21. KAPITEL
Als sie und Hunter sich ankleideten, zitterten Madeline die Hände von dem durch den Körper schießenden Adrenalin. Es war fast zwei Uhr morgens; sie hatte nicht die geringste Lust zu Verwandtschaftsbesuchen, schon gar nicht bei ihrem Cousin, diesem unberechenbaren, ungehobelten Klotz. Irgendetwas musste jedoch vorgefallen sein, sonst hätte Joe sie nicht so dringend aufgefordert, sofort zu kommen. Er musste also etwas Tolles zu bieten haben.
Nur hieß “toll” bei ihm noch lange nicht toll für Madeline.
In ihrer Hast knallte sie schmerzhaft mit der Hüfte gegen die Kante ihrer Kommode und stieß, bereits zur Treppe gewandt, einen deftigen Fluch aus.
Hunter hielt sie zurück, packte sie bei den Schultern und sah sie eindringlich an. “Hey!”, ermahnte er sie. “Immer mit der Ruhe, ja?”
Leicht gesagt, wenn man dabei war, alles zu verlieren, das einem im Leben etwas bedeutete. Da nützte auch sämtlicher im Keller gehorteter Krempel nichts mehr.
Er legte ihr den Finger unters Kinn. “Das stehst du schon durch!”
Sie nickte krampfhaft lächelnd und löste sich von ihm. Er folgte ihr die Treppe hinunter und schnappte sich ihre Autoschlüssel von der Arbeitsplatte in der Küche.
Um ein Haar hätte sie ihm den Bund aus der Hand gerissen. Was Joe ihr da zeigen wollte, das musste etwas Schockierendes sein, sonst wäre er nicht so schadenfroh gewesen. Stellte sich nun heraus, ob Hunter mit seinen Vermutungen bezüglich der Montgomerys richtig lag? Kam jetzt der Augenblick, wo sie sich mit unbestreitbaren Tatsachen abfinden musste?
Falls ja, dann legte sie Wert darauf, die nächsten paar Minuten allein zu überstehen. Einen Zeugen wie Hunter, der ja das Ausmaß ihres Schmerzes so klar erkannte, den wollte sie nicht dabeihaben.
Andererseits: so ein Alleingang war ihr doch nicht geheuer.
Mit eingezogenem Kopf folgte sie ihm zur Haustür. “Wo Unwissenheit eine Tugend ist, ist Verrücktheit Weisheit.” Von wem stammte das Zitat noch mal? Eigentlich hätte Thomas Gray schreiben müssen: “Unwissenheit ist kaum weniger schmerzhaft als die wahrscheinliche Wahrheit.”
Wahrscheinliche Wahrheit? Großer Gott, allmählich ging ihr sämtliche Zuversicht flöten.
Joe ließ sich Zeit mit dem Aufmachen. Madeline klingelte, klopfte und schellte noch einmal. Schließlich rief sie ihn per Handy an.
“Was ist jetzt?”, blaffte sie. “Lässt du mich rein oder nicht?” An das Verandageländer gelehnt, blickte sie hinaus in die kalte, nebelverhangene Nacht. Sie hatte Hunter beschwatzt, sie allein zur Haustür gehen zu lassen, weil es ja sein konnte, dass Joe, launisch und jähzornig wie er war, keine dritte Person dulden würde. Mit einem wie ihm war nicht gut Kirschen essen. Man wusste nie, woran man mit ihm war. Erwarten durfte man höchstens eine unterschwellige Eifersucht auf Clay und einen unversöhnlichen Hass auf Grace.
“Entschuldige”, nuschelte er. “War gerade beschäftigt.”
“Womit?” Er klang ihr immer noch viel zu fidel.
Er gluckste. “Mit der Beschreibung von dem, was in dem Päckchen ist.”
Was sollte denn das bedeuten, zum Kuckuck?
Ein einsames Fahrzeug brauste über den Highway, der vorn am Grundstück vorbeiführte. Um diese nachtschlafende Zeit war in Stillwater kaum noch eine Menschenseele unterwegs. “Wem hast du das denn beschrieben?”, fragte sie.
“Cindy.”
Seine Ex. “Wieso denn das?”
“Sie fährt auf Telefonsex halt ab.”
Madeline spähte hinüber zu ihrem Wagen, der in der Einfahrt parkte und dessen Motor beim Abkühlen hörbare Knackgeräusche von sich gab. Hunter saß auf dem Fahrersitz, war aber nicht zu sehen. Der Schein, der durch die Fenster des Hauses fiel, erhellte zwar das Haustürpodest, ließ die Hofeinfahrt jedoch im Dunkeln. “Was soll das, Joe?”, sagte sie gereizt.
Ihr Cousin hatte bereits aufgelegt und riss praktisch im gleichen Moment die Haustür auf. “Man muss es mit eigenen Augen sehen”, sagte er und winkte sie herein. “Sonst kann man’s gar nicht richtig schätzen.”
Hunter hatte ihr eigens eingeschärft, ja nicht das Haus zu betreten. “Mach mal die Außenleuchte an!”
“Birne ist durchgebrannt.”
“Na, dann gib mir das Päckchen so. Eigentlich warst du gar nicht berechtigt, das einfach mitzunehmen.”
“Dauert doch nur ‘n Moment”, murrte er verbiestert. “Mein Gott, ich tu dir doch nichts! Menschenskind, Maddy, was ist denn mit dir los? Wir sind ja schließlich verwandt!”
Angesichts ihrer Meinung über seinen Charakter ließ sie sich nur ungern an diese verwandtschaftliche Beziehung erinnern. Allerdings gab es tatsächlich keinen Grund, Angst vor ihm zu haben. Zum ersten Mal überhaupt zogen sie beide an einem Strang. Sie wollte Licht in das Dunkel um ihren Vater bringen – seinen Onkel –, auch auf die Gefahr hin, dass ihre Bemühungen sich für die Montgomerys als bedrohlich erweisen sollten. Genau damit lag Joe ihr schon jahrelang in den Ohren.
“Kommst du nun rein?”, fragte er.
Mach dich nicht lächerlich, mahnte sie sich. Los, geh schon! Du hast bloß Bammel wegen des Schreibens, das Clay im Café anschleppte …
“Na gut.” Kurz zum Wagen gewandt, zog sie entschuldigend die Schultern hoch und trat über die Schwelle. “Wo ist denn nun mein Päckchen?”
“Na, hier!” Er trat hinter eine offene Schachtel, die direkt neben der Haustür stand.
“Die ist ja leer!”
“Der Inhalt ist in meinem Arbeitszimmer.” Bedeutungsvoll wackelte er mit den Augenbrauen. “Ich wollte ihn Cindy auf meiner Webcam zeigen.”
“Ich dachte, ihr könnt euch nicht mehr riechen, du und Cindy.” In erster Linie sagte sie das, um sich selber von seiner Alkoholfahne abzulenken.
“Hin und wieder reicht’s noch für ‘ne Nummer”, brummte er mit einem gleichgültigen Achselzucken.
“Du widerst mich an!” – die Bemerkung lag ihr schon auf der Zunge, aber sie schluckte sie herunter. “Nun sag schon, was es ist”, drängte sie stattdessen.
Nur: Er brauchte gar nichts zu sagen. Sie standen bereits in seiner Arbeitsnische, in der er einen Rechner aufgebaut hatte. Und da lag es, das Ding; auf seinem Schreibtisch.
Es war ein Dildo – zwar grotesk riesig, doch ansonsten täuschend lebensecht in Form und Farbe. Genau wie der aus dem Kofferraum des Cadillacs.
“Cool, was?”, knurrte Joe.
Madeline merkte, wie ihr der kalte Schweiß ausbrach. Die Stimme des anonymen Anrufers hallte in ihrem Kopf wider: “Spreiz für mich die Beine, ja, Kleines?”
Wie aus weiter Ferne hörte sie, dass die Haustür geöffnet und geschlossen wurde. Kurz darauf Joes Stimme: “He, wer sind Sie denn? Was fällt Ihnen ein, einfach in mein Haus zu latschen?”
Dennoch stand sie wie zur Salzsäule erstarrt da, bis sie Hunters Hand auf der Schulter spürte. Erst dann gehorchten ihre Muskeln wieder. “Geh zum Wagen!”, sagte er sanft. “Ich erledige das schon.”
Am nächsten Morgen beobachtete Hunter, wie die Sonnenstrahlen durch die Jalousien in Madelines Schlafzimmer fielen. Warm und anschmiegsam lag sie da in herrlicher Nacktheit, doch miteinander geschlafen hatten sie nach ihrer Rückkehr nicht. Der abscheuliche Inhalt des Pakets hatte ihnen die Lust gründlich verdorben. Hunter hatte sich lediglich an sie geschmiegt, und nachdem sie endlich eingeschlafen war, hätte er sie nur ungern wieder geweckt.
Leise schlüpfte er aus dem Bett, zog sich so geräuschlos wie möglich an und ging nach unten. Den Autoschlüssel in der Hand, verließ er das Haus. Der Einbruch … Der Kunststoffphallus … Sofern Barker sich tatsächlich an jungen Mädchen vergriffen hatte, wovon Hunter inzwischen fest ausging, war er deswegen umgebracht worden. Insofern konnte er unmöglich Madelines unbekannter Quälgeist sein. Falls Irene die Tat begangen und danach die ganze Familie zu einem Vertuschungsmanöver herangezogen hatte, schieden auch die Montgomerys aus. Anderenfalls hätten sie ja ihr Motiv preisgegeben und damit den Verdacht automatisch auf sich gelenkt. Wer also kam noch infrage?
Irgendetwas übersah er. Ein entscheidendes Detail, möglicherweise eine Gefahr für Madeline. Aus seiner Sicht gab es nur einen, der ihm die nötige Auskunft erteilen konnte.
Ray saß im hintersten Winkel des Schnellrestaurants. Er war schon früh in die Stadt gefahren, um noch schnell bei Madelines Redaktion vorbeizuschauen, ganz gespannt darauf, ob das Paket, das er am Abend zuvor auf die Schwelle gelegt hatte, noch da war. Er konnte es kaum erwarten, dass sie es kriegte, und als es nicht mehr dort lag, war ihm ein Schauer der Erregung über den Rücken gelaufen. Zur Feier des Tages hatte er sich im Two Sisters ein üppiges Frühstück geleistet und sich dabei in einem fort eins ins Fäustchen gelacht. Mit Behagen stellte er sich vor, wie sie wohl geguckt und was sie gefühlt haben mochte, als sie diesen riesigen Dildo aus der Schachtel zog und merkte, dass es genauso einer war wie der aus Barkers Caddy.
Bemüht, vor diebischer Freude nicht laut herauszuplatzen, stocherte er gerade auf seinem Teller herum, da ließ sich Walt Eastman auf die Bank gegenüber gleiten.
“Alles klar, Kumpel?”, fragte sein Freund mit besorgter Stimme.
Rays gute Laune war wie weggeblasen. “Alles paletti”, nuschelte er vorsichtig, die Gabel schon halbwegs am Mund. “Wieso?”
“Na ja, weil du doch ziemlich gut befreundet warst mit Bubba …”
“Ach so, ja”, murmelte er. “Tragisch, echt.” In Gedanken noch ganz bei Madeline, hatte er Bubba schon beinahe vergessen. Allzu gern dachte er sowieso nicht darüber nach. Barker, ja, dem hatte das nichts ausgemacht, jemanden umzubringen. Ray wusste, dass der Reverend Katie über den Haufen gefahren hatte; er konnte sich noch entsinnen, wie Baker ihm damals versicherte, er werde schon dafür sorgen, dass das Gör den Mund hielt. Und das war eine ganze Weile vor dem tödlichen Unfall gewesen. Ray hingegen fehlte das Zeug zum Mörder. Sicher, um das Gewünschte von Madeline zu bekommen, würde ihm wohl letzten Endes nichts anderes übrig bleiben, als sie umzulegen, da machte er sich nichts vor. Doch eilig hatte er es damit nicht. Wenn man es geschickt anstellte, konnte man eine Frau ziemlich lange in den Bergen gefangen halten, oder? Er hatte sich vorgenommen, alles so einzurichten, dass sie nicht abhauen konnte. Im Übrigen: Wenn sie um Hilfe schrie, hörte das sowieso keiner. Mit der Zeit würde sie sich an seine Besuche gewöhnen und auch an die Spielchen, die er mit ihr zu spielen gedachte. Dann konnte sie bald für ihn das kleine Mädchen markieren.
Und ganz nebenbei: Wenn er sie schon umbringen musste, dann lieber oben in den Bergen. Da ging es einfacher. Da war man ungestört, mit lauter Wald ringsum …
“Und dann auch noch dieser Privatdetektiv, der überall auftaucht und die Leute wegen Rose Lee löchert”, fuhr sein Kumpel kopfschüttelnd fort. “Wenn du mich fragst: Der geht entschieden zu weit mit seinen Andeutungen, mit ihrem Tod, da sei was nicht mit rechten Dingen zugegangen.”
Schlagartig ließ Ray die Gabel sinken. “Sag das noch mal!”
Walt beugte sich über den Tisch. “Ja, weißt du das etwa noch nicht?”, raunte er.
Ray hielt den Mund und wartete ab, wusste er doch, dass sein Freund sich nicht lange bitten lassen würde. Keiner zerriss sich so gern das Maul wie Walt. Und richtig, schon legte er los. “Er soll gesagt haben, Barker wäre ein Kinderschänder gewesen. Nicht zu fassen, was? Der Reverend! Wenn die Vincellis das hören, flippen die aus. Elaine hält sich doch für ‘nen Grundpfeiler der Gemeinde! Mann, was war die immer stolz auf ihren Bruder und seinen Ruf!”
“Von wem hast du das?” Dumpf schlug ihm das Herz in der Brust.
“Mike Metzger, der war gestern Abend in der Billard-Bar und behauptete, der Reverend wäre schon immer abartig gewesen. Und Hunter, der sei derselben Meinung, sagte er. Barker wäre schlimmer gewesen wie ‘n Ehebrecher.”
“Was soll denn schlimmer sein als Ehebruch?”
“Na, Vergewaltigung vielleicht? Kindesmissbrauch? Der glaubt bestimmt, der Koffer aus dem Cadillac, der gehöre Barker!”
“Er unterstellt also nicht, Barker hätte sich an Rose Lee vergriffen?” Die Angst war wieder da, dieselbe würgende Panik, die ihn dazu getrieben hatte, Bubba umzubringen. Falls die Polizei die Sache mit Barker und Rose aufdeckte, würden die Bullen ihn zwangsläufig dazu befragen, und womöglich brachte er sich dann in Teufels Küche, indem er bei einem Lügendetektortest durchfiel oder sich aus Versehen selbst belastete. Falls die erst einmal anfingen, ernsthaft nach Beweisen zu forschen, dauerte es wahrscheinlich nicht lange, bis sie ihm nachwiesen, dass er genauso viel Schuld trug wie Barker. Dass er im Grunde genommen seine Tochter im Gegenzug für Kost und Logis regelrecht verkauft und bei der ganzen Schweinerei auch noch mitgemacht hatte.
Heiliger Bimbam, es hatte Fotos gegeben, die ihn dabei zeigten, wie er Katie auf die abscheulichste Art traktierte. Barker hatte sogar verlangt, dass er ein Geständnis unterschrieb, sonst hätte er ihn nicht weiter an ihren Sitzungen teilnehmen lassen. Er hatte Ray dazu verdonnert, alles aufzuschreiben, und ihm gedroht, mit diesen Aufzeichnungen zur Polizei zu marschieren und ihm die Sauerei anzuhängen, sollte er je auch nur ein Sterbenswörtchen von ihren ganz privaten Orgien verraten.
Zu dem Zeitpunkt war Ray schon viel zu süchtig nach dem Kick gewesen, um sich zu sperren. Und jetzt hatte er keinen blassen Schimmer, wo das Geständnis abgeblieben war. Unter dem Krempel, den er aus Madelines Keller geklaut hatte, befand es sich jedenfalls nicht, das stand fest. Er hatte jedes einzelne Stück Papier genau studiert, hatte bei Büchern die Seiten aus dem Einband gerissen.
“Schätze ich mal”, brummte Eastman jetzt. “Er wollte wissen, wie oft die beiden zusammen waren. Ob du dabei gewesen wärst oder nicht. Und warum du dich am Ende mit Barker überworfen hast.”
“Warum? Weil er mich zu mies bezahlte, darum!”, lamentierte Ray missmutig. Teilweise stimmte das sogar. Barker wollte Rose Lee zwar weiter an die Wäsche, aber zahlen wollte er nicht mehr. Anscheinend glaubte der Reverend, er hätte sich mit der Zeit so eine Art Gewohnheitsrecht erworben. Dann stieß Eliza auf ein paar von den Pornoheften, die Ray für den Reverend besorgt hatte. Von da an ahnte Barker wohl, dass seine bessere Hälfte ihm genau auf die Finger guckte, und spielte fortan wieder den frommen Hirten. Vorübergehend zumindest. Kurz nachdem sie sich erschoss – oder von Barker erschossen wurde, wer wusste das schon –, heiratete er ein zweites Mal. Von da an war die Gelegenheit wieder günstig.
“Der dachte, ich maloche für lau”, nörgelte Ray. “Nur weil er mein Seelsorger war. Aber von Gotteslohn wird man nicht satt.”
“Das wirst du Madelines Schnüffler verklickern müssen”, meinte Walt. “Eigentlich ist das ja ein starkes Stück, dass du überhaupt damit behelligt wirst. Hier geht’s doch um Barkers Verschwinden – und wer dahintersteckt, das wissen wir ja!”
Allerdings. Es konnten nur die Montgomerys sein, die ihn ermordet hatten. Einem wie Clay, dem war es ohne Weiteres zuzutrauen, dass er jeden umlegte, der sich an seinen Schwestern vergriff. Oder? Und Barker hatte sich an Grace herangemacht. Ray wusste es. Er hätte ja selber gerne dabei mitgemischt, doch was Clays Schwester anging, da war Barker eigen. Da war nichts mit Teilen.
Barker war völlig verrückt nach der Kleinen gewesen – regelrecht vernarrt in sie, wenn Ray sich nicht schwer täuschte. Und da sie so in sich gekehrt war, so verschlossen, hatte Barker sie anscheinend besonders brutal hergenommen. Obwohl Ray nicht zugucken, geschweige denn mitmachen durfte, hatte er einmal eine merkwürdige Bemerkung vom Reverend mitgekriegt. Barker hatte behauptet, Grace sei nicht so gewöhnlich wie Rose Lee oder Katie. Die würde nie so tun, als hätte sie das gern, was er mit ihr anstellte. Eher brächte sie sich um.
Nach Rays Gefühl war es wohl genau diese trotzige Passivität, die Barker an dem Mädchen so faszinierte. Ray hingegen stand mehr auf die knospende Schönheit. Ganz besonders auf die Knospen …
“Ich muss dem überhaupt nichts verklickern!”, knurrte er. “Im Grunde war Barker ‘n anständiger Kerl. Und Rose Lee in guten Händen. Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen.”
“Walt!” In der Eingangstür stand Clancy Jones, Miteigentümer von Walts Reifenhandel. Während er auf seinen Kompagnon wartete, hatte er sich mit einem Zahnstocher im Gebiss herumgefummelt. Jetzt wurde er allmählich ungeduldig.
“Komme!” Walt stand auf. “Bis die Tage.”
Ray winkte ihm halbherzig zum Abschied. Diesem Ermittler, dem musste man Einhalt gebieten. Was wiederum bedeutete, dass Ray zunächst Madeline ausschalten musste.
Und zwar schleunigst.
Clay war gerade dabei, an der rückwärtigen Grundstücksgrenze die Pfostengruben für einen neuen Zaun auszuheben, da sah er Hunter quer übers Feld auf sich zukommen. Irgendetwas war im Busch, das merkte er sofort. Dennoch buddelte er ungerührt weiter.
“Drüben im Haus macht keiner auf”, erklärte Hunter, als er näher kam.
“Allie und Whitney sind vor ‘ner halben Stunde nach Jackson zum Flughafen gefahren.” Mit gleichmäßigen Bewegungen stieß er den Lochspaten in die Erde, drückte etwas nach und hob eine Scholle Boden aus. “Meine Schwiegermutter kommt von Florida rauf. Allie und die Kleine sollen ihr bei der Geburtstagsfeier helfen.”
Hunter rieb sich an einem Grasbüschel die Erdklumpen von den Sohlen. Er lief in einer Art Trekking-Sandalen herum, die hier in Mississippi kein Mensch freiwillig angezogen hätte. “Und warum sind Sie nicht mitgefahren?”
Clay wuchtete den Spaten mit Macht ins Pfostenloch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. “Was meinen Sie wohl?”
Hunter verschränkte die Arme über der Brust, wobei der Parkastoff vernehmlich knisterte. Die Jacke war zwar nicht nagelneu, wie Clay spöttisch bemerkte, aber der Sonnyboy hatte sie wohl noch nicht oft angehabt; höchstens mal zum Skifahren.
“Wie wäre es, wenn Sie’s mir sagen”, schlug Hunter vor.
“Ich kann nicht einfach durch die Gegend gondeln, wenn kurz vorher bei meiner Schwester eingebrochen wurde.”
“Aber die haben Sie doch gerade erst in meine Obhut überstellt! Wissen Sie noch?”
“Ich verlasse mich eben nicht gern auf andere.”
“Vielleicht könnte ich mehr erreichen, wenn Sie offen mit mir reden würden, Clay.”
Clay fing wieder an zu graben. Das Bild, wie Madeline gestern bei seinem Kuss zusammenzuckte, war ihm noch allzu gegenwärtig. Das zu verdrängen, den Schmerz und das schlechte Gewissen etwas zu mildern, funktionierte nur über harte körperliche Anstrengung. Danach war er meist viel zu kaputt, um noch irgendetwas zu spüren.
Hunter ließ nicht locker. “Mensch, nun geben Sie sich doch mal einen Ruck!”
Geht das schon wieder los! Dieselben Fragen, die ich schon seit zwanzig Jahren zu hören kriege! Jetzt allerdings fühlte er sich zu einer ehrlichen Antwort verpflichtet. Schon Madeline zuliebe.
“Kommt auf die Frage an”, brummte er.
Es folgte allerdings keine. Stattdessen sagte Hunter: “Letzte Nacht gab es einen Vorfall.”
Das klang noch ominöser als die bohrenden Fragen, mit denen Clay gerechnet hatte. “Ihr ist doch hoffentlich nichts passiert!”, sagte er und richtete sich auf.
“Nein, alles okay. Vorläufig. Aber ich glaube, da ist Gefahr im Verzug. Ich brauche Ihre Hilfe, um rauszukriegen, wo und wieso.”
“Gefahr im Verzug?”
“Sie hat ein anonymes Päckchen erhalten.”
“Nach Hause?”
“Laut Joe lag es draußen vor der Redaktion. Er hat’s gesehen und mitgenommen. Auf dem Heimweg von der Kneipe.”
“Was war denn drin?”
Hunter fuhr sich mit den Fingern durch die Mähne. “Ein Riesendildo.”
Clay schmiss den Spaten hin. “Wie bitte?”
“Sie haben richtig gehört. So einer wie der aus dem Kofferraum.”
Clay hatte gehofft, der unbekannte Peiniger würde Madeline endlich in Ruhe lassen. Der Kerl hatte ja nun die Kiste aus dem Keller. Clay glaubte sowieso nicht, dass der Karton irgendetwas Wertvolles enthielt. Oder gar kompromittierendes Material. Es sei denn, irgendjemand wusste von den Fotos, die Barker gemacht hatte, und wollte die möglichst in Sicherheit bringen, ehe Madelines Schnüffler sie in die Finger kriegte.
“Wer hat die Tasche in den Kofferraum getan?”, fragte Hunter. “Barker?”
Clay gab keine Antwort. “Das Päckchen …”, sagte er dann, “… lag da ‘ne Botschaft bei?”
“Ich finde, das Ding spricht doch wohl für sich, oder?”
“Aber wer steckt dahinter?”, flüsterte Clay wie im Selbstgespräch. Wer kam auf so etwas? Bakers Schwester Elaine, die wusste von der Existenz der Bilder; Allie hatte ihr vorigen Sommer Abzüge gezeigt. Das war ja der Anlass dafür gewesen, dass seine Familie und die Vincellis eine Art Waffenstillstand geschlossen hatten. Elaine konnte kein Interesse daran haben, dass dieses empfindliche Gleichgewicht durch eine Veröffentlichung der Aufnahmen und die daraus folgende Blamage gestört wurde. Im Übrigen wusste sie sowieso, dass Madeline nicht im Besitz der Fotos war. Madeline ahnte nicht einmal etwas von ihnen. Wieso sollte Elaine also jemanden zu einem Einbruch veranlassen?
Hunter gab immer noch keine Ruhe. “Wer profitiert denn am meisten von der ganzen Sache?”
“Keiner.” Das war ja gerade das Sonderbare. Soweit Clay wusste, waren er und seine Angehörigen die Einzigen, die etwas zu verbergen hatten.
“Wenn Sie Madeline helfen wollen, müssen Sie mit der Sprache heraus.” Hunter wurde zunehmend energisch. “Was passierte in der Nacht, in der Barker starb?”
Clay wusste, eigentlich musste er sich dumm stellen und auf die üblichen Sperenzchen ausweichen: Starb? Woher nehmen Sie denn die Gewissheit, dass er tot ist? Diesmal indes funktionierte es so nicht. Dazu hatte er Madeline viel zu gern.
Er holte tief Luft und sagte dann etwas, was er sich nie hätte träumen lassen: “Es gab noch mehr Mädchen.”
Falls Hunter das erstaunte, ließ er sich nichts anmerken. “Mädchen? Die …?”
“Die von Barker missbraucht wurden.”
“Wann?”
“Schon vor unserem Umzug hierher.”
“Wer waren diese Mädchen?”
“Rose Lee Harper und Katie Swanson.”
Hunter fixierte ihn immer durchdringender. “Woher wissen Sie das?”
Clay wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. “Wir fanden Fotos. Ich habe die nach und nach alle vernichtet, aber im vorigen Sommer, da stieß Allie noch auf ein paar weitere.”
“Würden Sie sie mal herholen?”
Abermals zerbrach Clay sich den Kopf nach einem Ausweg, fand aber keinen. Dies war der Anfang vom Ende. Und er war derjenige, der den Stecker zog. Allein, es blieb ihm nichts anderes übrig. Er konnte nicht zulassen, dass jemand aus seiner Familie Schaden nahm. “Okay. Aber machen Sie sich auf einiges gefasst.”
“Auf was denn?”, fragte Hunter.
“Auf das Schlimmste.”
Madeline hörte das dumpfe Pochen und wusste sofort, was es zu bedeuten hatte. Mit einem Satz aus dem Bett, rannte sie in fliegender Hast die Treppe hinunter. Es war ihr Vater! Er rief sie! “Maddy! Wo steckt mein Schätzchen denn?”
Durch die Milchglasscheibe der Haustür erkannte sie seine Gestalt und konnte es kaum noch erwarten, ihm um den Hals zu fallen. Die Hand schon auf der Klinke, wollte sie gerade öffnen, als ein seltsames Gefühl sie jäh innehalten ließ. Da ging doch etwas nicht mit rechten Dingen zu!
“Maddy! Nun mach schon auf, los!”
Sie hätte gern mit der erwarteten Begeisterung reagiert, doch die war auf einmal wie weggeblasen. Gepackt von einem plötzlichen Grauen, das ihr durch Mark und Bein ging, sah sie, wie er sich außen gegen die Haustür stemmte, um sie gewaltsam zu öffnen.
Endlich fand sie die Sprache wieder. “Warte!”, rief sie über das laute Klopfen ihres wie rasend schlagenden Herzens hinweg. “Augenblick, Daddy! Ich bin noch nicht angezogen!”
Eigentlich war das als Ausflucht gedacht, doch mit einem Mal stellte sie fest: es stimmte! Sie war wirklich nackt! Sie sah ihre bloße Haut, ihre nackten Brüste. Das jedoch störte ihren Vater nicht. Er trat ein, schloss die Türe hinter sich und zog dann langsam und mit lüsternem Blick etwas unter dem Mantel hervor. Etwas Fleischfarbenes.
Der Dildo!
Kreischend fuhr Madeline hoch. Weg, nur weg, schnell fort von dem entsetzlichen Anblick! Erst mit Verspätung dämmerte ihr, dass sie zwar aus dem Bett gekrabbelt war, doch nicht unten in der Diele stand. Nein, sie fand sich in ihrem Schlafzimmer wieder. Zwar splitternackt, aber allein.
Schwer atmend und völlig verwirrt schaute sie sich um. Ein Hauch von Aftershave lag noch in der Luft, doch Hunter war nicht da.
Beruhige dich! Es war bloß wieder ein Albtraum!
Nur diesmal schlimmer, viel schlimmer. Und dann merkte sie allmählich, dass das Telefon klingelte. Vermutlich war sie davon aus diesem entsetzlichen Traum gerissen worden.
Heilfroh, eine menschliche Stimme hören zu können, griff sie nach dem schnurlosen Gerät. “Hallo?”, rief sie aufgeregt, bemüht, den Puls zu normalisieren und sich einigermaßen zu fassen. Erst als sie die Stimme ihrer Stiefmutter vernahm, fiel ihr auf, dass sie besser vorher auf das Display geschaut hätte. Eine menschliche Stimme war gut und schön, doch diese musste es nicht unbedingt sein.
“Da bist du ja endlich! Mensch, Madeline, ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht! Alles in Ordnung mit dir?”
Von wegen in Ordnung! Ihr Leben – und die Albträume obendrein – beides wurde immer schlimmer. Das durfte sie allerdings nicht zugeben. Irene war von Anfang an dagegen gewesen, dass sie Hunter kommen ließ. Im Grunde genommen hatte sie sich dies alles selber zuzuschreiben, oder? Sie war es ja, die die jahrzehntealte Narbe, die ihr Vater mit seinem Verschwinden hinterlassen hatte, wieder aufriss, sodass sie nun erneut zu bluten begann.
“A…Alles bestens”, würgte sie mühsam hervor.
Es folgte eine kurze Pause. “Wieso gehst du nicht ran, wenn ich anrufe?”
Irenes Ton war dermaßen vorwurfsvoll und gekränkt, dass Madeline ganz blass wurde. “Ich … äh … hatte zu tun”, stammelte sie. “Ehrlich.” Das klang haargenau so lahm, wie es auch war. Was sollte sie auch schon groß sagen? Dass sie allmählich den Verdacht hegte, Irene habe Barker umgebracht? Dass es ihr grauste vor der Erkenntnis, dass ihr Vater den Tod womöglich verdient hatte?
“Dein Privatdetektiv war da”, erzählte Irene. “Der … der hat vielleicht merkwürdige Ideen! Ich hoffe, du fällst nicht auf den rein, Maddy. Du weißt ja, dass …”
“Dass was?” Offenbar ließ sich die Sache nun nicht mehr umgehen.
Madelines heftige Reaktion traf Irene anscheinend auf dem falschen Fuß. “Na, dass … dass er sich irrt, natürlich!”
“Tut er das, Mom?”
Irene druckste herum. “Na ja, kommt natürlich drauf an, was er sagt, aber …”
Normalerweise hätte Madeline sie einfach weiterreden lassen und zu allem Ja und Amen gesagt. Eine andere Wahrheit als jene, die sie selber wünschte und herbeisehnte, wäre sowieso unerträglich gewesen. Das galt allerdings auch für die Fragen, die sie sich seit Neuestem insgeheim stellte. “Er sagt, Dad hat sich an Grace vergangen”, brach es aus ihr heraus. “Er behauptet, du hättest ihn deswegen umgebracht! Und Clay hätte deinetwegen alles vertuscht! Schon jahrelang!”
Bestürztes Schweigen.
“Stimmt das?”, rief Madeline in den Hörer.
“Nein! Madeline, hör mal, dein Vater war … war schließlich Geistlicher! An dem fraglichen Abend, da kam er nicht nach Hause, und … und … dann gab’s ‘nen Stromausfall … und …”
Sie stammelte und schluchzte gleichzeitig … und sie log! Nie war es Madeline so klar gewesen wie in diesem Moment.
Langsam hockte sie sich auf den Boden und ließ nun auch ihren Tränen freien Lauf, den Kopf auf die angewinkelten Knie gestützt. “Woher willst du denn wissen, dass er sich an Grace vergriffen hat? Vielleicht war’s ja jemand anderes! Jemand, dem er Beistand gab! Vielleicht hast du ihn völlig grundlos umgebracht!”
“Maddy, bleib da! Ich … ich komme zu dir rüber. Clay auch, okay? Hörst du? Ich rufe ihn gleich an …”
“Damit er dir weiter die Stange hält, Mom? Bei deinen ganzen Lügengeschichten?”
Madeline legte auf. Sie hielt es nicht mehr am Hörer aus, konnte die Panik in Irenes Stimme nicht mehr ertragen. Sie musste raus aus dem Haus, bevor ihre Stiefmutter eintraf, bevor Clay und Grace auch noch auftauchten. Die wollten doch nur das eine: ihr einreden, dass das alles nicht stimmte …
Hastig zog sie sich etwas über, rannte ohne Rücksicht auf ihre wirre Frisur die Treppe hinab und schnappte sich die Schlüssel zu Clays altem Pick-up. Dann griff sie schnell ihre Handtasche, übersah bewusst die verdutzt von ihrem Fressnapf aufblickende Katze und verließ das Haus. Die Montgomerys konnten ihr jetzt gestohlen bleiben; sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Nur hörte ihr Handy nicht auf zu klingeln.
“Lasst mich doch alle in Ruhe!”, schrie sie, ließ den Motor an und fuhr los. Als sie mit Schwung aus ihrer Zufahrt auf die Landstraße bog, wäre sie um ein Haar mit Ray Harpers Dodge zusammengestoßen, der aus der Gegenrichtung kam.
Hunter hätte gern gewusst, wie man das schaftte: Einem Mann die in seinem Besitz befindlichen Fotos zu zeigen und zu fragen: Ist das Ihre Tochter? Er wollte sich lieber nicht vorstellen, wie er selbst reagieren würde, hielte ihm einer ein solches Bild mit seinem eigenen Kind unter die Nase. Andererseits konnte er es sich ganz gut ausmalen. Genau deswegen traute er sich ja nicht recht an die Tür.
Doch das Gespräch mit Harper war nicht zu umgehen, oder? Nur so ließ sich enträtseln, welche Rolle die Mädchen in den damaligen Vorgängen gespielt hatten.
Möglicherweise wusste Harper, was Barker seiner Tochter angetan hatte. Nicht ausgeschlossen, dass Rose sich in ihrer Not an ihren Vater gewandt hatte. Vielleicht war das ja die Ursache für das Zerwürfnis zwischen Harper und dem Reverend. Ja, es war sogar durchaus denkbar, dass Harper und nicht Irene den Prediger ins Jenseits befördert hatte.
Um Madelines willen konnte man nur hoffen, dass es so war, dass er sich bezüglich der Montgomerys irrte. Dass die gesamte Stadt einem Trugschluss aufgesessen war.
Er zog den Reißverschluss seines Parkas auf, holte tief Luft und stieg schließlich die wackeligen Stufen hinauf zu Ray Harpers Tür, um dann laut anzuklopfen.
Keine Antwort.
Nochmals pochte er gegen die billige Metallverkleidung.
In einem engen Carport direkt neben dem transportablen Haus stand ein alter Buick. Der hatte ihm vorher signalisiert, Harper müsse doch eigentlich zu Hause sein. Als er nun aber das Klopfen einstellte und sich den Wagen etwas näher ansah, stellte er fest, dass er vorn links aufgebockt war.
Gerade schickte Hunter sich an, wieder in Madelines Auto zu steigen und Harper anderswo zu suchen, da öffnete sich die Tür des benachbarten Wohnmobils. Die Nachbarin, eine Bohnenstange in Bademantel und Pantoffeln und mit einer Zigarettenkippe zwischen den Lippen, stellte ihre Mülltüte nach draußen.
“Hallo”, rief er hinüber. “Sie haben heute Morgen nicht zufällig Ray Harper gesehen?”
“Nein.” Sie nahm die Zigarette aus dem Mund. “Normalerweise schläft der lange.”
Nach dem zerzausten Wuschelkopf zu urteilen, war die Frau wohl selber gerade erst aus den Federn gekrochen. “Was fährt der denn für ‘n Auto?”
Sie zögerte und musterte ihn scharf. “Sie sind der Schnüffler, stimmt’s?”
“Richtig geraten.”
Ihr Gesicht leuchtete neugierig auf. “Und? Schon was rausgekriegt?”
“Heute Morgen ja nicht, wie man sieht. Können Sie mir sagen, was für ein Fahrzeug Harper fährt?”
Sie schien zwar etwas pikiert, dass er sich nichts entlocken ließ, antwortete aber trotzdem. “Einen Dodge-Kleinlaster. Wenn der nicht unter Bubbas Carport steht, ist Ray wahrscheinlich zur Kirche.”
“Bubbas Carport?”
“Na, der von Bubba Turk!” Die Zigarette zwischen die Finger geklemmt, wies sie in die Richtung. “Wohnt da drüben. Wohnte, besser gesagt. Ist dieses Wochenende an ‘nem Herzanfall gestorben, der arme Kerl.”
Madeline hatte den Todesfall erwähnt. Sie war ziemlich betroffen gewesen. “Wieso sollte Harper denn Bubbas Einstellplatz benutzen?”, fragte er.
Sie ruckte mit dem Kinn in Richtung auf den Buick. “Solange die Schrottkiste da rumsteht, hat er ja keinen anderen Platz für seine Karre. Die Wege hier auf dem Platz, die sind schon dermaßen zugestellt, dass er schließlich bei Bubba geparkt hat. Damit ich endlich aufhöre zu meckern. Trotzdem”, ergänzte sie angewidert, “die Hälfte der Zeit fährt er seinen Truck immer noch vor seinen Wohnwagen.”
“Hatte Bubba denn kein Auto?”
Sie verzog die Lippen zu einer gequälten Grimasse. “Sie kannten Bubba nicht, was?”
Er schüttelte den Kopf.
“Der passte mit seinen viereinhalb Zentnern doch gar nicht mehr hinters Lenkrad! Hatte nicht mal mehr ‘n Führerschein.”
Viereinhalb Zentner? Kein Wunder, dass der vom Herzinfarkt hingerafft worden war. “Lebte er allein?”
“Mit seiner Katze und seiner Spinne. Aber einmal die Woche schaute seine Schwester vorbei. Ob er was brauchte.”
“Sie kennen nicht zufällig deren Adresse, was?”
“Bedaure, die wohnt in Iuka, soweit ich weiß. Sie könnten ja mal ins Telefonbuch gucken.”
“Wie heißt die denn?”
“Helen Salazar.”
“Man dankt”, sagte Hunter.
Bubba Turks Carport lag hinter einer Baumreihe verborgen. Hunter marschierte darauf zu, war aber noch nicht weit gekommen, als die hilfsbereite Nachbarin ihm noch etwas nachrief. “Gehen Sie nicht zu nah ran!”, mahnte sie.
“Wieso nicht?”
“Stinkt bestialisch. Kaum zu fassen, dass der sich so lange hält, der Geruch.” Mit gerümpfter Nase stopfte sie den Müllbeutel in den Abfallcontainer und schlurfte dann zurück in ihr Mobilheim.
Am Haus angelangt, stellte Hunter fest, dass es dort in der Tat abscheulich roch. Bislang hatte er gedacht, die Leiche sei relativ schnell nach Eintritt des Todes gefunden und zum Bestattungsinstitut überführt worden. Allmählich musste man sich indes fragen, ob der Leichenwagen wohl noch auf sich warten ließ. Der Gestank wies eindeutig auf Verwesung hin.
Das Carport war verwaist, Harper folglich nicht da.
Hunter probierte die Klinke, um dem widerlichen Geruch auf den Grund zu gehen. Die Tür war jedoch abgesperrt. Der Mief kam anscheinend sowieso nicht aus dem Inneren, sondern aus … – er ging um den sehr geräumigen Wohncontainer herum, um sonstige Geruchsquellen auszuschließen – … aus einem kleinen, an den Carport angebauten Schuppen.
Mit angehaltenem Atem öffnete er die dünne Sperrholztür. Der Raum war fensterlos, das Innere zu dunkel, um etwas sehen zu können. Dennoch war Hunter einigermaßen sicher, dass er die Geruchsquelle gefunden hatte, zumal er jetzt Luft holen musste. Dabei drehte sich ihm schier der Magen um.
Was war hier los?
Mit einem Ruck an einer Schnur schaltete er eine Glühbirne ein. Hinter der Tür lag ein schwarzer Müllsack. Mit einem Besenstiel fummelte Hunter die Öffnung so weit auf, dass er hineinspähen konnte.
Im Sack lag eine tote Katze.