Kapitel Drei
Ich möchte jetzt einmal etwas klarstellen. Ich war nicht ganz fair zu euch. Was allerdings zu erwarten war, da ich schließlich ein Lügner bin.
Im ersten Band dieser Reihe habe ich einige pauschale Verallgemeinerungen über Bibliothekare verbreitet, von denen manche nicht ganz der Wahrheit entsprechen.
Jetzt muss ich die Hosen runterlassen. Es gibt mehrere Arten von Bibliothekaren. Zum einen die, von denen ich in meinem letzten Buch gesprochen habe – die Bibliothekare. Wir nennen sie auch Bibliothekare des Biblioden oder die Bibliothekare des Schreibers. Fast alles, was ich über diese bestimmte Gruppe gesagt habe, entspricht den Tatsachen.
Allerdings habe ich mir nicht die Zeit genommen zu erklären, dass sie nicht die einzige Art von Bibliothekaren sind, die es auf der Welt gibt. Deshalb könnte es sein, dass ihr jetzt annehmt, alle Bibliothekare wären niederträchtige Sektenanhänger, die die Weltherrschaft an sich reißen wollen, die Menschheit versklaven und Unschuldige auf ihren Altären opfern. Das ist jedoch überhaupt nicht wahr. Nicht alle Bibliothekare sind niederträchtige Sektenanhänger. Einige Bibliothekare sind stattdessen rachsüchtige Untote, die einem die Seele aussaugen wollen.
Ich bin froh, dass wir das geklärt haben.
»Ihr wollt was?«, rief Bastilles Mutter aufgebracht.
»Zur Bibliothek von Alexandria fliegen«, erklärte ich.
»Das kommt überhaupt nicht in Frage, Lord Smedry. Das können wir unmöglich tun.«
»Wir müssen es tun«, beharrte ich.
Australia drehte sich zu mir um, ohne die Hand von der sanft glühenden Glasplatte zu nehmen, über die sie auf geheimnisvolle Weise die Dragonaught steuerte. »Warum, um alles in der Welt, willst du nach Alexandria, Alcatraz? Das ist kein sehr angenehmer Ort.«
»Grandpa Smedry ist da«, erläuterte ich, »was bedeutet, dass wir ebenfalls dorthin müssen.«
»Er hat nie gesagt, dass er nach Ägypten will«, meinte Australia und warf noch einmal einen Blick auf die zerknitterte Nachricht, die er geschickt hatte.
»Die Bibliothek von Alexandria ist einer der gefährlichsten Orte in den gesamten Ländern des Schweigens, Lord Smedry«, fuhr Draulin fort. »Die meisten normalen Bibliothekare töten euch einfach oder sperren euch ein. Die Kuratoren von Alexandria hingegen rauben euch die Seele. Und ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, dass Sie sich einer solchen Gefahr aussetzen.«
Die hochgewachsene, gepanzerte Frau stand bewegungslos, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Ihr silbernes Haar war lang, aber zu einem praktischen Pferdeschwanz gebunden, und sie sah mir nicht in die Augen, sondern blickte starr geradeaus.
Ich möchte darauf hinweisen, dass ich im Folgenden absolut logisch handelte. Wirklich. Es gibt ein universelles Gesetz – in den Ländern des Schweigens ist es ziemlich unbekannt, aber unter den Wissenschaftlern der Freien Königreiche ist es weit verbreitet. Dieses Gesetz nennt man das ›Gesetz des unabwendbaren Vorfalls‹.
Vereinfacht ausgedrückt besagt es, dass gewisse Dinge einfach passieren müssen. Wenn es auf einer Konsole einen roten Knopf gibt, über dem deutlich nicht drücken geschrieben steht, dann wird ihn jemand drücken. Wenn über Checkovs Kamin gut sichtbar eine Waffe hängt, wird es damit enden, dass sie jemand abfeuert (wahrscheinlich auf Nietzsche).
Und wenn eine gestrenge Frau einem sagt, was man tun soll – und einen gleichzeitig mit »Lord« anspricht –, kommt man gar nicht darum herum auszuprobieren, wie weit man bei ihr gehen kann.
»Hüpfen Sie auf einem Bein«, befahl ich und deutete mit dem Finger auf Draulin.
»Wie bitte?«, fragte sie und errötete.
»Machen Sie schon. Das ist ein Befehl.«
Und sie hüpfte, auch wenn sie dabei ziemlich sauer dreinschaute.
»Sie können wieder aufhören«, sagte ich schließlich.
Sie gehorchte. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu erklären, was das sollte, Lord Smedry?«
»Ganz einfach, ich wollte herausfinden, ob Sie meinen Befehlen gehorchen.«
»Selbstverständlich tue ich das«, erwiderte Draulin. »Als das älteste Kind von Attica Smedry sind Sie der Erbe der reinen Smedry-Linie. Sie stehen im Rang über Ihrer Cousine und Ihrem Onkel, was bedeutet, dass Sie der Kommandant dieses Schiffes sind.«
»Hervorragend. Das heißt also, dass ich entscheiden kann, wohin wir fliegen, korrekt?«
Bastilles Mutter war sprachlos. Schließlich sagte sie: »Nun ja, technisch gesehen ist das korrekt. Mir wurde jedoch aufgetragen, Sie sicher nach Nalhalla zu bringen. Es wäre äußerst töricht, von mir zu verlangen, Sie an einen derart gefährlichen Ort zu bringen, und …«
»Ja, ja, das ist alles gut und schön«, unterbrach ich sie. »Auf geht’s, Australia. Ich will so schnell wie möglich in Ägypten ankommen.«
Die Zornesröte auf Draulins Wangen vertiefte sich, aber sie blieb stumm. Australia zuckte nur mit den Schultern und streckte den Arm aus, um ihre Hand auf eine andere Glasplatte zu legen. »Äh, bring uns zur Bibliothek von Alexandria«, sagte sie zögerlich.
Der gigantische Glasdrache bewegte sich leicht und änderte mit sanften Wellenbewegungen und kontinuierlichen Schlägen seiner sechs Flügel die Richtung.
»Das ist alles?«, fragte ich verblüfft.
Australia nickte. »Es wird allerdings noch ein paar Stunden dauern, bis wir da sind. Wir müssen jetzt über den Nordpol fliegen und dann runter in den Mittleren Osten, anstatt einfach rüber nach Nalhalla.«
»Schön, dann ist ja alles klar«, sagte ich ein wenig angespannt, da mir klar wurde, was ich da gerade getan hatte. Vor noch gar nicht langer Zeit war ich ganz erpicht darauf gewesen, endlich in Sicherheit zu sein. Und jetzt setzte ich alles daran, an einen Ort zu gelangen, von dem jeder sagte, er sei extrem gefährlich?
Was machte ich hier eigentlich? Wie kam ich dazu, das Kommando zu übernehmen und Befehle zu geben? Ziemlich verunsichert verließ ich das Cockpit. Bastille schloss sich mir an.
»Ich bin mir nicht ganz sicher, warum ich das getan habe«, gab ich zu, während wir den Gang hinunterliefen.
»Es könnte sein, dass dein Großvater in Gefahr ist.«
»Schon möglich, aber was sollen wir denn bitte dagegen tun?«
»Wir haben ihm immerhin bei der letzten Bibliotheksinfiltration geholfen«, wandte Bastille ein. »Und ihn vor Blackburn gerettet.«
Schweigend folgte ich dem Verlauf des gläsernen Korridors. Ja, wir hatten Grandpa Smedry gerettet. Aber … nun, irgendetwas sagte mir, dass Grandpa Smedry Blackburn letzten Endes so oder so entkommen wäre. Der alte Smedry lebte jetzt schon seit mehr als einem Jahrhundert und hatte sich – soweit ich wusste – schon aus so mancher Zwickmühle rausgewunden, wovon einige noch wesentlich prekärer als diese gewesen waren.
Er war es gewesen, der Blackburn mit den Linsen bekämpft hatte – ich war vollkommen hilflos gewesen. Okay, es war mir gelungen, die Feuerspenderlinse kaputt zu machen und Blackburn am Schluss reinzulegen. Aber ich hatte dabei gar nicht so richtig gewusst, was ich tat. Meine Triumphe wirkten auf einmal mehr wie Zufälle. Und jetzt stürzte ich mich schon wieder kopfüber in die Gefahr?
Aber es war zu spät. Die Dragonaught hatte den Kurs geändert, und wir waren unterwegs nach Alexandria. Wir werden uns das Ganze einfach von außen ansehen. Wenn es zu gefährlich aussieht, müssen wir ja nicht reingehen.
Gerade wollte ich Bastille diese Entscheidung mitteilen, als hinter uns eine Stimme erklang: »Bastille! Wir haben den Kurs geändert. Was soll das?«
Erschrocken drehte ich mich um. Ein vielleicht ein Meter zwanzig großer Mann kam durch den Korridor auf uns zu. Er war gerade hundertprozentig noch nicht da gewesen, und ich hatte keine Ahnung, wo er so plötzlich hergekommen war.
Der Mann trug robuste Kleidung: eine Lederjacke, eine Tunika, die in die strapazierfähige Hose gesteckt war, und Stiefel. Er hatte ein breites Gesicht mit einem starken Kinn und dunkle, lockige Haare.
»Ein Gnom!«, rief ich spontan aus.
Verwirrt blieb der kleine Mann stehen. »Der ist neu«, bemerkte er.
»Was bist du?«, wollte ich eifrig wissen. »Ein Kobold? Ein Elf?«
Der kleine Mann hob eine Augenbraue und sah dann zu Bastille hinüber. »Haselnuss noch mal, Bastille«, fluchte er. »Wer ist dieser Clown?«
»Kaz, das ist dein Neffe, Alcatraz.«
Er musterte mich kurz. »Oh … ich verstehe. Ich hätte nicht gedacht, dass er so unterbelichtet ist.«
Ich wurde rot. »Du bist also kein Gnom?«
Er schüttelte den Kopf.
»Dann vielleicht ein Zwerg? Wie in Der Herr der Ringe?«
Wieder schüttelte er den Kopf.
»Du bist also einfach nur ein Liliputaner?«
Daraufhin schenkte er mir einen vernichtenden Blick. »Dir ist schon bewusst, dass ›Liliputaner‹ kein akzeptabler Begriff ist, oder? Das wissen sogar die meisten Mundtoten. Liliputaner wurden Menschen wie ich genannt, als man uns in Freakshows ausgestellt hat.«
Ich zögerte. »Wie soll ich dich denn sonst nennen?«
»Tja, Kaz wäre nicht schlecht. Der volle Name lautet Kazan, auch wenn die verdammten Bibliothekare vor einiger Zeit ein Gefängnis so genannt haben.«
Bastille nickte bestätigend. »In Russland.«
Der kleine Mann seufzte. »Wie dem auch sei, wenn du unbedingt auf meine Größe Bezug nehmen musst, denke ich, dass ›kleinwüchsig‹ akzeptabel wäre. Und würde mir jetzt vielleicht mal jemand erklären, warum wir den Kurs geändert haben?«
Ich war noch zu sehr damit beschäftigt, peinlich berührt zu sein, um zu antworten. Ich hatte meinen Onkel nicht beleidigen wollen. (Zum Glück bin ich in so etwas im Lauf der Jahre wesentlich besser geworden. Heute bin ich ziemlich gut darin, Menschen absichtlich zu beleidigen, und das sogar in Sprachen, die ihr Freien Untertanen gar nicht kennt. Das habt ihr jetzt davon, ihr ÔÐ×ÒÛÐÔõ).
Glücklicherweise meldete sich Bastille zu Wort und beantwortete Kaz’ Frage: »Wir haben erfahren, dass dein Vater in der Bibliothek von Alexandria ist. Und wir glauben, dass er in Schwierigkeiten steckt.«
»Also sind wir auf dem Weg dorthin?«, vergewisserte sich Kaz.
Bastille nickte.
Das schien Kaz’ Laune wieder zu heben. »Phantastisch!«, freute er sich. »Endlich einmal gute Neuigkeiten auf dieser Reise.«
»Warte mal«, hakte ich nach. »Das sind also gute Neuigkeiten?«
»Aber sicher! Ich will mich dort schon seit Jahrzehnten gründlich umsehen. Habe aber nie eine überzeugende Ausrede gefunden. Ich werde schon mal ein paar Vorbereitungen treffen!« Und damit machte er sich auf den Weg den Korridor entlang in Richtung Cockpit.
»Kaz!«, rief Bastille ihm hinterher. Er blieb stehen und sah sich um.
»Zu deinem Quartier geht es da lang!« Sie zeigte auf einen Seitenkorridor.
»Kokosnuss noch mal«, fluchte er leise und wandte sich in die Richtung, die Bastille ihm gezeigt hatte.
»Ach ja, richtig«, erinnerte ich mich. »Sein Talent, sich verlaufen.«
Bastille nickte. »Das Schlimme daran ist, dass er meistens als unser Führer fungiert.«
»Wie funktioniert das denn?«
»Auf eine sehr seltsame Art und Weise«, meinte sie, während wir uns wieder in Bewegung setzten.
Ich seufzte. »Ich glaube, er mag mich nicht besonders.«
»Diese Wirkung scheinst du öfter auf Menschen zu haben, wenn sie dir das erste Mal begegnen. Ich habe dich anfangs auch nicht sonderlich gut leiden können.« Sie beäugte mich kritisch. »Und ich bin mir nicht sicher, ob sich daran inzwischen etwas geändert hat.«
»Ganz reizend von dir.« Während wir den schlangenartigen Körper des Drachen entlangwanderten, sprang mir ein helles Glühen ins Auge, das oben zwischen den Schulterblättern an einem der Flügelpaare sichtbar wurde. An dieser Stelle glitzerte das Glas und glitt hin und her, als gäbe es dort viele glatte Flächen und zerbrechliche Einzelteile, die sich bewegten. In der Mitte dieser Masse entsprang das helle, gleichmäßige Glühen, das an ein schwelendes Feuer erinnerte. Hin und wieder wurde der Schein verdunkelt, wenn sich Teile davorschoben, die nicht lichtdurchlässig waren. So ließ das Glühen alle paar Sekunden nach und wurde dann wieder heller.
Ich deutete nach oben. »Was ist das?«
»Das Antriebssystem«, erklärte Bastille.
Es waren keine Geräusche zu hören, wie ich sie mit einem laufenden Motor in Verbindung gebracht hätte – kein Summen, keine stampfenden Kolben, kein Feuer. Noch nicht einmal Dampf. »Und wie funktioniert es?«
Bastille zuckte mit den Schultern. »Ich bin kein Silimatik-Ingenieur.«
»Und du bist auch kein Okulator«, merkte ich an. »Trotzdem weißt du genug über Linsen, um die meisten Leute zu verblüffen.«
»Aber nur, weil ich mich eingehend mit den Linsen beschäftigt habe. Silimatik hat mich nie sonderlich interessiert. Und jetzt komm, oder willst du nicht mehr in dein Quartier?«
Doch, das wollte ich, und ich war müde, also ließ ich mich von ihr weiterziehen. Tatsächlich ist es so, dass silimatische Antriebssysteme gar nicht so kompliziert sind. Sie sind um einiges einfacher zu verstehen als die Maschinen in den Ländern des Schweigens.
Es dreht sich dabei alles um eine bestimmte Art von Sand, genannt Leuchtsand, der anfängt zu glühen, wenn man ihn erhitzt. Und dieses Strahlen bringt dann bestimmte Glasarten dazu, seltsame Dinge zu tun. Einige fangen an zu schweben, wenn man sie dem silimatischen Licht aussetzt, andere wiederum fallen wie Blei zu Boden. Man muss also nur kontrollieren, welche Art von Glas wann das Licht auffängt, und schon hat man ein Antriebssystem.
Ich weiß, dass ihr Mundtoten das wahrscheinlich für Unsinn haltet. Ihr fragt euch Dinge wie: »Wenn Sand so kostbar ist, warum gibt es ihn dann überall?« Aber ihr seid natürlich auch die Opfer einer grässlichen Verschwörung. (Wird das nicht langsam langweilig?)
Die Bibliothekare geben sich die größte Mühe, damit die Leute Sand nicht wahrnehmen. Sie haben sogar große Kosten auf sich genommen, um die Länder des Schweigens mit Trübsand zu überfluten – einer der wenigen Arten von Sand, die überhaupt nichts bewirken, selbst dann nicht, wenn man ihn schmilzt. Gibt es einen besseren Weg, die Leute dazu zu bringen, dass sie etwas ignorieren, als es vollkommen alltäglich wirken zu lassen? Vom ökonomischen Wert der Fusseln, die sich im Bauchnabel ansammeln, fange ich hier besser gar nicht erst an.
Endlich erreichten wir mein Quartier. Der Körper des Schlangendrachen war gut sechs Meter breit, es gab also jede Menge Platz, um an den Seiten Räume einzurichten. Mir fiel allerdings auf, dass die Wände alle durchsichtig waren.
»Privatsphäre ist hier wohl nicht sehr verbreitet, was?«, fragte ich.
Bastille rollte mit den Augen und legte eine Hand auf ein Paneel an der Wand. »Dunkel«, sagte sie knapp. Sofort wurde die Wand schwarz. Bastille sah sich nach mir um. »Wir hatten es auf durchsichtig gestellt, da es so einfacher war, unentdeckt zu bleiben.«
»Oh. Und das ist jetzt also Technologie und keine Magie?«
»Natürlich. Das kann schließlich jeder, nicht nur Okulatoren.«
»Aber Australia ist diejenige, die den Drachen fliegt.«
»Aber nicht, weil sie ein Okulator ist, sondern weil sie Pilotin ist. Hör mal, ich muss zurück ins Cockpit. Meine Mutter wird sowieso schon sauer sein, weil ich so lange weg war.«
Ich warf ihr einen prüfenden Blick zu. Es kam mir so vor, als gebe es irgendetwas, das sie wirklich wurmte. »Es tut mir leid, dass ich dein Schwert kaputt gemacht habe«, sagte ich schließlich.
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich hatte es von Anfang an nicht wirklich verdient, es zu tragen.«
»Warum sagst du so etwas?«
»Jeder sagt das«, erwiderte Bastille, und in ihrer Stimme lag eine gehörige Portion Verbitterung. »Sogar meine Mutter denkt, dass ich nie den Ritterschlag hätte empfangen sollen. Sie war der Meinung, ich sei noch nicht bereit dafür.«
»Sie ist aber auch ziemlich streng.«
»Sie hasst mich.«
Schockiert starrte ich sie an. »Bastille! Sie hasst dich bestimmt nicht. Sie ist doch deine Mutter.«
»Sie schämt sich für mich«, führte Bastille aus. »Das war schon immer so. Aber … ich weiß gar nicht, warum ich ausgerechnet mit dir darüber rede. Mach ein Nickerchen, Smedry. Überlass die wichtigen Dinge den Leuten, die wissen, was sie tun.«
Und damit stapfte sie davon, zurück zum Cockpit. Ich seufzte, öffnete dann aber die Glastür und betrat den Raum. Es gab kein Bett, doch in der Ecke fand ich eine aufgerollte Matratze. Der Raum bewegte sich, wie der Rest des Drachen, leicht auf und ab, und jeder Flügelschlag schickte eine sanfte Wellenbewegung durch den lang gezogenen Körper.
Zu Anfang hatte das bei mir für leichte Übelkeit gesorgt, aber langsam gewöhnte ich mich daran. Ich setzte mich hin und starrte durch die gläserne Wand nach draußen. Die Außenwand war noch immer durchsichtig, Bastille hatte nur die Rückwand abgedunkelt.
Unter mir breiteten sich Wolken aus und zogen sich in die Ferne, weiß und klumpig, wie die Oberfläche eines fremden Planeten – oder vielleicht wie Kartoffelbrei, der nicht lange genug gerührt worden war. Die Sonne, die hinter dem Ganzen langsam versank, war ein glänzendes, gelbes Stück Butter, das nach und nach schmolz und dahinschwand.
Wie man aus diesem Vergleich vielleicht ablesen kann, wurde ich langsam hungrig.
Aber immerhin war ich in Sicherheit. Und ich war endlich frei. Raus aus den Ländern des Schweigens und bereit, die Reise anzutreten in das Land, wo ich geboren wurde. Okay, wir würden einen Zwischenstopp in Ägypten einlegen, um meinen Großvater einzusammeln, aber trotzdem war es ein befreiendes Gefühl, in Bewegung zu sein.
Ich war unterwegs. Auf dem Weg, meinen Vater zu finden, und vielleicht auf dem Weg herauszufinden, wer ich wirklich war.
Letztendlich würde ich erkennen, dass mir nicht gefiel, was ich finden sollte. Aber in diesem Moment fühlte ich mich gut. Und trotz des Abgrunds, der sich unter dem Glas auftat, trotz meines Hungers, trotz unseres Ziels – ich merkte, wie ich mich langsam entspannte. Als mir die Augen zufielen, rollte ich mich auf der Matratze zusammen und schlief ein.
Ich wurde dadurch geweckt, dass wenige Meter neben meinem Kopf ein Geschoss explodierte.