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»Wieso darf ich eigentlich nie zu irgendwelchen Konzerten?«, fragte Teddy.

Wir saßen alle um den Tisch versammelt, Mia, Kat, Denny, Teddy und ich. Ich konnte echt nichts dafür. Denny kochte nun mal tausendmal besser als meine Mutter.

»Was meinst du, kleiner Mann?«, erkundigte sich Denny und schaufelte eine Ladung Kartoffelbrei auf Teddys Teller, gleich neben den gegrillten Lachs und den Spinat, den Teddy – ohne Erfolg – versucht hatte, zu verweigern.

»Ich hab mir die alten Fotoalben angesehen. Mia durfte ständig auf Konzerte mit. Schon als sie noch ein Baby war. Und ich war noch auf keinem einzigen. Dabei bin ich fast acht.«

»Du bist erst vor fünf Monaten sieben geworden«, lachte Kat ihn aus.

»Trotzdem. Mia durfte auf Konzerte, da konnte sie noch nicht mal laufen. Das ist nicht fair!«

»Und wer hat behauptet, dass das Leben fair ist?«, fragte Kat mit hochgezogenen Augenbrauen. »Bestimmt nicht ich. Ich bin überzeugt, dass die Schule des Lebens einen abhärtet.«

Teddy wandte sich einem einfacheren Opfer zu. »Dad?«

»Mia durfte mit auf die Konzerte, weil ich da aufgetreten bin, Teddy. Wir waren als Familie zusammen da.«

»Außerdem gehst du ja doch auf Konzerte«, meinte Mia. »Du kommst doch ab und an zu meinen Proben.«

Teddy sah ebenso angewidert drein wie in dem Moment, in dem Denny ihm den Spinat serviert hatte. »Das zählt nicht. Ich will zu lauten Konzerten gehen und die Schalldämpfer tragen.« Mit den Schalldämpfern meinte er ein Paar riesige Kopfhörer, die Mia früher als Kind immer getragen hat, wenn Denny sie mit zu den Gigs seiner Band nahm. Er hatte in einer Punkband gespielt, einer sehr lauten Punkband, um genau zu sein.

»Die Schalldämpfer sind längst im Ruhestand, tut mir leid«, meinte Denny. Mias Dad hatte die Band vor langer Zeit verlassen. Inzwischen war er Lehrer an einer Mittelschule, der gern Retroanzüge trug und Pfeife rauchte.

»Du könntest zu einer von meinen Shows kommen«, schlug ich vor und spießte ein Stück Lachs mit der Gabel auf.

Alle am Tisch hörten auf zu essen und sahen mich an, wobei die erwachsenen Mitglieder der Familie Hall mir alle ganz unterschiedlich missbilligende Blicke zuwarfen. Denny schaute nur müde auf das Hornissennest, in das ich soeben gestochen hatte. Kat wirkte genervt angesichts der Tatsache, dass man ihre elterliche Autorität untergrub. Und Mia – die, aus welchem Grund auch immer, diese gewaltige Mauer zwischen ihrer Familie und meiner Band errichtet hatte –, durchbohrte mich mit ihrem Blick. Nur Teddy, der inzwischen auf seinem Stuhl kniete und wild klatschte, war noch auf meiner Seite.

»Teddy darf nicht so lange aufbleiben«, sagte Kat.

»Aber ihr habt Mia doch auch so lange aufbleiben lassen, als sie noch klein war«, protestierte Teddy.

»Wir können nicht so lange aufbleiben«, erwiderte Denny erschöpft.

»Außerdem finde ich nicht, dass es angebracht ist«, schnaubte Mia wütend.

Sofort spürte ich das vertraute Gefühl der Wut im Bauch. Denn das war eine Sache, die ich nie verstanden hatte. Auf der einen Seite stellte die Musik etwas dar, das Mia und mich verband, und dass ich eher der rockige Typ war, musste doch etwas damit zu tun haben, dass sie auf mich stand. Wir beide wussten, dass das, was wir im Haus ihrer Eltern gefunden hatten – immerhin hingen wir die ganze Zeit hier ab –, es für uns zu einem himmlischen Flecken Erde machte. Doch sie hatte ihrer Familie verboten, zu meinen Shows zu kommen. In dem ganzen Jahr, in dem wir nun ein Paar waren, waren sie nicht ein einziges Mal aufgetaucht. Obwohl Denny und Kat Andeutungen gemacht hatten, dass sie gern mal kommen würden, fand Mia immer wieder Entschuldigungen und Begründungen dafür, dass dieses oder jenes Konzert nicht zum richtigen Zeitpunkt stattfand.

»Angebracht? Sagtest du gerade, es sei nicht ›angebracht‹, dass Teddy auf eines meiner Konzerte geht?«, hakte ich nach, bemüht, meine Stimme ruhig klingen zu lassen.

»Ja, das habe ich gesagt.« Sie hätte nicht angriffslustiger oder schnippischer klingen können.

Kat und Denny warfen sich gegenseitig Blicke zu. Ganz gleich, wie genervt sie gerade noch gewesen waren, jetzt hatten sie jedenfalls nur noch Mitleid mit mir. Sie konnten genau nachvollziehen, wie Mias ablehnende Haltung sich anfühlen musste.

»Okay, erstens bist du erst sechzehn. Du bist keine ältliche Bibliothekarin. Deshalb dürftest du ein Wort wie ›angebracht‹ überhaupt nicht benutzen. Und zweitens, warum zum Teufel sollte es denn nicht angebracht sein?«

»In Ordnung, Teddy«, sagte Kat und schnappte sich Teddys Teller mit dem Abendessen. »Du darfst im Wohnzimmer vor dem Fernseher weiteressen.«

»Auf keinen Fall! Ich will mir das hier ansehen!«

»Wie wär’s mit Sponge Bob?«, schlug Denny vor und zerrte ihn am Ellbogen.

»Ach, übrigens«, sagte ich, an Denny und Kat gewandt. »Die Show, an die ich eigentlich dachte, ist dieses große Festival am Strand nächsten Monat. Das findet tagsüber statt, und zwar am Wochenende, und noch dazu draußen. Es wäre also keineswegs zu laut. Deshalb dachte ich, dass es gerade richtig wäre für Teddy. Eigentlich genau das Richtige für euch alle.«

Kats Züge wurden weicher. Sie nickte. »Das klingt wirklich gut.« Dann hob sie ihre Hände in Richtung Mia, so als wolle sie damit sagen: Aber du hast ja offensichtlich Wichtigeres vor.

Die drei schlurften raus aus der Küche. Mia war tief in ihrem Stuhl zusammengesunken und wirkte schuldbewusst, aber irgendwie auch so, als würde sie um nichts in der Welt auch nur einen einzigen Zentimeter nachgeben.

»Was ist dein Problem?«, verlangte ich von ihr zu wissen. »Was hast du für ein Problem mit deiner Familie und der Band? Findest du uns denn echt so scheiße?«

»Nein, natürlich nicht!«

»Ärgert es dich, dass dein Dad und ich uns dauernd über Musik unterhalten?«

»Nein, dieses Rockmusik-Gelabere ist mir egal.«

»Was ist es dann, Mia?«

In ihren Augenwinkeln sammelten sich winzige rebellische Tränen, die sie verärgert wegwischte.

»Was? Was ist los, verdammt?«, fragte ich ein wenig sanfter. Mia vergoss normalerweise keine Krokodilstränen, genau genommen weinte sie sonst gar nicht.

Sie schüttelte den Kopf. Ihre Lippen blieben versiegelt.

»Sag es mir doch einfach. Kann doch nicht viel schlimmer sein als das, was ich denke, nämlich dass du dich für Shooting Star schämst, weil wir so beschissen sind.«

Sie schüttelte erneut den Kopf. »Du weißt, dass das nicht stimmt. Es ist nur«, sie hielt inne, so als würde sie über eine wichtige Entscheidung nachdenken. Dann seufzte sie. »Die Band. Wenn du mit der Band zusammen bist, muss ich dich eh schon mit allen teilen. Und da will ich dann nicht auch noch meine Familie mit dabeihaben.« Dann brach sie zusammen und fing an zu heulen.

Mein Ärger war wie weggefegt. »Ach, du«, sagte ich zärtlich und küsste sie auf die Stirn. »Du musst mich doch mit niemandem teilen. Ich gehöre doch dir.«

Mia gab letzten Endes doch nach. Ihre ganze Familie kam mit auf das Festival. Das Wochenende war einfach fantastisch, zwanzig Bands aus dem Nordwesten traten auf, und es fiel kein Tropfen Regen. Das Ganze endete legendär und brachte letztendlich eine Live-CD hervor und eine Reihe von Festivals, die sich bis zum heutigen Tage gehalten haben.

Teddy bestand darauf, den Schalldämpfer zu tragen, weshalb Kat eine ganze Stunde grummelnd damit verbrachte, Kisten im Keller zu durchwühlen, bis sie ihn endlich gefunden hatte.

Mia hing normalerweise gern hinter der Bühne ab, doch als Shooting Star auftrat, stand sie direkt vor der Bühne, in sicherem Abstand zum Moshpit, und tanzte dort den ganzen Gig über mit Teddy.