Hewlett-Packard

Prolog

Die Augen des Eindringlings blitzten kalt. Er hob seine kräftige Hand und wischte damit eine weitere Reihe Vasen aus dem Regal. Die zerbrechlichen Objekte fielen auf den Boden und zerbrachen in tausend Scherben. Er ging weiter zu einer Reihe kleiner Statuen.

»Ich rate Ihnen, sich mit dem Packen zu beeilen, Mrs. Lake«, sagte er, während er seine ganze Aufmerksamkeit den zerbrechlichen Pans, Aphroditen und Satyrn aus Ton schenkte. »Die Kutsche wird in fünfzehn Minuten abfahren, und ich verspreche Ihnen, dass Sie und Ihre Nichte darin sitzen werden, mit oder ohne Gepäck.«

Lavinia sah ihm vom Fuß der Treppe aus zu, hilflos und nicht in der Lage, die Zerstörung ihrer Waren aufzuhalten. »Sie haben kein Recht, so etwas zu tun. Sie ruinieren mich.«

»Ganz im Gegenteil, Madam. Ich rette Ihren Hals.« Mit dem Stiefel stieß er eine große Urne um, die auf etruskische Art verziert war. »Obwohl ich dafür keinerlei Dank erwarte, möchte ich sagen.«

Lavinia zuckte zusammen, als die Urne beim Aufprall auf den Boden in tausend Stücke zerbrach. Sie wusste, es war zwecklos, den Verrückten zur Vernunft zu bringen. Er hatte die Absicht, alle Waren im Laden zu zerstören, und sie konnte ihn nicht aufhalten. Man hatte ihr schon sehr früh im Leben beigebracht, zu erkennen, wann es an der Zeit war, einen taktischen Rückzug zu machen. Aber sie hatte nie gelernt, Rückschläge mit Gelassenheit zu akzeptieren.

»Wenn wir in England wären, würde ich Sie verhaften lassen, Mr March.«

»Ah, aber wir sind nicht in England, nicht wahr, Mrs. Lake?« Tobias March packte einen lebensgroßen Zenturio aus Stein an seinem Schild und schob ihn nach vorn. Der Römer fiel auf sein Schwert. »Wir sind hier in Italien, und Sie haben keine andere Möglichkeit, als das zu tun, was ich Ihnen befehle.«

Es hatte keinen Zweck, ihm zu widersprechen. Jeder Augenblick, den sie hier unten verbrachte und versuchte, mit Tobias March zu argumentieren, war verlorene Zeit, die sie besser mit Packen verbringen sollte. Doch sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dieses Schlachtfeld kampflos zu verlassen.

»Bastarde«, brachte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Nicht im gesetzlichen Sinne.« Er stieß eine weitere Reihe von Vasen aus rotem Ton auf den Boden. »Aber ich verstehe, was Sie sagen wollen.«

»Es ist offensichtlich, dass Sie kein Gentleman sind, Tobias March.«

»Über diesen Punkt werde ich mich mit Ihnen nicht streiten.« Er trat eine hüfthohe nackte Venus um. »Aber Sie sind auch keine Lady, nicht wahr?«

Sie zuckte zusammen, als die Statue zerbrach. Die Statuen der nackten Venus waren bei ihrer Kundschaft sehr beliebt.

»Wie können Sie es wagen? Dass meine Nichte und ich hier in Rom gestrandet sind und gezwungen waren, für einige Monate ein Geschäft zu eröffnen, um unseren Unterhalt zu verdienen, ist kein Grund, uns zu beleidigen.«

»Genug.« Er wirbelte herum und sah sie an. Im Licht der Laterne war sein Gesicht kälter als das einer steinernen Statue. »Seien Sie dankbar dafür, dass ich Sie nur für ein ahnungsloses Opfer des Verbrechers halte, den ich verfolge, und nicht für ein Mitglied seiner Bande von Dieben und Mördern.«

»Sie behaupten, dass die Verbrecher mein Geschäft dazu benutzt haben, ihre Botschaften zu verbreiten. Ehrlich gesagt, Mr March, wenn ich mir Ihr rüdes Benehmen ansehe, so neige ich nicht dazu, ein einziges Wort von dem zu glauben, was Sie mir erzählt haben.«

Er zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus seiner Tasche. »Streiten Sie ab, dass diese Nachricht in einer Ihrer Vasen versteckt war?«

Sie warf einen Blick auf das belastende Papier. Erst vor wenigen Augenblicken hatte sie benommen zugesehen, wie er eine hübsche griechische Vase zerbrochen hatte. Eine Botschaft, die aussah wie der Bericht eines Verbrechers an seinen kriminellen Arbeitgeber, war darin versteckt gewesen. Etwas über einen Handel mit Piraten, der erfolgreich abgeschlossen worden war, hatte in der Notiz gestanden.

Lavinia hob das Kinn. »Es ist ganz sicher nicht mein Fehler, dass einer meiner Kunden eine persönliche Nachricht in eine der Vasen gesteckt hat.«

»Nicht nur ein Kunde, Mrs. Lake. Die Verbrecher haben Ihren Laden jetzt schon seit einigen Wochen benutzt, um miteinander in Verbindung zu bleiben.«

»Und woher wollen Sie das wissen, Sir?«

»Ich habe seit beinahe einem ganzen Monat dieses Haus und auch Sie persönlich überwacht.«

Ihre Augen weiteten sich, sie war ehrlich erschrocken über diese Bemerkung, die er so ganz nebenbei gemacht hatte und die sie fürchterlich wütend machte.

»Sie haben den letzten Monat damit verbracht, mich zu bespitzeln?«

»Am Anfang meiner Untersuchungen habe ich angenommen, dass Sie zu dem Verbrecherring von Carlisle hier in Rom gehören. Erst nach eingehenden Recherchen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Sie nichts von den Machenschaften einiger ihrer so genannten Kunden wissen.«

»Das ist ja unerhört.«

Er warf ihr einen spöttischen Blick zu. »Wollen Sie etwa behaupten, Sie wussten doch Bescheid?«

»So etwas habe ich nie behauptet.« Sie hörte selbst, wie ihre Stimme immer schriller wurde, und sie konnte nichts dagegen tun. Sie war noch nie zuvor in ihrem Leben so wütend und gleichzeitig verängstigt gewesen. »Ich habe geglaubt, dass alle meine Kunden sich ernsthaft für Antiquitäten interessieren.«

»Ach, wirklich?« Tobias warf einen Blick auf die wolkigen grünen Glasgefäße, die ordentlich aufgereiht auf dem obersten Brett des Regals standen. Seinem Lächeln fehlte jegliche Wärme. »Und wie ernst kann man Sie nehmen, Mrs. Lake?« Sie erstarrte. »Was wollen Sie damit sagen, Sir?«

»Ich will damit überhaupt nichts sagen. Ich stelle nur fest, dass die meisten Ihrer Waren billige Nachahmungen sind. Es gibt hier nur sehr wenig, was wirklich antik ist.«

»Woher wissen Sie das?«, fuhr sie ihn an. »Behaupten Sie bloß nicht, dass Sie ein Experte für Antiquitäten sind, Sir. Ich werde mich von einer solch frechen Behauptung nicht beeindrucken lassen. Sie können nicht von sich behaupten, dass Sie irgendein Fachwissen haben, nicht nach dem, was Sie in meinem Laden angerichtet haben.«

»Sie haben Recht, Mrs. Lake. Ich bin kein Experte für griechische und römische Antiquitäten. Ich bin ganz einfach nur ein Geschäftsmann.«

»Unsinn. Warum sollte ein einfacher Geschäftsmann den ganzen Weg bis hierher nach Rom kommen, um einen Verbrecher namens Carlisle zu verfolgen?«

»Ich bin hier auf die Bitte einer meiner Kunden, der mich gebeten hat, Nachforschungen über das Schicksal eines Mannes mit Namen Bennett Ruckland anzustellen.«

»Und was ist mit diesem Mr Ruckland passiert?«

Tobias sah sie an. »Er wurde hier in Rom umgebracht. Mein Kunde glaubt, dass er zu viel über eine Geheimorganisation, die Carlisle kontrolliert, gewusst hat.«

»Das soll mal einer glauben!«

»Auf jeden Fall ist es meine Geschichte, und meine Geschichte ist heute Abend die einzige, die wichtig ist.« Er warf einen weiteren Tontopf auf den Boden. »Sie haben nur noch zehn Minuten Zeit, Mrs. Lake.«

Es war hoffnungslos. Lavinia nahm ihre Röcke in die Hand und lief die Treppe hinauf. Doch auf der Hälfte der Treppe blieb sie plötzlich stehen, als sei ihr ein Gedanke gekommen.

»Nachforschungen über einen Mord für einen Kunden anzustellen - mir scheint, das ist ein eigenartiger Beruf«, meinte sie.

Er zerschmetterte eine kleine Öllampe. »Nicht eigenartiger, als falsche Antiquitäten zu verkaufen.«

Lavinia war schrecklich wütend. »Ich habe Ihnen gesagt, diese Antiquitäten sind nicht falsch, Sir. Es sind Reproduktionen, die man als Souvenir kauft.«

»Nennen Sie es, wie Sie wollen. In meinen Augen sehen sie aus wie Imitationen.«

Sie lächelte ein wenig. »Aber wie Sie schon sagten, Sir, Sie sind kein Experte für seltene Kunstgegenstände, nicht wahr? Sie sind ganz einfach ein schlichter Geschäftsmann.«

»Sie haben noch höchstens acht Minuten Zeit, Mrs. Lake.« Sie berührte den silbernen Anhänger, den sie um ihren Hals trug, so wie sie es oft tat, wenn ihre Nerven über Gebühr beansprucht wurden. »Ich kann mich nicht entscheiden, ob Sie ein abscheulicher Bösewicht sind oder ganz einfach nur ein Verrückter«, flüsterte sie.

Er warf ihr einen kurzen, eisigen Blick zu und schien belustigt. »Macht das denn einen großen Unterschied?«

»Nein.«

Die Situation war wirklich unmöglich. Sie hatte keine andere Wahl, als ihm das Feld zu überlassen.

Mit einem leisen Ausruf, der eine Mischung aus Frustration und Ärger war, wirbelte sie herum und lief die Treppe hinauf. Als sie das kleine Zimmer erreichte, das von einer Laterne erhellt wurde, entdeckte sie, dass Emeline die Zeit, die ihnen gegeben worden war, gut genutzt hatte. Zwei mittelgroße und ein sehr großer Koffer standen offen in dem Zimmer. Zwei kleinere Koffer waren bereits bis zum Bersten gefüllt.

»Gott sei Dank bist du endlich da.« Emelines Stimme klang gedämpft, weil sie mit dem Kopf im Schrank steckte. »Wieso hast du nur so lange gebraucht?«

»Ich habe versucht, March davon zu überzeugen, dass er kein Recht hat, uns mitten in der Nacht auf die Straße zu setzen.«

»Er setzt uns doch gar nicht auf die Straße.« Emeline reckte sich und trat einen Schritt von dem Schrank zurück, in ihren Armen hielt sie eine kleine antike Vase. »Er hat eine Kutsche und zwei bewaffnete Männer bereitgestellt, die uns sicher aus Rom heraus und den ganzen Weg bis nach England begleiten sollen. Das ist wirklich sehr großzügig von ihm.«

»Unsinn. Er ist alles andere als großzügig. Er spielt irgendein geheimes Spielchen, das sage ich dir, und er will uns aus dem Weg haben.«

Emeline wickelte die Vase in ein dickes Wollkleid. »Er glaubt, dass du in ernsthafter Gefahr bist, dass Carlisle irgendetwas Übles plant.«

»Unsinn. Wir haben nur das Wort von Mr March, dass dieser Carlisle hier in Rom sein Unwesen treibt.« Lavinia öffnete einen Schrank. Ein sehr gut aussehender, recht ordentlich ausgestatteter Apollo sah sie daraus an. »Ich für meinen Teil habe nicht die Absicht, alles zu glauben, was dieser Mann uns erzählt. Er möchte uns wegen seiner eigenen dunklen Ziele aus diesen Räumen hier weghaben.«

»Ich bin davon überzeugt, dass er uns die Wahrheit gesagt hat.« Emeline stopfte die verpackte Vase in den dritten Koffer. »Ich glaube, er hat Recht, und wir sind in Gefahr.«

»Wenn wirklich eine niederträchtige Bande in diese Sache verwickelt ist, dann wäre ich nicht überrascht, wenn sich herausstellen würde, dass Tobias March ihr Anführer ist. Er behauptet, nur ein einfacher Geschäftsmann zu sein, doch er hat etwas wirklich Teuflisches an sich.«

»Du lässt deine Vorstellungskraft nur von deiner schlechten Laune beeinflussen, Lavinia. Du weißt doch, dass du nie sehr klar denkst, wenn du deiner Phantasie die Zügel schießen lässt.«

Das Geräusch zerberstender Tongefäße klang bis nach oben. »Dieser verflixte Mann«, murmelte Lavinia.

Emeline hielt inne mit dem Packen und legte den Kopf ein wenig schief, um zu lauschen. »Er hat ganz sicher die Absicht, es so aussehen zu lassen, als seien wir die Opfer von Vandalen und Dieben geworden, nicht wahr?«

»Er hat etwas davon gesagt, dass er den Laden zerstören wolle, damit Carlisle nicht annimmt, dass man ihn entdeckt hat.« Lavinia kämpfte mit dem Apollo und versuchte, ihn aus dem Schrank herauszuzerren. » Aber ich glaube, das ist nur eine weitere Lüge. Der Mann genießt, was er da unten anrichtet, wenn du mich fragst. Er ist wirklich verrückt

»Das glaube ich nicht.« Emeline ging zum Schrank, um eine weitere Vase zu holen. »Aber ich gebe zu, es war gut, die teuren Antiquitäten hier oben zu verstauen, um sie vor Dieben zu schützen.«

»Das einzig Positive an der ganzen Sache.« Lavinia schlang die Arme um die Brust des Apollos und hob ihn aus dem Schrank. »Mir läuft ein Schauer über den Rücken, wenn ich daran denke, was hätte geschehen können, wenn wir sie zusammen mit den Kopien unten ausgestellt hätten. March hätte sie zweifellos auch zerstört.«

»Wenn du mich fragst, das meiste Glück haben wir gehabt, als Mr March sich entschieden hat, dass wir keine Mitglieder in Carlisles Bande von Halsabschneidern sind.« Emeline wickelte eine kleine Vase in ein Handtuch und legte sie in den Koffer. »Ich zittere, wenn ich daran denke, was er mit uns gemacht hätte, wenn er geglaubt hätte, dass wir uns mit der Bande zusammengeschlossen hätten und nicht nur unschuldige Betrogene sind.«

»Er hätte kaum Schlimmeres tun können, als unsere einzige Einkommensquelle zu ruinieren und uns aus unserem Zuhause zu werfen.«

Emeline blickte zu den alten Mauern, die sie umgaben, und schnaufte dann verächtlich. »Du kannst diesen unangenehmen kleinen Raum wohl kaum ein Zuhause nennen. Ich werde ihn keinen Augenblick vermissen.«

»Du wirst ihn ganz sicher vermissen, wenn wir erst einmal ohne einen Penny in London sind und dort gezwungen werden, auf der Straße zu leben.«

»So weit wird es nicht kommen.« Emeline klopfte auf die in ein Handtuch eingewickelte Vase, die sie in der Hand hielt. »Wir werden diese Antiquitäten verkaufen, wenn wir erst einmal in England angekommen sind. Alte Vasen und Statuen zu sammeln, ist im Augenblick groß in Mode, das weißt du doch. Mit dem Geld, das wir für diese Sachen bekommen, können wir ein Haus mieten.«

»Aber nicht lange. Wir können von Glück sagen, wenn wir in der Lage sind, uns vom Verkauf dieser Sachen sechs Monate über Wasser zu halten. Wenn erst einmal die letzte Antiquität verkauft ist, dann stehen wir mit leeren Händen da.«

»Dir wird schon etwas einfallen, Lavinia. Das tut es doch immer. Es war ein brillanter Einfall, hier in Rom ins Antiquitätengeschäft einzusteigen, nachdem unser Arbeitgeber mit dem vielen Geld durchgebrannt war.«

Es gelang Lavinia mit äußerster Willenskraft, nicht vor Wut aufzuschreien. Emelines grenzenloses Vertrauen in ihre Fähigkeit, aus jeder noch so verzweifelten Lage einen Ausweg zu finden, machte sie verrückt.

»Hilf mir bitte mit diesem Apollo hier«, bat sie.

Emeline warf einen zweifelnden Blick auf die große nackte Statue, die Lavinia durch den Raum zu tragen versuchte. »Der wird den größten Teil des Platzes im letzten Koffer einnehmen. Vielleicht sollten wir ihn hier lassen und stattdessen einige dieser Vasen einpacken.«

»Dieser Apollo ist ein paar Dutzend Vasen wert.« Lavinia blieb stehen und atmete schwer vor Erschöpfung, dann fass-te sie die Statue anders an. »Er ist das wertvollste Stück, das wir überhaupt haben. Wir müssen ihn mitnehmen.«

»Wenn wir ihn in den Koffer legen, dann haben wir keinen Platz mehr für deine Bücher«, meinte Emeline mit sanfter Stimme.

Ein Gefühl des Unbehagens beschlich Lavinia. Sie blieb abrupt stehen und blickte auf das Regal voller Gedichtbände, die sie aus England mitgebracht hatte. Der Gedanke, sie zurückzulassen, war beinahe unerträglich.

»Die kann ich ersetzen.« Sie umfasste die Statue fester. »Irgendwann einmal.«

Emeline zögerte und betrachtete Lavinias Gesicht. »Bist du auch ganz sicher? Ich weiß, was sie dir bedeuten.«

»Apollo ist wichtiger.«

»Also gut.« Emeline stand auf, um Apollo an den Beinen zu fassen.

Auf der Treppe hörte man schwere Schritte. Tobias March erschien an der Tür. Er warf einen Blick auf die Koffer, und dann sah er zu Lavinia und Emeline.

»Sie müssen jetzt sofort losfahren«, sagte er. »Ich kann das Risiko nicht eingehen, dass Sie auch nur noch zehn Minuten hier bleiben,«

Lavinia hätte ihm liebend gerne eine der Vasen an den Kopf geworfen. »Ich werde Apollo nicht zurücklassen. Er kann uns vor einem Leben im Bordell bewahren, wenn wir in London sind.«

Emeline verzog das Gesicht. »Wirklich, Lavinia, du sollst nicht immer so übertreiben.«

»Das ist die Wahrheit«, fuhr Lavinia auf.

»Geben Sie mir diese verdammte Statue.« Tobias kam auf sie zu. Er nahm die Skulptur in seine Arme. »Ich werde sie für Sie in den Koffer legen.«

Emeline lächelte ihn freundlich an. »Danke. Sie ist sehr schwer.«

Lavinia schnaufte verächtlich. »Du sollst dich nicht bei ihm bedanken, Emeline. Er ist der Grund für all unsere Schwierigkeiten in dieser Nacht.«

»Es ist mir immer ein Vergnügen, Ihnen zu Diensten zu sein«, meinte Tobias spöttisch. Er quetschte die Statue in den Koffer. »Sonst noch etwas?«

»Ja«, antwortete Lavinia sofort. »Diese Urne neben der Tür. Es ist ein außergewöhnlich gutes Stück.«

»Sie wird nicht in den Koffer passen.« Tobias griff nach dem Deckel und sah sie an. »Sie müssen zwischen dem Apollo und der Urne wählen. Sie können nicht beides mitnehmen.«

Lavinia zog in plötzlichem Misstrauen die Augen zusammen. »Sie haben die Absicht, die Urne für sich selbst zu behalten, nicht wahr? Sie haben vor, mir meine Urne zu stehlen.«

»Ich versichere Ihnen, Mrs. Lake, ich habe keinerlei Interesse an dieser verdammten Urne. Wollen Sie die Urne oder den Apollo? Wählen Sie. Jetzt sofort.«

»Den Apollo«, murmelte sie.

Emeline kam angelaufen und stopfte ein Nachthemd und einige Schuhe um den Apollo herum in den Koffer. »Ich glaube, wir sind jetzt fertig, Mr March.«

»Ja, wirklich.« Lavinia bedachte ihn mit einem stahlharten Lächeln. »Ganz fertig. Ich kann nur hoffen, dass ich eines Tages die Gelegenheit haben werde, Sie für die Arbeit dieser Nacht zu entschädigen, Mr March.«

Er knallte den Deckel des Koffers zu. »Soll das eine Drohung sein, Mrs. Lake?«

»Das können Sie nehmen, wie Sie wollen, Sir.« Sie nahm ihre Tasche in eine und ihren Reisemantel in die andere Hand. »Komm, Emeline, lass uns gehen, ehe sich Mr March noch entscheidet, das Haus vor unseren Augen in Brand zu setzen.«

»Es ist nicht nötig, so feindselig zu sein.« Emeline griff nach ihrem eigenen Mantel und einer Haube. »Ich finde, dass sich Mr March unter diesen Umständen mit bewundernswerter Zurückhaltung verhält.«

Tobias senkte ein wenig den Kopf. »Ich weiß Ihre Unterstützung zu schätzen, Miss Emeline.«

»Sie müssen sich wegen Lavinias Bemerkungen keinerlei Gedanken machen, Sir«, meinte Emeline. »Sie wird immer ein wenig unhöflich, wenn sie unter Druck steht.«

Tobias richtete den Blick seiner kalten Augen noch einmal auf Lavinia. »Das habe ich bemerkt.«

»Ich hoffe, Sie werden es ihr nicht übel nehmen«, sprach Emeline weiter. »Zusätzlich zu all unseren Schwierigkeiten heute Abend sind wir gezwungen, ihre Gedichtbände zurückzulassen. Das ist für sie ein großes Unglück. Sie liebt Gedichte sehr, müssen Sie wissen.«

»Oh, um Himmels willen.« Lavinia legte den Mantel um ihre Schultern und ging mit festem Schritt zur Tür. »Ich weigere mich, auch nur einen Augenblick länger dieser lächerlichen Unterhaltung zuzuhören. Eines ist ganz sicher, ich kann es kaum noch erwarten, aus Ihrer unangenehmen Gesellschaft wegzukommen, Mr March.«

»Sie verletzen mich, Mrs. Lake.«

»Bei weitem nicht so sehr, wie ich mir das wünsche.«

Sie blieb an der Treppe noch einmal stehen und sah zu ihm zurück. Er sah gar nicht verletzt aus. Mit Leichtigkeit nahm er den schweren Koffer und trug ihn hinaus.

»Ich persönlich freue mich darauf, wieder nach Hause zu fahren.« Emeline lief zur Treppe. »Italien ist für einen Besuch recht angenehm, aber ich habe London vermisst.«

»Das habe ich auch.« Lavinia riss den Blick von den breiten Schultern von Tobias March los und ging mit festem Schritt zur Treppe. »Diese ganze Sache war eine vollkommene Katastrophe. Wessen Idee war es überhaupt, als Begleiterinnen dieser entsetzlichen Mrs. Underwood nach Rom zu fahren?« Emeline räusperte sich. »Deine, glaube ich.«

»Wenn ich beim nächsten Mal etwas so Bizarres vorschlage, dann wirst du hoffentlich so nett sein, mir mit meiner Riechflasche unter der Nase zu wedeln, bis ich wieder bei Sinnen bin.«

»Zweifellos schien der Gedanke damals sehr brillant zu sein«, ertönte die Stimme von Tobias March hinter ihr.

»Das war er wirklich«, murmelte Emeline vor sich hin. »>Denke doch nur, wie wundervoll es sein wird, diese Jahreszeit in Rom zu verbringen<, sagte Lavinia damals. >Umgeben von all diesen wundervoll inspirierenden Antiquitäten. Und das alles auf Kosten von Mrs. Underwood<, hat sie behauptet. >Wir werden in großem Stil von Menschen mit Rang und Geschmack unterhalten werden<, hat sie gesagt.«

»Das reicht, Emeline«, fuhr Lavinia sie an. »Du weißt sehr gut, dass es eine lehrreiche Erfahrung gewesen ist.«

»Auf mehr als nur eine Art, könnte ich mir vorstellen«, stimmte ihr Tobias ein wenig zu schnell zu. »Wenn man dem Klatsch glauben kann, den ich über die Partys von Mrs. Underwood gehört habe. Ist es wirklich wahr, dass sie zu Orgien ausgeartet sind?«

Lavinia biss die Zähne zusammen. »Ich gebe zu, es gab einen oder zwei Vorfälle, die ein wenig unglücklich waren.«

»Die Orgien waren ziemlich unangenehm«, stimmte Emeline zu. »Lavinia und ich waren gezwungen, uns in unseren Schlafzimmern einzuschließen, bis sie zu Ende waren. Aber meiner Meinung nach wurden die Dinge erst richtig schlimm, als wir eines Morgens aufwachten und feststellten, dass Mrs. Underwood mit ihrem Grafen durchgebrannt war. Danach saßen wir mittellos in einem fremden Land fest.«

»Aber immerhin«, lenkte Lavinia entschlossen ein, »ist es uns gelungen, wieder auf die Beine zu kommen, und es ging uns auch recht gut, bis Sie, Mr March, sich entschieden, sich in unsere persönlichen Angelegenheiten einzumischen.«

»Glauben Sie mir, Mrs. Lake, niemand bedauert diese Notwendigkeit mehr als ich«, meinte Tobias.

Sie blieb am Fuß der Treppe stehen und warf einen letzten Blick auf die zerbrochenen Tonvasen und Statuen. Er hat alles zerstört, dachte sie. Nicht eine einzige Vase war noch heil geblieben. In weniger als einer Stunde hatte er das Geschäft ruiniert, zu dessen Aufbau sie vier Monate gebraucht hatte. »Es ist völlig unvorstellbar, dass Ihr Bedauern genauso groß ist wie das meine, Mr March.« Sie umfasste ihre Tasche fester und ging dann durch den Schutt bis zur Tür. »In der Tat, Sir, Sie tragen die alleinige Schuld an dieser Katastrophe.«

Es war noch nicht hell, als Tobias endlich hörte, wie sich die Tür des Ladens öffnete. Er wartete auf der dunklen Treppe, mit der Pistole in der Hand.

Ein Mann, der eine Laterne in der Hand hielt, die nur ein schwaches Licht warf, erschien aus dem Hinterzimmer. Er blieb stehen, als er das Durcheinander sah.

»Verdammte Hölle.«

Er stellte die Laterne auf den Ladentisch und kam schnell durch den Raum, um die zerbrochenen Überreste einer großen Vase zu untersuchen.

»Verdammte Hölle«, murmelte er noch einmal. Er wandte sich um und betrachtete die zerstörten Gegenstände. »Verdammte, verdammte Hölle!«

Tobias trat auf die nächste Treppenstufe. »Suchen Sie etwas, Carlisle?«

Carlisle erstarrte. In dem schwachen, flackernden Licht der Laterne war sein Gesicht eine Maske des Bösen. »Wer sind Sie?«

»Sie kennen mich nicht. Ein Freund von Bennett Ruckland hat mich ausgeschickt, um Sie zu finden.«

»Ruckland. Ja, natürlich. Ich hätte damit rechnen müssen.«

Carlisle bewegte sich mit unglaublicher Schnelligkeit. Er hob die Hand, in der er eine Pistole verborgen gehalten hatte, und drückte ab, ohne eine Sekunde zu zögern.

Tobias war bereit. Er drückte genauso schnell ab.

Der Knall der Pistole klang merkwürdig. Er wusste sofort, dass die Pistole eine Fehlzündung hatte. Er steckte die Hand in die Tasche und griff nach der anderen Pistole, aber es war schon zu spät.

Carlisle hatte geschossen.

Tobias fühlte, wie sein linkes Bein nachgab. Die Wucht des Geschosses warf ihn auf die Seite. Er ließ die Pistole fallen und hielt sich am Treppengeländer fest. Irgendwie gelang es ihm zu verhindern, dass er kopfüber die Treppe hinunterfiel. Carlisle bereitete sich darauf vor, die zweite Pistole abzufeuern.

Tobias versuchte, die Treppe hinaufzukriechen. Irgendetwas mit seinem linken Bein stimmte nicht. Er konnte es nicht richtig bewegen. Er drehte sich auf den Bauch und zog sich die Treppe hinauf, dabei benutzte er die Hände und sein rechtes Bein in einer krebsartigen Bewegung. Sein Fuß glitt auf etwas Feuchtem aus. Er wusste, dass es Blut war, das aus seiner Hüfte floss.

Unten bewegte sich Carlisle vorsichtig zum Fuß der Treppe. Tobias wusste, dass er noch nicht ein zweites Mal abgedrückt hatte, weil er ihn im Schatten nicht deutlich sehen konnte.

Die Dunkelheit war seine einzige Hoffnung.

Er schaffte es bis zum Treppenabsatz und fiel dann durch die Tür in das unbeleuchtete Zimmer. Seine Hand berührte die schwere Urne, die Lavinia zurückgelassen hatte.

»Nichts ist so ärgerlich wie eine Pistole, die eine Fehlzündung hat, nicht wahr?«, fragte Carlisle freundlich. »Und dann auch noch die zweite Pistole fallen zu lassen. Ungeschickt. Sehr ungeschickt.«

Er kam die Treppe herauf, schneller und selbstsicherer jetzt. Tobias packte die Urne, legte sie auf die Seite und versuchte, nur ganz flach zu atmen. Der Schmerz in seinem linken Bein war unerträglich.

»Hat der Mann, der Sie hinter mir hergeschickt hat, Ihnen auch gesagt, dass Sie wahrscheinlich nicht lebend nach England zurückkehren würden?«, fragte Carlisle, der die Hälfte der Treppe bereits hinaufgekommen war. »Hat er Ihnen nicht gesagt, dass ich früher ein Mitglied des Blue Chamber war? Wissen Sie überhaupt, was das bedeutet, mein Freund?« Ich habe nur eine Chance, sagte Tobias sich. Er musste den richtigen Augenblick abwarten.

»Ich weiß ja nicht, wie viel er Ihnen bezahlt hat, um mich zu finden, aber wie hoch auch immer die Summe war, sie war nicht hoch genug. Sie waren ein Dummkopf, diesem Handel zuzustimmen.« Carlisle hatte den Treppenabsatz beinahe erreicht. In seiner Stimme lag eine sehnsüchtige Erregung. »Es wird Sie Ihr Leben kosten.«

Tobias schob die große Urne mit letzter Kraft ein Stück vor. Das plumpe Gefäß polterte auf die Treppe zu.

»Was ist das?« Carlisle blieb erstarrt auf der obersten Treppenstufe stehen. »Was ist das für ein Lärm?«

Die Urne krachte gegen seine Beine. Carlisle schrie auf. Tobias hörte, wie er versuchte, sich an die Wand zu klammern, um den Halt nicht zu verlieren, doch es war vergebens.

Es gab eine Reihe dumpfer, polternder Geräusche, als Carlisle die Treppe hinunterfiel. Seine Schreie hörten plötzlich auf, als er beinahe unten angekommen war.

Tobias zog das Laken vom Bett, riss einen langen Streifen davon ab und verband sein linkes Bein. Ihm wurde schwindlig, als er sich hochzog.

Er schwankte, und beinahe wäre er ohnmächtig geworden, als er ungefähr die Hälfte der Treppe hinuntergegangen war, doch es gelang ihm, auf den Beinen zu bleiben. Carlisle lag am Fuß der Treppe, sein Kopf war in einem unnatürlichen Winkel verdreht. Die Scherben der Urne lagen um ihn herum.

»Sie hat den Apollo gewählt, musst du wissen«, flüsterte Tobias dem toten Mann zu. »Im Nachhinein war das eindeutig die richtige Entscheidung. Die Lady hat eine ausgezeichnete Vorahnung.«