3.

»Du hast ihn rausgeschmissen?« Lilith sieht mich fassungslos an. »Du bist nicht mehr die Jüngste, Leia. Es wird immer schwerer werden, den Deckel zu finden.«

Was redet sie da? Ich bin gerade mal achtundzwanzig und stehe in der Blüte meines Lebens. Und außerdem wollte sie mich doch nicht mit einem Alki verheiratet sehen. Oder vielleicht doch? »In deinem Alter würde ich mir eher mal Gedanken machen. In Asien würde dich altes Stück keiner mehr mit dem Arsch angucken.« Ich grinse frech und Lilith gibt ein verächtliches Schnauben von sich. Sie ist gerade mal drei Jahre älter als ich und sieht bombastisch gut aus. Trotzdem ist sie Single. Das wird wohl daran liegen, dass sie für die meisten Männer zu anstrengend ist. Zu hohe Ansprüche, plappert viel und lässt nichts anbrennen.

»Er hat mir zum dritten Mal im Suff in meinen Schrank gepinkelt. In meinen Schrank. Weißt du, was das bedeutet?« Ich bin aufgebracht. Sehr aufgebracht.

»Oh ja, das weiß ich. Nicht mal ich darf deinen Schrank betreten und er markiert da drin sein Territorium wie ein Hund.« Sie lacht. Etwas zu laut und übertrieben. Drei Tische in dem Restaurant drehen sich nach uns um. Ihr Sarkasmus ist gerade wirklich fehl am Platz, doch ich sage nichts, stochere weiter lustlos in meinem Salat herum. Einen Streit zwischen Freundinnen kann ich jetzt nicht auch noch gebrauchen.

Lilith legt ihre Hand auf meine. »Sorry, Schatz.«

Ich glaube sie missinterpretiert meine Gemütsstimmung. Ich bin nicht im geringsten traurig, dass Joe nicht mehr da ist. Es war eine rein sexuelle Beziehung und so etwas ist meist nur von kurzer Dauer. Sobald man genauer hinter die Fassade des anderen blickt, sich die Tore des Alltags und der Launen öffnen, wird es ungemütlich.

Ich kenne Lilith seit meiner Studienzeit, als ich auf der Suche nach einem Job war. Wie der Zufall es wollte, hatte der Fotograf der Galerie just an dem Tag seine Arbeit hingeschmissen, als ich bei Lilith reinschneite. Wir verstanden uns auf Anhieb und sie engagierte mich, um auf den Vernissagen die Gäste zu fotografieren.

»Morgen kommen gute Leute. Prominenz. Und vielleicht, wer weiß …« Sie sieht mich verschwörerisch an »… ist ja dieses Mal Mr. Right dabei.«

Ich nicke und gähne gleichzeitig. Das hoffe ich nämlich nun seit geschlagenen acht Jahren.

»Schlecht geschlafen?«

»Wenig geschlafen.«

Lilith grinst und deutet es vollkommen falsch. Ich lasse sie in dem Glauben, eine aufregende Nacht mit dem betrunkenen Joe gehabt zu haben.

 

Der Tag neigt sich Gott sei Dank dem Ende zu. Ich lasse meine Tasche und meinen Mantel direkt im Eingang auf den Boden fallen, ziehe meine Schuhe auf dem Weg in die Küche aus, lasse sie ebenfalls an Ort und Stelle liegen. Im Kühlschrank liegt noch ein halbaufgegessenes Sandwich von gestern. Ich beiße einmal ab und werfe es in den Müll. Es schmeckt irgendwie faulig.

Ich fühle mich wie gemartert. Im Badezimmer entledige ich mich dem Rest meiner Klamotten und dann ist Multitasking angesagt. Abschminken, Zähne putzen, auf die Toilette gehen, alles mache ich gleichzeitig. Zuletzt ziehe ich mir noch ein übergroßes T-Shirt an und gehe hoch ins Schlafzimmer. Bevor ich mich in die kalten Laken schmeiße, greife ich noch nach dem Schlüssel und einem Zettel, der auf meiner Kommode liegt.

Hm, wie charmant. Ich lese: Fuck yourself. Was bildet dieser kleine Wichser sich ein? Denkt er, er hat den einzigen Schwanz im ganzen Universum? Kurzerhand mache ich aus der pinkfarbenen Unverschämtheit Konfetti und lasse es auf den Boden rieseln.

Noch eine Weile denke ich an `Not happy´ von heute, meine Freundin Lilith und die Vernissage von morgen. Dabei schlafe ich ein.

 

Meine Mom steht im Garten und ist dabei, ein Loch in die Erde zu buddeln. Ihr langes, graues Haar ist an den Seiten geflochten und hinten zu einem Zopf gebunden. Sie trägt ihre weiße Lieblingsbluse und weite schwarze Cargohosen, völlig unpassend für die Gartenarbeit, denke ich, sage aber nichts. Sie liebt ihren Garten. Er ist voller bunter Blumen, Insekten und Schmetterlingen, die sich mit ihr unterhalten. In den Bäumen hängen zwischen großen, roten Früchten Puppenhäuser. Sie sind für die Vögel gedacht, die sie täglich besuchen. Es ist ein herrlicher Tag, die Sonne scheint und meine Mom ist gesund. Kein Krebs mehr.

Ich umarme sie fest und freue mich, dass sie da ist. Erst jetzt sehe ich, dass neben dem Loch ein toter schwarzer Vogel liegt. Er hat viel zu lange Flügel für den kleinen Körper. Ich habe oft kranke oder aus dem Nest gefallene Vögel mit nach Hause gebracht, die meine Mom gesund gepflegt hat. Sie hatte immer ein Händchen für Tiere, besonders für Vögel.

»Er hat nach dir gefragt und als du nicht gekommen bist, ist er gestorben.«

»Wer?«

»Der Vogel.«

»Aber ich hab ihn dir doch gar nicht gebracht, warum sollte er dann nach mir fragen?« Ich erkenne keine Logik darin.

Doch plötzlich hebt und senkt sich die kleine Brust des Vogels. »Er ist doch gar nicht tot, Mom.«

Sie nimmt ihn hoch und legt ihn mir in die Hand. Dabei sehe ich erst jetzt, dass der Vogel einen Menschenkörper hat.

Meine Mom ist keineswegs erstaunt darüber und zeigt zu den Puppenhäusern im Baum. »Du kannst ihn nicht behalten. Die anderen warten schon auf ihn. Lass ihn fliegen, Leia.«

Ich hebe ihn in die Luft und er schlägt mit den Flügeln, erhebt sich und fliegt davon. Und anstatt kleiner zu werden, wird er immer größer. Einmal dreht er sich noch zu mir um und sieht mich an. Seine Augen sind stechend blau und wunderschön.

 

Lockruf Der Nacht
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