FÜNFTES KAPITEL
Während er die Auffahrt hinauffuhr, fand Lord Heywood, daß Heywood Abbey schön aussah.
Hinter ihm lag ein heißer Tag, es hatte sich kaum ein Lüftchen bewegt. Ein wenig Abkühlung hatte er sich nur dadurch verschafft, daß er die Pferde sehr schnell hatte laufen lassen, ohne daß er sie angetrieben hätte.
Jetzt machten sie im kiesbestreuten Innenhof einen eleganten Bogen und kamen am Fuß der Treppe zum Stehen.
Im selben Augenblick kam Carter auch schon die Stufen herunter und rief: »Willkommen zu Hause, Mylord!«
Lord Heywood ließ die Zügel fallen und stieg aus dem Wagen. Es wunderte ihn, daß von Lalita keine Spur zu sehen war.
Plötzliche Furcht überfiel ihn, daß sie so unerwartet, wie sie gekommen war, auch wieder verschwunden war. Er hätte gern Carter gefragt, wo sie sei, aber dieser führte die Pferde bereits zum Stall.
Als Lord Heywood sich anschickte, die Stufen hinaufzusteigen, hörte er einen Schrei, und Lalita kam ihm so schnell entgegengestürzt, als beschwingten sie Flügel.
Sie trafen auf der Mitte der Treppe zusammen, und mit einem Ausruf der Freude warf sie ihm die Arme um den Hals, hängte sich an ihn wie ein Kind und küßte ihn auf die Wange. »Sie sind wieder da!« rief sie. »Ich hatte solche Angst, daß Sie aufgehalten werden könnten und wir vergeblich auf Sie warten müßten.« Sie ließ ihn los und ging neben ihm in die Halle; dabei ließ sie ihre Hand in seine gleiten. »Wie war es?« fragte sie.
Es war eine so jugendliche Ungeduld in der Art, wie sie das sagte, daß Lord Heywood, während er mit der freien Hand seinen Hut auf den Tisch legte, den Eindruck hatte, er bringe geradezu gute Nachrichten, obwohl er nichts besonders Ermutigendes zu erzählen hatte.
Immer noch seine Hand haltend, zog ihn Lalita ins Schreibzimmer. Als er es betrat, sah Lord Heywood, daß die Vasen auf den Beistelltischen und dem Schreibtisch mit Blumen gefüllt waren, eine Flasche Wein in einem Eimer mit Eis stand und daneben ein großer Henkelkrug, den er noch nie gesehen hatte.
Lalita ließ seine Hand los und trat an den Tisch. »Sie sind bestimmt durstig«, sagte sie. »Es war heute sehr heiß und die Straßen sicher staubig.«
»Sie haben recht. Ich bin durstig!«
»Das habe ich mir gedacht«, sagte Lalita. »Carter war davon überzeugt, daß Ihnen Wein lieber wäre, aber ich habe meinen Pfirsichsaft für Sie gemacht.«
»Ich kann mir nichts vorstellen, was mir jetzt besser schmecken würde.«
Sie stieß einen kleinen Freudenschrei aus und trat mit einem geschliffenen Glas in der einen und dem Krug in der anderen Hand auf ihn zu.
Während er es sich in einem Sessel bequem machte und ihr beim Eingießen des Pfirsichsaftes zusah, verglich sich Lord Heywood mit einem verheirateten Mann, der zu seiner fürsorglichen Frau heimkommt. Er hob das Glas an die Lippen; Lalita wartete wohl auf sein Urteil. »Er ist köstlich!« erklärte er. »Wirklich köstlich! Ich habe nie etwas dergleichen getrunken.«
»Ich wußte, daß er Ihnen schmeckt«, sagte sie lächelnd, wartete, bis er noch einen Schluck getrunken hatte, und füllte das Glas nach. Darauf setzte sie sich auf den Teppich zu seinen Füßen.
Sie sah sehr jung und schön aus, als sie die Augen auf ihn richtete, um ihn besorgt zu fragen: »Ist es Ihnen gelungen?«
»Ein Darlehen zu bekommen? Nein.«
Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. »Ich habe so fest gebetet, und ich war sicher, daß meine Gebete erhört werden.«
»Nun, vielleicht werden sie erhört, aber nicht sofort«, erwiderte Lord Heywood. »Ich habe in Heywood House ein paar Möbelstücke und Gemälde entdeckt, die mir hoffentlich etwas Geld bringen werden; in der nächsten Woche sieht sie sich ein Schätzer an.«
»Das ist gut.«
»Er wird auch hierher kommen. Ich habe außerdem meine Anwälte überredet, die Pensionen noch einmal zu zahlen; das verschafft uns eine kleine Atempause.«
»Sie sind klug vorgegangen, sehr klug.«
»Nicht so klug, wie ich gern vorgegangen wäre«, antwortete Lord Heywood, »aber Sie müssen weiterbeten und hoffen, daß der Schätzer etwas findet, was den Aufwand lohnt.«
»Das werde ich, darauf können Sie sich verlassen!«
Darauf erzählte ihm Lalita, wie fleißig sie und Carter gearbeitet hatten.
»Wir haben alle Pfirsiche gepflückt, die reif waren«, sagte sie, »und Carter hat einige Gefäße gefunden, in denen er sie einmachen kann. Auf diese Weise haben wir auch dann noch etwas, wenn es im Garten kein Obst mehr gibt.«
Lord Heywood war klar, daß sie dabei an den Winter dachte. Er sagte sich, daß sie dann bestimmt nicht mehr bei ihm sein würde, aber es wäre nicht nett gewesen, jetzt dies zu erwähnen.
Sie plauderte weiter und erzählte ihm Dinge, die zwar alltäglich, aber für ihn interessant waren, und er stellte fest, daß er sich dabei sehr gut unterhielt.
»Und jetzt berichten Sie mir, wo Sie zu Mittag und zu Abend gegessen haben«, sagte sie schließlich.
Sie lauschte ihm aufmerksam, während er nicht nur seine Freunde, sondern auch das Essen und einige Unterhaltungen, die sie geführt hatten, schilderte.
»Es klingt alles sehr aufregend!« sagte sie, als er geendet hatte. »Aber hatten Sie denn keine Zeit, tanzen zu gehen oder Ihre … Freunde zu besuchen?«
Sie brachte die Worte so zögernd heraus, daß er merkte, daß sie eigentlich ›Freundinnen‹ hatte sagen wollen.
»Ich habe einen sehr netten Abend verbracht«, erwiderte er, »und als ich den Club verließ, war ich bettreif.« Er bildete sich ein, einen erleichterten Ausdruck auf Lalitas Gesicht zu sehen; dann sagte er sich, daß er einem Kind, das als ungebetener Gast bei ihm weilte, keinerlei Rechenschaft über sein Tun und Lassen schuldig war.
»Carter und ich haben ein gutes Abendessen gekocht«, sagte Lalita eifrig.
Sie sah, wie sie da zu seinen Füßen saß, so hübsch aus, daß er fand, sie ähnle einer Blume. Ihre Augen begegneten einander und trennten sich erst nach einigen Sekunden.
Es gab noch eine Menge zu tun, bevor er nach oben ging, um sich für das Abendessen umzuziehen.
In seinem Schlafzimmer stellte er fest, daß ihm Carter ein Bad bereitet hatte, und als er danach einen Abendanzug anzog, der seinem Vater gehört hatte und daher etwas bequemer als sein eigener war, ertappte er sich dabei, daß er sich mit einer solchen Ungeduld auf die gemeinsame Mahlzeit freute, daß er über sich selbst lachen mußte.
Er betrachtete Heywood Abbey jetzt mit ganz anderen Augen als bei seiner Heimkehr aus Frankreich. Zwar durfte er die Bilder und Möbel nicht verkaufen, aber sie gehörten ihm sein Leben lang. Zwar waren keine Lakaien in der Halle und keine Hausmädchen da, die den Staub wischten, der sich hinter den geschlossenen Türen immer weiter ansammelte, aber er hatte Carter und Lalita, und im Augenblick war er mit ihnen vollkommen zufrieden.
Als er das Speisezimmer betrat, bemerkte er, wie schwer die beiden gearbeitet hatten, um ihm bei seiner Rückkehr ein festliches Essen bieten zu können.
Heute abend sollte er an der großen Tafel und nicht an dem kleinen Tisch am Fenster sitzen, und vor seinem Stuhl mit der hohen Lehne, der sein Wappen trug, stand ein silberner Kandelaber mit sechs Kerzen. Der Tisch war mit silbernem Geschirr gedeckt, von dem er nichts mehr gewußt hatte. Das Silber glänzte im Kerzenlicht, und er konnte sich denken, daß Carter und Lalita viel Zeit darauf verwendet hatten, es zu putzen.
Lalita hatte gerade begonnen, die Kerzen im Speisezimmer anzuzünden, als er heruntergekommen war, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er feststellte, daß sie ein Abendkleid trug, das er bisher nicht an ihr gesehen hatte, und ein Diamantenhalsband. Im Haar trug sie ein Diamantendiadem und um das Handgelenk ein Diamantenarmband.
Als er auf sie zuging, machte sie einen Knicks, und auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck von kindlicher Freude, als sei sie auf einer Abendgesellschaft.
»Sie feiern meine Heimkehr aber wahrhaftig mit Glanz und Gloria«, sagte Lord Heywood. »Vielen Dank, Lalita!«
»So sollten Eure Lordschaft immer bedient werden«, erwiderte sie. »Heute abend darf es keine Sorgen um die Zukunft geben, und Sie müssen sich nur freuen.«
»Genau das habe ich vor«, erwiderte er, nahm Platz und stellte fest, daß für ihn bereits ein Glas Madeira eingeschenkt war. Als er daran nippte, sagte er: »Ich muß auf Sie trinken, Lalita, und später werde ich Ihnen für einen Abend danken, von dem ich bereits jetzt ahne, daß er ganz schön wird.«
Carter, der in der Heywood-Livree mit den silbernen Wappenknöpfen steckte, brachte den ersten Gang. Lord Heywood schien es, daß Lalita genau wußte, welcher Wein zu welchem Gericht paßte, und den Keller danach abgesucht hatte.
Als schließlich zusammen mit dem Pfirsichsorbet, das Carter zubereitet hatte, eine Flasche Champagner auf dem Tisch erschien, sagte Lord Heywood: »Ich gehe wohl recht in der Annahme, daß Sie mir einen weiteren Anhaltspunkt gegeben haben. Ihr Vater muß gutes Essen und guten Wein geschätzt haben, sonst könnten Sie nicht so viel davon verstehen.«
»Das ist wahr, aber mein Großvater hat mir mehr als jeder andere beigebracht.«
»Ich werde es in meinen Akten vermerken.«
»Ich habe den Eindruck, daß sie noch nicht aus sehr vielen Seiten bestehen.«
»Sie würden staunen über das, was ich schon weiß!« erwiderte Lord Heywood im Bewußtsein, daß sie das neugierig machte.
»Ihre Akten sollten nicht nur Tatsachen über mein Leben enthalten, sondern auch eine Einschätzung meines Charakters«, bemerkte sie.
»Selbstverständlich«, stimmte er ihr zu.
»Ich habe mich oft gefragt, was Sie von mir halten.«
Lord Heywood lachte.
»Wenn Sie mir verraten, wie Sie mich einschätzen, dann sage ich Ihnen auch, was ich von Ihnen halte.«
Lord Heywood lehnte sich in seinen Stuhl zurück, ein Glas Champagner in der Hand. »Den Damen gebührt der Vortritt«, sagte er.
Lalita hielt den Kopf ein wenig schräg. »Lassen Sie mich nachdenken«, sagte sie langsam. »Sie wissen natürlich, daß Sie eine starke, überragende Persönlichkeit sind. Das haben Ihnen sicher schon viele Leute gesagt.«
Lord Heywood zog die Augenbrauen hoch, aber er erwiderte nichts.
»Aber Sie sind auch«, fuhr Lalita fort, »freundlich, mitfühlend, verständnisvoll und ein guter Menschenkenner.«
»Woher wollen Sie das wissen?« fragte er.
»Ich spüre es an den Schwingungen, die von Ihnen auf mich ausgehen. Ich kann mich schlecht verständlich machen, deshalb müssen Sie Ihre Einfühlungsgabe benutzen, um zu verstehen, was ich sagen will.«
»Ich verstehe es durchaus«, sagte Lord Heywood, »und es überrascht mich.«
»Warum?«
»Weil ich glaube, daß niemand zuvor diese Schwingungen an mir entdeckt hat.«
Sie lächelte. »Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich eine Keltin bin, und ich weiß, auch wenn Sie es mir nicht glauben wollen, daß in Zukunft alle Ihre Wünsche in Erfüllung gehen werden.«
»Das möchte ich gern glauben.«
»Sie können es glauben, weil es wahr ist«, erwiderte Lalita. »Sie werden siegen, weil Sie immer siegen, weil Sie ein Mann sind, der alle Widerstände überwindet.«
Lord Heywood hob sein Glas. »Heute abend, nach einem so guten Essen in so bezaubernder Gesellschaft«, sagte er, »bin ich bereit, an alles zu glauben, sogar an den mit Goldmünzen gefüllten Krug am Fuße des Regenbogens.«
»Den finden Sie bestimmt«, sagte Lalita leise.
Darauf herrschte Schweigen, bis sie sagte: »Und jetzt sagen Sie mir, was Sie von mir halten.«
»Sie sind entschlossen, hartnäckig, widersetzlich, ungehorsam«, neckte er sie.
Lalita stieß einen Protestschrei aus, und er fügte hinzu: »Aber auch phantasievoll, verständnisvoll, liebenswürdig und sehr schön.«
Zum ersten Mal, seit er sie kannte, errötete Lalita.
Nachdem sie Carter für seine Kochkunst gedankt hatten, gingen sie wieder ins Schreibzimmer, wo Lalita Lord Heywood ein altes Buch zeigte, das sie beim Abstauben im Regal gefunden hatte. Darin war Heywood Abbey in seiner ursprünglichen Form beschrieben.
»Eine der Kapellen ist noch genauso wie zu der Zeit, als die Mönche hier waren«, sagte Lalita. »Sobald ich Zeit habe, werde ich sie putzen, Blumen und Kerzen auf den Altar stellen und beten, daß die, die als erste hier gelebt haben, zurückkehren, um uns zu segnen.«
»Ich bin froh, daß Sie denken, so etwas könnte geschehen«, sagte Lord Heywood. Als sie ihm die Bilder des Buchs zeigte, saßen sie Seite an Seite auf dem Sofa. Er nahm den Rosenduft ihrer Haare und ihrer Haut wahr und spürte die Wärme ihres Körpers an seiner Seite, und es fiel ihm schwer, nicht die Arme um sie zu legen und sie an sich zu ziehen.
»Die Abtei muß nicht nur schön, sondern auch ehrwürdig gewesen sein«, fuhr Lalita fort.
»Immerhin haben wir die Kapelle noch«, sagte Lord Heywood. »Sie haben recht, Lalita, wir müssen sie gründlich säubern und zu einem Ort der Ruhe und des Gebets machen, so wie sie in meiner Kindheit war.«
»Wenn uns das gelingt, werde ich jeden Tag dort für Sie beten«, versprach Lalita. Sie schloß das Buch und ging durch das Zimmer, um es an seinen Platz zurückzustellen.
Lord Heywood beobachtete sie dabei und sagte sich, daß sie sich mit einer Anmut bewegte, die so natürlich war wie ihr Selbstvertrauen. In ihrem eleganten Abendkleid mit den Diamanten wär sie auf jedem Ball, den sie besuchte, bestimmt die unumschränkte Königin. »Haben Sie bedacht«, fragte er, »daß Sie Ihren Vormund, vor dem Sie sich verbergen, sehr einfach loswerden können, indem Sie nämlich heiraten?«
Sie wandte sich vom Bücherregal ab und sah ihn an. »Heiraten?«
»Ihr Onkel hätte keine Gewalt mehr über Sie, wenn Sie verheiratet wären.«
Er erkannte an dem Ausdruck ihres Gesichts, daß sie voller Schrecken an ihren Vetter dachte, mit dem ihr Onkel sie verheiraten wollte, und fügte schnell hinzu: »Ich bin überzeugt, daß es viele Männer gibt, die nichts lieber täten, als Ihnen einen Heiratsantrag zu machen, wenn sie nur die Möglichkeit hätten, Sie kennenzulernen.«
Der Ausdruck des Schreckens wich aus Lalitas Gesicht. »Wollen Sie damit sagen, daß Sie einen Ball für mich geben wollen?« fragte sie.
»Ich würde schon, wenn es mir möglich wäre, aber ich habe eigentlich gedacht, daß Sie den Platz in der Gesellschaft einnehmen sollten, der Ihnen zusteht. Sie dürfen Ihre Jugend und Schönheit nicht an einen alten Mann wie mich verschwenden.«
»Jetzt wollen Sie mir bestimmt ein Kompliment entlocken«, meinte Lalita. »Ich glaube, ich nehme Sie im Gegenteil zu sehr für mich in Anspruch und halte die fleißigen kleinen Bienen ab, die sonst um einen Honigtopf namens Romney Heywood schwirren!«
»Das haben Sie von Carter!« rief Lord Heywood vorwurfsvoll.
»Natürlich. Er hat mir klargemacht, wie bevorzugt ich bin, daß ich mit einem Mann essen darf, der Hunderte von Herzen gebrochen hat.«
»Wenn Sie so mit mir reden, werde ich sehr ärgerlich!«
Lord Heywood versuchte, das streng zu sagen, aber in seinen Augen stand ein Lächeln.
Lalita kam durch das Zimmer und setzte sich zu seinen Füßen. Sie breitete ihren Rock um sich aus, so daß sie mehr denn je wie eine gerade erblühende Rose aussah. »Ich will Sie nicht ärgern«, sagte sie. »Mein Gefühl sagt mir, daß Sie sehr empfindlich sind, wenn es um Ihre Anziehungskraft auf Frauen geht. Statt dessen sage ich nur, daß es mir lieber ist, hier mit Ihnen zu essen als bei Almack zu tanzen oder einen Ball beim Prinzregenten zu besuchen.«
»Ich behaupte aber immer noch, daß Ihr Platz dort sein sollte.«
»Und meine Antwort ist dieselbe: Ich bin sehr glücklich, wo ich bin.«
Es konnte keinen Zweifel an der Aufrichtigkeit ihrer Worte geben, die sich in ihren Augen widerspiegelte und sie so schön machte, daß Lord Heywood einem fast unwiderstehlichen Drang, sie an sich zu ziehen und zu küssen, widerstehen mußte.
Am nächsten Morgen ritten sie wie üblich früh aus, und Lord Heywood spürte, daß alles, was er sah, ihm jetzt mehr bedeutete als vor seiner Fahrt nach London.
Er sagte davon nichts zu Lalita, aber als ahnte sie es, äußerte sie, als sie in einen gemächlichen Trott verfielen: »Erst wenn man um etwas kämpfen muß, merkt man, was es einem wert ist. Ich beneide Sie. Arm oder reich, was sich jeder wünscht, ist ein Heim, und das ist etwas, das ich verloren habe und vielleicht nie wieder besitzen werde.«
Es lag etwas sehr Sehnsuchtsvolles in ihrer Stimme, und Lord Heywood erwiderte ohne nachzudenken: »Im Augenblick teilen Sie das meine mit mir.«
»O ja«, meinte Lalita. »Aber gleichzeitig habe ich, wie Sie sehr gut wissen, Angst, daß Sie mich vor die Tür setzen.«
»Ich mache mir immer noch Gedanken darüber, was das Beste für Sie wäre.«
»Darauf kann ich Ihnen ganz leicht eine Antwort geben«, antwortete Lalita. »Aber lassen Sie uns zu den Bäumen dort drüben reiten!«
Während sie noch sprach, berührte sie schon Conqueror mit der Peitsche und ritt in einem so schnellen Galopp davon, daß Lord Heywood einige Zeit brauchte, ehe er sie eingeholt hatte.
Sobald sie wieder im Schloß waren, fingen sie an, die Kapelle zu säubern. Es hatte sich nicht nur Staub angesammelt, sondern auch einige Scheiben in den Fenstern waren zerbrochen, und die Vögel hatten auf dem kunstvoll gearbeiteten Gesims und über dem Altar Nester gebaut. Die Holzschnitzereien an den Wänden waren jedoch so wunderbar wie zu der Zeit, als sie die Mönche dort angebracht hatten, und der Marmor des Altars war nach dem Polieren so schön, wie es nur die Patina des Alters bewirken kann.
Sie arbeiteten bis zum Mittagessen, dann sagte Lord Heywood, nachdem sie sich gewaschen und den ausgezeichneten Kaninchenbraten gegessen hatten, den ihnen Carter zubereitet hatte: »Ich finde, wir haben für heute genug getan. Ich schlage vor, wir ruhen uns während der Mittagszeit ein wenig aus und gehen dann in den Garten.«
»Gern.«
»Ich möchte Ihnen zeigen, wo meine Mutter einen Wassergarten angelegt hat«, fuhr Lord Heywood fort. »Ich fürchte, daß er jetzt zugewachsen und voller Unkraut ist. Er bestand aus kleinen Wasserfällen und Teichen, in denen Goldfische schwammen. Vielleicht werden wir ihn eines Tages wieder so herrichten können, wie er aussah, als ich ein Junge war.«
Er hatte das ohne nachzudenken gesagt, und erst als er Lalita ansah, merkte er, daß seine Worte bedeuteten, daß sie lange bei ihm sein würde. Ich darf ihr keine Hoffnungen machen, tadelte er sich in Gedanken.
»Das würde bestimmt Spaß machen«, gab ihm Lalita recht, »und ich habe auch etwas, was ich Ihnen zeigen kann, wenn Sie Zeit haben.«
»Was?«
»Einige Zeichnungen, die ich in einer Schublade in dem Zimmer, das, glaube ich, das Zeremonienzimmer genannt wird, entdeckt habe. Sie sind sehr interessant und könnten wertvoll sein, wenn sie von einem einigermaßen bekannten Künstler stammen.«
»Ich würde sie gern sehen«, erwiderte Lord Heywood.
»Sie sind so hübsch, daß Sie sich bestimmt höchst ungern von ihnen trennen wollen«, meinte Lalita. »Ich glaube wirklich, man sollte sie rahmen lassen und aufhängen.«
»Ich verstehe nicht viel von Kunst«, gestand Lord Heywood, »aber wenn der Mann von Christie's hierher kommt, können wir ihn deswegen fragen.« Er lehnte ein Glas Portwein, das ihm Carter anbot, ab und sagte: »Ich werde dick, Carter, wenn du mich so gut fütterst. Dabei fällt mir ein, dir muß allmählich das Geld ausgehen, ja, ich habe sogar den Verdacht, daß du Schulden machst, was ich nicht dulden kann.« Er bemerkte den Blick, den Carter und Lalita wechselten, nicht.
»Mylord«, sagte Carter, »ich muß Sie in der Tat um eine oder zwei Guineen bitten.«
Lord Heywood kramte in seiner Tasche. »So viel habe ich gerade bei mir«, sagte er. »Denk daran, den richtigen Preis für alles zu zahlen, was wir kaufen.«
»Ja, Mylord.«
Lord Heywood hatte offensichtlich keine Ahnung, wieviel sie und Carter für das Essen, das ihm so gut schmeckte, ausgegeben hatten.
Sie erzählte ihm nun wieder von den Zeichnungen, die sie ihm zeigen wollte, und als sie im Schreibzimmer angekommen waren, ließ sie sich zu seinen Füßen nieder, holte die Skizzen aus einer Mappe und breitete sie um sich aus. »Schauen Sie sich die an!« sagte sie. »Sie ist hervorragend.«
»Das müßte meines Erachtens Rom sein«, erwiderte Lord Heywood. »Sie stammt sicherlich von einem vorzüglichen Künstler!«
»Das habe ich auch gedacht. Diese hier gibt wohl ein Pariser Motiv wieder.«
»Ja, wirklich!« gab ihr Lord Heywood recht. »Ich erinnere mich sogar, daß ich an genau derselben Stelle gestanden bin.«
»Mit wem?« fragte Lalita.
»Das Mißtrauen in Ihrer Stimme ist nicht zu überhören«, antwortete er. »Aber ich war mit einem bärbeißigen alten General da, der beim Mittagessen zu viel getrunken hatte, weswegen ich Mühe hatte, ihn auf den Beinen zu halten.«
»Wie unromantisch!« Lalita warf den Kopf zurück und lachte.
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und das Lachen erstarb ihr auf den Lippen.
Das Zimmer betrat, wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt, die schönste Frau, die sie je gesehen hatte.
In einer grün schimmernden Seidenpelerine und einem mit Straußenfedern geschmückten Hut sah sie so aufsehenerregend aus, daß es Lalita durch den Sinn ging, es müsse sich bei ihr um eine Schauspielerin handeln.
Lord Heywood erhob sich, und sie hörte ihn atemlos sagen: »Irene!«
Das ist also, dachte Lalita, die berühmte Lady Irene, von der Carter gesprochen und die Lord Heywood so erleichtert in Paris zurückgelassen hat!
Sie kam mit einem Lächeln auf den roten Lippen und einem Funkeln in den Augen in das Zimmer gerauscht. Als sie aber Lalita erblickte, verschwand das Lächeln aus ihrem Gesicht. »Wie konntest du nach London kommen, Romney, ohne mich aufzusuchen?« fragte sie in scharfem Ton. Dann wollte sie mit einem Blick auf Lalita wissen: »Wer ist das? Und was tut sie hier?«
Lalita wurde blitzartig klar, daß sie Lord Heywood vor dieser Frau bewahren mußte. Sie erhob sich, ging auf Lady Irene zu und streckte ihr die Hand entgegen. »Sie sind wohl«, sagte sie mit einem Lächeln, »Lady Irene Dawlish. Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Ich habe von meinem... Mann viel über Sie gehört.«
Als Lalita das gesagt hatte, hatte sie den Eindruck, daß die beiden anderen Menschen im Raum zu Stein erstarrt waren.
Dann fragte Lady Irene mit erstickter Stimme: »Haben Sie gesagt: mein Mann?«
Lalita wagte nicht, Lord Heywood anzublicken, sondern hielt die Augen auf das Gesicht der Frau vor ihr gerichtet. »Ja, wir sind verheiratet«, sagte sie. »Aber es muß ein Geheimnis bleiben, weil ich noch wegen meines Großvaters Trauer trage. Ich weiß jedoch, daß Sie mich verstehen und schweigen werden, bis wir unsere Heirat in aller Form bekanntgeben.«
»Verheiratet!« rief Lady Irene aus und machte einen Schritt auf Lord Heywood zu. »Wie hast du mir das antun können?« fragte sie. »Du hast meine Briefe nicht beantwortet, hast dich nicht bemüht, mit mir Verbindung aufzunehmen, und jetzt erfahre ich, daß du – verheiratet bist!« Ihre Stimme wurde immer lauter, als sie fortfuhr: »Ich bin in meinem ganzen Leben nicht so beleidigt worden! Dein Benehmen ist abscheulich!«
Lord Heywood konnte offensichtlich nur mit Mühe sprechen, als er sagte: »Wenn ich dich verärgert habe, möchte ich mich entschuldigen.«
»Mich verärgert?« rief Lady Irene. »Was hast du denn erwartet, was ich empfinde? Als du dich verabschiedet hast, hast du gesagt …« Sie schlug vor Entrüstung die Hände über dem Kopf zusammen. »Aber was hat es für einen Sinn, darüber zu reden? Du bist verheiratet, und ich habe gedacht –« Die Stimme versagte ihr.
Dann stampfte sie mit dem Fuß auf, als habe sie plötzlich jegliche Kontrolle über ihre Gefühle verloren. »Es wird dir noch leid tun, daß du mir das angetan hast!« drohte sie. »Und ich werde dafür sorgen, daß diese Gans von keinem respektablen Mitglied der Gesellschaft akzeptiert wird.« Dann drehte sie sich um und rauschte aus dem Zimmer.
Sie hörten, wie sich ihre Schritte in dem langen Korridor entfernten, bis sich Lord Heywood etwas verspätet seiner guten Manieren besann und hinter ihr her eilte.
Als sie allein war, hatte Lalita das Gefühl, daß ihre Beine sie nicht länger trugen, und sie sank zu Boden.
Sie dachte darüber nach, was sie getan hatte.
Es war alles so schnell gegangen, und die Erklärung, daß sie verheiratet seien, hatte sich ihr auf die Lippen gedrängt, ohne daß sie auch nur eine Sekunde bedachte, was für Folgen ihre Lüge haben konnte. Als sie Lord Heywood langsam zurückkommen hörte, zitterte sie. Da sie es nicht wagte, ihm in die Augen zu blicken, begann sie die Skizzen einzusammeln, die auf dem Fußboden lagen. Sie hörte, wie er die Tür hinter sich schloß.
Er kam auf sie zu und blieb ein paar Schritte vor ihr stehen. Da wußte sie, daß er darauf wartete, daß sie zu ihm aufblickte.
»Ich nehme an, es ist Ihnen klar, was Sie angerichtet haben!« sagte er vorwurfsvoll.
»Ich dachte, ich tue Ihnen einen Gefallen.«
»Aber sich haben Sie damit noch tiefer in das Schlamassel gebracht.«
»Ich verstehe nicht, was das mit mir zu tun hat.«
»Stellen Sie sich nicht so dumm!« fuhr Lord Heywood sie aufgebracht an. »Was sollen wir denn machen, wenn meine Freunde erfahren, daß wir verheiratet sind, und mir gratulieren wollen?«
»Sie könnten sagen, daß die ganze Sache ein Scherz war.«
Lord Heywood konnte nicht umhin zu denken, daß das eine geradezu geniale Lösung war. Gleichzeitig war er aber überzeugt, daß die Sache viel ernstere Folgen haben würde. Er trat ans Fenster, als könne er besser nachdenken, wenn er in den Garten hinausblickte.
»Wenn ich etwas getan habe, was Ihnen schadet«, sagte Lalita, »dann will ich auf der Stelle gehen.«
»Ich verstehe nicht, warum Sie es getan haben.«
»Carter hat mir erzählt, daß Sie froh waren, sie in Paris zurücklassen zu können.«
»Carter hat kein Recht, so etwas zu sagen.«
»Aber ist es wahr?«
»Ich habe nicht vor, darüber zu reden.«
»Aber es wäre ein Fehler, wenn Sie daran dächten, sie zu heiraten! Sie ist keine gute Frau.«
»Woher wollen Sie das wissen?« fragte Lord Heywood höchst verärgert.
»Ich weiß es ganz einfach. Und jetzt, wo sie wütend ist, wird sie Ihnen schaden, wo sie kann.«
Lord Heywood wußte, daß es die Wahrheit war. Es war ihm unmöglich, Lalita zu widerlegen. Weil er jedoch erst einmal mit sich selbst ins reine kommen mußte, verspürte er nicht den Wunsch, weitere Erklärungen abzugeben, so froh er auch war, Lady Irene los zu sein. Er stapfte aus dem Schreibzimmer und warf die Tür hinter sich ins Schloß.
Lalita saß da und starrte auf die Zeichnungen. Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen traten.
Dabei hatte sie ihm doch nur helfen wollen! Sie hatte ihn vor Lady Irene schützen wollen, die sie schon, bevor sie sie gesehen hatte, für schlecht gehalten hatte. Aber jetzt war sie davon überzeugt, daß sie noch schlimmer war. Sie war böse!
Sie sagte sich, daß die Schwingungen, die von Lady Irene ausgingen, ähnlich denen ihres Onkels waren, als er versucht hatte, ihr die Heirat mit ihrem Vetter aufzuzwingen.
Lalita fühlte, daß Lord Heywood, auch wenn er wenig von sich preisgab, voll der hohen Ideale war, von denen sie sich immer vorgestellt hatte, daß sie ein guter und tapferer Mann in seinem Herzen trug.
Erst an diesem Vormittag, als sie die Kapelle reinigten, hatte sie gedacht, daß nur ein Mann, der an Gott glaubte und gut war, so bereitwillig diesen heiligen Ort von Staub und Schmutz befreien konnte.
»Ich hasse diese Frau!« sagte Lalita vor sich hin, als sie daran dachte, wie glücklich sie gewesen waren, bevor Lady Irene auftauchte.
Der Himmel hatte sich bezogen.
Es sieht nach Regen aus, dachte Lalita. Ich hoffe, die Lady wird auf der Heimfahrt nach London gehörig naß!
Es war ein kindischer Wunsch, und Lalita war sich dessen durchaus bewußt. Was ihr wirklich Kummer bereitete, war Lord Heywoods gereizte Stimmung. Wie sollte sie es bloß anstellen, ihn wieder glücklich zu machen? »Bitte, lieber Gott, hilf mir«, betete sie.