SECHSTES KAPITEL
Lord Heywood, der auf seinem Bett lag, dachte nicht an die Hitze, auch wenn sie unerträglich war. Er hatte die Vorhänge zurückgezogen und die Fenster weit geöffnet.
Seine Gedanken waren mit Lalita beschäftigt, und er mußte sich eingestehen, daß er sich schämte. Er erkannte jetzt, daß er seine Wut an ihr ausgelassen hatte.
Er war sich sicher, daß Lady Irene, sobald sie wieder in London war, die Geschichte, daß er mit einer Unbekannten verheiratet war, weiterverbreiten würde. Sie war nicht der Typ von Frau, die eine Kränkung schweigend hinnimmt.
Sie würde im Gegenteil alle Hebel in Bewegung setzen, um bei ihren sämtlichen Bekannten Anteilnahme für sich zu erwecken, und ihn als herzlos verdammen. Da eine ganze Reihe ihrer Bewunderer nur zu froh sein würden, daß er aus dem Rennen war, würden sie ihr nicht nur zustimmen, sondern ihr Bestes tun, ihn in den Clubs herunterzumachen.
Die Frauen würden klatschen, und ihre Neugier würde sich natürlich auf die Frau richten, die Lady Irenes Platz eingenommen hatte.
Was soll ich bloß machen? fragte sich Lord Heywood. Er fand keine Lösung und war deswegen zu Lalita, als sie sich zum Abendessen trafen, kalt und abweisend gewesen.
Er merkte, daß sie ihn flehend anblickte und ihn bitten wollte, ihr zu verzeihen, wenn sie etwas falsch gemacht hatte. Aber im Speisezimmer, wo Carter mit den Gerichten, die er zubereitet hatte, ein und aus ging, war es nicht möglich, etwas Persönliches zu besprechen, und nach dem Essen ging er, statt wie gewöhnlich ins Schreibzimmer, zum Stall.
Zwar waren da nur die zwei Pferde, nach denen er sehen konnte, und zu seiner Überraschung standen sie nicht auf der Koppel, wie er erwartet hatte, sondern in den Boxen. Conqueror hatte Grund, sich auszuruhen, aber warum Waterloo?
Er tätschelte dem letzteren den Hals, als Carter zu ihm trat.
»Ich habe mich gefragt, warum du die Pferde hereingeholt hast«, meinte Lord Heywood.
»Ich glaube, wir kriegen ein Gewitter, Mylord.«
»Das würde mich nicht wundern«, erwiderte Lord Heywood, denn es war zum Ersticken heiß.
»Es hat den ganzen Nachmittag in der Ferne gedonnert«, fuhr Carter fort. »Ich habe den Verdacht, daß das Gewitter nicht mehr weit weg ist. Wenn es zu uns kommt, regt sich Waterloo auf. Er wird denken, er ist wieder auf dem Schlachtfeld; er ist ja ein bißchen schußscheu, seitdem der Sechspfünder direkt neben Ihnen losgegangen ist.«
Lord Heywood erinnerte sich sehr gut daran, und es war ihm nur dank seiner Übung gelungen, nicht von Waterloos Rücken geschleudert zu werden. »Du hast ganz recht gehabt, daß du die Pferde hereingebracht hast«, sagte er anerkennend. »Wir wollen nicht, daß unseren einzigen Fortbewegungsmitteln etwas zustößt.« Dabei dachte er daran, daß Pferde, wenn sie erschrecken, zum Beispiel versuchen können, über eine Hecke zu springen, die zu hoch für sie ist.
Als er zum Haus zurückging, schien alles ruhig zu sein, und er sagte sich, daß Carter vielleicht unnötig ängstlich war.
Jetzt, da er mit freiem Oberkörper im Bett lag, dachte er, daß das Gewitter die Luft reinigte, wenn es Regen mit sich brachte.
Im selben Augenblick, in dem er das dachte, gab es einen Blitz, der das ganze Zimmer erhellte, und gleich darauf einen ohrenbetäubenden Knall.
Es war so überraschend gekommen, daß Lord Heywood zusammenfuhr. Dann lag er da und blickte durch das offene Fenster hinaus, während er auf den nächsten Blitz wartete. Er ließ nicht lange auf sich warten, und dann folgte ein noch lauteres Krachen.
Einen Augenblick später hörte er, wie sich die Tür seines Zimmers öffnete, und als er sich umwandte, sah er im Dunkeln undeutlich eine Gestalt in Weiß dastehen. »Lalita!« rief er.
Da erhellte ein Blitz ihr erschrecktes Gesicht, und das Krachen, das folgte, war geradezu ohrenzerreißend.
Das nächste, was Lord Heywood wahrnahm, war, daß sich Lalita an ihn klammerte und ihr Gesicht an seiner Schulter barg. Verwundert legte er die Arme um sie, so daß sie neben ihm auf dem Bett lag. Er spürte durch ihr Nachthemd hindurch, wie sie zitterte, aber auch die Wärme ihres Körpers. »Es ist ja gut«, sagte er beruhigend.
»Ich... ich habe Angst, daß es... im Haus einschlägt«, hörte er sie stammelnd sagen. Während sie sprach, tauchte ein Blitz das Zimmer von neuem in grelles Licht, und der Donner erschütterte fast gleichzeitig das Schloß.
Unwillkürlich drückte Lord Heywood Lalita fester an sich, und dabei wurde ihm auf einmal klar, daß er sie liebte.
»Kann es uns etwas anhaben?« fragte Lalita mit zitternder Stimme; ihr ganzer Körper schien vor Furcht zu beben.
Lord Heywood wandte sich ihr zu und küßte sie auf den Mund.
Einen Augenblick konnte es Lalita nicht fassen, aber mit einemmal war ihre Angst vor dem Gewitter verflogen, und Lord Heywoods Lippen und starke Arme ließen sie alles außer ihm vergessen.
Der Kummer, den sie verspürt hatte, weil sie meinte, er sei wütend auf sie, wurde von einer unaussprechlichen Freude hinweggefegt, die sich zu einem Taumel steigerte, den sie nur in ihren Träumen für möglich gehalten hatte.
Lord Heywoods Lippen waren zuerst leidenschaftlich und besitzergreifend, dann wurden seine Küsse immer zärtlicher, je mehr sich ihre Gefühle ihm mitteilten. Nach ein paar Minuten hob er den Kopf und sagte mit einer Stimme, die sie fast nicht wiedererkannte: »O Gott, wie kannst du mir das antun?«
Dann küßte er sie wieder. Er küßte sie, als fordere er ihre Hingabe, umwarb sie aber gleichzeitig so zärtlich, daß sie ihm von sich aus alles geben wollte, was er begehrte.
Ich bin sein, dachte sie. Es war, als ob jeder Nerv ihres Körpers ihm entgegenfieberte.
Er hörte nicht auf, sie zu küssen, und keines von ihnen merkte, daß sich der Donner allmählich in der Ferne verlor.
Jetzt strömte der Regen heftig herab und brachte eine Frische mit sich, die das Atmen leichter machte und die drückende Hitze verscheuchte.
Lord Heywood sagte mit heiserer, merkwürdig unsicherer Stimme: »Mein Liebling, das hätte uns nicht passieren dürfen.«
»Wie kann es unrecht sein?« fragte Lalita. »Es ist wundervoll, und ich liebe dich!«
»Gott weiß, wie auch ich dich liebe!« antwortete Lord Heywood. »Aber ich kann dir nichts bieten.«
»Du hast alles«, erwiderte Lalita, »alles, was ich mir je gewünscht oder vorgestellt habe. Ich wußte nicht, daß Liebe so wundervoll sein kann.«
»Ich auch nicht«, sagte Lord Heywood. »Ich habe aber auch noch nie eine Frau so geliebt, wie ich dich liebe.«
»Ist das wahr?«
»Ich würde dich gerne davon überzeugen, daß es wahr ist«, sagte er. »Aber wir müssen vernünftig sein, mein Schatz.«
»Warum?« fragte Lalita. »Du bist mein ganzes Leben und alles, was ich mir je wünschen kann.«
»Ach, meine Liebe, wie kann ich mir dessen sicher sein?« fragte er. Er ließ den Kopf auf das Kissen sinken; dann beugte er sich über sie und küßte sie, zuerst ihre Lippen, dann ihre Augen, dann ihren weichen Hals.
Als ihr Atem zwischen den geöffneten Lippen stoßweise ging und sich ihre Finger um seine Schultern spannten, erkannte er, daß er in ihr Gefühle geweckt hatte, die ganz anders waren als die, die sie bisher gekannt hatte. Er ließ von ihr ab, legte sich in die Kissen zurück und starrte schwer atmend zum Fenster hinüber.
Der Regen hatte aufgehört, und der Himmel klarte auf, so daß die Sterne zu sehen waren.
»Es ist nicht recht«, sagte Lord Heywood. »Aber ich kann nicht anders, mein Schatz.«
»Meinst du, es ist nicht recht, daß du mich liebst?« fragte Lalita. »Ich glaube nicht, daß etwas, das so wunderbar ist, unrecht sein kann.«
Er sagte nichts, und sie fuhr fort: »Ich habe heute, als du mir geholfen hast, die Kapelle zu reinigen, erkannt, daß du gut bist wie kein anderer Mann. Aber ich habe nicht gemerkt, daß das, was ich für dich empfand, Liebe war.« Sie streckte die Hand aus, um ihn zu spüren, und sagte: »Liebe kann niemals unrecht sein, da bin ich mir sicher.«
»Es ist nicht unsere Liebe, die unrecht ist«, sagte Lord Heywood. »Aber es ist nicht recht, daß ich dich bitte, meine Frau zu werden, weil ich weiß, welche Entbehrungen du dann auf dich nehmen müßtest.«
»Willst du denn, daß ich deine Frau werde?« fragte Lalita fast unhörbar.
»Natürlich will ich es!« antwortete er entschlossen. »Ich will, daß du zu mir gehörst, daß du mein bist für den Rest unseres gemeinsamen Lebens.« Er lächelte, bevor er hinzufügte: »Das ist das erste Mal, daß ich eine Frau heiraten will, aber ich weiß jetzt, daß ich instinktiv auf dich gewartet habe.«
»Ich bin so froh darüber, so über alle Maßen froh«, sagte Lalita. »Stell dir vor, du wärst, als wir einander begegnet sind, schon mit einer anderen verheiratet gewesen!«
Lord Heywood erwiderte ernst: »Vergiß Lady Irene! Sie soll unser Leben nicht stören. Ich werde ihr nicht erlauben, dich zu kränken.«
»Nichts kann mich kränken«, meinte Lalita, »wenn du mich nicht verläßt oder fortschickst.«
Sie sagte die letzten Worte in einem Ton, der Lord Heywood verriet, daß sie immer noch fürchtete, dies könne geschehen.
»Nichts auf der Welt könnte mich dazu bringen, dich jetzt zu verlassen«, fuhr Lalita fort. »Ich wünsche mir nichts anderes, als hier mit dir zu leben und glücklich mit dir zu sein bis an unser Ende, wie im Märchen.«
»Mein Schatz«, sagte Lord Heywood, »du bist schön. Wenn du in London wärst, würden dir alle Männer zu Füßen liegen, und du könntest einen Mann heiraten, der dich mit Juwelen schmückt, dir ein Krönchen aufsetzt und dir das Leben in Luxus bietet, das deine Schönheit verdient.«
»Aber niemand könnte so vollkommen sein wie du«, erwiderte Lalita.
Lord Heywood glaubte Musik zu hören, und er antwortete mit einer Stimme, die ihr verriet, daß er sehr bewegt war: »Was habe ich getan, um dich zu verdienen?« Dabei zeichnete er mit dem Finger ihre schmalen geschwungenen Augenbrauen und ihren geraden Nasenrücken nach und tastete den Umriß ihrer Lippen ab.
»Ich liebe dich!« flüsterte sie. »Und wenn du das machst, dann will ich dich küssen und küssen und spüren, daß du mich festhältst.«
Er küßte sie wieder, dann ließ er sie los und glitt aus dem Bett. Er griff nach einem seidenen Morgenmantel, der auf einem Stuhl lag, zog ihn über, trat ans Fenster und blickte hinaus. Er konnte den Garten im Sternenlicht liegen sehen und spürte, wie frisch die Luft nach dem Regen roch.
Während er dastand und versuchte, ruhiger zu atmen, hörte er eine Stimme hinter sich sagen: »Habe ich etwas... falsch gemacht?«
Lord Heywood wandte sich um und ging zum Bett zurück, wo er sich neben Lalita setzte und ihr ins Gesicht blickte. »Alles, was du machst, ist wunderbar und vollkommen«, sagte er, »aber ich bin, mein Liebling, ein Mann, und wenn du mich so über alle Maßen erregst, kann ich mich kaum zurückhalten.«
»Errege ich dich wirklich?« fragte Lalita.
»Viel zu sehr, als daß wir so weiterleben könnten«, erwiderte er. »Wann wirst du mich heiraten?«
Sie stieß einen leisen Freudenschrei aus. »Du willst mich heiraten, du willst es wirklich?«
»Wenn du mir schwörst, daß du es nie bereuen oder mir vorwerfen wirst, daß ich die Umstände ausgenutzt habe.«
»Wenn du mich nicht heiraten würdest«, sagte Lalita, »würde ich nur noch sterben wollen, weil es dann nichts mehr gäbe, für das es sich zu leben lohnte.« Ihre Finger schlossen sich um seine.
»Wie könnte ich dich aufgeben? Wie könnte ich das Glück aufgeben, das so wundervoll ist, daß die Ehe mit dir wie das Leben im Paradies sein wird.«
Mit übermenschlicher Anstrengung hielt er sein Verlangen, sie an sich zu drücken, im Zaum. »Hör zu, Liebste«, sagte er, »du mußt jetzt zurück in dein Bett. Ich schicke Carter morgen nach London, damit er eine Heiratserlaubnis besorgt, und sobald er zurück ist, bitte ich den Dorfgeistlichen, uns hier in der Kapelle zu trauen.«
Lalita stieß einen Freudenschrei aus und setzte sich auf. »Das wünsche ich mir mehr als alles andere«, sagte sie. »Wir werden die Kapelle mit Blumen schmücken. Obwohl es eine heimliche Hochzeit wird, kann sich keine Braut umworbener fühlen oder eine vollkommenere Hochzeit haben.«
»Und kein Bräutigam könnte eine schönere Braut haben.«
»Es wird herrlich werden!« flüsterte Lalita. Dann rief sie: »Ich wünschte, die Nacht wäre vorbei, damit wir Carter sagen können, er soll sich sofort auf den Weg nach London machen.«
»Du bist so wenig geduldig wie ich«, meinte Lord Heywood und führte Lalita in ihr Schlafzimmer.
Dort waren alle Vorhänge zugezogen. Lord Heywood zündete eine Kerze an, und Lalita schlüpfte unter die Decke.
Das Zimmer duftete nach Rosen, aus einer großen Vase, die Lalita auf einen Tisch zwischen den Fenstern gestellt hatte.
Lord Heywood setzte sich an Lalitas Bett, um sie zu betrachten. Keine andere Frau konnte so schön und doch so unberührt aussehen. Lalita hatte etwas so Junges und Frühlingshaftes an sich, daß ihm klar war, daß er sie immer beschützen mußte. »Ich liebe dich, mein Schatz«, sagte er mit seiner tiefen Stimme. »Und wenn wir verheiratet sind, kann ich dir zeigen, wie überwältigend mein Verlangen nach dir ist. Aber wir müssen warten, bis wir Gottes Segen dafür haben, daß wir einander gehören.« Als spürte er, daß sie ein wenig verwirrt war, fügte er mit einem Lächeln hinzu: »Was ich damit sagen will, mein Liebling, ist, daß du nicht mehr in mein Zimmer kommen darfst, bevor der Ehering an deinem Finger ist, es sei denn, du hast vor etwas Angst.«
Lalita lächelte ihn an. »Vielleicht war es etwas, das man nicht tut. Aber ich bereue es nicht. Wenn ich nicht gekommen wäre, dann hättest du mir vielleicht nie gesagt, daß du mich liebst.«
»Irgendwann«, erwiderte er, »hätte ich es unmöglich gefunden, dich nicht zu küssen. Das Gewitter war natürlich eine wunderbare Gelegenheit, die ich mir schon lange gewünscht habe.«
»Du hast dir gewünscht, mich zu küssen?«
»Es lohnt sich durchaus, dich zu küssen, meine Süße.«
»Dann küß mich jetzt.« Sie streckte ihm die Arme entgegen.
Lord Heywood zog sie rasch an sich, und seine Lippen fanden die ihren. Es war ein schneller Kuß, dann ließ er sie los und richtete sich auf. »Schlaf noch ein bißchen, meine Geliebte«, sagte er entschieden. »Morgen werden wir alles für unsere Hochzeit in die Wege leiten. Bis dahin werde ich mich so benehmen, wie es deine Mutter von mir erwarten würde.«
»Ich bin auch überzeugt, daß deine Mutter weiß, wie glücklich wir sind«, antwortete Lalita. »Sie wünscht sich gewiß, daß ich immer für dich da bin und dich liebe.«
»So wie ich für dich da sein werde.« Er beugte sich vor und küßte sie noch einmal; es war ein sehr sanfter Kuß. Dann blies er die Kerze aus. »Gute Nacht, meine geliebte zukünftige Frau«, sagte er. »Träum schön von mir.«
»Wie könnte ich von jemand anderem träumen?« fragte Lalita. Sie hörte, wie er die Tür zwischen ihren Zimmern schloß, und als sie sich in die Kissen schmiegte, konnte sie nur an seine wundervollen Küsse und die herrlichen Gefühle, die er in ihr geweckt hatte, und an das unglaubliche große Glück denken, das sie miteinander finden würden.
Wie konnte ich nur so viel Glück haben, daß ich einen so wunderbaren, großartigen Mann gefunden habe? fragte sie sich in der Dunkelheit.
Als der Morgen anbrach, erwachte Lalita. Sie wollte keine Minute des Tages versäumen, die sie mit Lord Heywood Zusammensein konnte.
Sie fragte sich, ob er nach dieser kurzen Nacht vielleicht noch müde war, aber da hörte sie ihn schon seine Zimmertür schließen und an der ihrigen vorbeigehen, und sie wußte, daß er schon angekleidet war.
Schnell sprang sie aus dem Bett, war aber doch Frau genug, sich mehr Zeit als an einem gewöhnlichen Tag zu nehmen, um sich zu frisieren und anzuziehen. Dann eilte sie in dem Reitkostüm, das Lord Heywoods Mutter gehört hatte, nach unten.
Als sie das Frühstückszimmer betrat, glaubte Lord Heywood, sie bringe den Sonnenschein mit herein.
Er erhob sich von dem Tisch am Fenster, an dem er saß, und ging ihr entgegen. »Hast du geschlafen?« fragte er.
»Ich habe von dir geträumt, wie du es mir aufgetragen hast. Aber hast du heute nacht die Wahrheit gesagt?«
»Ja. Ich liebe dich.«
Die Luft zwischen ihnen vibrierte vor Liebe, und obwohl Lord Heywood sie nicht berührt hatte, schien es Lalita, als läge sie in seinen Armen und seine Lippen küßten sie.
Als Lord Heywood nach dem Frühstück Carter sagte, daß er eine Heiratserlaubnis brauche, mußte er feststellen, daß das für Carter nicht überraschend kam.
»Meinen Glückwunsch, Mylord!« sagte er. »Und wenn Sie mich fragen, dann ist es das Beste, was Eure Lordschaft je getan haben. Miss Lalita wäre genau die Frau gewesen, die ich für Sie ausgesucht hätte, wenn Sie mich gefragt hätten.«
Lord Heywood lachte. »Ich bin froh, daß du zufrieden bist, Carter.«
Als Carter zum Aufbruch nach London bereit war, fiel es Lord Heywood ein, daß er ihm ja Lalitas Namen aufschreiben mußte, und er sagte zu dieser: »Es klingt absurd, mein Liebling, und keiner würde es mir glauben, aber ich kenne deinen Namen nicht.«
»Er ist Duncan.«
»Es ist jetzt an der Zeit«, erwiderte Lord Heywood, »daß du mir dein Geheimnis enthüllst.«
»Es ist eine lange Geschichte, und wir haben heute so viel zu tun«, erwiderte Lalita. »Kann die Sache bis heute abend warten?«
»Wenn du willst«, meinte Lord Heywood.
Er merkte nicht, daß Lalita fieberhaft überlegte, wie sie es anstellen sollte, ihm ihr Geheimnis weiter zu verheimlichen. Heute abend werde ich eine neue Ausrede erfinden, beschloß sie, denn sobald wir verheiratet sind, kann er nichts mehr ändern, so wütend es ihn auch machen wird.
Als Carter gegangen war, ritten Lord Heywood und Lalita aus.
Sie beschlossen, nichts allzu Anstrengendes zu unternehmen, weil Conqueror nach den zwei langen Reisetagen müde war. Da Carter auf Waterloo nach London geritten war, ritt Lalita das Pferd vom Pachtgut.
Sie waren es ganz zufrieden, langsam durch den Wald zu reiten, miteinander zu reden oder einfach zu wissen, daß sie sich auch ohne Worte verstanden.
Als sie zurück waren, machten sie sich wieder an die Arbeit in der Kapelle. Bei ihrem Eintritt flatterten zwei kleine Vögel an der Decke herum, und Lord Heywood sagte: »Wir müssen jemand holen, der uns ein paar Glasscheiben einsetzt, obwohl mir scheint, daß es billiger wäre, wenn ich auf einer Leiter hinaufklettern und die Löcher mit Papier bedecken würde.« Er fing an, den Fliesenboden noch einmal zu kehren, während Lalita das Geländer um die Kanzel und die Kerzenleuchter polierte, die sie hinter dem Altar gefunden hatte.
Erst als sie eine Pause einlegten, da es Zeit zum Mittagessen war, fragte Lalita: »Glaubst du, daß Carter schon heute nachmittag zurück ist?«
»Er hat mir versichert, daß er so rechtzeitig da ist, daß er unser Abendessen zubereiten kann«, erwiderte Lord Heywood.
»Dann können wir also morgen heiraten?«
»Warum nicht?« fragte Lord Heywood. An ihrem strahlenden Gesicht erkannte er, wie sehr sie die Vorstellung erfreute.
Dann zog sie die Schürze aus, die sie über einem hübschen Musselinkleid trug, das seiner Mutter gehört hatte, und sie gingen den Korridor entlang, der von der Kapelle zum Mittelbau des Schlosses führte.
Sie waren gerade in der Halle angekommen, als sie das Geräusch von Wagenrädern hörten.
Lalita sah Lord Heywood unsicher an. »Es kommt jemand«, sagte sie schnell. »Soll ich mich verstecken?«
»Auf keinen Fall«, erwiderte er. »Wir werden bei unserer Geschichte bleiben und behaupten, daß wir verheiratet sind.« Er trat vor das Portal.
Ein Mann kam die Stufen herauf, und hinter ihm war eine Kutsche zu sehen.
Während Lord Heywood das Bild noch in sich aufnahm, hörte er Lalita auf einmal einen unterdrückten Schrei ausstoßen, und als der Mann in die Halle kam, sagte sie kaum hörbar: »Onkel Edward!«
Der Mann hatte eine lange Nase und Augen, die zu dicht beieinander zu stehen schienen, und er hatte etwas Liederliches, ja Abstoßendes an sich. »Hier bist du also!« sagte er. »Hier hätte ich dich am allerwenigsten erwartet. Aber als Lady Irene Dawlish in meinem Haus vor dem Sturm Schutz suchte und die Frau beschrieb, die ihr Liebhaber geheiratet hatte, da wußte ich, ich bin auf der richtigen Spur.«
Lord Heywood spürte, wie Lalita neben ihm zitterte, trat vor sie hin und sagte: »Da Sie sich nicht vorgestellt haben, würde ich gern Ihren Namen erfahren. Meiner ist, wie Sie wahrscheinlich wissen, Heywood!«
»Und meiner ist, wie Sie ebenfalls sehr wohl wissen, Edward Duncan!« lautete die Antwort. »Auch wenn Sie, Lord Heywood, sich vielleicht für sehr schlau halten, betrachte ich Sie doch als schmutzigen, hinterhältigen Mitgiftjäger. Aber Sie kommen mit Ihrem Plan nicht durch!«
Lord Heywood starrte ihn erstaunt an.
»Wenn Sie sich einbilden«, fuhr Lalitas Onkel fort, und seine Stimme wurde vor Zorn noch lauter, »daß Sie eine reiche Erbin entführen und diese ohne Einwilligung ihres Vormunds heiraten können, dann täuschen Sie sich!«
»Nein, nein, Onkel Edward!« rief Lalita und ging auf ihn zu. »Was du da sagst, ist nicht wahr! Lord Heywood hat keine Ahnung, daß ich vermögend bin. Er hat mich geheiratet, weil wir uns lieben, und daran kannst du nichts mehr ändern!«
»Wohl kann ich das, und ich werde alles tun, was in meiner Macht steht!« sagte Edward Duncan. »Kein Gericht, das kann ich dir sagen, wird glauben, daß ›Heywood, der arme Schlucker‹ nicht sehr wohl weiß, daß du mit deinem Vermögen die Antwort auf sein Problem bist, wie er nämlich sein Schloß erhält und die Schulden seines Vaters zahlt! Komm, ich bringe dich hier weg. Deine Ehe wird für nichtig erklärt, und dann wirst du Philip heiraten, wie ich es schon immer mit dir vorgehabt habe.«
»Ich werde Philip nicht heiraten!« schrie Lalita.
Edward Duncan packte mit der linken Hand ihr Handgelenk, und als Lord Heywood auf ihn zutrat, zog er mit der rechten eine Pistole aus der Tasche. »Sie halten sich zurück, Heywood«, sagte er, »sonst schieße ich Sie auf der Stelle nieder! Ich nehme meine Nichte mit, und Sie können Ihre Ansprüche später geltend machen. Bis dahin kommt Lalita mit mir, und ich gebe Ihnen den guten Rat: Versuchen Sie nicht, mich daran zu hindern!«
»Ich will nicht mit! Ich weigere mich!« rief Lalita.
»Sie werden Lalita hier lassen«, sagte Lord Heywood scharf.
»Warum sollte ich?« fragte Edward Duncan. »Sie haben eine ungesetzliche Handlung begangen, Heywood, und wenn Sie sich einmischen, lasse ich Sie wegen Entführung einer Minderjährigen deportieren.« Er zerrte Lalita zum Portal. Sie stemmte sich dagegen, aber er war sehr stark und zog sie mit sich.
»Ich bestehe darauf, daß Sie sich anhören, was ich zu sagen habe«, sagte Lord Heywood.
Er war ihnen gefolgt und stand oben auf der Treppe. »Bleiben Sie zurück, sonst werden Sie es bereuen!« rief er.
Da stolperte Lalita und fiel nach vorne.
In diesem Augenblick sprang Lord Heywood Edward Duncan von hinten an. Dieser stürzte krachend auf die Treppe und schlug mit dem Hinterkopf auf einer der Steinstufen auf. Er verlor das Bewußtsein, und die Pistole fiel ihm aus der Hand.
Lord Heywood lud sich den bewußtlosen Mann auf und trug ihn vollends zu der Kutsche. Er warf ihn auf den Boden der Kutsche und sagte zu dem Mann, der die Zügel hielt: »Bringen Sie den Schweinehund weg und sorgen Sie dafür, daß er nicht zurückkommt!«
»Sie haben kein Recht, meinen Vater so zu behandeln!« erwiderte der andere ängstlich.
»Wenn das Ihr Vater ist, dann tun Sie mir leid«, gab Lord Heywood zurück. »Und jetzt entfernen Sie sich von meinem Grund und Boden, je schneller, desto besser!«
Er sagte das in einem Ton, der Philip Duncan so erschreckte, daß er auf der Stelle gehorchte. Er peitschte heftig auf seine Pferde ein. Eines von Edward Duncans Beinen ragte aus der Kutsche.
Lord Heywood sah ihnen nach, dann bückte er sich und hob die Pistole auf, die auf der untersten Stufe lag. Als er aufblickte, sah er Lalita über sich stehen.
Sie war sehr blaß und offenbar zu Tode erschrocken. »Du hast mich gerettet!« rief sie. »Ich dachte, er nimmt mich mit!« Sie war den Tränen nahe.
Aber der Ausdruck auf Lord Heywoods Gesicht war weder mitleidig noch zärtlich. »Ich habe den Eindruck, du bist mir eine Erklärung schuldig, Lalita. Ich möchte die Wahrheit hören, und zwar jetzt!« sagte Lord Heywood.