________________KAPITEL 7________________
Bulimie und Todeswunsch
Als die Schule wieder begann, traute ich mich nicht, meinen Freundinnen von Jürgen zu erzählen. Ich wusste ja selbst nicht, wie ich meine Erinnerungen einzuschätzen hatte, und geriet regelrecht in Panik, dass ich schizophren werden könnte. Jürgens Bruder war hochgradig schizophren, und oft genug hatte ich aus den Gesprächen zwischen Jürgen und meiner Mutter entnehmen können, dass schizophrene Menschen davon überzeugt seien, dass bestimmte Dinge reell geschahen, die tatsächlich aber nur einer krankhaften Fantasie entstammten. Ich war zutiefst verunsichert, und die gehässigen Sprüche meiner Mutter, ich hätte »eine Macke« oder tickte »nicht ganz sauber«, nährten meine Sorgen und meine Unsicherheit. Wochenlang harrte ich aus, und erst im Februar warf ich mein Herz über Bord und ging am Abend mit Bobby zu Jürgen in die Firma. Erwin war gerade vom Betriebshof gefahren, und so wusste ich, dass Jürgen allein war.
Bevor ich ins Büro ging, hörte ich noch, wie Jürgen mit meiner Mutter telefonierte und ihr sagte, dass er nicht mehr lange zu tun hätte und bald Feierabend machen würde. Es war eine merkwürdige Situation: Die Tochter seiner Gesprächspartnerin am anderen Ende der Leitung stand vor der Bürotür und fragte sich gerade, ob der Freund ihrer Mutter tatsächlich mit ihr geschlafen hatte. Es war verrückt. Als ich hörte, wie Jürgen das Gespräch beendete und den Hörer auflegte, trat ich ein. Mit freudigem Gesicht erhob sich Jürgen von seinem großen Ledersessel, ging um den Schreibtisch herum und nahm mich wortlos in die Arme.
Ich schob ihn von mir weg, schaute ihn ernst an und fragte: »Jürgen, was ist da Weihnachten passiert?«
Wieder wollte mich Jürgen in den Arm nehmen, und ich wich zurück.
»Was ist passiert?«, rief ich mit lauter und zittriger Stimme.
Jürgen lächelte mich an. »Etwas Wunderschönes ist passiert, und ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich dir bin, dass du mir dieses Geschenk gewährt hast! Warum bist du nicht schon viel früher zu mir gekommen? Ich habe auf dich gewartet!«
»Ich wusste nicht mehr, was Wirklichkeit und was Fantasie ist«, sagte ich, »und ich hatte Angst!«
»Komm, wir fahren ein Stück, dann können wir in Ruhe reden.« Jürgen nahm seine Schlüssel, seine Jacke und seine braune, lederne Handgelenkstasche und schob mich zur Tür hinaus.
Der Jaguar flog über die Straßen, und die Sitzheizung der Ledersitze arbeitete auf Hochtouren. Ich entspannte mich ein wenig. Jürgen legte seine Hand auf meinen Oberschenkel und lächelte mich an.
»Ich habe dich so unglaublich lieb, Christine, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Hast du mich denn gar nicht lieb? Nicht wenigstens ein klitzekleines bisschen?«
»Natürlich habe ich dich lieb, Jürgen, aber was ist mit Mama? Du bist ihr Freund! Das geht doch alles gar nicht.«
Jürgen schaute mich an. »Mach dir doch darüber keine Sorgen, Christine. Ich freue mich soo sehr, dass du mich auch lieb hast, da spielt doch alles andere keine Rolle, oder?«
Ich wusste nicht mehr, was ich sagen sollte. Sicher, klar hatte ich Jürgen lieb, aber eben anders. Ich hatte ihn lieb, weil er mir Bobby geschenkt hatte. Ich hatte ihn lieb, weil er ab und zu Partei für mich ergriff. Und ich hatte ihn lieb, weil er mir das Gefühl vermittelte, gern mit mir zusammen zu sein. »Ich hab dich lieb, Jürgen, weil du viel lieber mit mir zusammen bist als Mama«, sagte ich und war überzeugt, dass ich nun hinreichend erklärt hatte, was genau ICH meinte, wenn ich von »lieb haben« sprach.
Jürgen hielt auf einem Parkplatz an und zog mich in seine Arme. »Christine«, flüsterte er »alles, wirklich alles würde ich für dich tun, und wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich den ganzen Tag mit dir zusammen sein. Die Mami erinnert sich immer an deinen Vater, wenn sie dich sieht, und das ist unfair. Weißt du, was ICH in dir sehe?«
Tränen liefen mir über die Wangen. Ich wusste gar nicht so genau, warum ich jetzt heulte, aber eine unendliche Traurigkeit überfiel mich. »Ich fühle mich so alleine, Jürgen. Mama meckert ständig an mir herum, und dauernd erzählt sie mir, dass ich genauso ein Arschloch sei wie mein Vater. Ich mach doch schon alles, was sie will, aber nie sagt sie etwas Liebes zu mir.« Ich heulte wie ein Schlosshund, und Jürgen drückte mich fest an sich.
»Meine arme, wundervolle Christine! Du bist so ein hübsches Mädchen! Nun wein doch nicht.«
»Bin ich gar nicht!«, schrie ich Jürgen an. »Mama sagt, ich würde gehen wie ein Elefant, ich hätte Wurstfinger, ein Gesicht zum Reinschlagen, und wenn sie gewusst hätte, was aus mir geworden ist, hätte sie mich gleich nach der Geburt wieder reingeschoben! DAS sagt Mama!«
Jürgen streichelte mir das Haar. »Ich weiß, mein Mädchen. Ich weiß. Ich kann auch nur immer wieder mit ihr sprechen und versuchen, sie zur Vernunft zu bringen. Du weißt ja, wie sie ist. Ich kann dir aber eines ganz sicher garantieren: Ich werde immer, hörst du, immer für dich da sein! Du kannst jederzeit zu mir kommen! Wir sind doch jetzt ein Team! Und jetzt hör auf zu weinen. Sonst merkt die Mami noch was, und das wollen wir doch nicht, oder? Ich lass dich gleich oben an der Ecke raus und dreh dann noch mal ʼne Runde, ja? Bitte Christine! Reiß dich zusammen, sonst fliegen wir auf!«
Ich schluckte und wischte mir mit Jürgens Taschentuch die Tränen aus dem Gesicht. Ich musste mich konzentrieren und das passende Gesicht aufsetzen. Wenn meine Mutter erfahren würde, dass ich mich mit Jürgen getroffen hatte, dann wäre die Hölle los!
Es war Frühling geworden. Ich hatte in der Zwischenzeit eine feste Zahnspange bekommen und fand mich damit einfach schrecklich! Meine Mutter witzelte darüber und verglich mich mit dem Beißer aus Moonraker, was meine Stimmung nicht gerade hob.
Meine Freundinnen kannten derzeit nur ein einziges Thema: Das erste Mal! Ständig unterhielten sie sich darüber, und die eine fand es superschön, die andere nur ätzend, weil es ihr richtig wehgetan hatte. Alle waren sie ganz erpicht darauf gewesen und wollten das unbekannte Terrain betreten. Und alle hatten sie einen richtigen Freund. Ich stand wie blöd daneben und gab vor, von alledem noch gar keine Ahnung zu haben. Was hätte ich auch sagen sollen? »Hey Mädels, übrigens, ich schlafe mit dem Freund meiner Mutter? Tja, und leider kann ich zu ›meinem ersten Mal‹ nur sagen, dass es zwar nicht wehtat, ich das aber alles nicht richtig mitbekommen habe und gar nicht wollte.«
Zu den speziellen intimen Themen konnte ich ohnehin nichts sagen, denn mir waren Kusstechniken, Streicheltechniken, Selbstbefriedigung und das gesamte Petting-Repertoire ein völlig unbekanntes Territorium. Es war an den Wochenenden mittlerweile Usus geworden, dass Jürgen irgendwann in der Nacht von Samstag auf Sonntag im Leopardenzimmer auftauchte und sich wie selbstverständlich auf mich legte, seine Zunge ständig in mir kreisen ließ, damit von mir kein Laut zu hören war, und mich dann so lange penetrierte, bis er zum Höhepunkt kam. Jürgen stellte keine Fragen, sondern erzählte mir danach in völliger Verklärtheit, wie toll und schön das doch alles mit uns beiden sei. Dass Ulf und Martin mit im Haus waren, schien ihn absolut nicht zu stören, aber warum auch? Wenn ihn schon nicht störte, dass meine Mutter direkt über uns im Bett lag und schlief, dann konnten seine Söhne erst recht kein Hindernis für ihn sein. Ich versuchte einige Male, mit Jürgen darüber zu reden, wie ich mich fühlte, doch stets wickelte er mich in seinen euphorischen Schwärmereien ein, sodass ich entweder nicht zu Wort kam oder vergessen hatte, was ich ihm eigentlich hatte erklären wollen. Ich war vierzehn und konnte vieles von dem, was ich fühlte, nur sehr sehr schwer in Worte fassen. Ich wünschte mir, dass Jürgen einfach wieder der Kumpel, der Mitstreiter, der gute Freund und der Vaterersatz geworden wäre. Er schlief mit einer derartigen Selbstverständlichkeit mit mir, dass ich mich völlig überfordert und auch völlig überrumpelt fühlte. Ich konnte in diesem Alter noch nicht begreifen, dass ich meiner natürlichen spontanen Sexualität vollkommen beraubt worden war. Ich konnte es lediglich empfinden, und dieses Gefühl war ein Gefühl des Benutztwerdens, das Gefühl, dass sich in Wahrheit niemand im meinem Umfeld für MEINE Bedürfnisse interessierte. Wenn ich in der Firma arbeitete, überschüttete mich Jürgen mit Komplimenten und Nettigkeiten. Immer wieder betonte er, dass es ein schrecklicher Gedanke für ihn gewesen wäre, »wenn irgend so ein dummer Bengel einfach über mich rübergerutscht wäre«. Wenn ich meinen Freundinnen zuhörte, dann ergriff mich die schier unendliche Sehnsucht, einen netten Jungen als festen Freund an meiner Seite zu haben. Carla hatte sich in Andreas verliebt, einen meiner großen Jugendschwärme. Andreas hatte sich auch für mich interessiert, aber bei den wichtigsten Partys, die in meiner Klasse gefeiert wurden, war ich nicht dabei, weil mir meine Mutter ständig einen Strich durch die Rechnung machte. Wenn es dann zu Hause wieder Zoff gab, dann konnte nur Jürgen wieder für Ruhe sorgen, und teilweise handelte er Kompromisse aus, die mich aber nicht wirklich nach vorn brachten. Ich erhielt zum Beispiel die Erlaubnis, auf eine Feier im Vereinsheim des Freibades zu gehen, die um achtzehn Uhr begann. Bis ich alle Aufträge meiner Mutter erledigt hatte, war es dann schon fast neunzehn Uhr, und ich spürte, dass es ihr Freude bereitete, mein langes Gesicht zu betrachten, wenn sie, kurz bevor ich das Haus verließ, noch »schnell« eine Erledigung von mir erwartete. Hätte ich rebelliert, wäre das Ergebnis ihr Verbot gewesen, zu der Party zu gehen. Da ich andererseits aber schon um zwanzig Uhr wieder zu Hause sein musste, war ich nur eine halbe Stunde auf der Fete im Vereinsheim. Und so lief es eigentlich immer. Die Unternehmungen meiner Freundinnen am Wochenende waren für mich ohnehin gestorben. Ich war mit Ulf und Martin auf dem Panzerübungsgelände, und somit war mir die Chance, einen netten Jungen kennen zu lernen, fast gänzlich verbaut.
Wenn meine Mutter abends zu Jürgen ins Haus fuhr, dann schnappte ich mir alles Mögliche aus dem Vorratsschrank, bereitete mir zehn, fünfzehn Pfannkuchen zu und stopfte diese mit Apfelmus, Nutella oder Käse und Schinken so lange in mich hinein, bis ich das Gefühl hatte, zu platzen. Ich hörte erst auf zu essen, wenn nichts mehr in mich hineinging und wenn ich vor lauter Völlegefühl ob der schweren Kost meine Übelkeit nicht mehr unterdrücken konnte. Dann stürzte ich zur Toilette und erbrach mich, dass es mich schüttelte und der kalte Schweiß auf meiner Stirn den drohenden Kreislaufkollaps ankündigte. Jedes Mal, wenn sich der gigantische Speisebrei zurück durch die Speiseröhre wälzte und in der Toilettenschüssel landete, hatte ich das Gefühl, mich von dieser Last, dieser Schwere in mir und in meinem Bauch befreien zu können. Ich allein bestimmte darüber, was in meinem Körper bleiben durfte und was nicht. Wenn ich aber danach leer und ausgepumpt, keuchend und schwitzend vor der Toilette stand, dann zog es mich wieder hinab in die dunklen, kalten und leeren Höhlen der Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit. Jedes Mal schrubbte ich die Toilette, um bloß keine verräterischen Spuren zu hinterlassen, wusch mir die Hände und putzte mir die Zähne, bis alles so sauber war, als ob niemals etwas derartig Widerliches passiert sei.
Ganz besonders erniedrigend war es für mich, wenn mich die bulimischen Attacken in der Stadt überfielen. Zwischen den Besorgungen für meine Mutter stopfte ich mich dann wie hypnotisiert mit Pizza und Eis voll und fraß mich systematisch bis Karstadt durch, um dort dann die öffentlichen Toiletten aufzusuchen. Ich hatte die »Kunst, geräuschlos zu erbrechen« inzwischen perfektioniert, und der abartige Geruch in den zumeist verdreckten, engen und stickigen Kabinen machte es mir leicht, mich schnellstens wieder zu entleeren. Wie verzweifelt muss man sein, wenn man seinen Kopf über eine öffentliche, mit Fäkalien vollgespritzte Toilettenschüssel hängt und dabei nicht vom Alkohol benebelt, sondern glasklar im Kopf ist?
Ich habe damals ernsthaft geglaubt, dass ich das einzige Mädchen auf der ganzen Welt war, das eine derart ekelige »Angewohnheit« hatte. Eine Mitschülerin hatte Magersucht, was 1980 zwar schon als Krankheit bekannt war, jedoch in der Öffentlichkeit noch als Tabuthema behandelt wurde. Meine Fress- und Brechattacken sah man mir lange Zeit nicht an, da ich weder magerer wurde noch sonst irgendwelche Auffälligkeiten zeigte. Mit sechzehn, nach zwei Jahren der Bulimie, waren meine Mundwinkel beidseitig aufgerissen und verkrustet, die Gesichtshaut blass und pickelig, und die natürliche Verdauung hatte gelitten. Oft hatte ich eine ganze Woche lang keinen Stuhlgang, und ich half mir mit Abführtees, Neda-Früchtewürfeln und Entwässerungstees. Da mich meine immer schlimmer werdende Bulimie in den Wahnsinn trieb, schrieb ich mein Tagebuch voll und versuchte, durch peinlich genaues Notieren der konsumierten Nahrungsmittel mit Angabe der jeweiligen Kalorienanzahl mein Essverhalten wieder unter Kontrolle zu bringen. Es half nichts, und meine Verzweiflung wuchs und wuchs. Ich verabscheute mich selber und empfand mich als totale Versagerin, weil ich ständig rückfällig wurde und es Tage gab, an denen ich erst nach sechs bis acht Attacken ausgelaugt und ausgepumpt zur Ruhe kam. Es war ein Teufelskreis, aus dem ich genauso wenig herauskam wie aus dem Teufelskreis mit Jürgen. Ich wusste mit vierzehn Jahren nicht, dass beide Teufelskreise, von der richtigen Seite aus betrachtet, eine Krankheit sind ...
Monatelang schluckte ich jeden Tag ein bis zwei Appetitzügler, und mit siebzehn brach mein Körper zusammen. Während eines Eishockeyspiels war ich urplötzlich auf der Besuchertribüne in mich zusammengesackt und mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus verbracht worden. Die Ärzte untersuchten mich und entschieden dann, die Nieren zu röntgen. Hierzu spritzten sie intravenös ein Kontrastmittel, das mich fast in den Himmel gebracht hätte. Ich schwebte durchs Nichts und betrachtete mich auf einmal aus der Vogelperspektive. Fast hatte ich den Eindruck, mich in einer Ecke unter der Zimmerdecke zu befinden, und von dort schaute ich auf das Treiben unter mir. Als es richtig spannend wurde, weil weitere Ärzte völlig hektisch in den Untersuchungsraum gerannt kamen, mir weitere Spritzen verabreichten und auf meinem Brustkorb herumdrückten, war ich genauso plötzlich wieder in meinem Körper, wie ich zuvor unter die Decke geraten war. Im Gespräch mit einem Arzt wurde ich dann darüber aufgeklärt, dass ich eine Kontrastmittelallergie hätte und zeitlebens daran denken müsse, diese Allergie in der Anamnese zu erwähnen.
»Und was war das für ein Theater im Untersuchungsraum?«, fragte ich den Arzt.
Der starrte mich nur an und schwenkte dann über auf die Untersuchungsergebnisse, die als Ursache meines Zusammenbruchs eigentlich gar nichts ergeben hatten. Ich hütete das Geheimnis meiner Bulimie, weil ich mich viel zu sehr schämte und befürchtete, dass meine Mutter dann mit ihrer Theorie, dass ich verhaltensgestört sei, von den Ärzten Unterstützung erhalten hätte.
Tief im Inneren fehlte mir meine Mutter. Häufig träumte ich davon, mich einfach in ihre Arme zu werfen und losheulen zu dürfen. Ich wollte ihr erzählen, wie gern ich sie lieben wollte, dass ich sie brauchte, dass ich Probleme hatte, mit denen ich alleine nicht fertig werden konnte, und dass ich beschützt werden wollte. Wenn sie dann ihre Lobeshymnen auf Jürgen herausposaunte und in seinem Beisein erzählte, dass sie ihren Lehrerkolleginnen heute mal wieder erzählt hatte, dass ihr dieses oder jenes mit ihrem Lebensgefährten niemals passieren könnte, weil »den Jürgen, den könnte man auch in einen Waggon voller Frauen sperren, der würde nur an seine Gundis denken«, dann wusste ich, dass meine Träume immer Träume bleiben würden. Wenn ich mir vorstellte, dass ich meiner Mutter erzählen würde, dass Jürgen mindestens einmal pro Woche ihre Tochter beschlief, dann entwickelte sich die Geschichte in zwei Variationen in meinem Kopf weiter:
Entweder sie glaubte mir, dann wäre natürlich ich wieder einmal schuld gewesen. Vermutlich hätte ich den armen Jürgen gleich einer Lolita verführt, und die Gründe wären offensichtlich: Eifersucht. Natürlich. Ich hätte bestimmt ganz gezielt Jürgen »scharf gemacht«, weil ich diesen fantastischen Mann meiner Mutter nicht gönnte und ohnehin nur darauf aus war, alles kaputtzumachen. Das Ende vom Lied wäre vermutlich gewesen, dass auch Jürgen seine gänzliche Ohnmacht propagiert hätte und meiner Mutter mit seinen rhetorischen Fähigkeiten plausibel erklären würde, was für ein Früchtchen ich doch sei, wenn ich es sogar hinbekommen hätte, ihn, den standhaften und moralischen Jürgen, um meine vorpubertären Fingerchen zu wickeln. Und wie würden beide das Problem lösen? Auch klar. Christine frisst und kotzt, Christine spannt frühreif, wie sie ist, den zweiundvierzig Jahre alten Freund der zweiunddreißig Jahre alten Mutter aus, Christine war schon immer verhaltensgestört, also müsste Christine vermutlich in die geschlossene Abteilung einer Kinder- und Jugendpsychiatrie. Und niemand, wirklich niemand, würde bei einer pädagogisch geschulten Grundschullehrerin und bei einem honorigen Geschäftsmann auch nur im Geringsten daran zweifeln, dass es NUR SO und nicht anders sein konnte.
Variante zwei war eigentlich dasselbe Spielchen wie Variante eins. Meine Mutter würde mir nicht glauben, Jürgen alles abstreiten und entrüstet rufen: »Aber Christine! JETZT bin ich aber wirklich enttäuscht von dir! Warum erzählst du denn so einen Unfug? Wo ich immer zu dir gehalten habe? Aber ich wusste es ja schon immer ...« Und das Ergebnis wäre inklusive der Begründung für mein abstruses Verhalten exakt dasselbe wie in der Geschichte der Variation eins.
Ich schloss meine Überlegungen, ob ich mich meiner Mutter anvertrauen sollte, mit der festen Annahme ab, dass mir keinesfalls geglaubt werden würde, was realistisch und typisch für meine Mutter war. Wenn ich mein achtzehntes Lebensjahr würde erleben wollen, dann durfte auf gar keinen Fall ein Sterbenswörtchen an die Ohren meiner Mutter dringen. Oma schied damit als Gesprächspartnerin und Mitwisserin aus, und abgesehen davon erachtete ich meine Großmutter als völlig überfordert und eher herzinfarktgefährdet angesichts der Tatsache, dass sie mir in jedem Fall meine abenteuerlichen Erzählungen von dem feinen Jürgen glauben würde.
Und wieder einmal hatte auch Jürgen mit seinen mahnenden Worten Recht: »Wenn die Mami das von uns erfährt, dann ist hier für dich die Hölle los.« Für mich wohlgemerkt ...
Im Sommer 1980 war ich in der neunten Klasse und liebäugelte damit, nach Beendigung der zehnten Klasse im darauf folgenden Jahr das Gymnasium mit Realschulabschluss zu verlassen. Ich wollte Fremdsprachenkorrespondentin werden und hatte herausgefunden, dass es in Hamburg eine Privatschule gab, an der man nach dreijähriger Ausbildung die staatlich anerkannte Prüfung unter Aufsicht der örtlichen Handelskammer ablegen konnte.
Eines Tages, wir saßen gerade auf der Terrasse, und Jürgen ergoss sich in huldvollen Lobeshymnen über meine Früchtekaltschale, fragte er urplötzlich, was ich denn beruflich machen wolle. Freimütig erzählte ich von meiner Idee, möglichst frühzeitig ins Berufsleben einsteigen und niemandem auf der Tasche liegen zu wollen, bis ich bemerkte, dass Jürgens Miene zeigte, dass ich mal wieder die falsche Antwort gegeben hatte.
Umständlich wischte sich Jürgen Mund und Schnauzer mit der Serviette ab, schaute mich lange und prüfend an und holte tief Luft. »Du hast doch hier zu Hause alle Voraussetzungen, die man braucht, um in Ruhe das Abitur zu machen, oder passt dir hier irgendetwas nicht?« Jürgen schaute mir in die Augen, und ich war zutiefst beunruhigt.
Alles in mir war auf der Hut, und ich geriet in völlige Anspannung. Sein Gesicht hatte denselben bedrohlichen Ausdruck wie bei den Themen Greg oder den anderen Jungs.
»Alles prima«, antwortete ich und wartete ab. Bloß keinen Fehler machen, schoss es mir durch den Kopf.
»Wenn ich damals so ein schönes Zuhause gehabt hätte, wäre das Abitur für mich keine Frage gewesen«, konstatierte Jürgen. »Wir hingegen mussten unsere Heimat Breslau wegen der Russen verlassen. Wir hatten alles verloren, und Muddel war mit uns drei Kindern auf sich alleine gestellt. Wenn ich ihr damals nicht so geholfen hätte, dann hätten wir damals in Werl als Flüchtlinge nie Fuß fassen können!«
In mir krampfte sich alles zusammen. Diese Art der Selbstbeweihräucherung kannte ich zur Genüge. Ich wusste, was jetzt kam. Er, der tolle, pfiffige und einfallsreiche Jürgen, hatte die ganze Familie gerettet und aus dem Nichts die Firma aufgebaut. Seinen schizophrenen Bruder Norbert, der, so hatte ich Irmhild mal wütend reden gehört, offensichtlich der technisch überlegenere der beiden Brüder war und als der kreative Kopf der Firma galt, erwähnte Jürgen in seinen geschwungenen Reden nie.
»Wenn ich also«, fuhr Jürgen fort und riss mich aus fernen Gedanken zurück in die Realität, »an deiner Stelle wäre, würde ich angesichts aller Vorzüge selbstverständlich das Abitur machen. Alles andere ist nur ein Zeichen von Undankbarkeit und überdies großer Dummheit. Du hast hier dein Zimmer, verdienst nebenbei gutes Geld und überhaupt, was willst du denn mit Bobby machen? Du willst doch wohl den Hund nicht im Stich lassen, oder?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte ich, »eigentlich wollte ich Bobby mit nach Hamburg nehmen, weil ich gehört habe, dass es da oben im Norden sehr schön sein soll.«
Jürgen schnaubte verächtlich und moralisierte über die Reeperbahn, die Davidswache und die Huren und Zuhälter, schob die enorme Kriminalität und das verkommene Nachtleben nach und beendete seine Andacht mit den Worten: »Das fehlte mir noch, Christine, dass du auf die schiefe Bahn gerätst und in Hamburg unkontrolliert durch die Nächte flippst!«
Meine Mutter, die in ihrem ganzen Leben noch nicht in Hamburg gewesen war, nickte mal wieder devot und warf mir hasserfüllte Blicke zu. Meine Mutter, das leuchtete mir ein, würde freiwillig niemals auf ihre Putzfrau Christine verzichten wollen.
In den darauf folgenden Wochen quetschte ich jeden Tag meine dünnen Finger von außen durch den Briefkastenschlitz und kontrollierte die Post. Irgendwann hatte ich dann endlich das Schreiben herausgefischt, auf das ich gewartet hatte und von dem Jürgen und meine Mutter nichts erfahren durften. Es war das Antwortschreiben vom Max-Reinhard-Seminar in Österreich, und als ich las, dass ich tatsächlich einen Termin im Herbst bekommen hatte, um dort vorstellig zu werden, brach innerlich meine kleine Welt zusammen. Wenn schon die bloße Idee, Fremdsprachenkorrespondentin in Hamburg zu werden, bei Jürgen und meiner Mutter auf völlige Verständnislosigkeit stieß, dann konnte eine bereits abgeschickte Bewerbung zur Schauspielschule nach Wien nur den völligen GAU bedeuten. Wie sollte ich mit knapp fünfzehn Jahren heimlich nach Wien fahren, ohne dem sicheren Krankenhausaufenthalt nach meiner Rückkehr zu entgehen? Es lag auf der Hand, dass meine Mutter vollkommen durchdrehen würde, wenn ich dann nach Hause zurückkäme. Ich war schließlich minderjährig, und, Schauspielschule hin oder her, die nächsten drei Jahre würde mich jede Polizei dieser Welt wieder zurückschleifen, wo ich hergekommen war. Die Hoffnung, vorzeitig aus meinem Gefängnis entkommen zu können, bröckelte mehr und mehr.
Ich wollte weg von Jürgen, weg von meiner Mutter und weg aus dieser Stadt. Die Sommerferien standen bevor, und Jürgen hatte dieses Jahr vor, mit Ulf, Martin, meiner Mutter und mir nach Spanien zu fahren. Mir graute es vor diesem Urlaub, und ich wäre gern mit Dana und ihren Eltern nach Korsika gefahren. Auch Anka hatte mich angesprochen, ob ich die Sommerferien nicht mit ihr verbringen wollte, denn ihre Mutter hatte ihr Reiterferien auf einem Bauernhof in der Lüneburger Heide für zwei Wochen gebucht. Ich schwärmte von der Lüneburger Heide und stellte mir die mit Heidekraut üppig bewachsenen weiten Flächen in meinem Geiste vor. Die tiefen, dunklen Tannenwälder meiner Heimatregion machten mir Angst. Nie konnte man nach vorne schauen, ohne dass nicht große Berge vor einem auftauchten, und alles erschien mir so unsicher. Hinter jedem Baum vermutete ich Bedrohliches, und ich wünschte mir eine Landschaft, in der man schauen konnte, so weit das Auge reichte. Es musste traumhaft schön sein in der Lüneburger Heide, und in mein Tagebuch schrieb ich damals: »Wenn ich später groß bin und mein eigenes Geld verdiene, dann möchte ich in der Lüneburger Heide wohnen, einen schwarzen Hengst besitzen und mit meinem Hund über die Felder laufen.«
Was mir damals als Traum erschien, war zwölf Jahre später Realität geworden, aber das konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Es war völlig aussichtslos, Jürgen und meine Mutter zu fragen, ob ich meine Ferien mit Dana oder Anka verbringen durfte. Ulf und Martin fanden es unglaublich spannend, mit dem Auto in den Süden zu fahren, und Jürgen schwärmte uns vor, wie toll und romantisch es werden würde, in Südfrankreich zu zelten und am Lagerfeuer zu sitzen.
Diese Reise nach Spanien war die reinste Katastrophe. Zusammengepfercht saßen wir zu dritt hinten im neuen Lada-Niva, den Jürgen ursprünglich für die Geländefahrten gekauft hatte. Meine Mutter hatte sich schon gleich auf dem ersten Rastplatz mit Martin angelegt, der ihr wie so oft einen seiner berühmten Eifersuchtsauftritte hingelegt hatte. Mich quälten ständige Darmkrämpfe, weil die Abführmittel nicht wie erwartet einen Tag vor der Abreise gewirkt hatten, sondern genau am Tag, als wir losfuhren. Es war spät in der Nacht, als wir in Südfrankreich angekommen waren, und der Aufbau der beiden kleinen Zelte dauerte länger, als wir gedacht hatten. Die Luftmatratzen verloren ständig die Luft, und zu allem Übel begann es in der Nacht in Strömen zu regnen. Ulf und Martin hatten das kleinere Zelt in Beschlag genommen, und ich lag neben Jürgen. Neben ihm auf der anderen Seite lag meine Mutter. Für die Nacht hatte ich mir eine Jogginghose angezogen, und weil ich fror wie ein Schneider, hatte ich über dem Pulli noch eine dicke Jacke an. Nicht ein Auge habe ich in dieser Nacht zubekommen, weil Jürgen immer wieder mit seinen Händen nach mir grapschte und unter allen Umständen versuchte, seine Finger an meinem Slip vorbeizuzwängen. Ich litt in dieser Nacht Qualen, denn keinen Meter entfernt von mir lag meine Mutter und schlief, jedenfalls rührte sie sich nicht. Jürgen benahm sich schlimmer als eine Schmeißfliege, und ich fühlte mich schmutzig und benutzt. In unmittelbarer Nähe meiner Mutter von ihm bedrängt zu werden war schier unerträglich. Jürgen war mein Zuhälter und Freier zugleich. Am nächsten Morgen saß ich missmutig und übernächtigt vor dem Campingkocher und versuchte aus dem Mineralwasser und dem Pulverkaffee ein halbwegs annehmbares Gebräu zu zaubern.
Es war Jürgen, der den ersten Streit anzettelte, indem er sich vor meiner Mutter, Ulf und Martin über mein zerknirschtes Gesicht lustig machte. Vergleiche vom zerknautschten Mopsgesicht bis hin zur Frage, was ich denn die Nacht über bloß gemacht hätte, dass ich nun eine solche Laune verbreiten würde, musste ich über mich ergehen lassen. Jürgen provozierte und stichelte, bis er mich endlich so weit hatte, dass ich ihn ärgerlich anschrie, er solle mich endlich in Ruhe lassen. Sofort kehrte er den Spieß um und baute sich in erzieherischer Funktion vor mir auf. Ich hatte diese Taktik schon lange durchschaut und spürte, dass seine Provokationen in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner unbefriedigten Lust auf mich standen. Aber jedes Mal tappte ich in seine Falle. Ich schaffte es einfach nicht, seine blöden Sprüche zu ignorieren, und viel lieber hätte ich Jürgen deutlich gesagt, dass er sich angesichts einer so ätzenden Nacht nicht zu wundern bräuchte, dass ich eine solche Scheißlaune hatte. Jürgen wusste offensichtlich genau, dass ich es nicht wagen würde, ihn offen vor meiner Mutter und seinen Söhnen zu brüskieren und mich selbst damit bloßzustellen. Er konnte folglich getrost und beruhigt sein Spiel mit mir spielen und war stets der Gewinner.
Seinen Erfolg verbuchte Jürgen damit, dass er mich von den anderen und insbesondere von meiner Mutter vollkommen separierte und mich zum Störenfried der Gemeinschaft deklarierte. Drei Wochen lang war ich seinen Machtspielchen ausgesetzt, und Jürgen ließ dabei keine Situation aus. Am Strand von unserem Urlaubsort in Spanien bekam ich eines Tages meine Menstruation. Kurz vor den Sommerferien hatte meine Periode eingesetzt, und als ich etwas hilflos meine Mutter gefragt hatte, was ich denn nun machen solle, hatte sie mir den nützlichen und wenig aufklärenden Tipp gegeben: »Mach ein Kreuzchen in deinen Kalender!«
Als mir nun am Strand vor aller Leute Augen dieses Malheur ausgerechnet mit meinem neuen, selbst genähten weißen Bikini passierte, nahm ich mir fest vor, nach den Ferien mit Carla ausgiebig über diese Blutungen zu sprechen und mich gründlich aufklären zu lassen. Jürgen nutzte auch diese Peinlichkeit schamlos aus. Ich schlang mir ein Handtuch um die Hüften, versuchte, das hysterische Gelächter meiner Mutter zu ignorieren, und stapfte wütend durch den Sand in Richtung Hotelzimmer. Als ich gerade unter der Dusche hervorkam, stand Jürgen vor mir und reichte mir mit süffisantem Lächeln das Handtuch.
»Während du deine Tage hast, kannst du nicht schwanger werden«, sagte er lächelnd und kniff verschwörerisch ein Auge zu. »Komm, wir gehen aufs Sofa und legen das Handtuch drunter. Du weißt ja gar nicht, wie sehr du mir gefehlt hast, Christine. Du machst mich langsam verrückt und scheinst es zu genießen, mich hinzuhalten, ne?« Jürgen begrapschte meine größer gewordenen Brüste und knetete sie unangenehm mit seinen Fingern.
»Hau ab!«, schnauzte ich ihn an und schob ihn unsanft zur Seite.
»Jetzt stell dich doch nicht so zickig an«, raunzte Jürgen.
»Ich habe Angst! Verstehst du das nicht?«, schrie ich los. »Ich habe Angst, dass Mama reinkommt oder Ulf oder Martin! Bist du verrückt, Jürgen?«
»Meine Liebe«, säuselte Jürgen und packte mich an den nackten Hüften. »Du hast ja so Recht, Christine. Es ist in der Tat zu gefährlich, und ich bin dir so dankbar, dass wenigstens einer von uns beiden einen kühlen Kopf bewahrt. Ich weiß nur nicht mehr, wo ich mit mir hin soll. Ständig habe ich einen Steifen, wenn ich dich sehe. Dass ich fast den Verstand verliere, ist nur deine Schuld, du machst mich ja den ganzen Tag wild, wenn du da so am Strand liegst. Komm, lass uns wenigstens ein kleines bisschen bumsen, ja?« Mit diesen Worten versuchte mich Jürgen auf das Sofa zu ziehen.
Ich riss mein Handgelenk aus seiner Hand und flüchtete auf den Balkon, der direkt zum Strand gerichtet war. Die blanke Wut stieg in mir hoch, und ein unbändiges Gefühl von Hass erfüllte mich. Nicht hier im Urlaub, das hatte ich mir geschworen!
Jürgen stand auf, nickte boshaft und verließ das Hotelzimmer ohne weitere Kommentare.
Die Streitigkeiten, die Jürgen und ich in diesem Urlaub hatten, gerieten fast so außer Kontrolle wie die Streitigkeiten zwischen mir und meiner Mutter. Jürgen drohte mir eines Abends beim Essen: »Noch so ein Satz, Christine, und du hast gleich einen Aschenbecher im Gesicht!«
Meine Mutter grinste voller Häme. Sie hatte sich nach all den Jahren mit meinem Vater Abdul nicht im Geringsten geändert! Als wir aus dem Urlaub zurückkehrten, erhielt ich für die Wochenenden Hausverbot bei Jürgen. Er habe sich sooo sehr über mein Benehmen aufgeregt, erläuterte er, dass er sich erst mal erholen müsse von mir. Innerlich triumphierte ich. Als meine Mutter mit ihren gepackten Sachen am Freitagabend ins Haus fuhr, atmete ich erleichtert auf. Dieses Wochenende würde ich nicht durchs Panzerübungsgelände fahren müssen, und diese Nacht von Samstag auf Sonntag würde ich nicht durch Jürgens Besuch geweckt werden. Ich schlief so gut wie noch nie. Am Sonntagmorgen rief meine Mutter mit ernster Stimme an und erteilte mir die Anweisung, die Wohnung weiterhin nicht zu verlassen und die Bügelwäsche nicht zu vergessen. Meine Güte. Mir war die Bügelwäsche herzlich gleichgültig. Die Wäsche lag bereits fertig in den Schränken, die Wohnung blitzte bis in die hintersten Ecken, und ich fühlte mich regelrecht arbeitslos. Ich wagte es, nach dem Gespräch mit meiner Mutter, Carla anzurufen.
»Ja klar«, rief meine Freundin begeistert, »komm zu mir, meine Mutter macht gerade Frühstück, und danach können wir uns auf die Terrasse setzen und schwatzen. Ich freu mich, bis gleich.«
Schnell wie der Wind sauste ich mit meinem Fahrrad zu Carla und genoss das herrliche Gefühl, mich an einen gedeckten Frühstückstisch setzen zu können. Carlas Mutter verwöhnte uns nach Strich und Faden und wurde es nicht leid, immer wieder Orangensaft und Tee nachzugießen.
Als Carla und ich später allein waren, erzählte ich ihr die ganze Geschichte von Jürgen und mir. Carlas Augen wurden zwar größer und größer, aber sie hörte so lange zu, bis ich ihr, angefangen vom zweiten Weihnachtsfeiertag bis hin zu meiner Bulimie, alles erzählt hatte. Carla saß betroffen vor mir, und die Erschütterung war deutlich in ihren Augen zu sehen. Gleichzeitig schien sie genauso hilflos zu sein wie ich.
»Und ich habe mich immer gewundert, dass du nie etwas mit uns unternimmst«, begann sie nachdenklich. »Ständig hattest du keine Zeit, nie warst du sonntags mit beim Tanztee ... was willst du denn jetzt machen?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Was soll ich machen, Carla? Sag du es mir!«
»Keine Ahnung«, antwortete sie. »Deine Mutter ist für mich gestorben! Und wenn die etwas erfährt, bringt sie dich um. Diese Frau hasst dich, und es sind noch über zwei Jahre, bis du achtzehn bist.«
Es war eine blöde Situation. Carla musste mir schwören, niemandem, aber auch wirklich niemandem ein Sterbenswörtchen zu erzählen. Sie umarmte mich und drückte mich fest.
»Was auch immer ist, Christine, du kannst jederzeit zu uns kommen, klar?«
Ich nickte und verließ mit hängendem Kopf dieses schöne Zuhause. Carlas Zuhause. Ich radelte zurück und ahnte bereits, dass mein Besuch bei Carla nicht ohne Folgen bleiben würde. Und richtig! Jürgens Auto parkte bei uns, und ich wusste genau, was kommen würde.
Als ich die Tür aufschloss, stand meine Mutter wutentbrannt vor mir. »Wo warst du Arschloch?«, brüllte sie mich an. Ich war es gewohnt, so von ihr beschimpft zu werden.
»Bei Carla. Frühstücken.«
Ein wütender Schwall übelster Anfeindungen ergoss sich jetzt auf mein Haupt. Natürlich war das nicht nach ihrem Plan gewesen, dass ich böses Mädchen mir das Hausverbot bei Jürgen zunutze machte, um gemütlich mit meiner Freundin zu frühstücken.
Jürgen schaltete sich ein und teilte mit sonorer und beschwichtigender Stimme mit, dass das Hausverbot nun aufgehoben sei und ich in den »Schoß der Familie« zurückkehren dürfe.
Wir fuhren, wie üblich, mit Ulf und Martin zum Panzerübungsgelände, und ich fragte mich, wie lange ich diesen Wahnsinn noch würde ertragen müssen ...
Mein Leben verlief wie in Trance. Es war wie im Film Und täglich grüßt das Murmeltier. Jürgen schwankte zwischen Liebhaber, Verbündetem, Feind und Diktator hin und her, und ich fühlte mich mehr und mehr wie eine Hülle, die schutzlos durch das Leben wandert. Kurz vor Weihnachten nahm er Ulf und mich mit zu einem Motorradhändler. Jürgen kaufte zwei identische Mofas, zwei silberfarbene Puch Maxi N. Ulf bekam das Mofa zu Weihnachten geschenkt, und mit mir handelte Jürgen einen Deal aus: Würde ich die gesamten Weihnachtsferien in seiner Firma arbeiten, wäre das Mofa abbezahlt, und ich könnte es dann mein Eigen nennen. Natürlich willigte ich ein. Und natürlich verging kaum ein Tag in den Weihnachtsferien, an dem Jürgen mich nicht bedrängte oder gar in seiner Firma beschlief. Irgendwie erschien mir aber alles erträglicher, als zu Hause bei meiner Mutter zu sein. Also flüchtete ich mich in Jürgens Firma und nahm die Übergriffe in Kauf. Es schien der Preis zu sein, den ich für ein halbwegs erträgliches Leben zu bezahlen hatte. Ganz besonders pervers empfand ich es, wenn Jürgen sich die Hose wieder anzog, mich in sein Büro zitierte und ich dort einen gelben »Aushilfsschein« unterschreiben musste. Ich wusste, dass dieser Schein ein Beleg war, mit dem Jürgen beim Finanzamt Kosten für meine »Arbeitskraft« geltend machen konnte. Es war, als würde dieser Mann aus allem und jedem seinen Vorteil ziehen. Zurück blieben praktisch nur wir, die Verlierer.
Ostern hatte ich die Gelegenheit, zu einer Austauschfamilie nach England reisen zu dürfen. Ich hatte keine Ahnung, aus welchem Grund mir eine derartige Fahrt überhaupt gestattet wurde, aber wer hinterfragt schon in einer solchen Situation gewährte Privilegien? England war für mich, für meine Seele keineswegs eine Erholung. Alle aus meiner Gruppe schienen so unbeschwert zu sein, und ich fühlte mich bleiern und schwer. Meine Bulimie hatte meinen Körper vollständig erobert, und meine Gedankenwelt kreiste unentwegt um das Essen. Nachts schlich ich mich heimlich in die Küche meiner Gasteltern und stopfte unzählige Toasts mit Erdnussbutter in mich hinein. Nach drei Tagen und Nächten hatten meine Gasteltern die Nase voll und sperrten die Küchentür ab. In der Familie wurde ich nur the wastebox genannt, weil ich sämtliche Essensreste in mich hineinstopfte. Ich war ein Außenseiter und spürte dies.
Jeden Abend terrorisierte meine Mutter mich und die Gastfamilie zudem mit Anrufen. Meine Gastmutter verlor irgendwann angesichts der zunehmenden Auflagen, die meine Mutter telefonisch erteilte, die Nerven und legte den Hörer einfach auf. »She ʼs completely crazy!«, schrie sie und fragte mich dann: »What the hell is going on with your mother? I cannot stand that woman any more! She ʼs got a real problem!« Damit sagte meine Gastmutter nichts Neues. Mir war das alles nur schrecklich peinlich, und meine Bulimie wurde dadurch auch nicht besser.
Eines Abends waren wir mit unserer Jugendgruppe in einem Center namens Arndale-Youth-Club. Man hatte eine Party für uns arrangiert und eine Menge junger englischer Männer eingeladen. Einer davon beobachtete mich zunächst einige Zeit und kam dann auf mich zu. Er hatte sehr liebe Augen und fragte mich freundlich, ob ich mit ihm tanzen würde. Ein Blues wurde gespielt, und bis zum heutigen Tag erinnere ich mich gern an diesen Tanz. Eine Welle gleich einer Flut von Wärme und Geborgenheit überströmte mich, und ich versank in den Armen von Chris, der mir zärtlich über den Rücken streichelte. Wir tanzten und tanzten, und seine überaus zärtlichen Küsse ließen mich alles um mich herum vergessen. Es war eine wortlose Kommunikation, die aus Blicken, Händchenhalten, Kuscheln und Sichdrücken bestand. Als ich mich von Chris verabschieden musste, war mir schwer ums Herz. Er gab mir einen Zettel mit seiner Anschrift und hauchte mir einen letzten Kuss auf die Lippen. Viele, viele Jahre später freundete ich mich in Hannover mit dem englischen Au-pair-Mädchen einer Bekannten an. Ich erzählte ihr, dass ich als Jugendliche in England gewesen war, und schwärmte ihr von meiner damaligen Bekanntschaft vor. »Chris Wardle aus Liverpool«, seufzte ich hingebungsvoll und lachte sogleich.
»Chris Wardle?«, schrie sie völlig enthusiastisch auf, »Chris Wardle from Liverpool? Oh my God! He was a football player of the British Nationalteam!«
Der zärtliche junge Mann damals im Arndale-Center sollte das spätere Mitglied der englischen Fußballnationalmannschaft gewesen sein? Zehn Jahre nach dieser Begegnung amüsierte mich diese Vorstellung köstlich! Noch lieber jedoch hätte ich David Beckham geküsst...
Als ich aus England zurückkehrte, war ich schier aus allen Nähten geplatzt. Mein Gesicht war aufgedunsen und aufgeschwemmt, und ich fühlte mich wie ein Mastschwein. Meine Mutter begrüßte mich mit den Worten: »Boah, was bist du eine fette Sau geworden!« Als sie dann abends im Bad Schwangerschafts streifen an meiner Hüfte entdeckte, spottete sie voller Häme über mein Äußeres, und meine Verzweiflung wuchs.
Wenig später eröffnete in unserer Stadt das erste Fitness-Studio. Ich wollte auch stählerne Muskeln haben, und so meldete ich mich dort an. Ich trainierte in jeder freien Minute, kotzte noch mehr als zuvor und nahm innerhalb kürzester Zeit fast fünfzehn Kilogramm ab. Der Studiobesitzer fragte mich eines Tages, ob ich nicht stundenweise bei ihm arbeiten wolle, und ich nahm dankend an. Die Arbeit bei Jürgen versuchte ich, so gut ich konnte, auf ein Minimum zu reduzieren. Ihm schien das gleichgültig zu sein, denn mittlerweile war er so dreist geworden, dass er mich morgens vor der Schule zu Hause abfing, wenn meine Mutter vor mir das Haus verlassen hatte. Mit einem siegessicheren Grinsen stand er dann plötzlich bei uns im Hausflur und säuselte mir zu: »Ich weiß, dass du eine Freistunde hast und mit deinen Freundinnen verabredet bist. Wenn du sie nicht warten lassen willst, lass uns schnell ein bisschen bumsen, ja?«
Ob im Bett meiner Mutter oder auf dem Sofa im Wohnzimmer ... es war Jürgen egal. Und mir war ohnehin alles gleichgültig geworden. Diese »Angelegenheit« war eine notwendige Pflichtübung, und ich ertrug sie mit scheinbarer Fassung. Einen Zusammenhang mit meiner Bulimie konnte ich in diesem Alter ohnehin nicht erkennen. Ich empfand mich als unattraktiv, ungeliebt und war ergriffen von der Angst, verrückt zu werden.
Die Stunden im Fitnesscenter taten mir gut. Reinhold, der Studiobesitzer, hielt mir Vorträge über Ernährung und körperliche Fitness, und nur dort beim Training hatte ich das Gefühl, meinen Körper zu spüren. Ich spürte, wie die Kraft der Gewichte an meinen Muskeln zerrte, und konnte praktisch zusehen, wie sich mein Körper durch das regelmäßige Training vorteilhaft formte. Rückblickend betrachtet muss ich damals tatsächlich eine fantastische Figur gehabt haben. Regelmäßig trainierte ich fortan die Frauen und erklärte die einzelnen Geräte und die notwendigen Trainingsfrequenzen für die einzelnen Muskelpartien. Reinhold war zufrieden mit meiner Arbeit und bezahlte sehr gut. Das Fitnessstudio wurde zu einem Ort der Erholung für mich: Die hartgesottenen Männer dort mochten mich sehr und schätzten mich als eine, die fleißig trainierte und zuverlässig war. Stets wurde ich mit einem freudigen Lächeln begrüßt, es herrschte eine Atmosphäre wie in einem Trucker-Lokal. Sätze wie »Unsere Kleine ist Gold wert« und »Pack unser Mädchen nicht an« waren zu hören. Ich fühlte mich beschützt und geachtet. Ich galt als jemand, und dieser Ort voller Eisen und Schweiß war tabu für Jürgen und mein restliches Leben.
Es war kurz vor meinem siebzehnten Geburtstag, als ich urplötzlich bei einem Telefonat einen Bandscheibenvorfall erlitt. Ich musste niesen und konnte mich dann nicht mehr bewegen. Meine Mutter musste mich wohl oder übel zu einem Arzt fahren, der mich mit Spritzen und künstlich erzeugten Blutergüssen (Schröpfen) wieder auf die Beine stellte. Heute glaube ich, dass nicht das Training im Studio der Grund für diesen Bandscheibenvorfall war, sondern dass mir der Druck, der psychisch auf meinen Schultern lastete, förmlich die Beine wegriss. Hinzu kam erschwerend, dass mein Bett keinen Lattenrost hatte, sondern die Matratze lediglich durch ein bereits in der Mitte gebrochenes Holzbrett gehalten wurde. Trotzdem bin ich überzeugt, dass Rückenschmerzen eine psychosomatische Erscheinung sein können, denn bis zum heutigen Tag kündigen Rückenschmerzen bei mir eine Verschlechterung meiner psychischen Verfassung an. In derselben Zeit blieb meine Periode aus. Ich erzählte Jürgen davon, und Jürgen reagierte mit unglaublichen Worten darauf.
»Christine«, säuselte er, »meine allerliebste Christine! Nichts wäre schöner für mich, als ein Kind von dir zu bekommen. Glaub mir. Mein Gott, was wäre das schön, so ein Kindlein in den Armen zu halten. Schuld ist nur diese Gesellschaft. Diese Scheißgesellschaft toleriert eine Beziehung zwischen uns beiden nicht. Das ist alles so schrecklich. Wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich mich auf der Stelle zu dir bekennen, und es würde dir und dem Kind an nichts fehlen. Mach dir keine Sorgen, Christine. Wir stehen das zusammen durch. Ich kenne da eine Adresse in Holland, und dann regeln wir das. Ich bin immer bei dir.« Jürgen nahm mich in den Arm, und ich betete inständig, dass dieser Kelch bitte an mir vorüberziehen würde.
Zwei Tage später bekam ich heftige Bauchschmerzen, und meine Blutungen setzten ein. Ich war erleichtert, aber auch völlig geschafft von der Anspannung der letzten Tage. Jürgen schien ebenfalls ein Stein vom Herzen gefallen zu sein, und er kommentierte dies mit den Worten: »Dann müssen wir aber in Zukunft doch besser aufpassen, nicht wahr? Ich muss dann leider eher rausziehen!«
Meine Stimmungslage wurde in den Monaten des Jahres 1982 immer düsterer. Heulkrämpfe ergriffen mich plötzlich, und mein Schlaf wurde durch wiederkehrende und grauenvolle Träume gestört. Mir war, als käme ich in keiner Lebenslage mehr zur Ruhe, und ich geriet zusehends in Panik. Ein Tiger in einem Käfig, der irgendwann realisiert, dass die Käfigstangen unüberwindbar sind, muss ähnlich fühlen ... Am zweiundzwanzigsten Januar 1982 habe ich einen dieser Träume in mein Tagebuch geschrieben:
Mama hat fürchterlich mit einem Messer auf mich eingestochen und mir die Hände zerschnitten. Dann hat sie mich blutüberströmt liegen gelassen und hämisch gegrinst. Jürgen war zuerst erschrocken, regte sich dann aber schnell wieder ab und war ziemlich gleichgültig. Ich wollte, dass sie jemand dafür bestraft, aber in dem Moment, wo ich als Beweis meine Wunden zeigen wollte, waren sie fast alle weg, bis auf ein paar harmlose und geringfügige Narben.
Das Gefühl, als Hülle durch das Leben zu laufen, wurde immer schlimmer. Es war, als könnte ich nichts mehr richtig fühlen, nichts mehr richtig empfinden. Wenn meine Freundinnen lachten, dann lachte ich mit, aber es kam in meinem Inneren nicht mehr an. Ich zählte die Tage bis zu meiner Volljährigkeit und kotzte mir immer wieder die Seele aus dem Leib. Mein Tagebuch ist voll von seitenlangen Abhandlungen, die die Frage behandeln, ob ich wirklich ein schlechter Mensch war und warum mich meine Mutter derartig hasste.
Am Nachmittag des neunzehnten Februars 1983 ergab sich wieder ein Streit, der mir buchstäblich jeden Halt unter den Füßen entzog. Ich hatte insgeheim beschlossen, nach meinem Abitur nach Australien auszuwandern, da die Eltern meiner Freundin Dana nach Sydney ausgewandert waren. An diesem Tag fragte mich meine Mutter schon zum wiederholten Male, was ich denn nun beruflich vorhätte und ob ich mir denn endlich mal Gedanken über meine Zukunft gemacht hätte.
War es Provokation, Resignation oder Ehrlichkeit, die mich die Wahrheit erzählen ließen? Freimütig teilte ich Jürgen und meiner Mutter mit, dass ich mit Dana nach dem Abi nach Australien zu ihren Eltern fliegen würde, und ich hatte den Satz noch nicht ganz zu Ende gesprochen, als der Sturm der verbalen Beschimpfungen über mich hereinbrach. Meine Mutter erlitt einen bühnenreifen Tobsuchtsanfall und schrie mich an, ich sei eine Zumutung für sie und meine bloße Existenz würde sie krank machen. Jürgen trug seinen Sermon bei und betonte, wie wichtig es sei, dass man nach der Schule unverzüglich ins Berufsleben einzutreten hätte und dass das, was ich hier vortragen würde, völlig aus dem Rahmen fallen würde. Im Übrigen sei Australien ein beschissenes Land, ich hätte ja gar keine Ahnung und ich wäre tatsächlich auf dem besten Wege, völlig zu entgleisen. Am Abend erklärte mir meine Mutter dann, dass sie meinen Vater anrufen würde, damit er sich meiner annehmen solle. »Dann kann er sich mit dir rumschlagen. Besorg dir schon mal einen guten Chirurgen!« Lachend verließ sie mit diesen Worten mein Zimmer.
Ich habe in dieser Zeit rein gar nichts mehr verstanden. Ich nahm keine Drogen, wies durchschnittlich gute Leistungen in der Schule auf, arbeitete im Fitnesscenter und in Jürgens Firma, erledigte den kompletten Haushalt und verbrachte meine Zeit an den Wochenenden immer noch brav mit Ulf und Martin auf dem Panzerübungsgelände. Ich war siebzehn Jahre alt und hatte noch exakt acht Monate bis zu meiner Volljährigkeit und noch genau ein Jahr bis zu meinem Abitur. Das Gefühl, diese Monate nicht mehr ertragen zu können und am Ende meiner Kräfte zu sein, siegte letztlich.
Am zwanzigsten Februar 1983 brannten die Sicherungen durch. Als meine Mutter die Wohnung abends verlassen hatte, kramte ich sämtliche Medikamente zusammen, zerstampfte die Tabletten und kippte diesen widerlich bitteren Brei mit einer Flasche Gin herunter.
Ich wollte nicht mehr, und ich konnte nicht mehr. Mir war alles gleichgültig geworden.
Drei oder vier Stunden später kehrte meine Mutter zurück zur Wohnung. Sie hatte irgendetwas vergessen. Als sie feststellte, dass die Tür zu meinem Zimmer von innen verschlossen war, holte sie sich den Nachbarn zur Hilfe, der die Tür beherzt eintrat. Polizei und Rettungskräfte trafen ein, und man verfrachtete mich ins nächstgelegene Krankenhaus. Es war genau dasselbe Krankenhaus, das schon in meinen Kindheitsjahren meine Verletzungen behandelt hatte, und heute glaube ich, dass der behandelnde Arzt meine Akte sehr genau studiert hatte. Nachdem mir der Magen ausgepumpt worden war, verlegte man mich auf die Intensivstation. Das Erste, was ich nach meinem Aufwachen mitbekam, war die Frau neben mir hinter einem Vorhang, die sich ständig irgendwelche Kanülen aus der Vene zog. Es war das Letzte, was sie tat, denn in der gleichen Nacht starb sie.
Am Morgen dann wachte ich erneut auf und sah meine Mutter und Jürgen neben mir am Bett sitzen. Meine Mutter heulte, und Jürgen sah aus, als wäre er um zwanzig Jahre gealtert. Als der Arzt kam, wechselten die Mienen der beiden. Meine Mutter setzte ihr versteinertes Gesicht auf, und Jürgen mutierte wieder zum honorigen Geschäftsmann. Der Arzt war höchstens Anfang bis Mitte dreißig und setzte sich zu mir auf die Bettkante.
»Na mein Mädchen? Wie geht es dir denn jetzt?«, fragte er.
»Gut«, antwortete ich und empfand diesen Arzt als unglaublich vertrauenerweckend. Gern hätte ich diesem Arzt mein Herz ausgeschüttet. Die Blicke von Jürgen und meiner Mutter verhießen nichts Gutes. Mir war, als hätte man mir den Mund ad hoc zugeklebt. Es war egal, was dieser nette Arzt fragte, ich antwortete nicht. Tränen stiegen in mir hoch, und meine Blicke flehten ihn an, dieses Gespräch bitte nicht im Beisein meiner Mutter und Jürgens zu führen. Vielleicht war der Arzt noch unerfahren. Ganz sicher jedoch wusste er, dass irgendetwas in dieser »Familie« nicht stimmte.
Meiner Mutter wurden seine Fragen plötzlich zu bunt. Energisch erhob sie sich und baute sich vor dem jungen Arzt auf: »Jetzt passen Sie mal gut auf, Herr Doktor«, begann sie, »der beste Therapeut für meine Tochter bin ich. Haben Sie das verstanden? So, und jetzt möchte ich meine Tochter mit nach Hause nehmen. Los, steh auf und komm«, herrschte sie mich an.
Jeglicher Protest des Arztes war zwecklos. Die Schwester musste den Tropf abnehmen, meine Mutter warf schmissig ihre Unterschrift unter die Entlassungspapiere, und der Arzt drückte mir einen kleinen Augenblick zu lange meine Hand zum Abschied. »Du kannst jederzeit zu mir kommen«, flüsterte er leise.
Wütend zog mich meine Mutter am Arm mit sich.
Bis zum Ende des Flures schaute ich zu dem Arzt zurück. Wie gern hätte ich mit ihm gesprochen. Wie gern.
Nach meinem Selbstmordversuch hatte sich praktisch nichts verändert. Niemand fragte nach den Gründen, und lediglich meine Freundinnen bemühten sich redlich, meine Verzweiflung nachzuempfinden. Selbst wenn sie das Gefühl hatten, mir nicht helfen zu können, so waren doch zumindest die Gespräche mit ihnen Balsam für meine Seele.
Jürgen schien sich seit diesem Vorfall von mir abgewendet zu haben. Zwar war ich ständig auf der Lauer und erwartete förmlich seine Übergriffe, aber offensichtlich distanzierte er sich von mir. Zugleich sparte er nicht mit Kritik und ließ keine Gelegenheit aus, mir ständig und überall und ungefragt seine Meinung kundzutun. In seinen Augen war ich genauso ein verdorbenes Flittchen wie in den Augen meiner Mutter. Seine Taktik war für mich durchschaubar. Die Menschen, mit denen ich zusammenlebte, waren meine Gegner, und die letzten Monate vor meinem achtzehnten Geburtstag glichen einem Überlebenskampf. Ich hatte nur eine Chance: mich zu entziehen, dem täglichen Psychoterror gegenüber abzustumpfen und mein Leben in Freiheit vorzubereiten.
Nach außen hin schien ich meine Aufgaben weiterhin wahrzunehmen. Ich erledigte den Haushalt, ertrug die Beschimpfungen meiner Mutter und sparte das Geld vom Fitnesscenter. In der Schule begann ich akribisch genau auszurechnen, mit wie vielen Fehlstunden ich dennoch zum Abitur zugelassen werden würde. Diese Fehlstunden verbrachte ich mit meinen Freundinnen im Eiscafé und begann das erste Mal in meinem Leben, Kontakte zu anderen Männern zu knüpfen. Nachts schlich ich mich über den Garten nach draußen und traf mich mit meinen Freundinnen auf Partys und in Diskotheken. Ich genoss das Gefühl der Freiheit und spürte, wie sich die Lust am Leben in mir breitmachte. Männer machten mir Komplimente, und Männer umwarben mich. Ich feierte bis in die Morgenstunden und kehrte rechtzeitig nach Hause zurück, um zu duschen und das Frühstück vorzubereiten.
Im Juni 1983 feierte Jürgen seinen fünfundvierzigsten Geburtstag. Er gab im Partykeller seines Hauses ein großes Fest, und meine Mutter hielt eine (in meinen Ohren) ekelerregende Rede über ihren ach so noblen und charakterfesten Goldschatz Jürgen. Alle Gäste waren tief beeindruckt, und ich mimte die Kellnerin des Hauses. Die Gäste bestanden zu einem großen Teil aus betuchten Nachbarn aus der Wohngegend von Jürgens Haus. Ärzte, Unternehmer und Rechtsanwälte gaben sich die Türklinke in die Hand. Alles schien so perfekt zu sein. Im Laufe des Abends floss der Alkohol in Strömen, und Jürgen meinte unbedingt, ausgerechnet mit mir ein flottes Tänzchen aufs Parkett legen zu müssen. Der Mann widerte mich an, und da ich ihn seit Wochen nicht mehr hatte anfassen müssen, ergriff mich dieser Widerwille gegen ihn mit aller Macht. Plötzlich schaltete jemand das Licht an, und die Musik erstarb.
Meine Mutter stand mit wutverzerrtem Gesicht vor uns beiden, riss uns auseinander und keifte los: »Na, ihr zwei Turteltäubchen? Gehtʼs euch gut, jaaa?« Sie war völlig außer Kontrolle, und ich bekam wirklich Angst vor ihr. Ihr Blick war wirr und ihre Körperhaltung völlig angespannt. Es schien, als habe sich ein wichtiger Schalter in ihrem Kopf umgelegt.
Die Gäste starrten uns drei entsetzt an. Niemand sagte ein Wort. Noch bevor Jürgen sein säuselndes »Aber Gundis!« loswerden konnte, packte meine Mutter meinen Arm und schleuderte mich quer durch den Partykeller. Sie würde mich totschlagen vor versammelter Mannschaft, das war mir klar. »Geh doch zu deinem Jürgen«, tobte sie weiter. »Geh doch hin zu ihm, und vögel ihn. Na komm schon. Stell dich nicht so an!«
Wieder packte sie meinen Arm und zerrte mich zu Jürgen, der wie versteinert auf der Tanzfläche stand. Sie schubste mich gegen Jürgen und presste mein Becken an Jürgens Becken. »So sieht das schon richtig gut aus!«, schrie sie wie von Sinnen. »Los, los, los! Bumsen sollt ihr! Das könnt ihr doch sonst auch so gut!«
Jürgen erwachte aus seiner starren Haltung, packte meine Mutter an beiden Armen und zerrte sie ins Badezimmer. Ein heftiger Kampf entbrannte. Mit aller Kraft drückte Jürgen meine Mutter unter die Dusche und begann, die hysterisch schreiende Frau mit eiskaltem Wasser abzuduschen.
Ich konnte nicht mehr. Ich war völlig am Ende meiner Kräfte, und mir wurde übel. Ich flüchtete nach oben ins Wohnzimmer und versuchte verzweifelt, einen klaren Gedanken zu fassen. Wo sollte ich hin? Wo konnte ich hin? Das war alles so schrecklich peinlich. Die Gäste verließen, einer nach dem anderen, die Party. Jeder einzelne von ihnen sah mich von der Garderobe aus im Wohnzimmer sitzen. Nicht ein einziger dieser honorigen Gäste kam zu mir. Nicht ein einziger tröstete mich. ICH war schuldig. ICH war die Hure. ICH war der Grund für dieses Desaster.
Irgendwann bin ich eingeschlafen. Ich weiß beim besten Willen nicht mehr, wie dieser Abend endete. Ich hörte meine Mutter irgendwann nicht mehr, und ich sah Jürgen nicht mehr.
Meine Erinnerung beginnt beim nächsten Morgen, als meine Mutter versuchte, Jürgen zu erklären, dass offenbar die Mischung aus Kopfschmerztabletten und Alkohol zu diesem Ausraster geführt hätte. Zwischen den beiden herrschte eine Eiskelleratmosphäre. Mein Entschluss, diesen wahnsinnigen Haushalt mit dem Tag meiner Volljährigkeit zu verlassen, war unumstößlich geworden. Ich würde alles besser ertragen, als eine Sekunde länger wie nötig in diesem Irrenhaus zu verbleiben. Ich spürte, dass nichts, aber auch wirklich gar nichts in dieser weiten Welt schlimmer sein konnte als das, was ich bislang erlebt hatte.
Kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag spannte mich meine Mutter immer öfter in zusätzliche »Aufgaben« ein. So beizte sie auf einmal Möbel ab, und ich musste schmirgeln und schleifen, ob ich wollte oder nicht. Dann flieste sie das Bad komplett neu, und die Nacht auf meinen achtzehnten Geburtstag verbrachte ich im Badezimmer, da mir meine Mutter aufgetragen hatte, die neuen Kacheln von den Resten der Fugenmasse zu befreien. Punkt Mitternacht ließ ich alles fallen und liegen, ging in mein Zimmer und holte die Flasche Asti spumante hervor und ein Päckchen Zigaretten, die ich versteckt hatte. Ich setzte mich in mein Zimmer, zündete eine Kerze an und schüttete den süßen süffigen Sekt in mich hinein. Ich rauchte genüsslich ein paar Zigaretten und freute mich diebisch. Ja sicher. Meine Mutter würde toben am nächsten Tag. Meine Arbeit war nicht beendet, und natürlich würde das Konsequenzen haben. Konsequenzen, die mir zum ersten Mal in meinem Leben herzlich egal sein konnten. Ich saß auf meinem Bett und dachte über die letzten Jahre nach.
Ich verstand diese Menschen nicht. Ich verstand meine Mutter nicht, und ich verstand Jürgen nicht. Alle Bemühungen, es diesen beiden Menschen irgendwie recht zu machen, schienen völlig umsonst gewesen zu sein. Bei meinen Freundinnen zu Hause war alles anders als bei uns. Anka nörgelte ständig über ihre konservative Mutter, Gitta zoffte sich unentwegt mit ihrem despotischen Vater, und Dana hatte mehr mit ihrer ersten festen Beziehung zu tun, weil ihre Eltern seit einigen Wochen in Australien lebten. Danas Eltern vermisste ich sehr. Besonders ihre Mutter. Ich empfand sie als eine warmherzige Frau, die viel lachte und sehr agil war. Bei allen Freundinnen war ich gern zu Hause. Ich habe nicht ein einziges Mal das Gefühl vermittelt bekommen, unerwünscht zu sein. Ganz im Gegenteil. Meine Freundinnen hatten es schon seit Jahren aufgegeben, mich zu Hause zu besuchen. Sie hatten zu oft miterleben müssen, dass sich meine Mutter einen Dreck darum scherte, ob ich Besuch hatte oder nicht.
Dana sagte mir einmal: »Wie soll ich mich bei euch zu Hause wohl fühlen, wenn ich noch nicht einmal ein Glas Apfelsaft trinken darf?«
Sie hatte Recht. Meine Mutter hatte mir tatsächlich irgendwann eine Standpauke gehalten, weil Dana und ich ein Glas Apfelsaft getrunken hatten. Wir hätten gefälligst Wasser zu trinken, war ihr Tenor, sie wäre schließlich nicht der Getränkemarkt für meine Freundinnen.
Ich konnte noch gar nicht glauben, dass mit dem morgigen Tag dieses Leben beendet sein und Christine Al-Farziz ein Leben in Freiheit beginnen würde. Schon seit Wochen bereitete eine Armada von fleißigen Helfern meinen Umzug vor. Ich hatte ein Zimmer zur Untermiete angemietet, und Carla und ich hatten in einer Blitzaktion das Zimmer frisch gestrichen und den Boden geschrubbt. Dana und Anka hatten bei einem Bekannten einen Lieferwagen organisiert, und glücklicherweise hatte meine Mutter am morgigen Nachmittag eine Schulkonferenz. Jürgen musste zu einem Geschäftstermin nach Remscheid, und um sechzehn Uhr sollte die Aktion starten.
Am nächsten Morgen verlief alles nach Plan. Meine Mutter schrie mich erwartungsgemäß an, weil ich im Bad nicht fertig geworden war, und beendete ihr Szenario mit den Worten: »Und wenn ich nach der Konferenz wieder nach Hause komme, dann will ich das hier alles tipptopp sehen, verstanden?«
Ich nickte devot und räumte den Frühstückstisch ab. Jürgen war schon heute morgen ins Büro gefahren und würde nicht zum Frühstück erscheinen. Als meine Mutter die Wohnung verließ, blieb sie kurz mit der Türklinke in der Hand stehen, schaute mich an und sagte: »Ach so, du bist ja heute volljährig geworden! Hahaha! VERWACHSEN eher! Hahaha! Na ja dann, herzlichen Glückwunsch. Zeit zum Feiern hast du jedenfalls heute nicht! Hahaha!«
Als sie draußen war, atmete ich tief auf. Ich hoffte, dass ich diese Frau nicht mehr sehen würde, und gleichzeitig krampfte sich innerlich alles in mir zusammen. Eigentlich wollte ich sie lieb haben und sie so erleben, wie andere Menschen sie erlebten. Im Bekanntenkreis gab sie sich jung, frisch, dynamisch und äußerst humorvoll, und ihre witzigen Sprüche schienen bei den Leuten gut anzukommen. Mit ihrer sportlichen Kurzhaarfrisur und der schlanken Figur hätte sie keine Probleme gehabt, jederzeit einen anderen Mann kennen zu lernen. Sobald sie mit mir allein war, mutierte sie zu einer vollkommen anderen Person. Aus ihrer schlagfertigen Rhetorik wurden messerscharfe Worte, die verletzender als ein Samurai-Schwert waren. Ihr strahlender Blick verschwand hinter eiskalten Augen, und ihre Dynamik und ihr Esprit verwandelten sich in boshafte Tyrannei. Ich vermisste meine Mama, und ein dicker Kloß machte sich in meinem Hals breit. Und trotzdem: Ich wollte und ich musste sofort weg von diesen Menschen!
Punkt sechzehn Uhr standen die Mädels vor der Tür. Innerhalb einer Stunde waren Bücher, Stereoanlage, Kleidungsstücke, Yuccas und Hundekörbchen im Lieferwagen verstaut. In meinem neuen Zimmer waren andere Freundinnen damit beschäftigt, eine große Tischlerplatte aufzubauen, die als Schreibtisch, Fernsehtisch, Esstisch und Ablage zugleich dienen sollte. Das einzige Möbelstück, das wir mitnahmen, war mein Kleiderschrank, der völlig auseinanderfiel. Vom Bett nahm ich lediglich die Matratze und mein Bettzeug mit. Als wir fertig waren, glich das Zimmer einem Schlachtfeld. Alles, was ich nicht mehr haben wollte, hatten wir auf den Boden geworfen. Ein Schreibtisch, ein Bettgestell und eine Kommode waren die Überbleibsel meines vergangenen Lebens. Die Möbel waren der reinste Schrott. Kein Wunder, denn Geld durfte ich in all den Jahren nicht kosten. Wut stieg in mir hoch. Unbändige Wut. Ich schaute auf das durchgebrochene Brett, das als Lattenrost gedient hatte. »Wartet. Ich brauche nicht lange!«, rief ich den anderen zu. Ich rannte in den Keller und holte eine alte Axt. Mit der Axt in der Hand stand ich wie hypnotisiert vor diesem vergammelten Bettgestell. Plötzlich schoss mir das Blut in die Adern, und eine ungeheure Kraft machte sich in meinem Körper breit. Es war die Kraft, mit der man Bäume ausreißt, die Kraft eines unbändigen Lebenswillens und die Kraft, jedem Sturm zu trotzen. Meine Arme hoben sich, und ich schmetterte die Axt auf den Bettkasten und freute mich wie ein kleines Kind, als das Holz krachend splitterte und die Holzfetzen mir um die Ohren flogen. »Nichts! Nichts bleibt mehr übrig!«, schrie ich euphorisch und hämmerte wie verrückt auf dem Mobiliar herum. Binnen fünf Minuten war nur noch ein einziger Müllhaufen übrig geblieben. Tiefe Kerben in den Wänden und auf dem Teppichboden zeugten von fehlgeschlagenen Axthieben. Es war ein gespenstisches Bild. Ich war schweißgebadet und überglücklich. Die Euphorie hatte mich gepackt, und ich fühlte mich wie aufgeputscht.
Ich stellte die Axt neben den großen Trümmerhaufen und schloss die Tür. Als ich gerade die Haustür absperren wollte, musste ich doch noch einmal den Weg beschreiten und ging erneut durch den Flur und öffnete mein Zimmer. Es war wirklich ein schockierender Anblick. Ich nickte zufrieden. »Genau richtig«, sagte ich grinsend zu Anka und Dana, die vor Schadenfreude schier platzten.
»Was wird deine Mutter sagen, wenn sie nach Hause kommt?«, fragte Anka.
»Nichts mehr. Endlich einmal habe ich diese Frau sprachlos gemacht. Und sie wird mir nie wieder irgendetwas sagen«, antwortete ich. Ich verließ die Wohnung, verschloss die Haustür und warf den Schlüssel in den Briefkasten.
Ich wollte leben!