32.

Heute ist mein Glückstag, ich habe nach langer Zeit mal wieder ein Apartment verkauft. Es hat mich einige Anstrengungen gekostet und viele Besichtigungen, aber letztendlich hat sich meine Arbeit doch ausgezahlt. Meinem Chef erzähle ich, dass ich für zwei Tage mit einem Kunden nach Paris fliege, weil er mir dort zwei Projekte zeigen möchte. Er ist sehr angetan von der Idee.

Anschließend fahre ich zu Mara. Wie immer gegen späterem Nachmittag, frühem Abend, öffnet sie mit einem Glas Wein in der Hand die Tür.

Ich habe mich entschieden, Mara ohne Auslassungen alles zu erzählen, von Anfang bis Ende. Mara ist ein spiritueller Mensch und hat vielleicht den einen oder anderen Tipp für mich.

Nach zwei Gläsern Wein für mich und zwei Flaschen für sie habe ich alles erzählt. Von meinem ersten Traum bis zu dem gestrigen Einbruch und dem Verschwinden des Bildes. Auch die Fotos vergesse ich nicht zu erwähnen, die urplötzlich von der Kamera verschwunden sind.

Lange sitzt sie da und sagt nichts. Dann steht sie auf und geht herum. »Wie war noch der Name dieser Familie?«

Ich denke angestrengt nach. Der Name liegt mir auf der Zunge, traut sich aber aus der kleinen Ecke meines miserablen Gedächtnisses nicht raus. Dafür fällt mir etwas anderes ein. Das Foto von Payton. Ich hole mein Handy heraus und rufe das Foto auf. Es ist glücklicherweise noch da. »Hier kannst du diesen eigentümlichen Schatten erkennen, von dem ich dir erzählt habe.«

Sie holt ihre Brille und sieht es sich an. »Ui, der sieht aber gut aus. Ist das Mo?«

»Nein, Payton, sein Bruder.«

»Er sieht nicht gerade freundlich in die Kamera.«

»Ich habe ihn heimlich fotografiert und er hat es gemerkt.«

»Ich weiß nicht, der Schatten, von dem du redest, ist hier nicht sehr deutlich zu sehen.«

»Aber er ist da. Nur leicht, aber er ist da. Die anderen Fotos habe ich mit meiner anderen Kamera gemacht, da sieht man ihn deutlicher. Hier … das ist nicht mal von mir …« Ich habe mich mit allen möglichen Beweisen ausgerüstet und hole das Foto von Mo, das ich aus Liliths Event-Album gerissen habe, aus meiner Tasche. »Man erkennt ihn nur schlecht, aber darauf kannst du ihn auch sehen.«

Mara sieht sich das Bild lange an. »Na ja, ich weiß nicht. Es sieht aus wie sein eigener Schatten im Hintergrund, der an die Wand geworfen wird.«

»Leider habe ich die meisten gelöscht, aber …«

»Aber?«

»Du hattest auch einen feinen dunklen Schatten um dich herum, als ich die leere Wand fotografiert habe. Erinnerst du dich?« Ich sehe Mara mit großen Augen an und meine Nackenhärchen stellen sich auf. Was hat das zu bedeuten?

Mara zuckt mit den Schultern. »Meinst du nicht, es liegt doch an der Kamera?« Sie sieht sich noch einmal das Foto von Mo an und ich sehe an ihrem Gesicht, dass sie von meiner Schattentheorie nicht so ganz überzeugt ist. »Eltringham!«, rufe ich aus.

»Was?«

»Die Familie heißt Eltringham.«

»Eltringham, Eltringham, Eltringham. Irgendwie sagt mir der Name etwas. Gibt´s ja auch nicht allzu häufig. Warte mal.« Sie nimmt ihr Telefon und zwinkert mir zu. Aus der Küche höre ich sie eine ganze Weile den üblichen Small Talk reden. Frauengeschnatter, wie Männer dazu sagen würden. Als sie zurückkommt, hat sie ein breites Grinsen im Gesicht. »Eine alte Freundin bei der Presse.«

Ungewollt fängt mein Herz an zu pochen. Ich habe ein ganz bestimmtes Gefühl, dass sie mir gleich etwas Wichtiges sagen wird.

»Die Eltringhams bestanden immer nur aus der Mutter und ihren drei Söhnen. Es gibt viele Gerüchte, woher die Familie ursprünglich stammt. Europa, Australien, Südafrika, keiner weiß etwas Genaues. Einen Mann scheint es mal vor über fünfundzwanzig Jahren gegeben zu haben. Der Vater von Yven Eltringham.«

Ich klebe an Maras Lippen und wünsche mir, sie würde schneller reden.

»Jetzt kommt ein interessanter Aspekt der Geschichte. Warte, ich hol noch eine neue Flasche.«

»Mara!«, schreie ich und renne hinter ihr her.

»Neugieriges kleines Ding. Okay, die beiden Jungs, Morris und Payton hatten vor vielen Jahren einen Unfall. Beide wurden für tot erklärt und wachten in der Leichenhalle wieder auf.« Mara sieht mich an und lacht. »Mach den Mund wieder zu, Leia.«

Ich habe die ganze Zeit unbewusst die Luft angehalten und atme jetzt tief ein und wieder aus. »Das ist doch nicht möglich?«

»Doch.«

»Das hört sich ja gruselig an.«

»Die Ärzte konnten es sich auch nicht erklären.«

»Was ist mit Yven, dem dritten Jungen?«

Mara schüttelt den Kopf. »Über ihn gibt es nichts zu berichten, außer dass er seit dem Tod der Mutter das Imperium leitet.«

»Allein?«

»Soweit man weiß, ja.«

Hatte Payton nicht Lilith erzählt er müsste geschäftlich nach Europa? »Was ist das für eine Firma?«

»Keine Ahnung. Aber sie haben die Finger überall drin. Medien, Immobilien, Pharmaindustrie, diverse Firmen wohl.«

»Und jetzt? Was heißt das?« Diese Anspannung hat mich müde gemacht und ich fühle ein Pochen an der Schläfe. Ein Anzeichen dafür, dass ich wieder Kopfschmerzen bekommen. Ich halte mir das kalte Glas gegen die Stirn und schließe für einen Moment die Augen.

»Da ist noch etwas, was ich dir erzählen möchte und was mir zu dem Ganzen einfällt.« Maras geheimnisvoller Ton lässt mich aufhorchen. »Als ich den Unfall hatte, von dem ich dir erzählt habe … ich weiß es klingt ein bisschen verrückt, aber … da hatte ich so eine Art Nahtoderfahrung. Zumindest nehme ich das an, nachdem was man so darüber hört und liest. Ich habe das Licht gesehen und Silhouetten von Menschen, die mir die Hände reichten, mir helfen wollten. Es war nichts Beängstigendes dabei, ganz im Gegenteil. Ich habe es seit damals Niemandem erzählt, weil die meisten mir nicht glaubten und meinten es wären die Stimmen der Ärzte gewesen und ich hätte das Licht der OP-Lampe gesehen. Aber ich weiß, was ich gesehen und gefühlt habe.«

 

Lockruf Der Nacht
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