, daß ich mich in die Sklaverei verkaufen muß, um meine Schulden zu begleichen.«
»Korisios, du wolltest doch stets ein großer Händler in Massilia werden. Erinnerst du dich noch, wie ich dir die Rendite eines Frachtschiffes erklärt habe? Hm? Erinnerst du dich? Du leihst dir Geld, kaufst sechstausend Amphoren mit Weinkonzentrat, mietest ein Schiff mit Besatzung …«
»Ich weiß, ich weiß«, entgegnete ich abwehrend, »Schiffe haben drei schlechte Angewohnheiten: Sie kentern. Schiffe, die nicht kentern, werden von Piraten überfallen, und Schiffe, die weder kentern noch überfallen werden, werden das Opfer von Stürmen.«
Ich machte das Spiel mit. Vielleicht konnte ich Kretos dadurch etwas nachgiebiger stimmen.
»Und was passiert mit den sechstausend Amphoren, Korisios?«
»Sie gehen unterwegs zu Bruch. Was nicht zu Bruch geht, wird von der Besatzung gesoffen. Und die tausend Amphoren, die für einen Gewinn ausreichen würden, gehen mit dem Schiff verloren.«
»So ist es, Korisios, und du sagtest stets, daß dich diese Risiken reizen würden. Wenn du tatsächlich Händler werden willst, mußt du als erstes lernen, Risiken abzuschätzen und für Verluste einzustehen. Aber du mußt auch lernen, Mißerfolge auszubaden. Ich habe deinem Onkel Celtillus damals versprochen, daß ich aus dir einen Händler machen würde, solltest du jemals nach Massilia kommen. Was du jetzt lernst, Korisios, ist deine erste Lektion. Deshalb bestehe ich darauf, daß du mir die achtzehnhundert Sesterzen bezahlst.«
Jetzt wollte dieser Kretos seine Geldgier auch noch als erzieherische Maßnahme tarnen! Ich habe einfach immer die Tendenz, Menschen viel zu positiv zu bewerten.
»Du hast drei Möglichkeiten, Korisios. Du beschaffst dir Geld bei einem Silberwechsler, du verkaufst mir deine Sklavin, oder du trittst in Cäsars Schreibkanzlei ein und kassierst die Einstellungsprämie von dreihundert Sesterzen.«
Er meinte es tatsächlich ernst. »Was soll ich mit dreihundert Sesterzen?« rief ich verzweifelt.
»Damit bezahlst du die Zinsen«, entgegnete Kretos sachlich. Zinsen! Die Geldgier dieses Kerls war wirklich grenzenlos.
»In Cäsars Schreibkanzlei würde ich dreihundertdreißig Silberdenare …, eintausenddreihundertzwanzig Sesterzen im Jahr verdienen. Davon brauche ich bestimmt sieben- bis achthundert zum Leben. Dann bleiben mir noch sechshundert Sesterzen.«
»In drei Jahren hättest du alles zurückbezahlt.« Kretos war die Ruhe selbst.
»Drei Jahre! Für die beiden dümmsten Sklaven der römischen Republik!«
»Ja«, sagte Kretos, »da hast du recht. Die beiden wollten ursprünglich Händler werden, haben sich verschuldet und mußten sich deshalb in die Sklaverei verkaufen. Es waren in der Tat die beiden dümmsten Sklaven der römischen Republik. Und wenn du nicht aufpaßt, Korisios, bist du morgen der dümmste Sklave von Massilia.«
Ich hatte verstanden. »Läßt du mir drei Tage Bedenkzeit?«
Kretos zog sein Gesicht theatralisch in die Länge. »Ich warte schon eine ganze Weile auf meine beiden Sklaven. Aber in Anbetracht unserer Freundschaft, will ich dir drei Tage Zeit lassen.«
Ich löste mich aus Kretos' Umarmung und erhob mich. Beim ersten Schritt schnellte mein linkes Bein unkontrolliert nach vorn und scherte nach rechts aus. Ich stürzte einmal mehr über mein eigenes Bein. Wanda war sofort zur Stelle und half mir hoch. Kretos' helfende Arme hätte ich am liebsten weggestoßen.
»Noch eins, Korisios. Wir haben doch mal darüber gesprochen, daß ich einen Vertrauensmann brauche, der Cäsars Heer begleitet. In Cäsars Schreibkanzlei wärst du mir natürlich von größtem Nutzen.«
Jetzt ging mir allmählich ein Licht auf. Hatte mir dieser alte Bock einen derartigen Schrecken eingejagt, damit ich nun jeden Strohhalm dankbar ergriff?
»Ich werde darüber nachdenken«, sagte ich.
Kretos nickte. »Es ist alles nicht so schlimm. Wenn alle Stricke reißen, gebe ich mich mit deiner Sklavin zufrieden.«
»Ich werde mir Geld leihen«, sagte ich.
»Bei Fabius Niger?« grinste Kretos.
Ich schwieg.
»Du kannst es ja versuchen«, murmelte Kretos.
Als wir gegen Abend zu Niger Fabius zurückkehrten, war sein Zelt von zahlreichen Legionären umstellt. Silvanus kam gerade heraus. Als er uns sah, winkte er uns herbei.
»Was ist passiert?« fragte ich erschrocken. Ich ahnte Schlimmes, denn hinter dem Zelt knieten die Sklaven von Niger Fabius. Man hatte ihnen die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Silvanus musterte uns skeptisch. Dann schlug er den Zelteingang zurück und befahl uns einzutreten. Auf dem Boden lag Niger Fabius. Er lag nackt auf dem Rücken. Unter seinem Kopf hatte sich eine riesige Blutlache gebildet. Dort, wo die Haut den Boden berührte, sah man bereits deutliche rotviolette Verfärbungen. Ich hatte plötzlich Angst. Verzweifelt kniete ich vor Niger Fabius nieder. Es war unbegreiflich. Was einmal war, war für immer vorbei. Niger Fabius war tot. Ich spürte, daß alle Augen auf mich gerichtet waren, und ich versuchte mich zusammenzureißen.
»Die Leichenflecken bilden sich in der Regel nach einer halben Stunde«, sagte ich leise. Meine Stimme bebte. Ich drückte mit dem Daumen auf die rotvioletten Stellen am Po. Sogleich hellte sich die Haut auf. Der Druck verdrängte das Blut.
»Das Blut ist noch nicht dick geworden«, sagte ich zu Silvanus, »es braucht sechs bis zwölf Stunden, bis es sich vollständig gesetzt hat.« Jetzt hatten weitere Römer das Zelt betreten. Es waren keine einfachen Soldaten, sondern Offiziere, Militärärzte aus dem Ritterstand. Der erste Medicus kniete auf der anderen Seite der Leiche nieder und befühlte ebenfalls die Leichenflecken. »Ich bin Calidius Severus, der erste Medicus der zehnten Legion. Und wer bist du?«
»Der Tote ist Niger Fabius. Ich war sein Gast. Niger Fabius war der Sohn eines Freigelassenen«, antwortete ich.
»Ich habe dich gefragt, wer du bist«, wiederholte Calidius Severus.
»Er ist Druide, ein keltischer Druide«, sagte Silvanus, und seine Stimme klang fast anklagend. Der Medicus blickte hoch und musterte mich. Dann nahm er die Hand des Toten in seine Hand und befühlte vorsichtig die Gelenke der einzelnen Finger. Er richtete den Kopf auf und schaute mich an. Er schien mich aufzufordern, es ihm gleichzutun. Sorgfältig befühlte ich die kleinen Gelenke an der linken Hand. Dann rutschte ich auf den Knien ein Stückchen weiter und ergriff das linke Bein. Sorgfältig beugte ich das Knie. Die Leichenstarre hatte bereits eingesetzt, und ihr Stadium bestätigte die Vermutungen, die ich aufgrund der Leichenflecken angestellt hatte.
»Er ist vor drei bis fünf Stunden ermordet worden«, sagte ich.
Silvanus schaute fragend zu Severus hinunter. Severus nickte und gab mir ein Zeichen, die Leiche auf den Bauch zu drehen. Das Genick war gebrochen. Er war mit einer verknoteten Schnur aus Tiersehnen erdrosselt worden. Die Schnur hatte drei Knoten.
»Eine Garotte«, murmelte Severus. »Damit ist er schnell und sauber gestorben.«
Der Tod durch die Garotte war ein Gnadentod. Man zieht eine Tiersehne um den Hals. Zwischen Hals und Sehne steckt man einen Knebel. Sobald der Knebel umgedreht wird, quetscht man die Luftröhre zusammen und bricht die Halswirbel.
»Zuerst hat man ihm den Schädel eingeschlagen, und dann, als er vermutlich schon betäubt war, hat man ihm noch die Halswirbel gebrochen«, sagte der Medicus und schüttelte den Kopf.
»Das ist noch nicht alles«, sagte ich und drehte den Kopf des Toten zur Seite. Er war seltsam verrenkt und lag schief in der rechten Schulterbeuge. Der Kiefer war gebrochen.
»Jemand hat ihm die Halsschlagader durchgeschnitten, um ihn ausbluten zu lassen.«
»Das ist ein Opfer!« empörte sich Silvanus. »Dieser Araber ist irgendeinem keltischen Gott geopfert worden!«
Plötzlich waren alle Blicke auf mich gerichtet. Was sollte ich dazu sagen?
»Ist er ausgeraubt worden?« fragte ich.
»Nein«, antworte Silvanus, »das ist ja das Merkwürdige an der Sache. Ich habe mal gehört, daß ihr Kelten eure Opfer dreifach tötet. Das ist doch ein keltisches Opfer! Deshalb ist er nicht ausgeraubt worden!«
Jetzt war auch Ursulus, der Primipilus, im Zelt erschienen. »Wo sind die Sklaven?« fragte er.
»Hinter dem Zelt«, sagte Silvanus.
»Bringt ihren Aufseher rein«, befahl Ursulus.
Ein Optio schleppte einen großgewachsenen Griechen herein, dem die Hände auf dem Rücken gefesselt waren.
»Bindet ihn los«, befahl Ursulus.
Der Optio band den Griechen los.
»Wie heißt du, und was ist deine Aufgabe?« fragte Ursulus militärisch knapp.
»Mein Herr nannte mich Pecunio, weil ich ihm als Faustkämpfer viel Geld einbrachte. Ich habe mich vor fünf Jahren freigekauft, aber bin in seinen Diensten geblieben. Seitdem beaufsichtige ich die Sklaven, Treiber und Burschen. Niger Fabius hat uns stets gut behandelt. Aber ich schwöre dir, Herr …«
»Halt den Mund, bis ich dich danach frage«, herrschte Ursulus ihn an.
»Wäre das nicht eine Angelegenheit für den Lagerpräfekten?« fragte Silvanus.
Ursulus drehte sich blitzschnell zu Silvanus um und musterte ihn überrascht. »Paßt es dir nicht, wenn ich die Untersuchung leite? Der Lagerpräfekt hat mich ausdrücklich darum gebeten.« Dann wandte er sich wieder an den Sklaven: »Ist dein Herr ausgeraubt worden?«
»Nur das Geld ist verschwunden, und das seidene Vexillum.«
»Die Sklaven sind unschuldig«, sagte Silvanus, »sonst wären sie doch längst geflohen.«
»Das stimmt«, pflichtete ich bei. »Niger Fabius hat sie auch immer gut behandelt.«
Überraschend meldete sich plötzlich der Medicus zu Wort: »Druide, du warst Gast von Niger Fabius. Was hat es mit dem dreifachen Tod eines keltischen Menschenopfers auf sich?«
Einer der anderen Ärzte fragte, wo ich die letzten Stunden verbracht hatte. Jetzt waren wieder alle Blicke auf mich gerichtet.
»Wir Kelten haben Götter, die Menschenopfer verlangen. Taranis, der Sonnengott, Esus, unser Herr und Meister, und Teutates, der Gott aller Menschen. Für Taranis verbrennen wir unsere Opfer, für Esus hängen wir sie an heiligen Bäumen auf, und für Teutates werfen wir sie in heilige Teiche, damit Teutates sie in seine feuchten Arme schließen kann. Mein Freund und Gastgeber Niger Fabius hat hingegen keinen dreifachen Tod erlitten. Das Erdrosseln mit der Garotte und das Aufschneiden der Halsschlagader ist ein und dasselbe.«
»Das ist doch Haarspalterei!« polterte Silvanus.
»Nein, Silvanus«, entgegnete ich, »wenn wir den Göttern opfern, gelten sehr strenge Regeln. Wer das Ritual verletzt, zieht den Zorn der Götter auf sich. Kein Druide würde jemals einen Menschen auf diese Weise töten, um ihn einem Gott zu opfern. Das ist kein Opfer, das ist ein Mord. Das ist nicht die Tat eines keltischen Druiden, sondern die Tat eines Römers, der mit den keltischen Bräuchen nicht vertraut ist und den Verdacht auf einen Druiden lenken will.«
Ein lautes Raunen erhob sich unter den Umstehenden.
»Wo warst du während der vierten Tagwache?« fragte Silvanus.
»Bei Kretos, einem Weinhändler aus Massilia«, antworte ich.
»Bringt uns diesen Kretos her!« befahl Ursulus.
»Ich bin Kretos«, sagte eine Stimme im Hintergrund. Ein Mann trat zwischen den dicht gedrängt stehenden Offizieren hervor. Es war Kretos.
»Ich bin Kretos«, wiederholte er. »Ich kann bezeugen, daß der junge Druide den Nachmittag bei mir verbracht hat.«
Silvanus verließ das Zelt. Ich hatte keine Ahnung, wohin er wollte. Kretos fuhr fort: »Es gibt überhaupt keinen Grund, wieso der Druide seinen Gastgeber hätte umbringen sollen. Er mochte ihn sehr. Im übrigen steht dieser junge keltische Gelehrte am Anfang einer blühenden Karriere. Er wird in Cäsars Schreibkanzlei eintreten, nicht wahr, Korisios?«
Ich nickte eifrig. Jetzt entschied Kretos über mein Schicksal.
»Dieser Mann ist über jeden Verdacht erhaben! Er ist Cäsars Druide!« beendete Kretos seine Rede.
Ursulus nickte zufrieden. Er war Kretos für seine Worte dankbar. Auch die anderen Offiziere schienen zuzustimmen.
Plötzlich erschien Silvanus wieder und schrie: »Schaut, was ich bei den Sklaven gefunden habe!«
Er hatte ein paar Silberdenare und Elektrumklümpchen in der Hand. Ursulus wandte sich an Pecunio: »Schau dir das an, Pecunio.«
Pecunios Augen waren vor Schreck immer noch weit aufgerissen. Beflissen ging er zu Silvanus und starrte auf dessen offene Hand.
»Ich verstehe das nicht«, stammelte Pecunio, »es trägt das Siegel des Nilpferdes, das ist das Siegel meines Herrn!«
Ursulus überlegte, während er die Offiziere der Reihe nach musterte. Schließlich sagte er: »Hiermit verfüge ich, daß alle Sklaven des Niger Fabius getötet werden. Sein gesamtes Hab und Gut wird von der zehnten Legion eingezogen. Auch seine Pferde. Wenn sich bis in drei Monaten kein rechtmäßiger Erbe gemeldet hat, geht der gesamte Besitz des Fabius Niger ins Eigentum der zehnten Legion über.«
Ursulus zeigte auf den Griechen und sagte: »Du, Pecunio, sollst deine Freiheit wieder verlieren, weil du deine Pflichten vernachlässigt hast. Du sollst wieder Sklave werden und der zehnten Legion dienen.«
Ich denke, Recht und Gerechtigkeit sind zwei verschiedene Paar Stiefel. Cui bono? Wer hatte etwas davon? Silvanus? Hatte er Niger Fabius getötet, weil dieser ihm die Pferde verweigert hatte? Hatte er ihn getötet, weil er dringend Geld brauchte, um sich den Posten des Primipilus zu kaufen? Oder steckte gar Kretos dahinter? Hatte er Fabius getötet, um meinen einzigen Kreditgeber zu eliminieren? War ihm ein Informant in Cäsars Schreibstube derart wichtig? Oder steckte er gar mit Silvanus unter einer Decke? Hatte er mir mit diesem ominösen Vertrag eine Falle gestellt, nachdem ich ihm klipp und klar eine Absage erteilt hatte? Hatte er Silvanus beauftragt, seine eigenen Sklaven bei der Rückkehr niederzuschießen, damit ich finanziell in seiner Schuld stand? Und welch eine göttliche Wendung mit diesem plötzlich aufgetauchten Klumpen Elektrum, den Silvanus angeblich bei einem von Niger Fabius' Sklaven gefunden hatte. Ausgerechnet Silvanus! Er war ja so bemüht gewesen, einen Täter zu finden. Diese Ausgeburt von Korruption und Falschheit! Er hatte die besten Gründe, Niger Fabius zu töten. Bessere Gründe als die Sklaven. Und bessere Gründe als Kretos, der ebenfalls von Niger Fabius' Tod profitierte. Und wo steckte eigentlich dieser Mahes Titianos? War es nicht seltsam, daß er plötzlich verschwunden war?