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3. Kapitel

»Ich kann gar nicht glauben, dass du Mr March wieder getroffen hast. Und dann auch noch unter solch eigenartigen Umständen.« Emeline stellte die Kaffeetasse ab und betrachtete Lavinia über den Frühstückstisch hinweg. »Was für ein erstaunlicher Zufall.«

»Unsinn. Das ist es gar nicht, wenn ich der Geschichte glauben kann.« Lavinia klopfte mit dem Löffel gegen den Tellerrand. »Wenn ich ihm glauben kann, dann hat diese ganze Geschichte mit der Erpressung eine Verbindung zu der Sache in Rom.«

»Glaubt er denn, dass Holton Felix ein Mitglied dieser kriminellen Vereinigung war, diesem Blue Chamber?«

»Nein. Offensichtlich ist Felix mehr oder weniger durch Zufall an dieses Tagebuch gekommen.«

»Und jetzt hat jemand anderes dieses Tagebuch.« Emeline sah nachdenklich vor sich hin. »Wahrscheinlich derjenige, der Felix umgebracht hat. Und Mr March ist noch immer auf seiner Spur. Er ist wirklich recht hartnäckig, nicht wahr?«

»Pah. Er tut das doch nur für Geld. Solange jemand bereit ist, ihn für seine Nachforschungen zu bezahlen, ist es doch in seinem eigenen Interesse, hartnäckig zu sein.« Sie verzog das Gesicht. »Obwohl es mir unverständlich ist, warum sein Klient ihn noch immer für seine Dienste bezahlt, nach seiner erschreckenden Unfähigkeit, die er in Rom an den Tag gelegt hat.«

»Du weißt sehr gut, dass wir ihm dankbar sein müssen für die Art und Weise, wie er seine Nachforschungen in Italien angestellt hat. Jeder andere Mann in seiner Position hätte den Schluss gezogen, dass wir Mitglieder dieser Bande von Halsabschneidern waren, und hätte sich dementsprechend verhalten.«

»Jeder, der sich mit solchen Nachforschungen beschäftigt, wäre ein Dummkopf, wenn er glaubte, dass wir in kriminelle Aktivitäten verstrickt sind.«

»Ja, natürlich«, versuchte Emeline sie zu beruhigen. »Aber man kann sich doch vorstellen, dass ein anderer, weniger intelligenter Mann als Mr March den Schluss gezogen hätte, dass wir Mitglieder dieser Bande sind.«

»Du solltest Tobias March nicht so voreilig irgendwelche positiven Eigenschaften zuschreiben, Emeline. Ich traue ihm nicht.«

»Ja, das kann ich sehen. Warum denn nicht?«

Lavinia breitete beide Hände aus. »Um Himmels willen. Ich habe ihn in der letzten Nacht am Tatort eines Mordes vorgefunden.«

»Er hat dich am gleichen Ort gefunden«, rief ihr Emeline ins Gedächtnis.

»Ja, aber er war vor mir dort. Felix war schon tot, als ich dort ankam. Es könnte genauso gut sein, dass March derjenige war, der ihn umgebracht hat.«

»Oh, das bezweifle ich aber sehr.«

Lavinia starrte sie an. »Wie kannst du das sagen? March hat nicht mit der Information hinter dem Berg gehalten, dass Mr Carlisle die Begegnung in Rom nicht überlebt hat.«

»Du hast mir doch etwas von einem unglücklichen Unfall auf der Treppe erzählt.«

»Das war die Version von March über die Vorgänge damals. Es würde mich nicht im Geringsten überraschen, wenn ich herausfinden würde, dass Carlisles Tod gar kein Unfall war.«

»Nun, das können wir nicht wissen, nicht wahr? Das Wichtigste ist doch, dass der Bösewicht tot ist.«

Lavinia zögerte. »March möchte, dass ich ihm dabei helfe, das Tagebuch zu suchen. Er möchte, dass wir uns gemeinsam bemühen.«

»Das ergibt doch einen Sinn, nicht wahr? Ihr seid beide entschlossen, dieses Tagebuch zu finden, warum also sollt ihr dann keine Partner sein?«

»March hat einen Klienten, der ihn für seine Bemühungen bezahlt. Ich nicht.«

Emeline betrachtete sie über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg. »Vielleicht kannst du mit Mr March verhandeln, dass er dir einen Teil des Geldes abgibt, das sein Klient ihm zahlt. Du hast einen Instinkt dafür entwickelt, mit ihm zu handeln, als wir in Italien waren.«

»Ich habe über diese Sache nachgedacht«, gestand Lavinia zögernd. »Aber der Gedanke einer Partnerschaft mit March verunsichert mich sehr.«

»Wie mir scheint, hast du gar keine andere Wahl. Es wäre ein wenig unangenehm für uns, wenn irgendwelcher Klatsch über unsere Geschäfte in Rom hier in London die Runde machen würde.«

»Du hast eine Gabe, zu untertreiben, Emeline. Es wäre mehr als nur unangenehm. Es würde meine neue Karriere vollkommen zerstören, ganz zu schweigen von deinen Möglichkeiten, die Saison in diesem Jahr zu genießen.«

»Da wir gerade von deiner Karriere sprechen, hast du eigentlich gestern Abend Mr March gegenüber deinen neuen Beruf erwähnt?«

»Natürlich nicht. Warum sollte ich das wohl tun?«

»Ich habe mich nur gefragt, ob du in der intimen Umgebung, in der du dich mit Mr March befunden hast, vielleicht den Wunsch hattest, dich ihm anzuvertrauen.«

»Die Umgebung hatte absolut nichts Intimes. Um Himmels willen, Emeline, es lag ein Toter im gleichen Zimmer mit uns.«

»Ja, natürlich.«

»Unter solchen Umständen wird man nicht intim.«

»Ich verstehe.«

»Und überhaupt, das Letzte, was ich möchte, ist, auf irgendeine Art intim mit Mr March zu werden.«

»Du sprichst immer lauter, Tante Lavinia. Du weißt doch, was das zu bedeuten hat.«

Lavinia knallte mit aller Kraft die Tasse auf die Untertasse. »Es bedeutet, dass meine Nerven bis zum Äußersten angespannt sind.«

»In der Tat. Aber ich denke, dass du keine andere Wahl hast, als das zu tun, was Mr March vorgeschlagen hat, und dass du dich in der Suche nach dem Tagebuch mit ihm zusammentust.«

»Nichts kann mich davon überzeugen, dass es vernünftig wäre, eine Partnerschaft mit diesem Mann einzugehen.«

»Beruhige dich doch«, bat Emeline sanft. »Du lässt deine persönlichen Gefühle für Mr March dein gesundes Urteilsvermögen beeinflussen.«

»Denke an meine Worte, Tobias March spielt wieder einmal sein eigenes, hinterhältiges Spiel, genau wie beim letzten Mal, als wir das Pech hatten, ihm zu begegnen.«

»Und was für ein Spiel sollte das sein?«, fragte Emeline und zeigte die ersten Anzeichen einer Verärgerung.

Lavinia dachte einen Augenblick lang über diese Frage nach. »Es ist recht gut möglich, dass er aus den gleichen Gründen nach diesem Tagebuch sucht, aus dem Holton Felix es haben wollte. Zum Zwecke der Erpressung.«

Emelines Löffel fiel mit einem Klirren auf die Untertasse. »Du willst doch wohl nicht behaupten, dass Mr March vorhat, ein Erpresser zu werden. Ich weigere mich zu glauben, dass er mit einer Kreatur wie Holton Felix etwas Gemeinsames hat.«

»Wir wissen doch gar nichts über Tobias March.« Lavinia legte beide Hände auf den Tisch und stand auf. »Wer kann schon wissen, was er tun würde, wenn er dieses Tagebuch in seinem Besitz hat?«

Emeline sagte nichts.

Lavinia verschränkte die Hände hinter dem Rücken und begann, um den Tisch herum zu gehen.

Emeline seufzte. »Also gut, ich kann dir keinen Grund dafür nennen, warum du Mr March vertrauen solltest, außer der Tatsache, dass er sich darum gekümmert hat, dass wir nach der Katastrophe in Rom sicher nach England zurückgekommen sind. Das muss ihn damals ein kleines Vermögen gekostet haben.«

»Er wollte uns aus dem Weg haben. Auf alle Fälle bezweifle ich sehr, dass Mr March die Kosten für diese Reise bezahlt hat. Ich bin ganz sicher, er hat die Rechnung dafür an seinen Klienten geschickt.«

»Vielleicht, aber ich bin dennoch davon überzeugt, dass du in der ganzen Sache keine andere Wahl hast. Sicher ist es besser, mit ihm zusammenzuarbeiten, als ihn zu ignorieren. Immerhin erfährst du auf diese Weise, was er herausgefunden hat.«

»Und umgekehrt genauso.«

Emelines Gesicht spannte sich an. Eine für sie ganz uncharakteristische Angst flackerte in ihren Augen auf. »Hast du etwa einen noch schlaueren Plan?«

»Das weiß ich noch nicht.« Lavinia blieb stehen und griff in die Tasche ihres Kleides. Sie holte den Zettel daraus hervor, der aus dem Buch Erziehung einer Lady gefallen war. Sie betrachtete die Adresse, die auf dem Zettel stand. »Aber ich habe vor, es herauszufinden.«

»Was hast du denn da?«

»Einen kleinen Hinweis, der vielleicht ins Leere führt.« Sie steckte die Adresse zurück in ihre Tasche. »Doch wenn das der Fall ist, kann ich noch immer über die Vorzüge einer Partnerschaft mit Tobias March nachdenken.«

»Sie hat etwas Wichtiges in diesem Schlafzimmer gefunden.« Tobias stand von dem Stuhl auf und ging um den großen Schreibtisch herum. Er lehnte sich zurück und stützte sich auf beiden Seiten mit den Händen ab. »Ich weiß, dass es so ist. Ich habe es gleich gefühlt. Es lag so etwas in dem außerordentlich unschuldigen Blick ihrer Augen. Ein recht ungewöhnlicher Ausdruck für diese Frau.«

Sein Schwager, Anthony Sinclair, blickte von dem dicken Wälzer auf, der sich mit ägyptischen Antiquitäten befasste. Er räkelte sich lässig und entspannt in dem Stuhl, wie es nur ein gesunder junger Mann von einundzwanzig Jahren tun konnte.

Anthony war im letzten Jahr in seine eigene Wohnung gezogen. Eine Zeit lang hatte Tobias befürchtet, dass es in seinem Haus einsam werden würde. Immerhin lebte Anthony schon bei ihm, seit er ein Kind war, seit seine Schwester Anne Tobias geheiratet hatte. Nachdem Anne gestorben war, hatte Tobias sein Bestes getan, den Jungen großzuziehen. Er hatte sich daran gewöhnt, ihn immer um sich zu haben. Das Haus würde eigenartig leer sein ohne ihn.

Doch zwei Wochen nachdem er in seine eigene Wohnung gezogen war, die nur wenige Häuserblocks entfernt lag, war deutlich geworden, dass Anthony Tobias' Haus noch immer als eine Erweiterung seiner eigenen Wohnung ansah. Er tauchte sehr oft zu den Mahlzeiten in Tobias' Wohnung auf. »Ungewöhnlich?«, wiederholte Anthony jetzt.

»Lavinia Lake ist alles andere als unschuldig.«

»Nun, du hast doch gesagt, sie sei eine Witwe.«

»Ich wüsste gern mehr über das Schicksal ihres Mannes«, meinte Tobias. »Ich wäre nicht überrascht, wenn ich erfahren würde, dass er seine letzten Tage gefesselt an ein Bett in einer privaten Anstalt verbracht hat.«

»Du hast heute Morgen sicher schon hundert Mal erklärt, dass du misstrauisch bist, wenn es um Mrs. Lake geht«, meinte Anthony sanft. »Wenn du so sicher bist, dass sie gestern Abend einen Hinweis gefunden hat, warum hast du sie dann nicht darauf angesprochen?«

»Weil sie es natürlich verneint hätte. Die Lady hat nicht die Absicht, in dieser Angelegenheit mit mir zusammenzuarbeiten. Ich hätte sie höchstens auf den Kopf stellen und ein paar Mal schütteln können, anders hätte ich nicht beweisen können, dass sie einen Hinweis gefunden hat.«

Anthony sagte nichts mehr. Er saß einfach da und betrachtete Tobias mit einem nachdenklichen Ausdruck.

Tobias biss die Zähne zusammen. »Sag es nicht.«

»Ich fürchte, ich kann nicht anders. Warum hast du die Lady nicht auf den Kopf gestellt und geschüttelt, damit das herausfiel, was auch immer es war, was sie gefunden hat?«

»Verdammte Hölle, wenn du das sagst, dann klingt es so, als wäre es meine Gewohnheit, anständige Frauen auf den Kopf zu stellen.«

Anthony zog die Augenbrauen hoch. »Ich habe dir bei mehr als nur einer Gelegenheit gesagt, dass du ein wenig mehr Feingefühl brauchst, wenn es um Frauen geht. Aber trotzdem benimmst du dich einigermaßen wie ein Gentleman. Mit Ausnahme von Mrs. Lake. Wann immer ihr Name fällt, wirst du außergewöhnlich grob.«

»Mrs. Lake ist eine wirklich außergewöhnliche Frau«, erklärte Tobias. »Außergewöhnlich willensstark, außergewöhnlich störrisch und außergewöhnlich schwierig. Sie würde jeden gesunden Mann zur Verzweiflung treiben.«

Anthony nickte mit einem Anflug mitleidigen Verständnisses. »Es ist immer wieder so verdammt irritierend, wenn man seine eigenen herausragenden Charakterzüge so deutlich in einem anderen Menschen wiedererkennt, nicht wahr? Ganz besonders, wenn dieser Mensch der Angehörige des schwächeren Geschlechtes ist.«

»Ich warne dich, ich bin nicht in der Stimmung, dir heute Morgen als Quell der Erheiterung zu dienen, Anthony.«

Anthony schloss das Buch, in dem er gelesen hatte, mit einem leisen Laut. »Du bist besessen von dieser Lady, seit den Vorfällen in Rom vor drei Monaten.«

»Besessen ist sehr übertrieben, und das weißt du recht gut.«

»Das glaube ich nicht. Whitby hat mir genau beschrieben, wie du getobt und geschimpft hast, als er dich gesund gepflegt hat nach dem Fieber, das du von deiner Wunde bekommen hast. Er hat gesagt, du hättest während deines Fiebers einige längere, einseitige und höchst unverständliche Unterhaltungen mit Mrs. Lake geführt. Seit deiner Rückkehr hast du einen Grund gefunden, ihren Namen wenigstens einmal am Tag zu erwähnen. Ich würde sagen, das kann man schon besessen nennen.«

»Ich war gezwungen, beinahe einen ganzen Monat hinter dieser entsetzlichen Frau in Rom herzulaufen und jede ihrer Bewegungen zu beobachten.« Tobias umklammerte die geschnitzte Kante seines Schreibtisches. »Versuch du einmal, einer Frau über einen solch ausgedehnten Zeitraum zu folgen und dabei jeden Menschen zu registrieren, den sie auf der Straße begrüßt, jeden Einkaufsbummel zu verfolgen.

Und die ganze Zeit über fragst du dich, ob sie mit den Halsabschneidern unter einer Decke steckt oder ob sie selbst Gefahr läuft, dass man ihr den Hals abschneidet. Ich versichere dir, diese Sache kann einem Mann schon ihren Tribut abverlangen.«

»Wie ich schon sagte, du hast eine Besessenheit entwickelt.«

»Besessenheit ist ein viel zu starkes Wort dafür.« Abwesend rieb Tobias seinen linken Oberschenkel. »Sie hinterlässt allerdings einen unauslöschlichen Eindruck, das gestehe ich dir zu.«

»Offensichtlich.« Anthony stützte seinen rechten Fußknöchel auf sein linkes Knie und rückte sorgfältig die Falte seiner modischen Hose zurecht. »Schmerzt dein Bein sehr schlimm heute?«

»Es regnet, falls du das noch nicht bemerkt haben solltest. Es ist immer ein wenig unangenehm, wenn das Wetter feucht wird.«

»Es gibt keinen Grund, mich anzufahren, Tobias.« Anthony grinste. »Spare dir deine schlechte Laune für die Lady auf, die sie verursacht hat. Wenn ihr beide wirklich eine Partnerschaft eingeht, um das Tagebuch zu finden, dann nehme ich an, wirst du noch genügend Gelegenheiten bekommen, deine schlechte Laune an ihr auszulassen.«

»Allein der Gedanke an eine Partnerschaft mit Mrs. Lake genügt, um mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen zu lassen.« Tobias hielt inne, als es laut an der Tür des Arbeitszimmers klopfte. »Ja, Whitby, was gibt es?«

Die Tür öffnete sich, und die kleine, gepflegte Gestalt des Mannes, der als treuer Butler, Koch, Haushälter und wenn nötig auch als Arzt seinen Dienst tat, erschien. Trotz des ab und zu unsicheren Einkommens des Haushaltes schaffte es Whitby immer, elegant auszusehen. Neben Whitby und Anthony fühlte sich Tobias normalerweise sehr benachteiligt, wenn es um Dinge der Herrenmode und des Stils ging.

»Lord Neville ist hier, um mit Ihnen zu sprechen«, erklärte Whitby in dem besonders Unheil verkündenden Ton, den er immer anschlug, wenn er eine Person von hohem Rang ankündigte.

Tobias wusste, dass Whitby solche Menschen nicht wirklich als höher gestellt ansah, er genoss aber die Gelegenheit, seiner persönlichen Vorliebe für das Melodrama zu frönen. Whitby hatte seinen Beruf verfehlt, es war ihm nicht gelungen, Schauspieler zu werden.

»Schicken Sie ihn rein, Whitby.«

Whitby verschwand von der Tür.

Anthony stand langsam von seinem Stuhl auf.

»Verdammte Hölle«, murmelte Tobias vor sich hin. »Es gefällt mir gar nicht, einem Klienten schlechte Neuigkeiten mitzuteilen. Es verärgert sie immer wieder. Man weiß nie, wann sie sich entscheiden werden, einen nicht länger zu bezahlen.«

»Es ist doch nicht so, als hätte Neville die Auswahl«, antwortete Anthony genauso leise. »Es gibt doch sonst niemanden, an den er sich wenden könnte.«

Ein großer, schwerer Mann von Ende vierzig betrat das Zimmer, er machte sich gar nicht erst die Mühe, seine Ungeduld zu verbergen. Nevilles Reichtum und seine aristokratische Abstammung waren offensichtlich, von seinem adlerartigen Gesicht und der Art, wie er sich benahm, bis hin zu seinem teuren Rock und den glänzenden Stiefeln.

»Guten Tag, Sir. Ich habe Sie nicht so früh erwartet.« Tobias reckte sich und deutete mit der Hand auf einen der Stühle. »Bitte, setzen Sie sich doch.«

Neville kümmerte sich nicht um die Formalitäten. Er sah Tobias ins Gesicht, seine Augen zogen sich zusammen und sahen ihn eindringlich an. »Nun, March? Ich habe Ihre Nachricht bekommen. Was zum Teufel ist gestern Abend passiert? Haben Sie eine Spur des Tagebuches gefunden?«

»Leider war es nicht mehr da, als ich dort ankam«, antwortete Tobias.

Die Art, wie Neville den Mund verzog, machte seine schlechte Laune über diese Neuigkeit überdeutlich.

»Verdammt.« Er zog einen Handschuh aus. Der schwarze Stein in dem schweren Goldring an seiner Hand glänzte, als er sich mit den Fingern durch das Haar fuhr. »Ich hatte gehofft, diese Sache sehr schnell zu erledigen.«

»Ich habe einige nützliche Hinweise gefunden«, sprach Tobias weiter und bemühte sich, professionelle Erfahrung und Selbstvertrauen auszustrahlen. »Ich erwarte, das Tagebuch in nächster Zukunft zu finden.«

»Sie müssen es so bald wie möglich finden. So viel hängt von dieser Sache ab.«

»Das ist mir bewusst.«

»Ja, natürlich ist es das.« Neville ging zu dem Tisch, auf dem der Brandy stand, und griff nach der Karaffe. »Verzeihen Sie mir. Ich weiß, dass wir beide ein Interesse daran haben, dieses verdammte Tagebuch zu finden.« Er hielt inne, mit der Karaffe in der Hand sah er zu Tobias. »Darf ich?«

»Natürlich. Seien Sie mein Gast.« Tobias versuchte beim Anblick der großen Menge von Brandy, die Neville in sein Glas goss, nicht das Gesicht zu verziehen. Das Zeug war teuer. Doch es zahlte sich normalerweise aus, einem Klienten gegenüber großzügig zu sein.

Neville nahm schnell zwei Schlucke und stellte dann das Glas ab. Er betrachtete Tobias mit einem grimmigen Gesichtsausdruck. »Sie müssen es finden, March. Wenn es in die falschen Hände gerät, werden wir vielleicht niemals wissen, wer Azure wirklich war. Noch schlimmer, wir werden den Namen von keinem einzigen Überlebenden des Blue Chamber erfahren.«

»Höchstens noch zwei Wochen, dann werden Sie das Tagebuch haben, Sir«, meinte Tobias.

»Noch zwei Wochen?« Neville starrte ihn mit einem entsetzten Gesicht an. »Unmöglich. Das dauert mir viel zu lange.«

»Ich werde mein Bestes tun, es so schnell wie möglich zu finden. Das ist alles, was ich Ihnen versprechen kann.«

»Verdammt.« Neville ging um ihn herum. »Jeder Tag, der vergeht, ist ein weiterer Tag, an dem das Tagebuch verloren gehen oder zerstört werden könnte.«

Anthony bewegte sich und räusperte sich höflich. »Ich möchte Sie daran erinnern, Sir, dass es nur den Anstrengungen von Tobias zu verdanken ist, dass Sie überhaupt wissen, dass es ein solches Tagebuch gibt und es sich irgendwo hier in London befindet. Das ist viel mehr, als Sie im letzten Monat gewusst haben.«

»Ja, ja, natürlich.« Neville ging mit großen, ruhelosen Schritten durch das Zimmer und massierte sich die Schläfen. »Sie müssen mir verzeihen. Ich habe nicht mehr gut geschlafen, seit ich von der Existenz dieses Tagebuches erfahren habe. Wenn ich an diejenigen denke, die während des Krieges wegen der Taten dieser Kriminellen gestorben sind, kann ich meinen Zorn kaum im Zaum halten.«

»Niemand möchte dieses verdammte Ding mehr finden als ich«, meldete sich Tobias.

»Aber was ist, wenn derjenige, in dessen Besitz es sich befindet, es zerstört, ehe wir es in die Finger bekommen können? Dann werden diese beiden Namen für uns für immer verloren sein.«

»Ich bezweifle sehr, dass der jetzige Besitzer des Tagebuches es dem Feuer übergeben wird«, meinte Tobias.

Neville hörte damit auf, sich die Schläfen zu reiben, und runzelte die Stirn. »Was macht Sie so sicher, dass er es nicht zerstören wird?«

»Der einzige Mensch, der es wirklich zerstören möchte, ist das überlebende Mitglied des Blue Chamber, und es ist sehr unwahrscheinlich, dass dieser Mann das Tagebuch in seinem Besitz hat. Für jeden anderen ist es sehr viel Geld wert, als Quelle für Erpressungen. Warum sollte man so etwas verbrennen?«

Neville dachte darüber nach. »Ihre Logik ist einleuchtend«, gab er schließlich zu, wenn auch ein wenig brummig.

»Geben Sie mir noch ein wenig Zeit«, bat Tobias. »Ich werde dieses Tagebuch für Sie finden. Vielleicht werden wir dann beide nachts besser schlafen.«