_______________NACHWORT_______________

 

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ch habe dieses Buch in der Gewissheit geschrieben, mit meinem Schicksal nicht allein auf dieser Welt zu sein. Viele Frauen haben Ähnliches erlebt und viele Frauen gar Schlimmeres. Auch darf nicht vergessen werden, dass körperliche und/oder seelische Misshandlungen sowie sexueller Missbrauch bei der Wahl der Opfer am anderen Geschlecht nicht vorbeigeht. Für missbrauchte oder misshandelte Männer scheint eine Offenbarung der eigenen Erlebnisse noch schwieriger zu sein als für Frauen. Oft hüten sie ihr schreckliches Geheimnis ein Leben lang.

Es macht mich persönlich besonders wütend, dass in den Medien auf geradezu fahrlässige Weise die Begrifflichkeiten »Vergewaltigung« und »sexueller Missbrauch« unkontrolliert und unzutreffend verwendet werden. In den Köpfen der meisten Menschen ist die körperliche Gewaltanwendung gegenüber den Opfern so sehr manifestiert, dass es unvorstellbar erscheint, OHNE diese physische Gewalt Straftaten verheerenden Ausmaßes begehen zu können.

Schnell drängt sich bei Missbrauch auch die Frage auf, warum die Opfer zum Zeitpunkt der Übergriffe nicht NEIN gesagt haben und diese zum Teil jahrelang erduldeten. Manipulation und Machtspiele sind hier der Nährboden für solch ein angstvolles und selbstverleugnendes Verhalten, das den Täter noch schützt.

Die bescheiden anmutende Aufklärung der Öffentlichkeit zu diesen komplexen Themenbereichen hat bislang nur Oberflächliches und zum Teil gefährliches Halbwissen produziert: Jedem mitfühlenden und vernünftigen Menschen ist bewusst, dass es keine Rechtfertigung für sexuelle Vergehen an Kindern gibt. Ebenso verwerflich ist die pornografische Ausbeutung Minderjähriger, die auf die Kommerzialisierung der kindlichen Virginität abzielt und dabei Mädchen wie Knaben als »sexgierige Luder« abstempelt, auch um das eigene Fehlverhalten zu verdunkeln. Ausbeutung kindlicher Sexualität ist immer strikt zu ahnden. Sie hat mit Liebe nichts zu tun, und es profitieren ausschließlich die Täter.

Wo aber ist die Grenze zu ziehen zwischen Missbrauch und frei gewählter Sexualität? Wer bestimmt, ob es strafbar ist, wenn sich ein zwölfjähriges Mädchen in einen achtzehnjährigen jungen Mann verliebt und mit ihm intim wird? In welchem Alter ist ein Mädchen noch ein Kind? Selbstverständlich unmoralisch ist es, eine Achtjährige zu sexuellen Praktiken anzuhalten, bei einer Vierzehnjährigen sieht das anders aus. Oftmals wird von Laien zuerst danach gefragt, ob das Mädchen nicht durch das eigene Verhalten den Lusttrieb des erwachsenen Mannes überfordert hat? Oder ob der Mann den Reizen und Verführungskünsten des Mädchens »erlag«?

Meine Meinung hierzu ist klar und deutlich: Weder der eigene Vater noch der Stiefvater, der Lebensgefährte der Mutter, und auch nicht der Onkel, der Opa oder der gute Freund der Familie haben sich sexuell anzupreisen. Kinder entdecken Sexualität erst noch. Dies ist ein Aspekt der menschlichen Entfaltung und des Heranwachsens, der von den Erziehungsberechtigten verantwortungsvoll zu begleiten ist. Selbst eines Tages »gesunde« Grenzen setzen zu können, ist nur möglich, wenn einem dies auch vorgelebt wurde. Nicht umsonst äußern unbeschwerte Kinder frühzeitig den Wunsch, allein im Bad sein zu wollen oder beim Toilettengang keine Zuschauer zu dulden! Sie fordern diese Freiräume, um sich frei entwickeln zu können.

Bei sexuellem Missbrauch geht es immer um Manipulation der Gedanken und Gefühle. Es geht, wohlgemerkt, nicht um »Umwerben«! Die Manipulation ist dadurch gekennzeichnet, dass nur der Täter das spätere Ziel kennt. Manipulation des Geistes bedeutet Macht. Macht über das Opfer, das das perfide Manipulationsspiel des Missbrauchers viel zu spät erkennt. Perfide schon allein deshalb, weil das Opfer weder die Reife noch die nötige Lebenserfahrung besitzt, diese an ihm ausgeführte Manipulation durchschauen zu können. Von Freiwilligkeit kann daher keine Rede sein. Freien Willens kann ich nur sein, wenn ich den jeweiligen Sachverhalt und die Geschehensabläufe verstehe und überschaue. Dass selbst erwachsene Menschen auf eine Manipulation der Gefühle hereinfallen können, dürfte außer Frage stehen. Nicht umsonst gilt der Heiratsschwindel als Straftat. Auch hier wird Liebe vorgegaukelt und das Ziel, in diesem Fall die materielle Bereicherung des Heiratsschwindlers und die finanzielle Ausbeutung des Opfers, kennt einzig und allein nur der Täter.

Das klassische Umwerben ist von Freiwilligkeit geprägt. Beide Seiten wissen, worum es geht, und wissen, worauf sie sich einlassen. Wird durch das Umwerben die eine Seite schwach und »erliegt der Kunst der Verführung«, geschieht dies im Einvernehmen und gewollt. Ich war mit zweiundzwanzig Jahren freiwillig mit einem fast achtundzwanzig Jahre älteren Mann zusammen. Die psychologischen Hintergründe für das Warum mögen nach Lesen der Lektüre dem Leser deutlich geworden sein. Daran trug Alfons keine Schuld. Er umwarb mich. Er manipulierte nicht. Ich war frei, und er spielte nicht mit Macht. Zu jedem Zeitpunkt war ich unabhängig und konnte selbstbestimmt entscheiden, ob ich diese Partnerschaft fortführen oder beenden wollte. DAS konnte ich als vom Elternhaus abhängiges Mädchen mit vierzehn Jahren nicht.

Das Ergebnis des sexuellen Missbrauchs war das latent existierende Schuldgefühl, nicht Nein gesagt zu haben. Das Unverständnis über das eigene Reagieren. Das »schmutzige Gefühl«, benutzt worden zu sein und nicht aufrichtige Liebe erfahren zu haben. Ein diffuses, kaum zu greifendes Gewirr scheinbarer Widersprüchlichkeiten beherrschte mein Leben. Es bedurfte professioneller Hilfe von außen, um die langjährige Manipulation und die Machtspielchen zu begreifen und zu erkennen, dass ein Nein schier unmöglich war.

NEIN sagen hieß, mit Liebesentzug bestraft zu werden und vielleicht daran zu sterben. Dulden bis zur Selbstaufgabe, um zu überleben und vermeintlich auch geliebt zu werden. Grenzen setzen bedeutete, nicht mehr geliebt zu werden und existentielle Ängste ertragen zu müssen. Das so manifest gewordene Verhaltensschema prägte das Erwachsenenalter. Erst die Therapien korrigierten Denkstrukturen und führten langfristig zu einem autarken und positiven Lebensgefühl. Ein ganzes Jahrzehnt habe ich gebraucht, um aus Depressionen Lebensfreude zu machen und Sexualität wirklich genießen zu können. Es war ein langer und steiniger Weg, an dessen Ende ich stets meine persönliche Freiheit gesehen habe.

Der Weg hat sich gelohnt!

Ohne ungestraft Grenzen setzen zu dürfen, gehen wir unter. Ohne Grenzen setzen zu können, sind wir beziehungsunfähig. Aber ohne Beziehung erfahren wir keine wahre Liebe. DAS wäre der sichere Tod. Das wäre der falsche Traum von Liebe.

Die eigene Kapitulation vor dem Erlebten darf kein Niedergang sein. Zu kapitulieren heißt daher hier auch, zu erkennen. Zu erkennen, dass niemand allein ist auf dieser Welt und dass es Hilfe gibt. Zu erkennen, dass kein Mensch das Recht dazu hat, ein Leben zu zerstören. Zu erkennen, dass »DIE« nicht gewinnen dürfen!