SIEBTES KAPITEL

Er ging durch die Halle zum Schreibzimmer.

Lalita folgte ihm und fragte sich dabei voller Angst, ob alles, was sie geplant hatte, womöglich mißlungen war und sie jetzt das einzige, was für sie auf der Welt zählte, verloren hatte.

Sie schloß die Tür des Schreibzimmers hinter sich und blickte Lord Heywood an. Ihre Augen spiegelten ihre Angst wider. Sie wäre gern zu Lord Heywood gelaufen, um ihr Gesicht an seiner Schulter zu bergen und zu spüren, wie sich seine Arme um sie schlossen.

Ohne sie anzusehen, sagte er: »Ich erinnere mich an einen General Duncan, der ungefähr sechs Meilen von hier lebte.«

»Das war mein Großvater.«

»Warum hast du mir nicht von ihm erzählt?«

»Großvater ist tot, und Onkel Edward hast du gesehen! Wie ich dir schon gesagt habe, war er entschlossen, mich mit seinem Sohn Philip zu verheiraten.«

»Weil du eine Erbin bist?«

Lalita setzte sich auf die Kante eines Sessels. »Zuerst«, sagte sie leise, »hatte ich Angst, du würdest mich zurückschicken. Und dann konnte ich dir nicht erzählen, daß ich vermögend bin, weil du darauf bestandest, von einer Frau kein Geld anzunehmen.«

»Du hast mir heute morgen gesagt, daß du mir die ganze Geschichte heute abend erzählen würdest. Hättest du das auch wirklich getan?«

»Soll ich dir erzählen, was wirklich geschehen ist?«

»Genau das will ich wissen.«

»Mein Vater hat meine Mutter, die Amerikanerin war und aus den Südstaaten stammte, kennengelernt, als sie in England zu Besuch war. Sie verliebten sich ineinander und heirateten, aber der Krieg mit den Franzosen hatte schon begonnen, und es war für Mama zu gefährlich, nach Amerika zurückzufahren.«

»So blieb sie in England, und du bist hier geboren?« fragte Lord Heywood.

Lalita nickte. »Dann wurde Papa, als er im Krieg war, am Bein verwundet und als Invalide entlassen«, fuhr Lalita fort, »und weil Großmama gestorben war und Großpapa sich zur Ruhe gesetzt hatte, zogen wir zu ihm in sein Haus, und ich war seitdem immer bei ihm.«

»Wo ist das Haus?«

»In Little Sheldon. Es ist ein ganz kleines Dorf.«

»Ich weiß«, bemerkte Lord Heywood.

»Es sind auf der Straße ungefähr sechs Meilen bis dahin«, sagte Lalita, »die Entfernung ist jedoch viel kürzer, wenn man quer über das Land reitet.«

Es lag ein fast unmerkliches Lächeln auf Lord Heywoods Gesicht, als er sagte: »Ich stelle mir vor, daß du deshalb so viel über meinen Besitz gewußt hast.«

»Ich pflegte hierher zu reiten, um mir das Schloß anzusehen«, sagte Lalita. »Als dein Großvater starb, habe ich mich gefragt, wie du wohl bist. Als nach der Schlacht bei Waterloo die Feindseligkeiten beendet waren, bekam Mama einen Brief aus Amerika, in dem stand, daß ihr Vater gestorben sei und ihr all sein Geld hinterlassen habe.«

»Er war ein reicher Mann?« fragte Lord Heywood.

»Sehr reich«, sagte Lalita, »und weil es wichtig war, daß sich Mama selbst ein Bild davon machte, was ihr jetzt gehörte, machte sie sich mit Papa auf die Reise und ließ mich in Großpapas Obhut.«

»War das vor ungefähr zwei Jahren?« fragte Lord Heywood.

»Da es im August war, ist es jetzt fast zwei Jahre her.«

»Was geschah?«

»Das Schiff, auf dem sie zurückfuhren, ging unter, und alle Passagiere ertranken.« Lalitas Stimme versagte. Aber mit großer Anstrengung fuhr das junge Mädchen fort: »Mama hatte Großpapa schon geschrieben, wieviel Geld sie geerbt hatte, und sie hatte auch verfügt, daß ich einmal, da ich ihr einziges Kind war, alles erben sollte.«

»Und was hat dein Großvater davon gehalten?«

»Er war nicht sehr erbaut«, antwortete Lalita. »Er hat zu mir gesagt: ›Das bedeutet, daß jeder verfluchte Mitgiftjäger in England an deine Tür klopft. Damit das nicht passiert, werden wir niemand auch nur ein Sterbenswörtchen davon verraten.‹«

»Dein Großvater war sehr klug, und als er starb, wurde vermutlich dein Onkel Edward das Familienoberhaupt?«

»Richtig«, stimmte ihm Lalita zu. »Ich nehme an, daß ihn Großpapas Anwälte aufgeklärt haben, denn als er bei mir ankam, sagte er, er sei mein Vormund und ich müsse tun, was er mir befehle.«

»Bist du ihm bis dahin oft begegnet?«

»Nein, weil Großvater keine gute Meinung von ihm hatte, erstens, weil er sich mit der Ausrede, er sei nicht gesund genug, vor dem Kriegsdienst drückte, und zweitens, weil er sehr verschwenderisch war und Großpapa ständig bat, seine Schulden zu bezahlen.«

»Ich kann verstehen, warum dein Großvater nicht wollte, daß er über dein Vermögen Bescheid wußte.«

»Großpapa wollte, daß niemand Bescheid wußte. Er hatte vor, mich in diesem Jahr nach London mitzunehmen und mich auf einige Bälle und Gesellschaften gehen zu lassen, aber da wurde er krank, und deshalb mußten wir alle unsere Pläne aufschieben.«

»Hat dich das sehr bekümmert?«

»Nein, ich war sehr glücklich auf dem Gut. Ich hatte Pferde, viele hübsche Kleider, und wenn sich Großpapa vor Mitgiftjägern fürchtete, so galt für mich das Gleiche.«

»Aber du mußt dir doch gewünscht haben zu heiraten?«

»Nur, falls ich mich verliebte. Kannst du dir also vorstellen, was ich empfand, als Onkel Edward Philip mit sich brachte und mir sagte, wir sollten heiraten? Ich glaube, er hat von den Anwälten, die mit den Bevollmächtigten meines Großvaters in Amerika in Verbindung standen, erfahren, daß er nur an mein Geld kommen konnte, wenn ich seinen Sohn heiratete.«

Lord Heywood war davon überzeugt, daß das wirklich so gewesen war, und er sagte: »Und weil du Angst vor deinem Onkel hattest und davor, deinen Vetter heiraten zu müssen, bist du fortgelaufen.«

»Ich hatte sehr große Angst«, erwiderte Lalita. »Dann bist du hierher gekommen, und alles ist so wundervoll gewesen. Ich habe niemals ein solches Glück gekannt!« Sie erhob sich und ging auf Lord Heywood zu. »Du kannst mich jetzt nicht fortschicken«, sagte sie flehend. »Ich kann nicht ohne dich leben!« Tränen standen in ihren Augen, und ihre Stimme klang gebrochen.

Lord Heywood sah sie an und streckte die Arme nach ihr aus. Sie warf sich ihm an die Brust.

In diesem Augenblick ging die Tür zum Schreibzimmer auf, und eine männliche Stimme sagte: »Verzeihen Sie, aber da es mir unmöglich war, mir durch Klingeln oder Klopfen an der Tür Gehör zu verschaffen, bin ich einfach hereingekommen.«

Lalita und Lord Heywood wandten sich um und sahen den Eindringling überrascht an.

In der Tür stand ein kleiner, grauhaariger Mann mit Brille, der aussah wie ein ehrbarer Lehrer.

Lord Heywood ließ Lalita los und ging auf den Fremden zu. »Es tut mir leid. Mein Diener ist nicht da, aber ich bin Lord Heywood. Wollten Sie mich aufsuchen?«

»Ja, Mylord, und ich muß mich für meine Zudringlichkeit entschuldigen.«

»Wer sind Sie denn?«

»Mein Name ist Walton, Mylord. Ich bin im Auftrag des Auktionshauses Christie's gekommen. Ich bin bei Christie's als Schätzer angestellt.«

»Aber natürlich!« rief Lord Heywood aus. »Ich habe dort gebeten, man möge mir einen ihrer Herren schicken, aber ich habe nicht damit gerechnet, daß Sie schon so bald kommen.«

»Das ist mir klar, Mylord, aber da ich mit Eurer Lordschaft eine sehr dringende Angelegenheit zu besprechen habe, bin ich gestern abend aus London abgereist, nachdem ich Sie knapp verfehlt habe. Sie hatten Heywood House gerade verlassen.«

»Setzen Sie sich«, sagte Lord Heywood, »und erzählen Sie mir, warum die Angelegenheit so dringend ist.«

Mr. Walton setzte sich auf den nächsten Stuhl.

Lalita nahm auf der anderen Seite des Kamins Platz, während Lord Heywood mit dem Rücken dazu stehen blieb.

»Ich bin gestern abend noch bis ins nächste Dorf gekommen«, eröffnete Mr. Walton das Gespräch, »und hoffte, Eure Lordschaft heute morgen unmittelbar nach dem Frühstück aufsuchen zu können, aber ich war auf meinem Weg hierher in einen schrecklichen Unfall verwickelt.«

»In einen Unfall?« fragte Lord Heywood.

»Ja, Mylord. Mir kam eine Kutsche entgegen, die ein junger Mann vergeblich zu lenken versuchte. Er raste wie ein Wahnsinniger auf die schmale Brücke vor Ihrem Dorf zu.«

Während Mr. Walton den Hergang schilderte, stand Lalita von ihrem Platz auf und stellte sich neben Lord Heywood.

»Was ist dann passiert?« fragte Lord Heywood.

»Es war alles sehr unangenehm, Mylord«, erwiderte Mr. Walton. »Die Kutsche stieß gegen das Brückengeländer, und ein älterer Mann, der sich darin befand, wurde in den Fluß geschleudert.«

»War der Mann, der in das Wasser geschleudert wurde, verletzt?« fragte Lord Heywood.

»Ich muß Ihnen leider sagen, Mylord«, erwiderte Mr. Walton, »daß er, als man ihn schließlich barg, tot war.«

Lalitas Lippen öffneten sich, aber es kam kein Laut hervor.

»Ich konnte nichts machen«, fuhr Mr. Walton fort, »und als der Pfarrer und einige vernünftig aussehende Dorfbewohner auftauchten, bin ich weitergefahren, da ich es eilig hatte, zu Eurer Lordschaft zu kommen.«

Lalita stieß einen tiefen Seufzer aus.

Lord Heywood wußte, daß es ein Seufzer der Erleichterung war. Wenn ihr Onkel tot war, dann waren die Schwierigkeiten, die er ihnen hätte bereiten können, aus dem Weg geräumt.

Lalitas Augen, mit denen sie zu Lord Heywood aufblickte, enthielten kein Geheimnis, und als er sie anlächelte, war es ihr, als habe sich alle Dunkelheit verflüchtigt.

Mr. Walton, der keine Ahnung hatte, welch aufregende Mitteilung er ihnen, ohne es zu wissen, gemacht hatte, öffnete seine Aktentasche. »Nachdem Sie von Christie's weggegangen waren, Mylord«, sagte er, »erfuhr einer der Teilhaber, daß der Botschafter eines Landes, das im Augenblick noch anonym bleiben muß, uns einen recht ungewöhnlichen Auftrag erteilt hat. Dieses Land, das seit dem Wiener Kongreß eine sehr viel bedeutendere Rolle in europäischen Angelegenheiten spielen wird als bisher, will in London ein neues Botschaftsgebäude errichten. Da dies mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird, hat man uns beauftragt, in der Zwischenzeit ein repräsentatives Haus anzumieten, in dem die diplomatischen Geschäfte abgewickelt werden können.«

Lord Heywoods Augen leuchteten unvermittelt auf, aber er sagte nichts.

Mr. Walton fuhr fort: »Die Teilhaber von Christie's konnten sich kein geeigneteres Haus als Ihres vorstellen, falls Eure Lordschaft bereit wären, es zu einem, wie man mir sagte, recht hohen Preis zu vermieten.«

»Sie wollen damit sagen: mit der gesamten Innenausstattung?« fragte Lord Heywood. »Nun, ich habe nichts dagegen, Heywood House so, wie es dasteht, zu vermieten.«

»Das bedeutet für uns eine große Erleichterung, Mylord«, erwiderte Mr. Walton. »Ich habe hier den Entwurf eines Mietvertrags mitgebracht. Sie werden ihn natürlich erst einmal Ihren Anwälten zeigen wollen, bevor Sie ihn unterzeichnen.«

»Natürlich«, gab ihm Lord Heywood recht. Dann sagte er, als müsse er diesen unerwarteten Glücksfall feiern: »Ich muß mich entschuldigen, Mr. Walton, daß ich Ihnen keine Erfrischung angeboten habe. Nach Ihrem furchtbaren Erlebnis auf der Fahrt hierher können Sie bestimmt eine Stärkung gebrauchen.«

»Vielen Dank, Mylord«, antwortete Mr. Walton. »Es war, das gebe ich zu, ein wenig aufregend.«

»Was möchten Sie gern?« fragte Lord Heywood. »Ein Glas Sherry?«

Mr. Walton schüttelte den Kopf. »Ich bin Abstinenzler. Alkohol ist mir nicht zuträglich.«

Lord Heywood sah Lalita an. »Ich bin sicher«, sagte er, »daß Mr. Walton ein Glas von deinem Pfirsichsaft zu schätzen wüßte.«

»Gewiß«, erwiderte sie und freute sich, daß Lord Heywood, wenn er sein Haus in London vermieten konnte, das Gefühl hatte, von ihrem Geld unabhängig zu sein.

Als sie aus dem Schreibzimmer trat und den Korridor entlanglief, sprach sie ein kurzes Gebet der Dankbarkeit: »Vielen Dank, lieber Gott, danke! Jetzt bin ich sicher, daß er sich nicht mehr weigern wird, mich zu heiraten.« Sie stieg in den Keller hinunter, nahm den gefüllten Krug und trug ihn vorsichtig in das Schreibzimmer, darauf bedacht, seinen Inhalt nicht zu verschütten.

Als sie das Zimmer betrat, saß Lord Heywood an seinem Schreibtisch vor einigen Papieren, und Mr. Walton stand neben ihm.

»Es scheint mir alles ganz klar zu sein«, sagte Lord Heywood gerade. »Ich sehe keinen Grund, warum ich ihn nicht sofort unterzeichnen sollte.«

»Ich versichere Ihnen, Mylord«, sagte Mr. Walton, »daß der Mietvertrag sowohl unserem Kunden als auch Eurer Lordschaft entgegenkommt.«

Als Lalita durch das Zimmer auf sie zukam, blickte Lord Heywood auf und sagte: »Ich lese ihn nur noch einmal durch. Trinken Sie ein Glas von diesem köstlichen Fruchtsaft. Er ist aus unseren Pfirsichen im Garten gemacht.«

»Ich habe noch nie Pfirsichsaft getrunken«, erwiderte Mr. Walton.

Lalita hatte ein Glas von dem Tablett in der Ecke des Zimmers genommen, und jetzt stellte sie es auf den Tisch und goß Saft aus dem Krug hinein.

Mr. Walton sah ihr dabei zu, und plötzlich rief er aus: »Wo haben Sie den Krug her?«

Lalita und Lord Heywood sahen ihn erstaunt an.

»Ich kann es nicht glauben«, fuhr Mr. Walton fort. »Es muß sich um eine Fälschung handeln, aber um eine ganz ausgezeichnete.« Er nahm den Krug Lalita aus der Hand. »Ich kann es nicht glauben!« sagte er noch einmal.

»Was sagen Sie da?« fragte Lord Heywood. Er sah den Krug an, den er bisher kaum wahrgenommen hatte.

Es war ein großer, ganz normal geformter, mit geometrischen Mustern in Rötlichbraun und Schwarz verzierter Henkelkrug.

Mr. Walton strich eine Weile mit den Fingern über den Krug, bis er schließlich sagte: »Ich bin sicher, daß er echt ist, und ich kann mir vorstellen, daß er eines der besterhaltenen Beispiele ist.«

»Ein Beispiel wofür?« fragte Lord Heywood.

»Für athenische geometrische Tongefäße, die um etwa 750 vor Christi Geburt hergestellt wurden.«

Lalita stieß einen Schrei aus. »Meinen Sie, er ist wertvoll?«

»Sehr, sehr wertvoll«, erwiderte Mr. Walton, »und es ist Wahnsinn, ihn, wie Sie es offensichtlich machen, als normalen Krug zu benutzen.«

Lalita blickte Lord Heywood an. »Ich weiß, daß er nicht im Inventar steht.«

»Nein, darin ist nichts Griechisches aufgeführt«, erwiderte Lord Heywood. Er zog die Schublade seines Schreibtisches auf und holte das Inventar heraus. Als er es auf den Schreibtisch legte, sagte er: »Ich erinnere mich jetzt, daß mein Großvater eine Griechenlandreise machte, als er schon älter war. Ich glaube, das Inventar wurde vor dieser Reise angelegt, die, nebenbei gesagt, seine letzte war.«

»Wenn das so ist«, sagte Lalita schnell, »dann können noch andere Kunstgegenstände im Haus sein.«

»Andere Kunstgegenstände?« fragte Mr. Walton und hob dabei die Stimme. »Wollen Sie damit sagen, daß es hier noch andere Tongefäße gibt, die so wertvoll wie dieses sind?«

»Wir können uns auf alle Fälle umsehen«, meinte Lord Heywood. »Wo hast du diesen Krug gefunden, Lalita?«

»Er war im Blumenzimmer bei den Vasen.«

Mr. Walton stöhnte auf. »Er hätte ohne weiteres zerbrechen können«, sagte er mit dem Ausdruck tiefster Anteilnahme.

Lord Heywood erhob sich. »Ich glaube, das Beste ist«, sagte er, »wir sehen uns im Blumenzimmer um.«

»Ich brenne darauf, Mylord«, rief Mr. Walton und stellte den Krug sicherheitshalber genau in die Mitte des Schreibtisches. »Wenn ich mir vorstelle, daß Eure Lordschaft den Wert dieses ausgezeichneten griechischen Tongefäßes nicht erkannt haben! Der Gedanke, was damit hätte passieren können, läßt mich schaudern.«

»Wir wollen sehen, ob wir noch etwas haben, womit wir so leichtfertig umgehen«, erwiderte Lord Heywood.

Er sagte das zu Mr. Walton, aber seine Augen begegneten denen Lalitas, und sie ließ ihre Hand in seine gleiten. Mit Mr. Walton im Schlepptau gingen sie zum Blumenzimmer, das neben der Speisekammer lag.

Es war der kleine Raum, in dem Lalita die Vasen, die sie für die Blumen brauchte, gefunden hatte. Sie standen auf schmalen Regalbrettern an den Wänden. In der Mitte befand sich ein ausrangierter Spieltisch, auf dem man die Blumen zu Sträußen binden konnte, und als sie einen Krug für den Pfirsichsaft gebraucht hatte, hatte sie ihn einfach von einem der unteren Bretter genommen.

Mr. Walton ging mit gespannter Aufmerksamkeit von Regal zu Regal, und Lalita schien es, daß er ziemlich enttäuscht war, bis er einen Freudenschrei ausstieß und eine runde Schüssel herunterholte, die recht gewöhnlich aussah. »Eine Lotosblüten-Schüssel, Sung-Dynastie«, rief er begeistert.

»Sie meinen, sie ist chinesisch?« fragte Lalita.

»Ein perfektes Exemplar«, erwiderte er. »Sehen Sie sich nur die blaßgrüne Glasur an.« Er war genauso begeistert, als sich im letzten Regal ein Keramikgefäß mit schwarz-brauner Glasur fand, das er ebenfalls der Sung-Dynastie zuordnete.

»Ich glaube, die chinesischen Schüsseln haben meiner Großmutter gehört«, meinte Lord Heywood, »deshalb sind sie nicht im Inventar aufgeführt. Ich erinnere mich undeutlich, daß sie mir erzählt hat, daß ihr Vater China bereist hat.«

Nachdem Mr. Walton sie gebeten hatte, die chinesischen Schüsseln und den Krug an einem sicheren Ort zu verwahren, verkündete er, er müsse nun nach London zurück.

»Wollen Sie nicht zum Mittagessen bleiben?« fragte Lord Heywood. »Es wird zwar ein sehr einfaches Mahl, weil mein Diener nicht da ist, aber Sie haben mir so gute Neuigkeiten gebracht, daß ich Ihnen gern meine Gastfreundschaft anbieten würde.«

»Das ist zu gütig von Eurer Lordschaft«, erwiderte Mr. Walton, »aber ich muß unbedingt den Mietvertrag abliefern, damit unsere Kunden von der hochwillkommenen Entscheidung Eurer Lordschaft bezüglich Heywood House Kenntnis erhalten.«

»Ich bin Ihnen dankbar«, sagte Lord Heywood, »auch dafür, daß Sie diese Schätze entdeckt haben, die ich so bald wie möglich verkaufen möchte.«

»Das Auktionshaus Christie's wäre überaus erfreut, wenn Sie ihm die drei Gegenstände anböten, die die Museumsdirektoren in der ganzen Welt begeistern werden.«

»Warum nehmen Sie sie nicht gleich mit?« schlug Lord Heywood vor.

Mr. Walton war entsetzt. »Ich möchte die Verantwortung nicht auf mich nehmen, Mylord«, erwiderte er schnell. »Mit Erlaubnis Eurer Lordschaft werde ich für ihren Transport nach London richtige Packer mit einem geeigneten Fahrzeug schicken.«

»Vielleicht haben Sie recht«, sagte Lord Heywood. »Wenn diese Gegenstände jetzt, nach so vielen Jahrhunderten, zerbrächen, wäre das sicherlich eine Katastrophe.«

Mr. Walton verabschiedete sich mit einer bis dahin bei ihm nicht wahrnehmbaren Lebhaftigkeit, die Lalita zu der Überlegung veranlaßte, daß er darauf brannte, nach London zurückzukehren, um die Anerkennung für seine Funde einzuheimsen. Nachdem er sie noch einmal ermahnt hatte, so vorsichtig wie möglich mit ihren Schätzen umzugehen, fuhr er ab.

Erst als sie oben auf der Treppe standen und seiner Kutsche nachschauten, die eilig davonfuhr, wurde Lalita richtig klar, was Mr. Waltons Besuch bedeutete. Sie blickte zu Lord Heywood auf und sah, daß die Düsternis aus seinem Gesicht gewichen war und seine Augen leuchteten.

Lord Heywood breitete die Arme aus und zog Lalita an sich. »Ich glaube, du bist eine kleine Hexe«, sagte er. »Du hast mir gesagt, daß alles gut werden würde, und so ist es gekommen.«

»Du hast gewonnen«, sagte Lalita sanft.

»Ich kann es nicht glauben«, erwiderte er, »nach all den Sorgen und den schlaflosen Nächten, in denen ich mir keine Lösung unseres Problems vorstellen konnte! Jetzt habe ich mein Londoner Haus zu einem, wie mir scheint, sehr hohen Preis vermietet, und der Erlös aus diesen merkwürdigen Gefäßen wird auch nicht klein sein.«

Lalita lachte. »Ich fand alle drei ziemlich häßlich und bedaure es nicht im geringsten, sie zu verlieren.«

Lord Heywood drückte Lalita fester an sich. »Wir haben beide so viel Glück, so unglaublich viel Glück!«

Lalita schmiegte sich an ihn. »Wenn Carter zurückkommt...«, fing sie zögernd an.

Lord Heywood wußte, was sie fragen wollte, und auf seinen Lippen bildete sich ein liebevolles Lächeln, als er antwortete: »Ich nehme an, daß ich dich jetzt, wo du keinen Vormund mehr hast, heiraten muß, denn du hast dich dadurch, daß du allein bei mir gewohnt hast, hoffnungslos kompromittiert.«

Lalita legte den Kopf an seine Schulter. »Du mußt mich nicht heiraten«, flüsterte sie, »wenn dir die Freiheit lieber ist.«

»Was soll ich dann mit dir machen?« fragte er.

»Ich könnte hier bei dir bleiben«, antwortete sie, »und wenn du dich meiner schämst, sobald deine feinen Freunde dich besuchen kommen, dann könnte ich mich immer verstecken.«

Lord Heywood lachte. »Du weißt ganz gut, daß ich will, was du willst«, sagte er. »Jetzt können wir unsere Beziehung auf eine traditionellere Basis stellen.«

Lalita blickte verwirrt zu ihm auf, und er fuhr fort: »Was ich damit sagen will, mein Liebling, ist, daß ich dich jetzt reinen Gewissens um deine Hand bitten kann. Willst du mir also, meine Angebetete, die große Ehre erweisen, meine Frau zu werden?«

Es lag so viel Ernst in seiner Stimme, daß Lalita die Arme um seinen Hals schlang. »Genau das wollte ich von dir hören!« rief sie. »Und du kennst die Antwort: Ja! Ja! Ja!«

»Ich glaube, wenn du dich der Etikette gemäß benehmen würdest«, neckte Lord Heywood sie, »dann würdest du dich jetzt zieren und schüchtern sagen: ›Das kommt alles so plötzlich.‹«

»Wenn ich das täte, würde ich dir die Möglichkeit geben, mir noch zu entwischen«, gab Lalita zurück. »Ach, mein wundervoller Romney, ich wünsche mir nur, für immer mit dir zusammen zu sein und dich zu lieben.« Sie machte eine Pause, bevor sie ein wenig ängstlich fragte: »Du willst meine Liebe doch?«

»Ich will sie mehr als alles andere auf der Welt!« antwortete Lord Heywood.

»Und du bist nicht darüber wütend, daß ich vermögend bin?«

»Ich nehme an, es ist eines dieser lästigen Dinge, mit denen ich mich abfinden muß«, erwiderte er. »Ich hoffe aber, daß es sich auf die eine oder andere Weise als nützlich erweisen wird.«

Lalita lachte. »Ich weiß, daß du das Geld für die Pachtgüter und die Pensionäre verwenden wirst.«

»Vielleicht lasse ich dir gerade so viel übrig, daß du dir dann und wann ein neues Kleid kaufen kannst«, scherzte Lord Heywood, »oder eines dieser herausfordernden Nachthemden.«

Er sagte das so, daß Lalita errötete, und sie antwortete: »Du wirst bis zu unserer Hochzeit morgen vergessen müssen, daß du mich je in einem Nachthemd gesehen hast.«

»Morgen?« fragte Lord Heywood. »Warum sollte ich bis morgen warten?«

»Ich dachte«, erwiderte Lalita, »daß wir morgen –«

»Heute abend!« sagte er. »Carter hat gesagt, er will vor dem Essen zurück sein. Zieh dich jetzt bitte um, mein Liebling. Wir wollen unsere Pferde satteln und ins Dorf hinunterreiten, um mit dem Pfarrer zu sprechen.«

»Meinst du das wirklich im Ernst?« fragte Lalita.

»Warum nicht?« erwiderte Lord Heywood. »Wenn du denkst, ich kann schlafen, wenn die Tür zwischen unseren Zimmern geschlossen ist, dann täuschst du dich gründlich.«

»Es ist wundervoll, daß wir heute abend heiraten«, rief Lalita, »aber erst muß ich die Kapelle schmücken.«

Es fiel Lord Heywood ein, daß das ganze Dorf über den Tod von Edward Duncan sprechen könne. Deshalb war es das Beste, wenn niemand außer dem Pfarrer, den er zur Geheimhaltung verpflichten wollte, Lalita sah und von ihrer Hochzeit erfuhr. »Ich glaube, es ist besser«, sagte er, »wenn ich den Pfarrer allein aufsuche.«

»Ja natürlich«, erwiderte Lalita. »Und, Liebling, ich habe eine Idee, wenn du einverstanden bist.«

»Was für eine?«

»Ich habe kein Kleid für unsere Hochzeit, aber ich habe das Brautkleid deiner Mutter gefunden.«

»Wo?«

»In einem Schrank in einem Zimmer, in dem noch viele andere Kleider hängen einschließlich deiner Kinderkleider.«

»Das Brautkleid meiner Mutter?« sagte Lord Heywood nachdenklich. »Bist du sicher? Und woher weißt du, daß es dir paßt?«

Lalita blickte verlegen drein.

»Du hast es anprobiert?« fragte er vorwurfsvoll.

»Nur für den Fall, daß du mich heiratest.«

»Aber jetzt habe ich mich dazu entschlossen.«

»Ich möchte für dich schön aussehen, damit du deine Meinung nicht noch änderst.«

»Ich werde meine Meinung nicht ändern, mein Liebling, egal ob du mich im Brautkleid meiner Mutter heiratest oder in deinem Nachthemd, aber ich denke, dem Pfarrer ist das erstere lieber. Aber mach dich fertig und fang schon an, die Blumen zu pflücken. Ich werde nicht länger als eine halbe Stunde fort sein, dann helfe ich dir dabei.«

Lalita stieß einen Freudenschrei aus. »Ich werde alle Nelken pflücken und natürlich ganz viele Rosen.«

»Die wie du sind«, sagte Lord Heywood mit seiner tiefen Stimme. »Wenn ich an dich gedacht habe, dann warst du für mich, mein Schatz, immer wie eine weiße Rose, rein, unberührt und noch nicht erblüht.«

»Ich liebe dich!« flüsterte Lalita.

»Und ich liebe dich!« erwiderte Lord Heywood. »Ich werde dir erklären, wie sehr und wie tief ich dich verehre, sobald du meine Frau bist.«

Nach diesen Worten suchten seine Lippen die ihren, und er küßte sie, bis sie das Gefühl hatte, daß die ganze Welt um sie herum verschwand und es nur seine starken Arme und seine fordernden Lippen gab.

Er weckte in ihr eine Verzückung, die sie mit der Schnelligkeit und Schärfe eines Blitzes durchfuhr und doch warm und golden wie das Sonnenlicht war. »Wie könnte ich je ohne dich sein?« fragte er. »Du bist in mein Leben getreten, und jetzt wäre es mir nicht mehr möglich, ohne dich zu leben.«

»Ich habe mir gewünscht, daß du so empfindest«, antwortete Lalita, »weil ich weiß, daß ich, wenn ich ohne dich leben müßte, nur noch sterben wollte!«

»Wir wollen zusammen leben!« rief Lord Heywood.

»Ich werde dich glücklich machen«, versprach Lalita. »Liebling, wundervoller Romney, ich habe dir schon früher gesagt, du bist der Sieger. Du siegst auch jetzt.«

»Ich glaube, wenn wir ehrlich sind«, erwiderte Lord Heywood, »dann ist es die Liebe, die gesiegt hat, und Liebe ist ein Gefühl, gegen das wir uns nicht wehren können.«

»Überhaupt nicht!« stimmte ihm Lalita glücklich zu. »Und bitte, küß mich!«

Lord Heywood wollte etwas antworten, aber Lalita bot ihm ihre Lippen dar. Sie war so schön, so sanft, so weiblich, daß er spürte, wie das Blut in seinen Schläfen pochte und sein ganzer Körper vor heftigem Verlangen brannte, sie zu der Seinen zu machen.

Aber er wußte auch, daß das, was er für Lalita empfand, viel mehr als körperliche Erregung war. Es war eine Verehrung, die er nie zuvor für eine Frau empfunden hatte, eine Verehrung, die sie nicht nur zu einem Teil seines Herzens, sondern auch seiner Seele machte.

Er wollte es ihr sagen; statt dessen küßte er sie und wußte, daß sie beide voll leidenschaftlichen Verlangens an das Göttliche rührten.

Er hatte die letzte Schlacht seines Lebens gewonnen; es war die Liebe, die ihn zum Sieger gemacht hatte.

»Die Liebe siegt!« rief er, und Lalita antwortete: »Ich habe es immer gewußt und gehofft.«